Die vorliegende Sammelbesprechung, die fünf Veröffentlichungen zu Biopolitics zum Gegenstand hat, ist in sieben Abschnitte gegliedert. Zunächst wird skizziert, was Biopolitics ist und welche Bedeutung sie für politikwissenschaftliche Arbeiten hat. Anschließend wird auf die allgemeine Literatur zum Thema eingegangen. In den Abschnitten drei bis fünf wird auf die Biopolitics beteiligten Ansätze der Ethologie, der Soziobiologie und die physiolgischen Ansätze beschrieben. Der sechste Abschnitt befaßt sich mit der Bedeutung von Werten in biowissenschaftlicher Perspektive. Die Besprechung abschließend wird unser kulturistisches Selbstverständnis thematisiert. (KW)
Der Beitrag erörtert aus politikwissenschaftlicher Perspektive die Denkansätze der modernen Soziobiologie. Die Auseinandersetzung erfolgt aufgrund der Feststellung, dass der Soziobiologismus trotz seiner Defizite Ausdruck einer 'langen Welle' des naturalistischen Denkens ist, die gegenwärtig im Begriff ist, ihren Erklärungsanspruch in jene Bereiche auszudehnen, die bisher eine Domäne sozialwissenschaftlicher oder kulturalistischer Betrachtungsweisen waren. Somit stellt sich die Frage, ob die Soziobiologie auch ein Thema für die politische Linke darstellt. Die Ausführungen gliedern sich in (1) eine Erläuterung der wissenschaftshistorischen Entwicklung, der Basistheoreme bzw. der typischen Befunde der sociobiology/biopolitics sowie (2) eine Kritik dieser naturwissenschaftlich geprägten Disziplinen und naturalistischer Erklärungen sozialer und kultureller Phänomene. Auf dieser Grundlage gelangt der Autor zu der Forderung nach einer Debatte über die Soziobiologie unter der politischen Linken: eine Gesellschaft, in der nur die Maßstäbe der Soziobiologie und des futuristischen Teils der life sciences gelten, ist jedenfalls nicht links. (ICG2)
Der Aufsatz geht der Frage nach, welchen Beitrag ein biowissenschaftlicher Ansatz zur Erklärung politischer Institutionen liefern kann. Der Autor verdeutlicht eingangs den theoretischen Standpunkt der "Biopolitics" und befaßt sich mit der von seinen Vertretern vorgebrachten These von einem Erklärungsdefizit der nicht-biologisch "kulturistisch" argumentierenden Sozialwissenschaften. Er konstatiert, daß eine zuverlässige Trennung von biologischen und kulturellen Faktoren nicht möglich ist, wodurch unklar bleibt, wie groß die Reichweite biologisch argumentierender Erklärungsstrategien ist. Im Anschluß daran geht er auf bisherige Beiträge biowissenschaftlicher Ansätze zur Institutionentheorie ein, die sich insbesondere auf die Entstehung des Staates und auf die Herausbildung der Demokratie beziehen. Darüber hinaus treffen diese Ansätze auch Aussagen zur Funktion und zum Wandel von Institutionen. In seinem Resümee kritisiert der Autor, daß die Vertreter einer biologisch orientierten Sichtweise den Menschen als Produkt biologisch-evolutionärer Faktoren begreifen, aber gleichzeitig die durch die neuen Gen- und Reproduktionstechnologien gestiegenen Möglichkeiten des Menschen übersehen, die eigene biologische Evolution selektiv zu gestalten. (PF)
The author contrasts the role of 'political animals' in the literary and philosophical tradition with post-Darwinist sociobiology/biopolitics. Whereas earlier writers tried to teach mankind through parables to refrain from 'brutish' (i.e. human) violence and egoism, sociobiology/biopolitics considers humans and animals alike 'survival machines blindly programmed to preserve the selfish molecules known as genes' (Dawkins). Marxism holds an interesting intermediate position between tradition and Darwinism. - The author systematically surveys the main topics of sociobiology/biopolitics, among which: inclusive fitness, the genetic basis of aggression and altruism, xenophobia, nepotism, hierarchy and democracy, and discusses the methodological problems of the life science approach to political science. He concludes that the contribution of sociobiology/biopolitics to the social sciences is rather poor. (Leviathan / FUB)
Around 1900, ordinary Germans and politicians in Berlin regarded Germany's Eastern frontier as economically, culturally and politically jeop-ardised and exposed to the constant threat of Polonisation. It thus seemed necessary to strengthen the functionality of the borderland and its connection with the centre. After purely economic incentives failed to achieve these objectives, doing little for the deperipherisation of the region, it became apparent that different measures were required. A territorial population policy was mobilised. Its most consistent tool was medical measures to control, support and govern the local population, and thus steer regional development. These measures were introduced to meet some concrete political requirements, but also for the ideological purpose of "Germanising" the region. By examining the emergence of the medical infrastructure in the Prussian eastern borderland, namely the Province of Posen, this article focuses on attempts of the government in Berlin to improve the peripheral economic, cultural and