Das Umlageverfahren in Deutschland - doch kein Auslaufmodell?: Bestandsaufnahme und Perspektiven der Deutschen Rentenversicherung
In: Bachelorarbeit
Inhaltsangabe: Einleitung: Die soziale Absicherung gegen die Grundrisiken des Lebens ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auf hohem Niveau gewährleistet. Als Teil der Sozialen Marktwirtschaft leistet das System der sozialen Sicherung einen wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Wohlstand. Dieses positive Ergebnis sozialstaatlichen Wirkens hat allerdings auch eine Kehrseite, die Kosten sind außerordentlich hoch. Als Teil dieses Systems steht die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) in Deutschland derzeit vor einer tiefgreifenden Krise. Aktuell sind die Lasten für die Beitragszahler hoch, weil sich aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen die Beitragslast auf immer weniger Erwerbstätige verteilt. Hohe Arbeitslosenzahlen und eine demographische Entwicklung, die die Altersstruktur der Gesellschaft gravierend verändert, werden die Beitragssätze in die Höhe treiben, wenn das bisherige Rentenniveau erhalten bleiben soll. Zu diesen Problemen gibt es in der Wissenschaft und Politik eine weitgehende Übereinstimmung. In welcher Weise das System jedoch reformiert werden muss, gilt als strittig. Die heutigen Schwierigkeiten betreffen vor allem das Finanzierungsverfahren der Gesetzlichen Rentenversicherung. Ursprünglich sollte die Finanzierung der Rentenversicherung über ein Kapitaldeckungsverfahren erfolgen. Es gelang aber zu keinem Zeitpunkt, einen Kapitalstock aufzubauen, der eine problemlose Leistungserbringung gewährleistet hätte. Erst 1969 wurde schließlich auf das heute noch praktizierte Umlageverfahren umgestellt. Und genau dieses führt 40 Jahre später zu massiven Finanzierungsschwierigkeiten aus den seit langem bekannten Problemen durch den demographischen Wandel. Während beispielsweise in Schweden, der Schweiz und Chile tief greifende Reformen in der Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts bereits stattfanden, begann Deutschland erste Reformprozesse erst 1992 mit der Rentenanpassung auf das Nettoprinzip und der Einführung von Abschlägen bei der Frühverrentung. Ein erster Durchbruch zu einer Mehrsäulenstrategie gelang erst 2001 mit der sogenannten Riesterreform. Und dennoch war schon damals bekannt, dass weitere Schritte folgen müssen. Verschiedene Experten sehen die Lösung der meisten Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung in der Reform des Finanzierungsverfahrens und der Teilkapitalisierung des bestehenden Systems. Ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorgen bestehen in Deutschland bereits seit langer Zeit. Allerdings müssen auch hier eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren berücksichtigt werden. Bei einer Strukturreform zu Gunsten der individuellen Altersvorsorge wären die zukünftigen Faktoren, wie beispielsweise Höhe der späteren Rentenleistungen und der Beiträge zu unterschiedlichen Lebenslagen, noch nicht vollends abzusehen. Vergessen werden darf auch nicht, dass Inflationszeiten und Konjunktureinbrüche wie in den Jahren 1929, 1945, 2000 oder die jüngste Weltwirtschaftskrise einen erheblichen Einfluss auf kapitalgedeckte Altersvorsorgen haben. Die Arbeit wird aufzeigen, dass die Erfahrungen mit rein- oder teilkapitalisierten Systemen keine risikofreie Alternative darstellt, aber trotzdem für eine Reform in Erwägung gezogen werden sollten. Welche Alternativen an Rentenmodellen es in anderen Ländern gibt und ob