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In den Beiträgen des Sammelbands geht es um unterschiedliche Facetten von Motiven widerständigen sexuellen Verhaltens in Filmen sowie um Filmästhetiken, die Sexualität(en) und/oder Nonkonformismus programmatisch in eine Bildsprache überführen. Im Fokus stehen Normen und Normativität und Strategien, sich diesen zu entziehen. Die bunte Mischung beinhaltet Besprechungen von (frühen) Filmen über sexuelle Aufklärung und Schwangerschaftsabbruch, ornamentale Körper in Filmen der 1930er Jahre, über Motive des Frau- und Mann-Seins, des ,Geschlechterkampfs' sowie der sexuellen Revolution in Jugoslawien. Die Themen reichen von Schwarz-Sein in den USA über 'Ekstase' bei Eisenstein bis zum Begehren von Zombies und dem politischen Potential der Unberechenbarkeit von (sexuellen) Affekten. ; The contributions in this anthology deal with different facets of motives for resisting sexual behavior in films as well as film aesthetics that programmatically translate sexuality(s) and / or nonconformity into a visual language. The focus is on norms and normativity and strategies to avoid them. The colorful mix includes reviews of (early) films on sexual enlightenment and abortion, ornamental bodies in 1930s films, motifs of womanhood and manhood, 'gender struggle', and the sexual revolution in Yugoslavia. Topics range from blackness in the US, "ecstasy" at Eisenstein, to the desire of zombies and the political potential of unpredictability of (sexual) affects.
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Susan Leigh Star war eine US-amerikanische Soziologin, Feministin, Technik- und Wissenschaftsforscherin deren Denken in der Chicago School of Sociology und dem symbolischen Interaktionismus verwurzelt ist. Sie beschäftigte sich in Kooperation mit anderen Forscher_innen ab den 1980ern mit Wissenschaftsphilosophie, Sozio-Informatik, Artificial-Intelligence-Forschung und Bürokratie-, Wissens- und Wissenschaftskulturen. Es war ihr ein Anliegen über die kooperative Produktion von Wissen unter heterogenen Bedingungen zwischen Menschen und zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten in Erarbeitung einer jeweils adäquaten Grounded Theory zu reflektieren. Interessant für die Medienforschung im engeren Sinn sind vor allem ihre medienethnografischen und medientheoretischen Zugänge zur Informationsverarbeitung anhand "vermittelnde(r) Praktiken und Objekte" (S. 14), ihre frühen Arbeiten zu Computerforschung (Computer-Supported Cooperative Work, CSCW) und marginalisierter Arbeit sowie ihre Kritik an der Akteur-Netzwerk-Theorie von Michel Callon, John Law und Bruno Latour. Sebastian Gießmann und Nadine Taha von der Universität Siegen haben 2017 ein Buch zu Susan Leigh Stars wissenschaftlichen Arbeiten herausgegeben. Das Buch erfüllt dabei verschiedene Funktionen: Einerseits werden damit Stars wichtigste Texte gebündelt und in deutscher Sprache publiziert, andererseits bot sich damit auch die Möglichkeit einer systematischen Kontextualisierung und Kommentierung der Texte. Das Buch ist infolgedessen so aufgebaut, dass neben übersetzten Texten von Star und Schreibpartner_innen kommentierende Texte anderer Medien- und Praxistheoretiker_innen gestellt wurden, sodass diese in unmittelbaren Dialog treten und eine Einbettung in aktuelle medienwissenschaftliche Debatten und eine Nuancierung auf jeweils spezifische Fragestellungen erfahren können. Die kommentierenden Texte entstanden im Rahmen des Workshops "Translation of Boundary Objects", der im Mai 2015 an der Universität Siegen stattfand. Hervorzuheben ist auch der besonders dichte und umfangreiche Einleitungstext von Gießmann und Taha, der in das wissenschaftliche Denken und Arbeiten von Star einführt. Das Buch gliedert sich hiernach in drei Hauptkapitel, die sich um die Begriffe 'Grenzobjekte', 'Marginalität und Arbeit' sowie 'Infrastrukturen und Praxisgemeinschaften' drehen. Die umfangreiche Einleitung spinnt einen roten Faden zu Stars Werk, der den Leser_innen hilft Stars Konzepte einzuordnen, und bespricht wichtige Stationen ihres Lebens und einflussreiche Menschen und Ereignisse, um besser zu verstehen, wie sie ihre Positionen entwickelt hat. Susan Leigh Kippax wurde 1954 in Rhode Island in eine Working-Class-Familie geboren. Sie studierte zuerst Social Relations am Radcliff-College in Harvard und belegte dort vor allem Philosophie-Kurse, brach ihr Studium aber ab, heiratete und zog nach Venezuela um eine Kommune mitzugründen. Sie kehrte jedoch bald ans College zurück um sich intensiviert mit feministischen und ökologischen Fragen zu beschäftigen. Die wichtigen Themen der 1968er-Bewegung prägten Stars wissenschaftliche Auseinandersetzung stark. Insbesondere methodologische Fragen wurden für sie interessant, da sie durch die Hinwendung zu Vertreterinnen eines intersektionalen Feminismus, wie Cherríe Lawrence Molaga und Gloria Anzaldúa, begann race-, klassen- und geschlechterkritisch bspw. blinde Flecken der zu dieser Zeit entstehenden Hirnforschung aufzuzeigen, die die Gehirnhälften streng in 'männlich' und 'weiblich' einteilte. Star promovierte zu diesem Thema 1983 bei Anselm Strauss, der zu Medizinsoziologie arbeitete und den Ansatz der Grounded Theory als Weiterentwicklung des symbolischen Interaktionismus in den 1960ern erarbeitete. Stars Doktorarbeit wurde 1989 als Regions of the Mind publiziert und ist den Laboratory Studies zuzuordnen. 