societal status of the borderland through the enforcement of biopolitical measures. It further links the regional inner strife to its own peripheral and unstable situation. The contribution furthermore examines local realisa-tions of ideas formulated in Berlin, their consequences and the processes that they set in motion. Local visions of the extent to which inner-German peripheralisation and inner-regional marginalisation was a disadvantage or an advantage challenged some key ideas of the German government. The case of the Province of Posen also shows that the reduction of asymmetries was not always desired and that locality, as opposed to centrality, was decisive for biopolitical de- and (re-)peripheralisation processes. ; Around 1900, ordinary Germans and politicians in Berlin regarded Germany's Eastern frontier as economically, culturally and politically jeop-ardised and exposed to the constant threat of Polonisation. It thus seemed necessary to strengthen the functionality of the borderland and its connection with the centre. After purely economic incentives failed to achieve these objectives, doing little for the deperipherisation of the region, it became apparent that different measures were required. A territorial population policy was mobilised. Its most consistent tool was medical measures to control, support and govern the local population, and thus steer regional development. These measures were introduced to meet some concrete political requirements, but also for the ideological purpose of "Germanising" the region. By examining the emergence of the medical infrastructure in the Prussian eastern borderland, namely the Province of Posen, this article focuses on attempts of the government in Berlin to improve the peripheral economic, cultural and societal status of the borderland through the enforcement of biopolitical measures. It further links the regional inner strife to its own peripheral and unstable situation. The contribution furthermore examines local realisa-tions of ideas formulated in Berlin, their consequences and the processes that they set in motion. Local visions of the extent to which inner-German peripheralisation and inner-regional marginalisation was a disadvantage or an advantage challenged some key ideas of the German government. The case of the Province of Posen also shows that the reduction of asymmetries was not always desired and that locality, as opposed to centrality, was decisive for biopolitical de- and (re-)peripheralisation processes.
'Die embryonale Stammzellforschung stand seit 2000 auch auf der Agenda der EU im Kontext des 6. Forschungsrahmenprogramms. Der Beitrag geht erstens der Frage nach, welche Rolle Akteurinnen in der supranationalen Debatte gespielt haben sowie zweitens ob und, wenn ja, wie ein engendering im Sinne einer Thematisierung möglicher geschlechtsdifferenter Technikfolgen der supranationalen Politik stattgefunden hat. Dabei zeigt sich, dass Frauen, allen voran Europaparlamentarierinnen, in der Debatte stark repräsentiert waren und sie aktiv mitgestaltet haben. Geschlechtersensitive Argumente standen zwar nicht im Mittelpunkt der EU-Debatte, sie wurden jedoch immerhin verschiedentlich thematisiert - und zwar fast ausschließlich als Gefahr einer 'Instrumentalisierung' von Frauen als Eizellspenderinnen. Der Beitrag verweist auf Möglichkeiten und Grenzen, soziale Bewertungsaspekte wie Geschlechterverhältnisse einzuführen, um die technikzentrierte und wettbewerbspolitische Forschungsprogrammatik der EU zu verändern.' (Autorenreferat)
22. März 2019 wurde das "Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch" vom Deutschen Bundestag beschlossen. Dieser Beitrag zeigt anhand der Betrachtung parlamentarischer Debatten zur Änderung des §219a StGB unter Berücksichtigung von historischen Kontinuitäten auf, wie staatliche Macht über gebärfähige Personen ausgeübt wird. Das Vorhaben wird als diskursanalytisch inspirierte Inhaltsanalyse mit machtkritischem und feministischem Anspruch bezeichnet und analysiert den parlamentarischen Diskursstrang anhand von Protokollen der Beratungen der Gesetzentwürfe im Bundestag und der Sitzungen im zuständigen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Auf Basis einer feministischen Perspektive und einem Foucaultschen Machtbegriff wird untersucht, wie um Deutungsmacht über Schwangerschaftsabbrüche gerungen wird. Anhand zwei zentraler Thesen wird aufgezeigt, dass im Diskurs Schwangeren durch bestimmte Argumentationslogiken seitens Sprecher*innen eine Mutterrolle zugeschrieben und gleichzeitig die Selbstbestimmung Schwangerer dem staatlichen Schutz des Fötus als 'ungeborenes Leben' untergeordnet wird. Darüber hinaus wird herausgearbeitet, dass angesichts der paradoxen Gleichzeitigkeit von suggerierter Selbstbestimmung und staatlicher Kontrolle biopolitische Regulierungsmechanismen der generativen Reproduktion sichtbar werden. Letztlich kann so am Beispiel der Debatten aufgezeigt werden, wie gebärfähige Personen zum Gegenstand moderner patriarchaler Machtverhältnisse werden.
