Die Herausbildung staatlich durchdrungener Marktökonomien in großen Schwellenländern wie Brasilien, China oder Indien ist ein mehr als überfälliger Anlass, den Westzentrismus der aktuellen Krisendiskussionsowie der Literatur zu den "Varieties of Capitalism" zu verlassen und sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Kapitalismus in diesen Ländern zu beschäftigen. Wir sprechen hierbei vom Staatskapitalismus 3.0, also einer dritten Welle des Staatskapitalismus mit ihren länderbezogenen Variationen. Dieser in den Themenschwerpunkt einführende Beitrag gibt erstens einen Überblick über die historischen Wellen des Staatskapitalismus. Zweitens werden die weiteren Beiträge des Schwerpunktes vorgestellt und in den Kontext der dritten Welle des Staatskapitalismus gestellt. Schließlich folgen drittens einige Implikationen für die gegenwärtige Kapitalismusforschung, die aus der Untersuchung von politischen Ökonomien jenseits der OECD-Welt zu ziehen sind.
Es wird die These entwickelt, dass die Informatisierung der Arbeit ein wesentliches Merkmal einer Gesellschaft im Umbruch ist. Dieser strukturelle Zusammenhang findet seinen Ausdruck in dem von Manuel Castells geprägten Begriff des "informational capitalism". Zusammen mit einem erweiterten qualitativen Verständnis des Prozesses der Informatisierung als Schaffung einer verdoppelten Welt der "zweiten Natur" kann ein sozialwissenschaftlicher theoretischer Rahmen entwickelt werden: Der gegenwärtige gesellschaftliche Umbruch ist nicht nur mit einer deutlichen quantitativen Ausdehnung der Informationsarbeit verbunden. Spürbarer noch sind die qualitativen Veränderungen, die sich in der Arbeit selbst, in ihren Organisationsformen und auf gesellschaftlicher Ebene zum "social digital divide" (digitale Spaltung der Gesellschaft) beobachten lassen. Informatisierung ist jedoch keine lineare Tendenz, sondern in sich widersprüchlich. Sie bedarf ausgedehnter, sich jeweils neu definierender Zutaten und Interpretationsleistungen, um Information zu Wissen und damit für zielgerichtete Praxis nutzbar zu machen. Die allmähliche Ablösung des Begriffs der "Informationsgesellschaft" durch den der "Wissensgesellschaft" signalisiert das zunehmende Bewusstsein für diese Verschiebung. Information und Wissen, Wissen und Nicht-Wissen bilden eine innere Einheit. Aus dem Spannungsverhältnis von Information und Wissen, von Formalisierung und Subjektivität resultieren schließlich Spielräume für das Subjekt und damit Gestaltungsspielräume für Technik und Organisation. (GB)
Die Informatisierung der Arbeit stellt ein wesentliches Merkmal einer Gesellschaft im Umbruch dar, das auch mit Manuel Castells Begriff des "informationellen Kapitalismus" umschrieben werden kann. Der Autor erweitert diesen Begriff durch ein sozialwissenschaftliches Verständnis des Prozesses der Informatisierung als Schaffung einer verdoppelten Welt der "zweiten Natur", das zur genaueren Bestimmung des Begriffs der Netzwerkgesellschaft beiträgt. Die Informatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist jedoch keine lineare Tendenz, sondern bedarf ausgedehnter und jeweils neu definierender subjektiver Interpretationsleistungen, um aus Information Wissen zu machen. Wie der Autor in seinem Beitrag zeigt, ist die allmähliche Ablösung des Begriffs der "Informationsgesellschaft" durch den der "Wissensgesellschaft" ein Ausdruck dieser Verschiebung. Aus dem Spannungsverhältnis von Information und Wissen, von Formalisierung und Subjektivität resultieren schließlich bestimmte Handlungsspielräume für das Subjekt und damit Gestaltungsmöglichkeiten für Technik und Organisation, deren Perspektiven der Autor am Schluss seines Beitrages umreißt. (ICI2)
