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Von immersiven Steigerungslogiken und dem Wunsch von Nutzer_innen nach allumfassenden Medienwirklichkeiten zu sprechen, meint normative Dualismen und Marginalisierungsdiskurse zu reproduzieren. Diese These fundiert den vorliegenden Artikel, der bisherige theoretische (und oft widersprüchliche) Zugriffe auf Nutzer_innen und mediales Wirkungsvermögen kritisiert. Er nimmt den Mythos vom einfahrenden Zug zum Ausgangspunkt, um die diesem zugrunde liegenden Machtformationen aufzuzeigen und der nach wie vor prominenten Vorstellung einer totalen Immersion stattdessen kontingente Film-Subjekt-Beziehungen vorzuschlagen. In der Annahme von Relationen und Kontingenzen des Bewegtbilds, so meine These, lassen sich Filmwirkungen jenseits von empirischen oder anthropologisierenden Diskursen wie jenem des "impliziten Lesers" analysieren und lässt sich auch der Werkbegriff des Films im digitalen Zeitalter neu befragen.
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Die Situation der Forschungsliteratur zum Mode-Begriff "Immersion" ist eine schnelllebige. Dies beweist aus der Perspektive des aktuellen Jahres 2020 dieser 2018 erschiene Band mit dem Titel Immersion – Design – Art: Revisited. Transmediale Formprinzipien neuzeitlicher Kunst und Technologie, der in Kooperation verschiedener Kunst- und Fachhochschulen in Kiel und Münster, basierend auf einer Tagung von 2016, erarbeitet wurde. Während nach der Veröffentlichung von Fabienne Liptays und Burcu Dogramacis Immersion in Visual Arts and Media im Jahr 2016[1] im medienwissenschaftlichen Bereich eine zweijährige Pause der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Immersion entstanden ist (die lediglich mit praktischen Zuwendungen wie etwa dem mehrjährigen Ausstellungsprojekt "Immersion" der Berliner Festspiele zu füllen wäre), erscheint 2018 etwa zeitgleich mit Rainer Mühlhoffs in der Philosophie angesiedelter Dissertation Immersive Macht hier noch eine weitere Publikation. Der Sammelband hat sich eine "eigenständige medientheoretische Perspektive" vorgenommen, "in der Medienkunst weder als einfacher Effekt der Medientechnologie erscheint, noch die gesellschaftliche Realität der Medien mit der künstlerischen Phantasie der Medienkünstler verwechselt wird" (S. 7). In dieser Dimension schlägt die hier vorgelegte Veröffentlichung der Herausgeber Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse und Norbert Schmitz in eine verwandte Kerbe zu Mühlhoffs Buch, der als "immersive Macht" "den strategischen Machteffekt [begreift], der sich auf der makroskopischen Ebene affektiver Resonanz- und Interaktionsmuster"[2] manifestiert. Überdies bleibt der Sammelband anschlussfähig an die 2019 erschienene Ausgabe der Navigationen-Zeitschrift, die herausgegeben von Thiemo Breyer und Dawid Kasprowicz den Titel Immersion. Grenzen und Metaphorik des digitalen Subjekts trägt und betont, sie wolle "die reziproken Verhältnisse zwischen Subjekt und Objekt, Werk und Rezipient"[3] untersuchen. Und trotzdem liegt hier ein sich von diesen (medien-)philosophisch orientierten Schriften stark unterscheidendes Buch vor. So präsentiert sich der Sammelband im Vergleich zur 2016er-Tagung als wesentlich theoretischer; im Vergleich zu anderen aktuellen Texten des Diskurses aber praktischer orientiert. In der Einleitung wird bereits auf die unüberwindbare Utopie hingewiesen, die den Diskurs um immersive Erfahrungen und Medientechnologien durchzieht, seit mit Oliver Graus Buch Virtual Art. From Illusion to Immersion (2003)[4] das Schreiben einer Genealogie immersiver Medienformate als lineare und teleologische Steigerung medialer Mimesis begonnen wurde. Jener Steigerungslogik steht auf theoretischer Seite einerseits der Vorwurf der Negation zeitspezifischer Wahrnehmungskonfigurationen auf Nutzer*innenseite gegenüber, welche die Herausgeber im Verweis auf die veränderten Wahrnehmungsmodalitäten von digital natives thematisieren. Andererseits muss auch die oft formulierte Annahme eines Immersionsbedürfnisses als anthropologische Konstante mit Kritik insofern rechnen, als dass einem 'perfektionierten' Realitätseffekt von Repräsentationen mit der philosophischen Sicht auf die mediale Illudierung als willing suspension of disbelief längst eine dynamischere Konzeption entgegengestellt wurde. Dieser komplexen Konzeption des Immersionsdiskurses kommt der Sammelband differenziert nach, indem in verschiedenen Artikeln theoretische Binärkategorien wie Realität vs. Virtualität, Unmittelbarkeit vs. Hypermedialität[5], Kunst vs. Medialität, Ästhetik vs. Aisthesis sowie Immersion vs. Reflexion aufs Neue befragt und deren Dualismus zur Debatte gestellt wird. Gleichzeitig ist dem Buch sein Ursprungsort, das praktisch orientierte "Institut für immersive Medien" in Kiel, das auch einer der beiden Austragungsorte der Tagung war, weiterhin anzumerken. Randbemerkungen wie jene über einen "Fortschritt der Technologien" (S. 8) oder Aussagen wie "Diese Unterscheidung [zwischen einer Gleichzeitigkeit von der Wahrnehmung des Bildgegenstandes als einer außerbildlichen Referenz und dem Bewusstsein des Bildes als solchem] ist logischerweise bei vollständiger Immersion nicht mehr