Der Beitrag bemüht sich um einen Transfer von Ergebnissen der Biographieforschung in die Praxis der Sozialen Arbeit, wobei "das Biographical" als Medium dient. Der Anspruch dieses Konzepts besteht darin, eine Annäherung zwischen der fallrekonstruktiven Forschung sozialer Welten und der (Rock-)Musik herzustellen. Der Autor zeigt, dass und wie die Erkenntnisse der interpretativ-rekonstruktiven Sozialforschung in der Form der mit musikalischen Sequenzen unterbrochenen biographischen Narration in die Praxis der Sozialarbeit transferiert werden können. Wichtig ist bei dieser Fallmethode der intensive Dialog mit den Praktikern: die Konzipierung eines Biographicals (z.B. das des Alkoholikers) für die Einzelfallhilfe in einem spezifischen Bereich der Sozialarbeit ist konstitutiv mit Interaktionen zwischen Wissenschaft und Praxis verbunden. (ICA)
Methoden, Zielsetzungen und Perspektiven der biographischen Analyse werden diskutiert. Die biographische Diagnostik wird als Teilaspekt der wissenschaftlichen Disziplin der Psychologischen Diagnostik eingeordnet. Der Einsatz von Anamneseschemata läßt Anamnesen als hypothesengenerierendes Instrumentarium, als Stützung von Testbefunden und als Datensammlungsinstrumentarium zu. Festgestellt wird, daß biographische Fragebogen im deutschsprachigen Raum im Gegensatz zu Life-event-inventories mehr Verbreitung gefunden haben. Hinsichtlich der Zielsetzungen wird konstatiert, daß alle Arten von Aussagen mit Hilfe der biographischen Analyse bearbeitbar sind, daß aber nicht alle Pole der Dimension in Frage kommen. Es wird darauf hingewiesen, daß biographische Daten vom befragten Menschen her manipulierbar sind und in besonderer Weise einen Einblick in den Sozialisationsprozeß des Menschen erlauben. (KG)
In diesem Beitrag werden die grundlagentheoretischen und methodologischen Annahmen biographischer Forschung diskutiert. Es wird der Gewinn der Einbettung psychischer und sozialer Phänomene in den Gesamtzusammenhang der Lebensgeschichte einerseits und der Lebenserzählung andererseits erläutert, d.h. aufgezeigt, inwiefern sich diese Phänomene durch die Rekonstruktion ihrer Entstehungsgeschichte erklären lassen. Dabei fordert die Autorin, der Differenz und Interdependenz zwischen erlebter und erzählter Wirklichkeit zentrale Aufmerksamkeit zu widmen. Sie schlägt vor, dieser Differenz bei der biographischen Fallrekonstruktion der in narrativen Interviews erhobenen Lebensgeschichten in zwei zunächst getrennten Schritten der Analyse gezielt nachzugehen.
Die Biographieforschung, die mit niedergeschriebenen oder in Interviews erzählten Lebensgeschichten arbeitet, ist in den Sozial- und Humanwissenschaften längst nicht mehr nur eine Methode unter anderen. Sie hat sich insbesondere in der Soziologie (Fischer-Rosenthal 1991; Fuchs-Heinritz 1998) und in den Erziehungswissenschaften (Krüger & Marotzki 1999) mittlerweile zu einer Teildisziplin mit allgemeintheoretischem Anspruch etabliert. Auch in den Geschichtswissenschaften hat die Oral History, deren VertreterInnen biographische Interviews als weitere Quelle für ihre Analyse historischer Epochen nutzen und meist auch mit narrativ-interpretativen Methoden arbeiten (vgl. v. Plato 1998; Sieder 1999), zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dagegen fehlt es der Biographieforschung in der Psychologie – insbesondere in der deutschen akademischen Psychologie – noch weitgehend an Anerkennung. Dies geht auf den positivistischen Mainstream der Psychologie zurück, die sich weit mehr an den Naturwissenschaften als an den Traditionen verstehender und hermeneutischer Ansätze orientiert. So ist es auch nicht erstaunlich, dass die Diskussion um biographische Methoden in der Psychologie häufig noch mit dem Anspruch auf Repräsentativität und numerische Verallgemeinbarkeit, die auf der Häufigkeit des Auftretens eines Phänomens beruht, geführt wird. Dies manifestiert sich vor allem bei der Auswertung von zunächst noch offen oder halbstandardisiert erhobenen "Daten", bei denen – z.B. von Hans Thomae - eine Verknüpfung qualitativer mit quantitativen Verfahren zum Ziel der Verallgemeinerung angestrebt wird. Thomae (1991, S. 522) integrierte bereits Mitte der 50er Jahre biographische Daten in seine Analysen und reagierte damit zu Recht auf ein Defizit an genetischen Konzepten. Andererseits disqualifiziert er aufgrund seiner quantitativen Grundorientierung die interpretative Biographieforschung als "essayistisch" und "neudeutsch".
