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Dieser Beitrag setzt sich mit drei zeitgenössischen medialen Verhandlungen von Sorge auseinander, die an der Schnittstelle von queerness und dis/ability artikuliert werden. Obwohl es sich um heterodoxe Genres medialen Ausdrucks handelt – eine aktivistische Video-Reportage, ein fiktionaler Spielfilm und eine künstlerische Essay-Foto-Arbeit –, zeichnen sich die Produktionen in ähnlicher Weise dadurch aus, dass sie crip-queere Zeitlichkeiten medial politisieren und damit differenzierte Nuancen problematischer ebenso wie erstrebenswerter Verständnisse von Sorge verhandeln. Anstelle aber eine vermeintliche Oppositionalität zu behaupten, machen die Beispiele ein komplexes Spannungsverhältnis konfligierender Sorgepolitiken sichtbar. ; This article analyzes three contemporary examples of media practices and their specific concepts of care, which are articulated at the intersection of queerness and dis/ability. Although these examples derive from heterodox media genres—an activist video report, a fictional motion picture, and an artistic combination of essay and photography—all three productions are similarly characterized by the aesthetic politicization of queer crip temporalities, which enables them to negotiate nuanced understandings of care, be they problematic or desirable. But instead of positing these notions as polar opposites, the examples visualize a complex relationship between conflicting politics of care.
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Unter dem programmatisch verschränkenden Titel Disability Media Studies versammeln Elizabeth Ellcessor und Bill Kirkpatrick exzellente Artikel, die die Medienwissenschaft durch Begriffe und Perspektiven der Disability Studies erweitern und herausfordern wollen. Durch die jeweils medienwissenschaftliche Problemstellung und medienanalytische Methodik zeigen die Beiträge – umgekehrt – auch für die Disability Studies mögliche theoretische Verschiebungen in der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der soziokulturellen Konstruiertheit von Behinderung auf, indem sie diese Konstruiertheit als Effekt medialer Dispositive in Form von Repräsentation aber auch "beyond Representation" (Mack Hagood, S. 312) denken. Dem Sammelband liegt ein erweiterter und intersektionaler Begriff von Disabilities zugrunde. Gemeinhin werden unter Behinderungen klinisch konnotierte, vermeintlich 'stärkere' und 'merkliche' motorische, sensorische oder geistige Beeinträchtigungen verstanden. Die überzeugende Erweiterung des Begriffs von Behinderung erfolgt, indem bspw. auch Gegenstandsbereiche der Neurodiversität und der Illness Studies besprochen werden: Dazu zählen unter anderem das Leben mit Autismus oder AD(H)S, oder auch mit chronischen Schmerzerkrankungen und sensorischen Erkrankungen wie Tinnitus, potentiell tödlichen viralen Infektionen wie AIDS/HIV sowie psychischen Dispositionen wie Depressionen und Angstzuständen. Der Begriff wird mithin nicht auf klinische oder legislative Definitionen von Behinderung verengt, sondern erstreckt sich auf alle mittel- und längerfristigen oder wiederkehrenden Formen der Reduktion von Handlungsfähigkeit durch Barrieren, die einer mutmaßlich idealen oder normalen motorischen, sensorischen, kognitiven und emotional-stabilen Befähigung von Körpern in den Weg gestellt sind. Aufgrund ebendieser Erweiterung des Begriffs von Disabilities im Plural empfiehlt sich schließlich notwendig auch seine intersektionale Perspektivierung, die Aspekte erweiterter Disabilities im Kontext von Rassismus, (Hetero)Sexismus, Klassissmus, ageism, lookism etc. sichtbar machen soll, wie im Band überzeugend ausgeführt wird. So geht es im Sammelband mitunter um die Verschränkung von Abnormalisierung und Effemination von Anxiety Disorders (D.Travers Scott/Magan Bates); um den verandernden, euro-ethnischen Blick auf nicht-weiße, vermeintlich animalisch-monströse Freak-Show-Künstler_innen (Lori Kido Lopez); und um Arbeiter_innen im globalen Süden, die durch den Medienproduktionsimperialismus des globalen Nordens ausgebeutet, geschwächt, verletzt und verbehindert werdern (Toby Miller). Auf Basis des intersektionalen, erweiterten Begriffs von Disabilities schließen die Artikel eine breite Palette von medialen Untersuchungsgegenständen für eine medienkulturwissenschaftliche Bearbeitung auf. Das heißt, es geht bei diesen Artikeln keineswegs schlicht um eine Beschäftigung mit Disabilities 'am Beispiel von' Medien. Medien wären dann die Trägermedien, die angeblich präexistente Themen, Ideen, Stereotype oder kritische und widerständige Botschaften in Bezug auf Disabilities lediglich transportieren oder verstärken. Im