möglich." (S. 11) erweisen, dass das Anliegen des Buches in Wahrheit ein doppeltes ist: Einerseits den wahrnehmungstheoretischen Novitäten im Diskurs Rechnung zu tragen, gleichzeitig jedoch die technologische Komponente – die Frage nach den technischen Potenzialen sogenannter immersiver Medien – weiterhin aufrecht zu erhalten. Ein solches doppeltes Anliegen manifestiert sich auch in der inhaltlichen Zweiteilung des Buches in Teil 1 "Die Kunst der Immersion", der sich mit der "Spezifik des Künstlerischen gegenüber dem allgemein Medialen" (S. 8) auseinandersetzt, und Teil 2 "Zur Ästhetik der Immersion", der sich eine "systematische Bestimmung von Begriff und Phänomen hin zu gegenwärtigen und einschlägigen kulturellen Praxen" (S. 16) vorgenommen hat. Auf den ersten Blick scheint es überraschend, dass die Herausgeber entschieden haben, zwei ältere und etwas eingestaubt wirkende Texte – Oliver Graus Aufsatz zur Telepräsenz von 2001 und Lambert Wiesings Antrittsvorlesung zur Unterscheidbarkeit von Virtualität und Imagination von 2005 – wieder abzudrucken, zumal es die originären Autoren den Herausgebern sogar selbst überlassen haben, Abstracts für deren Texte zu formulieren. Auf den zweiten Blick lässt sich diese Entscheidung aber mit der in diesen Artikeln angesprochenen Technikgeschichte der Utopien und Mythen (Grau) sowie der Unterscheidung von "Kontinuitätstheoretikern" und "Diskontinuitätstheoretikern" (S. 140) als Ausgangspunkte der oben angesprochenen Diskurse begreifen, die auch in den anderen Beiträgen weitergeführt werden. Von diesen erscheinen vier insbesondere erwähnenswert: etwa jener von Norbert Schmitz, dessen provokante Frage, ob wir nicht grundlegend in Immersionen leben würden, wiederum zu einer komplexen Befragung der Funktion einer "Kunst der Immersion" führt. Schmitz formuliert als Fazit seines Textes klug: "Die 'Kunst der Immersion', ob nun als subversive Strategie innerhalb der Populärkultur oder innerhalb des Kunstsystems, bestände also darin, die ästhetische Differenz zwischen Objekt und seiner Abbildung wieder sichtbar zu machen, aber nicht im überkommenen Geist einer Dekonstruktion der Mimesis, sondern als Thematisierung der vollständigen Konstruiertheit unserer alltäglichen phänomenalen Wahrnehmung als unüberschreitbare Grenze und conditio humana" (S. 73) und schafft so die thematische Verbindung zu einem Artikel im zweiten Teil – jenem von Jonathan Lahey Dronsfield. Dieser befragt in seinem Text unter anderem den anthropologischen Wunsch nach "immediacy" neu und stellt dabei ganz ähnlich fest: "[W]hat is the desire for 'unified experience' in an immersive environment […]? Nothing other than the longing for subjectivity in the loss of self" (S. 189). Dass neben der technologischen Überwältigungsstrategie also auch das rezipierende Subjekt theoretisch befragt werden muss, zeigt ebenso der Text von Alberto Gabriele auf, der aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die Relevanz eines interdisziplinären Blickwinkels andeutet, um spezifische Wahrnehmungskonfigurationen zu spezifischen Zeit-Punkten untersuchen zu können. Gabriele inspiziert dafür beispielhaft die Wechselwirkung zwischen dem "cartographic writing" (S. 193) und der Position, die ein*e Zuschauer*in während der Rezeption eines Panoramas einnimmt. Seine Schlussfolgerung, "[v]ision, therefore, becomes a self-induced normative rearrangement of the faculties of memory and perception" (S. 203) beschreibt so Immersion mit der nötigen Komplexität und Relationalität. Eine solche Komplexität klingt auch in Lars C. Grabbes Text an, wenngleich dieser über die von ihm sogenannte "Phänosemiose" (die "medieninduzierte Körper-Geist-Dynamik" (S. 155)) "die menschliche Wahrnehmung [als] abhängig von der jeweils kulturell realisierten medialen Technizität" (S. 158) beschreibt, jedoch die Frage nach einer möglichen Autonomie des Subjekts gänzlich außen vor lässt. Weitere Texte des Bandes sind Patrick Rupert-Kruses Beschäftigung mit verschiedenen Formen medialen Realismus' (im Spiegel von Ästhetik und Aisthesis), Diego Mantoans Generationenvergleich von Videokünstler*innen, der Videotechnologien auf ihre "aesthetic maturity" befragt, Carolina Fernández-Castrillos Rückblick auf die "desire of uniting art and life" (S. 127), die die Futurist*innen in ihren Manifesten vorgeschlagen hatten, und Christiane Heibachs Bericht von einem Versuch, Proband*innen in eine synästhetische Medienumgebung zu versetzen, während theoretisch auf Mark Weisers Konzept der Re-Naturierung von Technik, der Nahtlosigkeit zwischen Welt und Repräsentation zurückgegriffen wird. So verbleibt nach der Lektüre der hinsichtlich ihrer Aktualität, ihrer Diskursfreudigkeit und ihrer Verzahnung von Theorie und Praxis höchst heterogenen Texte vor allem ebendiese Verschiedenheit als erfreulicher Output: Indem das Buch praktische wie theoretische, disziplininterne wie interdisziplinäre, aktuellere wie ältere Perspektiven auf den medienkünstlerischen und -wissenschaftlichen Immersionsbegriff präsentiert, scheint zwar gelegentlich die Bezugnahme auf die aktuellen Publikationen im gleichen thematischen Feld – etwa zu Liptays und Dogramacis Herausgeber*innenschaft – aus dem Blick zu