Autorität, Staat und Nationalcharakter: der Zivilisationsprozeß in Österreich und England 1700 - 1900
In: Figurationen 2
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In: Figurationen 2
Hinsichtlich des Vordringens von bürgerlichen Mittelschichten in die zentralen Machtpositionen der europäischen Staaten kann man große Unterschiede für die Zeit bis 1914 ausmachen. [.] Aus vielerlei Gründen ist in diesem Zusammenhang das Militär von besonderem Interesse. Es war das klassische Betätigungsfeld einer Aristokratie; allerdings zeigen Statistiken, dass sich der Anteil des Hoch- und Altadels zugunsten jenes von Bürgern und Neuadeligen dramatisch verringerte. [.] Die sozialen Beziehungen innerhalb dieses so gewaltigen sozialen Körpers, den eine stehende Armee seit der frühen Moderne darstellt, sind auch daher wert, studiert zu werden. [.] Was war denn das für ein sozialer Organismus, diese habsburgische Armee, die noch 1914 so durchaus feudal und einem älteren Kriegerkanon verpflichtet wirkte? Wie kommt denn dieser Eindruck zustande, wenn sich die Zusammensetzung des Militärs doch durchaus in Richtung Bürgertum veränderte? Was motivierte denn Menschen bürgerlicher Herkunft dazu, sich in einem adeligen bzw. durch adelige Sitten geprägten sozialen Umfeld durchzusetzen? [.] Was hat das mit Ferdinand von Saars Novelle Leutnant Burda zu tun? Schon seit einiger Zeit hat in den Literaturwissenschaften eine Neubewertung des literarischen Schaffens von Saar eingesetzt. Seine Variante der naturalistischen Romanliteratur wird heute auch künstlerisch hoch eingeschätzt, und zugleich mehren sich Textinterpretationen, die ihn sowohl als meisterhaften Schilderer der österreichischen Konstellation des Übergangs vom Feudalismus zum Bürgertum als auch als einen die "Sphäre des Unbewussten und Unterbewussten" darstellenden Dichter verstehen. Es liegt also nahe, sich Saars Wahrnehmungsfähigkeit zu bedienen, zumal er das Milieu, das er beschreibt, aus seiner eigenen Militärzeit als junger Offizier gut kannte.
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Raymond Chandler ist einer der Miterfinder der Figur des "hard-boiled detective" im neuen, "realistischen" Kriminalroman der 20er- und 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Während seine Hauptfigur Philip Marlowe auch Züge eines indogermanischmythischen Helden aufweist, eines Kämpfers für Licht und Gerechtigkeit und gegen dunkle Feinde (im Gewande zeitgenössischer korrupter Politiker und Polizisten), sind seine Beschreibungen soziokultureller, schichtspezifischer Milieus von einer Beobachtungsgenauigkeit, die man auch Soziologen wünschen könnte. Die folgenden drei Beispiele der Wohnarchitektur von (Neu‑)Reichen aus den Romanen "Der große Schlaf" (The Big Sleep, 1939) und "Lebwohl, mein Liebling" (Farewell, My Lovely, 1940) sprechen für sich; sie stehen für demonstrativen Konsum und für die Errichtung von sozialen Fassaden, die sowohl die Hochgestellten unter den Besuchern beeindrucken als auch die Machtschwächeren einschüchtern sollen.
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Aus historischen Analysen geht hervor, dass das Offizierskorps der österreichischen Armee nach der März-Revolution 1848 gesellschaftlich abgekapselt und isoliert war und dabei einen militärisch-aristokratischen Habitus entwickelte, der zu dem bürgerlichen in scharfem Gegensatz stand. Der Korpsgeist orientierte sich am Adel, obwohl gerade der Hochadel sich eher mit den Großbürgern zu arrangieren begann und Heiraten zwischen dem niedrigeren Militäradel und Angehörigen des Hochadels kaum vorkamen. Die Masse der Offiziere wurde bürgerlich und bitterarm, auch zu arm, um heiraten zu können; aber feudale Denkungsart gab den Ton an, ausgenommen in den technischen Waffengattungen der Artillerie und des Pionierwesens, in denen bürgerlicher Wissensdurst vorherrschte. Es entsteht ein in mancher Hinsicht recht paradoxes Bild vom österreichischen Offiziershabitus: das eines Mannes der "Praxis", der eher "grob" ist, für den Exerzieren und Reglement, somit "Disziplin" im engsten Sinne, am wichtigsten sind, der aber trotz aller Tapferkeit auf dem Schlachtfeld zu strategischer Entschlossenheit und schnellem Entscheiden nicht in der Lage ist. Warum das so ist, ist nicht ohne weiteres zu klären. Neben sogenannten "Ego-Dokumenten" ist es vor allem belletristische Literatur, von der man sich einigen Aufschluss erhofft. Insbesondere kann die Literatur helfen, jene Gefühle darstellbar zu machen, die zur Disposition männlicher Todesbereitschaft auch schon im Frieden beitragen, wobei dem Paradoxon des Nebeneinanders von tollkühner "Schneid" und Entscheidungsschwäche wie Passivität im habsburgischen Habitus nachgespürt werden soll.
