Die vorliegende Studie stellt die erste umfassende und systematische Analyse der Medienberichterstattung zum deutschen Föderalismus dar. Ausgewertet wurden Positionen, Konnotationen und Bewertungen in 449 Statements aus 14 Tageszeitungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für den Zeitraum März bis September 2020. Methodisch werden quantitative und qualitative Ansätze kombiniert, um sowohl Verteilungsmuster als auch Themen und Motive zu erfassen. Die Ergebnisse bestätigen für die Krise, was die Literatur für 'normale Zeiten' annimmt: Eine deutliche Mehrheit aller veröffentlichten Statements zum Föderalismus fällt negativ aus. Dies änderte auch die Phase der Einheitlichkeit der Landesregelungen infolge der Einigung auf einen umfassenden bundesweiten Lockdown nicht. Die erfolgreiche Stabilisierung des Infektionsgeschehens 'trotz' unterschiedlicher Lockerungen in den Ländern führte (absolut) zu weniger negativen Statements, aber nicht zu substantiell positiven. Mehrheitlich negative Statements finden sich in der Gruppe der Bevölkerung, der JournalistInnen und auch der PolitikerInnen insgesamt; mehrheitlich positive Statements finden sich lediglich bei LandespolitikerInnen der CDU/CSU.
Die vorliegende Dissertation reiht sich ein in das international gestiegene Interesse an subnationaler Politik, welches dem vielfach zu beobachtenden Dezentralisierungstrend der letzten beiden Jahrzehnte folgte. Im Fokus der Arbeit steht die Gesetzgebung, bei der es im Kern immer um den Gegensatz "Einheitlichkeit vs. Vielfalt" geht, nachdem Föderalismus per definitionem darauf abzielt, innerhalb eines gewissen Rahmens die Einheit zu wahren, darin aber Raum für Eigenständigkeit der Gliedstaaten und folglich auch Vielfalt der Policies zu geben. Der deutsche Bundesstaat galt lange als unitarisch, mit einem geringen Ausmaß an Vielfalt auf Landesebene. Selbst als durch die Wiedervereinigung 1990 gestiegene Heterogenität zwischen den Ländern Anlass für divergierende Policies gab, blieb die Norm der 'Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse' prägend. Neuere Studien hingegen erbrachten verstärkt Policy-Vielfalt und stellten damit das tradierte Bild der Forschung infrage. Die Föderalismusreform I setzte in diesem Sinne einen Impuls und öffnete durch die Übertragung neuer Gesetzgebungskompetenzen an die Länder ein 'Fenster' für neue Vielfalt. Davon ausgehend lautet die übergreifende Fragestellung dieser Dissertation: Welche Faktoren erklären die Gesetzgebung der deutschen Bundesländer, insbesondere im für Bundesstaaten typischen Spannungsfeld zwischen Einheitlichkeit und Vielfalt? Diese Frage wird am Beispiel der neuen ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen untersucht, welche die Länder durch die Föderalismusreform I erhalten haben. Diese sind besonders geeignet, weil sozusagen eine 'Stunde Null' bestand, indem hier alle Länder 2006 vom gleichen Rechtsstand (dem Bundesrecht) ausgingen. Daher ergibt sich als zweite, spezifischere Fragestellung: Welche Wirkung bzw. Folgen hatte die Föderalismusreform I auf Landesebene? Die Frage richtet sich zum einen darauf, inwieweit das Ziel der Reform – durch Entflechtung der Kompetenzen mehr Gestaltungsspielraum für autonome Landespolitik zu schaffen – erfüllt wurde. Daran anschließend interessiert, inwiefern die Länder den Impuls der Reform aufgenommen, ihren neuen Handlungsspielraum tatsächlich genutzt und ggf. auch unterschiedliche Gesetze verabschiedet haben. Sowohl die Landespolitik allgemein als auch die Politik der Länder nach der Föderalismusreform I sind – trotz des steigenden Interesses – bislang vergleichsweise wenig erforscht. Große empirische Lücken führen dazu, dass über die Breite der Politikfelder, über alle 16 Länder sowie über einen längeren Untersuchungszeitraum hinweg