geraten. Insgesamt präsentiert sich das Buch jedoch als adäquates Nachschlagewerk, in dem sehr verschiedene Zugänge zur Immersion aufeinandertreffen. Um diese erfreuliche Heterogenität weiter voranzutreiben, wäre zwar auch das Hinzuziehen marginalisierter Perspektiven auf die vermeintlich anthropologische Konstante Immersion wichtig gewesen. Es bleibt jedoch darauf zu hoffen, dass eine solche – die bislang prominenten Diskurspfade verlassende – alternative Schreibweise einer politisch äußerst relevanten Geschichte immersiver Medien im nicht-westlichen Erfahrungsraum in künftige Publikationen stärker Einzug nehmen wird. Im hiesigen Sammelband sind zumindest einführend Gedanken für einen solche zeitgemäße Heterogenität zu finden. [1] Fabienne Liptay/Burcu Dogramaci (Hg.): Immersion in Visual Arts and Media. Leiden 2016. [2] Rainer Mühlhoff: Immersive Macht. Affekttheorie nach Spinoza und Foucault. Frankfurt/New York 2018, S. 22. [3] Dawid Kasprowicz/Thiemo Breyer (Hg.): Immersion. Grenzen und Metaphorik des digitalen Subjekts. Ausgabe von: Navigationen, Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaft 19/1, 2019, S. 8. [4] Oliver Grau: Virtual Art from Illusion to Immersion. Cambridge/London 2003. [5] Jay Bolter/Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media. Cambridge 1999.
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Was bleibt vom genuin Fotografischen/Filmischen nach dem Ende des fotografischen Zeitalters? Welche grundlegenden medialen Charakteristika des Fotografischen bzw. Filmischen werden von aktuellen künstlerischen Prozessen aufgegriffen oder umgedeutet? Derartigen Fragen widmete sich das Forschungsprojekt RESET THE APPARATUS!, das als PEEK-Projekt (Arts- based Research) an der Abteilung für Medientheorie der Universität für Angewandte Kunst in Wien realisiert wurde und mit dieser Publikation eine Mischung aus Überblickskatalog und Abschlussbericht vorlegt. Ausgehend von dem – freilich nur auf den ersten Blick – paradox wirkenden Umstand, dass die neuen digitalen Technologien ein gesteigertes Interesse an den analogen Medien hervorgerufen haben, widmet sich dieses Buch – das auch und insbesondere Materialsammlung ist – Fragen nach der Rolle des spezifisch Fotografischen (photographic) bzw. Filmischen (filmic) in der zeitgenössischen Kunst. Im Zentrum steht eine genaue Betrachtung der im Forschungsprojekt untersuchten Medien bzw. deren materieller/technischer Grundlagen, die niemals allein Mittel zum Zweck sind, sondern sich auf mannigfaltige Weise in den künstlerischen Prozess, dessen Ergebnis, Wahrnehmung und Verwertung einschreiben.Dieses konstitutive Potenzial des Apparatus ist aus den Medienwissenschaften gut bekannt, weshalb das Besondere an der vorliegenden Publikation nicht die Fragestellung per se, sondern viel mehr dessen Aufbereitung ist. Als Arts-based Research-Projekt wird hier gewissermaßen der Spieß umgedreht und sprichwörtlich in der Schraube die Maschine erkannt. Ausgehend von einer umfangreichen Materialsammlung und in Zusammenarbeit mit externen Partner*innen (aus den Bereichen der Wissenschaft als auch den Künsten, heimischer als auch internationaler Provenienz) wird ein Feld erschlossen, das man in den medienwissenschaftlichen Diskursen schon öfters betreten hat, hier aber plötzlich aus einem anderen Blickwinkel sieht. Und das ist nicht bloß als Metapher gemeint, denn zu sehen gibt es in diesem Buch/Katalog wirklich einiges: Die Publikation präsentiert sich als durch theoretische Texte angereicherter Bildband und stellt in dieser Form ein beeindruckendes Zeugnis zeitgenössischer Medienkunst vor, die das Projektteam in den vergangenen Jahren befragt hat. Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Ein einleitender Aufsatz der drei Projektleiter*innen, Gabriele Lutz, Edgar Lissel und Nina Jukić – der sich selbst explizit als "Gebrauchsanweisung" ("User's Manual") versteht – erörtert nicht nur die wesentlichen Fragestellungen und Perspektiven, sondern zieht zugleich Resümee über den aktuellen Stand von Kunstproduktionen, die Analoges und Digitales zusammendenken, beziehungsweise der theoretischen Debatten, die dieses Verhältnis begleiten. Hervorzuheben ist, dass sich die hier angestellten Betrachtungen niemals in einer Gegenüberstellung oder Aufrechnung eines Verfahrens gegenüber dem anderen erschöpfen, sondern darauf angelegt sind, die tradierten Grenzen der als überkommen (vor)verurteilten medialen Technologien aufzubrechen und deren Einfluss auf aktuelle künstlerische Verfahren zu bewerten. Die Aussage "For a contemporary understanding of medium specificity, it is necessary to give up 'the old fiction of the purity of media' and to consider their 'interpenetration and contamination'" wird unter Bezug auf die Filmwissenschaftlerin Erika Balsom als ein Hauptanliegen des Projekts formuliert. Bei dem thematischen Streifzug durch die maßgebende Film- und Medientheorie gerät denn gemäß der Stoßrichtung des Projekts insbesondere die Perspektive der Künstler*innen in den Blick, die den zweiten Teil des Buches bildet. Dabei geht es etwa um künstlerische Entscheidungen für die Arbeit mit speziellen medialen Technologien, ausgehend von dem simplen – auch wenn für