1989 erschienen zudem die Aufsätze zum Naturkundemuseum von Berkley und "Structure of Ill-Structured Solutions" – die wichtigsten Texte zum Konzept der 'Grenzobjekte' bei Star. Grenzobjekte entstehen für Star aus kooperativer Bearbeitung (nicht unbedingt unter Konsens) aber in "Interaktionen und unter Machtverhältnissen" (S. 33). Sie entstehen durch diese Bearbeitung, indem "Informationen sichtbar, lesbar, berechenbar und zugänglich gemacht werden" (S. 34) und können daher zwischen heterogenen sozialen Sphären vermitteln. Sie haben keine Medienspezifik als solche, sondern "handeln von einer situierten Vermittlungsspezifik des Sozialen" (S. 39), sind "n-dimensional" (S. 215) und entsprechen damit medienökologischen Auffassungen von Relationalität im buchstäblichen Sinne. 'Grenze' meint bei den Grenzobjekten damit eher eine Schwelle zwischen unterschiedlichen sozialen Wissensformationen und wird als Ort des Übersetzungsprozesses 'vieler zu vielen' aufgefasst. In einem von Stars letzten Texten, "This is not a Boundary Object", widmete sie sich 2010 noch einmal den Grenzobjekten und bespricht sie in Zusammenhang mit Standardisierungen und Kritik, die an das Konzept herangetragen wurde. Zentrale Fragen sind für sie daher die Beschaffenheit und "das Ausmaß der unsichtbaren Arbeit, der alle wissenschaftlichen Experimente und Darstellungen unterliegen, und die Materialität, die dazu dient, die Durchführung von Wissenschaft zu vermitteln" (S. 218). Für Star hängt Standardisierung stark mit unsichtbarer Arbeit zusammen, etwa so wie auch Identität mit Marginalität zusammenhängt. Anhand des sog. "Zwiebelaufsatzes" (1990/91) konnte sie zeigen, wie über Marginalität (ihre eigentlich unbedeutende Zwiebelallergie) Gemeinkosten verteilt werden, "die mit der Art verbunden sind, wie Individuen, Organisationen und standardisierte Technologien aufeinandertreffen." (S. 250) Wenn Star nämlich Essen ohne Zwiebeln bestellte, musste sie feststellen, dass sie bspw. im Fastfood-Lokal wesentlich länger warten musste, oder ihr nicht geglaubt wurde oder sich Zwiebeln zumindest als Deko auf ihrem Essen wiederfanden und zwar überall auf der Welt und in Restaurants und Lokalen mit ganz unterschiedlicher Servicequalität. Daraus zog sie Schlüsse zum Umgang mit Standardisierungen: Hätte eine signifikante Anzahl von Menschen nämlich ähnliche Bedürfnisse gehabt wie sie, wären Standardisierungen in der Gastronomie und im Einzelhandel vermutlich eher zu ihren Gunsten ausgefallen. Star beschreibt Abweichungen aber nicht als Randbereiche oder Abgesonderte, sondern als Mutationen: "Diese sind das, was sich permanent entzieht und widersetzt, aber gleichwohl in Beziehung zum Standardisierten steht. Das ist nicht Nonkonformität, sondern Heterogenität. Oder um es mit Donna Haraway zu formulieren: Dies ist das Cyborg-Ich." (S. 255) Im zweiten großen Kapitel des Buches geht es um Auseinandersetzungen mit der "Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Arbeit" im Kontext von Computer-Supported Cooperative Work (CSCW), denn was als Arbeit gilt und dementsprechend auch entlohnt wird, wird unterschiedlich definiert. Im Text "Schichten des Schweigens, Arenen der Stimme" (1999) den Star gemeinsam mit Anselm Strauss geschrieben hat, wird von mindestens vier unterschiedlichen Modi der (Un-)Sichtbarkeit gesprochen, je nachdem ob die Arbeitnehmerin oder ihre Arbeit (un-)sichtbar ist oder beides. Im Fall von Hausangestellten wird anhand von Judith Rollins Between Women (1987) aufgezeigt, wie diese zumeist von den Arbeitgeberinnen beaufsichtigt, aber sozial nicht wahrgenommen werden, ähnlich 'Nicht-Personen' nach Goffman. Durch stummen Widerstand und Sabotage können sich Hausangestellte jedoch auch unter ihren extremen Arbeitsbedingungen (Isolation und Diskriminierung aufgrund von race und Gender) ihre Autonomie erhalten oder Freiräume schaffen. Ein weiteres Beispiel dieses Forschungsinteresses ist ein Projekt zur Identifizierung unsichtbarer Arbeit von Pflegekräften ("Infrastructure and Organizational Transformation. Classifying Nurses' Work", 1995). Die Erkenntnisse aus diesen Studien flossen in die Beschäftigung mit CSCW, denn "in der Gestaltung großangelegter vernetzter Systeme kann dieser Prozess [Verhältnis der (Un-)Sichtbarkeit von Hintergrundarbeit] kaskadieren" (S. 300) und negative Effekte bis zum Zusammenbruch des Systems produzieren. Solche Beobachtungen haben jedoch für alle Bereiche, in denen es zu unsichtbarer Arbeit kommt, einen gewissen Geltungsanspruch – denken wir nur an das Verhältnis von (Un-)Sichtbarkeit von Hintergrundarbeit in der wissenschaftlichen oder kulturellen Praxis. Unsichtbarkeit sei aber auch nicht immer schlecht, weil sie vor übertriebener Kontrolle schützen kann und unsichtbare Arbeiten sollen auch nicht immer notwendigerweise sichtbar gemacht werden, aber dass sie vorhanden sind, muss erkannt und mitbedacht werden, so Star. Im abschließenden Kapitel kommen viele Stränge in gesteigerter Komplexität zusammen, die über die Befassung mit Grenzobjekten und unsichtbarer, marginalisierter Arbeit kenntlich geworden sind: Es geht nämlich um Infrastrukturen und ihre Bedeutung als "großangelegte Informationsräume" (S. 359). So verhandelt der Text "Schritte zu einer Ökologie von Infrastruktur" (1995/96) anhand des Worm Community Service (WCS) (Software zur Forschung an Nematoden die zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms gebraucht werden) Überlegungen zu Informations- und Wissensverarbeitungssystemen, die für die alltägliche wissenschaftliche Praxis unerlässlich sind. Vernetzt wurden mit dem WCS ca. 1400 Wissenschafter_innen in 120 Laboratorien verstreut über die ganze Welt. Die Texte, die von Star in diesem Kapitel versammelt sind, verstärken ihren Anspruch, dass es lohnend ist, sich auch mit vordergründig langweiligen Dingen wie Infrastrukturen zu beschäftigen. In diese scheinbar neutralen Strukturen sind nämlich politische Kämpfe eingeschrieben oder es treten bei genauerer Betrachtung Medienspezifiken zutage, die zunächst unsichtbar bleiben. Aus einer medienkulturwissenschaftlichen und technikphilosophischen Perspektive sind Susan Leigh Stars Überlegungen zu Medien, (wissenschaftlicher) Arbeit und Informationsinfrastrukturen absolut lesenswert, auch weil Star mit großem Interessen die Computerisierung der Wissenschaften und die Entwicklung zahlreicher noch immer aktueller feministischer Debatten verfolgt und reflektiert hat. * Open Access PDF/EPUB verfügbar unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3126-5/grenzobjekte-und-medienforschung/
