Die Frage einer biologischen Rassenzugehörigkeit der Juden galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als brisantes, ungelöstes wissenschaftliches Problem. Wissenschaftler mit jüdischem Familienhintergrund sahen sich vor einem Dilemma, denn sie waren zugleich Subjekt und Objekt der Forschung. Die Studie zeichnet diese wissenschaftliche Debatte nach und beleuchtet dabei insbesondere die Positionen von Wissenschaftlern jüdischer Herkunft. Wie reflektierten diese ihre Identität im Rahmen biologischer Theorien und wie gestaltete sich die Auseinandersetzung mit nichtjüdischen Kollegen? Zudem werden die Versuche einiger dieser Wissenschaftler beschrieben, Institutionen für die Erforschung der »Biologie der Juden« zu gründen.
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Wasted Chances? The Current Political Debate on DNA Phenotyping and Biogeographical Ancestry Analysis in Criminal Investigation in Germany. This paper discusses diverse understandings of 'responsible science' in heated political debates. It takes a current public debate around a German law amendment draft concerning the use of novel forensic genetic techniques, namely DNA‐phenotyping and biogeographical ancestry analysis, as an example. A distinction is being made between an understanding that emphasizes scientific debate and precision, and another one that focuses on political agency. The paper also addresses the question whether and how science studies scholars, given their depth of expertise in the analysis of complex problems spanning disciplinary boundaries, should contribute to national debates in policy fields where no such dialogue exists yet.
"Akademische und Alltagsdiskurse über 'den Europäer' haben selten einen empirischen Gehalt. Die Lebenswissenschaften bieten eine wichtige Ausnahme zu dieser Regel. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts bis heute betonen Wissenschaftler, dass Europäer sich in biologischer Hinsicht von anderen Menschen unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Überzeugung von einem biologischen Kern des Europäerseins immer wieder in Alltagsdiskurse eindringt. Neuere historische Arbeiten haben die Bedeutung der Rassenanthropologie für die Herausbildung nationaler Identitäten und die schrecklichen politischen Folgen, die sich daraus ergeben haben, herausgestellt. Indes geht die Bedeutung der Rassenanthropologie weit über den Nationalismus hinaus. Ich untersuche in diesem Beitrag die Rolle der Rassenanthropologie und der Rassenklassifikationen für die europäische Identitätskonstruktion, wobei ich mich vor allem auf die Kolonialmedizin des frühen 20. Jahrhunderts konzentriere. 'Weiße' und 'Europäer' waren keine austauschbaren Begriffe in der biomedizinischen Wissensproduktion. Das heißt nicht, dass sie nicht gelegentlich verwechselt wurden. Aber sie transportierten verschiedene Bedeutungen. 'Weiße' scheinen hauptsachlich biologische Konnotationen gehabt zu haben, während sowohl eine Beachtung von Natur als auch von Kultur notwendig gewesen ist, um das Europäische des 'Europäers' zu erfassen." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 1157-1182
"Die These, die 'Natur der Gesellschaft' sei ein soziales Konstrukt, stößt im Rahmen der deutschen Sozialwissenschaften weitestgehend auf Zustimmung. Diese These ermöglicht einerseits, Essentialisierungen und Naturalisierungen in den Blick zu nehmen und einer kritischen sozialen und ethischen Bewertung zuzuführen. Andererseits entzieht sie jedoch das Konstruieren selbst einer genaueren Analyse und beschäftigt sich eher mit den Konsequenzen einer nur scheinbaren wissenschaftlichen Faktizität. Dieser Vortrag stellt vier Thesen zur Diskussion: 1. Die Produktion naturwissenschaftlicher Erkenntnis basiert auf einer komplexen Interaktion zwischen Diskursen, Praxen und Technologien, deren Untersuchung als sozialer Prozess zeigt, dass Naturwissenschaft und Medizin keineswegs monolithisch von einer molekulargenetischen Determiniertheit ausgehen, wie vielfach behauptet wird, sondern versuchen, 'das Soziale' sicht- und beforschbar zu machen. 2. Die zunehmende Molekularisierung naturwissenschaftlicher Methoden vergrößert jedoch die Distanz zwischen Untersuchungsgegenstand und zu erklärendem Phänomen. Die Überbrückung dieser Distanz hängt großteils von semantischen Brücken ab, deren Bausteine oft implizite Narrative und Vorstellungen von Individualität und Gesellschaft darstellen. 3. Wie 'das Soziale' in der Naturwissenschaft operationalisiert wird, wirkt sich nicht nur auf Erkenntnis, sondern an vielfältigen Schnittstellen von Wissenschaft und Gesellschaft auch auf soziale Praxis aus. Dabei zeigt sich zum einen eine zunehmende Präsenz von Formen somatischer Individualität (Rose). Zum anderen führen die Möglichkeiten, 'Natur' im modernen Sinne zu verstehen, weg von sozio-biologischen Erklärungsversuchen hin zu einer Biosozialität (Rabinow), die Natur als 'durch kulturelle Praxis modelliert' versteht (nature modelled on culture as practice). 4. Dieser Wandel sozialer Praxis verändert wiederum den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess und schließt damit einen Kreis, den man in Anlehnung an Hacking als looping bezeichnen kann. Der Vortrag möchte am Beispiel der biologischen Geschichte des Europäers zeigen, wie biohistorische Narrative, d.h. Erzählungen über die Natur, Geschichten über Vererbung, Diversität und Evolution, in die Produktion naturwissenschaftlich-medizinischen Wissens einfließen. Zum anderen werden die Auswirkungen einer solchen Erkenntnisproduktion sowohl auf medizinische Praxis als auch auf den Umgang mit Gesundheit und Krankheit verdeutlicht. Diskutiert wird, ob und wie die Verbindung von historisch fundierter, praxisorientierter Wissenschaftsforschung und Sozialanthropologie einen konstruktiven Beitrag zu bestehenden soziologischen Theorieangeboten liefern kann, in dem sie Natur als kulturelle Praxis und Kultur als Materialität zugänglich macht." (Autorenreferat)