The U.S. Navy beyond the year 2000: a strategic forecast
In: Comparative strategy, Band 7, Heft 3, S. 253-310
ISSN: 0149-5933
96830 Ergebnisse
Sortierung:
In: Comparative strategy, Band 7, Heft 3, S. 253-310
ISSN: 0149-5933
World Affairs Online
In: Forum Europa: Zeitschrift für transnationale Politik, Heft 1, S. 4-10
World Affairs Online
Blog: www.jmwiarda.de Blog Feed
Ein Viertel der Schüler lernt nicht richtig lesen. "Tutoring for All" will deshalb eine neue Methode der Leseförderung in Deutschland etablieren. Kann das funktionieren? Ein Interview mit dem Sozialunternehmer Ekkehard Thümler und der Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin.
Ekkehard Thümler ist Senior Fellow am Centre for Social Investment (CSI) der Universität Heidelberg. Er
arbeitete in verschiedenen Funktionen unter anderem für Joachim-Herz-Stiftung und die Bertelsmann-Stiftung. 2020 gründete er das gemeinnützige Startup "Tutoring for All". Ingrid Gogolin war über viele Jahre Professorin am Arbeitsbereich "Interkulturell und International Vergleichende
Erziehungswissenschaft" der Universität Hamburg und forscht dort als Seniorprofessorin weiter. Fotos: Gerrit
Meier/Scholzfoto.
Herr Thümler, 26 Prozent der deutschen Neuntklässler können schriftliche Texte nicht sinnerfassend verstehen, hat die jüngste PISA-Studie
ergeben.
Ekkehard Thümler: Und das Problem fängt in der Grundschule an. Jedes vierte Kind lernt nur sehr schlecht lesen. Wenn wir das ändern wollen,
brauchen die Lehrkräfte Unterstützung und die Schulen neue Methoden.
Mit Mitstreitern haben Sie "Tutoring for All" gegründet, was ist das?
Thümler: Ein Sozialunternehmen, das die individuelle Förderung von Kindern in ganz kleinen Gruppen durch Tutorinnen und Tutoren fördern will. Außerhalb des regulären Unterrichts
und mit Hilfe einer digitalen Tutoring-Plattform.
Dahinter steht das sogenannte "High Impact Tutoring". Klingt nach Marketing.
Thümler: Das ist eine Methode aus den USA, die laut Forschung besonders hohe Effekte hat, vor allem bei der Stärkung sozial benachteiligter Kinder und deren Basiskompetenzen. In
den USA und Großbritannien wird Tutoring deshalb auch mit großen nationalen Programmen gefördert. In Deutschland nennen wir unser Angebot "Lesen mit dem Turbo-Team". Knackpunkt ist die hohe
Dosis. Tutoring mindestens dreimal die Woche, durchgeführt von geschulten Tutorinnen und Tutoren. Reale Menschen, die digitale Hilfsmittel einsetzen, auf der Grundlage eines wissenschaftlichen
Konzepts. Aber das Persönliche, die menschliche Beziehung zwischen Kind und Tutor, steht im Vordergrund. Das ist der Unterschied zu rein virtuellen Tools, die deutlich weniger bringen. Hinzu
kommt, dass es beim High Impact Tutoring ein Monitoring gibt, um zu prüfen, ob die gewünschten Effekte auch tatsächlich eintreten.
"Wir konzentrieren uns auf einen Ansatz,
der relativ leicht umzusetzen ist und relativ schnell einen hohen Wirkungsgrad erzielt."
Ihr Glaube an die Methode muss groß sein. Immerhin haben Sie dafür die sichere Welt einer Bildungsstiftung verlassen, um in die Selbstständigkeit zu gehen.
Thümler: Eigentlich hatten wir mehr vor. Wir wollten ein umfangreiches Schulentwicklungsprogramm nach Deutschland holen, "Success for All", bei dem das Tutoring nur ein
Ausschnitt gewesen wäre. Aber dann kam Corona. Und uns wurde klar, dass für so große Projekte mit jahrelangem Vorlauf jetzt weder die Zeit noch das Geld da ist. Darum konzentrieren wir uns auf
einen Ansatz, der relativ leicht umzusetzen ist und relativ schnell einen hohen Wirkungsgrad erzielt.
Was heißt "relativ schnell"?
Thümler: Mit dem Turbo-Team waren wir Ende 2023 an 22 Schulen bundesweit, im Januar kommen fünf weitere Standorte dazu. Das bedeutet, wir haben bislang etwa 1000 Kinder mit der
Förderung erreicht. Dafür arbeiten wir meistens mit Organisationen und Vereinen zusammen, die ohnehin schon an den Schulen sindund oft auch eigene Tutorinnen und Tutoren mitbringen. In selteneren
Fällen führen Schulen unser Programms auch eigenständig durch.
Frau Gogolin, Sie sind Senior-Professorin am Arbeitsbereich "Interkulturell und International Vergleichende Erziehungswissenschaft" der Universität Hamburg und begleiten "Tutoring for
All" wissenschaftlich. Warum?
Ingrid Gogolin: Ekkehard Thümler und ich kennen uns seit etlichen Jahren. Wir haben gemeinsam versucht, "Success for All" aus den USA nach Deutschland zu bringen, nach meiner
Überzeugung eines der besten Schulentwicklungskonzepte weltweit. Die wissenschaftliche Studienlage ist da sehr eindeutig: Konzepte, die verschiedene Akteure von innerhalb und außerhalb der Schule
unter einer gemeinsamen Strategie vereinen, auf dieser Grundlage systematisch Maßnahmen ergreifen und deren Wirkung regelmäßig messen, haben durchgehend positive Effekte auf die
Schülerleistungen. Und weil, wie Ekkehard eben erwähnte, nach Corona das ganz große Rad nicht mehr zu drehen war, haben wir gesagt: Fangen wir mit dem Tutoring an, also mit einem Element von
"Success for All". Dieses Tutoring findet in enger Abstimmung mit den Lehrkräften und dem allgemeinen Unterricht statt. Einen wichtigen Erfolgsaspekt möchte ich hinzufügen: Es handelt sich nicht
um allgemeine Leseförderung, sondern um das gezielte Arbeiten an individuellen Schwächen, die vorher bei einem Kind diagnostiziert worden sind. Wenn diese Schwächen beseitigt sind, endet auch die
Förderung. Dadurch ist es möglich, sehr genau die Effekte zu messen.
Das haben Sie getan.
Gogolin: Ja, in Form einer Pilotevaluation. Ich weiß, dass Ekkehard den Begriff nicht mag und
mich zu vorsichtig findet mit meinen Aussagen. Aber als Wissenschaftlerin muss ich genau sein. Es handelt sich immer noch um eine relativ kleine Anzahl von Kindern, und für die Kontrollgruppe
haben wir keine Zufallszuweisung der Kinder hinbekommen. Trotzdem, und das kann ich als Wissenschaftlerin wieder ohne Einschränkung sagen, sind wir von den Ergebnissen einigermaßen überrascht
gewesen.
Sie haben zu Beginn und nach Abschluss des Turbo-Tutorings bei den Kindern vier Kompetenzbereiche untersucht: ihre basale Lesefertigkeit, ihr Wortverständnis, ihr Satzverständnis und ihr
Textverständnis. Und Sie haben die Ergebnisse mit Schülern verglichen, die nicht an dem Programm teilgenommen haben.
Gogolin: Und damit man die Ergebnisse vergleichen kann, haben wir den Einfluss von Geschlecht, Klassenstufe, Erstsprache und sozioökonomischem Status der Familie statistisch
kontrolliert. Unabhängig von der Lesekompetenz vor Beginn der Förderung zeigte sich in allen vier Bereichen ein Vorteil für die Kinder, die beim Tutoring dabei waren. Beim Satzverständnis und
beim Textverständnis fiel der Unterschied so groß aus, dass er statistisch signifikant, also kein Zufallsergebnis ist.
"Auch andere Leseförderprogramme haben überzeugende Geschichten von sich zu erzählen. Doch stellen sich nur die wenigsten einer wissenschaftlichen
Evaluation."
Warum war das bei der basalen Lesefähigkeit und dem Wortverständnis anders?
Gogolin: Weil sich auch die Kinder der Kontrollgruppe in anderen an den Schulen bereits praktizierten Formen der Leseförderung befanden. Auch dies war also eine gute Förderung.
Der Turbo-Team-Ansatz bringt aber zusätzlich auf der Ebene der komplexeren Leseleistungen erstaunliche Effekte, also genau da, wo die Stolperstellen liegen, die das Tutoring gezielt bearbeitet.
Wichtig ist, dass dies in der Kombination eines digitalen Systems mit Tutorinnen und Tutoren passiert, die das Programm in ihrer Arbeit mit den Kindern zum Leben bringen. Darum bin ich
optimistisch, dass wir bei einer größer angelegten Evaluation zu vergleichbaren Ergebnissen kämen. Dann müssten wir die Kinder allerdings auch über einen längeren Zeitraum verfolgen, um
herauszufinden, ob der Lerneffekt von Dauer ist.
Ist Ihnen das zu pessimistisch Herr Thümler?
Thümler: Ich würde nie mit einer Wissenschaftlerin schimpfen, weil sie wissenschaftlich vorgeht. Und Ingrid hat ja Recht: Auch andere Leseförderprogramme haben überzeugende
Geschichten von sich zu erzählen. Doch stellen sich nur die wenigsten einer wissenschaftlichen Evaluation.
Gogolin: Ich kenne keinen einzigen anderen Anbieter einer onlinebasierten Leseförderung, der das schon im Prozess der Entwicklung getan hat.
Thümler: Das enthält ja auch ein immenses wirtschaftliches Risiko, wenn Sie gerade ein Unternehmen gegründet haben und als Person in Vorleistung gegangen sind. Was wäre passiert,
wenn die wissenschaftliche Untersuchung nun belegt hätte, dass die Methode nicht funktioniert?
Gogolin: Aber wir haben das Risiko offenen Auges auf uns genommen und sehen nun, dass die Richtung, in die das Programm geht, stimmt. Der Vorteil ist, dass die Ergebnisse unserer
Prüfung sofort wieder in die Weiterentwicklung der Plattform einfließen können.
Wie geht es jetzt weiter, Herr Thümler?
Thümler: Motiviert von der Evaluation wollen wir jetzt an weitere Schulen gehen und so viele Schülerinnen und Schüler erreichen, dass wir uns einer noch anspruchsvolleren
wissenschaftlichen Studie stellen können. Unsere Botschaft lautet: Wir bringen ein fertiges Produkt mit, verknüpft mit dem Angebot, die vorhandenen Tutoren und Lehrkräfte zu schulen. Wir wollen
es den Schulen so einfach wie möglich machen.
"Wirtschaftlich ist das eine Wette,
das ist klar."
Das klingt, als wären die meisten Schulen sehr vorsichtig und zurückhaltend. Was kostet denn die Teilnahme?
Thümler: 2.500 Euro pro Schule und Jahr, unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und Tutorinnen und Tutoren. Dafür können sie alle die digitale
Plattform nutzen, sie bekommen die Schulungen und alle Unterstützung, die sie brauchen, um das Programm durchzuführen. Künftig wollen wir noch einen Schritt weitergehen und das Angebot machen,
dass jemand von "Tutoring for All" vorbeikommt, wenn ein konkretes Anwendungsproblem zu lösen ist.
Gogolin: Was eine große Rolle spielt, wie unsere Evaluation gezeigt hat: Es braucht nicht nur die einmalige Schulung von Tutorinnen und Tutoren, sondern ihre dauerhafte
Begleitung.
Und der ganze Aufwand für 2.500 Euro, Herr Thümler – das geht auf?
Thümler: Die Kalkulation wird dann aufgehen, wenn wir eine ausreichend große Zahl von Schulen gewinnen können. Insofern ist es wirtschaftlich eine Wette, das ist klar.
Wo sind denn dann all die Schulen, die mitmachen wollen?
Thümler: Die meisten Schulen haben im Moment weder die Ressourcen noch die Kraft, sich erst auf einen jahrelangen Schulentwicklungsprozess einzulassen. Aber genau das ist das
"Turbo-Team" nicht, die Schulen müssen sich zu nichts committen. Hinzu kommt: Viele Schulen haben bislang gar nicht das Budget für solche Extra-Aktivitäten, wenn sie es nicht durch Stiftungen
oder andere Förderorganisationen finanziert bekommen. Das ändert sich hoffentlich durch das Startchancen-Programm von Bund und Ländern für Schulen in benachteiligten Lagen. "Lesen mit dem
Turbo-Team" wird von diesem Programm ausdrücklich als empfehlenswerte Maßnahme genannt, das könnte eine große Chance auch für unser Vorhaben sein.
Gogolin: Es gibt auch eine emotionale Schwelle, die es zu überwinden gilt. Sehr viel Leseunterstützung, die es heute gibt, kommt von Ehrenamtlichen, die sich mit den Kindern
unterhalten, ihnen etwas vorlesen. Das finde ich prima – aber: Jetzt kommen wir mit so einem systematischen Lernprozess, mit dialogischen, digital gestützten Verfahren und Monitoring-Tools. Das
ist vielen Ehrenamtlichen fremd. Aber wir können hoffentlich klarmachen, dass wir die Angebote, die es gibt, nicht ersetzen wollen. Dass sie aber bei allem Bemühen noch nicht reichen, um den
besonders gefährdeten Kindern ausreichend zu helfen. Wenn jetzt die Startchancen kommen und Ganztagsausbau an den Grundschulen voranschreitet, hoffen wir, dass diese systematische Perspektive
stärker als bislang aufgegriffen wird.
Kostenfreien Newsletter abonnieren
In eigener Sache: Bitte die Unterstützung dieses Blogs nicht vergessen
Mehr lesen...