die Betrachter*innen des fertigen Werkes oft nicht maßgebenden – Umstand der direkten Arbeit am künstlerischen Produkt und die Anwendung künstlerischer Verfahren, die nicht notwendigerweise auf standardisierten Wegen erfolgen muss; man denke an das breite Feld des experimentellen Films und der experimentellen Fotografie und seiner Tradition des physischen Zugriffs auf das Trägermaterial. Bezugnahmen zu jener filmischen Praxis, die unter dem Label expanded cinema ausgehend von avantgardistischen Kunstproduktionen seit den 1960er-Jahren unterschiedliche Zuschreibungen erfahren hat, prägen dann auch stark die vorliegende Analyse, wobei der hier angelegte Begriff der "Erweiterung" (im Sinne eines 'to expand') auch auf das Feld der Fotografie, oder besser: des Fotografischen, übertragen wird. Etwa wenn unter Bezug auf das erst später geprägte und weniger bekannte Schlagwort der expanded photography argumentiert wird, dass die hier verwendeten Begriffe photographic bzw. filmic darauf hinweisen würden, dass sich solcherart bezeichnete Praktiken, auch wenn sie ihre medialen Grenzen überschreiten, dennoch stets genuine Medienspezifika bewahren. Der dritte und vierte Teil des Buches stellt die Kooperationen mit verschiedenen Medienkünstler*innen bzw. "Partner Collaborations" sowie die Arbeiten von Studierenden aus Wien und Essen vor. In dieser heterogenen Werkcollage werden theoretische Mythen des Digitalen, wie etwa der Tod des Kinos und Videos in Zeiten von digitalen Medien aufgegriffen und dekonstruiert (etwa in den Beiträgen von Jonathan Walley über Gibson+Recorder und Andy Birtwistle über die Arbeiten von Gebhard Sengmüller), Bezugnahmen zu historischen Vorläufern des kinematografischen Dispositivs, etwa zur Phantasmagorie, gezogen (Beitrag von Hubertus Amelunxen) und schließlich mit den Arbeiten der Studierenden die Frage nach dem Verbleib des Analogen ins Zeitalter der "Digital Natives" transferiert. Der letzte Teil des Buches bindet über drei theoretische Texte und ein Essay die künstlerischen Arbeiten wieder an den Apparatus-Begriff zurück. Der im Titel des Projekts angelegte Terminus des Apparatus hatte seinen Ursprung bekanntermaßen in der französischen psychoanalytischen Filmtheorie der 1970er-Jahre, die stark mit dem Namen Jean-Louis Baudry verbunden ist, den Film seines Objektcharakters enthebt und seine Analyse in ein weiter gefasstes architektonisches wie diskursives Setting einbindet, das zahlreiche zusätzliche Aspekte – vor allem jenen der Rezeption – berücksichtigt. Die Autor*innen halten fest, dass die Apparatus-Theorie der Rolle der Produktion keine herausragende Aufmerksamkeit beikommen hat lassen – ein Missstand, den das vorliegende Werk kompensieren soll. Dieser letzte Teil steht dabei in direkter Verbindung zum sogenannten "Corpus", ein von Lissel, Jutz und Jukić zusammengetragener Katalog künstlerischer Arbeiten, die allesamt die Fragestellungen des Projektes von unterschiedlichen Perspektiven ausgehend illustrieren und kommentieren. Dieser wird von TAGS strukturiert, die jeweils einen spezifischen, medialen Aspekt im Nachdenken über den Apparatus adressieren. Damit wird quasi eine nonlineare Lektüre des Buches – ähnlich dem Blättern in einem Ausstellungskatalog – nahegelegt und so nicht nur das Verhältnis von Theorie und Medienkunst, sondern auch dessen Erfassungsprozesse als ein vernetztes Bedeutungsfeld dargestellt.Diese von den Autor*innen in der Einleitung festgelegten TAGS werden damit nicht als unverrückbare Zuschreibungen, sondern als Ausgangspunkte zur Erkundung eines heterogenen Korpus von Medienkunst konzipiert, der so von verschiedenen Seiten aus durchwandert werden kann. Am besten funktioniert das auf der Homepage des Projektes (http://www.resettheapparatus.net), die mit präzisen Beschreibungen, Informationen und weiterführenden Links zu allen 140 versammelten Arbeiten aufwartet. Die ausgewählten Arbeiten selbst fokussieren – gemäß der Themensetzung des Projekts – die letzten zehn Jahre, reichen aber da und dort bis in die 1960er-Jahre zurück. Versammelt sind sowohl bekannte Projekte, als auch solche, die weniger bekannt sind. So reicht etwa der TAG "Body Involvement", der auf ein Miteinbeziehen des gesamten Körpers in den medialen Prozess abzielt, von Alfons Schillings Sehmaschinen (mehrere Arbeiten ab den 1960er-Jahren) über Gustav Deutschs Taschenkino (1995), bis hin zu einer aus den frühen 2000er-Jahren stammenden Arbeit von Olena Newkryta (Absolventin der Universität für Angewandte Kunst Wien), die Proband*innen dazu aufforderte, unbelichteten Negativfilm ein Monat lang am Körper zu tragen, um diesen anschließend zu entwickeln und in Fotografien überzuführen. One month on skin (2013 – 2014) treibt so den indexikalischen Charakter der analogen Fotografie – und damit eines der zentralen Merkmale des Mediums – auf die Spitze.Der TAG "Still / Moving" wiederum erkundet das Verhältnis zwischen Einzelbild und Laufbild, wodurch auf die ganz grundsätzliche materielle Verbindung zwischen analoger Fotografie und analogem Film fokussiert wird. Die unter diesem TAG versammelten Arbeiten bieten einen geradezu lehrbuchartigen Überblick über experimentelles Filmschaffen, das dieses Verhältnis auf