Die Sozialwissenschaften denken und beschreiben Gesellschaft und produzieren damit Wissen über soziale Ordnungen. Dieses Wissen spielt eine wichtige Rolle für die vielfältigen Ordnungen und Um-Ordnungen des Sozialen. In diesem Band werden Praktiken, Bilder und Semantiken untersucht, anhand derer sich Wissenschaftler, Politiker und andere Akteure in den USA, Großbritannien und Deutschland über den Aufbau von Gesellschaft verständigten. Die Beiträge geben auf diese Weise Aufschluss über den Umgang mit sozialer Differenz im 20. Jahrhundert.
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Main description: Migrationskontrolle ist im Zeichen von Terrorbekämpfung und Sicherheitsdenken aktueller denn je. Wie Staaten ihre Grenzen kontrollieren, warum und auf welche Weise sie Reisende überprüfen, ein- oder aus¬schließen – diese Fragen wurden bereits in den 1880er Jahren rege diskutiert. Das 19. Jahrhundert brachte ungeahnte Formen weltweiter Mobilität mit sich, und Staaten griffen vermehrt in Wanderungsprozesse ein. Christiane Reinecke beleuchtet dieses Spannungsverhältnis zwischen Offenheit und Abschirmung anhand der britischen und deutschen Migrationspolitik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dabei wird deutlich, wie die ordnenden Ambitionen der Bürokratie sich mit nationalistischen bzw. rassistischen Denkweisen verschränkten, in ein verstärktes Bedürfnis nach staatlicher Kontrolle mündeten und so der Freizügigkeit Grenzen setzten.
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Front Matter --Teil I: Die Herausbildung Zweier Migrationsregime, 1880 bis 1914 --2. Zur Abwehr fremder Körper: Die Gesundheitskontrollen an den Grenzen --3. Arbeitsmarktkontrollen in Preußen -- Grenzkontrollen in Großbritannien: Das deutsche und britische Migrationsregime --4. Die Entfernung der Lästigen aus dem Staatsgebiete: Ausweisungen als Instrumente der Migrationskontrolle --Teil II: Kontrollsysteme in Zeiten des Krieges, 1914 bis 1918 --Teil III: Migrationsregime Nach dem Ersten Weltkrieg --Fazit --Back Matter.
Um sich ein Bild von den Problemen ihrer Gegenwart zu machen, zog es die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert immer wieder in konkrete urbane Räume. Sie machten urbane Problemzonen wie periphere Großsiedlungen oder Barackenlager zu Experimentierfeldern für die Beobachtung von und Arbeit an gesellschaftlichen Veränderungen. Um diese Faszination geht es in der Studie von Christiane Reinecke, die darin für einen räumlich situierten, wissensbasierten Blick auf soziale Ungleichheit plädiert. Sie untersucht, wie sich in Frankreich und der Bundesrepublik der Umgang mit urbanen Problemlagen im Zeichen von urbaner Modernisierung, Dekolonisation und Deindustrialisierung wandelte. Den Abschied von der Klassengesellschaft und die ethnische Diversifizierung der westeuropäischen Gesellschaften seit den 1950er Jahren verankert sie im Nahraum Stadt und entwirft damit eine andere, urbane Erzählung sozialer Ungleichheit.
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AbstractConcentrating on the production of knowledge of poverty and homelessness, this article discusses how particular spatial settings influenced the construction of social problems in the 1960s and 1970s. Exploring the practices of three kinds of knowledge producers – social scientists in academic circles, 'practitionerscumactivists' engaging in advocacy research and experts in governmental committees – the analysis focuses on the early stages of a rediscovery of poverty in Western Europe as it was debated in international fora as well as in West Germany and France. It shows that the way in which poverty was represented as a new challenge to Western 'affluent societies' was in many respects an urban story, as the ongoing housing crisis and newly defined problem areas served as major points of reference for the revived interest in social deprivation. Moreover, urban actors – locally active NGOs and municipal authorities – played a preeminent role in launching debates on the apparent paradox of poverty in affluence. With their own work often grounded in particular urban problem zones, many contemporary observers tended to spatialise poverty. For them, poverty was bound to particular places; it was an exceptional sphere that helped generate a particular behaviour that made it difficult for 'the poor' to rise. While a growing part of the population had access to housing of a standard previously reserved to the middle class and had become able to choose where to live, life in peripheral shantytowns or dilapidated inner cities became the ultimate signifier of a social position beyond the established class structure.
