Abstract Auf der Grundlage des Surveys "Aufwüchsen in Deutschland: Alltagswelten" (AID:A) des Deutschen Jugendinstituts wird exemplarisch die Inanspruchnahme von Angeboten der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren sowie der Nutzung von Jugendzentren untersucht. Es geht um die Frage, ob und in welchem Maße die Angebotsdichte dieser nicht-monetären sozialstaatlichen Leistungen mit einer sozial selektiven Inanspruchnahme in Beziehung steht. Zur Beantwortung dieser Frage wird ein empirisches Analyse-Modell gebildet, welches Interaktionseffekte aus Angebotsdichte am Wohnort und Bildungsressourcen des Haushalts berücksichtigt. Die Ergebnisse geigen, dass die Inanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen (SSL) nicht alleine von Merkmalen der Anspruchsberechtigten abhängt, sondern dass Verfügbarkeit und Angebotsdichte der SSL wesentlich mitbestimmen, von welchen gesellschaftlichen Gruppen sie genutzt werden.
"Am Beispiel von Opfererfahrungen in körperlichen Auseinandersetzungen werden Risiko- und Schutzmarker im Aufwachsen Jugendlicher in den Blick genommen. Empirische Grundlage sind entsprechende Erfahrungen von 13- bis 17-Jährigen (n=2.708). Mittels bivariater Zusammenhangsanalysen und einer binären logistischen Regression werden Risikokonstellationen bzw. Gefährdungszusammenhänge untersucht. Das Risiko, vulnerablen Situationen ausgesetzt zu werden, erhöht sich bei Problemen mit Alkohol oder Drogen, Schulabsentismus, einem negativen Schulklima, einem schlechten Familienklima, geringer Religiosität, einer hohen eigenen Selbstkontrollorientierung sowie einem hohen Anteil gegengeschlechtlicher Freund/-innen." (Autorenreferat)
"Prozesse der Bildung, Ablösung, Differenzierung und Positionierung gehören zur Verselbstständigung und zum Erwachsenwerden. Die Verfügung über Geld spielt dabei eine wichtige Rolle. Geld, als Voraussetzung für Konsum und damit Mittel, um 'im Spiel zu bleiben'. SchülerInnen verfügen über keine eigenen Einkünfte und sind auf Zuwendungen (Taschengeld und staatliche Transferleistungen wie Schüler-Bafög) oder selbst hinzu verdientes Geld angewiesen. Der Beitrag stellt empirische Ergebnisse zur Höhe des Taschengelds sowie zu dem den 13-17-jährigen SchülerInnen insgesamt zur Verfügung stehenden Budget vor. Die empirische Verteilung der Höhe des Taschengeldes sowie des verfügbaren Budgets weisen eine sehr starke Altersabhängigkeit auf. Neben regionalen Unterschieden spielen weitere Merkmale, die die Ressourcenausstattung mit kulturellem und ökonomischem Kapital beschreiben, eine Rolle. Hier deuten sich unterschiedliche Chancen der sozialen Teilhabe, die mit der Verfügung über Geld einhergehen, an. Die Jugendforschung sollte die Themen Geld - und damit zusammenhängend Konsum - nicht vorrangig der Marktforschung überlassen." (Autorenreferat)
Zusammenfassung Anhand von Daten des DJI-Familiensurveys wird das Verhältnis von Hilfebedarf und Inanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen untersucht. Die Frage dabei ist, ob die Menschen Hilfe bekommen, die Hilfe brauchen. Die Ergebnisse geigen, dass es Familien mit niedrigen Einkommen schwerer fällt, bei Problemen Unterstützungsangebote nutzen und entsprechend seltener nehmen sie diese wahr. Dies gilt auch für informelle Unterstützung durch Familienmitglieder und in der Tendenz auch bei Freunden. Es gibt also empirische Hinweise darauf, dass Familien, die sich in einer Lebenssituation mit eher weniger Ressourcen befinden, größere Schwierigkeiten haben, Zugang zu entsprechenden Hilfen finden. Es zeigt sich aber auch, dass der soziale Gradient je nach helfender Instanz differiert.
Am Beispiel einer Studie zur Kooperation in der Kinder- und Jugendhilfe werden einige methodische Aspekte der Untersuchung von komplexen Zusammenhängen herausgearbeitet. Damit verbundene Herausforderungen und Schwierigkeiten werden an konkreten Forschungserfahrungen verdeutlicht und die Vorteile beschrieben, die sich in diesem Zusammenhang aus der Anwendung verschiedener methodischer Zugänge ergeben. Zuerst wird der Untersuchungskontext dargestellt und die Forschungsfrage erläutert.
