Demokratischer Frieden nach außen und innen?: der Forschungsstand zum Civil Democratic Peace
In: Der demokratische Unfrieden: über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und innerer Gewalt, S. 9-34
"Den 'Demokratischen Frieden' kennzeichnet ein eigentümliches Paradoxon: In der Staatenwelt gilt er als empirisches Faktum und gemeinhin als politikwissenschaftliches Gesetz - 'as dose as you can probably get' (Levy 1989, 88). Sein Pendant in der Gesellschaftswelt, der sogenannte 'Civil Democratic Peace', lenkt hingegen den Blick auf die historische Erfahrung, dass für das Ziel des Demokratischen Friedens häufig ein blutiger Preis zu entrichten war. Wird, mit anderen Worten, Demokratie als Friedensbedingung angesehen, gilt Demokratisierung als Gewaltgrund. Beides hat weitreichende und diametral entgegengesetzte politische Implikationen. Während die Aussicht auf den demokratischen Staatenfrieden die Ausbreitung demokratischer Ordnungen zum Friedenspostulat und damit zum Gebot der Stunde erhebt, führt die Aussicht auf gesellschaftlichen Unfrieden durch gewalttätig entgleisende Demokratisierungsprozesse zum exakt umgekehrten Schluss stabilitätsbetonter Zurückhaltung. Nun stützt sich seit 1989 die Demokratieförderung - von den Fesseln des Kalten Kriegs ebenso befreit wie von seiner auf den Realismus verengten Wahrnehmung der Welt - nicht zuletzt auf die Aussicht auf den Demokratischen Frieden. Sie knüpft damit nahtlos an eine geistesgeschichtliche Tradition an, die zuvor Sozialismus und Kommunismus als finale Stufe der Menschheitsentwicklung gepriesen hatte, just wie nunmehr das Ende des Sozialismus Francis Fukuyamas 'Ende der Geschichte' besiegelte (Fukuyama 1992). Die Chance einer Ausbreitung demokratischer Ordnungen offenbarte jedoch die Realität höchst konfliktbehafteter Auseinandersetzungen, die mit ihr einhergingen. Und sie ließ erneut jene Voraussetzungen erfolgreicher Demokratisierung ins Bewusstsein rücken, die einst in dem klassischen Satz Seymour Martin Lipsets kulminierten, der die Essenz der Modernisierungstheorie verkörperte: 'The more well-to-do a nation, the greater the chances it will sustain democracy' (Lipset 1959: 75). Parallel zu der in den 1990er Jahren auslaufenden und seit Beginn des neuen Jahrtausends gar zurückflutenden 'Dritten Welle' der Demokratisierung entfaltete sich zugleich eine Forschung, die sich mit der Frage auseinandersetzte, ob, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen Demokratisierung und Gewalt zusammenhängen könnten. Das betraf sowohl die zwischenstaatliche Gewalt als auch die innergesellschaftliche. Dabei wurden statistische Evidenzen getestet und in Fallstudien jene Eskalationsprozesse betrachtet, die ein Urteil über die Wirkungsketten von der demokratischen Transition zur Gewalt erlaubten. Dies ordnete sich cum grano salis in jene Forschung ein, die auch unter anderen Gesichtspunkten - wie dem viel zitierten 'backlash against democracy promotion' autoritär gesinnter Eliten oder der (umstrittenen) Leistungsfähigkeit von Demokratien im Entwicklungsprozess - eine kritische Bilanz der 'Dritten Welle' zog. Das einführende Kapitel des vorliegenden Bandes, der die Forschung der HSFK zur gesellschaftlichen Dimension des Demokratischen Friedens vereint, präsentiert zuvörderst die wissenschaftliche Debatte über das Verhältnis von Demokratie, Demokratisierung und dem inneren Frieden. Diese hat sich um drei nur partiell verknüpfte Themen entfaltet: den 'Civil Democratic Peace', die in der Transformationsforschung entwickelten Theorien demokratischer Transition im Zuge der 'Dritten Welle' sowie schließlich um die Theorie und Praxis des 'Peace Building' und des 'Nation Building'. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Demokratisierungsprozessen als einer spezifischen Erscheinungsform politischen Wandels mit ihren (Zwischen-)Ergebnissen und gesellschaftlicher (sowie zwischenstaatlicher) Gewalt? Welche Faktoren wirken gewaltauslösend und gewaltverschärfend oder umgekehrt gewalthemmend und gewaltmindernd? Wie und durch welche Maßnahmen kann darauf hingewirkt werden, dass Demokratisierungsprozesse sich gewaltfrei oder gewaltarm vollziehen? Die Bilanz der bisherigen Forschung in den genannten drei Themengebieten offenbart eine Reihe kritischer Lücken. Einige von ihnen haben die Konzipierung der Projekte angeleitet, die zwischen 2003 und 2009 an der HSFK zum inneren Frieden und damit als Beitrag zu dem Forschungsprogramm des Instituts, 'Antinomien des Demokratischen Friedens', durchgeführt wurden." (Textauszug)