In: https://freidok.uni-freiburg.de/data/9162
Rural-urban migration is increasingly becoming an important livelihood strategy in sub-Saharan Africa, particularly in Tanzania, and is in many ways viewed as a driving force behind the rapid urbanisation process within this region. Despite urbanisation being associated with benefits such as trade stimulation and the subsequent increase in governments' revenue, it is also accompanied by threats such as higher commodity prices, unemployment, alarming crime rates, inadequate shelter and governments' unpreparedness to combat them. Maasai nomadic pastoralist youth, who started migrating to urban areas on a large scale from the 1990s onwards, are disadvantaged in many ways owing to their cultural, social, economic and political marginalisation since colonial times. In this context, important yet controversial questions include: What migration-related threats are likely experienced by the Maasai migrant youth and local households? How do they cope with these threats; indeed, do they manage to cope? How can migrants and households' capacities be strengthened to more competently cope with such threats? To tackle the above-posed questions, this study explored the influences of the rural-urban migration of Maasai nomadic pastoralist youth on the resilience of both the migrants in Dar es Salaam and local households in Ngorongoro District, Northern Tanzania. It specifically documented factors for and patterns of the rural-urban migration of the Maasai nomadic pastoralist youth, investigating the impact of rural-urban migration on the local households' resilience and analysing migration-related threats encountered by the migrants in urban areas, as well as their coping strategies. Finally, this thesis suggests factors for enhancing migrants and households' resilience against migration-related threats. A myriad of migration theories was employed to understand factors behind migration patterns, while the multi-layered social resilience framework of (Obrist et al. 2010) was deemed suitable to explore migration-related threats for migrants and households, as well as their strategies of coping with them. A qualitative approach was adopted, although data was both qualitatively and quantitatively analysed. Respondents were both randomly and purposely selected and in-depth interviews were conducted with 50 Maasai migrants, 30 households and 30 key informants, including private and public institutional officials and community members at various levels in Dar es Salaam and Ngorongoro. In addition, five focus group discussions (FGDs), observations and the review of secondary data were also carried out. The study revealed that Maasai migrant youth have been migrating to Dar es Salaam city mainly due to the household poverty emanating from the decline of pastoralism and agriculture, prompted by climate change, insufficient access to land, livestock diseases, unemployment and resource conflicts. Rural-urban migration was catalysed by inconsistent land and development policies, social networks, migrants and households' aspirations and technology, notably improved communication and transportation networks such as mobile phones and road networks. Migration both positively and negatively influenced the households' resilience. For instance, remittances from migrants enhanced households' economic capital (notably livestock and agriculture), cultural capital such as food and health support, various household equipment and the improvement of formal education and skills. On the other hand, migration also subjected some households to threats related to financial constrains, inadequate human power and food insecurity. Household members coped with such threats by depending on informal affiliations (social capital), taking on extra work load, child labour and engaging in entrepreneurship activities (cultural capital), mainly at individual, household and community levels. However, they could rarely solicit support from meso, national and international levels. Threats experienced by the Maasai migrants in Dar es Salaam chiefly concerned inadequate income and shelter, unemployment, oppression and exploitation, notably low and delayed labour returns and arbitrary job terminations, stigma and segregation, together with physical insecurity, notably falling victim to crime when working as security guards, typically due to a lack of proper equipment and security training. On the one hand, migrants managed to solicit and utilise capitals from different social layers, thus developing 'reactive' and to a lesser extent 'proactive' capacities to competently cope with the aforementioned migration-related threats. Specifically, migrants competently coped with the threats by utilising cultural capital at the individual level, such as migrants' local knowledge and physical strength. They employed social capital at community and household levels, particularly rural-urban linkages and strong social networks among migrants, which enabled the sharing of resources such as food, finance shelter and working in groups to cope with the insecurity threat. To a lesser degree, migrants also employed aspects of economic capital such as livestock and agricultural products at the household level, as well as symbolic capital such as the Maasai social reputation and identity springing from Maasai culture and local traditions. However, both the Maasai migrants and household members lacked formal skills and education, as well as structures that could support resilience building at meso, regional and national levels. Thus, equipping Maasai migrants and households with formal skills, the changing of land tenure policies and making government and private institutions more responsive to the migration threats affecting Maasai can significantly improve both the Maasai migrants and local households' resilience against such threats. ; Die Land-Stadt-Migration als wichtige Strategie der Überlebenssicherung und als treibende Kraft der schnellen Urbanisierung gewinnt zunehmend an Bedeutung in Subsahara-Afrika, besonders in Tansania. Auch wenn die Urbanisierung Vorteile wie ein schnelleres Wirtschaftswachstum und folglich höhere Staatseinnahmen mit sich bringt, so ist sie auch mit negativen Auswirkungen wie höheren Preisen für Lebensmittel, Arbeitslosigkeit, wachsender Kriminalität, mangelndem Wohnraum und der unzureichenden Vorbereitung der Regierungen, um diese zu bekämpfen, verbunden. Die jugendlichen Maasai, die insbesondere seit den 1990er Jahren in großem Stil in die Städte ziehen, sind in besonderem Maße kulturell, sozial, ökonomisch und politisch marginalisiert. In diesem Zusammenhang stellen sich einige wichtige, wenn auch kontroverse Fragen: Welche im Migrationskontext auftauchenden Bedrohungen sind dabei besonders relevant für die migrierenden Jugendlichen und die lokalen Haushalte? Kommen sie mit diesen zurecht und wenn ja, wie? Wie können die Kapazitäten der Migranten und Haushalte gestärkt werden, um diese besser zu bewältigen? Um die hier gestellten Fragen zu beantworten, wurden in dieser Arbeit die Einflüsse der Land-Stadt-Migration auf die Resilienz der Migranten in Dar es Salaam und der Haushalte im Ngorongoro District in Tansania untersucht. Besonderes Augenmerk lag dabei auf Faktoren für und Muster von Land-Stadt-Migration. Darüber hinaus wurden die Auswirkungen der Migration auf die Resilienz der Haushalte in Ngorongoro sowie die im Zusammenhang mit der Migration entstehenden Bedrohungen für die Migranten und deren Bewältigungsstrategien untersucht. Abschließend werden Empfehlungen zur Stärkung der Resilienz der Migranten gegeben. Eine Vielzahl von Migrationstheorien beschäftigt sich mit der Erklärung von Migrationsmustern. In dieser Arbeit wurden diese durch das von (Obrist et al. 2010) entwickelte Multi-layered social resilience framework ergänzt, um die im Zusammenhang mit der Migration entstehenden Bedrohungen für die Migranten und Haushalte und die jeweiligen Bewältigungsstrategien zu untersuchen. Dabei wurde ein qualitativer Zugang gewählt. Die Daten wurden darüber hinaus jedoch auch quantitativ ausgewertet. Die Befragten wurden teilweise zufällig, teilweise gezielt ausgewählt. In Dar es Salaam und Ngorongoro wurden ausführliche Interviews mit insgesamt 50 Migranten, 30 Haushalten und 30 Experten – darunter Offizielle aus privaten und öffentlichen Einrichtungen sowie Gemeinschaftsmitglieder verschiedener Ebenen – durchgeführt. Zusätzlich fanden fünf Gruppendiskussionen, Beobachtungen und eine Analyse von Sekundärdaten statt. Durch diese Studie konnte gezeigt werden, dass die jugendlichen Maasai insbesondere wegen der Armut im Herkunftsgebiet nach Dar es Salaam zogen. Diese ist insbesondere bedingt durch den mit dem Klimawandel zusammenhängenden Niedergang des Pastoralismus und der landwirtschaftlichen Produktion, unzureichenden Zugang zu Land, Tierseuchen, Arbeitslosigkeit und Ressourcenkonflikte. Die Land-Stadt Migration wurde dabei durch inkonsistente Land- und Entwicklungspolitiken, soziale Netzwerke, Sehnsüchte und technologischen Fortschritt – wie verbesserte Kommunikation und Transportnetzwerke – beschleunigt. Es konnten positive wie negative Auswirkungen der Migration auf die Resilienz der Haushalte festgestellt werden. Einerseits verbesserten Geldsendungen durch die Migranten das ökonomische (insbesondere im landwirtschaftlichen Bereich) und das soziale Kapital der Haushalte (Nahrung, Gesundheit, Bildung). Andererseits wurden die Haushalte durch die Migration neuen Bedrohungen, wie finanziellen Einschränkungen, fehlender Arbeitskraft und Ernährungsunsicherheit, ausgesetzt. Die Haushaltsmitglieder bewältigten diese durch informelle Netzwerke (soziales Kapital), zusätzliche Arbeit, Kinderarbeit und unternehmerische Tätigkeit (kulturelles Kapital) besonders auf der individuellen, der Haushalts- und Gemeindeebene. Nur in seltenen Fällen konnte dagegen auf Unterstützung durch die meso-, nationale und internationale Ebene zurückgegriffen werden. Die für die Migranten in Dar es Salaam relevanten Bedrohungen waren ungenügende Einkommen und Wohnsituation, Arbeitslosigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung (z.B. geringe oder verspätete Entlohnung, willkürliche Entlassung, Stigmatisierung und Segregation) und physische Unsicherheit. Die Migranten konnten Kapital aus verschiedenen sozialen Ebenen (social layers) nutzen und damit 'reaktive' und zu einem geringeren Grad auch 'proaktive' Kapazität entwickeln, um mit den beschriebenen Bedrohungen umgehen zu können. In vielen Fällen schafften es die Migranten durch die Nutzung des kulturellen Kapitals auf der individuellen Ebene, beispielsweise des lokalen Wissens und der physischen Stärke, diese Bedrohungen zu bewältigen. Darüber hinaus machten sie sich das soziale Kapital auf Gemeinschafts- und Haushaltsebene zu Nutze. Hier sind insbesondere die engen Land-Stadt-Beziehungen und starke soziale Netzwerke zwischen den Migranten zu nennen, die das Teilen von Nahrung, finanziellen Mitteln, Unterkunft und Arbeiten in der Gruppe ermöglichten. In geringerem Maße griffen sie auf ökonomisches Kapital, wie Viehbestand und landwirtschaftliche Produktion, sowie auf symbolisches Kapital, wie die Maasai-Kultur und die damit verbundenen Traditionen, zurück. Die migrierten Maasai und die im Ursprungsgebiet verbliebenen Haushalte hatten jedoch nur ein geringes Maß an formeller Qualifikationen und Ausbildung, sowie unzureichende Strukturen zur Stärkung ihrer Resilienz auf der Meso-, Regional- und Nationalebene. Daher werden die Verbesserung ihrer Ausbildungssituation, die Anpassung von Landnutzungspolitiken und eine verstärkte Sensibilisierung öffentlicher und privater Organisationen für die Probleme der Maasai als wichtige Ansätze zur Stärkung ihrer Resilienz angesehen.