unterschiedlichste Weise hinterfragt und in der Arbeit Motion Picture (1984) von Peter Tscherkassky, die auf einem Frame von Arbeiter verlassen die Fabrik (1895) der Brüder Lumière basiert, bis in die Geburtsstunde des Films zurückreicht. Weitere TAGS, wie "Darkroom Exposed", "Fleeting Images", "Live Acts", "Lost & Found", "Material Agency", "Relics", "Repurposing the Hardware", "Scale & Format", "Site Specifity" und "Transplanar Images", illustrieren dabei nicht nur die strukturierte Weise, mit der sich das Forschungsprojekt den Gegenständen genähert hat, sondern auch die beeindruckende politische Tragweite der Verflechtung von Film und Fotografie. Sie zeigen so die vielen Kernbereiche der Gesellschaft auf, die von Medien schon immer durchzogen sind bzw. waren. Dass dabei etwa Themenfelder wie das Anthropozän und der materielle Überfluss, die Energieballung in städtischen Räumen und der stete Zerfall von Bildträgern wie Zelluloid als konstitutiver Bestandteil unserer Erinnerungspraxis thematisiert werden, erweist, wie vielfältig anschlussfähig die hier aufgeführten theoretischen wie künstlerischen Impulse sind. Die englischsprachige Publikation ist – auch das soll gesagt werden – ein schön gemachtes, wertiges und preiswertes Buch, das so einige Verlage über Buchdesign und Preisgestaltung nachdenken lassen sollte. Am bemerkenswertesten ist dabei sicher die Funktion, die es – in Verbindung mit den Beiträgen der Projektpartner*innen – als überraschend übersichtliches Nachschlagwerk und gleichsam Dokumentationsversuch einer heterogenen Medienkunst-Medientheorieszene erfüllt. Der einleitende Text des Projektteams ist in seiner Klarheit und Übersichtlichkeit zudem eine Lektüre, die sich sämtlichen Leser*innen empfiehlt, die sich mit Film, Fotografie und Medienkunst beschäftigen – und zwar unabhängig davon, ob dies auf einem akademischen Niveau geschieht oder auf einem ganz "allgemeinen" Interesse an Kunst und Medien fußt. Auch das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. www.resettheapparatus.net
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Das Cover des Sammelbandes Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co. ziert die Darstellung eines ausgestreckten Arms – ein Smartphone in der Hand haltend, Bildschirm und Frontkamera auf das Selbst gerichtet. In diesem reflexiven Bild kommt der im Untertitel des Bandes explizierte Anspruch, "Konstellationen von Körper, Medien und Selbst" zu untersuchen, zum Ausdruck. Hierfür stecken die Herausgeber Martin Stern und Daniel Rode in der Einleitung ein weites begrifflich-theoretisches Feld ab, innerhalb dessen sich die Autor*innen des Bandes, der im Umfeld der Soziologie, Pädagogik und Sportwissenschaft entstanden ist, für ihre jeweilige Beschäftigung mit "Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co." ebenso weiträumig verorten. Die in diesen Untersuchungen zentralen Begriffe Körper, Medien, Selbst und Konstellationen haben uns als Rezensent*innen indes dazu inspiriert, über sie und damit den Sammelband selbst in den Dialog zu treten. Aus dem Gespräch heraus versuchen wir, den Band auf seine disziplinäre Anschlussfähigkeit zu untersuchen und unser Verständnis der Beiträge dialogisch zu entfalten. Wie das Cover des Bandes richten wir in unserer Rezension also auch den Blick auf uns selbst, oder besser: unser Fach, die Medienwissenschaft. Laura Katharina Mücke spricht dabei aus Sicht der ersten beiden Segmente des Sammelbands, Robert Dörres Ausführungen nehmen auf die letzten beiden Abschnitte Bezug – eine Aufteilung, die sich nicht zuletzt aus den jeweiligen Forschungsinteressen ergeben hat, die im rezensierenden Blick selbstredend mitklingen. Das entstandene Gespräch befragt die einzelnen Beiträge des Sammelbands also aus einer dezidiert medienwissenschaftlichen Perspektive und versucht damit auch, akademische Disziplinen miteinander in den Dialog zu bringen. KÖRPER Laura: Der Band begreift den Körper gleichsam als Agenten und Symptom von Subjektwerdung in medialen Konstellationen. Eine kritische Befragung des Begriffs des Körpers steht dabei aber, (wie ich es sehe), allerdings nur selten im Vordergrund. Dieser wird lediglich etwa über den soziologischen Leibbegriff Robert Gugutzers, der selbst 2016 einen Band zum Self-Tracking mitherausgegeben hatte und der den Leib als Variable zwischenmenschlicher Interaktion beschreibt, sowie über leibphänomenologische Zugriffe etwa Helmuth Plessners, Pierre Bourdieus oder Maurice Merleau-Pontys grundiert. Robert: Anschaulich wird dabei aber schon, wie der Band den Körper zugleich als Werkzeug wie als Bühne von Subjektivierung versteht. Beispielsweise Thomas Dambergers Überlegungen zum "Self-Tracking als medienpädagogische Herausforderung" nehmen den Körper als Medium in den Blick, formulieren von dort aus allerdings vornehmlich Bedenken: "[es] besteht die Gefahr einer Identifikation des Selbst mit dem, was datenmäßig erfasst und zahlenmäßig abgebildet wird. Der Körper nimmt dann lediglich und zugleich ausschließlich die Rolle eines Mediums an, in dem das ist und wirkt, was der Mensch eigentlich zu sein scheint" (S. 217). Über diese kausale Logik hinaus gewinnt in den Beiträgen von Clarissa Schär, Benjamin