diese in Deutschland zur Anwendung kommen könnten, soll ebenso untersucht werden, wie die Variante, ob das bestehende System der Gesetzlichen Rentenversicherung bei Lösung der Finanzierungsprobleme bestehen bleiben könnte. Gang der Untersuchung: Einleitend in Kapitel 3 wird die Deutsche Rentenversicherung in ihrer geschichtlichen Entstehung erläutert. Die Anfänge des deutschen Sozialsystems vor und unter Reichskanzler Otto von Bismarck über die verschiedenen Etappen hin zum heute bekannten System des Umlageverfahrens werden abschnittsweise beleuchtet. Der Generationenvertrag, auf dem das Umlageverfahren aufbaut, wird in diesem Zusammenhang erklärt. In Kapitel 4 wird auf die erste Säule des Alterssicherungssystems eingegangen und das Prinzip sowie Funktionieren dieser beschrieben. Der Schwerpunkt in diesem Kapitel wird auf dem versicherten Personenkreis und dem Zustandekommen von Leistungen beruhen. Weiterhin wird auf die Entwicklung der Finanzierungssituation eingegangen. Über die gesamtwirtschaftliche und ökonomische Entwicklung Deutschlands und den daraus resultierenden Problemen für die Gesetzliche Rentenversicherung informiert Kapitel 5. Es wird die demographische Entwicklung in Deutschland und die Arbeitsmarktproblematik mit deren Ursachen und Auswirkungen betrachtet. Kapitel 6 wird die bekannten Finanzierungsmodelle Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren mit deren Vor- und Nachteilen beschreiben. In diesem Zusammenhang werden alternative Ausgestaltungsformen dieser Modelle und deren Erfolge in anderen Ländern aufgezeigt. Aus den in Kapitel 6 aufgezeigten alternativen Altersvorsorgesystemen wird in Kapitel 7 das viel diskutierte Modell der Grundrente untersucht, sowie Reform- und Anwendungsvorschläge für die 2. und 3. Säule in Deutschland gegeben. In Kapitel 8 werden die Arbeit und die daraus resultierenden Erkenntnisgewinne zusammengefasst.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Problemstellung4 2.Aufbau der Arbeit6 3.Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV)7 3.1Geschichte und Entstehung – Von der Kaiserzeit bis heute7 3.2Der Generationenvertrag14 4.Das heutige System der Gesetzlichen Rentenversicherung16 4.1Personenkreis16 4.2Leistungen der Gesetzlichen Rentenversicherung18 4.3Berechnung der Altersrente25 4.4Die Finanzierungssituation – Theorie und Praxis29 4.4.1Die Entwicklung der Finanzierungssituation seit 197029 4.4.2Ergebnis35 5.Die gesamtwirtschaftlichen Probleme der Gesetzlichen Rentenversicherung37 5.1Demographische Faktoren37 5.2Der Arbeitsmarkt und die Gesetzliche Rentenversicherung41 5.3Konsequenzen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf die Rentenversicherung43 6.Finanzierungsmodelle47 6.1Vorbemerkung47 6.1.1Das Umlageverfahren49 6.1.2Das Kapitaldeckungsverfahren54 6.2International59 6.2.1Schweden59 6.2.2Schweiz61 6.2.3Chile62 6.3Fazit65 7.Alternativen für Deutschland67 7.1Die Grundrente67 7.2Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge71 8.Schlussbetrachtung und Ausblick76 9.Literaturverzeichnis81 10.Internetquellen86Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.4.1, Die Entwicklung der Finanzierungssituation seit 1970: Literatur, welche sich mit der Gesetzlichen Rentenversicherung auseinandersetzt, spricht immer übereinstimmend von den finanziellen Problemen des Systems. In einem Rückblick auf die vergangenen Jahre liegt die angespannte finanzielle Lage der Rentenversicherung auf der Hand. Eine erhoffte Verbesserung auf der Seite der Beitragseinnahmen ist in der Vergangenheit, wenn