BASE
The main intention of this research is to provide a basis for improved solutions for the future development of housing in Yangon, Myanmar. Yangon has expanded from 348 km2 in 1985 to 599 km2 in 2003. Due to the development of new satellite towns after 1988, the government and private sectors tried to supply housing by various strategies. However, there appeared weaknesses with respect to functional, social, cultural and climatic aspects in the design and planning, especially in the low and middle class apartments in Yangon. Analyzing these weaknesses is the precondition to develop recommendations for a better design and planning. In order to develop the recommendations on a scientific basis, the research deals with four main questions: 1) What are the special conditions of housing in Yangon? 2) What is the method to detect deficiencies? 3) What are the deficiencies of housing in Yangon? 4) Is there a potential input by German experiences and problem solutions for better planning in Yangon? Concerning the first question, the historical development of housing projects and supply strategies are shown. In order to substantiate the special conditions in Yangon, the main functional, social, cultural, economic and climatic factors which influence housing are reported. Regarding the functional aspect a result is that there happened a transformation of the spatial arrangement in rural area houses to that of urban apartments, but holding some characteristics at the same time. As factors of the social conditions, average household size, age distribution, in and out migration rates, social relations inside families and with neighbors as well as the way of people's living style, habits and their behaviors are presented. With respect to the cultural conditions, the traditional beliefs concerning constructing the house give important hints to understand the spatial arrangement in Myanmar residential architecture. Examining the cost factors in relation to Plinth Area Estimate (PAE) rate, the costs with respect to room dimensions, to the numbers of storey, and the form of the apartment influence the economic aspect. Climatic conditions with relevance to architecture such as the amount of sun shine, sun angles, rainfall, temperature, relative humidity and wind velocity are presented. The method to detect deficiencies in an ordered and transparent way uses an aspect tree. The main aspects, by which judgments on certain objects or features of objects are made, are divided in sub aspects and sub sub aspects. The whole tree is thought to map the important performances of the selected apartments and buildings. The deficiency analysis is focused on the four performances: functional, social, cultural and indoor environmental quality. The selection of cases was done by five defining factors: location, time, financial organization, types of housing compound and building. The examination of the adequacy of functional areas by four main areas: communication and access area, public area, private area, and cooking and supplying area indicates some deficiency of the order of functional areas. The analysis of the area sufficiency using the comparison of occupancy rate, examined by average household size, with the standards of international institutions' results in the inadequacy of areas in some selected cases. The investigation of the social performance looks for the suitability of available spaces for social activities. The examination was carried out at hand of the questions: which activities are mostly done at which space and whether there is enough space for these activities. Main deficiency has been detected that there is not enough and no adequate space for the social communication of residents as well as with neighbors. Examining the cultural aspects, which strongly influence the spatial composition of apartments, the result was found out that there is only poor space for praying, deposing shoes, and donating activities. The indoor environmental quality is inspected by two aspects, natural ventilation and natural lighting. The analysis of various aspects such as air flow system, ratio between opening and floor area, room depth as well as orientation of building shows various weaknesses of the indoor environmental quality in most of the selected apartments. To deal with the last question, some comparable projects of German housing after the First World War are considered. They have been selected by their similarity concerning urgent housing demand for poor and low middle class people in Germany at that time. Some of the transferable problem solving tools for minimizing space has been: to supply double used space by sliding doors, to provide foldable beds, as well as to plan long outside corridors with common stairways for social communication. The deficiency analyses and solutions of German cases enable it to access improvements of design and planning of housing. They are presented in form of recommendations and schematic proposals. Thereby a rich repertoire of improvements is offered. The advantages and disadvantages of the proposals are named. Single recommendations and proposals concerning a certain aspect (e.g. the functional one) can improve that aspect, but at the same time can come into conflict with a solution of another sub system (e.g. the cultural one). Therefore a decision is to be made by taking into account the special situation and special users' needs. Finally it is concluded, that a general recommended step is the linkage between users' needs and design. The negotiation between users, developers and designers is an important issue to achieve a better quality of future housing in Yangon. ; Das Hauptziel dieser Arbeit ist es, eine Basis für verbesserte Lösungen für die zukünftige Entwicklung des Wohnbaus in Yangon, Myanmar zu schaffen. Yangon hat sich von 1985 bis 2003 von 348 km² auf 599 km² ausgedehnt. Bedingt durch die schnell anwachsende Stadtbevölkerung nach 1988, erprobten Regierung und Privatunternehmen verschiedene Strategien, um Wohnungen bereit zu stellen. Dabei traten jedoch Schwachpunkte auf in Bezug auf funktionale, soziale, kulturelle und klimatische Aspekte im Entwurf und in der Planung, ins besondere in den Armen- und Mittelstandswohnungen. Um Empfehlungen auf wissenschaftlicher Basis zu entwickeln, beschäftigt sich die Arbeit mit vier Hauptfragen: 1) Was sind die speziellen Bedingungen für Wohnungen in Yangon? 2) Was ist die Methode um Mängel zu ermitteln? 3) Welche Mängel haben Wohnungen in Yangon? 4) Gibt es Möglichkeiten, deutsche Erfahrungen und Problemlösungen in eine bessere Planung in Yangon mit einzubeziehen? Hinsichtlich der ersten Frage wird die historische Entwicklung von Wohnungsprojekten und Versorgungsstrategien gezeigt. Um die speziellen Bedingungen in Yangon zu konkretisieren, werden die wichtigsten funktionalen, sozialen, kulturellen, ökonomischen und klimatischen Faktoren, die das Wohnen beeinflussen, dargestellt. Ein Resultat in Bezug auf den funktionalen Aspekt ist, dass eine Umwandlung der räumlichen Anordnung in ländlichen Häusern hin zur städtischen Wohnung stattfand, bei der aber gleichzeitig einige Eigenschaften beibehalten wurden. Faktoren der sozialen Bedingungen wie durchschnittliche Haushaltsgröße, Altersgliederung, Zu- und Abwanderung werden aufgezeigt. Die sozialen Beziehungen innerhalb der Familien sowie mit Nachbarn, der Lebensstil der Bewohner, ihre Verhalten und ihre Gewohnheiten werden dargestellt. Die kulturellen Bedingungen geben wichtige Hinweise auf die Raumaufteilung der Wohnungsarchitektur von Myanmar. So bestimmt der traditionelle Glaube Konstruktion und Raumplanung des Hauses. Die Untersuchung der Kostenfaktoren für den Bau von Wohnungen beruht auf der Plinth-Area-Estimate (PAE). Danach beeinflussen die Raumdimensionen, die Anzahl der Geschosse und die Form der Wohnung die Wirtschaftlichkeit. Klimatische Bedingungen, die von Bedeutung für die Architektur sind, werden aufgezeigt. Die Methode, um Mängel aufzudecken, beruht auf einem Aspekte-Baum. Dabei sind Hauptaspekte, bezüglich derer Güte- bzw. Mängelurteile gefällt werden, in unter-Aspekte und unter-unter- Aspekte auf gesplittet. Der vollständige Baum dient als Orientierung, um die wichtigen Leistungen der ausgewählten Wohnungen und Gebäude darzustellen. Die Mängelanalyse richtet Ihr Augenmerk auf vier Hauptpunkte: funktionale, soziale, kulturelle und Innenraum-Qualität. Die Auswahl für die Fallstudie wurde durch fünf Faktoren bestimmt: Ort, Zeit, Finanzorganisation, Siedlungs- und Gebäudetyp. Die Analyse funktionaler Mängel bezieht sich auf vier Hauptbereiche: Kommunikations- und Zugangsbereich, allgemeiner Bereich, privater Bereich sowie Koch- und Sanitärbereich. Die Analyse der Angemessenheit der Raumgröße basiert auf der durchschnittlichen Haushaltsgröße und den Standards internationaler Institutionen. Die Untersuchung der sozialen Leistungsfähigkeit folgt der Frage, welche Tätigkeiten überwiegend in welchem Raum erfolgen und ob es genügend Platz für diese Tätigkeiten gibt. Als Hauptmangel stellte sich heraus, dass der Raum für die soziale Kommunikation der Bewohner weder ausreichend noch angemessen ist. Untersucht wurden auch die kulturellen Eigenheiten, die den räumlichen Aufbau der Wohnungen beeinflussen. Dabei stellt sich heraus, dass es nur unzureichenden Raum für das Beten, das Ablegen der Schuhe und die Ausführung von zeremonielleren Aktivitäten gibt. Die klimatische Analyse bezieht sich auf verschiedene Aspekte wie Belüftungssystem, Verhältnis von Öffnungen zu Bodenfläche, Raumtiefe sowie Ausrichtung des Gebäudes. Die Ergebnisse zeigen verschiedene Schwächen der Innenraumqualität in den meisten der ausgewählten Wohnungen. Zur Frage möglichen Inputs aus Deutschland werden einige vergleichbare deutsche Fälle nach dem ersten Weltkrieg betrachtet. Diese Zeit wurde wegen ihrer Ähnlichkeit hinsichtlich des dringenden Wohnungsbedarfs der ärmeren Bevölkerung sowie des niedrigen Mittelstandes ausgewählt. Einige der übertragbaren Lösungsverfahren für die Minimierung des Raumes sind: Der Einsatz von Schiebetüren, um eine Doppelnutzung von Räumen zu ermöglichen, Bereitstellung von zusammenklappbaren Betten, Planung von langen äußeren Fluren in Verbindung mit gemeinsamen Treppenhäusern, um eine bessere soziale Interaktion zu gewährleisten. Die Mängelanalysen und einige Lösungen in deutschen Fällen ermöglichen es, Verbesserungen in Entwurf und Planung von Wohnungen anzusteuern. Sie werden in Form von Vorschlägen und schematischen Darstellungen präsentiert. Dabei wird eine große Anzahl von Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt. Die Vorteile und die Nachteile der Vorschläge werden genannt. Einzelne Empfehlungen und Vorschläge hinsichtlich eines bestimmten Aspektes (wie z.B. des funktionalen) können diesen verbessern, aber gleichzeitig in Konflikt mit der Lösung eines anderen Problems geraten (wie z.B. dem kulturellen Aspekt). Folglich sollen Entscheidungen die spezielle Situation und die jeweiligen Bedürfnisse der Benutzer berücksichtigen. Die Verhandlungen zwischen Benutzern, Entwicklern und Entwerfern sind eine wichtige Möglichkeit, um eine bessere Qualität des zukünftigen Wohnens in Yangon zu erreichen.
BASE
Grenze und Raum – das sind im Zeitalter der allgegenwärtig vermuteten 'Globalisierungsprozesse' prekäre und zugleich hochaktuelle Begrifflichkeiten. Die Geisteswissenschaften haben die Konjunktur des Räumlichen seit dem Ende der 1980er-Jahre als 'spatial turn' bzw. später als 'topographical turn' deklariert. Trotz aller durch politische und ökonomische Bestrebungen – und nicht zuletzt durch Medientechnologien – hervorgerufenen Auflösungserscheinungen des Lokalen und Liminalen rückt die Grenze vermehrt in den Blickpunkt der deutschsprachigen Geistes- und Kulturwissenschaften. Aus dieser anhaltenden Konjunktur speist sich auch der Sammelband Topographien der Grenze. Verortungen einer kulturellen, politischen und ästhetischen Kategorie. Als dezidierte "Anstöße zu einer interdisziplinären Grenzforschung" – so der Untertitel der Einleitung – versammeln Christine Hewel und Christoph Kleinschmidt Beiträge aus den Kulturwissenschaften, der Literaturwissenschaft, der Philosophie und Soziologie, der Wirtschaftsgeschichte sowie der Politik-, Rechts- und Medienwissenschaft. Der Band ist das Ergebnis einer internationalen Tagung gleichen Namens, die vom Germanistischen Institut der WWU Münster in Kooperation mit dem Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main und dem Internationalen interdisziplinären Arbeitskreis für philosophische Reflexion (IiAphR) im November 2009 veranstaltet wurde. Eröffnet wird der Band von drei Beiträgen, die sich der Grenze theoretisch und begrifflich nähern. Frauke A. Kurbacher reflektiert in "Die Grenze der Grenze" Strukturen des Verhältnisses von Denktraditionen und Performativität in menschlicher (moralischer) "Haltung" (S.37): Ausgehend von den Phänomenologien Maurice Merleau-Pontys und Bernhard Waldenfels' fasst sie die Grenze zunächst als trennendes Moment von Ich/Anderem, Eigenem/Fremden. Eröffnet wird so eine anthropologisch-existentielle Dimension des Liminalen, die die Autorin erweitert, indem sie die Grenze als "Interliminale" (S. 27) versteht. Kurbacher führt so zwei begriffsgeschichtliche Denkmodelle der Grenze ein, die sich in dieser Deutlichkeit nicht in den anderen Beiträgen wiederfinden: einerseits ein Denken der Grenze als historische oder räumliche