Was leistet die empirische Wahlsoziologie?: Eine Bestandsaufnahme
In: Politische Vierteljahresschrift: PVS : German political science quarterly, Band 18, Heft 1/2, S. 145-168
ISSN: 0032-3470
Die empirische Wahlsoziologie darf sich nicht als reine Datenerhebungs- und -analysewissenschaft verstehen, sondern muß, so wird gefordert, auf der Grundlage der Analyse der objektiven ökonomischen Entwicklungen, also unter Einbeziehung des gesellschaftlichen Kontexts, betrieben werden. Wahlen und Wahlverhalten müssen somit als Indikatoren politischer Stabilität bzw. Veränderungsmöglichkeiten des Systems in der BRD gesehen werden. Damit soll der individualistisch orientierten Wahlforschung eine Absage erteilt werden, ohne allerdings den Aspekt subjektiver Verarbeitung gesellschaftlicher Prozesse zu negieren. Bei einer derartigen Vorgehensweise, einerseits Untersuchung des 'subjektiven Faktors' der Wahlentscheidung, andererseits Analyse des ökonomischen und politischen Systems, kann die Wahlsoziologie einen wesentlichen Beitrag zur Bestimmung der aktuellen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse leisten. Die zentralen Topoi der Wahlsoziologie: Wechselwähler, Wahlenthaltung, Frauenwahlverhalten, Jungwähler, konfessionelle Bindung und Issuekompetenz stehen im Mittelpunkt der weiteren Untersuchung. Verschiedene, teils konträre Einschätzungen der erhobenen Daten durch die einzelnen wissenschaftlichen 'Schulen' der Wahlsoziologie führen zu dem Schluß, daß eine gesicherte Erkenntnis in Bezug auf Wahlverhalten kaum vorliegt. Als Perspektive wird eine qualitative Änderung der Methoden sowie der inhaltlichen Analysen gefordert. Erhebungen auf der Basis der Einzelinterviews müssen, wenn Wahlverhalten von Kollektiven definiert wird, ihre soziologische Zentralstellung zu Gunsten einer überschaubaren Gemeindeforschung verlieren. Der enger zu setzende Rahmen eines Kollektivs und dessen ökonomische Entwicklung sollten in Zukunft die Hauptansatzpunkte der Wahlsoziologie bilden. (MM)