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Anja Michaelsen analysiert in Kippbilder der Familie US-amerikanische Filme, die von transnationaler Adoption oder von Adoption über Klassengrenzen hinweg handeln. Kennzeichnend für alle von Michaelsen herangezogenen Filme ist dabei die Form des Melodramas und damit ein Darstellungsmodus, der Sentimentalität und sentimentale Lust erzeugt. In ihrer machtkritischen Analyse nimmt die Autorin besonders Bezug auf Geschlecht, Klasse und race sowie die Debatten um die 'moderne' Familie und die Auslotung der Bedeutung biologischer Verwandtschaft. Adoption wird im Text diskursiv und in einem Spannungsverhältnis von sich überlappenden, gleichzeitigen Wahrnehmungsweisen von 'progressiven' und 'normativen' Vorstellungen verstanden. Es geht einerseits um Vorstellungen gesellschaftlichen Fortschritts durch Loslösung der Familienverhältnisse aus rein biologischen Abstammungs- und Vererbungslinien. Andererseits werden transnationale Adoption und Adoption über Klassengrenzen hinweg machtkritisch hinterfragt. Die Autorin verdeutlicht außerdem die Rolle von Medienereignissen und Frauenzeitschriften sowie sozialer Ungleichheit und militärischer Gewalt in der Erzeugung von Gefühlen für Kinder in den USA, Korea und Thailand, die schließlich zu ihrer Vermittlung an weiße Mittelschichtsfamilien in den USA führte. 'Kippbilder' veranschaulichen laut Michaelsen Dimensionen mehrerer Interpretationsmöglichkeiten der Effekte von Machtachsen – also den vergeschlechtlichten, klassisierten und rassisierten Vorstellungen in den dargestellten Familiennarrativen – sowie den damit einhergehenden positiven und oft gleichzeitig negativen Gefühlen. Michaelsens wichtigste medienwissenschaftliche These ist, Lauren Berlant folgend, dass die in den Filmen erzeugte sentimentale Lust eben auf diese Ambivalenzen verweist und ein kritisches Potenzial aufzeigt, denn Sentimentalität entsteht in den analysierten Filmen immer in emotional verstrickten und sozial hochkomplexen Situationen, die aufgrund von bestimmten Normen nicht direkt adressiert werden können. Sentimentalität bezieht sich konkret auf gesellschaftliche Machtverhältnisse, überschreitet aber nicht die "ästhetische[n] oder ideologische[n] Grenzen ihrer kulturellen Plausibilität" (S. 17). Aus dem bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts stammend, diene Sentimentalität dazu, das Publikum zum Weinen zu bringen und eine Selbstvergewisserung seiner empathischen und moralischen Fähigkeiten herbeizuführen. In Bezug auf Klassenverhältnisse und das sog. 'Mutteropfer' bringt Michaelsen Foucaults Überlegungen zu Biopolitik zur Anwendung. In "Kapitel 1: Das »Mutteropfer« im Hollywood-Melodram. Biopolitik und Klassenhierarchie" arbeitet die Autorin mit den Foucault'schen Begriffen 'Biopolitik' und 'Dispositiv' und den Filmen Stella Dallas (1937), Mildred Pierce (1945), All I Desire (1953) und The Blind Side (2009). Michaelsen beschreibt anhand des 'Opfers' der abgebenden Mutter Formen der Darstellung "mütterliche[r] Verantwortung" (S. 30), ihr Fehlen und ihre gleichsame Verwirklichung, als auch ihre Entlastung. In Stella Dallas verwirkliche sich nämlich die Mutterschaft einer Frau aus der Unterschicht durch die Aufgabe derselben und die (heroische) Abgabe des Kindes an eine andere Frau aus besseren sozialen Verhältnissen. Michaelsen fügt der feministischen Filmkritik an patriarchalischen Normen in Stella Dallas eine Foucault'sche Analyse hinzu. Vor allem die Szene der Hochzeit der Tochter Laurel, die nicht nur ihren sozialen Aufstieg besiegelt, und als hochsentimentales Ereignis inszeniert wird, bietet sich dafür an. Der Bezug wird aber erst später hergestellt. Die Autorin analysiert zunächst Mildred Pierce mithilfe Foucaults Überlegungen zu Biopolitik und den darin gemachten Schlüssen zur Überwachung der Sexualität des Kindes, die in der modernen Familie besondere Wichtigkeit erlangt. In Mildred Pierce geht es um eine sich aufopfernde Mutter und ihre missratene Tochter, die schließlich im Affekt den Liebhaber der Mutter tötet und die Schuld daran ihrer Mutter gibt. Michaelsen erkennt darin einerseits ein Moment der allumfassenden Verantwortung und Fürsorge, die an Elternschaft und speziell an Mutterschaft gebunden wird, denn diese seien schließlich für das Gedeihen der Kinder bis ins Erwachsenenalter verantwortlich. Dieses Verständnis kommt aus dem von Foucault beschriebenen biopolitischen Sexualitäts- und Familiendispositiv, das die Eltern zur Kontrolle des Kindes und seiner Sexualität abstellt und schließlich auf die Gesundheit des 'Volkskörpers' gerichtet ist. Die Herleitung ist im Text leider etwas umständlich gelöst worden, weil durch einen längeren, relativ abgetrennten Exkurs vermittelt; dennoch ist aber die damit erstellte Analyse sehr überzeugend. In Mildred Pierce komme darauf aufbauend schließlich der Genuss an einer 'mütterlichen Entlastungsfantasie' zum Tragen, indem die Mutter von der Staatsgewalt von ihrem Kind 'befreit' wird, aber das Motiv der aufopfernden Mutter unbeschädigt bleibt. Im weiteren Verlauf des Kapitels arbeitet Michaelsen vergleichend anhand von All I Desire (1953) und The Blind Side (2009) ihre Analysen zu Stella Dallas weiter aus. Sie beschreibt im Zuge dessen