Als Papst Pius IX. 1864 mit dem "Syllabus errorum" zum Rundumschlag gegen alles ausholte, was er für modern hielt, schien endgültig offensichtlich zu sein: Papsttum und Moderne waren inkompatibel. Doch während das Papsttum seine weltliche Herrschaft über den Kirchenstaat verlor, konnte es seine geistliche und moralische Autorität in nie dagewesenem Umfang ausbauen. Die Angriffe von außen führten dazu, dass sich die pluralen Katholizismen der Frühen Neuzeit in Richtung eines papalistischen Einheitskatholizismus entwickelten. Die Moderne wurde so zur Geburtshelferin des Papsttums, wie es sich heute zeigt, mit Unfehlbarkeitsdogma und Jurisdiktionsprimat. Zugleich gab es immer auch einen alternativen, "liberalen" Katholizismus, aus dessen Traditionen das Zweite Vatikanische Konzil schöpfen konnte. Dieses vollzog mit der Anerkennung der Menschenrechte eine grundlegende Wende. Das Papsttum wahrt unterdessen auch auf dem postmodernen "Markt des god sellings" seine zentrale Rolle.
Seit die Akten der Jahre 1922 bis 1939 im Vatikanischen Geheimarchiv zugänglich sind, können die Verfahren der Entscheidungsfindung dieser Zeit detailliert nachgezeichnet werden. Es zeigt sich, dass damals Entwicklungen zu einem vorläufigen Abschluss kamen, die eine Kernfrage der Ekklesiologie berühren: das Spannungsfeld zwischen monarchischer und kollegialer Kirchenleitung. Pius XI. berief die Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten kaum noch ein, das Konsistorium nutzte er vor allem noch, um Entscheidungen zu verkünden. Er entschied allein, wenn ihm die Präfekten der Kongregationen oder der Kardinalstaatssekretär in Privataudienzen Fragen vorlegten, während diese kaum miteinander sprachen. Wichtig waren neben den Nuntien informelle Netzwerke, zugleich stellte die steigende Flut einlaufender Informationen die Kurie vor große Herausforderungen. Diese Strukturen prägen den Vatikan bis heute – und haben in jüngster Zeit vermehrt zu Rufen nach Reformen geführt. ; Since all records from the pontificate of Pius XI (1922-1939) became accessible in the Vatican Secret Archives as of fall 2006, the procedures of decision-making of this period can be retraced in detail. It appears that during these years age-long developments came to a preliminary conclusion; these refer to a crucial question of ecclesiology: the area of conflict between monarchic and collegial church leadership. Pius XI rarely convoked the Congregation for Extraordinary Ecclesiastical Affairs, in which important issues of church policy had been discussed before, and used the consistory mainly as a forum to announce his decisions and to let them be received. Solely the pope decided when the prefects of the congregations and particularly the Cardinal Secretary of State were to submit questions to him, while the latter hardly spoke with each other. Consequently, the private audiences emerged as the main place of decision. Besides the nuncios, informal networks of informants played an important role; at the same time, the increasing flood of daily arriving information confronted the Curia with considerable challenges. The structures from the time of Pius XI shape the Vatican until today – and have increasingly led to demands for reforms and especially for a periodically sitting cabinet consisting of leading representatives of the congregations and the curial councils chaired by the pope.
Religion und Gewalt: Dieses Thema ist spätestens seit dem 11. September 2001 in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die katholische Kirche hat im 20. Jahrhundert zur Gewaltfrage in Wort und Tat immer wieder Stellung bezogen, zum Beispiel während der Bürgerkriege in Spanien und Mexiko sowie durch ihr Verhalten gegenüber dem Sowjetregime, dem italienischen Faschismus, dem Nationalsozialismus und südamerikanischen Militärdiktaturen. Aber auch Befreiungstheologen diskutierten den Einsatz von Gewalt als Mittel im Kampf gegen strukturelle Ungleichheit. Der Exzellenzcluster "Religion und Politik" veranstaltete dazu vom 19. bis 21. März 2010 eine internationale Tagung, den dieser Sammelband dokumentiert. Silke Hensel und Hubert Wolf umreißen einleitend den Gewaltbegriff, erörtern die Spannung zwischen Pluriformität und Zentralismus in der katholischen Kirche und fragen, inwiefern das Zweite Vatikanische Konzil einen Wendepunkt darstellte.