Im Anschluss an Michel Foucault formierte sich eine Debatte um den Begriff der Biopolitik, die diesen als Einsatz einer kritischen "Analytik der Gegenwart" konzipiert, um Spiele der Macht zu untersuchen. Der vorliegende Band bietet das keineswegs homogene Bild der gegenwärtigen Diskussion, die sich mit Foucault und über diesen hinausweisend einer produktiv gewendete "Biopolitik von unten" verpflichtet sieht. Biopolitische Produktion bezeichnet vor diesem Hintergrund das Terrain der Kämpfe um Subjektivität, um die Arten und Weisen der Verbindung zwischen Lebensführung, Konsum, Sexualität, politischer Repräsentation und Produktionsweise. Diese Forschungsprogrammatik zielt darauf, das Produktive, Mobile und Überschüssige im Herzen der Biopolitik und im Vakuum von Kontrolle, Regulierung und (Selbst-)Regierung auszuloten. Im Fokus steht nicht nur eine "Analytik der Gegenwart", sondern eine "Analytik des Werdens und Anderswerdens".
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Cover -- Inhaltsverzeichnis -- Prologue -- TEIL I. Grundlagen -- 1. Einleitung -- 2. Forschungsstand: Gewalt gegen Trans*Menschen -- Teil II. Gewalt gegen Trans*Menschen in Medizin und Recht -- 3. Normative und intersektionale Gewalt gegen Trans*Menschen in der Medizin -- 4. Normative und intersektionale Gewalt gegen Trans*Menschen im Recht -- 5. Bevölkerungspolitik als Wechselwirkung von Disziplinar- und Biomacht -- 6. Auswirkungen normativer und intersektionaler Gewalt auf Trans*Menschen -- 7. Gewaltkreislauf: Ungleiche Lebenschancen für mehrfachdiskriminierte Trans*Menschen -- Teil III. Gewaltbekämpfung durch Recht -- 8. Antidiskriminierungsgesetze und normative Diskriminierungen von Trans*Menschen -- 9. Transnormativität: Staatliche Inklusion und Exklusion im Neoliberalismus -- 10. Gesetze gegen'homophobe und transphobe Hasskriminalität' - Proklamationen von Staatsschutz im Kontext gegenwärtiger Sicherheitsdispositive -- 11. Fazit -- Literaturverzeichnis
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Die dynamische Entwicklung der Lebenswissenschaften unterwirft die menschliche Natur in zunehmendem Maß der Möglichkeit technischer Intervention. Dieser Prozess erreicht mit der Option verbessernder Eingriffe in die genetische Ausstattung des Menschen eine neue Dimension, die ethische, politische und zunehmend auch rechtliche Debatten ausgelöst hat, in denen tiefgreifende normative Dissense sichtbar werden. Die Autorin erörtert zunächst die Zulässigkeit von Maßnahmen des genetischen Enhancements anhand des geltenden deutschen Rechts und analysiert künftige gesetzliche Regelungsoptionen. Sodann wirft sie die Frage auf, ob die Begründung einer Unverfügbarkeit der Natürlichkeit des menschlichen Genoms mit Argumenten, die sich im Rahmen einer säkularen, religiös neutralen Rechtsordnung als rechtliche formulieren lassen, möglich ist oder ob die Vorstellung eines schlechthin unverfügbaren natürlichen Substrats des Menschen nur von einem Staat um- und durchgesetzt werden kann, der, wider dem von der Theorie des politischen Liberalismus (John Rawls) postulierten Erfordernis der public justification, nicht auf jede religiös-transzendente Verankerung des Rechts verzichtet.
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In this essay, the author takes up William Walters' (2006) incitement to theorize transmigration through the Deleuzian concept of control. The importance of mechanisms, or technologies, that modulate population flows are explored by paying close attention to novel strategies of migration policing and securitization in the United States, the European Union, Australia, and North Africa. These technologies no longer take the border as their "proper" site, but instead rely on processes of internalization, externalization, and excision to produce conditions of generalized precariousness. The author argues that these technologies of control resist simple categorization as biopolitics, and instead are more fruitfully considered through the lens of control societies and precarity. Ultimately, the inclusion/exclusion dialectic is put under erasure. ; In this essay, the author takes up William Walters' (2006) incitement to theorize transmigration through the Deleuzian concept of control. The importance of mechanisms, or technologies, that modulate population flows are explored by paying close attention to novel strategies of migration policing and securitization in the United States, the European Union, Australia, and North Africa. These technologies no longer take the border as their "proper" site, but instead rely on processes of internalization, externalization, and excision to produce conditions of generalized precariousness. The author argues that these technologies of control resist simple categorization as biopolitics, and instead are more fruitfully considered through the lens of control societies and precarity. Ultimately, the inclusion/exclusion dialectic is put under erasure.