zwei weitere Topoi: 'klassenspezifische Familienökonomie' und 'die Zuschauerin als 'ideale' Mutter'. Wenn sich Kapitel 1 den Themen Klasse und Mutterschaft widmete, beschäftigt sich Kapitel2 mit race und Identität. Die Autorin analysiert hier insbesondere die Filme Daughter From Danang (2002) und First Person Plural (2000) als "Krisennarrative transnationaler Adoption" (S. 69). Diese unterscheiden sich von den Spielfilmen die im ersten Kapitel behandelt wurden vor allem dadurch, dass es sich um fernseh-dokumentarische Formen handelt, in denen die portraitierten Frauen auf Reisen in die 'Heimat' und zu den Herkunftsfamilien begleitet werden und auch Home-Videos und private Fotografien der Familien mitverarbeitet wurden. Die sentimentale Lust wird hier vor allem um eine Identitätskrise der bereits erwachsenen Kinder und ein Narrativ des scheiternden 'going home' erzeugt. Interessant ist die Verstrickung geopolitischer Agenden der Militärmacht USA im Setting transnationaler Adoption. Vor allem im Zuge des Koreakrieges von 1950–1953 wurden viele koreanische Kinder von US-Amerikaner_innen adoptiert. Einerseits gibt es einen Topos, in dem Kinder, die von Besatzungssoldaten gezeugt wurden, von der amerikanischen Nation 'beansprucht' wurden. Andererseits ging es auch darum, der Militärpräsenz einen (weiteren) humanitären Auftrag beizustellen und die Adoption von Kindern als Maßnahme der Versöhnung zwischen Amerika und Asien zu forcieren. So kam es zu einem Phänomen, dass Michaelsen die Produktion von 'public parents' nennt. Durch die Vermittlung der Notwendigkeit des individuellen Einschreitens moralisch gefestigter Bürger_innen durch Medienereignisse und Frauenzeitschriften, wurden Gefühle der elterlichen Verantwortung für Kinder aus Korea und Thailand erzeugt und es kam schließlich zur Vermittlung von vielen tausend Kindern an weiße Mittelschichtsfamilien in den USA. Die von Michaelsen herangezogenen Filme funktionieren demgegenüber in einem Adoptionsdiskurs, der sich stark um 'Ursprungs- und Entwurzelungsfantasien' dreht. Wiederum wird ein ambivalentes Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist, umgelenkt in ein Szenario, das Genesung verspricht – eben die Rückkehr in die 'Heimat' und ein Aufeinandertreffen mit der Herkunftsfamilie. Interessant sind außerdem die Ausführungen zum 'Racial Passing', zu 'Color Blindness' und 'Whitening' in den Filmen, die dazu führen, dass die Herkunft der portraitierten Frauen unter Whiteness subsumiert werden muss, da keine hybriden Identitäten möglich zu sein scheinen bzw. dazu ambivalente Gleichgültigkeit in den Familien herrscht. Ihr anderes Aussehen wird betont 'übersehen', ihre Herkunft und die Tatsache, dass sie adoptiert wurden, nicht mit einer Geschichte militärischer Gewalt verbunden, sondern mit einem Rettungsnarrativ der Verantwortung gegenüber Schwächeren und Schlechtergestellten. Das Racial Melodrama produziere Verständnis für beide Seiten, ziele jedoch auf Vereindeutigung der Situation, in einer verstrickten, rassisierten Täter_innen/Opfer-Struktur. Ein Reise- oder Heimatfilm, der wie Daughter From Danang und First Person Plural ihre Protagonistinnen dorthin schickt, 'woher sie kommen', folgt oft einer Zirkellogik und endet meist genau dort, wo er begonnen hat, so die Autorin. Er erzeugt eine Re-Affirmation des Ausgangszustandes. Der Wunsch nach einer Veränderung scheitert im Narrativ dieser Filme radikal an der vereindeutigenden Einsicht, dass die weiße Adoptivfamilie, die einzig wahre Familie in Bezug auf die emotionale Heimat ist. Dieser "Topos der überwundenen Kindheitsfantasie stellt jedoch selbst eine sentimentale Strategie des Ambivalenz-Managements dar" (S. 105), führt Michaelsen aus. Im Schlusskapitel widmet sich die Autorin schließlich noch auf knapp acht Seiten einem sehr kurzen Fazit zu den beiden Großkapiteln und – mit einer Kurzkritik von The Kids Are Alright (2010) – einer Erweiterung des Textes um Überlegungen zur Bedeutung von biologischer Verbundenheit in lesbischen und schwulen Familienkonstellationen. Die erneute Hinwendung der Protagonistinnen aus Daughter From Danang und First Person Plural zur Adoptivfamilie, die gleichzeitig "'konventionell' und 'unkonventionell'" ist, "veranschaulicht, dass die historische Autorität 'biologischer' Verwandtschaftskonzepte begrenzt ist" (S. 122). In Bezug auf lesbische und schwule Familien wird oft ein nature-nurture-Konflikt inszeniert, wie in The Kids Are Alright, der schließlich in zeitgenössischen Filmen zugunsten von nurture ausfällt und biologische Verbundenheit gänzlich verwirft. Theoretikerinnen wie Donna Haraway oder Judith Butler plädieren hingegen seit langem dafür, die Dimensionen des Biologischen und Materiellen und des Kulturellen und Emotionalen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zusammenzudenken. Kippbilder der Familie vermittelt sehr kompakt eine Historisierung von für Adoptionsdiskurse typischen filmischen Formen und Topoi. Außerdem sind die Ausführungen zu den Funktionen von Sentimentalität und zu Biopolitik nach Foucault meiner Meinung nach sehr gelungen. Umso bedauerlicher ist es, dass dem zum Schluss skizzierten Zugang zu Queer Kinship nur sehr wenig Platz eingeräumt und weder die Auswahl noch die Vorgehensweise im Text begründet wurden. Vor allem aufgrund eines Exkurses zur zeitgenössischen Serie Modern Family in Kapitel2 "Krisennarrative transnationaler Adoption" stellt sich mir als Leserin auch die Frage, warum in Kapitel1 Klassekonflikte vor allem anhand von Stella Dallas aus den 1920ern bzw. 1930ern ausgeführt und kaum auf zeitgenössische Produktionen eingegangen wurde – auch in Bezug auf den Hinweis, dass Stella Dallas bereits eine breite feministische filmtheoretische Rezeption erfahren hat.
