Dass sexuelle Gewalt nicht alleine von Erwachsenen ausgeht, sondern dass sexuelle Übergriffe auch durch Jugendliche stattfinden, ist nicht erst seit dem schrecklichen Vorfall in Mühlheim bekannt, bei dem Jugendliche eine 18 Jahre alte Frau vergewaltigt haben sollen. Unterschiedliche Studien haben gezeigt, dass Jugendliche einen beträchtlichen Anteil der Anzeigen aufgrund von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ausmachen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sexuelle Übergriffe häufig nicht zur Anzeige gebracht werden, sodass die Zahl der begangenen Sexualstraftaten sehr viel höher ausfallen. In diesem Aufsatz soll der Zusammenhang von Adoleszenz, männlicher Geschlechtsentwicklung und sexuelle Gewalt näher beleuchtet werden. Dabei wird es insbesondere darum gehen, welche Bedeutung die soziale Konstruktion von Männlichkeit für die Ausbildung sexueller Gewaltbereitschaft hat. Die zentrale These ist, dass die Konfrontation mit den Anforderungen, Widersprüchen und Konflikten, die mit der sozialen Konstruktion von Männlichkeit zusammenhängen und die kaum lösbar und einlösbar sind, bei der Entstehung sexuell grenzverletzenden Verhaltens eine wichtige Rolle spielen. Sexuelle Gewalt kann aus dieser Perspektive als eine Reparationsund Kompensationsstrategie verstanden werden, mit deren Hilfe der Versuch unternommen wird, die eigene Männlichkeit sowohl herzustellen als auch zu stabilisieren.
Dieser Aufsatz nimmt die in den subjektivierten Arbeitsprozessen an Bedeutung zunehmende Selbstoptimierung aus psychoanalytisch-sozialpsychologischer Perspektive in den Blick. Er zeigt auf, dass der Selbstoptimierung neben der arbeitsorganisatorischen auch eine psychodynamische Bedeutung zukommt. Dabei wird von der These ausgegangen, dass das Ichideal den psychischen Repräsentanten eines übersteigerten und unrealistischen neoliberalen Leistungsprinzips darstellt, wodurch das Subjekt fortwährend mit einem individualisierten Scheitern konfrontiert wird. Das Resultat sind verstärkte Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste. In diesem Zusammenhang kann die Optimierung des Selbst als eine Form der psychosozialen Angstabwehr verstanden werden, welche jedoch durch die damit einhergehenden widersprüchlichen Gefühle von Ohnmacht und Ermächtigung ein unauflösbares Spannungsverhältnis birgt.
Die gegenwärtige Transformation der Arbeitsverhältnisse führt zu einer zunehmenden Verschärfung sozialer Konflikte. Dies hat sowohl Auswirkungen auf das Verhältnis von Arbeit und Subjektivität als auch auf die Geschlechterverhältnisse sowie auf die soziale Konstruktion von Männlichkeit. In diesem Aufsatz wird es darum gehen, diese Transformationsprozesse als auch deren Bedeutung für die Konstitution von Männlichkeit aus psychoanalytisch-sozialpsychologischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Dabei wird es darum gehen, die weitverbreitete Annahme, dass diese Prozesse eine Beschädigung der männlichen Geschlechtsidentität zur Folge haben, einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Demgegenüber soll die These dargelegt werden, dass die gegenwärtige ›Krise der Arbeitsgesellschaft‹ auf der Grundlage traditioneller männlicher Identitätskonstruktionen verarbeitet wird und damit androzentristische und misogyne Männlichkeitsentwürfe reproduzieren und stabilisieren.
"In den Diskursen um sexuelle Gewalt von Männern gegen Frauen findet sich die weitverbreitete Annahme, dass diese nichts mit Sexualität zu tun habe. Im Gegensatz zum Begriff der sexuellen Gewalt bevorzugen die AutorInnen den der 'sexualisierten Gewalt'. Dieser soll zum Ausdruck bringen, dass Sexualität nur insofern eine Rolle spiele, als sie als 'Mittel' zur Gewaltausübung instrumentell eingesetzt werde. Einziges Ziel sexueller Gewalt sei die Demonstration und Ausübung von Macht durch die sexuelle Erniedrigung des Opfers. Die 'Verflüchtigung des Sexuellen' (Parin) aus dieser Diskussion hat schwerwiegende Folgen für die Täterpsychologie. Die Reduzierung der Motive der Täter auf reine Machtausübung unter instrumenteller Zuhilfenahme von Sexualität stellt ein entscheidendes Problem dar, weil durch diese Argumentation letztlich narzisstisch-phallozentrische Männerphantasien - wenn auch ungewollt - gestützt werden. Darüber hinaus führt die strikte Trennung von Sexualität und Gewalt zu einer harmonischen Verklärung von Sexualität, was eine gesellschaftskritische und -politische Auseinandersetzung mit Sexualität verhindert und die spezifische Grausamkeit sexueller Gewalttaten verdeckt." (Autorenreferat)