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In: Archiv für Kulturgeschichte, Band 100, Heft 1, S. 191-222
ISSN: 2194-3958
Die Interpretation von Quellen, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert erstrecken, bereitet beträchtliche methodologische Probleme. Es gibt für jeden Quellentyp verschiedene pragmatische Kontexte der Entstehung dieser Daten (administrativer Daten, an ein Publikum gerichteter Daten wie Berichte oder Romanliteratur etc.), die zugleich auch den möglichen Nutzen für Beschreibung und Erklärung determinieren. In diesem Aufsatz wird argumentiert, dass diese Probleme zwar nicht vernachlässigbar sind, aber doch auf eine reflexive, theoretische Art bewältigt werden können. Das Beispiel, das hier diskutiert wird, betrifft die Überprüfung der Annahme eines stabilen Habitus: Den meisten habsburgischen Feldherren und Offiziere scheint die Bereitschaft zur Übernahme von Initiative und (kalkuliertem) Risiko gefehlt zu haben - das, was man Führungsqualität nennt. Können wir den mangelnden Erfolg im Krieg durch einen spezifisch österreichischen Militärhabitus erklären? Dieser Artikel versucht das skizzierte Rätsel mithilfe ausgewählter Autobiographien, offizieller Daten, literarischer Quellen und halboffizieller Regimentsgeschichten zu lösen. Diese beinhalten Beschreibungen und Bekundungen relevanter Emotionen, die das Verhalten von österreichischen Offizieren und Feldherren über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert steuerten. ; Interpreting sources that stretch over a period of more than a century causes major methodological problems. For every type of source, different pragmatic contexts exist on the level of the generation of these data (administrative, audience-directed etc.) that determine also the possible uses for descriptive and explanatory purposes. The paper argues that although these problems should not be neglected it is, nevertheless, possible to overcome them in a reflexive, theoretically informed way. The example discussed here is how to verify the assumption of a stable habitus: Most Habsburg commanders and officers seemed to have lacked the readiness to take (calculated) risks and initiative - the qualities of good leadership. Can we explain lacking success in war by a specific Austrian military habitus? This paper tries to solve this puzzle by analyzing selected autobiographies, official files, literary sources and semi-official regimental histories that contain descriptions and declamations of the relevant emotions that steered the behaviour of Austrian officers and commanders throughout this period of more than a century.
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In: Historical social research: HSR-Retrospective (HSR-Retro) = Historische Sozialforschung, Band 34, Heft 1, S. 270-306
ISSN: 2366-6846
'Die Interpretation von Quellen, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert erstrecken, bereitet beträchtliche methodologische Probleme. Es gibt für jeden Quellentyp verschiedene pragmatische Kontexte der Entstehung dieser Daten (administrativer Daten, an ein Publikum gerichteter Daten wie Berichte oder Romanliteratur etc.), die zugleich auch den möglichen Nutzen für Beschreibung und Erklärung determinieren. In diesem Aufsatz wird argumentiert, dass diese Probleme zwar nicht vernachlässigbar sind, aber doch auf eine reflexive, theoretische Art bewältigt werden können. Das Beispiel, das hier diskutiert wird, betrifft die Überprüfung der Annahme eines stabilen Habitus: Den meisten habsburgischen Feldherren und Offiziere scheint die Bereitschaft zur Übernahme von Initiative und (kalkuliertem) Risiko gefehlt zu haben - das, was man Führungsqualität nennt. Können wir den mangelnden Erfolg im Krieg durch einen spezifisch österreichischen Militärhabitus erklären? Dieser Artikel versucht das skizzierte Rätsel mithilfe ausgewählter Autobiographien, offizieller Daten, literarischer Quellen und halboffizieller Regimentsgeschichten zu lösen. Diese beinhalten Beschreibungen und Bekundungen relevanter Emotionen, die das Verhalten von österreichischen Offizieren und Feldherren über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert steuerten.' (Autorenreferat)