Die unzweifelhaft bedeutsamer gewordene Rolle von "Information" und "Wissen" für alle Bereiche der Gesellschaft wird heute meist unter den Schlagworten der "Informationsgesellschaft" bzw. in letzter Zeit vermehrt der "Wissensgesellschaft" diskutiert. Auch in der Alltagsdiskussion ist eine Tendenz unübersehbar, dass man sich von der Informatisierung und den "neuen Medien" die Lösung aller oder fast aller gesellschaftlichen Probleme verspricht. Vor diesem Hintergrund bemüht sich der vorliegende Beitrag um eine Klärung des realen Kerns der Rede von der Informations- oder Wissensgesellschaft. Es handelt sich dabei um eine neue Entwicklungsphase der kapitalistischen Weltwirtschaft, für die Manuel Castells den Begriff des "informational capitalism", des informationellen Kapitalismus, geprägt hat. Was ist darunter zu verstehen? (1) Der internationale Handel und die Kapitalbewegungen wurden enorm ausgeweitet und von einer tiefgreifenden Liberalisierung der internationalen Waren- und Geldströme begleitet; sie bilden die Basis für den Prozess, der heute als "Globalisierung" beschrieben wird. Die Globalisierung der Weltmarktzusammenhänge fand - auf der technischen Basis der neuen Informations- und Kommunikationstechniken - zuerst im Geld- und Finanzsektor statt. (2) Die Konkurrenz auf den Weltmärkten wurde dadurch erheblich intensiviert, der Druck in Richtung Umverteilung zugunsten der Profitabilität in der primären und der sekundären Einkommens und Vermögensverteilung erhöht. (3) Vor allem aber sehen sich die Unternehmen zu intensiven Anstrengungen veranlasst, durch Investitionen, Produktivitätserhöhungen und Reorganisationsmaßnehmen ihre Konkurrenzfähigkeit in der weltweiten Verwertungskrise zu erhöhen. Hierfür spielten die IuK-Techniken als neue universale Technologie eine Schlüsselrolle. (ICA2)
Der Begriff des digitalen Eigentums wird historisch hergeleitet. Nach der historischen Herleitung des Begriffes des geistigen Eigentums, wird dieser Begriff in Kategorien von Marx und Bourdieu gefasst. Nach einer Analyse des gegenwärtigen Feldes der Softwareproduktion wird in Analogie das wissenschaftliche Feld analysiert.
"Für ein Verständnis der chinesischen Wirtschaft ist es hilfreich, das theoretische Instrumentarium der Kapitalismusforschung nutzbar zu machen. Es ermöglicht eine fundierte Charakterisierung des chinesischen Systems als einer eigentümlichen Spielart des Kapitalismus - eines marktliberalen, wettbewerbsgetriebenen Staatskapitalismus. Zu den Eigentümlichkeiten des chinesischen Kapitalismus gehören ein dynamischer Staatsdirigismus, eine besondere Form des Wettbewerbs und der privat-öffentlichen Unternehmensorganisation, eine spezifische Variante des Korporatismus in den Arbeitsbeziehungen sowie eine strikte Regulierung der Geld- und Finanzbeziehungen. Hinzu tritt eine spezifische Form der konfliktorisch-kooperativen Integration Chinas in weltwirtschaftliche und ostasiatische Beziehungen sowie in weitere transnationale Beziehungen eines 'China Circle'. Die Kontinuität des chinesischen Entwicklungspfades wird gleichwohl durch die gegenwärtig krisenhaft verlaufenden Globalisierungsprozesse bedroht." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 2277-2287
"Die Realisierung einer Praxis kollektiver und individueller Selbstbestimmung in den Gegenwartsgesellschaften hängt konstitutiv von der demokratischen Gestaltbarkeit sozialer Strukturen ab. Die Frage danach, inwiefern eine solche Idee der Selbstbestimmung praktisch zu werden vermag, inwiefern das Wagnis des Selbstregierens gelingen kann, entscheidet sich demnach daran, ob die politisch miteinander verbundenen, aber auch je für sich selbst belassenen Bürgerinnen und Bürger posttraditionaler Gesellschaften über die Bedingungen, die ihr Handeln flankieren, gestaltend verfügen können. Sollen die beiden miteinander verbundenen Dimensionen