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In: Austrian journal of political science: OZP, Band 44, Heft 2, S. 115
ISSN: 2313-5433
In: Osterreichische Zeitschrift fur Politikwissenschaft, Heft 2, S. 231-232
Der vorliegende Band der Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1/2017 beschäftigt sich mit der materiellen und symbolischen Bedeutung des 'Einfamilienhauses' seit der Frühen Neuzeit. Sowohl für das Adelshaus, das Einfamilienhaus im Vorort, die Praxis des Heimwerkens sowie die aktuelle Neubewertung des Einfamilienhauses gilt, dass sie mit sozio-kulturellen und sozio-politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Zeit eng verzahnt sind. Im einführenden Text "Das Einfamilienhaus als neue anonyme Architektur. Bestand und Begehren" befassen sich die Autorinnen Sonja Hnilica und Elisabeth Timm mit dem suburbanen Einfamilienhaus als materiellem und kulturellem Erbe des 20. Jahrhunderts. Themenbereiche, wie die 'Freiheit' und 'Wohlstand' symbolisierende Wirkkraft des Einfamilienhauses, die Verschränkung mit Konsum-, Mobilitäts- und Medienverhalten im 20. Jahrhundert, die über diese Wohnform herausgebildete gesellschaftliche Ordnung (Kleinfamilie, Mittelschicht) sowie die heute zu lösenden Probleme in Strukturpolitik und Stadtentwicklung, werden allesamt überblicksartig skizziert und problematisiert. Ausgang ist ein historischer Abriss über die Entstehung dieser Bautypologie und im speziellen die Verflechtung mit politischen und sozioökonomischen Zuständen seiner Zeit. Weiters wird die (historische) wissenschaftliche Rezeption sowie der verfehlte Fachdiskurs zum Massenphänomen Einfamilienhaus beleuchtet. Der Text, welcher somit auch einen kurzen Ausblick auf das vorliegende Buch gibt, betont abschließend die Wichtigkeit, die fachspezifischen Positionen neu zusammenzubringen, um den 'Bestand' Einfamilienhaus besser zu verstehen. Michael Hechts Text "Das Adels-Haus in der Frühen Neuzeit" (S. 29–48) behandelt das eigentümliche Ineinanderfallen von Architektur, Wohnsitz, Arbeitsteilung und Familiengefüge im Falle der vormodernen europäischen Elite und gibt einen Überblick über Forschungsstand und aktuelle kulturwissenschaftliche Debatten zum 'Haus' als in materieller sowie semantischer Hinsicht sozialer Institution des Adels. Das 'Haus' als "genealogisches Konzept" (S. 31) und Synonym für 'Adelsgeschlecht' spielt für die Organisation der Aristokratie eine ganz zentrale Rolle, da Privilegien und Güter vererbt wurden und die Abstammungskette – zwar mit oft vermeintlich mythischen Vorfahren – von besonderer Bedeutung war. Das 'Haus', so beschreibt Hecht, meinte dabei im 12. und 13. Jahrhundert vor allem die materiellen Besitztümer, die eine Familie zu einer bestimmten Zeit besaß. Diese Bedeutung wandelte sich ab dem 15. Jahrhundert zur Bezeichnung des sozio-politischen Einflussbereichs von Familien. So sprach man nicht von "'Habsburg', 'Wittelsbach' oder 'Wettin', sondern vom 'Haus Österreich', 'Haus Bayern' und 'Haus Sachsen'" (S. 32). Das Haus selbst sollte dem Stand entsprechend ausgestattet sein und symbolisierte damit ebenso jene "Statuskonkurrenz" (S. 42), die auf allen Ebenen des Adels, zwischen einzelnen Häusern, aber auch zwischen unterschiedlichen Zweigen von Familien oder zwischen Brüdern oder Cousins herrschte. Unter dem Titel "Zur Rezeption des Bauernhauses durch die Architekten der Moderne in Deutschland um 1900" (S. 49–71) untersucht Jeannette Redensek, wie das Bauernhaus am Ende des Wilhelminismus in den Fokus breiter wissenschaftlicher Aufmerksamkeit rückte, wie man es vorbildhaft für die Gestaltung eines modernen Arbeiter_innenwohnhauses – sowie der Identität der Arbeiter_innenklasse selbst – zu instrumentalisieren versuchte, und dadurch auch als Lösung für den Aufbau einer deutschen Nationalkultur begriff. Als die Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf das Bauernhaus aufmerksam wurde, gab es nach Redensek bereits beträchtliches Forschungsmaterial aus der Philologie, Geografie und Ethnografie, welches besonders präzise regionale Stile dokumentierte, sowie darauf aufbauende ideologische Theorien. 1905 fand schließlich die Konferenz "Die künstlerische Gestaltung des Arbeiter-Wohnhauses" in Hagen statt, an der führende Architekten, Stadtplaner sowie Repräsentanten aus Kunst und Design teilnahmen. Zwei Konferenzteilnehmer werden in weiterer Folge von der Autorin genauer untersucht: Karl Ernst Osthaus, der Initiator der Konferenz, und der Architekt Hermann Muthesius. Für Osthaus würde, so analysiert Redensek, sich der wahre Stil der Moderne über das Arbeiterwohnhaus und die Massen der Industriearbeiter_innen entwickeln. Die einfache häusliche Kultur war für ihn Grundlage der großen Denkmäler der Baukunst sowie von Kultur, und demnach führte der Weg vom historischen Bauernhaus, über das moderne Arbeiterwohnhaus, wieder zu einer modernen deutschen Kultur. Muthesius teilte diese Meinung. Beide knüpften an zeitgenössische Theorien an, nach denen sich die Epoche der Moderne über industrielle Massenfertigung und die Arbeiter_innenklasse charakterisieren würde, und wonach der Genius einer Nation von unten komme, aus dem einfachsten Alltagsleben. Für die wachsende Mittelschicht sowie die neue Arbeiter_innenklasse, musste überhaupt erst eine Identität samt ästhetischer Kultur gestaltet werden. Hier spielte die 'Ursprünglichkeit' des Bauern- und Bäuerinnenstands und seine Baukultur eine wesentliche Rolle, über welche man die Arbeiter_innenklasse außerhalb ihrer Funktion in der industriellen Produktionskette aufbauen und gestalten wollte. Das Bauernhaus, das ergibt Redenseks spannende historisierende Untersuchung, eignete sich über Authentizität, Funktionalismus und Tradition dazu, der Arbeiter_innenschicht ein 'Zuhause' zu geben, und in weiterer Folge die Gesellschaft in eine "harmonische Gemeinschaft zu verwandeln" (S. 65). Der Text von Alexandra Staub "Von Stunde Null bis Tempo 100" (S. 73–95) behandelt