Meine Geschichte als Migrant beginnt 1961 mit der Unterzeichnung eines Jahresvertrags als Saisonarbeiter in einer Zuckerfabrik in Groß Munzel bei Hannover. Dort lernte ich zumindest so viel Deutsch, dass ich keine Hilfe beim Übersetzen mehr benötigte. Im nächsten Jahr fing ich dann am 1. März 1962 als einer der ersten italienischen Arbeitskräfte bei 'Volkswagen' an, zog zunächst wie alle anderen in ein Dreibettzimmer in den Baracken an der Berliner Brücke. Gekommen für ein Jahr, bin ich doch für immer geblieben. Nach einem bewegten Leben, das von sozialem, politischem und kulturellem Engagement geprägt war, bin ich zum Ehrenbürger Wolfsburgs ernannt worden. Bei meiner Musterung für die 'Italienischen Streitkräfte' hatte ich meine Unterhose anbehalten dürfen, die Deutschen jedoch wollten mich ganz nackt sehen. Während der obligatorischen Untersuchung im offiziellen Auswanderungsbüro in Verona wurde ich am ganzen Körper abgetastet. Es wurde genau geschaut, ob ich denn auch Schwielen an den Händen habe und somit für körperliche Arbeit tauge. Das empfand ich damals als eine Demütigung. Dass ich als "idoneo" – tauglich – befunden wurde, machte mich nichtsdestotrotz froh. Denn was wäre gewesen, wenn sie mich zurückgeschickt hätten? Ich hätte wohl kein Mädchen und auch keine Arbeit mehr gefunden, denn alle hätten gesagt oder zumindest gedacht: Er ist als untauglich für die Arbeit in Deutschland eingeschätzt worden, wie soll er dann hier in Italien eine Familie gründen können?
Zwischen den Jahren 1966 und 1975 initiierte Dr. Bernhard Gericke in Wolfsburg eine Interviewserie, die wohl so kein zweites Mal in Deutschland vorzufinden ist. In seiner Funktion als Archivar der Stadt Wolfsburg befragte Gericke 69 Personen, die ausnahmslos kurz nach deren Gründung in die damalige Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben gezogen waren und den Aufbau der vermeintlichen NS-Musterstadt aus nächster Nähe und teils auch in verantwortlicher Position miterlebt hatten. So interviewte Gericke frühere SS-Männer, NSDAP-Funktionäre, den einstigen Bürgermeister und zahlreiche andere Akteurinnen und Akteure mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit über die ersten Jahre nach der Stadtgründung 1938. Er wollte wissen, wie die Dinge damals wirklich gelaufen sind . Dabei ging es dem Archivar vornehmlich darum, sein von der NS-Ideologie und dem Geist der Nachkriegsrechten geprägtes Geschichtsbild zu legitimieren, das er zunehmend durch die die jungen Leute, die jetzt demonstrieren wollen , bedroht sah. Die durch Gericke geführten und stark gelenkten Interviews deutet der Historiker Maik Ullmann als eine seltene Form einer Oral History von rechts, die die eigentlich mit dieser geschichtswissenschaftlichen Methode angestrebte Zielsetzung nachgerade konterkariert.