Die historische Pädagogik in Ungarn. Geschichte und heutiger Stand = The Historical Educational Research in Hungary. His History and Actual Position
Abstract: The paper presents the field of history of education in Hungary, analysing the central periods in the development of historical educational research in Hungary since the 19th century. In the first period since the end of the 19th century the history of education has been adopted in Hungary too as a subject of instruction in teachers' education. This subject of history of education, with its bibliography and literarature has built an acadmeic model which is operative still today. However, since the 1970s and 1980s the educational sciences have a research method, whic is more oriented towards social science. The historiography of educational research and writing in Hungary has been responsive to this international trends from the early 1990s. The second part of the paper is focused on an outline of the present state of the art and trends in the Hungarian development, with the main agents, important works, institutional contexts and methodological debates. Keywords: history of education; history of historical educational research in Hungary; periods of development; major works; methodological debates. Espacio, Tiempo y Educación, v. 3, n. 1, January-July 2016, pp. 85-110. ISSN: 2340-7263 Die historische Pädagogik in Ungarn. Geschichte und heutiger Stand The Historical Educational Research in Hungary. His History and Actual Position András Németh e-mail: nemeth.andras@ppk.elte.hu Eötvös Loránd University. Hungary Zusammenfassung: Der Aufsatz gibt einen Überblick über die Hauptperioden der ungarischen historischen Pädagogik in ihrer Geschichte seit dem 19. Jahrhundert. In der ersten Periode wurde sie dann seit der Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Lehrfach der Lehrerbildung. Das Fach und sein Literatur haben einen Kanon gebildet, der bis heute wirksam ist. Seit den 1970er und 1980er Jahren hat sich auch in der Erziehungswissenscheften eine neue sozialwissenschaftlich orientierte Historische Forschung herausbildet, derer internationale Trends begann die ungarische historische Pädagogik seit Anfang der 1990er Jahren zu rezipieren. In dem zweiten Teil wird der heutige Stand dieser Entwicklungsperiode mit den Hauptakteuren, institutionellen Kontexten, grundlegenden Werken, theoretisch- methodischen Debatten dargestellt. Schlüsselwörter: Erziehungsgeschiche; Geschichte der historischen Pädagogik in Ungan; Entwichlungsperioden; Hauptwerke; methodische Debatten. Abstract: The paper presents the field of history of education in Hungary, analysing the central periods in the development of historical educational research in Hungary since the 19th century. In the first period since the end of the 19th century the history of education has been adopted in Hungary too as a subject of instruction in teachers' education. This subject of history of education, with its bibliography and literarature has built an acadmeic model which is operative still today. However, since the 1970s and 1980s the educational sciences have a research method, whic is more oriented towards social science. The historiography of educational research and writing in Hungary has been responsive to this international trends from the early 1990s. The second part of the paper is focused on an outline of the present state of the art and trends in the Hungarian development, with the main agents, important works, institutional contexts and methodological debates. Keywords: history of education; history of historical educational research in Hungary; periods of development; major works; methodological debates. Recibido / Received: 09/01/2016 Aceptado / Accepted: 17/01/2016 Cómo referenciar este artículo / How to reference this article Németh, A. (2016). Die historische Pädagogik in Ungarn. Geschichte und heutiger Stand. Espacio, Tiempo y Educación, 3(1), 85-110. doi: http://dx.doi.org/10.14516/ete.2016.003.001.6 26/1. oldal 26/2. oldal 86 András Németh Espacio, Tiempo y Educación, v. 3, n. 1, January-July 2016, pp. 85-110. ISSN: 2340-7263 1. Einführung Das Forschungsfeld der historischen Pädagogik entwickelte sich weltweit im Rahmen eines akademischen Institutionalisierungsprozesses wie die Einrichtung selbständiger Lehrstühle für die Geschichte der Pädagogik, die Gründung von Fachzeitschriften und die Organisation von Fachkongressen – vor allem seit den 1960er Jahren. Diese Prozesse verstärkten sich dann in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, und führten zu einer «erstaunliche(n) Karriere» (Tenorth 1996, S. 343). Das Forschungsfeld der neuen wissenschaftlich anerkannten Teildisziplin wurde erweitert, und es entstanden überaus produktive interdisziplinare Verbindungen. Seit dieser Zeit wurden neue bzw. erneuerte Zeitschriften gegründet (z.B. seit 1961 History of Education Quarterly, seit 1972 History of Education in England, seit 1978, Histoire de l'éducation, seit 1990 in neuer Serie Paedagogica Historica in Belgien, in Deutschland seit 