"Du stehst unter genauer Beobachtung, unangenehmer Beobachtung": Wie Journalistinnen kommunikative Gewalt aus dem Publikum wahrnehmen und verarbeiten
In: Publizistik: Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung, Band 66, Heft 1, S. 43-65
ISSN: 1862-2569
ZusammenfassungDer vorliegende Beitrag konzeptualisiert unterschiedliche Formen problematischen Publikumsfeedbacks als Ausdruck kommunikativer Gewalt, die bei Betroffenen Stress auslöst und Bewältigungsreaktionen in Gang setzt. Aufbauend auf dem Forschungsstand zur Wahrnehmung digitaler Sicherheit arbeiten wir heraus, dass Journalistinnen in besonderer Weise unter kommunikativer Gewalt leiden. Mithilfe von neun qualitativen Interviews mit betroffenen Journalistinnen im deutschsprachigen Raum untersuchen wir, (1) wie Journalistinnen die Situation wahrnehmen und bewerten, in der sie kommunikative Gewalt erlebten, und (2) welche Strategien für die Bewältigung dieser Situationen sie benutzten. Die Analyse der Interviews illustriert, wie Überraschung, Mangel an Kontrolle und Personalisierung Unsicherheit produzieren und Situationen dadurch ihr besonderes Stresspotential entfalten. Weiterhin wird deutlich, dass kommunikative Gewalt nicht nur publizistisch problematische Bewältigungsreaktionen (wie beispielsweise Selbstzensur) zeitigt, sondern auch Mechanismen auslösen kann, die publizistisch als wertvoll wahrgenommen werden (Selbstreflexion, Verantwortungsübernahme, Empathie). Die vorliegende Studie ergänzt den in der deutschsprachigen Journalistik im Wesentlichen auf quantitativen Daten beruhenden Forschungsstand und stellt Erkenntnisse für die Aus- und Weiterbildung sowie Medienpraxis zur Verfügung.