The Covid-19 pandemic is turning the world upside down, affecting almost all private and public domains, including child protection. In order to shed some light on the consequences of the early months of the pandemic for organized child protection, the project "Child and Youth Welfare Services and Social Change" at the German Youth Institute (www.dji.de/jhsw) conducted a brief online survey of local Children and Youth Welfare Authorities in spring 2020. In order to frame and contextualise the empirical findings, we also conducted a narrative review of the professional discourse in spring and summer 2020. The results of our study have already been widely disseminated in the national context (e.g. Mairhofer et al. 2020, 2021 a,b,c). In addition, the final report of the study was translated into Croatian language on behalf of the Ministry of the Interior of the Republic of Croatia. With this report we would like to make selected results of our study and our literature research also available to a more general international audience. Although our survey investigated several facets of child and youth welfare services, this article only presents selected findings relating to child protection and positions them in the context of further reflections on child protection in times of pandemic. Child protection is characterized by a high degree of complexity, uncertainty and ambiguity. What is already true under "normal" conditions is even truer in the current exceptional pandemic situation, as will be shown in this article. The pandemic has acted as a multiplier, intensifying the structural challenges of organized child protection. This finding follows from a narrative review of literature and empirical results of our nationwide survey of local Child and Youth Welfare Authorities.
Das vorliegende Projekt befasst sich mit institutionellen Strukturen und zivilgesellschaftlichen Angeboten zur Unterstützung der Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine sowie mit den Erfahrungen und Perspektiven der Geflüchteten, wobei Mütter von Kindern vor der Einschulung und Jugendliche im Mittelpunkt stehen. Dies trägt der demographischen Struktur der Geflüchteten Rechnung, denn anders als bei der Fluchtbewegung 2015/2016 sind insbesondere Mütter mit Kindern aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. In insgesamt drei Modulen des abteilungsübergreifenden, multiperspektivisch und multimethodisch arbeitenden Projekts wurden qualitative und quantitativ-standardisierte Erhebungen durchgeführt. (1) Mittels qualitativer Interviews wurden 25 Leitungen und Mitarbeitende kommunaler Verwaltungen sowie elf Vertretungen zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Herausforderungen und Gelingensbedingungen bei der Bildungsintegration geflüchteter Kinder befragt. Zusätzlich geben Daten einer standardisierten Jugendamtsbefragung einen Eindruck zu den Herausforderungen, vor denen die Jugendämter stehen. (2) Mit Blick auf die Situation von Familien mit jungen Kindern und deren Kita-Integration wurden zwei standardisierte Befragungen durchgeführt, die erste mit 777 Müttern, die mit mindestens einem Kind im Alter zwischen 0 und 6 Jahren aus der Ukraine geflüchtet sind, und die zweite mit 621 Kita-Leitungskräften. (3) Die Perspektive junger Geflüchteter wurde in 25 qualitativen Interviews mit geflüchteten Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren exploriert, die zu ihrer Bildungsteilhabe, ihren sozialen Beziehungen und ihrem Wohlergehen befragt wurden. Die Befunde zeigen, dass kommunale Akteure von tragfähigen Kooperationsbeziehungen mit vielfältigen Partnern profitieren, um Kindern, Jugendlichen und Familien die benötigten Angebote unterbreiten zu können. Mehrheitlich konnten die Kommunen auf Erfahrungen und etablierte Strukturen aus der Zeit von 2015/2016 zurückgreifen. Zivilgesellschaftliche Organisationen bieten mit nonformalen und informellen Bildungsmöglichkeiten wichtige Ergänzungen zu den Regelangeboten des Bildungssystems. Insbesondere sportliche und kulturell-kreative Angebote werden sowohl seitens der Kommunen als auch von den Jugendlichen als bereichernd und integrationsförderlich hervorgehoben, da hierbei die Sprachbarrieren weniger zum Tragen kommen und niedrigschwellige Kontakte aufgebaut werden können. Der frühzeitigen Integration in Kita oder Schule wird sowohl seitens der kommunalen Akteure als auch - mit Blick auf die eigene schulische Bildung - seitens der Jugendlichen hohe Relevanz beigemessen. Entsprechende Bemühungen sind jedoch mit dem Fach- und Lehrkräftemangel konfrontiert, der das Platzangebot begrenzt und die ohnehin angespannte Versorgungslage verschärft. 