medienkulturwissenschaftlichen Denken der Autor_innen wird stattdessen davon ausgegangen, dass Disabilities sich in besonderem Maße erst 'in' ihren Mediatisierungen verwirklichen. Mediale Alltagsgegenstände, mediale Narrative und Motive, mediale Räume und Architekturen stellen das Bild von und das Leben mit vermeintlicher körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung unter Bedingungen, die von der Mediatisierung selbst erst hervorgebracht werden. Besprochene Beispiele sind etwa die Darstellung eines Rollstuhlnutzers in einer Jugend-TV-Serie der 2010er Jahre 'durch' einen able-bodied Schauspieler (Ellcessor, S. 31–51) oder die Bewerbung eines Radiogeräts in den 1920er Jahren für invalide Bettlägerige 'als' Angebot zur gefühlten Teilhabe an gesellschaftlichem Leben (Kirkpatrick, S. 311–353). Wie die differenziert argumentierenden Beiträge aufzeigen, verhalten sich diese Phänomene nicht einfach sekundär zur sozialen Wirklichkeit. Sie sind nicht nur die abbildende Darstellung von Behinderung (in der TV-Serie) oder die technologische Antwort auf eine Behinderung (Radioempfang). Vielmehr wird überzeugend aufgezeigt, dass sich das Politische an der (Nicht-)Behinderung von Körpern (d. h. ihre Verstrickung in Machtverhältnisse) erst durch Mediatisierungen und Technologien realisiert und stets Aktualisierungen und Revidierungen von dem hervorbringt, was als motorisch, sensorisch oder kognitiv 'normales' Befähigungsausmaß gilt. Die Frage nach der Medialität von Disabilities zu stellen, ist damit für die Autor_innen des Buchs keine Fleißaufgabe für kulturwissenschaftliche Illness und Disability Studies, sondern zielt auf eine medienwissenschaftlich-epistemologische Grundierung ihrer Kernthemen wie etwa accessibilty (Barrierefreiheit/Zugänglichkeit), debilitation (Schwächung/Verbehinderung), Mobilität, Zeitempfinden und Arbeits(un)fähigkeit. Dieser intersektionale medienkulturwissenschaftliche Zugang fragt damit danach, wie die Beziehungen von Medienhandeln und Mediatisierungen zur ungleichen Verteilung von Handlungsmacht und Privilegien verschiedener (nicht-)behinderter Körper aussehen, wirken und normalisiert sind – aber auch danach, wie diese Beziehungen dekonstruiert und verändert werden können. Mit Medien sind im Sammelband zum einen kulturelle Medien-Technologien im engeren Sinn gemeint: Film, Fernsehen, Radio, Internet, Graphic Novels, klinische Technologien wie bildgebende Diagnostik. Aber auch Sprechakte oder Diskursstränge zur (Ab)Normalität bestimmter Körper werden – einem erweiterten Begriff davon entsprechend – als mediale Operationen begriffen. Dies gilt auch für konventionelle Blickregime des Starrens, des Ekels oder der Bemitleidung oder für proxemische (Nicht-)Möglichkeitsräume der (Im)Mobilität oder der (Un)Zugänglichkeit. In den Augen von Ellcessor und Kirkpatrick soll die Beschäftigung mit Medien im engsten ebenso wie im erweiterten Sinn die Beforschung der kulturellen Konstitution von Behinderung stärker anleiten, da Medien – seien es Film, Radio oder Zeichnung, seien es Sprach-, Raum- oder Wahrnehmungsanordnungen – jeweils die Infrastrukturen sind, die soziale, kulturelle, informationelle und auch materielle Barrieren organisieren, kanalisieren und regulieren.(Vgl. S. 10–20) Dementsprechend wird im Band Medialität nicht nur als eine Frage der Repräsentation verstanden (wie wird etwas – in Bildpolitiken, als Motiv, als Narrativ – dargestellt und dadurch politisch wirksam?), sondern auch als eine Frage nach dem 'Handeln mit Medien': In welchen technischen, strukturgebenden, vermittelnden, ordnenden, speichernden, ästhetischen, übersetzenden sowie selbst- und fremd-regierenden Medien-Praxen konstituieren sich Beeinträchtigungen, Barrieren und Beschränkungen von Handlungsmacht? Die medienwissenschaftliche Epistemologie, die von den Artikeln nominiert wird, besteht damit in der Annahme, dass die Prozesse der Subjektivierung stets mit Prozessen des Agierens/Erleidens im Rahmen medialer Praxen korrespondieren. "When scholars study moments such as these, in which bodies and technologies interact, they shift the analytical frame from one of representation to one of biomediation." (Mack Hagood, S. 312) Auch subversive Biomediationen werden im Sammelband besprochen. So beschäftigen sich Shoshana Magnet und Amanda Watson mit den auto-analytischen, ästhetischen Strategien von Künstlerinnen, die ihre durch Depressionen und chronische Schmerzen intensivierte Trägheit, Motivationslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit in Graphic Novels übersetzen. Von den künstlerischen Arbeiten leiten Magnet/Watson die These ab, dass Biomediationen von Disabilities eine paradigmatische Machtkritik formulieren, die