TraMiS-Arbeitspapier 6 ; In der jüngeren Vergangenheit kamen in Schweden Kinder und Jugendliche aus dem Ausland in ähnlich hohem Maße neu an die Schulen wie in Deutschland. Allerdings lernen sie in Schweden in einem Gesamtschulsystem und leben in einer Gesellschaft, deren Migrationspolitik sich historisch von der deutschen unterscheidet. Dieses Arbeitspapier zeigt auf, welche Umgangsweisen mit Migration und Mobilität sich in der schwedischen Schule vor diesen Rahmenbedingungen herausgebildet haben. Ausgehend von einem Forschungsbesuch in Stockholm und aktueller Fachliteratur werden diesbezüglich verschiedene Aspekte beleuchtet. Die Aufnahme von Neuzugewanderten in die Schule erfolgt nach einem standardisierten Mapping-Verfahren. Innerhalb kurzer Zeit wird eine Diagnostik der wichtigsten Kompetenzen der neuen Schüler*innen durchgeführt, um das weitere Lernen bestmöglich planen und dabei auf individuelle Bedürfnisse eingehen zu können. Das Erlernen der Unterrichtssprache Schwedisch hat als Voraussetzung für unabhängige Teilhabe in der Schule einen sehr hohen Stellenwert. Jedoch können Schüler*innen parallel dazu ihre bereits erworbenen Kompetenzen ausbauen. Von Anfang an können sie am Fachunterricht teilnehmen und werden dabei im Bedarfsfall individuell von einer Person, die als Sprachmittler*in fungiert unterstützt. Außerdem wird die fortlaufende Entwicklung der Erstsprache durch ein curricular verankertes Unterrichtsangebot ermöglicht. Am Ende steht die Frage, was sich aus dem schwedischen Beispiel lernen lässt und welche Ideen neue Impulse für die Diskussion in Deutschland geben könnten. ; 6
Wie sind Schulen in der Vergangenheit mit grenzüberschreitender Migration und transnationaler Mobilität umgegangen, und wie gehen sie heute damit um? Die Beantwortung dieser Fragen wird durch die Vielfalt der normativen Regulierungen für die schulische Praxis erschwert. Um zumindest annäherungsweise einen Überblick über institutionalisierte Umgangsweisen zu geben, beschränkt sich dieses Arbeitspapier weitgehend auf die Analyse der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK). Für unsere Fragen sind weniger die Folgen als die Ursachen und grundlegende inhaltliche Akzentuierungen der Empfehlungen interessant, denn sie geben Aufschluss darüber, wo im Hinblick auf den schulischen Umgang mit Migrati-on und Mobilität Handlungsbedarf gesehen wurde und was vorher nicht oder zumindest nicht einheitlich gehandhabt wurde. In diesem Arbeitspapier werden die wichtigsten in der Literatur diskutierten Empfehlungen unter dem hier interessierenden Aspekt der Transnationalität neu gelesen, strukturiert in Empfehlungen mit explizitem Migrationsbezug und Empfehlungen, die inhaltlich oder in ihrer Zielsetzung über den Nationalstaat hin-ausweisen und damit auch für transnationale Mobilität bedeutsam sein können. Ergänzend werden ausgewählte Studien zum besseren Verständnis herangezogen. Es zeigt sich, dass sich der Umgang von Schulen mit transnationaler Migration und Mobilität seit den 1950er-Jahren in vielen Aspekten grundlegend geändert hat. Die Aufnahme von Zugewanderten mit deut-scher und ausländischer Staatsangehörigkeit wurde zunächst in separaten Beschlüssen und Empfehlungen behandelt. Während Empfehlungen zu aus dem Ausland zugewanderten deutschen Staatsangehörigen ausnahmslos auf dauerhaften Verbleib in Deutschland ausgerichtet waren, waren die Empfehlungen in Bezug auf ausländische Staatsangehörige bis in die 1990er-Jahre überwiegend auf Rückkehr orientiert, bis sich Mitte der 1990er-Jahre ein Paradigmenwechsel zu einer interkulturellen Bildung für alle vollzog. Nachdem über Jahrzehnte nicht anerkannt worden war, dass die Zuwanderung nach Deutschland zu dauerhafter Einwanderung geführt hatte, richteten sich nun im Hinblick auf zugewanderte Schüler*innen alle Anstrengungen auf Bildung in der Perspektive dauerhaften Verbleibs in Deutschland. Dies gilt auch für Geflüchtete, ohne dass ihnen zugleich in der Migrationspolitik eine dauerhafte Bleibeperspektive eingeräumt wird. Dass Deutschland ein Land mit umfangreichen Beziehungen ins Ausland ist, wird auch in KMK-Empfehlungen ohne Bezug auf Zuwanderung deutlich. So ist seit den 1960er-Jahren das Erlernen von Englisch als Lingua Franca Pflicht für alle Schüler*innen. Mit Fremdsprachenunterricht, aber auch mit Europabildung und Globalem Lernen wird das Leben in einer interdependenten Welt betont und zugleich eine Migrationsperspektive in andere Länder eröffnet. Deutsche Auslandsschulen, bilinguale Schulen und internationale Schulen, die oft nur mit erheblichem Schulgeld zugänglich sind, eröffnen grenzüberschreitende Kommunikations- und Migrationsmöglichkeiten für Qualifizierte und finanziell entsprechend Situierte. Es scheint, als ob von in Deutschland sozialisierten Kindern zunehmend eine grundlegende Offenheit gegenüber der Welt erwartet und eine explizite Ausrichtung auf Transnationalität nur wenigen Privilegierten zugedacht wird, während zugleich von zugewanderten Kindern eine Fokussierung auf ein Lernen für ein Leben in Deutschland erwartet wird, das zugleich – rein aufenthaltsrechtlich – nicht für alle vorgesehen ist. Hier liegen Widersprüche, über deren Auflösung nachgedacht werden muss. ; 2