den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und die Impulse, die dabei von den USA ausgingen. Die USA setzten nach Staub insbesondere auf die Maximierung von Wohlstand im Sinne der Ermöglichung des Konsums von bis dahin unerreichbaren Luxusgütern für die breite Masse der Bevölkerung – darunter auch das Einfamilienhaus. Abgesehen von Bauernhäusern, waren Einfamilienhäuser lange Zeit eine Wohnform für Aristokratie und Großbürgertum. Für die Befürworter_innen des Einfamilienhauses ging es laut Staub darum, die Werte der Kleinfamilie zu stärken und die Leute durch ein komfortables Zuhause davon abzuhalten, sich an öffentlichen Orten zu politisieren. Nach dem Krieg herrschte aufgrund der großflächigen Zerstörung und des Zuzugs Vertriebener deutschsprachiger Minderheiten aus Osteuropa große Wohnungsnot. Zur Lösung des Problems wurden zwei Wohnformen diskutiert: das vom französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier und von den Deutschen Ludwig Hilberseimer und Ludwig Mies van der Rohe befürwortete "Hochhaus in einer Parklandschaft" und das in den USA erprobte und durch den Marshall-Plan unterstütze "Einfamilienhaus in der Vorstadtsiedlung" (S. 78). Durch das Zweite Wohnbaugesetz der konservativen Adenauer-Regierung von 1956 wurde schließlich die Förderung der "patriarchalische(n) Familienstruktur" (S. 82) durch das Einfamilienhaus als Garant politischer Stabilität gesetzlich verankert. Das Einfamilienhaus, so Staub, ist jene architektonische Form, die am stärksten die individuelle Motorisierung der Bevölkerung durch Autos und Straßenbau beförderte – beide Entwicklungen haben die Raumordnung seit dem Zweiten Weltkrieg in westlichen Industrienationen maßgeblich bestimmt. Der darauffolgende Text von Jonathan Voges, der sich um das "Heimwerken als Aneignungspraxis des Einfamilienhauses" (S. 97–115) dreht, schließt hier in Hinblick auf Individualisierungs- und Aneignungsmodi an. Heimwerken bezeichnet dabei insbesondere männlich konnotierte Arbeiten, die auch durch professionelle Handwerker_innen erledigt werden könnten, wie Maurer-, Tischler- und Anstreicherarbeiten. Von der Notwendigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Heimwerken zu einer mit der Zeit eigentümlich lustvoll praktizierten und repräsentierten, quasi klassenübergreifenden Freizeitbeschäftigung, die unter anderem eine beachtliche Ratgeberliteratur und die Entstehung von Baumärkten als dem 'Männergeschäft' schlechthin zur Folge hatte. Voges analysiert in seinem Beitrag unter anderem Texte des Heimwerkerliteraten Otto Werkmeister. Dieser streicht vor allem das Sparen von Geld, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und die Aneignung des Hauses als Heim durch den 'Hausvater' als Vorzüge des Heimwerkens hervor. Besonders um den Schritt von der Behausung zum Zuhause zu leisten, mussten schier endlos Arbeitskraft investiert und Do-it-yourself-Praktiken umgesetzt werden. Das über diese Praktiken konstituierte Heimwerkersubjekt leistet kontinuierlich Arbeit am Haus und am damit verbundenen Selbst und verkörpert somit nicht zuletzt kleinbürgerlich-materialistische Ideale, indem vom Heim auf den Charakter der Bewohner_innen und umgekehrt geschlossen wird. "Das Eigenheim im Grünen" (S. 117–131) ist ein Text von Marcus Menzl und ergründet das Phänomen der Reurbanisierung, das einen Zentralisierungsschub hin zu den Kernbereichen von Städten nach Jahrzehnten der Abwanderung in die Vorstädte meint. Gesprochen wird auch von relativer Zentralisierung, bei der sowohl Kernbereiche von Städten als auch ihr Umland Zuzug verzeichnen – damit hängen Gentrifizierungsprozesse und Änderungen im Verhältnis zum sog. 'Eigenheim im Grünen' zusammen. Menzl attestiert auf Grundlage von insgesamt 45 qualitativen problemzentrierten Interviews mit bildungsbürgerlichen Mittelschichtsfamilien, dass sich die Wohnbedürfnisse ausdifferenziert hätten. Die Idealform für wohlhabende Familien sei nun die geräumige Stadtwohnung mit Wochenendhaus am Land geworden, um den Zugang zu guten Jobs und Infrastruktur als auch zu Natur und Erholungsräumen zu sichern. Ein bedeutender Faktor für diese Entwicklung ist laut Menzl die Emanzipation der Frauen, denn vor allem Familiengründungen in der Vorstadt bzw. in ländlichen Gebieten können dazu führen, dass gut ausgebildete Frauen aus ihrem sozialen Netz in der Stadt gerissen werden und außerdem keine ihren Qualifikationen und Vorstellungen entsprechende Arbeit mehr im näheren Umfeld finden können. Der "Wohntraum vom Eigenheim im Grünen" (S. 123), mit den damit verbundenen Wünschen nach Zugang zu Natur und Freiräumen, kann – so fasst Menzl die psychosozialen Folgen dieser Wohnräume zusammen – schnell in Gefühle der Entfremdung innerhalb der Familie, für gut ausgebildete Frauen in die soziale und berufliche Isolation und für die Männer zum "Leben in zwei Welten" (S. 125) kippen. Im Band wird außerdem das "The Eternal Sukha Project" vorgestellt sowie im Debattenteil ("Altbauten in der Vorstadt" ab S. 141) abschließend der Text "Diskrete Stadtlandschaften" (S. 143–148) von Christoph Luchsinger weiterführend diskutiert und kontextualisiert. Der Band ist gut verständlich gestaltet und spannt einen beachtlichen historischen Bogen – er beginnt mit einem Text zum Adelshaus in der Frühen Neuzeit und resümiert in der Gegenwart. Gefehlt haben uns jedoch einerseits eine globalere Sichtweise und andererseits Beiträge zur inneren Struktur oder den medialen Innenwelten des Einfamilienhauses sowie zu Fragen von Smart Homes und der Zukunft des Wohnens bzw. 'Auswegen' und Alternativen zum Einfamilienhaus. Das Buch ist sehr gut geeignet, um wichtige Problematisierungsansätze kennenzulernen und bietet interessante Schlaglichter auf die historische Entwicklung und die Bedeutung des Einfamilienhauses als geerbte Struktur aus dem 20. Jahrhundert, hätte aber noch klarere Perspektiven herausarbeiten/aufzeigen können, wie mit diesem 'Bestand' heute umzugehen sei, was vielleicht ein hierauf folgender Band leisten könnte.
