Proporzkommunikation und Demokratieverständnis
In: Wirtschaftliche Entwicklungslinien und gesellschaftlicher Wandel, S. 267-284
Die Freisetzung des Journalisten aus jeglicher Vermittlerrolle und seine Überführung in den Stand des Meinungsadvokaten tangiert das Verständnis von Demokratie: Das Konkurrenzmodell der Demokratie erlaubt nicht einen schrankenlosen Wettbewerb. Ebenso wesentlich wie die Grunderkenntnis des Pluralismus ist der Bestand eines consensus omnium, eines nicht kontroversen Bereichs, über den sich die Bürger ohne Abstimmung einig sind. Eine Kommunikationsmethode, die das Entstehen extremer und damit auch radikaler Meinungen begünstigt, verkleinert jedenfalls tendenziell den für das demokratisch-repräsentative System notwendigen Bereich des Grundkonsenses aller Bürger. Das in diesem Aufsatz dargestellte Experiment erlaubt die Vermutung, daß die verbreitete Kommunikationsmethode des Pro und Contra nicht nur radikale Meinungen nährt, sondern auch eine Emotionalisierung der politischen Diskussion fördert. Gewiß benötigen Parteien und Verbände ein gewisses Maß an Betroffenheit und Emotion auf Seiten des Bürgers; denn nur so können Solidarität und Engagement aktiviert und für die demokratische Willensbildung nutzbar gemacht werden. Rationaler Analyse und Situationsbewertung steht die Emotion allerdings eher im Wege. (MH2)