45 Prozent der Jugendämter (N = 141) sehen in der Kindertagesbetreuung die größte Herausforderung aufgrund des Kriegs in der Ukraine. 69 Prozent der befragten Leitungskräfte von Kindertageseinrichtungen sehen den Bedarf an pädagogischem Personal nicht oder nur unzureichend gedeckt. Auch fehlt es Kindertageseinrichtungen unter anderem an Dolmetschern und Dolmetscherinnen, an psychologischer Unterstützung für die Kinder sowie an spezifischen Fortbildungen für die Fachkräfte. Zudem kommt bei der Einschulung der Gesundheitsuntersuchung durch die Gesundheitsämter eine Nadelöhrfunktion zu, wobei Großstädte im Vorteil sind. In den untersuchten Kommunen haben die Gesundheitsämter eine klar definierte Schnittstellenarbeit mit dem Schulamt bzw. der Bildungskoordination sowie mit Migrationsämtern intensiviert, um die für die Schul-einmündung formal erforderlichen Schritte zu beschleunigen. Die Aufgabe der Bildungskoordination besteht zudem vor allem in der Vernetzung für eine bedarfsgerechte Gestaltung von Bildungsangeboten. Die schulische Situation wird seitens der Jugendlichen differenziert bewertet. Positiv berichten viele von dem unterstützenden Engagement der Lehrkräfte. Als anspruchsvoll erleben diejenigen ihr schulisches Lernen, die neben dem Unterricht in Deutschland auch am online-Unterricht in der Ukraine teilnehmen. Kritische Stimmen finden sich zur Beschulung in Brückenklassen, die vor allem dem Erwerb von Deutschkompetenzen dienen, aufgrund ihrer altersheterogenen Zusammensetzung jedoch nicht allen Jugendlichen die angestrebten Bildungsfortschritte ermöglichen. Als ungünstig wird auch die wechselnde Zuordnung zu unterschiedlichen Regelklassen erlebt, da dies den Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen erschwert. Demgegenüber können in Brückenklassen leichter Beziehungen zu Gleichaltrigen aufgebaut werden, die angesichts ähnlicher Erfahrungen eine wichtige Unterstützungsfunktion übernehmen. Obwohl eine Reihe der befragten Jugendlichen von psychischen Belastungen durch die Kriegserfahrungen, die Trennung von Freundinnen und Freunden und von in der Heimat gebliebenen Familienangehörigen berichten, nehmen nur sehr wenige psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch. Viele haben eigene Bewältigungsstrategien - insbesondere durch Ablenkung von negativen Gedanken - entwickelt. Sie profitieren jedoch von niedrigschwelligen Gesprächsangeboten, etwa durch Lehrpersonen aus der Ukraine. Das psychische Wohlbefinden der 777 befragten geflüchteten Mütter aus der Ukraine ist eher schlecht. Viele Mütter berichten von häufiger Erschöpfung. Zwei Drittel der Mütter fühlen sich vom Kriegsgeschehen stark oder sehr stark belastet. Große Sorgen um Angehörige in der Ukraine und um verschiedene Aspekte ihrer Zukunft und die Zukunft ihres Kindes betreffend werden von teils mehr als der Hälfte der Mütter genannt. Auch das Wohlbefinden ihres Kindes schätzen 42% der Mütter nur als mittel und weitere 15% sogar als eher schlecht oder schlecht ein, wobei die Einschätzung positiver ausfiel, wenn sich die Mutter in der Erziehung kompetent fühlte. 57 Prozent der Mütter gaben an, mit der deutschen Sprache gar nicht oder eher schlecht zurechtzukommen. Knapp die Hälfte (49 Prozent) der Mütter geben für ihr Zielkind (dies ist bei mehreren Kindern im Haushalt der Mutter dasjenige Kind, das als nächstes Geburtstag hat) an, dass es in einer Kita betreut wird. Obwohl vier Fünftel von ihnen einen Hochschulabschluss besitzen, waren zum Befragungszeitpunkt nur 11 Prozent der Mütter erwerbstätig. Die Erwerbswünsche sind hoch, aber der Alltag in Deutschland und die Hauptverantwortung für die Kinder verlangen den Müttern einiges ab. Die Befunde legen einen nennenswerten Unterstützungsbedarf der Mütter nahe. Allerdings