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Marie-Luise Angerers neue Publikation Affektökologien. Intensive Milieus und zufällige Begegnungen (2017) aktualisiert ihre Studie zum Begehren nach dem Affekt (2005) hinsichtlich theoriebildender Felder (bei Angerer "Milieus"), die gegenwärtig in je unterschiedlicher Weise Zugriffe auf Affekttheorie forcieren. Die kurze Verschriftlichung ihrer Potsdamer Antrittsvorlesung (2016) verdichtet ein kompliziertes Vorhaben, denn der zum Nachdenken und Nachschlagen anregende Text steigt auf einer recht komplexen Stufe des Einschätzens der Gegenwart von Affektologie ein. Die Autorin bespricht einige Traditionen von Affekttheorie, legt zentrale, wiederkehrende aber auch minoritäre Argumentationen akzentuiert frei und führt diese in einem Votum für eine Affektlehre der Intensitäten, des Politischen und radikaler Zeitlichkeit zusammen, welche sie skizzenhaft in Aussicht stellt. Angerer geht dabei zum einen der Frage nach, inwiefern die verschieden motivierten Interessen am Affektbegriff und das damit einhergehende In-den-Hintergrund-Treten des Symbolischen, des Sprachlichen und der Psychoanalyse die Relevanz eines anderen Denkens über 'das Humane' abermals illustrieren. Zum anderen zeigt sie auf, dass in der Kategorie des Zufalls bislang ausgeklammerte theoretische Leerstellen zwischen Diskurssträngen sichtbar werden. Es sei vor allem der Zufall, welcher dazu ermutige, das Leben in posthumanen Verschaltungen und im Geflecht von Affekt- und Psychotechnologien stärker in Bezug auf affektive Intensitäten, auf stete "Prozesse des Verbindens, Unterbrechens und Übersetzens", zu perspektiveren, die "nicht einfach reibungs-, rausch- und konfliktfrei ablaufen" (S. 48). Eingangs wird Bezug auf eine Reihe ausgerufener Paradigmenwechsel (material turn, performative turn etc.) genommen sowie auf Interferenzen von Begriffen in posthumanistischen Theorien eingegangen: Entangled Ontologies (Barad), Medianatures (Parikka), NatureCulture (Harraway) etc., innerhalb deren Relevanzbereich sich die Autorin auch mit ihren Überlegungen positioniert. Den Kern dieser Anschauungen bildet eine Kritik an der dichotomen Trennung des Diskursiv-Symbolischen und Materiell-Physischen sowie am Abgrenzen des Menschen von nicht-menschlichen Entitäten – Demarkationen, die durch Digitalisierung, Bio-Medien, Neurowissenschaften uvm. durchlässig geworden sind und stattdessen etwa als "Bio-Mediale Schwelle[n]" (S. 19) gedacht werden. Das Humane anders zu fassen impliziert in diesem Sinne eine radikale Skepsis am Anthropozentrismus. Angerer unterstreicht die Notwendigkeit einer Wissenschaft in der "present tense" (S. 16), d.h. einer Wissenschaft im Bewusstsein um die gegenwärtigen Verschränkungen mit 'den anderen' (Tier, Pflanze, Maschine) 'im Jetzt', womit sie in Anschluss an Whitehead und Simondon das "Denken" nicht nur "in Relationen", sondern "als Relation" (S. 22) fordert. Auf dieser Basis wird zu medien- und kulturwissenschaftlichen Anwendungen neu-materialistischer Herangehensweisen übergeleitet, welche vor allem die Prozesshaftigkeit der Relationen von Gesellschaft und Natur, die "Kybernetisierung des Sozialen" oder das "Verhältnis von Medientechnologien, Umwelt und Körper" (S. 24) performativ fassen. Da Realität im 21. Jh. "nicht erkennbar im Sinne des Spekulativen Realismus" ist, sondern "zu einer Frage ihrer technologischen Verfasstheit in ihrer biologischen, physischen und psychischen Dimension geworden" (S. 25) ist, gilt es "intra-aktive Kippbewegungen [zu] begreifen", in denen Technologie und Medien "mehr als nur Prothesen sind" (S. 26). Wir müssen also von ständigen Binnen-Verschränkungen (intra!) zwischen human und non-human ausgehen, in denen es die Affekte sind, die Leben miteinander "verzahnen" (S. 27). Zentral für den Affektbegriff ist dabei seine spezifische Zeitlichkeit als (nicht-)wahrgenommene Dauer im Moment des Geschehens. Damit ist Affekt kein Zustand, sondern überfüllt ein Intervall mit Intensität (Virtualität bei Massumi). Auch Zugriffe auf die Figur von Resonanz (Ritornell, Schwarmbildung) privilegieren eine Fokussierung auf präreflexives Erfahren in der "Zone des Affekts" (S. 30), in welcher "Langsamkeit und Schnelligkeit", "Ruhe und Bewegung" (S. 37) die Intensität eines Empfindens betonen, das der Subjektkonstitution vorgelagert ist. Angerer zufolge teilen die Beschreibungen von Empfindungsvermögen (Diderot), Intra-Aktionen (Barad) und blindem Fühlen (Whitehead) die Grundannahme, dass es eine Form des Empfindens gibt, die "kein Ich voraussetzt" (S. 36) – eine basale und machtvolle Dimension der Affizierung, die humans und non-humans gleichermaßen betrifft und "die Metaphysik einer individuell gefassten Entität radikal in Frage" (S. 39) stellt. Wie Angerer mit Whitehead hervorhebt, müssten Affekte in Intra-Aktionen nicht als Operationen "eines intentional agierenden Subjekts gedacht" werden, sondern als nicht-intentionale "Form der physischen Erfahrung" (S. 41) im "Hier und Jetzt" (S. 42). Darin wurzeln auch die Schwierigkeiten in den Anstrengungen Affekte psycho-logisch zu erklären, subversiv zu politisieren oder neoliberal zu regieren. In der Analyse