Zäsur, das aber zugleich deren Überschreitung, Überwindung, Transgression erkennt und anerkennt. Andererseits ein Denken, "das gerade unter Absehung […] konstituierender Grenzziehung als eines des 'Sich-selbst-Fortschreibens' beschrieben werden könnte" (S. 28). Mit dieser Differenzierung wird für Kurbacher die Grenze als zeitliche Kategorie begreifbar. Menschliche Existenz sei, so ihr ethischer Ansatz, nicht durch Leben und Tod definiert, sondern durch die Handlungsspielräume und Möglichkeiten des interpersonellen Austauschs zwischen diesen existenziellen Grenzen. Der zweite Beitrag, "Ineinandergreifende graue Zonen" von Rainer Guldin, schließt an den phänomenologischen Ansatz Kurbachers an. Mit Vilém Flussers Bestimmung der Grenze als Ort der Begegnung bezieht sich Guldin auf ein Denken der Grenzenlosigkeit, dem jeder Nationalismus zutiefst suspekt ist. Vilém Flusser hat sich, von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, stets für ein Ineinandergreifen von Denken, Publizieren und eigener Biographie stark gemacht – mit einer überaus konzisen Ethik von intersubjektiver wie interkultureller Begegnung, wie Guldin nachzeichnet. Mit einer Re-Lektüre zweier wahrnehmungstheoretischer Texte über die Haut setzt Guldin an der Grenze des Subjekts an. Diese Grenze ist zunächst keine ethische, da sie laut Flusser in erster Linie nicht Subjekte, sondern Subjekt und Objekt, Ich und Welt trennt. Die Haut als 'Grenze' ist also zunächst Gegenstand wahrnehmungstheoretischer Fragestellungen, die Guldin mit Flussers autobiographischen und medientheoretischen Schriften zu einer politischen und topographischen Theorie der Grenze vereint. Indem Guldin diese unterschiedlichen Textsorten in Beziehung setzt, zeichnet er ein konzises Bild von Flussers Interliminalitätskonszeption. Einem weiteren kanonisierten Theoretiker widmet sich Doris Schweitzer im dritten Beitrag: "Grenzziehungen und Raum in Manuel Castells' Theorien des Netzwerks und der Netzwerkgesellschaft" skizziert die sozial- und medienwissenschaftlichen Paradigmen des Netzes und des Netzwerks und zeigt dabei ein Missverständnis auf: Dem Castells'schen Netzwerk-Gedanken liege kein entgrenztes und deterritorialisierendes Raumverständnis zugrunde, sondern das Netz "generiert Raum" (S. 55), so Schweitzers These. Entgegen der euphorischen und weit verbreiteten Annahme der Entgrenzung durch das Netz komme es zu einer Radikalisierung der Grenze durch dessen Exklusionsmechanismen. So würden einzelne Gruppen und Regionen von dominanten Wissens- und Warenflüssen abgeschnitten. Mit ihrer Analyse eröffnet Schweitzer eine kritische Perspektive auf jene Rede von der Informationsgesellschaft, welche die Grenze als obsolet erklärt: "Die Radikalisierung der Grenzproblematik bei Castells ist somit gegen diejenigen Apologeten der verflüssigenden Globalisierung zu wenden, die unermüdlich von der Entgrenzung […] gegenwärtiger Prozesse reden – gerade auch dann, wenn sie sich dabei auf Castells Beschreibung der Netzwerkgesellschaft berufen" (S. 60). Der zweite Schwerpunkt des Sammelbandes nimmt die Grenze als Ort von politischer und ökonomischer Macht in den Blick und widmet sich geostrategischen Raumfragen. Andreas Vasilache beschreibt in seinem Beitrag "Grenzen in der Transnationalisierung" einen Paradigmenwechsel der exekutiven Gefüge von Staaten: eine durch die Globalisierung sukzessive verwischende Trennbarkeit von Innen- und Außenpolitik, die sich u.a. in einer Zunahme von globalem Problembewusstsein (etwa in Bezug auf Unternehmungen zur Verlangsamung des Klimawandels) niederschlägt. Dieser Verschränkung von Innen- und Außenpolitik stellt Vasilache die Trennung von staatlichem Eingriff und privater Dienstleistung bei, die ihrerseits im Auflösen begriffen sei. Als Beispiele dienen ihm hier u.a. nichtstaatliches Sicherheitspersonal bei Flughafenkontrollen sowie die im Laufe des zweiten Irakkriegs eingesetzten Söldner privater Sicherheitsfirmen. Die erodierenden Grenzen von Innen/Außen einerseits, privat/öffentlich andererseits seien aber mitnichten ein Indiz für eine allumfassende Nivellierung staatstheoretischer Wissenskategorien: "Grenzen werden im Rahmen politischer Transnationalisierungen zwar volatil und sprunghaft, büßen dabei allerdings keineswegs ihre strenge politisch-epistemische Unterscheidungsfunktion ein" (S.85). Andrea Komlosy unterfüttert den auf die Gegenwart bezogenen Beitrag Vasilaches historisch. "Zwischen Sichtbarkeit und Verschleierung. Politische Grenzen in Europa im historischen Wandel" vollzieht die Entstehung einer gemeinsamen europäischen Außengrenze seit dem 17.Jahrhundert nach, bei der die Binnengrenzen keineswegs verschwunden seien. Die Inszenierungen der Grenze dienten einem hegemonialen Anspruch von Herrschaft: Während Grenzen im 17. und 18. Jahrhundert als Zeichen von Inklusion und Exklusion, von Staatsmacht und Zugehörigkeit inszeniert wurden, verlagerten sie sich durch die EG und EU zunehmend in den europäischen Binnenraum. Ihre Unsichtbarkeit leiste nun der Illusion eines grenzenlosen Europas Vorschub, bei der punktuelle, ubiquitäre Kontrollen im Vorfeld und im Hinterland (vgl. S. 103) im krassen Gegensatz zu den hochtechnologisierten Außengrenzen Europas stünden. Liliane Ruth Feierstein, Christopher Pollmann und Jörn Glasenapp erörtern im vierten Abschnitt des Bandes die identitätsbildenden Funktionen von Grenzen. Ähnlich wie Andrea Komlosy konstatiert Christopher Pollmann in seinem Text "Globalisierung und Atomisierung" einen historischen Umbruch: Waren es im 18. Jahrhundert vor allem territoriale Grenzen, die kollektive Identität stifteten, komme es im Zuge der industriellen Revolution zu einer 'Individualisierung' der Grenze. Pollmann macht – unter Rückgriff auf Simmel und Marx – die zunehmende Regulierung des alltäglichen Lebens durch die Systeme von Recht, Uhrzeit und Geld als Schwächung kollektiver, zumal territorialer Grenzen aus; Grenzen fungieren in der Folge als Handlungsrahmen für Individuen. Jörn Glasenapp nimmt den allegorischen Grenzverkehr im Kalten Krieg in den Blick, den er in John Sturges' Film The Magnificient Seven von 1960 entdeckt. Seine Analyse kennzeichnet – mit Bezug auf Akira Kurosawas Die sieben Samurai, der Vorlage zu Sturges' Western – die rassifizierenden und kolonialistischen Diskurse von Grenze und 'frontier' durch eine Gegenüberstellung von Samurai/Bauern (Kurosawa), Amerikaner/Mexikaner (Sturges), NATO/'Ostblock' bzw. USA/Vietnam (realpolitischer Hintergrund) als "kinematographische Wunschphantasie" (S.152). Liliane Ruth Feierstein schließlich analysiert die Grenze in Riten, Umgangsformen und Symbolen jüdischen Lebens. Als religiöse Gemeinschaft sei das Judentum durch die gemeinschaftskonstituierenden Dimensionen der Begrenzung gekennzeichnet: beispielsweise durch Inschriften an Wohnhäusern, die die Bewohner_innen als Gläubige ausweisen und so das Haus als einen "Jewish Space" (S. 109) markieren. Die abgegrenzten Bereiche für Männer und Frauen in der Synagoge oder die geltenden Gesetzmäßigkeiten und gemeinschaftlichen Einschränkungen des jüdischen Glaubens, etwa die "limits of Shabbat" (ebd.), sind weitere Dimensionen der Begrenzung. Diesen tradierten Räumen und religiösen Einschränkungen stehen die Erfahrungen des Judentums als einer diasporischen Gemeinschaft gegenüber. In der Diaspora führt die gemeinschaftsstiftende Funktion der Grenze zur Ausgrenzung: die historische Ghettoisierung und Vertreibung und die Vernichtung als radikalste aller Infragestellungen der jüdischen Gemeinschaft während des Holocausts. Den Grenzen der Kunst bzw. der Kunst der Grenze sind die drei Beiträge des vierten Kapitels gewidmet. Nikolaj Rymar isoliert mit Michail Bachtin die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit, indem er die Kunst als "zweite Kultur" (S. 160) begreift, welche die Kategorien der 'ersten Kultur' – also Soziales, Religion, Politik etc. – in Frage stellt. Die Grenzüberschreitungen der 'zweiten Kultur' machen so die Grenzziehungen der 'ersten Kultur' erst sichtbar und ermöglichen deren Neuanordnung. Christoph Kleinschmidt nimmt unter Rückbezug auf die ästhetischen Schriften Lessings und Goethes die Grenzen der Künste in Bezug auf ihr Material in den Blick: Herrschte bis 1800 ein Kunstverständnis vor, das sich "vor allem mit der aisthetischen Dimension des Künstlerischen als dem Schönen beschäftigt und eine Überwindung des Materials durch die Form impliziert", komme es im Lauf des 19.Jahrhunderts zu einer diskursiven Verschiebung: In der Folge seien die Grenzen des Materials als wesentlich für die Kunst (und für die Grenzen zwischen einzelnen Kunstrichtungen) verstanden worden. Über Lessing, Schelling, Hegel und Vischer bis hin zu den Avantgarden der Moderne untersucht Kleinschmidt Kunsttheorien und die in ihnen formulierten materialästhetischen Programme. Christine Hewel beschließt diesen Teil mit einem 'Rundgang' durch das Museum für Angewandte Kunst Frankfurt. Anhand verschiedener Exponate des Museums erläutert Hewel aus museumspädagogischer Perspektive, wie die Grenzen zwischen Schmuck und Funktion, zwischen Eigenwert und Gebrauchswert, zwischen Kunst und Kunsthandwerk durchlässig werden. Die beiden letzten Aufsätze des Sammelbandes sind analytische Beiträge aus der Literaturwissenschaft. Stephanie Catani zeichnet die Topologie des Exilraums in Franz Kafkas Der Verschollene und W.G. Sebalds Die Ausgewanderten nach. Catani beschreibt die Heimatlosigkeit von Kafkas Protagonisten Karl Roßmann als Resultat eines individuellen Vater-Sohn-Konflikts und schließt daran eine Analyse des politischen Ausnahmezustands in Sebalds Die Ausgewanderten an, als dessen modernes Paradigma sie mit Giorgio Agamben das nationalsozialistische Regime mit seiner gesetzlosen und zugleich gesetzmäßigen Rechtsprechung versteht. Im individuell motivierten wie im politisch-existenziell notwendigen Exil werde die Ortlosigkeit zu einem paradoxen Grenzraum, der Heimat, erst konstituiert. Damit problematisiert die Autorin die Aufwertung der Heimatlosigkeit zu einem Bhabha'schen 'Third Space', den sie in den (fiktiven) Exilerfahrungen der Protagonisten nicht wiederfindet. Um die Ästhetisierung von Heimatlosigkeit geht es Ingo Irsliger und Christoph Jürgensen in ihrem Beitrag über Emine Sevgi Özdamars Erzählband Mutterzunge und Feridun Zaimoğlus Interviewband Kanak Sprak. Irsliger und Jürgensen verwehren sich zwar den Labels "Migrationsliteratur" und "Multikulti", können aber anhand einer positiven Bewertung des "Third Space"-Konzepts der Postcolonial Studies zeigen, wie alternative und hybride Identitätsangebote und -konzepte vor allem durch die Sprachstrategien von Özdamar und Zaimoğlu hervorgebracht werden. Die Fülle der unterschiedlichen Ansätze und Gegenstände ist beeindruckend, doch die angestrebte Interdisziplinarität gestaltet sich mitunter als loses Nebeneinander. Unter die Räder kommen dabei vor allem die titelgebenden Topographien. Zwar erweist sich der sehr weit gefasste Begriff der Grenze bald als fruchtbar, doch wäre gerade hier eine genauere Unterscheidung von Raum – Topologie – Topographie wünschenswert gewesen, wie sie etwa Stephan Günzel vorgenommen hat.[1] Kursorisch bleiben auch Bezüge zur Aktualität der Grenze in Perspektive auf Migration; damit werden zahlreiche politische, ökonomische, juristische, aber auch ästhetische Fragestellungen nicht einmal angerissen. Christoph Kleinschmidt gibt in seiner Einleitung eine gute – leider zu kurz geratene – Übersicht über den Forschungsstand geisteswissenschaftlicher Grenzforschung und verweist darin explizit auf die Aktualität europäischer wie US-amerikanischer Grenzdiskurse. Hinweise zur kritischen Grenzregimeforschung, wie sie etwa Sabine Hess, Serhat Karakayali, Vassilis Tsianos und andere[2] unternommen haben, finden sich jedoch nur in den Fußnoten des Bandes. Im Hinblick auf diese kritische Grenzregimeforschung ist auffällig, dass viele der Beiträge zur Beschreibung auf einem – wenn auch als konstruiert, als dispositiv oder ideologisch überformt gekennzeichneten – Dies-/Jenseits der Grenze beharren, selten aber Akte der Grenzverletzung, Momente der Passage, des Transits, des Auf-der-Grenze-Seins in den Blick nehmen.[3] Aus einer aktuellen Perspektive wünschenswert wären etwa Überlegungen zu den Debatten um die europäischen Außengrenzen und deren Inszenierungen und technologische Aufrüstung einerseits sowie durch mobile Technologien möglich gewordene Ergänzungen und Subversionen hegemonialer Diskurse andererseits. Dennoch bietet der Band viele spannende Denkanstöße in Hinblick auf das Phänomen Grenze und trägt dazu bei, die anhaltenden Debatten des Räumlichen vermehrt unter Berücksichtigung des Liminalen zu führen. --- [1] vgl. Stephan Günzel: "Spatial turn – topographical turn – topological turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen". In: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hrsg. v. Jörg Döring/Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript 2009, S. 219–237. [2] vgl. etwa Sabine Hess/Bernd Kasparek (Hg.): Grenzregime Diskurse, Praktiken, Institutionen in Europa. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2010 sowie Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld: transcript 2007. [3] vgl. neben der kritischen Grenzregimeforschung auch den essayistisch gehaltenen Sammelband von Eva Horn/Stefan Kaufmann/Ulrich Bröckling (Hg.): Grenzverletzer. Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten. Berlin: Kadmos 2002.