Einer der am häufigsten replizierten Befunde zu Jugend und Politik ist in dem Datum zu sehen, daß Jugendliche eine vergleichsweise hohe Distanz zu politischen Themen aufweisen. Im vorliegenden Beitrag wird dafür plädiert, diesen Umstand vor dem Hintergrund der biographischen Spezifika der Adoleszenz zu sehen. So ist nicht davon auszugehen, daß alle Jugendlichen ein Interesse daran haben, schnell erwachsen zu werden und sich demgemäß auf die Rolle als politisch mündiger Bürger vorzubereiten. Es soll theoretisch und empirisch gezeigt werden, daß die Auseinandersetzung mit der 'politischen' Entwicklungsaufgabe davon abhängig ist, ob Heranwachsende stärker das Hier und Jetzt der Jugendphase betonen bzw. einen raschen Übertritt in den Erwachsenenstatus vollziehen möchten. (DIPF/Orig.) ; One of the most found results in research on adolescence and politics is, that young people are few interested in political issues. This fact has to be seen in the light of biographical peculiarities of adolescence as a life episode. One can't say generally, that all members of a youth cohort are interested in reaching the adult status and getting prepared for the role as citizen as soon as possible. Infact, some young people hesitate to reach that status and do not care about coping with the "political" developmental task. In this contribution it is suggested, that the biographical orientations of adolescents (transition vs. moratorium) have an impact on the grade, they cope with this task. Therefore, a theoretical framework will be developed and endorsed with some empirical evidence. (DIPF/Orig.)
In FQS 4(3) – "Doing Biographical Research" – beschäftigen sich Wissenschaftler(innen) aus unterschiedlichen disziplinären und nationalen Blickwinkeln mit dem Interview mit einer in Deutschland lebenden türkischen Arbeitsmigrantin. Neben diesen unmittelbar dem Themenschwerpunkt zugehörigen Aufsätzen enthält FQS 4(3) acht Einzelbeiträge, neun Literaturbesprechungen und zwei Tagungsberichte von Sozialwissenschaftler(inne)n aus insgesamt acht Ländern und sieben Disziplinen. Damit wurden seit Erscheinen der ersten Schwerpunktausgabe im Januar 2000 in FQS beinahe 450 Artikel veröffentlicht. In dem Beitrag werden die neue Schwerpunktausgabe und FQS als Beispiel einer dem Open Access verpflichteten sozialwissenschaftlichen Online-Zeitschrift kurz skizziert. FQS wird in das Ensemble deutscher Projekte eingeordnet, die Teil der internationalen Bemühungen um die weltweit freie Zugänglichkeit wissenschaftlicher Fachinformationen sind.
Anhand autobiographischer Fallrekonstruktionen werden im deutsch-deutschen Vergleich individuelle Politisierungsprozesse erörtert. Dabei wird das Verfahren der "Kollektiven-Autobiographie"-Forschung angewandt, bei dem sich die Forschenden selbst zu Erforschten machen und in einem metasubjektiven Verständigungsrahmen methodisch kontrolliert ihre Biographien rekonstruieren. Die Ergebnisse erbrachten Hinweise darauf, dass die Subjekte sich mittels spezifischer biographischer Muster durch die jeweiligen Verhältnisse hindurchgearbeitet haben und hierbei sowohl ihr Muster realisierten als auch die Verhältnisse reproduzierten. Biographische Muster sind diejenigen psychischen Strukturen, die den Subjekten ihre Autopoesis und auch ihre gesellschaftliche Viabilität, also den Anschluss an die eigene Lebensgeschichte bzw. Biographie, und an die je konkreten historischen Gesellschaftsbedingungen sichern. Die rekonstruierten ost- und westdeutschen Autobiographien geben somit Auskunft über individuelle Politisierungsmuster sowie über typische gesellschaftliche Politikräume und -praktiken.