anders als etablierte Machtkritiken zentral aus einer problematisierenden Verschränkung von Zeit- und Leistungs-Konzepten heraus argumentieren, denn "narratives about disability are haunted by time and temporalities. […] [W]e argue that an undertheorized piece of the structure of ableism is the way that people with disabilities are both shamed and haunted by time and its passing under late-capitalist narratives obsessed with normative forms of productivity and efficiency." (S. 247f) Während es das Verdienst der Queer Theory sei, kritische Perspektiven und Begriffe gegen normative Imperative von sexueller Reproduktion entwickelt zu haben, bestünde das größte Potenzial einer Crip Theory darin, neue Perspektiven und Begriffe gegen kapitalistische, meritokratische und neoliberale Imperative von Produktion, Effizienz und 'erfüllter Zeit' zu theoretisieren. Die Artikel stellen einen herausragenden Beitrag zum wichtigen – und leider im deutschsprachigen Raum eher minoritären – Bestreben nach intersektionaler Medienwissenschaft dar. Eine entsprechend intersektionale Ausrichtung von Media Studies begreift die kritische Analyse und Theoretisierung von Medien als eine Wissenschaftspraxis, die die medialen Infrastrukturen von Machtverältnissen ins Auge fassen und freilegen will. Besonders positiv fällt dabei auf, dass die Konzeption des Sammelbands diesen Gedanken auf die Frage der 'Lektüre' akademischer Texte zu übertragen scheint und kleinere Versuche in Richtung neurodiversitätsgerechter Aufbereitung unternimmt: Begonnen bei vorangestellten Abstracts und gründlichen Conclusios bis hin zur überaus leser_innenfreundlichen Sprache, zeichnet sich auch das Textmanagement der Beiträge stilistisch durch eine gewisse Sachlichkeit und Schlichtheit aus, die hochgradig 'accessible' ist und daher auch als Einstieg in Disability Studies oder Medientheorie empfohlen werden kann. Zugänglichkeit wird auch maximiert, indem zwei Inhaltsverzeichnisse vorangestellt werden: Eines, in dem die Beiträge in theoriebasierte Cluster geordnet sind und ein zweites, in dem die Artikel hinsichtlich der unterschiedlichen besprochenen Medienformen aufbereitet wurden. Obwohl es sich nicht um einen Reader oder ein Handbuch handelt, möchte mensch diesen Sammelband auch nach der Lektüre in Griffweite verwahren: denn er zeichnet sich auf theoretischer, methodischer und konzeptioneller Ebene durch viele instruktive Ideen aus, die ebenso herausfordernd wie erhellend sind.
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Ob Fernsehschränke, Telefonzellen oder Computergehäuse – Umhüllungen und Verkleidungen medialer Technologien waren lange Zeit keine Gegenstände einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten, medientheoretischen Auseinandersetzung, obwohl gerade das insistente Fragen nach Möglichkeitsbedingungen, nach Rahmung, nach Materialität oder nach medialer Verfasstheit ein Erkennungsmerkmal medienkulturwissenschaftlichen Problembewusstseins darstellen will. Der Sammelband Gehäuse: Mediale Einkapselungen bietet eine ambitionierte und komplexe Theoriebildung zur vernachlässigten Handlungsmacht von Gehäusen an, indem das Gehäuse erstmalig großangelegt als medienwissenschaftliches Epistem befragt wird. Darüber hinaus eröffnen die Texte viele Einblicke in die Mediengeschichte der Hüllen, Behausungen und Bauformen von Apparaten und Technologien, aber auch von historischen Vorläufermedien, von Materialitäten wie Holz und Müll oder von Kulturtechniken der Speicherung und Übertragung. Als die Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2018 stattfand, fielen vielen Tagungsteilnehmer_innen die zahlreichen, kunstvoll bemalten Verteilerstromkästen des Gastgeberorts Siegen auf. Durch die Gestaltung der Kästen beabsichtigte die Stadt sich als kreativer Industrie- 'und' Kulturstandort zu positionieren – und sorgte auf Fußwegen zwischen den Veranstaltungsräumen der Tagung für Gespräche über Stadt-Ästhetik, Energiewirtschaft, Geschmack etc. Wenn eine ansonsten unsichtbare Materialität erst durch Verfremdungspraktiken überhaupt sichtbar und dann mit Energiewirtschaft oder Ingenieurswesen assoziiert wird, handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Medium, weil Medien Wirklichkeiten organisieren und kanalisieren und dabei einen Hang zur Unsichtbarmachung ihrer Körper und ihrer Agency haben. Es war das Medium 'Gehäuse', also der Kasten (und nicht der Kabelsalat oder der Strom), der im Stadtraum sichtbar wurde und sich selbst thematisierte: als neues Trägermedium für Kunst. Jene zuvor anästhetische, eigene Medialität von Gehäusen ist es, die Hans Blumenberg "Umkleidung des künstlichen Produkts mit Selbstverständlichkeit" (S.9) nannte, und die