subjektiver und kollektiver Selbstbestimmung in einer institutionellen Befragungs- und Selbstbefragungspraxis zur Geltung gebracht werden können, dann ist eine prinzipielle Gestaltbarkeit mindestens derjenigen sozialen Strukturen notwendig, die die Entfaltungsmöglichkeiten subjektiver und kollektiver Selbstbestimmung tangieren. Dies aber ist in den Gegenwartsgesellschaften keineswegs der Fall. Vielmehr zeigen sie sich bis in ihre Kapillaren hinein von der naturalisierten sozialen Institution (Dahmer) des Kapitalismus durchdrungen. Durch eine kritische Aneignung von Hegels Begriff der zweiten Natur wird es möglich, den Vorgang der Naturalisierung des Kapitalismus zu verstehen. Allerdings hatte Hegel seinen Begriff der zweiten Natur an der konzeptuellen Stelle ins argumentative Spiel gebracht, an der es ihm darum ging, seine Hoffnung, die sittlichen Institutionen des Staates mögen die atomistischen Handlungsimperative der bürgerlichen Gesellschaft brechen, begrifflich zu unterfüttern. Das Fehlschlagen dieser Hoffnung durch die Naturalisierung des Kapitalismus lässt sich mit der durch Hegels Begriff der zweiten Natur inspirierten Fetisch-Analyse von Marx auch heute noch erhellen. Um diesen an Hegel und Marx gewonnenen Gedanken weiterzuführen empfiehlt sich in einem dritten Schritt ein Rekurs auf Derridas Dekonstruktion. Mit ihrer Hilfe lässt sich zeigen, dass eine philosophisch informierte Kritik der Gegenwartsgesellschaften die Form einer Dekonstruktion von Naturalisierungen annehmen muss." (Autorenreferat)
Die heutigen Informations- und Kommunikationstechnologien, die in erheblichem Umfang auf die Mobilisierung, Verfügbarmachung und Bewahrung von Wissensbeständen zielen, werden hier als Bestandteil einer neuartigen Dialektik von Individuum und Gesellschaft sichtbar. Die angewachsene Rolle des Wissens in der Gesellschaft allgemein und für die Produktions- und Verwaltungsprozesse speziell geht - dies soll deutlich gemacht werden - mit einer wichtiger gewordenen Rolle des Subjekts in diesen Prozessen einher. Mit dieser Bedeutungszunahme von Subjektivität im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess geht allerdings zugleich eine Verschärfung der grundlegenden Widersprüchlichkeit einher, in der sich das Subjekt in der modernen Gesellschaft findet: Den erweiterten Anforderungen an die Subjektivität stehen die massiven Tendenzen der Formalisierung und Objektivierung von Zusammenhängen in der Technik, der Organisation und der Ökonomie gegenüber. Die in der Darstellung der ökonomischen und organisatorischen Umbrüche angesprochene neue Unmittelbarkeit von Ökonomie, der sich jeder Einzelne, besonders im Kontext der informatisierten Arbeit, ausgesetzt sieht, scheint eine vergleichbare sozialstrukturelle Konstellation von Marktfreiheit und Marktabhängigkeit zu signalisieren. Die heutige Marktfreiheit ist im Wesentlichen auf die Ausgestaltung der eigenen Position als abhängig Beschäftigter beschränkt. Subjektivität ist zugleich gefordert und eingeschränkt. Allerdings ist kaum zu bezweifeln, dass diese Veränderungen in der Stellung des Subjekts in der informatisierten Gesellschaft - die Erosion von Gemeinschaftlichkeit, die Zerfallstendenzen von Gesellschaft und die Tendenzen zur Auflösung von Solidarität - tief in die Persönlichkeit eingreifen. Subjektivität selbst verändert sich. Der gesellschaftliche Konnex verschiebt sich nochmals hin zu Formen abstrakter Vergesellschaftung, durch die sich das Subjekt im Prinzip direkt mit dem Weltmarkt konfrontiert sieht, in einem Ausdruck von Marx dem Kapitalprozess "reell subsumiert" ist. Die Mächtigkeit dieses gesellschaftlichen Drucks zur Eingliederung reicht bis in die Sphäre der Denkformen und der dadurch bedingten Denkhorizonte und bis in die Tiefen der Persönlichkeit