Warum wurde eine West-Berliner Großsiedlung weit über die Grenzen der Stadt hinaus zum viel zitierten Beispiel einer fehlgeschlagenen Stadtplanung und sozialer Probleme? In den Jahren um 1970 erschien eine beeindruckende Zahl an Zeitungsartikeln, Filmen und wissenschaftlichen Studien, die sich mit dem Märkischen Viertel befassten – einer Großsiedlung, die von 1963 bis 1974 am nördlichen Stadtrand West-Berlins entstand. Der Aufsatz folgt der diskursiven Herstellung des Viertels als urbaner Problemzone. Er zeigt, wie darin eine Desillusionierung über die urbane Moderne zum Ausdruck kam, die eng verknüpft war mit der Sorge um eine neue Schicht von desintegrierten Randständigen. Durch ihre Forschungs-, Sozial- und Medienarbeit wirkten in erster Linie Angehörige eines linksalternativen Milieus, das in West-Berlin besonders aktiv war, auf die mediale Darstellung des Viertels ein. In ihrem Bemühen, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, trugen sie unfreiwillig zu der nachhaltigen Abwertung des Quartiers bei. Dessen Image war verbunden mit der Suche nach alternativen Beschreibungen der »Ränder« der Gesellschaft angesichts einer sich auflösenden traditionellen »Arbeiterklasse«.
Im Zeichen von Terrorbekämpfung und Sicherheitsdenken ist das Thema der Migrationskontrolle heutzutage aktueller denn je. Doch wie Staaten ihre Grenzen kontrollieren, warum und auf welche Weise sie Reisende überprüfen, ein- oder ausschließen – diese Fragen wurden bereits in den 1880er Jahren rege diskutiert. Denn während das 19. Jahrhundert ungeahnte Formen der weltweiten Mobilität mit sich brachte, griffen Staaten nun auch vermehrt in Wanderungsprozesse ein. Christiane Reinecke beleuchtet dieses Spannungsverhältnis zwischen Offenheit und Abschirmung anhand der britischen und deutschen Migrationspolitik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie fragt, warum und auf welche Weise beide Staaten die Einreise und den Aufenthalt von Migrant(inn)en kontrollierten. Dabei wird deutlich, wie die ordnenden Ambitionen der Bürokratie sich mit nationalistischen bzw. rassistischen Denkweisen verschränkten und in ein verstärktes Bedürfnis nach staatlicher Kontrolle mündeten. Christiane Reineckes Arbeit wurde mit dem Hans-Rosenberg-Gedächtnispreis 2013 ausgezeichnet.
SummaryIn the history of immigration control, the period from the 1880s to the 1920s saw an international dynamic of growing restrictions. World War I in particular has been regarded as watershed marking the end of laissez-faire migration policy. But whether 1914 can be seen as a crucial turning point depends on the country under consideration, as well as on the chosen analytical approach. Analysing Britain's politics of immigration control before and after the war and comparing it with its Prussian equivalent, this article discusses the shifts and continuities in the concrete administration of migration. Focusing on the changing practice of expelling foreigners, it suggests a chronology of control that does not entirely correspond with the overall political changes. By 1918, the British bureaucracy possessed elaborate means to monitor aliens, and the state increasingly impacted on the migrants' lives. In contrast, Prussia was maintaining a tightly regulated regime already, which its authorities had established well before 1914.
Mit dem durch die Bevölkerungsstatistiker forcierten Rekurs auf das Modell der "Über-", vor allem aber der "Unterbevölkerung" wurde dem Kaleidoskop der Krisen und Krisenwahrnehmungen am Ende der Weimarer Republik noch eine weitere "existenzielle Bedrohung" hinzugefügt, die sich besonders für eine emotionalisierende politische Rhetorik eignete. Die Verfasserin zeichnet die Verwendung dieser demographischen Krisenszenarien im zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs nach. Die Beschäftigung mit der Bevölkerungszahl und den an ihre Veränderung geknüpften Szenarien bei den Statistikern und Nationalökonomen bildete, so wird gezeigt, einen eigenen thematischen Redezusammenhang, der sich vergleichsweise unabhängig von den im zeitgenössischen Diskurs als qualitative Bevölkerungspolitik bezeichneten eugenischen Argumentationen entwickelte. Anhand der Untersuchung von parlamentarischen Debatten wird die Verwendung dieser demographischen Krisenszenarien und die Rezeption wissenschaftlicher Daten im politischen Diskurs der Weimarer Republik herausgearbeitet. Am Beispiel der Gründung des "Reichsausschusses für Bevölkerungspolitik" wird abschließend die politische Nachfrage nach wissenschaftlichen Expertenmeinungen thematisiert. (ICE2)