für die Herausgeber_innen des Sammelbands die Grundthese darstellt, dass Gehäuse "Orte der Vermittlung sind, die vordergründig der Stabilisierung eines Funktionsarrangements dienen, an denen sich aber auch Zeichenprozesse abspielen." (S.10) Dass eine Medientheorie der Gehäuse eine lohnende, komplexe epistemische Herausforderung darstellen könnte, wurde dabei bisher durch hartnäckige Abwertungen vernebelt: Einerseits imaginieren kulturelle Gemeinplätze Gehäusefiguren als äußerliche Nur-Hüllen/Nur-Fassaden/nicht-essenzielle Oberflächen bzw. als Blendwerke/Täuschungen und andererseits formulieren auch wissenschaftliche Kommentare zu medialen Hüllen solche meist lediglich als Verstärkerinnen des 'Eigentlichen', also als sekundäre, repräsentationslogische Thematisierungen des Gehäuseinneren, der Software (oder des guten alten Inhalts) 'in' der äußerlichen Aufbereitung (Form). Dem halten die Herausgeber_innen eine Theoretisierung des Gehäuses entgegen, die es nicht nur als eine 'Schicht' des Mediums denkt, sondern die das Gehäuse selbst als 'medial' begreift – also als performativ, als wirkmächtig und in intermaterieller Wechselwirkung mit Umwelt, Nutzer_in, Innenleben etc. Dazu werden in der Einleitung vier Kontextualisierungen des Begriffs entwickelt. Konzipiert als "materielle Artefakte" (S.11), können Gehäuse erstens mit theoretischen Anleihen aus den Material Culture Studies und der ANT perspektiviert werden, womit auch die Beziehung der Funktionalität von Gehäusen zu Fragen der (Inter‑)Materialität oder zu Praktiken des Alltags adressiert ist, sodass das Gehäuse "als ein Ort (mit eigener Medialität) beschrieben werden kann, an dem ein gestaltetes Artefakt mit Praktiken konfrontiert ist und an dem sich damit auch soziokulturelle Konflikte abspielen"(S.13). In einem zweiten Schritt werden dann Perspektiven aus Theorie und Praxis von 'Design' bemüht, da Produktdesign intrinsisch mit der Geschichte der Industrialisierung (etwa mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks) verschränkt ist und so die Ambivalenz von 'Funktionalität und Ästhetik' in den Fokus rückt. Unter den Blickpunkten des Designs betrachtet – geplanter Gebrauch vs. "übergreifende ästhetische Leitvorstellungen"– offenbaren sich Gehäuse als verhandlungsintensive Medien, mittels derer zeitgenössische "Kommunikation über gesellschaftlich geteilte Werte, Normen und Einstellungen" (S.18) stattfindet. Ein Gehäuse weist drittens sowohl die Charakteristika der 'Infrastruktur' als auch des 'Interface' auf. Als Interface erscheint es, weil es ein instrumentelles Bedienelement ist, das sich Nutzer_innen als Schnittstelle zuwendet. Es tritt aber zugleich als Infrastruktur in Erscheinung – bzw. macht sich als solche unsichtbar –, indem es eine Stabilisierung von Komponenten darstellt, welche das Funktionieren eines Systems garantieren und dessen Verhältnis zur Umwelt determinieren soll. Mit dieser Einsicht lassen sich Gehäuse gerade in ihrer "wechselnde[n] Positionierung […] als bedienbares Werkzeug oder als Teil der Architektur" (S. 21) eines ökologischen Dispositivs untersuchen. Die vierte Kontextualisierung bündelt die vorangehenden am Beispiel der Theoriegeschichte der Blackbox und überträgt diese auf die Frage nach einer medienkulturwissenschaftlichen Theorie der Gehäuse. Die "Logik des Blackboxing" besteht in der Einkapselung technischer Komponenten und deren Abschirmung von Anwender_innen, womit sie "materieller Ausdruck von Formalisierungs- und Technisierungsprozessen" (S.11) sind und eine je spezifische Ordnung von 'Intransparenz zugunsten von Transparenz' festlegen, indem ihr Weniger an Einsicht den Pragmatismus ihrer Handhabe optimiert. Auf Basis dieser Annahme lässt sich die Erschließung einer Theorie des Gehäuses an die epistemologischen Erkenntnisse der Kybernetik anknüpfen: Davon kann abgeleitet werden, dass Gehäuse ein allgemeines "Modell von Kognition"markieren, das darin besteht, dass sie praktisches Wissen hervorbringen und organisieren (Beobachten, Erkennen, Sehen, Erfassen, Lernen). So soll argumentiert werden, dass sich Gehäuse nicht in ihrem instrumentellen Charakter erschöpfen. Sie sind dann nicht Repräsentationen von ihnen ausgelagertem Wissen, von Werten oder Normen, sondern Interaktionsparter_innen im prozessualen Auf-Einander-Abstimmen und damit "Verfahren der Wissensproduktion" (S.22). Wie schon die Einleitung, richtet sich das Gros der Beiträge an medienphilosophische Leser_innen-Interessen. Die meisten Texte verhandeln, bezogen auf einen material- oder ideengeschichtlichen Diskurs oder auf historische/aktuelle Phänomene, immer auch die Fragen: Wie definiert sich eigentlich ein/das Gehäuse und welches grundlegende medientheoretische