Um die Transformationen in den neuen Bundesländern beobachten zu können, muß als Ausgangspunkt die ehemals funktionierende DDR-Gesellschaft genommen werden. Vor dem Hintergrund dieses Ansatzes versucht der Autor folgende Fragen zu beantworten: (1) Welche Strukturen bewirkten Dauer und Stabilität der DDR - vor allem im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Reproduktionsfähigkeit? (2) Welche Strukturen erklären und bewirkten den allmählichen Niedergang und schließlich Zusammenbruch? Die allgemeine These des Autors ist es, daß es grundsätzlich die gleichen Strukturen (der Herrschaftsapparat und eine nach unten nivellierte Gesellschaft von Lebenslagen) sind, welche die relative Stabilität, die Krise und das Ende der DDR erkären und bewirkten. (pmb)
Angesichts des globalen Zusammenbruchs des "realen Sozialismus" stellt sich die Frage nach der Art dieser Ordnung. Nach Artur Meiers These ist Sozialismus als Ständegesellschaft zu definieren mit den charakteristischen Merkmalen eines hierarchisch geordneten Sozialsystems, einer neopatriarchalen und korporatistischen Zwangswirtschaft, mit Nepotismus, Günstlingswirtschaft und Defiziten an Sachkompetenz und sachbedingter Legitimität. Der Autor argumentiert dagegen, daß der Sozialismus mit seiner Polarität von Machtelite und Volk eher die Züge einer Klassengesellschaft trägt. Ursache des Systemzusammenbruchs war die Unfähigkeit zur Entwicklung der Produktivkräfte und zur "wissenschaftlich-technischen Revolution". Der Sozialismus war keine konsistente Gesellschaftsformation, sondern eine Mischung: Aus der Ständegesellschaft übernahm er das hierarchische System der Privilierung, aus der Sklavenhaltergesellschaft die brutalen Formen der Machtsicherung, aus den modernen kapitalistischen Gesellschaften die Versuche technologischer Modernisierung und aus der asiatischen Produktionsweise die staatlich- zentralistische Arbeitsorganisation und die Verquickung von Macht und Ideologie. (pka)
In dem Beitrag geht es um die Frage, welche substantiellen Veränderungen in der ehemaligen DDR, in den neuen Bundesländern vor sich gehen. Zunächst werden die Schwierigkeiten bei der begrifflichen Bestimmung der Veränderungen deutlich gemacht. Um die politischen Umbruchprozesse dann genauer zu analysieren, werden die substantiellen Widersprüche im politischen System der DDR herausgearbeitet. Dabei wird deutlich, daß die Geschichte der SED von Anfang an eine Geschichte innerer Auseinandersetzungen war. Die Phasen dieser Entwicklung werden skizziert. In einem zweiten Abschnitt werden dann die Konsequenzen der Vereinigung diskutiert. Anhand verschiedener Beispiele wird gezeigt, daß die Erwartungen der Menschen in den neuen Bundesländern an die Wiedervereinigung und die nun erlebbare Realität in wichtigen Punkten nicht übereinstimmen. (ICA)
Der Autor unternimmt eine soziologische Deutung des Phänomens d. Ungleichheit und dessen Wirkungen auf die Systemkrise der DDR. Dazu analysiert er die Ungleichheit auf der Ebene der Produktionsverhältnisse und stellt fest, daß die Institutionen, die ursprünglich als Instrumente des Marx'schen "assoziierten Produzenten" gedacht waren, zu Instrumenten der politischen Herrschaft wurden, die ohne demokratische oder pluralistische Gegenkräfte zur Diktatur geriet. Die Ungleichheit auf der Ebene der Verteilungsverhältnisse wird analysiert, wobei der Autor vor allem das "falsche Bewußtsein" der durch den Widerspruch zwischen dem ideologischen Begriff des Volkseigentums und dem praktisch erfahrbaren Fehlen von Eigentum als Hauptgrund für fehlende Motivation und Verantwortung im materiellen Bereich bezeichnet. Im Fazit warnt er für Ostdeutschland vor der Gefahr einer Zwei-Drittel-Gesellschaft, in der während kurzer Frist alle diejenigen scheitern, die sich nicht schnell genug den Anforderungen einer Konkurrenzgesellschaft anpassen können. (rk)
"Nach Jahren der Stagnation, der Zensur und der Unterordnung unter (wirkliche oder vermeintliche) Zwänge haben wir es nunmehr mit einem offensichtlichen Paradoxon zu tun. Zum Aufbruch der DDR hätte der Aufbruch der Soziologie gehören müssen und können. Die Chancen dafür waren überreichlich gegeben: weil die Soziologie mehr anzubieten hatte als andere gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen; weil sei, alles in allem weniger rufgeschädigt war und weil zumindest objektiv die Gesellschaft Soziologie braucht. Forschungsvorlauf, könnte man ferner summarisch sagen, war zu wichtigen Themen vorhanden: zur Soziologie der Stadt und damit zu den Widersprüchen, die eine unsinnige Baukonzeption (Neubau von Suburbs und Verfall ganzer Städte) mit sich brachte; zur Soziologie sozialer Ungleichheit; zur Entwicklung der Intelligenz, des Wissenschaftspersonals u.a.m." (Autorenreferat)
"Die empirische Beschäftigung mit der Analyse sozialer Strukturen begann in der DDR gegen Ende der sechziger Jahre. Dabei dominierte zunächst die Klassenanalyse, die Diskussion über Wesenszüge, Umfang und quantitative Bestimmung der Klassen und Schichten. Mit dem Ende der siebziger Jahre setzte eine neue Entwicklung ein, die man als Wandel im konzeptionellen Denken charakterisieren kann. Während zuvor soziale Differenzierungen zumeist summarisch als negative und zu überwindende Erscheinungen betrachtet worden waren, rückte nun das Bemühen in den Vordergrund, die Dialektik von sozialer Gleichheit und sozialen Unterschieden als gleichermaßen wesentliche Eigenschaften der Lebensweise in einer sozialistischen Gesellschaft zu erfassen. Folgt man dem Struktur-Funktions-Paradigma, dann müssen vorhandene soziale Unterschiede im Hinblick darauf beurteilt werden, ob sie für die Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele funktional oder disfunktional sind. Die Ausprägung funktionaler Differenzierungen (beispielsweise wirken sich Leistungsunterschiede in Form von Einkommensunterschieden aus) kann in dieser Sichtweise gesellschaftlich erwünschte Entwicklungspotentiale freisetzen. In den siebziger Jahren vollzog sich in der DDR wie in anderen Industrieländern der Übergang zu einem Wachstumstyp, der als intensiv-erweiterte Reproduktion definiert werden kann. Dreh- und Angelpunkt des neuen Wachstumskonzepts ist die veränderte Rolle der Wissenschaft, wodurch die Frage nach der Entwicklung und Nutzung des eigenen Wissenschaftspotentials eine wichtige Bedeutung für die Sozialstrukturforschung erlangt. Die Effektivität des Wissenschaftspotentials wird durch disfunktionale Nivellierungstendenzen beeinträchtigt. Wenn spezifische soziale Gruppen spezifische Funktionen im Gefüge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ausüben, haben die für die Erfüllung dieser Aufgaben nötigen sozialen Besonderheiten eine instrumentale, nicht aber eine soziale Ungleichheit konstituierende Funktion. Jede soziale Gruppe benötigt die Arbeits- und Lebensumstände, die sie befähigt, ihrer Funktion im gesellschaftlichen Ganzen gerecht zu werden." (Autorenreferat)