überhaupt, immer nur kurzfristig eingetreten und war meistens eher durch 'Buchungstricks' entstanden als durch Nachhaltigkeit. Das folgende Kapitel soll die Finanzierungssituation der Rentenkasse seit den 1970er Jahren näher beleuchten. Mit dem Übergang in das uns heute bekannte Umlageverfahren 1969 wurde auch der Grundstein für die finanziellen Probleme gelegt, welcher bis in die jüngste Zeit nachwirkt. Die aus den Wahlen 1969 hervorgegangene sozial-liberale Regierungskoalition verfolgte die 'Weiterentwicklung der Sozialpolitik'. In den Jahren 1970 bis 1975 folgte daraus eine Vervielfachung der Ausgaben für soziale Zwecke als Folge quantitativer wie qualitativer Erweiterungen in allen Versicherungszweigen des Sozialsystems. Den Erweiterungen der Sozialausgaben in Höhe von 14,2 Prozent in diesem Zeitraum stand ein durchschnittliches Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von nur 9,5 Prozent entgegen. Möglich war dies unter anderem, weil seit den Jahren der Rezession 1966/67 die Beitragssätze schrittweise von 14 Prozent bis auf 18 Prozent 1973 erhöht wurden, um Kürzungen des Bundeszuschusses aufzufangen. Der Wirtschaftsaufschwung 1971 bis 1973 führte im Rahmen einer fünfzehnjährigen Finanzvorausberechnung für die Rentenversicherung zu 'wachsenden Überschüssen'. Laut dieser Vorausberechnung war die Regierung der Annahme, das im Jahr 1985, dem Endjahr der Berechnung, es zu einer überdimensionierten Schwankungsreserve gekommen wäre, welche aus den vorgenommenen Beitragsanhebungen zwischen 1966 bis 1973 resultierten. Statt die Beitragssätze als Ergebnis dessen wieder nach unten anzupassen, entschied die Regierungskoalition in der Rentenreform 1972 für Leistungsausdehnungen mit folgenden Neuerungen: Einführung einer flexiblen Altersgrenze ohne versicherungsmathematischen Abschläge, Eine Rente nach Mindesteinkommen zum Ausgleich niedriger Löhne in der Vergangenheit, Öffnung der Rentenversicherung für alle Bürger ('freiwillig Versicherte'), Vorverlegung der nächsten Rentenanpassung um 6 Monate. Für die kommende Entwicklung der Finanzierungssituation wirkten sich vor allem die flexible Altersgrenze und das Vorziehen der Rentenanpassung negativ aus. Allein durch die Vorverlegung der Rentenanpassung erhielten die Rentner eine Erhöhung der Rente um 16,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Zeit von ausgedehnten Leistungserweiterungen folgte bis 1981 ein Anstieg der Sozialleistungen um durchschnittlich 6,7 Prozent, welches dem Wachstum des Bruttoinlandproduktes entsprach. In den Jahren 1975 bis 1981 kam es zu den ersten Konsolidierungsmaßnahmen. Dies war notwendig, weil auf Grund der wirtschaftlichen Abschwächung (infolge der Ölkrise) die Ausgaben der Rentenversicherung rascher anstiegen, als die Einnahmen. Dieses Missverhältnis musste bereits 1975 das erste Mal durch die neu eingeführte Schwankungsreserve (auch Nachhaltigkeitsrücklage) ausgeglichen werden. Allein bis 1977 wurde die Schwankungsreserve so von fast 10 Monatsausgaben auf nur noch 3,3 Monatsausgaben zurückgefahren. Die dafür getroffenen Sanierungsmaßnahmen waren allerdings nur kurzzeitige Erfolge beschieden. Entschieden wurde unter anderem die neuerliche Verschiebung der Rentenanpassung, allerdings diesmal um ein halbes Jahr nach hinten. Des Weiteren erfolgte eine Abkoppelung der Rentenanpassung von der Lohn- und Gehaltentwicklung von 1979 bis 1981. Stattdessen wurden die Anpassungsraten jährlich auf 4 bis 4,5 Prozent gesetzt, anstelle der sich aus der Rentenformel ergebenden höheren Sätze zwischen 5 bis 6,3 Prozent.