Über Jahrhunderte wurden wichtige Beschlüsse über das Schicksal des Landes von einer Loya Jirga gefasst, einer Versammlung der gewählten Stammesältesten aus allen Landesteilen. Eine Versammlung unter dem Namen Loya Jirga fand im November 2011 in Kabul statt. Präsident Karsai tut sich schwer damit, diese Versammlungsform und ihre Beschlüsse in seiner Politik zu berücksichtigen.
Die Umstände, unter denen Top-Terrorist Osama bin Laden von einem US-Spezialkommando getötet wurde, werfen Fragen auf. Kann Bin Ladens Tod den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan beschleunigen? Otmar Steinbicker veranschaulicht in seinem Artikel die Chancen für Friedensverhandlungen in Afghanistan.
Im Dezember 2011 wird auf dem Petersberg bei Bonn – nach 10 Jahren – die zweite Petersberg-Konferenz stattfinden. Die Leitung der Konferenz soll die afghanische Regierung übernehmen. Über 1 000 Delegierte aus 90 Staaten werden erwartet. Wird man Vertreter der Taliban darunter sehen? Wenn man den politischen Ausgleich mit der Insurgenz will, muss man mit der Insurgenz, also den Aufständischen, sprechen und wenn man eine Konferenz zur Lösung des Afghanistankonflikts einberuft, dann muss man dorthin auch die Vertreter der Insurgenz einladen, meint Otmar Steinbicker.
Wenn, wie angekündigt, Ende 2014 die Kampftruppen der NATO-Staaten aus Afghanistan abgezogen werden, was wird dann aus dem Land? Bekommt es eine Chance zum Frieden oder wird es im Chaos einer erneuten Runde eines Bürgerkrieges versinken? Eine Prognose ist derzeit nicht einfach zu stellen. Die Angaben schwanken über Zahl und Ausrüstung der verbleibenden NATO-Truppen, hin und wieder ist gar von einem Totalabzug die Rede. Auch wenn es dazu nicht kommt, darf man doch annehmen, dass der NATO mit weniger Truppen nicht gelingen wird, was mit erheblich mehr Truppen nicht gelang. Wer sich tiefer mit der Problematik des Konflikts befasst, wird nicht nur auf die militärischen Aspekte schauen, sondern sich fragen, worin der Konflikt im Kern besteht, und in welche Richtungen Lösungsmöglichkeiten vorstellbar sind. Otmar Steinbicker blickt – wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen – auf 35 Jahre Konfliktgeschichte.
"Der Krieg in Afghanistan ist militärisch nicht zu gewinnen. Diese Einsicht setzt sich auch mehr und mehr in den NATO-Staaten durch. Die vielfach propagierte Lösung, nämlich der Abzug der NATO-Truppen nach Übergabe des militärischen Auftrags an afghanisches Militär und Polizei, kaschiert nur das eigene Scheitern und wird dem Land keinen Frieden bringen. Frieden gibt es nur, wenn alle Konfliktparteien die Möglichkeit haben, ihre Interessen in Verhandlungen einzubringen und an zu erarbeitenden Kompromissen mitzuarbeiten. Die Afghanen haben eine jahrhundertealte Erfahrung darin, Streitigkeiten - ob zwischen Stämmen und Nationalitäten oder zwischen Familien und Individuen - durch Verhandlungen und Kompromisse zu beenden. Das ist Teil ihrer Kultur. Hieran anknüpfend untersucht der Autor die Möglichkeiten für eine zivile Lösung des gegenwärtigen Konflikts." (Autorenreferat)