wird ein Gutteil der Angebote von den Müttern aus Unkenntnis nicht genutzt. Hilfe bei Behördengängen und psychologische Hilfe sind der Hälfte der Mütter, die diese Angebote nicht nutzen, unbekannt. Angesichts der hohen Bedeutung der Sprachkenntnisse stimmt bedenklich, dass zwei Drittel der Mütter, die keine Hilfe beim Deutschlernen in Anspruch nehmen, als Grund dafür angeben, dass das Angebot für sie unpassend ist, etwa, weil keine geeignete Kinderbetreuung vorhanden ist. Mütter, die die Unterstützungsangebote nutzen, fühlen sich häufiger in Deutschland willkommen, haben im Durchschnitt mehr Kontakte zu Einheimischen und ein besseres Wohlbefinden. Denkbar ist, dass Mütter mit mehr materiellen, sozialen und psychischen Ressourcen leichter Zugang zu den Angeboten finden. Umgekehrt können auch die Angebote selbst zu (noch) mehr Kontakten sowie einem (noch) besseren Wohlbefinden und Willkommensgefühl führen. Diese sich wechselseitig verstärkenden Effekte können Polarisierungen herbeiführen, die die soziale Ungleichheit in der Fluchtbevölkerung sowie zwischen Flucht- und autochthoner Bevölkerung vertiefen. Die Kitaleitungsbefragung zeigte Herausforderungen auf, mit denen die befragten Einrichtungen angesichts der aktuellen Situation konfrontiert sind. Etwa die Hälfte der 621 befragten Kitaleitungen berichtete davon, seit Februar 2022 Flüchtlingskinder aus der Ukraine in ihrer Einrichtung aufgenommen zu haben. Die Nichtaufnahme wurde in wiederum der Hälfte der Fälle durch einen Mangel an freien Plätzen begründet. Als größte Herausforderung des Kitapersonals in der Arbeit mit den Kindern und den Familien aus der Ukraine wird die Sprache genannt - einerseits im Hinblick auf Sprachbarrieren im Umgang mit den Eltern, andererseits bezüglich des Spracherwerbs der Kinder. Aus den Befunden ergeben sich folgende Handlungsbedarfe von Politik und Fachpraxis: Sprache ist der Schlüssel: Es muss weiterhin ganz oben auf der Agenda stehen, die Sprachförderung für Kinder, Jugendliche und Familien in Kitas, Schulen und außerschulischen Kursangeboten auszuweiten und Nutzungsbarrieren insbesondere für Menschen mit Sorgeaufgaben abzubauen. Da die Sprachförderung der Kinder in der Kita beginnt, muss der Kitaausbau auf qualitativ hohem Niveau und flächendeckend weiter vorangetrieben werden, bis der Bedarf vollständig gedeckt ist. Dabei muss auch auf eine angemessene Betreuung der Kinder mit Kriegserfahrungen geachtet werden. Die Schulen würden den Bedürfnissen der Kinder besser entgegenkommen, wenn Sprachförderung parallel bzw. ergänzend zum Regelunterricht stattfindet und die Kinder festen Regelklassen zugeordnet werden. Idealerweise ist zumindest teilweise eine zweite Fach- bzw. Lehrkraft im Unterricht, die bei Verständnisproblemen unterstützt. Informationskampagnen und verbesserte Zugänge zu Unterstützungsangeboten: Informationen zu den umfangreichen psychosozialen Unterstützungsangeboten, Hilfen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Behördengängen, beim Deutschlernen usw., die Geflüchteten offenstehen, müssen diese besser erreichen und von diesen auch genutzt werden können. Am Abbau von Nutzungsbarrieren, seien es Unkenntnis, unzureichende Deutschkenntnisse, fehlende Kinderbetreuung oder andere Hürden, muss mit Beharrlichkeit weitergearbeitet werden. Kultur- und Sportangebote sind Integration Facilitators: Kulturellen und sportlichen Angeboten, besonders der Kinder- und Jugendarbeit, kommt bei der Integration von geflüchteten (und vermutlich auch aus anderen Gründen zugewanderten) Kindern und Jugendlichen wesentliche Bedeutung zu, da sie niedrigschwellige Kontakt- und Austauschmöglichkeiten eröffnen und positive Erfahrungen ermöglichen (vgl. auch Peucker u.a. 2020; Mairhofer u.a. 2022, S. 73 ff.). Diese Angebote gilt es zu erhalten und auszubauen. Erhalt kommunaler Kooperationsstrukturen notwendig: Der Aufbau und Erhalt von breit angelegten Kooperationsstrukturen auf kommunaler Ebene muss fest im Aufgabespektrum der Fachkräfte verankert werden. Spezialisierte Task Forces und Anlaufstellen für Schnittstellenarbeit zur Integration Geflüchteter und anderer Migrant:innen sollten überdauernd erhalten bleiben, um sie bei Bedarf aktivieren zu können.