Der Titel macht neugierig, verspricht er doch so interessante Themen wie Zahnkunst, Wahlrecht und Vegetarismus. Es geht um eine Frau, die im Deutschen Kaiserreich frauenbezogen lebte und mit ihren Freundinnen einen eigenen Weg ging, berufstätig, politisch aktiv und mobil – bis zur Flucht in die USA vor den Nationalsozialisten, die ihr Leben und das vieler anderer Jüdinnen und Juden zerstörten.
Forschung zum europäischen Integrationsprozess kann ergreifend, bildend – um nicht zu sagen sexy sein. Dies zeigt überzeugend der Band "L'Europe, une chance pour les femmes? Le genre de la construction européenne". Im deutschsprachigen Kontext ist dieses historische Forschungsfeld noch nicht wirklich entdeckt worden und so folgt man gespannt den Autor*innen, die nach einem Europa der Frauen und für Frauen ebenso fragen, wie sie das Geschlecht der europäischen Gemeinschaftskonstruktion insgesamt in den Blick nehmen. "L'Europe, une chance pour les femmes?" versammelt 19 Beiträge von Autor*innen aus Frankreich, Italien, Deutschland, den USA, Belgien, Griechenland, Spanien, Luxemburg. Die Herausgeberinnen Anne-Laure Briatte, Éliane Gubin und Françoise Thébaud haben sie in vier Kapiteln zusammengefasst und mit einer kontextualisierenden Einleitung versehen. Die Kapitelüberschriften unterbreiten gleichzeitig einen Vorschlag zur Epochenbildung, der die Phasen der europäischen Formierung mit Fragen zum Geschlechterverhältnis verknüpft und somit die Entwicklung von Gleichstellung als Form und Inhalt des europäischen Integrationsprozesses begreift. So fragt das erste Kapitel nach den "Müttern Europas" und dem Geschlecht der europäischen Idee zwischen 1919 und 1957. Das zweite Kapitel befasst sich mit den Frauen im Schatten der männlichen Institutionen von den 1950er- bis hinein in die 1970er-Jahre. Das dritte Kapitel thematisiert den Diskurs um ein feministisches Europa am Ende der 1970er-Jahre. Das vierte Kapitel untersucht mit einem vergleichenden Ansatz die deutschfranzösischen Initiativen in der Gleichstellung. Der Band schließt mit einem Schlusswort der Herausgeberinnen sowie mit einer äußerst nützlichen Chronologie zur Orientierung.
Die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund, Brigitte Wolfs, brachte es auf den Punkt: "Straßenbenennungen nach Personen spiegeln historisch den jeweiligen politischen Willen wider, die Leistungen der Vorfahren zu würdigen und im öffentlichen Raum präsent zu halten" (Frauenbüro 2007, S. 5). Angesichts des noch immer eklatanten Missverhältnisses zwischen Straßen, die nach männlichen und weiblichen Persönlichkeiten benannt sind, ist die Benennung einer Straße am Dortmunder U mit dem Namen der Fotografin Annelise Kretschmer (1903–1987) ein besonderes Ereignis.
Wer endlose Regalkilometer mit großen Tonbandspulen in klimatisierten Räumen und aufwändige Archiverschließungssysteme erwartet, mag zunächst enttäuscht sein. Fünf Metallkoffer gefüllt mit DATs (Digital Audio Tapes) und CDs (Compact Discs), ein Aktenordner mit Informationen zu Aufnahmeobjekt, -ort, -datum, -kontext sowie einer rudimentären Verschlagwortung: So sieht die materielle Dimension des Schallarchivs zur Klanglandschaft Ruhrgebiet aus, das Richard Ortmann, Ralf R. Wassermann und ich seit den 1980er-Jahren aufbauen und das sich, grundsätzlichen Überlegungen zur Quellenbasis einer Musealisierung regionaler Industrialisierung folgend, in Kopie auch im Essener Ruhr Museum befindet. Anders als Rundfunkarchive, deren im Laufe von Jahrzehnten akkumulierte Geräuschesammlungen sich (Hörspiel-)Produktionen verdanken, versteht sich dieses Schallarchiv als eine geschichtskulturelle Aktivität, die jenen umfassenden Strukturwandel zum Thema macht, den das Ruhrgebiet als alteuropäische Montanregion seit Ende der 1950er-Jahre durchlebt und vorantreibt.
Direkt nach dem Kriege photographierte Gerhard Gronefeld Berliner Kinder. Für sein Archiv gab er den Aufnahmen den Titel "Schlüsselkinder": Drei Jungen, in Trümmern spielend, tragen unübersehbar an einer reißfesten Schnur Wohnungsschlüssel um den Hals, wie sie in Berliner Mietskasernen üblich waren. Im Mittelpunkt des Bildes schaut ein Junge den Photographen direkt, offen, verschmitzt, doch gleichzeitig vorsichtig abwartend an. Auf seinen Knien liegt ein abgeklopfter Ziegelstein, über den die zerstörte Stadt mit in das Bild hineingenommen ist, als Spiel- wie als Arbeitsplatz, denn Steineklopfen war eine Tätigkeit, durch die sich Kinder ein paar Pfennige verdienen konnten. Gleichzeitig verweist dieser Ziegelstein im Verbund mit den sichtbaren Schlüsseln auch auf ein Abwesendes: auf die Mutter, die irgendwo "bis spät in die Nacht" arbeitet. Gronefeld, selbst "Berliner Junge", zeigt Sympathie für die Kinder. Er dokumentiert sie ohne Anklage selbstständig als Herren über Raum und Zeit.
Der Beitrag untersucht die These von der gemeinschaftsintegrierenden Wirkung massenmedialer Kommunikation am Beispiel der medialen Inszenierung der NS-Volksgemeinschaft im Rundfunk. Aus Hörerbriefen und Zeitzeugenerinnerungen rekonstruiert die Autorin einen bedeutsamen Wandel in der Rundfunkaneignung der NS-Zeit: Je mehr der Reichsrundfunksender seine Glaubwürdigkeit angesichts der konkreten Erfahrungen von Not und Leid verlor, desto mehr wurde das Hören von Feindsendern zum subversiven Akt, in dem der Rundfunk als Medium sein Vertrauen zurückgewann. Die Nationalsozialisten entwickelten den akustischen Live- und Illusionscharakter des Rundfunks weiter, um gemeinsame Erfahrungen, eine gemeinsame Zeit und damit eine gemeinsame -nationalsozialistisch ausgreifende - Gegenwart zu schaffen. Hier lag ein medienspezifisches Einfallstor für eine NS-Herrschaftspraxis, die sich jenseits von "Verführung" und "Zwang" massenhafte Zustimmung und langfristig Selbstunterwerfung zu sichern wusste. (ICA2)