Die Veddel: stadtgeografische Analyse eines Hamburger Stadtteils unter besonderer Berücksichtigung seiner Entwicklung im Rahmen des Bund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt"
In: Magisterarbeit
Inhaltsangabe: Einleitung: Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels von einer industrie- zu einer wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft sehen sich Großstädte mit der Problematik sozialräumlicher Polarisierung konfrontiert. Ehemalige industrienahe Arbeiterviertel entwickelten sich durch den Wegfall von Arbeitsplätzen im sekundären Sektor zu Quartieren, die heute von Armut geprägt sind. Die so benachteiligten Stadtgebiete sind geprägt von struktureller Arbeitslosigkeit, einem hohen Anteil von Empfängern staatlicher Transferleistungen, einem niedrigen Bildungs- und Ausbildungsniveau gerade der jungen Bevölkerung und einer Konzentration von Familien ausländischer Herkunft. Desinvestitionen in Infrastruktur und Bausubstanz führen zudem zu einer Verschlechterung der Standortqualitäten solcher Wohngebiete, wodurch die Abwärtsbewegung der Lebensbedingungen noch beschleunigt wird. Zusammen mit einem meist negativ gefärbten Quartiersimage wirken diese Aspekte für die Bewohner benachteiligter Wohngebiete zusätzlich ausgrenzend. Besser situierte Bewohner reagieren auf diese Entwicklung mit Abwanderung. Wer neu zuwandert, kann sich meist eine Wohnung in anderen Stadtgebieten nicht leisten. Durch die einseitige soziale Prägung ist eine Verbesserung der Bedingungen durch eine endogene Entwicklung der Quartiere nicht zu erwarten. Die Ausgrenzungsproblematik in Städten wird in den Disziplinen Stadtgeographie und Stadtsoziologie vielfältig diskutiert. Dem gesteigerten Bedarf an staatlicher Unterstützung stehen sich dezimierende Finanzhaushalte gegenüber. Das Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt" (kurz: "Soziale Stadt") versucht über einen Ansatz integrierter Stadtentwicklung den neuen Anforderungen staatlichen Handelns gerecht zu werden, indem es ressortübergreifend und gebietsbezogen Mittel bündelt, die dazu eingesetzt werden sollen, endogene Potenziale in benachteiligten Stadtteilen aufzuspüren und diese wieder handlungsfähig zu machen. Auch der Hamburger Stadtteil Veddel hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem benachteiligten Quartier entwickelt. Seit Ende der 1970er Jahre wurde über Wohnungsmodernisierungen und Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung bereits versucht, einer weiteren Abwärtsbewegung entgegen zu wirken. Die soziale Entmischung konnte darüber nicht unterbrochen werden. Zum 01. November 2002 wurde die Veddel daher zum Fördergebiet der "Sozialen Stadt". Die Förderung lief zum 31. Dezember 2007 aus.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: AbbildungsverzeichnisVI AbkürzungsverzeichnisVI TabellenverzeichnisVIII IEinleitung1 1.Einführung in das Thema1 2.Fragestellung und Forschungsstand2 3.Aufbau der Arbeit3 IIGrundlagen5 4.Das Untersuchungsgebiet: Die Hamburger Veddel5 4.1Strukturdaten6 4.1.1Baulich-räumliche Struktur6 4.1.2Verkehrsstruktur8 4.1.3Umweltbedingungen10 4.1.4Bevölkerungs- und Sozialstruktur13 4.1.5Versorgungsstruktur16 4.2Geschichte21 4.2.1Die Sloman-Siedlung22 4.2.2Die Auswandererstadt24 4.2.3Wohnungs- und Städtebau unter Fritz Schumacher25 4.2.4Nachkriegsentwicklung und jüngere Geschichte27 4.3Zusammenleben im Stadtteil30 4.3.1Definitionen ethnischer Segregation31 4.3.2Ethnische Segregation auf der Veddel34 4.4Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung40 4.4.1Bauliche Umstrukturierungen im Bereich Verkehr41 4.4.2Wohnungs- und Wohnumfeldmodernisierung42 4.4.3Verbesserung und Erweiterung der sozialen Infrastruktur43 4.4.4Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltbedingungen44 4.5Zwischenfazit45 5.Das Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt"51 5.1Hintergrund52 5.2Ziele der "Sozialen Stadt"55 5.3Programmstrategie: Integrierte Stadtteilentwicklung58 5.3.1Ressourcenbündelung und Kooperation60 5.3.2Quartiermanagement64 5.3.3Integriertes Handlungskonzept67 5.3.4Förderung endogener Potenziale71 5.4Handlungsfelder und Maßnahmen integrierter Stadtteilentwicklung72 5.5Kritische Betrachtung: Chancen und Grenzen79 IIIDatenerhebung83 6.Methodische Vorgehensweise83 6.1Zielsetzung und Hypothesen der Primärdatenerhebung85 6.2Untersuchungsdesign87 6.2.1Methodik und Durchführung der Befragung87 6.2.2Angaben zur Auswertung89 