'History meets sociology': Zivilgesellschaft als Prozess
In: Zivilgesellschaft - national und transnational, S. 29-60
"Die Verbindung historisch und systematisch angelegter Beiträge zum Thema Zivilgesellschaft versuchen Dieter Gosewinkel und Dieter Rucht in einem ersten, stärker programmatisch und theoretisch angelegten Beitrag herzustellen. Ihr Verständnis von Zivilgesellschaft geht von einem Minimalkonsens über das Konzept aus: Der Staat steht außerhalb der Zivilgesellschaft, und diese ist prinzipiell positiv konnotiert. Die Autoren plädieren dafür, die dominante demokratietheoretische und ideengeschichtliche Konzentration auf Zivilgesellschaft zu überwinden und schlagen dazu vier Vorgehensweisen vor: die konsequente Historisierung des Konzepts; die Überwindung eines normativ allzu glatten Verständnisses von Zivilgesellschaft als einer guten und friedlichen Gesellschaft; die empirische Untersuchung von Ambivalenzen und Dissonanzen der Zivilgesellschaft; schließlich eine konsequent transnationale Perspektive. In einer historischen Annäherung wendet sich der Beitrag gegen jede Essenzialisierung des Konzepts. Stattdessen wird vorgeschlagen, Zivilgesellschaft als Begriff zu fassen, der hinsichtlich seines Gehalts, seiner Funktionen, Verfechter und idealtypischen Zuschreibungen wie auch seiner Antipoden einem stetigen Wandel unterliegt. Aus einer systematisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive nimmt der Beitrag Zivilgesellschaft als eine gesellschaftliche Teilsphäre in den Blick, die sich gegenüber den Sphären des Staates, der Wirtschaft und diversen Formen von Gemeinschaft durch eine spezifische Art der Interaktion auszeichnet: eine von wechselseitiger Anerkennung geprägte Koordination und Kooperation interessengeleiteter Individuen und Assoziationen. Abschließend sprechen sich die Autoren dafür aus, Zivilgesellschaft in historischer wie in systematischer Sicht als relationales Konzept zu begreifen, in welchem der zeitlichen Relativierung und Historisierung die systematische Unterscheidung gesellschaftlicher Teilsphären entspricht, die in ihrer Beziehung zueinander analysiert werden. Damit lässt sich Zivilgesellschaft als Prozess der Bestimmung und Veränderung von Grenzen beschreiben, zu dessen Analyse Historiker und anderen Fächern angehörende Sozialwissenschaftler multidisziplinär beitragen können." (Autorenreferat)