Zander und Daniel Rode ein Konzept an Gewicht, das vom letzteren als "Körperlichkeit des Sozialen" (S. 154) beschrieben wird und die somatisch-grundierten Subjektivierungspraktiken innerhalb sozialer Lebenswelten verortet. Ob Tracking oder Bilderproduktion, die beschriebenen Medienpraktiken werden dabei immer auch als Verwirklichung somatischer Optimierungsimperative gelesen. Laura: Allerdings lässt der Band zwischen den aufgezeigten Optimierungsimperativen insbesondere eine genderpolitische Dimensionierung missen, die sich in formeller Hinsicht übrigens auch in der ungleichen Besetzung der Autor*innen und teilweise im Fehlen von genderneutraler Sprache verdeutlicht. Gerade im Hinblick auf das im Buch angesprochene Thema des sportlichen, sich selbst verhandelnden und identitätspolitisierenden Selbst (in den Beiträgen von Martin Stern zur Individualisierungs-Optik beim Skaten als "Passungsverhältnis" (S. 47), in Sascha Oswalds These, dass Körper und Geist beim Tinder-Wischen getrennt agieren (S. 72), und in Karolin Eva Kapplers, Eryk Nojis und Uwe Vormbuschs Fallstudien zu zwei männlichen Probanden, die die Apps zum Sport und zu Stressbewältigung nutzen) ist es verwunderlich, dass die wichtige Infragestellung von biologischem und sozialem Geschlecht keinerlei Berücksichtigung findet. Obwohl dabei etwa historische Perspektiven auf Selbstvermessungspraktiken wie etwa das Tagebuch zum Tragen kommen, wird die subversive Funktion der Körper lediglich in jenen Texten besprochen, in denen Körperlichkeit in ihrer sozialen Verfasstheit thematisiert wird: etwa in der Erwähnung einer vorwiegend weiblich besetzten Bildkultur von Selbstvermessungs-Apps wie Fitbit oder Misfit im Text von Franz Krämer und Denise Klinge und insbesondere in der soziohistorischen Befragung des Zusammenhangs von Selbstvermessungs-Technologien und Körper in Bezug auf Ernährung als Praxis der Selbstreflexion im Artikel von Gerrit Fröhlich und Daniel Kofahl. Robert: Im zweiten Teil leistet das besonders der Artikel von Clarissa Schär. Dieser verortet die Selbstdokumentation von Jugendlichen in sozialen Medien ostentativ zwischen der Erfüllung hegemonialer Körpernormen und ihrer subversiven Umgehung, wodurch nicht zuletzt die damit einhergehenden Aushandlungsprozesse fokussiert werden (S. 188ff). Medienpraktiken wie das Self-Tracking oder die fotografische Selbstdokumentation ziehen so allerdings Fragen nach sich, denen lediglich mit einer Aufwertung des Medienbegriffes nachzukommen wäre. MEDIEN Laura: Stimmt, der definitorische Zugriff auf Medien wird nämlich lediglich in der Einleitung der Herausgeber aufgegriffen, wo ein deterministisches Medienverständnis von medialen Repräsentationen als Manipulationen und ein funktionalistisches Medienverständnis vom Medium als Werkzeug und komplexeren Wirkverhältnissen unterschieden wird (vgl. S. 23). Dieses Spektrum wird jedoch nur von wenigen Artikeln ausgereizt bzw. überhaupt thematisiert. Robert: Ich kann diesen Eindruck nur bekräftigen, die Ästhetik, Geschichte, Theorie oder Kultur digitaler Medien scheint einfach nicht im Interessensbereich der Autor*innen zu liegen. Zumindest das von Dir zitierte funktionalistische Medienverständnis wird aber hin und wieder relevant, wenn auch erneut lediglich in Bezug auf den Körper. Vor allem die Beiträge von Thomas Damberger und Simon Schaupp verdeutlichen dahingehend, wie die quantified self (QS)-Bewegung den eigenen Körper mediatisiert und zum Ziel wie zum Werkzeug ihres Selbstverbesserungswillens macht. Laura: Aus meiner Lektüre kristallisiert sich eher der Eindruck eines vermehrt deterministischen Verständnisses heraus. Häufig werden Medien in diesem Sinne lediglich als Verrechnungsinstrumente begriffen, die den von Dir angesprochenen Selbstverbesserungswillen automatisch hervorrufen würden. Robert: Einem solchen deterministischen Medienverständnis unterliegen aus meiner Sicht auch die verschiedenen Bemerkungen zu körperlichen Repräsentationen. So geht es anders als proklamiert nur selten um Aspekte einer "medienvermittelten Körperlichkeit" (S. 184), sondern viel häufiger um medienvermittelte "Körperbilder" (S. 186). Dabei hätte die Frage danach, ob neue Medientechniken auch neuen Formen von Körperlichkeit und Körpererfahrung sekundieren können, durchaus instruktiv sein können. Laura: Diese einseitigen Auslegungen medialer Wirkzusammenhänge resultieren ganz wesentlich aus der fehlenden Beschäftigung mit kontemporärer Medientheorie. Während der Artikel von Gerrit Fröhlich und Daniel Kofahl zum diet-Tracking mittels des Terminus "mediale[r] Biografiegeneratoren" (S. 128) immerhin die Verwobenheit von Medium und Selbst weiter zu spezifizieren sucht, findet sich im Beitrag von Franz Krämer und Denise Klinge, die Bilder als "Hilfsmittel der Orientierung und Verständigung in sozialen Situationen" (S. 108) verstehen, beispielsweise keinerlei dezidierte Bezugnahme auf einen fachlich verankerten Medienbegriff. Dabei wären ihre Beschreibungen von Technologien des Selbst für mich insbesondere anschlussfähig an aktuelle medienwissenschaftliche Perspektiven, wie sie etwa im Sammelband Locative Media Medialität und Räumlichkeit – Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung