Marcus Böick und Marcel Schmeer (Hrsg.): Im Kreuzfeuer der Kritik - Umstrittene Organisationen im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2020. 978-3-593-51039-2
In: Shofar: a quarterly interdisciplinary journal of Jewish studies ; official journal of the Midwest and Western Jewish Studies Associations, Band 30, Heft 1, S. 189-191
Der erstmals 1942 und 1944 in stark erweiterter Form erschienene "Behemoth" Franz Leopold Neumanns bildete einen Höhepunkt der NS-Interpretation exilierter deutscher Wissenschaftler. Neumann, Jahrgang 1900, hatte in Frankfurt am Main bei Hugo Sinzheimer studiert, war 1928 nach Berlin gekommen, hatte dort eine Anwaltspraxis eröffnet und an der Deutschen Hochschule für Politik gelehrt. Er stand dem linken Flügel der SPD nahe, war ein unnachgiebiger Kritiker des Nationalsozialismus und wurde gleich nach dem 30. Januar 1933 verhaftet.
Von 1929/30 an wuchs die NSDAP von einer Splitterpartei zu einer Massenbewegung, in deren Apparaten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nahezu zwei Drittel der deutschen Bevölkerung organisiert waren. Der Verfasser sucht auf der Basis der neueren Forschung nach Antworten auf die Frage, wie eine solche beispiellose Expansion möglich war. Dabei identifiziert er vier Formen des Sozialen, die jeweils eine bestimmte Entwicklungsphase der NSDAP dominieren: (1) Beginn auf der Basis nachbarschaftlicher und freundschaftlicher Interaktionen; (2) Protestbewegung als Fundamentalopposition gegen die Weimarer Republik; (3) Ausbau der Partei zu einer formalen Organisation; (4) Zustrom neuer Mitglieder im Zuge der Gleichschaltung von Organisationen und Verbänden, Ausdifferenzierung bürokratischer Apparate. Insgesamt setzte die NSDAP einen Prozess in Gang, der über Inklusion und Exklusion auf eine schleichende Überwindung des Primats funktionaler Differenzierung hinauslief. (ICE2)
Gegenstand der Untersuchung sind die Kreisleiter der NSDAP auf dem Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937. Der Verfasser untersucht Lebenswege und Mentalitäten der Kreisleiter, ihre Stellung innerhalb der NSDAP und charakteristische Merkmale, die Funktionäre in einer faschistischen Partei im Vergleich mit anderen Gruppen von Funktionären auszeichnen. Die Kreisleiter zeichneten sich durch ein homogenes Profil hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft (Mittelschicht) und ihrer politischen Sozialisation (Propaganda für die NSDAP) aus. Sie agierten in einem dichten Netz persönlicher, charismatisch strukturierter Beziehungen (klientelistische Gaucliquen). Ihre Funktion als Parteipropagandisten wurde nach der Machtergreifung durch die Übernahme staatlicher und kommunaler Befugnisse überlagert. Insofern sind sie ein wichtiges Moment der Bürokratisierung einer charismatischen Bewegung. Darüber hinaus blieben sie Dreh- und Angelpunkt einer spezifisch nationalsozialistischen Gewalt gegen sogenannte Regimegegner. Diese Gewaltpraxis sowie ein ausgeprägter Sozialpopulismus sind die entscheidenden Charakteristika des NS-Funktionärs. (ICE2)
Der erstmals 1942 und 1944 in stark erweiterter Form erschienene "Behemoth" Franz Leopold Neumanns bildete einen Höhepunkt der NS-Interpretation exilierter deutscher Wissenschaftler. Neumann, Jahrgang 1900, hatte in Frankfurt am Main bei Hugo Sinzheimer studiert, war 1928 nach Berlin gekommen, hatte dort eine Anwaltspraxis eröffnet und an der Deutschen Hochschule für Politik gelehrt. Er stand dem linken Flügel der SPD nahe, war ein unnachgiebiger Kritiker des Nationalsozialismus und wurde gleich nach dem 30. Januar 1933 verhaftet. Wenige Wochen später gelang ihm die Flucht nach Großbritannien, wo er an der London School of Economics ein (Zweit-)Studium der Politischen Wissenschaften aufnahm. 1936 übersiedelte Neumann in die USA und trat in Max Horkheimers Institute of Social Research ein, das nach New York verlegte Frankfurter Institut für Sozialforschung.
Der Autor untersucht die «funktionalistische» Interpretation des «Dritten Reiches», die Martin Broszat, der am 14. Oktober 1989 verstorbene Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, in seinen wissenschaftlichen Beiträgen zur Geschichte des Nationalsozialismus entwickelt hat. Dabei fragt er nach den Möglichkeiten, die Broszats «Funktionalismus» für eine Gesamtdarstellung zur Geschichte der NSDAP zwischen 1933 und 1945 eröffnet. In diesem Zusammenhang zeigt er, wie Broszats Strukturanalyse zur NSDAP in der Weimarer Republik, die er in seiner schon 1969 erschienenen Monographie Der Staat Hitlers entwickelt hat, zum Ausgangspunkt für eine Gesamtdarstellung der NSDAP für die Zeit nach 1933 genommen werden kann. Aus ihr verspricht sich der Autor wiederum neue Erkenntnisse über Struktur und Funktionsweise des nationalsozialistischen «Führer Staates» selbst.