Großstädte sind derzeit wieder zu Orten sozialer Bewegungen geworden. Mit Slogans wie "oben bleiben" (Stuttgart) oder "Recht auf Stadt" (Hamburg) artikuliert sich heute auf unterschiedliche Weise ein Protest, der auf sich verändernde urbane Realitäten Bezug nimmt und dabei eine breite mediale Resonanz findet. Gleichwohl werden oft nur bestimmte Formen der Organisation und des Protests als legitime soziale Bewegungen anerkannt. Andere werden als NIMBY, Not-in-my-backyard-Intitiativen, definiert und diskreditiert oder als Riots entpolitisiert. Es ist keineswegs ausgemacht, welche Initiativen und Bewegungen sich für ein "Recht auf Stadt" im Sinne Lefebvres und damit für Aneignung und Umverteilung einsetzen, indem sie gegen die verbreitete stadtpolitische Konzentration auf Wettbewerb und Wachstum agieren, und welche möglicherweise gerade über ihr bürgerschaftliches Engagement ein (partizipativer) Teil einer neoliberalen Governance werden.
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In diesem Beitrag diskutieren wir die Frage, wann und in welchen Formen Widerstände und Konflikte in Gentrifizierungsprozessen entstehen, und wann diese ausbleiben, am Gentrifizierungsprozess in Altona-Altstadt. Der Hamburger Stadtteil weist seit knapp zwei Jahrzehnten starke Mietsteigerungen, Immobilienpreise, stadtpolitische Aufwertungsstrategien und deutliche Zeichen von Verdrängung auf. Initiativen des Hamburger Recht auf Stadt-Netzwerkes haben auch hier gegen Gentrifizierung protestiert. Gleichzeitig haben uns Bewohner*innen im Rahmen eines qualitativ-ethnographischen Forschungsprojektes zwar vielfach über die Gentrifizierung des Stadtteils, aber kaum über selbst ausgetragene Konflikte etwa um Mieterhöhungen berichtet. Diesen vermeintlichen Widerspruch untersuchen wir mit Fokus auf verdrängungsrelevante Situationen aus einer praxisanalytischen Perspektive, die kritisch-materialistische Sozialforschung mit einer symbolisch-interaktionistischen Methodologie verbindet. Als zentraler Befund zeigt sich, dass normative Definitionen 'impliziter Mietvertragsverhältnisse' sowie Typisierungen der jeweiligen Vermieter*innen und Selbstzuschreibungen eigener Handlungs(un)fähigkeit von entscheidender Bedeutung dafür sind, ob Bewohner*innen Mieterhöhungen überhaupt als problematisch definieren und ob und wie sie in Aushandlungen mit Vermieter*innen treten. Konfliktorientierter Widerstand gegen drohende Verdrängung resultiert also nicht einfach aus eigener Betroffenheit, sondern ist deutlich voraussetzungsvoller, wobei die normative wie strategische Dimension von agency in verdrängungsrelevanten Situationen in Rechnung gestellt werden muss.
Im Sommer 2019 wird Adel B. im Essener Stadtteil Altendorf bei einem Polizeieinsatz erschossen. Zuvor hatte er angekündigt, sich selbst töten zu wollen. In der Presse wird er als "Deutscher mit algerischen Wurzeln" beschrieben. Sein Wohnort Altendorf gilt als problematisches und gefährliches Viertel und wird entsprechend polizeilich bearbeitet. Polizei und Stadtpolitik in Essen bagatellisieren die Erschießung als Einzelfall, polizeiinterne Ermittlungen gegen einen Polizisten erkennen Nothilfe. Angehörige, Nachbar*innen und Aktivist*innen dagegen organisieren Proteste und fordern "Gerechtigkeit für Adel". Wir argumentieren, dass sich in der Erschießung des Bewohners eines 'Problemquartiers', eines Mannes mit zugeschriebenem Migrationshintergrund, der sich in einer psychischen Notsituation befand, verschiedene polizeiliche Selektivitäten auf fatale Weise verbinden. Basierend auf eigenen qualitativen Forschungen in Altendorf rekonstruieren wir, wie sich hier alltägliche und institutionalisierte Rassismen zu einem spezifischen sozialen Klima verdichten. Wir beleuchten, wie in dieser lokalen Konstellation rassistische Polizeipraktiken verleugnet werden. Gleichzeitig plädieren wir dafür, dass kritische Stadtforschung an der Dokumentation, Sichtbarmachung und Kritik rassistischer Polizeigewalt aktiv mitarbeiten sollte, um die öffentliche Anerkennung der Existenz institutionalisierter polizeilicher Rassismen zu stärken und dadurch daran mitzuwirken, die Artikulationsräume für Betroffene zu verbreitern.
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 2516-2524
"Innerhalb der Kriminal- und der Stadtsoziologie wird seit der Chicagoer Schule über die Zusammenhänge von räumlichen Strukturen der Städte mit Definitionen abweichenden Verhaltens und mit spezifischen Ausprägungen sozialer Kontrolle diskutiert. Segregation kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu, sei sie auf die Wohnorte bezogen, sei sie kleinräumig bezüglich der Nutzung von Parks, Plätzen oder hinsichtlich der funktionalen Ausrichtung einzelner Räume. Soziale und kulturelle Homogenität wird mal als Ursache für Abweichung angesehen, mal als Basis für Kontrolle und Sicherheit. Dem entgegen steht das Bild der Urbanität, das gerade durch soziale und kulturelle Heterogenität und damit durch eine zeitliche und räumliche Koexistenz unterschiedlicher Normativitäten gekennzeichnet sei. Die Kontrollkultur urbaner Räume sei geprägt durch 'resignierte Toleranz' oder 'höfliche Gleich-Gültigkeit'. Urbanität bedeute durch die Anonymität der Großstadt auch Spielraum für Abweichung. Kontrolle sei insbesondere Selbstkontrolle des urbanisierten Individuums. Ein wesentliches Merkmal von Großstädten des frühen 21. Jahrhunderts ist, dass Segregation sicherheitstechnisch überhöht wird. Einzelne Räume oder Quartierewerden durch spezifische Kontrollpraktiken und/ oder durch Schließung von einanderabgegrenzt. Es kristallisieren sich lokal spezifische Ordnungen der Stadt heraus, die scheinbar durch zwei Aspekte entscheidend geprägt werden: der zunehmend kleinräumigen Differenzierung der Verfügungsgewalt über Raum, die insbesondere Folge der eigentumsrechtlichen Privatisierung von Raum ist, einerseits, und der teilweise damit verbundenen sozialen, kulturellen und damit normativen Homogenisierung von Raum andererseits. In dem Vortrag soll am Beispiel von zwei öffentlich zugänglichen Marktorten - einer Einkaufsstraße in einem 'urbanen' Quartier und einer Shopping Mall - kritisch hinterfragt werden, ob die in der aktuellen Literatur gezeichneten Bilder einer normativ segregierten Stadt empirisch haltbar sind und ob die Räume tatsächlich durch unterschiedliche Kontrollkulturen gekennzeichnet sind." (Autorenreferat)