BASE
Im Folgenden stelle ich den Sammelband Performing Politics vor, der anlässlich der ersten Internationalen Sommerakademie 2010 in Hamburg entstanden ist. Die zentrale Fragestellung der Akademie lautete: "wie man heute im Sinne der von Jean-Luc Godard vorgeschlagenen Unterscheidung statt politischer Kunst politisch Kunst machen kann" (S. 7). Außerdem sollte der Austausch zwischen Theorie und Praxis gepflegt und die Veranstaltung für eine größere Öffentlichkeit geöffnet werden. Trotz der Heterogenität ergänzen sich einige Beiträge und vermitteln einen Eindruck des vielfältigen und weiten Feldes. Unter der Überschrift "Politik (in) der Kunst" wurden Beiträge versammelt, die sich mit den grundlegenden Voraussetzungen dafür beschäftigen, wie Kunst politisch sein kann. Es geht dabei vor allem um künstlerische Methoden und Vorgangsweisen. Der Gemeinschafts-Begriff bzw. der Begriff des Kollektiven spielt eine wichtige Rolle in mehreren Beiträgen. Das Nature Theater of Oklahoma (NTO) – Pavol Liska und Kelly Copper – versucht ein krisenhaftes Moment in ihre Arbeiten einzuführen, das ihre eigene Arbeitsweise, die der Schauspieler_innen und die Erwartung des Publikums herausfordert. So sollen neue Formen entstehen, die die traditionellen Grenzen des Theaters überschreiten. Die Theatermacher_innen verwenden einen Begriff von "Echtheit" bzw. "Realismus", der einen Zwischen-Zustand meint, in dem die Darsteller_innen weder sie selbst noch ihre Rolle sind. Robin Arthur thematisiert das Problem der Gemeinschaft und 'der Anderen' im Kontext des Politischen. Dabei wirft der Autor die Frage auf: Ist jede Art von Performance schon Politik, weil sie eine bestimmte (wenn auch exklusive) Kollektivität erzeugt? Reinhard Strobl und Jasna Žmak versuchen mit ihrem Text "High Hopes" eine fiktive Gemeinschaft mit ihren Lesern_innen herzustellen. Man könnte diese Textform auch als 'performatives Texten' beschreiben, da es den/die Leser_in aktivieren soll, eigene Gedanken anzuschließen. Sebastian Blasius fragt sich angesichts der Arbeit … although I live inside … my hair will always reach towards the sun … der Choreographin Robyn Orlin, "ob überhaupt innerhalb des theatralen Mediums Alternativen oder Lösungen politischer Fragen erdacht werden können, die nicht schon anderswo versucht wurden" (S.42). Spannend finde ich seine Schlussfolgerung, dass die Form an sich in Frage gestellt werden müsse, um politisch Theater zu machen. Auch in Astrid Deuber-Mankowskys Beitrag geht es um das Herstellen einer Gemeinschaft, genauer um "das Fehlen des Volkes" in Filmen der Nachkriegszeit. Die Formel des "Fehlens des Volkes" geht auf Gilles Deleuze zurück. Nach Deleuze sei es die Aufgabe des modernen Kinos, zu zeigen "wie das Volk fehlt" – was verbunden sei mit der Herstellung der Bedingungen von Kollektivität, dem Problem der Wahrnehmung und dem Problem des Denkens (vgl. S.30). Rudi Laermans spricht in seinem Text über Meg Stuart hingegen vom "kollektive[n] Blick" bzw. dem "kollektiven Ohr". Gemeint ist einerseits die Gemeinschaft von Zuschauer_innen/Zuhörer_innen und andererseits eine kulturelle Gemeinschaft, die dieselben Zeichen lesen kann. Die sogenannte "Politik des Zuschauens" tritt dann ein, wenn die Voraussetzungen und kulturellen Normen des Schauens/Hörens oder die Beziehung zwischen Zuschauern_innen und Akteuren_innen in Frage gestellt werden (vgl. S.43f.). Im Abschnitt "Interventionen – Kunst und (subversive) Aktionen" geht es um die Rolle von Kunst als 'politisches Instrument' sowie um die Frage, inwiefern Kunst konkrete Auswirkungen auf politische und gesellschaftliche Zusammenhänge haben kann. Sergej A. Romashko betont die Bedeutung des jeweiligen situativen und historischen Kontextes für die Frage, wann Kunst politisch ist. Mit Walter Benjamin weist er außerdem darauf hin, dass das Politische an der Kunst nicht allein am Inhalt festgemacht werden könne, sondern auch die Form zu berücksichtigen sei. So können die Arbeiten von Kollektive Aktionen (Kollektivnye dejstvija), einer russischen Künstlergruppe, der der Autor selbst angehört, im Kontext der Sowjetzeit und im Verhältnis der gesellschaftlichen Spielregeln als 'politisch' gedeutet werden. Die Teilnehmer_innen stellen nichts dar, sondern vollziehen eine bestimmte Handlung, die sich zu kulturellen, historischen und politischen Rahmenbedingungen ins Verhältnis setzt. André Schallenberg bezieht sich in seinem Beitrag ebenfalls auf Arbeiten von Kollektive Aktionen (KA), aber auch auf aktuelle Aktions- und Interventionsprojekte von Labofii, den Yes Men, 01.org und der russischen Gruppe Voina. Er unterscheidet zweckorientierte Kunst, die sich in den Dienst von Protest oder einer pädagogischen Funktion stellt von jenen Praktiken, die versuchen Freiräume für Kunst zu schaffen, die außerhalb jeglichen Systemzwangs stehen. Daher unterscheidet er das Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii), das als erklärtes Ziel "die (Zurückeroberung) öffentlichen Raumes durch eine Gruppe Fahrradfahrer sowie die Herstellung einer sich einig wissenden Gemeinschaft von politisch Aktiven" habe, radikal von Gruppen wie KA oder Voina (S. 74). Demgegenüber erläutert John Jordan die Innenperspektive des Labofii. Die Künster_innen betrachten "de[n] Aufstand als eine Kunstform und Kunst als Mittel zur Vorbereitung auf den kommenden Aufstand" (S.79). Zu diesem Zweck bauten sie z.B. zurückgelassene Fahrräder in Kopenhagen/Hamburg um, und in einer Reclaim-The-Street-Aktion sollten die Straßen 'zurückerobert' werden. Fraglich ist einerseits, inwiefern Kunst die Realität auf Dauer verändern kann und andererseits, ob die Unterordnung von Kunst unter andere Zwecke – seien diese pädagogischer, politischer oder wirtschaftlicher Art – diese nicht ihrer selbst zu sehr entfremdet. Shalaby und Bansemir beziehen sich ebenfalls auf die Aktion FLOOD von Labofii, die am 22.August 2010 in Hamburg stattfand. Sie betonen die Ambivalenz der Aktion, die weder eindeutig als Kunst noch als politische Demonstration einzuordnen war, was zu einer Auflösung der Grenzen beider Bereiche führte. Maximilian Haas beurteilt die Aktionen von Labofii im Sinne von Walter Benjamin als "reine Mittel ohne Zweck, die sich dem Kontext der repräsentativen Ordnung von Kunst und Politik entziehen, und die – folgt man Benjamin – also als gewaltlos zu bezeichnen wären" (S. 87). Für Haas bleiben sowohl der Kunstcharakter der Intervention als auch die jeweilige politische Forderung unausgesprochen, was die Aktionen zu reinen Mitteln werden lasse. Die Beiträge, die unter "Konfigurationen – Politiken des Raumes" gesammelt wurden, thematisieren einerseits die Inszenierung des öffentlichen urbanen Raumes und andererseits künstlerische Interventionen, die sich mit diesem auseinandersetzen. Die Autor_innen nähern sich der Thematik aus historischer, künstlerischer, architektonischer, sozialer und kapitalismuskritischer Perspektive an. Ulrike Haß hat sich angesehen, wie kulturelle, politische, religiöse und andere Faktoren städtische Topographien im Laufe der Zeit verändern. Genauer untersucht die Autorin die Relation zwischen Raum und Sichtbarkeit in Bezug auf die Städte der Renaissance, die filmischen Topographien deutscher Filmemacher am Anfang des 20. Jahrhunderts und in Bezug auf den Städtebau der BRD. Die totale Sichtbarkeit in der Kontrollgesellschaft lässt dabei "übersehene Räume" – Zwischenräume, die noch nicht vom Konsum bestimmt werden –als potentielle Orte des Widerstands erscheinen, die zurückerobert und teilnehmend erkundet werden können. Das Kollektiv Bauchladen Monopol begann 2010 in Hamburg, öffentliche Plätze und Gebäude durch ihre Tanz-Aktionen zu besetzen und damit den Raum für die begrenzte Zeit von jeweils vierzig Minuten für sich zu beanspruchen. In der Reflexion ihrer Arbeit kommen sie zu dem Schluss, dass die Besetzung öffentlicher urbaner Räume, die keinem bestimmten Zweck dient, sowohl als Eingriff in die bestehende Ordnung, aber auch als willkommene Abwechslung gelesen werden kann. Jasmin Stommel weist in ihrem Beitrag ebenfalls auf den Zusammenhang von kapitalistischen Interessen und dem urbanem Raum hin. Ein Symptom davon seien sogenannte "Nicht-Orte" (Marc Augé) an der Peripherie von Städten, die monofunktional und transitorisch sind. Als Beispiel führt die Autorin das Kampnagelgelände in Hamburg an, in dessen vielfältiger Nutzung sich dieses Spannungsverhältnis widerspiegle. Unter dem Titel "Überschreitungen – Politiken (in) der Institution" wurden Beiträge gruppiert, die sich mit den Bedingungen von Kunstproduktion in jenen institutionellen Gefügen beschäftigen, die Kunst oftmals erst ermöglichen, aber auch behindern können. Aus ihrer Perspektive als Kuratorin führt Amelie Deuflhard vier Kategorien an, in die sie künstlerische Arbeiten einordnet, die "politisch Kunst machen": "neue theatrale Formen (Experiment), transkulturelle Arbeiten, partizipatorische Formate und performative Interventionen" (S.124). Das Problem an den genannten Kategorien ist meiner Meinung nach, dass diese sehr allgemein und weit gefasst werden. Des Weiteren müssten folgende Aspekte einbezogen werden: der geschichtliche Kontext, die raum-zeitlichen Konfigurationen sowie die spezifische Ästhetik der Darstellung. Anneka Esch-van Kan weist auf die starke Tendenz hin, Theorie und Praxis des zeitgenössischen Theaters zu verbinden, was sich sowohl in den Produktionsweisen als auch in der wissenschaftlichen Arbeit niederschlägt. Sie betont jedoch die damit verbundenen Spannungen, die es erschweren eine Sprache zu finden, "die den vielfältigen komplexen Verhältnissen begegnen könnte". Das Finden einer solchen Sprache ist ihrer Ansicht nach ein wichtiger Schritt für die "Theoriebildung zum Politischen im Theater" (S.128). Als Theaterpraktiker plädiert Matthias von Hartz dafür, das Potential der Institutionen zu nutzen, um eine – nicht näher definierte – Öffentlichkeit zu erreichen. Einerseits sieht er die Relevanz des Theaters als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung schwinden, andererseits will er für dessen Re-Politisierung kämpfen. Unter den verschiedenen Institutionen sieht er Festivals als "theoretisch ideale Formate", da für diese "alle Freiheiten des Theaters, aber nur wenige seiner Zwänge" gälten (S.131). Obwohl die Idee, die Institutionen von Seiten der Künstler_innen mehr zu nutzen, durchaus interessant ist, scheinen mir die zugrunde gelegten Begriffe von "Politik" und "Öffentlichkeit" sehr vage und unreflektiert. Außerdem denke ich, dass der Autor eher "politisches Theater" meint – und weniger Theater, das auf politische Weise gemacht ist. Nina Jan weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass Festivals genauso bestimmten "Zwängen" folgen wie andere Kunstinstitutionen und demnach nicht unbedingt mehr Freiheiten bieten. Während die Relevanz von Festivals für das Networking zwischen Künstler_innen unbestreitbar sei, betont sie auch die den Festivals inhärente Marktlogik. Als Versuch, sich dieser zu entziehen, nennt die Autorin das Festival Pleskavica, das im Juni 2011 in Ljubljana (Slowenien) stattfand. Unter dem Titel "Jenseits des Spektakels" wurden Beiträge versammelt, die sich mit dem Begriff des Spektakels bzw. des Spektakulären auseinandersetzen. In Bezug auf Letzteres geht es um reale und imaginäre Bilder, die in und durch Performances/Theater generiert werden. Das postspektakuläre Theater, das André Eiermann beschreibt, setzt sich kritisch mit den Postulaten der "Unmittelbarkeit" und der "zwischenmenschlichen Begegnung von Angesicht zu Angesicht" auseinander, die in den letzten zehn Jahren zentral für den Diskurs um das Politische im Theater und die "Mitverantwortung des Publikums" waren (S.145). Im Unterschied zum oft spektakulären Mitmach-Theater, das – ganz im Sinne der Gesellschaft des Spektakels – darauf ausgerichtet sei, sich selbst darzustellen und einen nur scheinbar gleichwertigen Austausch mit den Darstellern_innen zu simulieren, sind postspektakuläre Arbeiten abstrakter oder formaler, bieten jedoch dem Publikum Anschlussstellen für die eigenen Imagination. Jemma Nelson und Caden Manson – zwei Mitglieder der New Yorker Performance Gruppe The Big Art Group – stellen ihren Begriff des Spektakulären vor. Für ihre Performances dienen die massenwirksamen Bildproduktionsmaschinen von Internet-Foren, Online-Games, Webseiten, Talkshows oder Nachrichtensendungen als Inspirationsquellen und Rohmaterial. Es geht den Verfassern jedoch um die "Brechung des Spektakulären", die ihrer Meinung nach nicht mehr durch eine kritische oder analytische Distanz bewerkstelligt werden könne (S.151). Statt Aussagen blieben in den Aufführungen die Bildlichkeit und die Formen des medialen Informationskrieges übrig. Es geht den Theatermachern aber auch um eine Kritik an der Massenwirksamkeit von Bildern. Sanna Albjørks Außenperspektive auf zwei Produktionen der Big Art Group hilft, deren Arbeitsweise besser zu verstehen. Charakteristisch ist laut der Autorin "[d]ie Gleichzeitigkeit der Betrachtung spektakulärer Bilder […] und die Ausstellung ihrer Produktion". Es gehe nicht um den 'Inhalt' der Bilder, sondern um deren "Manipulierbarkeit" (S.153). Interessant ist vor allem die Frage, die sich Albjørk selbst stellt: Wird wirklich eine Brechung des Spektakulären bewerkstelligt, oder wird der/die Zuschauer_in durch das "Bombardement von Bildern und Sounds" (S.154) mit dieser Überforderung allein gelassen? Krystian Lada untersucht anhand von drei Beispielen "den kreativen Prozess des Herstellens von Bildern auf der Bühne" (S.155). Wie bei Eiermann kommt dem Publikum eine wichtige Rolle zu. Erst in der Vorstellung der Zuschauer_innen entstehen die 'fertigen' Bilder, die durch die Bühnenvorgänge angeregt werden. Der Prozess der Imagination kann z.B. nur durch Sprache und die Körper der Performer_innen initiiert werden. Unter dem Titel Ein anderes Subjekt des Politischen wurden Beiträge versammelt, die sich mit der Subjekt-Werdung und deren politischen Implikationen auseinandersetzen. Einerseits wird der cartesianische Subjekt-Begriff philosophisch befragt, andererseits geht es um die Subjekt-Konstitution in/durch Performances