In: Postmodernes Österreich?: Konturen des Wandels in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur, S. 23-44
Angesichts der weltweiten Expansion des Industrialismus (Globalisierung) und der Internationalisierung von Wirtschaft und Politik können "prämoderne" Mentalitäten und Einstellungen diese Entwicklung hemmen oder verzerren, verhindern können sie sie nicht. Der Beitrag geht in einer historisch-soziologischen Analyse der Frage nach einer spezifischen österreichischen Mentalität innerhalb postmoderner Strukturen nach. Über Jahrhunderte wurde Österreich von einer besonderen Kombination aus Adel, Militär, Klerus, Beamten und der Bauernschaft geprägt. Die Mentalitäten dieser Gruppen wirken im heutigen Österreich nach. Sie sind gekennzeichnet durch ein gewisses ständisches Denken und Autoritätsgläubigkeit. Modernes aufgeklärtes Denken ist keine typische Charaktereigenschaft des Österreichers. Der Befund scheint eindeutig: Österreich hat den Weg in die Moderne noch nicht gefunden, es bleibt im Prinzip "vormodern". (pre)
In: Archiv für Kulturgeschichte, Band 79, Heft 1, S. 105-122
ISSN: 2194-3958
In: Continuity and change: a journal of social structure, law and demography in past societies, Band 11, Heft 1, S. 154-156
ISSN: 1469-218X
In: Continuity and change: a journal of social structure, law and demography in past societies, Band 10, Heft 3, S. 452-454
ISSN: 1469-218X
In: Macht und Ohnmacht im neuen Europa: zur Aktualität der Soziologie von Norbert Elias, S. 123-135
Anhand von Beispielen belletristischer Literatur bzw. des Theaters stellt der Beitrag Entwicklungen des englischen und österreichischen Volkscharakters vergleichend dar. Dabei wird kritisch beobachtet, daß die zeitgenössische Gesellschaftstheorie Unterschiede zwischen den verschiedenen "nationalen Kulturen" weitgehend vernachlässigt und für alle Gesellschaften gleiche Nationalcharaktere annimmt. Insbesondere für die neuen Herausforderungen der Moderne (Individualisierung) sind je nach "Nationalcharakter" unterschiedliche Dispositionen vorhanden. Mithilfe ausgewählter Romane und Theaterstücke werden Charakterzüge des englischen Gentlemen und des typisch österreichischen Beamten aus dem 18. und 19. Jahrhundert rekonstruiert. Seit dem 18. Jahrhundert zeichnet sich der englische Volkscharakter durch Reserve und Privatheit aus, verbunden mit komplexer individueller Selbststeuerung und entstanden durch die frühe Modernisierung des Landes. Im höfischen Österreich dagegen herrscht Lebenslust und Freundlichkeit vor. Der Beamte bleibt an eine autoritäre Steuerung von oben gebunden. Selbst nach den großen Umwälzungen seit 1918 sind diese Volkscharaktere nicht gänzlich verschwunden. (ICH)
In: Continuity and change: a journal of social structure, law and demography in past societies, Band 7, Heft 3, S. 418-420
ISSN: 1469-218X
In: Telos, Band 61, S. 83-99
ISSN: 0040-2842, 0090-6514
Norbert Elias offers a concept of civilization that stresses several changes that occurred between the Middle Ages & the present: pacification, refinement of customs, & increasing self-restraint. This concept derives from a study of the etymology of terms relating to civilization, & leads to a further concept of the civilizing process as movement from restraint by others to self-restraint. Codes of restraint that originated in royal courts gradually spread throughout society, eventually being accepted by the bourgeoisie & leading to the fusion of aristocracy & bourgeoisie. W. H. Stoddard.
In: Gesellschaftliche Prozesse: Beiträge zur historischen Soziologie und Gesellschaftsanalyse, S. 161-172
Der Beitrag befaßt sich mit den Fragen: Wie steht es in der modernen Zivilisation mit der Chance des Einzelnen auf Spontaneität? Welchen Stellenwert haben Zwänge - Fremd- und Selbstzwänge - als Konstitution einer vorläufig noch offen zu lassenden Entfremdung? Vor dem Hintergrund zweier gegensätzlicher Einschätzungen (Bell und Cohen/Taylor) wird der Prozeß der Zivilisation (Norbert Elias) als Prozeß der Herausbildung immer stärkerer Affektkontrollen diskutiert. Im weiteren werden Weiterentwicklungen unter Nutzung des heuristischen Potentials der Zivilisationstheorie für Vergleichszwecke versucht, um noch einmal die gegensätzlichen Einschätzungen von Bell und Cohen/Taylor zu vergleichen. (RW)