Die russisch-orthodoxe Kirche und die sozialen Probleme des 20. Jahrhunderts
In: Arbeiterbewegung - Kirche - Religion, S. 85-94
Die Autorin thematisiert unter Einbezug von Sekundärliteratur die erst in jüngster Zeit einsetzende Beschäftigung der sowjetischen Geschichtswissenschaft mit der Geschichte der russisch-orthodoxen Kirche seit 1900 bis zur Gegenwart. Sie skizziert ihre Stellung im zaristischen Rußland und ihre Ideologie des christlichen Sozialismus, ihr Verhältnis zum Sowjetkommunismus und Weiterentwicklung nach 1945, in der es vornehmlich um die theologische Konzeption des "sozialen Dienstes" der Gläubigen ging. Die Zeit um 1905 war gekennzeichnet durch vehemente Proteste des hohen Klerus gegen die staatliche Vormundschaft und die Abgrenzung gegenüber dem Marxismus durch die Ablehnung der Lehre von der Gesetzmäßigkeit des Klassenkampfes. Ein Landeskonzil konnte erst 1917 zusammentreten, und es sprach sich tendenziell für eine Trennung von Kirche und Staat aus. Die zwanziger und dreißiger Jahre waren trotz der Bekundung der kirchlichen Leitung zur Loyalität gegenüber der Sowjetmacht eine Zeit der physischen Vernichtung der Kirche durch den atheistischen Staat. Nach 1945 bis Mitte der achtziger Jahre blieb die Kirche trotz ihrer Legalisierung rechtlos in Bezug auf die Ausführung sozialer Tätigkeiten wie Wohltätigkeit und Barmherzigkeit. Gleichzeitig konnte sie in zunehmendem Maße am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Im Zuge der Perestroika ist durch die Verabschiedung eines Gesetzes im Jahre 1990 eine Trennung von Kirche und Staat vollzogen worden. (ICK)