keine soliden Aussagen möglich sind. Mit Blick auf die Föderalismusreform I finden sich v.a. juristische, aber keine detaillierten politikwissenschaftlichen Ausarbeitungen. Aus theoretischer Sicht ist die Fundierung häufig sehr schwach, generell wird die Perspektive der Föderalismusforschung zu wenig einbezogen. Die vorhandenen Policy-Analysen sind fast ausschließlich aus politikfeldspezifischer Perspektive geschrieben, d.h. sie tangieren Föderalismus-Fragen nur 'nebenbei', ohne konsequente Theoretisierung und Konzeptionalisierung. Nachdem eine umfassende und systematische Evaluation der bestehenden Literatur bis dato fehlt, wurden im ersten Aufsatz der Dissertation alle ländervergleichenden Policy-Analysen, die in den letzten vier Jahrzehnten publiziert wurden, gesammelt und ausgewertet. Um den heterogenen Pool an Policy-Analysen einheitlich evaluieren zu können, wurde ein dreigliedriges Bewertungssystem zur Erklärungskraft von Indikatoren entwickelt, welches die unterschiedlichen Methoden sowie Operationalisierungen der Indikatoren integriert. Auf diesen ersten folgen sechs weitere Aufsätze mit eigenen empirischen Analysen, durch die der Beitrag dieser Dissertation sich wie folgt darstellt: Zunächst wurde einem interdisziplinären Ansatz folgend die politikwissenschaftliche Perspektive mit der juristischen Perspektive zusammengebracht und für alle neuen Kompetenzbereiche der den Ländern durch die Föderalismusreform I erwachsene Gestaltungsspielraum examiniert. Eine genaue Kenntnis des Gestaltungsspielraums ist Voraussetzung für eine adäquate Bewertung der Landespolitik nach der Reform, da hierdurch deren Möglichkeiten und auch Grenzen abgesteckt werden. Daran anschließend wurden für die 15 Kompetenzbereiche mit Gesetzgebungsaktivität politikfeldspezifische Indizes entwickelt und alle 425 Gesetze im Untersuchungszeitraum codiert, so dass eine umfangreiche Datenbank zur Landesgesetzgebung in allen 16 Bundesländern entsteht. In empirischer Hinsicht ist also die Einbeziehung der Gesetze in allen – nicht lediglich einzelnen ausgewählten – neuen Gesetzgebungskompetenzen der Länder zu betonen. Die konzeptionelle Innovation ist die Konstruktion der Indizes, die einerseits qualitative Detailtiefe aufweisen, deren Gestaltung aber gleichzeitig eine aggregierte Betrachtung sowie statistische und politikfeldübergreifende Analysen aller Gesetze über Zeit ermöglicht. Die Indizes ordnen die Politikfelder zwei Gruppen (Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik) mit gemeinsamer Konfliktlinie zu und die Gesetzesinhalte auf der entsprechenden Ordinalskala ein. Auf dieser Basis lassen sich viele verschiedene Fragestellungen analysieren – hier einerseits die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Landesgesetze und andererseits die Abweichung einzelner Landesgesetze vom 'Policy-Mainstream'. Zusätzlich wurde ein Kategorienschema zur Einordnung des Grades der Fragmentierung der Landesgesetze entwickelt, welches ebenfalls politikfeldübergreifend anwendbar ist, und dabei quantitative und qualitative Darstellungen gleichermaßen aufnimmt. Für die durchgeführten Analysen kamen sowohl qualitative als auch quantitative Methoden zum Einsatz. Die statistischen Analysen beziehen auf höherem Aggregationsniveau alle Gesetze in allen 16 Ländern ein und untersuchen den Einfluss von Erklärungsfaktoren über Zeit und über alle Kompetenzbereiche hinweg. Durch Letzteres ergibt sich ein repräsentatives Sample, welches generalisierende Aussagen über die Breite der Landespolitik ermöglicht. Zusätzlich wurden qualitative Detailanalysen für drei ausgewählte Kompetenzbereiche und darin ebenfalls für die Gesetze aller 16 Länder durchgeführt, die tiefere Einblicke in kausale Muster ermöglichen, welche rein quantitativ nicht adäquat zu erfassen sind. Zur