und Theateraufführungen. In seinem Beitrag "Theaterkörper" denkt Jean-Luc Nancy Martin Heideggers Da-Seins-Begriff radikal weiter, indem er das Subjekt als Körper versteht, der nicht gedacht werden kann, sondern sich zeigt. Da dieses Körper-Subjekt nicht mehr im Rahmen der Philosophie gedacht werden kann, dehnt Nancy seine Überlegungen auf das Theater aus, das derjenige Ort sei, wo Präsenz erfahren werden könne. Nancy denkt Existenz als gleich-ursprüngliche Mitzugehörigkeit (coappartenance) (vgl. S.158), als Nebeneinander von Körpern in einer zeitlich-räumlichen Konfiguration, die über Relationalitäten miteinander in Beziehung treten. Dieser Gedanke ist immens politisch, da er den Menschen nicht als vereinzeltes Individuum begreift, sondern als Teil einer Gemeinschaft von Körpern, die immer schon aufeinander bezogen sind. Maria Tataris Kommentar zu Nancys Text trägt viel zu dessen Verständlichkeit bei und ergänzt diesen um wertvolle Informationen. Das "als Solche" der Präsenz denkt Nancy als Äußerlichkeit, was dem philosophischen Denken, das immer am Immateriellen festhält, widerspricht. Folgendes Zitat fasst Nancys Text auf wunderbare Weise zusammen: "Heideggers ontologische Differenz, die die Entfaltung des Seins nicht als Bestandheit der Präsenz, sondern als Emergenz der Zeit denkt, von Nancy als Körper radikalisiert, als Errichtung von bezügezeitigenden und raumgreifenden Intensitäten im Außen, endet im Theater" (S. 175). Mayte Zimmermann wendet in ihrem Beitrag Nancys Konzept eines Körper-Subjekts auf deufert&plischkes Arbeit Anarchiv#2: second hand an. In dieser Arbeit wird das Subjekt herausgefordert, weil es keine fixe Position mehr einnimmt, von der aus es sich seiner Machtposition versichern und die Performer_innen zu angeblickten Objekten machen kann. Die Verhandlung der Frage des Gemeinschaftlichen im Theater ist für die Autorin eine politische Frage. Das Politische kann für sie jedoch nur als "quasi gespenstische Repräsentation" gedacht werden (S.176). Die Konfrontation mit dem Anderen generiert die Subjekt-Werdung: Die Körper im Raum setzten sich zueinander in Relation; sie prallen aufeinander, stoßen einander ab oder ziehen einander an. Aber sie verhalten sich immer zu-einander, sie sind immer schon mit-einander. Laut Zimmermann geht es in Anarchiv#2 auch darum, dass der Abgrund bzw. der "Zwischen-Raum" und die "Zwischen-Zeit" zwischen uns und dem Anderen geöffnet werden sollen, auf eine Weise, dass das "gespenstische Eigenleben" des Anderen erhalten bleiben kann (vgl. S. 184f.). Nikolaus Müller-Schöll untersucht in seinem Beitrag den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Figur des Chores und der des Harlekins in der europäischen Theatergeschichte sowie deren Renaissance im Theater der Gegenwart. Der Harlekin bricht, wie der Chor, mit der Illusion der Bühnenhandlung, weil wir ihn immer als Harlekin/Chor erkennen und wissen, dass er "nur spielt". Beide sind nicht Teil der Handlung des Dramas, sondern ihnen kommt die "Funktion eines Trägers, Begleiters, Zeugen und Richters der Handlung zu, letztlich also eine Art von Neutrum und insofern die eines bloßen Spielers" (S.193). Müller-Schöll nennt u. a. die Performance-Gruppe Forced Entertainment als herausragendes Beispiel für die Wiederkehr des Harlekins im Gegenwartstheater. Die Geschichten, die sie erzählen, scheitern, denn es gibt keine Wahrheit mehr, die im dramatischen Dialog zutage kommen könnte (vgl. S.197ff.). Sowohl der Harlekin als auch der Chor stellen traditionelle Möglichkeiten dar, innerhalb der Theatertradition auf die Unsicherheit von Identität hinzuweisen. Für Müller-Schöll geht es um die "abgründige Erfahrung" der Existenz, um das Bewusstsein, dass wir immer schon in einem Medium sind, das "das Ende jeder geschlossenen Repräsentation und die Eröffnung unabsehbarer Möglichkeiten" bedeutet (S.200). Jurga Imbrasaite geht in ihrem Beitrag ebenfalls auf die Frage des Subjektes und dessen politische Bedeutung ein. Am Beispiel von Jérôme Bels Tänzerporträts wird aufgezeigt, wie "das choreographische Subjekt" (vgl. Zimmermann) erzeugt wird, indem es sich der Choreographie unterwirft. Die Machtkonstellation Choreograph – Tänzer wird subvertiert, indem die Stücke die Namen der porträtierten Tänzer tragen. Neben der unorthodoxen Namensgebung stellt die Art und Weise, wie die Tänzer_innen agieren, ebenfalls eine Verschiebung der Normen dar. Das private Selbst und das "choreographisches Selbst" werden einander gegenübergestellt und höhlen sich dadurch gegenseitig aus. Insgesamt gibt der Sammelband Performing Politics einen guten Überblick über aktuelle Debatten im Kontext des Politischen und der darstellenden Künste. Die Beiträge decken ein weites thematisches Spektrum ab; durch die Bündelung unter übergreifende Themen gelingt es jedoch, Querverbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen herzustellen. Viele Autoren_innen arbeiten sich an der Schnittstelle von Theorie und Praxis der Kunst ab, tun dies jedoch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Es finden sich aber auch spannende Beispiele und Berichte aus der Praxis von/über: Nature Theater of Oklahoma, Labofii, Kollektive Aktionen (KA), The Big Art Group, Kollektiv Bauchladen Monopol, deufert&plischke, Jérôme Bel und Forced Entertainment. Theoretisch besonders anregend ist der Abschnitt "Ein anderes Subjekt des Politischen", der Einblick in aktuelle philosophische Debatten (Jean-Luc Nancy) gibt, ohne jedoch den Kunstkontext hinter sich zu lassen. Die Beiträge zu "Politiken des Raumes" geben ungewohnte und spannende Perspektiven in Hinblick auf Raum, Stadt, Kapitalismus und Öffentlichkeit. Der Abschnitt "Interventionen" spiegelt wiederum sehr gut den aktuellen Trend zu aktionistischen und interventionistischen Kunstformen wieder. Andererseits taucht darin die alte Debatte um den "Zweck von Kunst" überhaupt auf, in der die Verfechter des l'art pour l'art jenen gegenüberstehen, die Kunst dem Zweck der Politik (oder anderen Zwecken) unterordnen wollen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich um eine vielseitige und spannende Lektüre für all jene handelt, die einen Überblick über aktuelle Debatten zur Thematik suchen. Es finden sich aber sicher auch Anregungen für auf diesem Gebiet bereits versierte Leser_innen.
BASE
In: Diplomarbeit
Köln, in einer eher bescheidenen Gegend –- ein 6-jähriger Junge– afrikanischer Abstammung –- berichtet mit aufgerissenen Augen: 'Meine Mama ist bei der Polizei, sie hat geklaut…' – eine Mitarbeiterin des Jugendamtes betrachtet den Jungen – leichtes Untergewicht – trockene und schürfende Hautstellen – entzündliche Augenpartie – diese traurigen und angsterfüllten Augen – das Jäckchen, das ihn vor der winterlichen Witterung schützen sollte, ist über ein T-Shirt gesteift – der Schieber des Reisverschlusses fehlt – nackte Füße sind aus den mit Schnürsenkeln fehlenden Schuhen sichtbar – Was passiert nun mit dem Jungen? Welche sozialpädagogische Diagnose wird gefällt? Ist es Kindesvernachlässigung oder liegt gar eine Kindeswohlgefährdung vor? Wie hätte man der Mutter helfen können? Wer war verantwortlich für die Familie und das Kind? Und wer ist es nun? Diese und viele weitere Fragen schwirren in den Köpfen der Mitarbeiter der Offenen Ganztagsschule. Nicht selten begegnen sie Kindern, dessen nicht nur äußeres Erscheinungsbild, sondern auch ihre soziale Umgänglichkeit, höchst bedenklich erscheint, doch ist es ein ausreichender Grund für die Annahme, dass das Kind in seinen Lebensbedürfnissen vernachlässigt wird oder ist es doch eine übliche und allgegenwärtige Folge der sozioökonomischen Gesamtsituation – ärmliche Verhältnisse, alleinerziehende Mutter, fehlende familiäre und soziale Unterstützung? Die Tatsache, dass eine Kindesvernachlässigung nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist – auch noch nicht mal für den professionell Handelnden, stiftet Unsicherheiten im sozialpädagogischen Handeln. Merkmale, die eine Vernachlässigung aufzeigen können, gibt es (noch) nicht in ihrer Deutlichkeit und nicht in empirisch gesicherter Form. Doch aus den Erfahrungen der Praxis gibt es Anhaltspunkte, die vor allem, wenn diese gehäuft auftreten, ernstzunehmende Hinweise auf eine Kindesvernachlässigung geben können. Um einen zielsicheren Blick für Vernachlässigungsfälle zu entwickeln, Anhaltspunke rechtzeitig zu erkennen und richtig deuten zu können, soll diese Arbeit im ersten Schritt das Grundwissen über Kindesvernachlässigung vermitteln. Neben der Begriffbestimmung 'Kindesvernachlässigung' und Erläuterung der einzelnen Kategorien, in der ein Kind unzureichend versorgt werden kann bzw. die Benennung der Lebensbedürfnisse, die erfüllt werden sollen, um eine gesunde Entwicklung der Kindes zu gewährleisten, werden auch die einzelnen Formen von Vernachlässigungen benannt. Die in darauffolgendem Kapitel genannten Risikofaktoren und anschließende Aufarbeitung möglicher Folgen können bei der Urteilsbildung, ob eine Gefährdungslage eines Kindes gegeben ist, eine entscheidende Rolle übernehmen. Denn Erkennungszeichen spiegeln sich nicht nur im unmittelbaren Verhalten (Agieren und Reagieren) der Eltern und des Kindes wieder, sondern auch in der Gegebenheit bestimmter Merkmale von Personen, Situationen oder Beziehungen, die eine Vernachlässigung noch wahrscheinlicher machen. Zu Folgen sollte es im Idealfall nicht kommen, doch deren Eintreten und Erkennbarkeit kann ein letzter Hinweis, ein letztes Signal für physische und/oder psychische Unterversorgung des Kindes sein. Doch auch wenn Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung an Deutlichkeit, familiäre Probleme an mehr Transparenz gewinnen und alles als offensichtlich erscheint, wissen viele Sozialpädagogen und -arbeiter nicht damit fachkompetent umzugehen. Ungeklärte Fragen und Wissenslücken in Bezug auf Handlungsbefugnis, aktueller Gesetzeslage, Präventions- und Interventionsmöglichkeiten und effiziente Umsetzbarkeit verhindern ein offensives Herantreten der Fachkräfte an die Betroffenen. Wo doch gerade nicht nur das Erkennen der Problematik, sondern viel mehr die Beratung bzw. die darauffolgenden adäquaten Hilfen ausschlaggebend für eine gelungene Sozialarbeit sind. Im Anschluss an die Auflistung staatlicher Interventionsmöglichkeiten, die zum einen aus finanziell-materiellen Hilfen und zum anderen aus Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bestehen, folgt eine Zusammenfassung der (vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen) politischen Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene im Bereich des Kinderschutzes. Eine effektive Hilfe setzt jedoch nicht nur gute theoretische Fachkenntnisse über das aktuelle Rechtssystem und Handlungsabläufe bei Kindesvernachlässigungsfällen voraus, auch eine sicher gehandhabte praktische Ausgestaltung ist ein wesentlicher Teil davon. Schwerpunkt dieser Arbeit ist das Handeln in der Sozialen Arbeit, das kleinschrittige Verfahren bei Anhaltspunkten einer Kindesvernachlässigung mit sozialpädagogischen Methoden und Techniken. In diesem Teil der Arbeit, wird jeder notwendige Arbeitsschritt in seinem gesamten Umfang erläutert – mit Hinweisen und Ratschlägen und unter Einbezug hilfreicher Methoden und Instrumente.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Inhaltsverzeichnis2 Abbildungsverzeichnis5 Tabellenverzeichnis5 Abkürzungsverzeichnis6 Einleitung8 1.Begriffsbestimmung10 2.Lebensbedürfnisse eines Kindes12 3.Formen von Vernachlässigung16 3.1Körperliche Vernachlässigung17 3.2Kognitive und erzieherische Vernachlässigung18 3.3Sozial – emotionale Vernachlässigung19 4.Risikofaktoren für eine Gefährdungslage24 4.1Persönliche Faktoren der Erziehungsperson26 4.1.1Eigene negative Kindheitserlebnisse26 4.1.2Persönlichkeitsmerkmale27 4.1.3Chronische Erkrankungen28 4.2Risikofaktoren des Kindes29 4.3Familiärer Risikofaktoren31 4.4Sozioökonomische Situation35 5.Mögliche Folgen von Vernachlässigung39 5.1Körperliche Symptome und Fehlentwicklungen39 5.2Kognitive Fehlentwicklungen41 5.3Psychosoziale Schäden und Fehlentwicklungen41 6.Interventionsmöglichkeiten und ihre rechtlichen Grundlagen44 6.1Finanzielle und materielle Hilfen44 6.2Leistungen und Aufgaben der Jugendhilfe47 6.2.1Hilfeplanung48 6.2.2Ambulante Hilfen48 6.2.3Anrufung des Gerichts50 6.2.4Inobhutnahme und Fremdunterbringung51 7.Gesetznovellierungen und politische Maßnahmen52 7.1Gesetzliche Regelungen und Gesetznovellierungen im Bereich des Kinderschutzes auf Bundesebene52 7.2Landesgesetzliche Regelungen in Bereich des Kinderschutzes und der Gesundheitsvorsorge54 7.2.1Basiselement: kinderärztliche Früherkennungsuntersuchungen55 7.2.2Weitere länderspezifische Maßnahmen zur Qualifizierung des Kinderschutzes60 7.2.3Meldesysteme: Datenweitergabe an die Jugendämter66 8.Handeln in der Sozialen Arbeit– methodische Herangehensweise sozialpädagogischer Fachkräfte68 8.1Umgang mit (Fremd-)Meldung68 8.2Systemische Informationssammlung und Verarbeitung71 8.3Kontaktaufnahme und Datenrekonstruktion75 8.4Einschätzung und Bewertung der Fallsituation81 8.5Fachliche Diagnose und Umsetzung sozialpädagogischer Hilfs- und Interventionsstrategien84 8.6Bewertung der Hilfe- und Veränderungsprozesse88 Ausblick91 Literaturverzeichnis93 Anhang97 Anlage I – Rechtliche Grundlage97 Anlage II – Abbildungen101 Anlage III – Auszug aus ICD-10 Internationale Klassifikation der Krankheiten (WHO-Version 2006)102 Anlage IV – Früherkennungsuntersuchungen für Kinder (U1 – J1)104 Anlage V – Übersicht zu den landesgesetzlichen Regelungen im Bereich Kinderschutz bzw. Gesundheitsvorsorge106 Anlage VI - Genogramme118 Anlage VII – Prüfbögen120 Meldebogen 'Kindeswohlgefährdung'120 Prüfbogen / Einordnungsschema 'Erfüllung kindlicher Bedürfnisse'126 Einschätzung des Misshandlungs- und Vernachlässigungsrisikos127 Einschätzung des Förderungsbedarfs des Kindes131 Einschätzung der Ressourcen des Kindes134 Einschätzung der Veränderungsfähigkeit der Eltern136 Pflege und Versorgung139 Bindung141 Regeln und Werte144 Förderung147 Anlage VIII – Schutzplan148 Anlage IX – Erstellung des Hilfeplans151 Anlage X – Fortschreibung des Hilfeplans156Textprobe:Textprobe: Kapitel 5, Mögliche