7.Bürgermitwirkung und Stadtteilleben auf der Veddel seit 200292 7.1Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur93 7.2Befähigung, Artikulation und politische Partizipation94 7.3Zusammenleben unterschiedlicher sozialer und ethnischer Gruppen100 7.4Stadtteilkultur und kulturelle Infrastruktur106 7.5Image, Binnenwahrnehmung und Öffentlichkeitsarbeit110 IVDiskussion und Handlungsempfehlungen114 8.Interpretation der Datenauswertung und Beantwortung der Forschungsfragen114 9.Kritische Betrachtung der Vorgehensweise118 10.Ausblick119 Quellenverzeichnis122 AnhangIXTextprobe:Textprobe: Kapitel 4.5, Zwischenfazit: Im Verlauf dieses Kapitels wurden strukturelle Besonderheiten der Veddel, ihre Geschichte, das nachbarschaftliche Miteinander sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität vor der Aufnahme in das im Rahmen dieser Arbeit zu evaluierende Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt" vorgestellt. Es wurde deutlich, dass die Veddel sich in mehrfacher Hinsicht in einer Insellage befand. Im Folgenden soll zusammenfassend anhand der verschiedenen Insellagen dargestellt werden, welche Probleme im Stadtteil auftraten, aber auch, welche positiven Aspekte die Veddel-typischen Strukturen für den Stadtteil bedeuteten. Die geografische Insellage auf den Elbinseln Veddel, Peute und Wilhelmsburg bot dem Stadtteil grundsätzlich eine attraktive Lage am Wasser, jedoch fehlte es für die Bewohnerschaft an Zugängen zum Ufer. Die Elblage hat den Stadtteil zum Standort von Hafenwirtschaft und Industrie werden lassen. Hiervon profitierte die Veddel jedoch kaum. Bis dato engagierte sich nur die NA für die Belange des Wohnquartiers. Die Nähe zur City war trotz der Lage mitten in Hamburg nicht erlebbar. Im Innern der Veddel gab es räumliche und funktionelle Inseln: Die Hafen-, Industrie-, Natur- und Wohnflächen lagen ohne verbindende Bezüge nebeneinander. Die ohnehin nicht ausreichend vorhandenen Freiflächen büßten auch durch die mangelnde Vernetzung an Qualität ein. Die historische städtebauliche Struktur der Bebauung aus den 1920er Jahren ließ die Veddel baulich-räumlich als "Wohninsel" erscheinen. Die Schumacher-Bauten statteten den Stadtteil mit einer unter denkmal- bzw. Milieuschutz stehenden architektonischen und städtebaulichen Qualität aus. Deren optische Geschlossenheit vermittelte eine Atmosphäre dörflicher Geborgenheit und Überschaubarkeit, in der viele qualitative Aspekte des kinder- und familienfreundlichen Quartierslebens begründet lagen. Ein starkes Gefühl von Sicherheit im öffentlichen Raum korrelierte mit einer geringen Anonymität und – zumindest innerhalb der einzelnen Ethnien – intensiven nachbarschaftlichen Beziehungen. Zwar wurde die der gegenseitigen Bekanntheit implizite soziale Kontrolle besonders von weiblichen Migranten teils als zu stark empfunden. Die räumliche Nähe innerhalb des kompakten Wohnquartiers förderte aber die Herausbildung sozialer Netzwerke, von denen die ausländische Bevölkerung auch profitierte, da sie sich als wertvolle organisatorische, soziale und infrastrukturelle Hilfestellungen in der Bewältigung des fremden gesellschaftlichen Alltags erwiesen. Neben dem aus der dichten Bebauung resultierenden Freiflächenmangel, standen die Vorteile einer abgeschlossenen Wohninsel einer starken Trennung von Wohnen und Arbeiten gegenüber. Im Quartier fanden sich nur vereinzelt gewerbliche Nutzungen. Die in Schumachers Plänen vorgesehenen Ladenzeilen in den Erdgeschosszonen der Wohnblöcke, die der nahräumlichen Versorgung der Bewohner dienen sollten, standen vielfach leer, wurden als kulturelle Einrichtungen umgenutzt oder unterlagen einer großen Fluktuation. Zur Nahversorgung der Bewohner reichten sie nicht aus. Die Lage zwischen den Verkehrstrassen der A 255 und der S- und Fernbahnschienen isolierte die Veddel von den angrenzenden Stadtteilen. Für das übrige Hamburg fungierte sie als "Transitraum", als "Verkehrsinsel", die als Nord-Süd-Verbindung genutzt wurde, ohne zum Verweilen einzuladen. In erster Linie ergaben sich für den Stadtteil negative Effekte aus dieser Insellage: ein hohes Verkehrsaufkommen, Lärm- und Umweltbelastungen sowie die schon benannte Barrierewirkung. Die verkehrliche Umstrukturierung mit dem Rückbau der Veddeler Brückenstraße hat zu einer Abnahme der Immissionsbelastungen und einer größeren Verkehrssicherheit geführt. Gleichzeitig bedeutete das Ausbleiben der sich aus dem Durchgangsverkehr resultierender