Politische Partizipation und Medienwandel hängen im Internetzeitalter eng miteinander zusammen. Der Medienwandel kann einerseits Veränderungen in der politischen Beteiligung bedingen, andererseits kann die Ausgestaltung politischer Beteiligung wiederum den Medienwandel vorantreiben. Dabei sind mannigfaltige Ausdrucksformen der politischen Partizipation im und jenseits des Internets denkbar, wobei es von der jeweiligen Wissenschaftsdisziplin abhängt, wo man die Trennlinie zwischen politischer Partizipation oder Nicht-Partizipation zieht. Dieser Band beschäftigt sich mit aktuellen normativen sowie empirischen Fragen zur politischen Partizipation an der Schnittstelle zwischen Politik- und Kommunikationswissenschaft. Zum einen erweitert der Band unser Wissen über mögliche theoretische, auch interdisziplinäre Perspektiven und Einflussfaktoren, die die politische Beteiligung von "normalen" Bürgerinnen und Bürgern in ihren zahlreichen Facetten wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen. Zum anderen betrachtet ein weiterer Schwerpunkt des Bandes auch die Partizipationsbemühungen politischer Akteure, die Wähler- bzw. Anhängerschaft anzusprechen, zu informieren oder gar zu mobilisieren. Schließlich werden auch die Inhalte politischer Online-Beteiligung erörtert, deren Qualität und deren negative Begleiterscheinungen ebenso, wie mögliche Ursachen und Konsequenzen von mehr oder weniger Qualität.
In: New media & society: an international and interdisciplinary forum for the examination of the social dynamics of media and information change, Band 26, Heft 2, S. 921-940
Civil and argumentative public discussions are considered crucial for functioning democracies. Among other factors, the quality of user discussions of political issues on news sites depends on prevalent discussion norms. We integrate injunctive and descriptive norms into news comment research, assuming that the degree of salience of the respective norm influences the commenting behavior. Furthermore, we discuss how technical affordances such as default comment sorting determine the comment visibility and thus the salience of norms. Using data from a content analysis of 8162 comments on eight German news sites, we investigate how the two norm types influence deliberative forms of commenting. The results show that different types of salient injunctive and descriptive norms promote norm-compliant commenting. Furthermore, the default comment sorting can determine which comments are more or less salient. The results underline the importance of distinguishing different norm types in analyzing the quality of user comments in comment sections.
Trotz der hohen Vielfalt und Allgegenwart an Möglichkeiten, der eignen Meinung online Ausdruck zu verleihen, sind viele Menschen nicht oder nur begrenzt bereit, sich daran zu beteiligen. In diesem Beitrag wird daher am Beispiel von Facebook untersucht, warum politische Partizipationsangebote nicht genutzt werden. Dafür werden die etablierten Erklärungen aus dem Civic Voluntarism Model mit spezifischen, auf die Partizipation bei Facebook bezogenen Prädiktoren ergänzt. Zur Überprüfung der Annahmen wird eine Online- Befragung mit n = 463 Personen durchgeführt. Insbesondere Befürchtungen von Folgen im Offline-Bereich sowie eines hohen Aufwandes und eine negative Einschätzung der von politischen Institutionen angebotenen Inhalte können erklären, warum diese Personen Facebook nicht zur politischen Partizipation nutzen. Weitere Prädiktoren sind eine geringe Nutzung von Offline-Partizipationsformen und eine geringe Sichtbarkeit politischer Posts auf der Facebook-Startseite.
Die Einführung gibt dem Tagungsband 'Politische Partizipation im Medienwandel' einen Rahmen. Zunächst werden politik- und kommunikationswissenschaftliche Vorstellungen des Begriffs politischer Partizipation zueinander in Beziehung gesetzt, da die Beiträge teilweise ein unterschiedliches Begriffsverständnis zugrundelegen. Anschließend werden relevante Entwicklungen des Medienwandels skizziert, wobei das Internet und seine integrierten Kommunikationsplattformen im Mittelpunkt stehen. Aufbauend auf diesem Rahmen wird abschließend versucht, die einzelnen Beiträge des Tagungsbandes in thematischen Schwerpunkten und in den größeren Gesamtzusammenhang einzuordnen.
Ausgehend von der Gleichzeitigkeit von Tendenzen einer fortschreitenden Politisierung der Gesellschaft und Entpolitisierung der Politik reflektiert der Beitrag aus einer normativen Sicht politik- und demokratietheoretische Implikationen des Wandels bürgerschaftlicher Aktivitäten hin zu web-basierten Formen von Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftlichem Engagement. Inwiefern, so wird mit Rekurs auf ein an den Theorien von Arendt und Marchart orientiertes Verständnis politischen Handelns gefragt, führt mehr Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern in webgestützten staatlichen Konsultationsangeboten, den deliberativen "invited spaces" im Internet, und in den von Bürgerinnen und Bürgern bottom-up geschaffenen "invented spaces" zu einer Stärkung und Ausweitung "politischer" Räume und "politischen Handelns"? Exemplarisch wird in dem Zusammenhang auf Defizite der Partizipation in Verfahren kommunaler Bürgerhaushalte sowie der Beteiligung an Petitionsaufrufen auf themenunspezifischen Kampagnenplattformen wie Change.org eingegangen.