Folgen von Vernachlässigung: So vielseitig und vielschichtig Vernachlässigungsformen sein können, so mannigfach und komplex können die Folgen davon sein. Im vorherigen Verlauf dieser Arbeit wurde des Öfteren bei der Erläuterung einiger Vernachlässigungsformen auch ihre Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung (Folgen) thematisiert. Hier findet man nun viel mehr eine Ergänzung bzw. eine komplettierte Zusammenfassung. Es ist wichtig in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass es abhängig von der Intensität und/oder Häufigkeit bzw. Dauerhaftigkeit der Vernachlässigung auf allen Entwicklungsebenen des Kindes ist, welche zu erheblichen Defiziten bis hin zu bleibenden Schäden führen kann. Die Folgen sind umso gravierender, je jünger das Kind ist. 5.1, Körperliche Symptome und Fehlentwicklungen: Die körperlichen Anzeichen einer möglichen Vernachlässigung sind auf die Mangel- oder Fehlernährung zurückzuführen. Untergewicht, Übergewicht und Minderwuchs sind deutliche Folgen davon. Aufgrund unzureichender Vitaminenzufuhr kann es z.B. zu schwerster Rachitis (Knochenerweichung aufgrund von Vitamin-D-Mangel), Intelligenzhemmung (durch Eiweiß- und Vitamin-B-Mangel) oder Anämie (Blutarmut durch mangelnde Einsenzufuhr) kommen. Durch das geschwächte Immunsystem besteht eine hohe Infektanfälligkeit, d.h. das Kind leidet häufig an Allergien, Atemwegserkrankungen (insbesondere Bronchitis, Asthma und Pseudokrupp/Krupphusten, Lungenentzündung), Ohrenerkrankungen, Hauterkrankungen etc. Eine falsche oder unzureichende Ernährung kann dazu beitragen, dass das Kind eine gestörte Routine beim Essen, Trinken und Verdauen entwickelt und dies eine konstitutionell-psychische Entwicklungsverzögerung zur Folge hat. So ist das Einnässen (Enuresis) und Einkoten (Enkopresis) auch bei älteren Kindern, obwohl diese aufgrund des Alters/Reife ihre Ausscheidungsorgane steuern könnten, keine Seltenheit. Einige Kinder weisen schwere Ernährungsstörungen auf, in Form von beständiger Angst nicht genügend Essen zu erhalten und verhungern zu müssen. Verhungern kann das Kind im schlimmsten Fall tatsächlich, denn bei ungenügender Kalorienzufuhr ist der Körper gezwungen sich dem Nährstoffmangel anzupassen (Hungeradaptation) und verlangsamt den Stoffwechsel, um 10 – 20 % der ursprünglichen Funktion. Als nächste Maßnahme werden die kurzfristig zur Verfügung stehenden Energiereserven in Anspruch genommen. Nach dem Verbrauch des Glykogens ('Stärke') aus der Leber, Nieren und den Muskeln kommt es zu Eiweißverlust, d.h. u.a. Muskelabbau. Ein länger anhaltender Nahrungsmangel kann zum völligen Kräfteverfall führen (Kachexie). Hält der Zustand der Kachexie längere Zeit an, so kommt es dann – etwa wenn ein Drittel bis die Hälfte des gesamten Körpereiweißes abgebaut ist – zum Tode durch Verhungern. Die Fokussierung körperlicher Symptome einer Vernachlässigung basierend auf Mangel- oder Fehlernährung stützt sich hauptsächlich auf den Inhalt des Buches 'Vernachlässigte Kinder' von K. Gellert (2007). Und auch der nächstfolgende Abschnitt gibt die Hauptinhalte ihres Beitrags wieder. Körperliche Vernachlässigung findet nicht nur in Form von unzureichender oder falscher Ernährung statt, sondern auch in Form von mangelnder Hygiene. Viele Kinder, die an Vernachlässigung leiden, fallen bei zahnärztlichen Untersuchungen durch deutliche Schäden an den Zähnen (erhöhten Kariesbefall) und Zahnfleisch (Zahnfleischentzündungen/Gingivitis) auf. Als Ursachen sehen Fachleute mangelnde Mundhygiene oder eine einseitige und falsche Ernährung (zuckerreiche Nahrung). Erkrankungen im Mundraum können sich zu ernsthaften Infektionen im Körper entwickeln. Doch auch fehlende Hygiene des gesamten Körpers kann zahlreiche Infektionen/Krankheiten durch pathogene Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren, Parasiten) verursachen, wie z.B. Pilzbefall der Haut und Atemwege, Warzen, Herpes, Allergien, sowie Durchfall und Erbrechen. Mangelnde Hygiene bei Säuglingen kann auch bedeuten, dass die Windeln unzureichend gewechselt werden und das Kind einem ständigen Kontakt mit Exkrementen und Feuchtigkeit ausgesetzt ist. Dabei können akute Entzündungen der Haut, wie z.B. Windeldermatitis (Windelpilz) entstehen. Betroffen sind die Hautareale, die von der Windel bedeckt sind, also Gesäß, äußere Geschlechtsorgane, Leistenregion und Oberschenkel. Windeldermatitis kann aber auch die Folge einer Krankheit sein, muss demnach nicht zwingend die Ursächlichkeit einer Vernachlässigung haben. Permanenter Kontakt mit ausgekühlter Feuchtigkeit (nasser Bettbezug, nasse Bekleidung) birgt die Gefahr einer Unterkühlung des Säuglings/Kleinkindes. Im Winter, bei schlechter Witterung, wenn das Kind unangepasst bekleidet oder das Kinderzimmer nicht beheizt wird, kann das Kind nicht nur an Unterkühlung erkranken sonder auch daran sterben. Viele gebrechliche Familien mit erhöhter Vernachlässigungstendenz, gekennzeichnet von Arbeitslosigkeit, Armut und Verwahrlosung, sind meist in renovierungs- und sanierungsbedürftigen (Sozial-)Wohnungen zu finden. Die oft damit verbundenen unhygienischen Wohnverhältnisse (hohe Luftfeuchtigkeit, Schimmelbefall, Ungeziefer) bieten Krankheitserregern bzw. -überträgern (Schaben, Fliegen und Flöhe) einen idealen Lebensraum und erhöhen somit die Gefahr einer ernsthaften Infektion/Erkrankung.
Der Schwerpunkt der Arbeit basiert auf einer retrospektiven Betrachtung des seit Jahrzehnten in Italien etablierten komplexen Beziehungsnetzwerkes zwischen Medien und Politik. Von seinen Anfängen im 19. Jh. bis einschließlich Mitte September 2006 werden die Konsequenzen dieser medienpolitischen Interdependenzen analysiert und kritisch hinterfragt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der seit dem letzten Jahrzehnt virulent geführten Debatte über den Einfluss des italienischen Medienmoguls und Spitzenpolitikers Silvio Berlusconi auf die mediale Politikberichterstattung Italiens. Die vorhandenen Sprachbarrieren machen es allerdings oft nicht leicht, die Komplexität der italienischen Medien- und Politiklandschaft zu verstehen. Bei oberflächlicher Betrachtung kann dies rasch zu Fehleinschätzungen und -interpretationen führen, die in der gegenwärtigen Studie korrigiert werden. Neben einer fundierten Analyse der existierenden Fachliteratur zur Entwicklung der italienischen Massenmedien gründet die Studie auf einer detaillierten Berücksichtigung journalistischer Publikationen unterschiedlicher italienischer Tageszeitungen. Bei diesem literature review werden insgesamt 335 italienischsprachige Quellen berücksichtigt, von denen 128 Fachpublikationen sind. Mehrheitlich handelt es sich um soziologische, politik- und kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen aus den vergangenen 15 Jahren. In Form eines chronologisch-deskriptiven Überblicks wird vor allem die Entwicklung des italienischen Fernsehsektors seit seiner Einführung 1954 bis zur Gegenwart nachgezeichnet. In diesem Kontext wird der Aufstieg Berlusconis zum Medienmogul und zum zweimaligen Ministerpräsidenten Italiens vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund skizziert und mit Interpretationen der italienischen Vergangenheit und Gegenwart abgeglichen. Dies erklärt letztlich auch die Herausbildung des Medienmonopols von Silvio Berlusconi und dessen Instrumentalisierungsversuche der Medien für seine politischen Zwecke. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil beinhaltet eine historisch-deskriptive Darstellung der seit Jahrzehnten bestehenden symbiotischen Verquickung von Medien und Politik in Italien (Kap. 1 bis 7). Hierbei finden politische, ökonomische, soziale und rechtliche Aspekte Berücksichtigung. Zudem stehen die unterschiedlichen Akteure des Mediensektors wie politische Parteien, Politiker, Journalisten, Medienunternehmen, Wähler sowie die katholische Kirche im Zentrum der Arbeit. Zum besseren Verständnis werden sie nicht isoliert, sondern in ihren vielfältigen Wechselwirkungen betrachtet. Da Berlusconi in den vergangenen vier italienischen Parlamentswahlen stets der Anwärter auf das Präsidentschaftsamt des Mitte-Rechts-Lagers war, werden die relevanten medienpolitischen Aspekte aller vier Wahlen zusammengefasst und erstmalig zueinander in Beziehung gesetzt. Im zweiten Teil werden Perspektiven für ein zukünftiges Forschungsvorhaben präsentiert, um die Qualität italienischer Hauptabendnachrichten in Bezug auf ihren tendenziösen Charakter zum Vor- bzw. Nachteil politischer Akteure bestimmen zu können (Kap. 8). Auf Basis des identifizierten Forschungsdefizits italienischer Studien wird ein idealtypisches Analysekonzept für künftige Studien entwickelt, das auf der empirischen Methode der Inhaltsanalyse beruht. Ein exemplarisch vorgestelltes Forschungsdesign soll dazu beitragen, zukünftig Erkenntnisse über die Qualität der politischen Fernsehberichterstattung in Italien gewinnen zu können. Dies erfolgt unter Rückgriff auf die kommunikationswissenschaftlichen Theorien: gatekeeper-, agendasetting-, framing-, bias-Ansatz und instrumentelle Aktualisierung. Das Ziel der Arbeit ist es, das Wechselspiel und die Einflussversuche unterschiedlicher Akteure des italienischen Mediensektors in ihrem historischen Kontext darzustellen. Hierbei interessieren vor allem die zentralen Konfliktfelder und Entwicklungslinien, die im Rahmen der medienpolitischen Verflechtungen Italiens zu konstatieren sind. Mittels eines umfassenden reviews der italienischen Literatur sollen die vorhandenen Sprachbarrieren überwunden und der deutschsprachigen Leserschaft gezielt soziopolitische Zusammenhänge des modernen italienischen Journalismus und seiner historischen Entwicklung zugänglich gemacht werden. Ein weiteres Ziel besteht darin, den Kenntnisstand über italienische Studien zum engen Netzwerk aus Medien und Politik zu erhöhen. Insgesamt wird eine systematische Aufarbeitung der medienpolitischen Charakteristika Italiens sowohl aus inländischer als auch aus ausländischer Sicht geliefert. ; The controversy about the role of the mass media in Italy's political landscape has generated a heated debate among the academia, the media, intellectuals, journalists, politicians, the church, and civil society alike. By the turn of the new millennium, there has been an increasing public concern about who is doing what, when and how regarding the role of the mass media and political entrepreneurs in shaping public opinion about crucial issues that directly affect the life of the citizenry. On both sides of the Atlantic the role of the media has set path breaking and innovative approaches in motion for handling major political events such as elections, assessing the general performance of the ruling party and even acting as watchdogs on the moral character of leaders and party functionaries. Especially in Italy, where media manipulation and spin-doctoring have pervaded the socio-political and economic fabric, news reporting has assumed dimensions that are now being questioned by the wider society. People all around the world have a suspicious view on the potential influence of Silvio Berlusconi- media on Italian politics and at the same time of his politics on the Italian media. This is partly due to the information they are exposed to by the media itself. The news reporting of the international press scene is characterized by a certain kind of "hysteria" concerning the assumed influence on Italian voters by the majority of Italian media being controlled by one person: Silvio Berlusconi. Especially the greed of the yellow press for sensational reporting lets the danger of manipulating political news reporting appear immediate. Most of the time this reporting manner is quite different from the accounts given by the high quality press which normally uses a trenchant, but less emotional and therefore more fact-centred news reporting style. The role of ex-Prime Minister Silvio Berlusconi as a powerful media tycoon and political leader of the Italian right wing offers a concrete case for explaining the main features of the Italian media system. This paper sets forth to investigate the interlocking role between mass media and politics in Italy. The core agenda of the work delineates the historical development of the media sector from its beginning in the early 19th century to the present. Furthermore, some of the key controversies such as views on certain conflict-riddled issues, and the respective positions taken by influential actors, as well as views and opinions held by renowned experts on the field are presented in a systematic way. About 335 Italian publications are thoroughly reviewed to offer access to the German academic community. This review has revealed some deficit as evidenced by relatively low attention paid to qualitative research methods in a field traditionally over flooded with quantitative empirical techniques and approaches. As a result, based on the current standard of knowledge of state-of-the-art there exits a deficit regarding the systematic and scientific investigation of the close confines between mass media and politics in Italy that takes qualitative characteristics into account. Future research agenda should therefore place more emphasis on qualitative factors. Consequently, it has become imperative to level the research terrain with supplementary approaches, so as to ensure some degree of balance and complementarity among existing theories and approaches for analysing the crucial interface between mass media and politics. By applying content analysis as a standard methodology in the social sciences a contribution to the above mentioned research deficit is made by presenting a theoretical concept for a profound future case study on the quality of news reporting on Italian television. The theoretical and methodological proposals put forward in this particular study are meant to stimulate future research. All this calls for a bi-national collaboration between German and Italian mass media communication scientists. The objective is to provide more insight about the need to incorporate extensive comparative analysis in the scientific domains of mass communication and politics.