Wissen lässt sich darauf anwenden oder davon ableiten? Und was bedeutet das für unseren Medienbegriff? So offeriert der Sammelband etwa eine Theorie der Gehäuse von Notfalldingen als emergente "suspense-Techniken"(Martin Stiegler, S.302), eine Diskussion von Körperkapseln, die binäre Subjekt-Objekt-Ontologien auflösen (Andreas Broeckmann) oder auch eine medienphilosophische Untersuchung der Beeinflussung des etablierten Umweltbegriffs durch Uexkülls mediale Umweltkonzeption "als gläsernes Gehäuse", "stabil und fest dem Lebewesen zugehörig" sowie "unauffällig und transparent" (Julian Jochmaring, S.262). Auch die Frage danach, wie sich kultureller Wandel in Gehäusen zeitigt, begegnet widerkehrend: in der Analyse sowohl von solchen Imitationen einer kühlen Smart-Phone-Elektrogerätästhetik in zeitgenössischer Architektur (Tom Steinert), als auch (umgekehrt) von jenen Nachahmungen wärmend hölzerner Musikmöbel-Optik durch aktuelle Retro-Smart-Phone-Gehäuse (Leonie Häsler). Herausstechend sind jene Passagen, in denen die Gehäuse-Theoriebildung mit politischen, gesellschaftskritischen oder explizit gender-relevanten Fragen verschränkt wurde, und in welchen die Medialität von Gehäusen so hinsichtlich ihrer Verstrickung in Machtverhältnisse dargestellt wird. Auf Gender-Diskurse von medialen Gehäusen macht etwa Tobias Landers Inklusion einer Besprechung von Valie Exports Tapp- und Tastkinoin der Genealogie künstlerisch reflexiver Gehäuse-Mysterien aufmerksam. Heike Weber wiederum kommt in ihrer Analyse "[z]ur Vermittlung von Konsumtechniken" mitunter auf Ellen van Oosts einschlägige Gender-Skript-Studie zum elektrischen Rasierapparat der 1950er-Jahre zu sprechen und erweitert Oosts Schlüsse zur Vergeschlechtlichung von Medien durch das Beispiel von Radioportables der Zeit.Außerdem beobachtet Weber, dass die Interfaces von Waschvollautomaten um 1990 ein effeminierendes Script vorgaben, das ihren Anwenderinnen mitunter durch 'Bio-Programme' die soziale Rolle einer Koordinationsverantwortlichen für Hygiene-, Material- und Umwelt-Bewusstsein nahelegte. Zusammenhänge von sozialer Differenz mit ihren korrespondierenden Gehäusen betreffen nicht zuletzt klassifizierte Praxen. Anhand von "Behausungen des Mülls"zeigt etwa Laura Moisi auf, wie Müll "Dingen und Personen einen Platz in der symbolischen Ordnung des Sozialen zuweist und die Welt in Zonen der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit aufteilt"(S. 214). Die Administration von Normativität durch Gehäuse ist auch Thema von Markus Krajewskis Kritik an der deutschen Architektur der Nachkriegszeit. Mosaik-, Raster- und Kachel-Strukturen im Stil karierter Collegeblocks dienen dazu – so die These – die Gegenwart zu dehistorisieren, "Gewissen reinzuwaschen" (S. 170) und "Bewohner in unbeschriebene Blätter zu wandeln", gleichsam "formatiert" (S. 171) und geschichtsvergessen. Derartige machtkritische Ausrichtungen der Forschungsbeiträge werden teilweise vermisst, wenn der ein oder andere Text sich etwa als genuin medienphilosophisch oder medienhistorisch versteht, und wenn dann das spezifische Selbstverständnis der Analyse- oder Theoretisierungspraxis impliziert, dass die untersuchte Medialität von Design, Infrastruktur oder Architektur ein Forschungsgegenstand ist, der unabhängig von dessen Gender-, Race-, Class- oder Ability-Dimensionen besprochen werden könnte. Eine Theorie von Gehäusen kann es nach meinem Dafürhalten nur unter den Prämissen geben, dass Gehäuse essentielle Agent_innen in Gefügen der Organisation von Accessibilities (Queer/Crip Theory) sind und dass sie eine Vergeschlechtlichung von Innerlichkeit/Äußerlichkeit durchwirkt – eine Perspektive, zu der Lektüren von Bourdieus Theorie des Hauses als gegendert-normalisierende 'verkehrte Welt' oder Sara Ahmeds feministischer Bezugnahme auf das Survival-Kit inspirieren könnten.[1] In viele Gehäuse von elektronischen Medien ist außerdem ein wichtiger Reminder für die Medientheorie buchstäblich 'eingeschrieben': "Made in China", "Made in Bangladesh" etc. verweisen auf materiale Implikationen von race/gender/class, die mit dem Outsourcing unserer Medienproduktion in Länder des Globalen Südens und mit der Ausbeutung von Women of Colour in der Medienindustrie einhergehen – ein entscheidendes und permanent anwesend/abwesendes Charakteristikum von Medialität im 21. Jh., das, wie Lisa Nakamura anregt, das kritische Verständnis von Medientheorie herausfordern sollte.