In der biographischen Forschung lassen sich drei Zielsetzungen unterscheiden: (1) die Deskription von einzelnen Lebensläufen oder biographischen Themen und Problembereichen, (2) die Bildung, Anregung oder Präzisierung gegenstandsgebundener Hypothesen, Modelle und Theorien sowie (3) die Bildung, Anregung oder Präzisierung formaler Theorien. Ergebnisse der Biographieforschung, die für die Klinische Psychologie interessant sein können, betreffen die folgenden Themen: (1) Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen und psychosomatischen Störungen sowie deren psychische und soziale Kontexte; (2) Herausbildung subjektiver Vorstellungen über psychische und psychosomatische Störungen und Krankheiten; (3) den Bereich der Normalpathologie und korrespondierende Bereiche der Sozialisationsforschung; (4) Lebenslauf und Lebenswelt; (5) psychische und soziale Ressourcen zur Bewältigung von Krankheit, Leid und Konflikt. Fortschritte erwartet die Klinische Psychologie von der Biographieforschung hinsichtlich der konstruktgeleiteten Erfassung von Biographien, der Analyse der biographischen Entwicklung von einzelnen Sinnstrukturen und Deutungsmustern sowie der Analyse der Biographie als individuelle Konstruktionsleistung. (ICE2)
Die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas wird als Rahmentheorie gewählt, da sie handlungs- und systemtheoretische Ansätze mit kognitiven und psychodynamischen Entwicklungstheorien verbindet. Aus dieser Rahmentheorie werden Orientierungsgesichtspunkte für die Interpretation biographischer Interviews entwickelt und am ersten Schritt der Interpretation, der Validierung der Interviewäußerungen, konkretisiert. Das biographische Interview erweist sich als "gemeinsames Produkt" des kommunikativen Handelns der Interviewpartner. Es entspricht jedoch in vielerlei Hinsicht nicht den Momenten der Alltagskommunikation. Verständlichkeit, Wahrheit, soziale Angemessenheit und Aufrichtigkeit werden als Geltungsansprüche an das Interview, das ein Arbeitsbündnis ist, formuliert. Die Validierung wird selbst als ein Akt des Interpretierens gesehen. (KG)
Probleme der Anwendung und Anwendungsbereiche der biographischen Methode in der Sozialpsychologie werden diskutiert. Die Frauen- und Familienforschung, die Arbeit und Arbeitslosigkeit sowie abweichendes Verhalten und Krankheitskarrieren werden als sozialpsychologische Bereiche einer Betrachtung unterzogen. Die Unverzichtbarkeit der Anwendung der biographischen Methode in der Sozialpsychologie wird belegt. Nach Ansicht des Autors kann die Biographieforschung helfen, Mängel in bestimmten theoretischen Globalkonzeptionen zu überwinden bzw. Aussagen dieser Konzeption zu präzisieren und einer genaueren Überprüfbarkeit zuzuführen. Als ein Hauptstrang der biographischen Forschung in der BRD erweist sich die Analyse von Arbeiterbiographien. (KG)
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage nach dem Stellenwert biographischer Forschung im Rahmen feministischer Sozialwissenschaft. Die Verfasserin zeichnet Entstehungslinien der Biographieforschung nach, arbeitet Schwerpunkte dieses Forschungsparadigmas heraus und formuliert Ansatzpunkte einer feministischen Biographieforschung. Als leitendes methodologisches Hintergrundkonzept wird die abduktive Grundidee der "Grounded Theory" gesehen, die sich für komplexe, auf Subjektivität und Handlungszusammenhänge bezogene Forschungsprobleme anbietet. Subjektivität als Anknüpfungspunkt der Biographieforschung macht die Affinität dieser Forschungslogik mit dem Forschungsinteresse der Frauenforschung deutlich. Verengte Identitäts- und Sozialisationskonzepte in der feministischen Theorie können durch eine feministische Biographieforschung überwunden werden. Biographie als theoretisches Konzept thematisiert die subjektive Aneignung und Konstruktion von Gesellschaft ebenso wie die gesellschaftliche Konstitution von Subjektivität. (ICE2)