In Zeiten marktwirtschaftlicher Überformung demokratischer Entscheidungsverfahren und wachsender politischer Apathie eröffnen Soziale Netzwerke die Chance, die hierarchischen Strukturen des Top-Down-Wahlkampfs zu durchbrechen. In einem weiten Verständnis politischer Partizipation wird die Artikulation von Aufmerksamkeit zur digitalen Währung politischer Beteiligung und dient den Parteistrateginnen und -strategen gleichermaßen als Gradmesser für den Erfolg ihrer Kampagne. Der Beitrag untersucht dazu die strategischen Bausteine der Facebook-Kampagne deutscher Parteien zur Bundestagswahl 2013 mittels inhaltsanalytischer Daten zu 3.076 Postings und bringt diese mit den Reaktionszahlen der Nutzerinnen und Nutzer zusammen. Als zentrale Erkenntnis lässt sich festhalten, dass die Facebook-Fans der Parteien vor allem traditionelle Strategiekomponenten mit hoher Beteiligung honorieren. Insgesamt finden sich kaum Hinweise auf eine nachfrageorientierte Kampagnenführung, dafür aber deutliche Unterschiede zwischen etablierten und Newcomer-Parteien.
Personen mit Migrationshintergrund weisen ein niedrigeres Partizipationsniveau auf als die einheimische Bevölkerung. Die Ursachen hierfür sind bisher kaum untersucht. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob die Mediennutzung, die sich als eine Triebfeder politischer Partizipation erwiesen hat, bei Personen mit Migrationshintergrund ähnliche Einflüsse ausübt wie bei der einheimischen Bevölkerung. Sollte dies der Fall sein, könnten unterschiedliche Mediennutzungsmuster auch Unterschiede in der politischen Partizipation erklären. Eine Sekundäranalyse zeigt, dass eine häufige TV-Nutzung einen negativen Einfluss und die Internetnutzung einen positiven Einfluss auf die politische Partizipation ausüben. Das unterschiedliche Partizipationsniveau von Personen mit und ohne Migrationshintergrund kann allerdings vor allem durch Ressourcen und motivationale Faktoren erklärt werden.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren das Ausmaß von Inzivilität und argumentativer Qualität in Nutzerkommentaren beeinflussen. Kognitives und affektives Involvement werden als zentrale Triebfedern für das Verfassen von Nutzerkommentaren identifiziert. Wir vermuten, dass realweltliche, medien- und diskussionsimmanenten sowie situative Faktoren das Ausmaß kognitiven sowie affektiven Involvements und darüber vermittelt auch das Kommentierverhalten beeinflussen. In einer Inhaltsanalyse von Nutzerkommentaren unter Onlineartikeln zu Tarifkonflikten auf bild.de und spiegel.de aus dem Jahr 2015 untersuchen wir den relativen Einfluss der verschiedenen Faktoren auf das Ausmaß an Inzivilität und argumentativer Qualität in Onlinediskussionen. Insbesondere die situativen Faktoren entscheiden darüber, inwieweit Nutzende inzivil oder diskursiv kommentiert. Allerdings schließen sich Inzivilität und argumentative Qualität keineswegs aus.
Im Mittelpunkt steht die Frage, mit welchen Strategien direkter Wahlkampfkommunikation politische Parteien Wählerinnen und Wähler durch persönliche Kontakte und über ihre Social-Media-Kampagnen im Wahlkampf zur politischen Partizipation anregen. Die theoretische Basis bilden zum einen Erkenntnisse aus der Partizipationsforschung; zum anderen ziehen wir Befunde zu Strategien und Wirkungen direkter Parteienkommunikation in vergangenen Wahlkämpfen heran, da sie Rückschlüsse über - intendierte - Wirkungsweisen und -potenziale direkter Parteienkommunikation im aktuellen Wahlkampf ermöglichen. Die empirische Grundlage bildet eine qualitative, systematisierende Befragung von Wahlkampfexpertinnen und -experten (u.a. Leitung der Kampagnenplanung oder des Bereichs Strategische Kommunikation) der Bundesparteien CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke sowie der AFD im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs 2017. Die Interviews zeigen, dass die Parteien zur Partizipationsförderung vor allem auf unidirektionale informationale Strategien setzen; v. a. unterhalb der Stimmabgabe bleiben Mobilisierungspotentiale ungenutzt. Die Rolle der politischen Akteure als "agents of mobilization" wird in dieser Hinsicht möglicherweise zu eng im Sinne von "agents of electoral mobilization" verstanden.