[2] Ansätze einer solchen machtverhältniskritischen Haltung von Medienwissenschaftler_innen finden sich in Heike Webers Fazit zu Fragen des Blackboxings: "Was in einer Gesellschaft von einer jeweiligen Technik als wichtig zu wissen erachtet und was von dieser Technik erwartet wird, wird auch über Gehäuse- und Interfacedesign vermittelt, derweil andere Aspekte des Technischen ausgeschwärzt sind – und damit […] auch weiter im Machtraum der Technikproduzenten verbleiben" (S. 134). Denn bei aller vermeintlich öffnenden Ökologisierung von Medien als deren Emergenz in Smart Homes, Ubiquitous Computing oder Ambient Intelligence, darf nicht die Konjunktur zunehmender Schließung und Abgrenzung von Gehäusen übersehen werden. Auf diesen Prozess wird auch im Sammelband verwiesen: auf Vorgänge der "Isolierung", die beabsichtigen, "nur noch die notwendigen Ströme durchzulassen und unbefugte Zugriffe zu verhindern" (Florian Sprenger, S. 194). Till A. Heilmanns Text bietet dazu ebenso eine problembewusste Beobachtung an: Eine zunehmende Immunisierung des 'Machtraums der Technikpoduzent_innen' gegenüber Subversionen mittels gezielter Verunmöglichung von individuellen Eingriffen in Systeme "zwingt Nutzerinnen und Nutzern das Muster eines rein konsumierenden Umgangs mit und Gebrauchs von Computertechnik auf" (S.50). Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Telefonzelle auf dem Cover des Sammelbands als Überhang aus einer anderen Epoche, wenn wir daran denken, dass in den letzten Jahren immer mehr europäische Stadtadministrationen ihre öffentlichen Telefonzellen so umgebaut haben, dass sie nicht mehr von Obdachlosen als Schlafplatz oder Kälteschutz angeeignet werden können. [1] Siehe Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 2009. Sowie Sara Ahmed: Feministisch Leben! Manifest für Spaßverderberinnen. Münster 2017. [2] Siehe Lisa Nakamura: "Indigenous Circuits. Navajo Women and the Racialization of Early Electronic Manufacture". In: American Quarterly, 66/4, Dezember 2014, S. 919–941.
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Marie-Luise Angerers neue Publikation Affektökologien. Intensive Milieus und zufällige Begegnungen (2017) aktualisiert ihre Studie zum Begehren nach dem Affekt (2005) hinsichtlich theoriebildender Felder (bei Angerer "Milieus"), die gegenwärtig in je unterschiedlicher Weise Zugriffe auf Affekttheorie forcieren. Die kurze Verschriftlichung ihrer Potsdamer Antrittsvorlesung (2016) verdichtet ein kompliziertes Vorhaben, denn der zum Nachdenken und Nachschlagen anregende Text steigt auf einer recht komplexen Stufe des Einschätzens der Gegenwart von Affektologie ein. Die Autorin bespricht einige Traditionen von Affekttheorie, legt zentrale, wiederkehrende aber auch minoritäre Argumentationen akzentuiert frei und führt diese in einem Votum für eine Affektlehre der Intensitäten, des Politischen und radikaler Zeitlichkeit zusammen, welche sie skizzenhaft in Aussicht stellt. Angerer geht dabei zum einen der Frage nach, inwiefern die verschieden motivierten Interessen am Affektbegriff und das damit einhergehende In-den-Hintergrund-Treten des Symbolischen, des Sprachlichen und der Psychoanalyse die Relevanz eines anderen Denkens über 'das Humane' abermals illustrieren. Zum anderen zeigt sie auf, dass in der Kategorie des Zufalls bislang ausgeklammerte theoretische Leerstellen zwischen Diskurssträngen sichtbar werden. Es sei vor allem der Zufall, welcher dazu ermutige, das Leben in posthumanen Verschaltungen und im Geflecht von Affekt- und Psychotechnologien stärker in Bezug auf affektive Intensitäten, auf stete "Prozesse des Verbindens, Unterbrechens und Übersetzens", zu perspektiveren, die "nicht einfach reibungs-, rausch- und konfliktfrei ablaufen" (S. 48). Eingangs wird Bezug auf eine Reihe ausgerufener Paradigmenwechsel (material turn, performative turn etc.) genommen sowie auf Interferenzen von Begriffen in posthumanistischen Theorien eingegangen: Entangled Ontologies (Barad), Medianatures (Parikka), NatureCulture (Harraway) etc., innerhalb deren Relevanzbereich sich die Autorin auch mit ihren Überlegungen positioniert. Den Kern dieser Anschauungen bildet eine Kritik an der dichotomen Trennung des Diskursiv-Symbolischen und Materiell-Physischen sowie am Abgrenzen des Menschen von nicht-menschlichen Entitäten – Demarkationen, die durch Digitalisierung, Bio-Medien, Neurowissenschaften uvm. durchlässig geworden sind und stattdessen etwa als "Bio-Mediale Schwelle[n]" (S. 19) gedacht werden. Das Humane anders zu fassen impliziert in diesem Sinne eine radikale Skepsis am Anthropozentrismus. Angerer unterstreicht die Notwendigkeit einer Wissenschaft in der "present tense" (S. 16), d.h. einer Wissenschaft im Bewusstsein um die gegenwärtigen Verschränkungen mit 'den anderen' (Tier, Pflanze, Maschine) 'im Jetzt', womit sie in Anschluss an Whitehead und Simondon das "Denken" nicht nur "in Relationen", sondern "als Relation" (S. 22) fordert. Auf dieser