der Medien (2013) abgebildet sind, der über mediale Räume und dividuelle Verortungen spricht, oder in Smartphone Ästhetik. Zur Philosophie und Gestaltung mobiler Medien (2018), weil diese Bände das Nutzungssubjekt – das Selbst – explizit aus dem Medialen heraus denken. SELBST Robert: À propos, die Beiträge des Bandes zeigen ein dezidiertes Interesse an einem "kalkulierten Wissen" über das Selbst, das sich im Befragen der technologisch bedingten "Arbeit am Selbst" (S. 19) manifestiert. Hierbei spielt die Dimension der Selbsterkenntnis eine zentrale Rolle, wobei es einen klaren Tenor zu geben scheint: Die kalkulierende Selbstevaluation führe den meisten Autor*innen zufolge gerade nicht zu einem elaborierten Selbstverständnis. Laura: Hast du ein Beispiel dafür? Robert: Thomas Damberger setzt beispielsweise bei der Ideengeschichte der Selbsterkenntnis an und differenziert zwei paradigmatische Grundhaltungen, die er aus Philosophien der griechischen und römischen Antike herleitet. Während im ersten Fall das Selbst in dialogischer Anschauung zur Selbsterkenntnis gelangt, bleibt die zweite Variante dem Autor zu Folge bei einer erkenntnisarmen Beschreibung stehen. Medientechnische Praktiken der Selbstvermessung seien nun der Mentalität der römischen Antike näher, in der eine Beschäftigung mit dem Selbst vor allem über deskriptive und aufzeichnende Verfahren erfolgte, die jedoch über das Selbst nichts zu entbergen vermögen (vgl. 210ff). Ob dieser Dualismus eine wohlbegründete Differenz veranschaulicht oder lediglich einen medienkulturkritischen Vorwand darstellt, bleibt für mich trotz Dammbergers intensiver philosophischer Auseinandersetzung fraglich. Laura: Eine weitere identitätspolitische Sicht weist das Buch in der durch Tracking-Apps etablierten Annahme des Selbst als unternehmerisches, sich selbst optimierendes auf. In diesem Sinne wird die Emanzipation des Selbst durch Prozesse der Reflexion betont: Etwa in der Relationalität, die sich als das Erproben von Passungsverhältnissen, der Versicherung in einer unsicheren Welt, Selbstbeherrschung und Identitätssuche (vgl. S. 129) veräußert, wird mit Michel Foucault das Selbst schlussendlich eher implizit zwischen Ermächtigung und Unterwerfung lokalisiert. Robert: Immer wieder fällt diese Bewertung jedoch zu Gunsten der Unterwerfung aus: So wird z. B. im Beitrag von Simon Schaupp Selbstevaluation im Zuge einer "materialistischen Dispositivanalyse" (S. 227) sogar als Teil eines übergeordneten kybernetischen Paradigmas gedeutet. Was dabei – außer am Rande bei Martin Rode – keine Erwähnung findet, ist die Tatsache, dass man die Praktiken der QS-Bewegung nicht nur als Verlust einer reflexiven Fähigkeit der Selbsterkenntnis oder als Einspannung in ein kybernetisches System deuten kann, sondern dadurch auch – wie in der Einleitung im Sinne Nelson Goodmans beschrieben – neue "Weisen der Welterzeugung" (S. 16) entstehen können und sich das Selbst in diesen neuen Welten neu erfahren kann. Laura: Ergänzen würde ich dahingehend aber schon, dass die Beziehung zwischen Medium, Körper und Selbst in dem Sammelband als eine dynamische und wechselseitige erscheint, die jedenfalls in vielen der Fallstudien der Artikel als solche zumindest erwähnt wird. Dafür scheint insbesondere der in der Einleitung aufgerufene Begriff der Konstellationen interessant. KONSTELLATIONEN Robert: An das Denken in Konstellationen statt Entitäten wird in der Einleitung zwar vielversprechend herangeführt, der Anspruch der Autor*innen, die verschiedenen Begriffe und Dimensionen in relationalen Zusammenhängen zu denken, gelingt in den Artikeln jedoch nur mit Einschränkungen. So reduziert sich der theoretisch durchaus elaborierte Ansatz in den einzelnen Beiträgen zumeist auf bilaterale Gefüge von z. B. Körper und Selbst oder Selbst und Medium. Von der holistischen Geste der Einleitung bleibt daher häufig nur ein Fingerzeig. Laura: Da würde ich Dir nur teilweise zustimmen. Denn neben den wenig tiefen Texten, die unnötigerweise allgemeingültige Diagnostiken zum digitalen Zeitalter proklamieren möchten – so wie Karolin Eva Kappler, Eryl Noji und Uwe Vormbusch etwa die zeitgenössische Überwachungsgesellschaft, einen Verlust stabiler Selbstbilder und eine grundlegende Unsicherheit über den Wert der Dinge beklagen (vgl. S. 84) – gibt es immerhin Texte, die den vorübergehenden Charakter solcher Konstellationen betonen und Konstellationen auch jenseits bilateraler Konstrukte denken. Etwa der Beitrag von Martin Stern weist individuelle Performanzen von Skating-Posen stets als ein wechselseitiges Verhältnis in potentialis aus, das sich erst im Zusammenspiel von sportlicher Praxis, instantaner Videoaufnahme des moves und Weitertragen des Video-Materials in der community etabliert, das letztlich die Sportart selbst erst formen würde. Robert: Mein Eindruck ist jedenfalls, dass sich diese fehlende Relationalität auch in der asymmetrischen Gewichtung von Theorie und Analyse manifestiert. Die Darstellungen verharren häufig im Abstrakten und immer wieder verliert der theoretische Höhenflug die phänomenale Basis, von der aus gestartet wurde, aus dem Blick. So muss sich beispielsweise die Tauglichkeit des vielversprechenden