Weiterentwicklung der Theorie trägt die Arbeit in zweifacher Hinsicht bei. Zunächst wurden in einer Studie politikfeldübergreifend etablierte Theorien der Policy-Analyse getestet. Durch Auswahl der Theorien auf Grundlage einer systematischen Literature Review der bis dato im Forschungsbereich publizierten Policy-Analysen ist dabei ein Vergleich mit bisherigen Erkenntnissen möglich. In einem weiteren Schritt wird der Wechsel zur Perspektive der Föderalismusforschung vollzogen, d.h. neben konkreten Inhalten werden nun der Fragmentierungsgrad aller Länder sowie die Abweichung einzelner Länder betrachtet. Dazu wird der theoretische Rahmen um föderalismusbezogene Erklärungsfaktoren erweitert, die in der Literatur bislang lediglich allgemein diskutiert wurden. In einer Analyse wird die – bislang lediglich mit anekdotischer Evidenz vorgebrachte – These, dass "große" und "starke" Länder eher ihre eigenen Policies verfolgen, erstmalig systematisch getestet, indem diese Merkmale konzeptionell ausdifferenziert und für einen empirischen Test operationalisiert werden. In weiteren Analysen werden, ebenfalls erstmalig in der deutschen Föderalismusforschung, der Einfluss von Koordination der Länder untereinander, von Wettbewerb zwischen den Ländern sowie der unitarischen Orientierung der Bevölkerung (und hier insbesondere der Vermittlung über die Medien) auf den Policy-Output der Länder systematisch analysiert. Auch im "unitarischen Bundesstaat" Deutschland besteht beträchtliche Policy-Vielfalt – dies ist die erste Erkenntnis, aus den eigenen Analysen zur Landesgesetzgebung wie auch aus der Evaluation der im Forschungsbereich veröffentlichten Policy-Analysen. Das Ausmaß der Vielfalt ist unterschiedlich ausgeprägt zwischen den Politikfeldern, aber dennoch über Politikfelder und Länder hinweg substantiell vorhanden. Die Gründe für Vielfalt bzw. Einheitlichkeit betreffend hat sich aus der Gesamtschau aller Analysen dieser Dissertation zunächst ein starker Einfluss 'typischer' Faktoren der Policy-Analyse – insbesondere von Parteien und sozioökonomischen Bedingungen in verschiedenen Formen – gezeigt. Darüber hinaus erweisen sich weitere, speziell föderalismusbezogene Faktoren als wirkungsmächtig. Zu nennen sind hier insbesondere die (Flächen-) Größe eines Landes und das Vorhandensein einer eigenen Tradition von Staatlichkeit vor 1949, welche beide zu größeren Abweichungen vom 'Policy-Mainstream' der Länder führen. Koordination durch die 'Fachbruderschaften' sowie lautstarke öffentliche Forderungen nach 'gleichwertigen Lebensverhältnissen' hingegen bremsen das Ausmaß föderaler Vielfalt. Mit Blick auf die Föderalismusreform I ist schließlich festzustellen, dass diese durchaus einen Impuls dargestellt und zur Belebung der Landespolitik geführt hat. Plenardebatten zeigen in ihrer Rolle als Gesetzgeber gestärkte Abgeordnete sowie in einigen Policy-Bereichen intensive öffentliche Diskussionen, was im Sinne einer lebendigen Demokratie auf Landesebene zu begrüßen ist. Die neuen Gesetzgebungskompetenzen wurden großteils genutzt und sie wurden vom Großteil der Länder genutzt. Dabei kam es zu deutlichen Unterschieden, sowohl die Nutzung der neuen Kompetenzen als auch Inhalte der Landesgesetze betreffend. Wir sehen also "mehr Föderalismus" als zuvor im Sinne von neuen Unterschieden in den neuen Politikbereichen. Ausmaß der Kompetenznutzung sowie der Vielfalt sind dabei häufig auf den jeweiligen Gestaltungsspielraum zurückzuführen. Wo Einschränkungen und Unsicherheiten des Gestaltungsspielraums bestehen, sind sowohl Kompetenznutzung als auch Vielfalt geringer. Somit ist die Schlussfolgerung evident: Liegt das Ziel darin, mehr Vielfalt in der Landespolitik zu erreichen, benötigt es zunächst einmal weiteren Gestaltungsspielraum für die Länder und somit neuerliche Reformen.