"Vorstellungen über den eigenen Lebenslauf, über die eigene Gegenwart und Zukunft sind immer sehr deutlich davon bestimmt, welche gesellschaftlichen Möglichkeiten man überhaupt für sich sieht. Es kann deshalb kaum erstaunen, wenn diejenigen Bevölkerungsgruppen, mit denen offenkundig nicht mehr gerechnet wird, allmählich auf biographische Konstruktionen verzichten. Eine Bevölkerungsgruppe, die heute von der Gesellschaft nichts mehr erwartet, einfach weil sie sich in ihren basalen Mitgliedschaftsfunktionen beschnitten sieht, ist die dritte Generation der sogenannten Gastarbeiter. Wegen einer nur mangelhaften rechtlichen, sozialen und kulturellen Gleichstellung mit ihren Alterskameraden findet sich diese Generation spätestens nach dem Ende der Schule in ein Niemandsland abgeschoben. In diesem Niemandsland gibt es kaum noch tragfähige soziale, territoriale und kulturelle Bezugspunkte. (1) In eine schon imaginäre Alltagswelt abgedrängt, wird häufig der Versuch gemacht, den eigenen Lebenslauf über eine landsmannschaftliche Zuordnung in Richtung Herkunftsfamilie zu reorganisieren. Die Gegenwart und Zukunft derart durch die Vergangenheit zu besetzen, führt jedoch schnell in eine ethnisierende Dynamik. (2) Einmal in diese Dynamik geraten sehen sich die Jugendlichen alsbald in Konflikte mit ihrer Mit- und Umwelt verstrickt. Eine zunehmend ethnisch aufgeladene Biographie reibt sich mit den Grundeigenschaften fortgeschrittener Industriegesellschaften, in denen ethnische Arrangements grundsätzlich zu einer Angelegenheit des privaten Stils geworden sind. Sie macht aber auch dort Probleme, wo diese Grundeigenschaften nicht mehr so ernst genommen werden, also wieder ethnische Bekenntnisse in der Öffentlichkeit modern werden, weil dann Kulturkonflikte angesagt sind. (3) In dieser doppelten Frontstellung versuchen manche Vertreter der dritten Generation, sich ein Territorium mit eigenen sozialen und kulturellen Strukturen zu schaffen. Dies wird dann allerdings von der lokalen Öffentlichkeit sehr schnell als 'Gang'-bildung wahrgenommen und bekämpft. Gleichzeitig tut sich eine weitere Front auf. Derart in Mißkredit geraten wenden sich nunmehr nämlich auch die Herkunftsfamilien, die sich mühsam in ghettoähnlichen Quartieren eingeigelt haben, ab. Die hier knapp angedeuteten Tendenzen werden am Beispiel einer Kölner Jugendgang, den 'Leipzigern', vorgestellt. Dabei soll deutlich werden, wie der dritten Generation systematisch der Boden unter den Füßen weggezogen wird und wie zum Schluß auf biographische Konstruktionen überhaupt verzichtet wird." (Autorenreferat)
Jugend ist - nach ihrem kulturhistorischen Bedeutungsursprung - die Lebensphase der Identitätsfindung. So wie man in der Jugend vor dem eigenen zukünftigen Leben zunächst gleichsam zurücktritt und mit Erwartungen wieder an es herantritt, so kann man in der Jugend sich von der Gesellschaft distanzieren und gleichzeitig Wertansprüche an sie stellen. Die ursprünglich biographische Bedeutung von Jugend wird dann mit politischen Gehalten aufgefüllt. Wenn das der Fall ist, dann müßte die biographische Selbstdefinition als Jugendlicher nicht nur negativ mit "erwachsenen" biographischen Einstellungen, sondern auch positiv mit "jugendlichen" politischen Einstellungen zusammenhängen. Diese Hypothese wird an einer Stichprobe von 1.989 30jährigen ehemaligen Gymnasiasten überprüft. Das vorausgesagte Muster bestätigt sich durchweg. Die Politisierung des Begriffs Jugend wird abschließend im Kontext des jüngsten Wertwandels in der Bundesrepublik diskutiert. (DIPF/Orig.)
Narrative Interviews mit drei rechtlich betreuten Psychiatriebetroffenen werden vorgestellt. In den Interviews wird der lebensgeschichtlichen Gewordenheit von psychischem Leiden und Abhängigkeitsverhältnissen nachgegangen. Gerade die inkohärenten, auf Brüche verweisenden Teile der biographischen Erzählungen werden in den Blick genommen. Der Person und Rolle der Betreuer, wie sie sich in den narrativen Interviews darstellen, wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Möglichkeiten des Betreuungsrechts, den rechtlichen Eingriff auf eng definierte Bereiche zu beschränken, und die Möglichkeit einer kritischen Distanz zum psychiatrischen Handeln werden in einzelnen Aspekten diskutiert.