Analysemodells, das Daniel Rode in seinem Beitrag entwickelt (vgl. S. 163ff), nie an einem Beispiel bewähren. Die wohltuende Ausnahme bildet hierbei der Beitrag von Benjamin Zander, der seine methodischen Überlegungen zu Gruppendiskussionen immer wieder an Fallbeispiele aus seiner eigenen Forschung zu "sport- und körperbezogene[n] Orientierungen von Jugendlichen" (S. 249) zurückbindet und dadurch den Mehrwert seiner Anregungen schlüssig plausibilisieren kann. Letztlich ist seine Aufmerksamkeit dabei aber auch eher 'Verhältnissen' als Konstellationen gewidmet. Laura: Zumindest in puncto Fallstudien verspricht der klar sozialwissenschaftlich grundierte Band tatsächlich einen Zugewinn: Viele der Artikel greifen auf Datenmaterial aus qualitativen Studien (oder Zwischenständen daraus) zurück und bieten somit eine konkrete Anwendung: So befragen Kappler, Noji und Vormbusch Menschen auf die konkrete Auswirkungen, die Vermessungstechnologien auf sie nehmen und Oswald befragt Personen auf das Immersionspotenzial ihrer Tinder-Nutzung, wodurch den Nutzer*innen zumindest vorübergehend eine Stimme gegeben wird. Gleichsam scheint der Rückbezug der Studien auf kulturwissenschaftliche bzw. -theoretische Fragestellungen, wie Du schon sagst, letztlich nur marginal repräsentiert. SCHLUSS Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass im medienwissenschaftlichen Blick auf den sport- und sozialwissenschaftlichen Band deutlich wird, dass hier nicht etwa, wie eingangs ausgewiesen, die facheigenen Gegenstände als "Beobachtungskategorie[n]" (S. 153) fungierten, um den tendenziell kulturkritischen Befürchtungen ein Gegenangebot machen zu können. Vielmehr hat der Band, der vom Spielerischen als mediale Praktik ausging und in seiner Einleitung eine thematische wie interdisziplinär anschlussfähige Basis eröffnet hat, einen ernsthaften Versuch der Bindung an die Diskurse seiner gewählten Gegenstände – die Medien – eher verpasst. Statt einer Heterogenität und Vielseitigkeit der Medialität, die sich im Titel über die Aufzählung "Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co." vielversprechend andeutete, beschäftigen sich die allermeisten Beiträge des Bandes ausschließlich mit Self-Tracking, wodurch die kulturellen Gefüge zwischen verschiedenen Praktiken leider ebenfalls aus dem Fokus geraten. Statt diese Relationalitäten und Konstellationen ernst zu nehmen, wird in den meisten Beiträgen zusätzlich die unterkomplexe Annahme von determinierenden – manipulierenden – Medien weitergereicht, statt von reziproken, ephemeren Verhältnissen auszugehen, die das digitale Zeitalter zuhauf prägen. Dass Publikationen dieser Art jedoch über ihre Sichtbarkeit im geisteswissenschaftlichen Fachgefüge, das sich nicht zuletzt auch durch das Publizieren in denselben Verlagen (hier: transcript) ergibt, zu interdisziplinären Diskussionen anregen (und auch anregen sollen!), sollte die kontroverse, dialogische Form unserer Rezension nachdrücklich betonen. Allein im interdisziplinären Dialog und im gegenseitigen Verständlichmachen fachspezifischer Anliegen, so denken wir, lassen sich die Schwierigkeiten lösen, die entstehen, wenn sich andere Fachdisziplinen selbstverständlicherweise medienwissenschaftlicher Gegenstände bedienen. Literatur: Duttweiler, Stefanie/Gugutzer, Robert/Passoth, Jan-Hendrik/Strübing, Jörg: Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierunsprojekt? Bielefeld: transcript 2016. Buschauer, Regine/Willis, Katharine S.: Locative Media. Medialität und Räumlichkeit – Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung der Medien / Multidisciplinary Perspectives on Media and Locality. Bielefeld: transcript 2013. Ruf, Oliver: Smartphone-Ästhetik. Zur Philosophie und Gestaltung mobiler Medien. Bielefeld: transcript 2018.
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Das 34. Film- und Fernsehwissenschaftliche Kolloquium fand vom 24. bis 26. März 2021 pandemiebedingt erstmals als Onlineausgabe statt. Vor dem Hintergrund einiger Planungsherausforderungen, die sowohl dem Organisationsteam als auch den Teilnehmer_innen Flexibilität und Kreativität abverlangten, haben die 55 Vortragenden und weitere Gäst_innen jedoch trotzdem ein vielfältiges Tagungs- und Rahmenprogramm gestaltet. Durch das Onlineformat konnte das FFK sogar einen wesentlichen Teil dazu gewinnen: Auch für Teilnehmer_innen ohne Vortrag war das Zuschalten zu den Veranstaltungen sowohl über Zoom als auch zum digitalen Foyer auf gather.town jederzeit und niedrigschwellig möglich. Von dem Angebot der Onlineteilnahme haben über 100 Zuhörer_innen über drei Tage verteilt Gebrauch gemacht, wodurch auch das 34. FFK zu einem Raum für spannende und anregende wissenschaftliche und fachpolitische Diskussionen sowie für die Vernetzung unter Nachwuchswissenschaftler_innen aus den bereichen der Film- und Medienwissenschaft wurde. Das ffk Journal 7 versammelt nun schließlich elf aus den Vorträgen und Panels hervorgegangene Aufsätze in deutscher und englischer Sprache sowie einen Epilog zur Namensänderung der selbstorganisierten Nachwuchstagung, die künftig den Titel "FFK – Film- und Medienwissenschaftliches Kolloquium" tragen wird.
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