Der Einfluss struktureller Vorteile - wie finanzielle Ressourcen - auf den Erfolg politisch Agierender auf Social Media-Plattformen kann sich je nach Plattform unterscheiden. Da Facebook im Vergleich zu Twitter eher sozialen Offline-Netzwerken entspricht, müssten strukturelle Vorteile hier einen größeren Einfluss haben (Normalisierungsthese), während der Themenfokus auf Twitter mehr Möglichkeiten für strukturell benachteiligte politisch Agierende bietet (Angleichungsthese). Die empirische Studie kontrastiert 246 Schweizer Parlamentsmitglieder und die elf Parteien bezüglich ihrer persönlichen und strukturellen Charakteristika sowie ihres Erfolgs (digitale Anhängerschaft und deren Reaktionen). Basierend auf einer Analyse von 24.234 Facebook-Beiträgen und 99.579 Tweets zeigen sich auf Parteiebene für Facebook die erwarteten Normalisierungstendenzen, für Twitter Angleichungstendenzen. Einzelne strukturell benachteiligte Parlamentsmitglieder können mit ihren Kontrahentinnen und Kontrahenten mithalten, nur ihre geringe mediale Präsenz wirkt sich hemmend aus.
Deliberation setzt klassischerweise voraus, dass Positionen argumentativ und in respektvoller Weise aufeinander bezogen und verteidigt werden. Andere Konzepte von Deliberation schließen außerdem Narrationen, Emotionen und Humor ein. Während beide, klassische und inklusive Konzepte, gute Argumente für ihre Sichtweise vorgestellt haben, bleiben die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Deliberationsmerkmalen unklar. Der Beitrag untersucht, inwieweit sich einzelne Merkmale klassischer und inklusiver Deliberationskonzepte gegenseitig ausschließen oder ergänzen. Eine quantitative Inhaltsanalyse von Nutzerkommentaren auf Facebook und Beteiligungsplattformen zeigt, dass Humor nicht mit Begründungen und Respekt einhergeht, negative Emotionen ebenfalls zusammen mit Respektlosigkeiten auftreten, wogegen positive Emotionen und Narration mit Reziprozität und Respekt einhergehen. Der Vergleich zwischen verschiedenen Plattformen zeigt, dass Merkmale klassischer und inklusiver Deliberationskonzepte vor allem in den Beteiligungsplattformen zusammen auftreten.
Inzivilität in Nutzerkommentaren kann sich negativ auf die Einstellungen von Rezipierenden auswirken. Inwieweit solche Kommentare auch das reale Verhalten der Lesenden beeinflussen, ist bislang weitgehend ungeklärt. Die vorliegende Studie untersucht deshalb die Auswirkungen von Hasskommentaren unter journalistischen Artikeln über Geflüchtete auf das prosoziale Verhalten von Rezipierenden. Basierend auf der Theory of Planned Behavior und auf Forschung zu sozialen Gruppenidentitäten wird mit einem Online-Experiment gezeigt, dass Hasskommentare gegen Geflüchtete – vermittelt über die Einstellungen der Rezipierenden – den tatsächlich gespendeten Betrag für eine Flüchtlingshilfsorganisation reduzieren. Gleichzeitig erhöhen Hasskommentare die Spende an eine Hilfsorganisation für Obdachlose. Für negative, aber zivil formulierte Kommentare finden sich keine vergleichbaren Effekte. Diese Befunde implizieren eine identitätsbasierte Polarisierung des prosozialen Verhaltens durch Hasskommentare.
Hasskommentare in sozialen Medien und in den Kommentarbereichen von Nachrichtenwebseiten haben zu einer Debatte über inzivile Formen politischer Online-Partizipation geführt. Im vorliegenden Beitrag untersuchen wir, wie Devianzmerkmale und Neutralisierungstechniken in potenziellen Hasskommentaren die Bewertung und das Melden solcher Kommentare durch die Nutzenden beeinflussen. Dabei unterscheiden wir Kommentare nach Art der Normverletzung, Subtilität, Opfertyp und dem Vorhandensein von Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Ergebnisse einer Online-Befragung (n = 457), die ein wahlbasiertes Conjoint-Design beinhaltete, legen nahe, dass Gewaltaufrufe mit höherer Wahrscheinlichkeit gemeldet werden als Verschwörungstheorien, Gerüchte, Beleidigungen und Agitation. Direkte Normverstöße wurden häufiger gemeldet als indirekte Normverletzungen. Hasskommentare wurden eher akzeptiert, wenn sie eine Rechtfertigung oder Entschuldigung enthielten. Der Opfertyp hatte keinen Einfluss auf die Bewertung und das Melden von Hasskommentaren.