und der dadurch geprägten Charakterstrukturen hinein. Die Förderung und gleichzeitige Indienstnahme der Subjektivität der Beschäftigten durch moderne Managementkonzepte indiziert allerdings eine Gefahr, die der Ausbildung und Erhaltung von Individualität durch die enge Zweckbindung der subjektiven Anstrengungen droht. Die Durchsetzung nicht des peripheren, sondern des subsumiert adaptierten, integrierten Individuums, dem gegenüber den übermächtigen Systemzwängen und -rationalitäten nur noch die Mimesis bleibt, ist nicht auszuschließen. Allerdings ist davon auszugehen, dass eine solche Entwicklung, weil sie mit gravierenden Leidenserfahrungen des Verlusts der eigenen Identität verbunden ist, keinesfalls widerspruchslos verlaufen könnte. Was in der Sozialpsychologie der zwanziger Jahre als "Kampf um die Massenseele" apostrophiert wurde und eher politisch motiviert war, entwickelt sich heute in der Realität der Arbeitswelt und ihrer Organisationen zum Kampf um die Motivation, die Standhaftigkeit und die Hingebung jedes Einzelnen für das Organisationsziel, in der Regel die Kapitalverwertung. (LO)
Heide Gerstenberger bemüht sich in Markt und Gewalt. Die Funktionsweise des historischen Kapitalismus um eine empirische Zurückweisung der wirtschaftstheoretischen Annahme, dass der Kapitalismus sich selbst domestiziere. Direkte Gewalt als Mittel materieller Aneignung, so ihre zentrale These, sei weder ökonomisch kontraproduktiv, noch dränge die innere Dynamik kapitalistischer Ökonomie von sich aus zum Verzicht auf Gewalt. Ganz im Gegenteil würden Kapitaleigner_innen im den allermeisten Fällen jede Möglichkeit zur Profitmaximierung nutzen, wenn sie nicht von Regierung und Öffentlichkeit darin beschränkt würden. In einem materialreichen historischen Abriss vom vorkapitalistischen Welthandel des 15. Jahrhunderts über die Industrialisierung im 19. Jahrhundert bis zur globalisierten Ökonomie der Gegenwart schildert sie das jeweilige Ausmaß direkter Gewalt gegen Personen in den verschiedenen Entwicklungsphasen vor allem als Ergebnis politischer Entscheidungen. ; In Markt und Gewalt. Die Funktionsweise des historischen Kapitalismus Heide Gerstenberger challenges the theoretical assumption that capitalism tends toward self-domestication. She argues that direct violence neither contradicts economic rationality, nor does the dynamic of capitalist economy call for abandoning violence. On the contrary, equity owners most likely would exploit any opportunity to maximize their profit, if they weren't challenged by governmental policies and public opinions. Providing a rich historical overview from the pre-capitalist world trade of the 15th century to the industrialization of the 19th century and present-day global economy, Gerstenberger describes the individual impact of direct violence on people over the course of time primarily as resulting from political struggles.
"While the Varieties of Capitalism (VoC) approach is strong on pointing out the complementarities among national modes of accumulation, it falls short on capturing the dynamics of finance. From a regulationist perspective, its simple dichotomy of bank based versus market based finance overlooks functional equivalences and thus overemphasizes differences. The market based systems are misrepresented; in reality they do not conform to the ideals of transparency and dispersed shareholding. According to VoC, financialization emanates from the liberal market economies. However, the export successes of the coordinated market economies brought about financialization in the market systems by eliminating some of their industries. Most importantly, the VoC focus on firms treats finance as a service to companies and not as a profit driven sector on its own." (author's abstract)