BASE
In: Territoires, 3
World Affairs Online
In: New Approaches to African History, 10
Colonizing African families . - Confrontation and adaptation . - Domesticity and modernization . - Mothers of nationalism . - The struggle continues . - "Messengers of a new design": marriage, family and sexuality . - Women's rights: the second decolonization? . - Empowerment and inequality in a new global age . - Contradictions and challenges
World Affairs Online
In: Sirius: Zeitschrift für strategische Analysen, Band 2, Heft 1, S. 3-20
ISSN: 2510-263X
World Affairs Online
In: Sicherheit und Frieden: S + F = Security and Peace, Band 34, Heft 1, S. 80-85
ISSN: 0175-274X
World Affairs Online
In: Strategic Assessment, Band 17, Heft 3, S. 7-18
World Affairs Online
Die European Values Study ist ein groß angelegtes, länderübergreifendes und längsschnittliches Umfrage-Forschungsprogramm zu der Frage, wie Europäer über Familie, Arbeit, Religion, Politik und Gesellschaft denken. Die Umfrage wird alle neun Jahre in einer wachsenden Zahl von Ländern wiederholt und bietet Einblicke in die Ideen, Überzeugungen, Präferenzen, Einstellungen, Werte und Meinungen der Bürger in ganz Europa.
Wie die vorhergehenden Erhebungen in den Jahren 1981, 1990, 1999 und 2008 konzentriert sich auch die fünfte EVS-Welle weiterhin auf ein breites Spektrum von Werten. Die Fragen sind zwischen den Wellen und Regionen in hohem Maße vergleichbar, so dass sich der EVS für Forschungsarbeiten zur Untersuchung von Trends im Zeitverlauf eignet.
Mit der neuen Welle wurden die methodischen Standards gestärkt. Das full release des EVS 2017 enthält Daten und Dokumentationen von insgesamt 37 teilnehmenden Ländern. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des EVS.
Moralische, religiöse, gesellschaftliche, politische, berufliche und familiäre Werte der Europäer.
Themen: 1. Wahrnehmungen des Lebens: Bedeutung von Arbeit, Familie, Freunden und Bekannten, Freizeit, Politik und Religion; Glück; Selbsteinschätzung der eigenen Gesundheit; Mitgliedschaften in Freiwilligenorganisationen (religiöse oder kirchliche Organisationen, kulturelle Aktivitäten, Gewerkschaften, politische Parteien oder Gruppen, Umwelt, Ökologie, Tierrechte, Berufsverbände, Sport, Freizeit oder andere Gruppen, keine); aktive oder inaktive Mitgliedschaft in humanitären oder karitativen Organisationen, Verbraucherorganisationen, Selbsthilfegruppen oder gegenseitige Unterstützung; Freiwilligenarbeit in den letzten sechs Monaten; Toleranz gegenüber Minderheiten (Menschen anderer Rassen, starke Trinker, Einwanderer, Ausländer, Drogenabhängige, Homosexuelle, Christen, Muslime, Juden und Zigeuner - soziale Distanz); Vertrauen in Menschen; Einschätzung von fairem und hilfsbereitem Verhalten; interne oder externe Kontrolle; Lebenszufriedenheit; Bedeutung von Bildungszielen: wünschenswerte Eigenschaften von Kindern.
2. Arbeit: Einstellung zur Arbeit (Arbeit wird zur Entwicklung von Talenten benötigt, Geld ohne Arbeit zu erhalten, ist demütigend, Menschen werden faul, wenn sie nicht arbeiten, Arbeit ist eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft, Arbeit steht immer an erster Stelle); Bedeutung ausgewählter Aspekte der beruflichen Arbeit; Vorrang von Einheimischen vor Ausländern sowie Männern vor Frauen im Job.
3. Religion und Moral: Religionsgemeinschaft; aktuelle und ehemalige Religionsgemeinschaft; Kirchgangshäufigkeit derzeit und im Alter von 12 Jahren; Selbsteinschätzung der Religiosität; Glaube an Gott, Leben nach dem Tod, Hölle, Himmel und Wiedergeburt; persönlicher Gott vs. Geist oder Lebenskraft; Bedeutung Gottes im eigenen Leben (10-Punkte-Skala); Häufigkeit von Gebeten; Moralvorstellungen (Skala: Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen ohne Anspruch, Steuerbetrug, Einnahme von weichen Drogen, Annehmen von Bestechungsgeldern, Homosexualität, Abtreibung, Scheidung, Sterbehilfe, Selbstmord, Barzahlung zur Vermeidung von Steuern, Gelegenheitssex, Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr, Prostitution, In-vitro-Fertilisation, politische Gewalt, Todesstrafe).
4. Familie: Vertrauen in die Familie; wichtigste Kriterien für eine erfolgreiche Ehe oder Partnerschaft (Treue, angemessenes Einkommen, gutes Wohnen, Aufteilung der Haushaltsarbeit, Kinder, Zeit für Freunde und persönliche Hobbys); Ehe ist eine veraltete Institution; Einstellung zum traditionellen Verständnis der Rolle von Mann und Frau in Beruf und Familie (Geschlechterrollen); homosexuelle Paare sind ebenso gute Eltern wie andere Paare; Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, Kinder zu bekommen; Verantwortung von erwachsenen Kindern für ihre Eltern, wenn sie langfristig betreut werden müssen; Hauptziel im Leben die eigenen Eltern stolz zu machen.
5. Politik und Gesellschaft: Politikinteresse; politische Partizipation; Präferenz für individuelle Freiheit oder soziale Gleichheit; Selbsteinschätzung auf einem Links-rechts Kontinuum (10-Punkte-Skala); individuelle vs. staatliche Verantwortung für die Bereitstellung; Übernahme jedes Jobs vs. Recht auf Ablehnung eines Jobs durch Arbeitslose; Wettbewerb gut vs. schädlich für Menschen; gleiche Einkommen vs. Anreize für individuelle Anstrengungen; privates vs. Staatseigentum von Wirtschaft und Industrie; Postmaterialismus (Skala); wichtigste Ziele des Landes für die nächsten zehn Jahre; Bereitschaft, für das Land zu kämpfen; Erwartung der zukünftigen Entwicklung (weniger Bedeutung der Arbeit und größere Achtung der Autorität); Institutionenvertrauen; wesentliche Merkmale der Demokratie; Bedeutung der Demokratie für den Befragten; Bewertung der Demokratie im eigenen Land; Zufriedenheit mit dem politischen System im Land; bevorzugte Art des politischen Systems (starker Führer, Expertenentscheidungen, Armee sollte das Land regieren, oder Demokratie); Wahlbeteiligung bei Wahlen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene; politische Partei mit der größten Anziehungskraft; andere politische Partei, die am besten gefällt; Bewertung der Wahlen des Landes (Stimmen werden fair ausgezählt, Oppositionskandidaten werden am Arbeiten gehindert, Fernsehnachrichten begünstigen die Regierungspartei, Wählerbestechung, faire Berichterstattung über Wahlen, faire Wahlbeamte, reiche Menschen kaufen Wahlen, Wähler werden von Gewalt bei den Wahlen bedroht); Meinung zum Recht auf Videoüberwachung in öffentlichen Bereichen, Überwachung aller E-Mails und aller anderen im Internet ausgetauschten Informationen, Sammeln von Informationen über jeden im Land ohne dessen Wissen; Interesse an Politik in den Medien; Besorgnis über die Lebensbedingungen der Menschen in der Nachbarschaft, der Menschen in der Region, der Landsleute, der Europäer, aller Menschen weltweit, älterer Menschen, Arbeitsloser, Einwanderer, kranker und behinderter Menschen; gesellschaftliche Ziele (Beseitigung von Einkommensungleichheiten, Grundsicherung für alle, Anerkennung von Menschen nach Verdiensten, Schutz vor Terrorismus).
6. Nationale Identität: Vertrauen in Menschen aus verschiedenen Gruppen (Nachbarschaft, persönlich bekannte Personen, Menschen, die man zum ersten Mal trifft, Menschen einer anderen Religion und Menschen einer anderen Nationalität); geografische Gruppe, der sich der Befragte zugehörig fühlt (Stadt, Region, Land, Europa, Welt); Staatsbürgerschaft; Nationalstolz; Bewertung des Einflusses von Einwanderern auf die Entwicklung des Landes; Einstellung gegenüber Einwanderern und ihren Bräuchen und Traditionen (Arbeitsplatzabbau, zunehmende Kriminalitätsprobleme, Belastung des Sozialsystems des Landes, ihre unterschiedlichen Bräuche und Traditionen erhalten vs. Bräuche übernehmen); wichtige Aspekte der nationalen Identität (im Land geboren worden zu sein, die politischen Institutionen und Gesetze des Landes zu respektieren, Abstammung des Landes, Landessprache sprechen, nationale Kultur teilen); wichtige Aspekte der europäischen Identität (in Europa geboren worden zu sein, europäische Abstammung, Christ sein, europäische Kultur teilen); Einstellung gegenüber der Erweiterung der Europäischen Union.
7. Umwelt: Einstellung zur Umwelt (Skala: Bereitschaft, einen Teil des eigenen Einkommens für die Umwelt zu geben, zu schwierig, viel für die Umwelt zu tun, wichtigere Dinge im Leben als der Umweltschutz, eigene Aktivitäten sind nutzlos, solange andere nicht das Gleiche für die Umwelt tun, Behauptungen über Umweltgefahren sind übertrieben); Schutz der Umwelt vs. Wirtschaftswachstum.
Demographie: Geschlecht; Alter (Geburtsjahr); im Land des Interviews geboren; Geburtsland; Einwanderungsjahr; aktueller rechtlicher Familienstand; Zusammenleben mit dem Partner vor der Heirat oder vor der Eintragung der Partnerschaft; Zusammenleben mit einem Partner; feste Beziehung; Zusammenleben mit Eltern oder Schwiegereltern; Anzahl der Kinder im Haushalt und außerhalb des Haushalts; Anzahl der Personen im Haushalt (Haushaltsgröße); Alter der jüngsten Person im Haushalt; Alter bei Abschluss der Ausbildung; höchster Bildungsgrad (ISCED 97); Beschäftigungsstatus; Beschäftigung oder Selbständigkeit in der letzten Beschäftigung; derzeitige oder letzte Haupttätigkeit; Beruf (ISCO-08, SIOPS-08, ISEI-08, ESEC-08, EGP-11); Anzahl der Mitarbeiter (Unternehmensgröße); Vorgesetztenfunktion und Anzahl der beaufsichtigten Personen; Berufssektor (Regierung oder öffentliche Einrichtung, Privatwirtschaft oder Industrie oder private gemeinnützige Einrichtung); Arbeitslosigkeit länger als drei Monate; Abhängigkeit von der sozialen Sicherung in den letzten fünf Jahren; Höhe des Haushaltseinkommens (wöchentlich, monatlich, jährlich).
Angaben zum Partner/Ehepartner: im Land des Interviews geboren; Geburtsland; höchster Bildungsstand (ISCED 97); Beschäftigungsstatus; Beschäftigung oder Selbständigkeit in der letzten Stelle; derzeitige oder letzte Haupttätigkeit; Beruf (ISCO-08, SIOPS-08, ISEI-08, ESEC-08, EGP-11); Anzahl der Mitarbeiter (Unternehmensgröße); Vorgesetztenfunktion und Anzahl der beaufsichtigten Personen.
Informationen über die Eltern des Befragten: Vater und Mutter im Land des Interviews geboren; Geburtsland von Vater und Mutter; Höhe des Haushaltseinkommens; höchster Bildungsstand von Vater und Mutter (ISCED 97); Beschäftigungsstatus von Vater und Mutter, als der Befragten 14 Jahre alt war; Berufsgruppe des Hauptverdieners im Alter von 14 Jahren; ; Charakterisierung der Eltern, als der Befragte 14 Jahre alt war (Skala: las gerne Bücher, diskutierte mit seinem Kind zu Hause über Politik, verfolgte gerne die Nachrichten, hatte Probleme, über die Runden zu kommen, hatte Probleme, kaputte Dinge zu ersetzen).
Interviewer-Rating: Interesse des Befragten während des Interviews.
Zusätzlich verkodet wurde: Befragten-ID; Fallnummer-ID; Erhebungsjahr; Beginn und Ende der Feldarbeit (Jahr und Monat); Ländercode (ISO 3166); Länderkürzel (ISO 3166); Land und Jahr der Feldarbeit (ISO 3166); Art der Datenerhebung; Region (NUTS); Ortsgröße (NUTS); Interviewdatum; Uhrzeit des Interviews (Stunde und Minute des Beginns und des Endes); Sprache des Interviews; Interviewer-Nummer; Mixed mode and matrix design Variablen; Duplizierung von Fällen nach Zusammenführung von Haupt- und Add on Datensätzen; Flag-Variable: Inkonsistenzen; Flag-Variable: vollständiger/unvollständiger Fall; monatliches Haushaltsnettoeinkommen (x1000), korrigiert um ppp in Euro; Gewichtungsfaktoren.
In diesem nationalen Datensatz sind weitere länderspezifische Variablen enthalten.
GESIS