Basis wird zu medien- und kulturwissenschaftlichen Anwendungen neu-materialistischer Herangehensweisen übergeleitet, welche vor allem die Prozesshaftigkeit der Relationen von Gesellschaft und Natur, die "Kybernetisierung des Sozialen" oder das "Verhältnis von Medientechnologien, Umwelt und Körper" (S. 24) performativ fassen. Da Realität im 21. Jh. "nicht erkennbar im Sinne des Spekulativen Realismus" ist, sondern "zu einer Frage ihrer technologischen Verfasstheit in ihrer biologischen, physischen und psychischen Dimension geworden" (S. 25) ist, gilt es "intra-aktive Kippbewegungen [zu] begreifen", in denen Technologie und Medien "mehr als nur Prothesen sind" (S. 26). Wir müssen also von ständigen Binnen-Verschränkungen (intra!) zwischen human und non-human ausgehen, in denen es die Affekte sind, die Leben miteinander "verzahnen" (S. 27). Zentral für den Affektbegriff ist dabei seine spezifische Zeitlichkeit als (nicht-)wahrgenommene Dauer im Moment des Geschehens. Damit ist Affekt kein Zustand, sondern überfüllt ein Intervall mit Intensität (Virtualität bei Massumi). Auch Zugriffe auf die Figur von Resonanz (Ritornell, Schwarmbildung) privilegieren eine Fokussierung auf präreflexives Erfahren in der "Zone des Affekts" (S. 30), in welcher "Langsamkeit und Schnelligkeit", "Ruhe und Bewegung" (S. 37) die Intensität eines Empfindens betonen, das der Subjektkonstitution vorgelagert ist. Angerer zufolge teilen die Beschreibungen von Empfindungsvermögen (Diderot), Intra-Aktionen (Barad) und blindem Fühlen (Whitehead) die Grundannahme, dass es eine Form des Empfindens gibt, die "kein Ich voraussetzt" (S. 36) – eine basale und machtvolle Dimension der Affizierung, die humans und non-humans gleichermaßen betrifft und "die Metaphysik einer individuell gefassten Entität radikal in Frage" (S. 39) stellt. Wie Angerer mit Whitehead hervorhebt, müssten Affekte in Intra-Aktionen nicht als Operationen "eines intentional agierenden Subjekts gedacht" werden, sondern als nicht-intentionale "Form der physischen Erfahrung" (S. 41) im "Hier und Jetzt" (S. 42). Darin wurzeln auch die Schwierigkeiten in den Anstrengungen Affekte psycho-logisch zu erklären, subversiv zu politisieren oder neoliberal zu regieren. In der Analyse dreier theoriebildender Milieus trägt Angerer den damit verbundenen Hinwendungen und Ambivalenzen Rechnung. Mit einem Milieu meint sie eine Bündelung von unter ähnlichen Vorzeichen, Motivationen und Perspektiven ausgerichteten (Forschungs-)Praxen. Im ersten Milieu zirkulieren Diskussionen, mit denen rund um das Stichwort 'sensing' "die technologische Beziehung zwischen Körper und Umwelt befragt wird" (S. 45). Gesprochen wird hier also von einer Ausweitung der Auffassung von Empfindsamkeit auf technische Apparaturen über Sensoren und komplexe Verschaltungen von Mensch und Maschine (smart houses). Insbesondere Übersetzungsprobleme stehen im Vordergrund der Positionen von Hird, Parisi und Hörl, die "versuchen einer voranschreitenden medientechnischen Infra(re)strukturierung gerecht zu werden" (S. 47). Im zweiten Milieu sind Traditionen des Tomkin'schen Affektmodells und der Computerforschung sowie der Arbeit Rosalind Picards am Schaupatz 'affective computing' versammelt. Derartige Projekte arbeiten mit Eifer daran, humane Affekte zu dekodieren, sodass Maschinen diese nicht nur lesen, sondern auch reproduzieren können. Angerer problematisiert daran zu recht sowohl den Mangel an ethischer Reflexion in Bezug auf die Ökonomisierung des Affekts sowie das Ausklammern der längst stattfindenden, rückwirkenden "Implementierung von affektiven Normierungen" (S. 50) – wir müssen gleich an Emojis denken ☺. Das dritte Milieu fokussiert ausgehend von Malabous Perspektivierung der Plastizität des Gehirns die Frage nach den affektiven Vorgängen 'unter der Haut' – insbesondere betreffend "Autoaffektion" (S. 57). Sie liefert damit Argumente für ein Nicht-Ausreichen psychoanalytischer Erfassung von Emotion und Affekt, da die Aktivität des Gehirns zuallererst ein prä-subjektives "emotional self" ausbilde, welches das primäre In-Bezug-Setzen mit Welt ermögliche und gestalte. Unter der Haut (die Haut, welche Massumi zufolge schneller als das Wort sei) operiert folglich wieder jene 'andere', affektive Zeitlichkeit, auf die Angerer wiederholt zu sprechen kommt: Unser subjektives 'Ich' denkt in Sekunden, Stunden, kalendarischen Tabellen; das emotional self, denkt in der "fehlende[n] halbe[n] Sekunde" (S. 30), in "zelebrale[r] Zeitlichkeit", in "Sequenz[en] (in purer Zeit)" (S. 57), intuitiv, intensiv, impulsiv. Eben solche Dimensionen des Kontingent-Impulsiven, in denen eine "radikal zeitliche Fremdheit" (S. 57) entsteht, ein Aus-der-Zeit-Fallen als