dreier theoriebildender Milieus trägt Angerer den damit verbundenen Hinwendungen und Ambivalenzen Rechnung. Mit einem Milieu meint sie eine Bündelung von unter ähnlichen Vorzeichen, Motivationen und Perspektiven ausgerichteten (Forschungs-)Praxen. Im ersten Milieu zirkulieren Diskussionen, mit denen rund um das Stichwort 'sensing' "die technologische Beziehung zwischen Körper und Umwelt befragt wird" (S. 45). Gesprochen wird hier also von einer Ausweitung der Auffassung von Empfindsamkeit auf technische Apparaturen über Sensoren und komplexe Verschaltungen von Mensch und Maschine (smart houses). Insbesondere Übersetzungsprobleme stehen im Vordergrund der Positionen von Hird, Parisi und Hörl, die "versuchen einer voranschreitenden medientechnischen Infra(re)strukturierung gerecht zu werden" (S. 47). Im zweiten Milieu sind Traditionen des Tomkin'schen Affektmodells und der Computerforschung sowie der Arbeit Rosalind Picards am Schaupatz 'affective computing' versammelt. Derartige Projekte arbeiten mit Eifer daran, humane Affekte zu dekodieren, sodass Maschinen diese nicht nur lesen, sondern auch reproduzieren können. Angerer problematisiert daran zu recht sowohl den Mangel an ethischer Reflexion in Bezug auf die Ökonomisierung des Affekts sowie das Ausklammern der längst stattfindenden, rückwirkenden "Implementierung von affektiven Normierungen" (S. 50) – wir müssen gleich an Emojis denken ☺. Das dritte Milieu fokussiert ausgehend von Malabous Perspektivierung der Plastizität des Gehirns die Frage nach den affektiven Vorgängen 'unter der Haut' – insbesondere betreffend "Autoaffektion" (S. 57). Sie liefert damit Argumente für ein Nicht-Ausreichen psychoanalytischer Erfassung von Emotion und Affekt, da die Aktivität des Gehirns zuallererst ein prä-subjektives "emotional self" ausbilde, welches das primäre In-Bezug-Setzen mit Welt ermögliche und gestalte. Unter der Haut (die Haut, welche Massumi zufolge schneller als das Wort sei) operiert folglich wieder jene 'andere', affektive Zeitlichkeit, auf die Angerer wiederholt zu sprechen kommt: Unser subjektives 'Ich' denkt in Sekunden, Stunden, kalendarischen Tabellen; das emotional self, denkt in der "fehlende[n] halbe[n] Sekunde" (S. 30), in "zelebrale[r] Zeitlichkeit", in "Sequenz[en] (in purer Zeit)" (S. 57), intuitiv, intensiv, impulsiv. Eben solche Dimensionen des Kontingent-Impulsiven, in denen eine "radikal zeitliche Fremdheit" (S. 57) entsteht, ein Aus-der-Zeit-Fallen als In-die-Zeit-Fallen vielleicht, behielten wir in unserer Lektüre des Schlusskapitels im Hinterkopf. Die Autorin kommentiert hier Oliver Marcharts Nominierung einer politischen Affektologie. Von Laclau und Mouffe ausgehend beschäftigt er sich mit radikaler Demokratie, in welcher das Konzept des Antagonismus grundlegend ist. Dieses entwickelt er weiter zu einem Verständnis von Antagonismus 'als' Intensität(serfahrung) – etwas, das kritisch-produktive Störungen hervorruft und impulsartig das aushebelt, was uns in eingefahrenen Bahnen hält. Damit begründet sich seine Forderung nach einer politischen Affektologie. Zu untersuchen wie die Ebene des Affektiven einerseits im Populismus reguliert werden kann und andererseits zugleich (als Chance begriffen) die Eintrittsstelle für Subversion in Form des Antagonismus sein könnte, wäre die Aufgabe einer solchen Affektforschung. Angerer stellt dem Antagonismus zusätzlich die Dislokation zur Seite: Ersterer betone das Eintreten des Zufälligen, Unvorhergesehenen und dessen produktive Kraft; letztere thematisiert "die notwendige Offenheit eines jeden Systems, das Sich-in-Bewegung-Setzen von Leben" (S. 62f). Mit ihrem Rekurs auf Althusser ergeben sich auch Ähnlichkeiten zu Benjamins Beschreibungen von (Kontingenz-)Erfahrungen und Schocks, die etwas aushebeln und ein neues Sich-in-Beziehung-Setzen ins Spiel bringen können. Das Beeindruckende an Angerers Emphase für das politische Potenzial des Zufalls ist dabei, dass sie ganz explizit und systematisch die Ebene der Affekte als diejenige 'im Humanen' benennt, die mit solchen Kontingenzerfahrungen umgeht – präreflexiv, vor-diskursiv, vor-perzeptuell –, anstatt seine Produktivität bereits direkt auf die Ebene des Mentalen (die Heimat der gesellschaftskritischen Reflexion) zu verrechnen. Angerer gelingt es inspirierende Vorschläge für Forschungsrichtungen der systematischen Untersuchung dessen zu erwägen, wie Affekte operieren und wie das Verhältnis von Affekt, Politik und Medien 'anders' beschrieben werden kann. Der Aufsatz bewegt sich als eine sehr fortgeschrittene Anschlussdiskussion in einem dichten Referenzrahmen. Sprache und Stil sind durchwegs angenehm zu lesen und teilweise poetisch beflügelt. Die Nachvollziehbarkeit von Inhalten im Detail fordert aber eine sehr genaue Lektüre. Letzteres trifft in besonderem Maße auf das Vorwort von Felicity Colman zu, das als Textsorte eher einem sehr voraussetzungsvollen, kommentierenden Nachwort entspricht, und wahrscheinlich vor allem für Neueinsteiger_innen ins Feld der Affect Studies Hürden mit sich bringt. (Empfehlung: Vorwort am Schluss lesen!) -- * Open-Source-Version hier verfügbar
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