1993 Das Jahrbuch für historische Bildungsforschung, seit 1994 in der Schweiz die Zeitschrift für Pädagogische Historiographie), und ein reiches internationales Konferenzleben entstand (am wichtigsten seit 1978 die International Standing Conference for the History of Education). Das Forschungsfeld wurde methodisch wie konzeptionell fest etabliert, die Forschungen der historischen Pädagogik in den einzelnen Länder (insbesondere in Belgien, Deutschland, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal) wurden von den nationalen Forschungsfonds gefördert, und die Erträge der Forschungen wurden in zahlreichen Monographien, Hand- und Lehrbüchern und in Zeitschriftsbeiträgen dokumentiert (Vgl. Heinemann, 1979; Wolff, 1986; Fuchs, 2010, S. 703.; Tenorth, 1996, S. 344; Tenorth, 2010, S. 135-136). Wenn man die Verbreitung dieser Tendenzen nach Osten hin überblickt, kann man leicht erkennen, dass die osteuropäische Lage vor 1989 als ein Spezialfall zu betrachten ist. Bis zu dieser Zeit herrschte im gesamten Ostblock, und so auch in Ungarn, eine monolitische marxistisch-leninistische Interpretation auch in der Erziehungswissenschaft bzw. in ihrer Teildisziplin, in der sogenannten sozialistischen Erziehungsgeschichte, die theoretisch wie auch metodologisch an diesen Rahmen gebunden und so von den westlichen Entwicklungslinien fast völlig abgeschottet war. In Ungarn gelang eine nennenswerte Ausweitung der neuen wissenschaftlichen Gesichtspunkte erst in den 1980er Jahren, und zwar nach der Milderung des politischen Drucks des Kadar-Regimes. Erst nach der Wende begann eine wirklich neue Epoche, in der die historische Pädagogik auch in Ungarn einen wichtigen Platz in der akademischen Lehre einzunehmen begann, insbesondere in der Lehrerbildung. Unser Beitrag verfolgt zwei Ziele: Einerseits geht es darum, einen Überblick über die ungarische historische Pädagogik in ihrer Geschichte, ihrem internationalen 26/2. oldal 26/3. oldal 87 Die historische Pädagogik in Ungarn. Geschichte und heutiger Stand Espacio, Tiempo y Educación, v. 3, n. 1, January-July 2016, pp. 85-110. ISSN: 2340-7263 Kontext und die Rezeptionstendenzen zu geben, andererseits einen Einblick in die unterschiedlichen aktuellen Perspektiven dieser Teildisziplin zu vermitteln. Daraus ergibt sich folgender Aufbau: in einem historischen Kapitel werden die zentralen Etappen mit ihren jeweiligen Hauptakteuren und deren grundlegende Werke vorgestellt. So kann aufgezeigt werden, dass die ungarische Geschichte der pädagogischen Historiographie eine Rezeptionsgeschichte vor allem deutscher Entwicklungen beinhaltet, die aber zugleich als eine kreative Adaptationsleistung anzusehen ist. Die Entwicklung nach der Wende 1989 und der heutige Stand wird dann detailliert im darauf folgenden Abschnitt dargestellt. Darin werden die aktuellen Tendenzen mit ihren institutionellen Kontexten und ihren Richtungen in Verbindung mit den grundlegenden theoretisch-methodischen Debatten aufgezeigt, durch die sich die historische Pädagogik in den letzten 20 Jahren und in der Gegenwart als ein anerkannter Bereich der ungarischen Erziehungswissenschaft etablieren konnte. Ihre nun auch internationale Bedeutung zeigt sich darin, dass sie mit zahlreichen Werken und Forschern thematisch vielfältig und erfolgreich in die internationale Forschungslandschaft integriert ist. 2. Kurze Historiographie der Erziehungsgeschichte in Ungarn – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Wende 1989 Der historische Gesichtspunkt hat in der wissenschaftlichen Pädagogik vor allem in Deutschland eine seit dem 18. Jahrhundert andauernde Tradition. Nach diesen Vorbildern wurde die Erziehungsgeschichte in ganz Mitteleuropa rezipiert, so auch in Ungarn. Erziehungsgeschichte wurde schon im 19. Jahrhundert zum grundlegenden Lehrfach in der Lehrerbildung und parallel dazu zu einem Teilgebiet der in dieser Zeit schon selbständigen theoretischen Pädagogik. Der Ausbau des Schulwesens und mit diesem der Ausbau der Lehrerbildung sowie die Anfänge der Etablierung der Pädagogik als Universitätsdisziplin – diese beiden Faktoren können als die wichtigsten Faktoren der in Frage stehenden Entwickung angesehen werden. Dieser Prozess vollzieht sich seit etwa dem Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Wende zum 20. Jahrhundert in den verschiedenen Regionen Europas mit einer gewissen zeitlichen Verschiebung parallel zur Entstehung der modernen Nationalstaaten. Die neuen Wissenschaften haben den Schulkanon der höheren und dann auch der elementaren Bildung mitgeformt. Allmählich und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die Form eines sekularen Schulwesens durch. Das grundlegende länderspezifische Merkmal der ungarischen Entwicklung bestand darin, dass die Entfaltung des modernen nationalen Schulwesens seit dem 18. Jahrhundert parallel mit der Entwicklung des österreichischen Bildungswesen stattfand. Die Ursprünge der Gemeinsamkeiten in der Schulentwicklung beider 26/3. oldal 26/4. oldal 26/1 65 Társítás András Németh (andrasnemeth0@gmail.com) 65 megjelenítése.