Kundschaft für den dortigen Einzelhandel jedoch deutliche Umsatzeinbußen. Ein positiver Effekt der Lage zwischen den Verkehrstrassen war der direkte Anschluss an den überregionalen Verkehr, die City und die Gesamtstadt für Nutzer des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Das hohe Verkehrsaufkommen sowie optische und physische Barrierewirkungen behinderten zwar den Ausbau eines attraktiven Netzes für den nicht-motorisierten Individualverkehr (NMIV). Dieser profitiert jedoch von der regelmäßigen und dichten ÖPNV-Taktung. Die Veddel war auch sozial verinselt: Im Stadtteil fand sich eine überdurchschnittlich hohe Konzentration von Indikatoren monetärer Armut (geringe Erwerbseinkommen, hohe Arbeitslosenzahlen, hoher Anteil an Hartz IV-Empfängern). Auch das Bildungs- und Ausbildungsniveau der Bewohner war tendenziell niedrig. Die an Sozialwohnungen gekoppelte Belegungsbindung hatte das Mieterklientel über Jahre festgelegt, so die Entwicklung einer heterogenen Sozialstruktur unmöglich gemacht und zu einer sozialen Segregation geführt. Diese ging einher mit mangelnden Investitionen in die Entwicklung des Stadtteils. Erst im Verlauf der 1980er Jahre wurde mit der Sanierung der Bausubstanz begonnen, die letzten Wohnungen bis Ende 2004 saniert. Das teilweise Auslaufen der Belegungsbindungen in den vergangenen Jahren ermöglichte eine soziale Durchmischung der Bevölkerung. Den sich aus der sozialen Zusammensetzung ergebenden Schwierigkeiten versuchte eine Vielzahl von sozial ausgerichteten Vereinen und Initiativen sowie die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Hamburg-Veddel zu begegnen. Die angebotenen Freizeitaktivitäten und Hilfeeinrichtungen sollten gerade für Kinder und Jugendliche bestehende Defizite kompensieren. Die Entwicklung der Nahversorgungssituation spiegelte die einseitige Entwicklung der Sozialstruktur wider. Das Einzelhandelsangebot war stark defizitär, die Ladengeschäfte wiesen aufgrund einer Tendenz zur Abwanderung eine hohe Fluktuation, Leerstände oder eine Umnutzung zu sozialen oder Stadtteileinrichtungen auf. Die geringe Kaufkraft der Bewohner, die seit der verkehrlichen Umstrukturierung fehlende sich aus dem Durchgangsverkehr ergebende Kundschaft sowie die wachsende Nachfrage nach einem ethnisch ausgerichteten Angebot führten zum einen zu einer Verdrängung des alteingesessenen Einzelhandels, zum anderen erwies sich die Veddel so nicht als bevorzugter Standort für Existenzgründungen. Die Nachfrage nach Gewerbeflächen im Viertel und die Vielfalt an Nahversorgungsangeboten nahmen kontinuierlich ab. Die soziale Segregation der Veddel traf in ihrem Innern auf ein ethnisch-kulturelles Pendant. Während die Grenzen zur Gesamtstadt eher durch soziale Schichtung bestimmt waren – auch die auf der Veddel vertretenen Migrantenhaushalte gehörten den unteren Einkommensschichten an –, waren im Stadtteil anhand der Herausbildung umfangreicher sozialer Netzwerke verschiedene ethnische Inseln innerhalb der vertretenen Nationalitäten bzw. Kulturkreise entstanden. Ethnische Kolonien können für Migranten die wichtige Funktion eines Interimsraumes einnehmen. In einer über Landsleute und Verwandte vertrauteren Umgebung, hätten sie so die Möglichkeit, sich mit einem sozialen "Sicherheitsnetz" in der noch fremden Gesellschaft zu erproben. Gleichzeitig kann eine zu gut funktionierende Binnenintegration dazu führen, dass der Interimsraum keine Zwischenstation bleibt, sondern den Übergang in die Gesamtgesellschaft erschwert. Auf der Veddel zeigte sich anhand der Abwanderung sozial aufsteigender ausländischer Familien, dass die Veddel durchaus als "Sprungbrett" genutzt wurde. Jedoch erhärteten sich z.B. durch die relativ geringe Relevanz der deutschen Sprache als Verkehrssprache die Grenzen zur Mehrheitsgesellschaft. Planer hatten so nur wenig Möglichkeiten, Einblicke gerade in die religiös geprägten Strukturen der verschiedenen ethnischen Netzwerke zu erhalten, um diese beispielsweise in Prozesse der Stadtteilentwicklung einzubeziehen. Inwieweit in dieser Hinsicht überhaupt ein Interesse besteht, wurde bisher nicht untersucht. Versuche einer interkulturellen nachbarschaftlichen Verständigung, wie z. B. in Form der Stadtteilfeste, nahmen viele Bewohner unabhängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit wahr. Zudem wurde von Seiten der (deutschen) Planer versucht, nicht-deutsche Bevölkerungsanteile in nachbarschaftliche Projekte einzubeziehen.