In-die-Zeit-Fallen vielleicht, behielten wir in unserer Lektüre des Schlusskapitels im Hinterkopf. Die Autorin kommentiert hier Oliver Marcharts Nominierung einer politischen Affektologie. Von Laclau und Mouffe ausgehend beschäftigt er sich mit radikaler Demokratie, in welcher das Konzept des Antagonismus grundlegend ist. Dieses entwickelt er weiter zu einem Verständnis von Antagonismus 'als' Intensität(serfahrung) – etwas, das kritisch-produktive Störungen hervorruft und impulsartig das aushebelt, was uns in eingefahrenen Bahnen hält. Damit begründet sich seine Forderung nach einer politischen Affektologie. Zu untersuchen wie die Ebene des Affektiven einerseits im Populismus reguliert werden kann und andererseits zugleich (als Chance begriffen) die Eintrittsstelle für Subversion in Form des Antagonismus sein könnte, wäre die Aufgabe einer solchen Affektforschung. Angerer stellt dem Antagonismus zusätzlich die Dislokation zur Seite: Ersterer betone das Eintreten des Zufälligen, Unvorhergesehenen und dessen produktive Kraft; letztere thematisiert "die notwendige Offenheit eines jeden Systems, das Sich-in-Bewegung-Setzen von Leben" (S. 62f). Mit ihrem Rekurs auf Althusser ergeben sich auch Ähnlichkeiten zu Benjamins Beschreibungen von (Kontingenz-)Erfahrungen und Schocks, die etwas aushebeln und ein neues Sich-in-Beziehung-Setzen ins Spiel bringen können. Das Beeindruckende an Angerers Emphase für das politische Potenzial des Zufalls ist dabei, dass sie ganz explizit und systematisch die Ebene der Affekte als diejenige 'im Humanen' benennt, die mit solchen Kontingenzerfahrungen umgeht – präreflexiv, vor-diskursiv, vor-perzeptuell –, anstatt seine Produktivität bereits direkt auf die Ebene des Mentalen (die Heimat der gesellschaftskritischen Reflexion) zu verrechnen. Angerer gelingt es inspirierende Vorschläge für Forschungsrichtungen der systematischen Untersuchung dessen zu erwägen, wie Affekte operieren und wie das Verhältnis von Affekt, Politik und Medien 'anders' beschrieben werden kann. Der Aufsatz bewegt sich als eine sehr fortgeschrittene Anschlussdiskussion in einem dichten Referenzrahmen. Sprache und Stil sind durchwegs angenehm zu lesen und teilweise poetisch beflügelt. Die Nachvollziehbarkeit von Inhalten im Detail fordert aber eine sehr genaue Lektüre. Letzteres trifft in besonderem Maße auf das Vorwort von Felicity Colman zu, das als Textsorte eher einem sehr voraussetzungsvollen, kommentierenden Nachwort entspricht, und wahrscheinlich vor allem für Neueinsteiger_innen ins Feld der Affect Studies Hürden mit sich bringt. (Empfehlung: Vorwort am Schluss lesen!) -- * Open-Source-Version hier verfügbar
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Dieses Buchprojekt, das ausgehend von der EuroPride Vienna 2019 und dem 50-jährigen Stone-wall-Jubiläum entstand, entwickelt Zugänge zu Pride-Paraden, die das Gefüge von Medien, Menschen, Körpern, Geschlecht, Sexualität und Protest medienkulturwissenschaftlich durchqueren. Die zwölf Beiträge erheben damit nicht den Anspruch eine chronologische Mediengeschichte von Pride-Paraden oder eine erschöpfende Historisierung des Queer-Begriffs in Protestzusammenhängen vorzulegen, sondern zeigen anhand einiger Phänomene punktuell und beispielhaft auf, wie diverse Teilaspekte eines offen angelegten Begriffs von Queerness und die an ihn geknüpften politischen Gegenstandsbereiche im Rahmen von medialen Prozessen ausgehandelt, befragt, umkämpft, verworfen, erinnert, verteidigt oder auch eingefordert werden. Beiträge von: Sebastian Bornschlegl und Eva Lakits, Laura Dannerbauer und Martin Hofer, Anne Ganzert, Phillipp Hanke, Klara Howorka, Jana Jodlbauer, Melanie Konrad, Olivia Poppe, Hanna Prykhodzka, Elisabeth Stecker, Franziska Wagner sowie Kathrin Wojtowicz. Die Herausgeber*innen: Stefan Schweigler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien und schreibt an einer Dissertation zu rezenten queeren medialen Verhandlungen des Zuhauses. Aktuelle Schwerpunkte in Forschung und Lehre umfassen Wissenschaftsgeschichte der Medientheorie, Queer und Dis/abilitiy Studies, Intersektionalität sowie Affect Studies. Christina Ernst ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin. Sie hat französische Literaturwissenschaft an der Universität Wien und an der Université Paris III - Sorbonne Nouvelle studiert und schreibt an einer Dissertation zur Autosoziobiografie. Weitere Forschungsinteressen sind Theorien zur Klasse, Autobiografie und Autofiktion und Queer Studies. Georg Vogt lehrt und forscht an der Fachhochschule St. Pölten und an der Universität Wien. Er ist als Autor, Herausgeber, Filmemacher und Kurator tätig und ...
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