Die vorliegende Studie stellt die erste umfassende und systematische Analyse der Medienberichterstattung zum deutschen Föderalismus dar. Ausgewertet wurden Positionen, Konnotationen und Bewertungen in 449 Statements aus 14 Tageszeitungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für den Zeitraum März bis September 2020. Methodisch werden quantitative und qualitative An-sätze kombiniert, um sowohl Verteilungsmuster als auch Themen und Motive zu erfassen. Die Ergebnisse bestätigen für die Krise, was die Literatur für 'normale Zeiten' annimmt: Eine deutliche Mehrheit aller veröffentlichten Statements zum Föderalismus fällt negativ aus. Dies änderte auch die Phase der Einheitlichkeit der Landesregelungen infolge der Einigung auf einen umfassenden bundesweiten Lockdown nicht. Die erfolgreiche Stabilisierung des Infektionsgeschehens 'trotz' unterschiedlicher Lockerungen in den Ländern führte (absolut) zu weniger negativen Statements, aber nicht zu substantiell positiven. Mehrheitlich negative Statements finden sich in der Gruppe der Bevölkerung, der JournalistInnen und auch der PolitikerInnen insgesamt; mehrheitlich positive Statements finden sich lediglich bei LandespolitikerInnen der CDU/CSU.
One of the goals of the Federalism Reform I was to grant more autonomy to the 'Lander' and thus to enable more political diversity by transferring some legislative competences to their exclusive responsibility. The extent to which this goal can be achieved depends on the way, in which the 'Lander' use their new possibilities. Does the reform actually lead to more independent state politics or do unitary influences prevail, so that the coordination and harmonisation of laws continues despite the new legislative autonomy? The paper investigates this question by using the example of the non-smokers protection (legislative competence 'restaurants and bars'). With regard to the laws, the result is 'undetermined': there is widespread uniformity concerning the overall conception, whereas the details of the regulations differ significantly. By means of systematic process analysis, this paper will analyse which factors have stimulated and blocked independent politics in the course of legislation. Adapted from the source document.
In: Reus, Iris and Vogel, Stephan (2018). Policy diversity among the Lander after the Federalism Reform I: form, extent, and actors. Z. Vgl. Politikwissenschaft, 12 (4). S. 621 - 643. WIESBADEN: SPRINGER VIEWEG-SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH. ISSN 1865-2654
This article examines the extent and form of policy diversity among the German Lander, based on anew comprehensive data set that fully captures legislation in fifteen new Land competences transferred by the Federalism ReformI (2006). We thereby add to acentral debate in German federalism research: the positioning of the German federation between uniformity and diversity. Our methodological-conceptual contribution is to differentiate policy diversity into various aspects, to develop new indicators for measuring policy diversity, and to systematically examine it across policies, Lander, and over time. The analysis shows that there has been substantial policy diversity across Lander in most policy areas. The Lander create policy diversity to varying degrees, with Bavaria particularly bringing forth diversity.