ZusammenfassungIn der Öffentlichkeit durch das verwandte Thema des Kolonialismus überschattet, haben Imperien dennoch in den letzten zwei Jahrzehnten ein zunehmendes Interesse gefunden, bei dem sich die Geschichtswissenschaft und die Sozialwissenschaften berühren. Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat das Thema "Imperien" und "Imperialismus" erneut und unübersehbar auf die Tagesordnung gesetzt. Der Beitrag nimmt eine Vorstellung und Kritik der 2021 erschienenen "Oxford World History of Empire" zum Anlass für eine breitere Skizzierung imperientheoretischer Grundpositionen im Spannungsfeld zwischen Geopolitik und Kulturgeschichte. Die ambitionierte Einleitung des Werkes wird mit einer Reihe ähnlicher programmatischer Texte aus den letzten Jahren verglichen. Die kritische Bilanz dieser Versuche, dem ausufernden Thema "Imperien" gerecht zu werden, führt zu eher skeptischen Schlussfolgerungen. Ein Höhepunkt an intellektueller Raffinesse war in einigen Büchern erreicht worden, die um 2010 erschienen. Die "Oxford World History of Empire" bleibt hinter diesem Niveau zurück.
Die Große Transformation war keineswegs, wie man heute oft glaubt, durchweg mit politischer Liberalisierung oder gar Demokratisierung verbunden. Industrie führt nicht notwendig zu Demokratie. In Großbritannien und den USA hatte politische Liberalität vorindustrielle Wurzeln. Auch die Französische Revolution war kein Resultat von Industrialisierung. Sie hatte im Übrigen nur begrenzt liberale Wirkungen; Frankreich brauchte weitere neun Jahrzehnte, bis es zu einer funktionierenden demokratischen Ordnung fand. Im Deutschen Kaiserreich, in Japan und im zarischen Russland wurden autoritäre Strukturen durch fortschreitende Industrialisierung nur wenig erodiert. In der Sowjetunion nach 1928, im Deutschland der Vorkriegsaufrüstung oder in der Volksrepublik China seit den achtziger Jahren koexistierten industrielle Dynamik und politischer Autoritarismus. Aus diesem Befund lässt sich keine gehaltvolle Prognose für künftige Transformationen ableiten, aber doch ein Rat zur Nüchternheit: Gewiss fördern demokratische Entscheidungsprozeduren, Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung und rechtsstaatliche Sicherheit rationale und gemeinwohlverträgliche Problemlösungen. Dies ändert aber nichts daran, dass die einzelnen Felder möglichen Fortschritts entkoppelt sind, dass sie nur labil miteinander zusammenhängen. Transformationen scheinen Visionen zu erfordern, realisierbare Utopien, ausgearbeitete Gesellschaftsmodelle, kollektive Ziele von solcher Mobilisierungskraft, dass zähe Gewohnheiten - etwa eine konsumistische Lebenseinstellung - korrigiert werden können. (ICF2)