Die Einleitung zu dem Band 'Neue Komplexitäten für Kommunikationsforschung und Medienanalyse: Analytische Zugänge und empirische Studien' soll einerseits dazu dienen, aktuelle kommunikationswissenschaftliche Forschung herausfordernde Entwicklungen der Technisierung, Digitalisierung und Datafizierung zu überblicken. Andererseits werden darauf antwortende oder mittelbar verknüpfte Trends in der Methodenentwicklung zusammengefasst. Somit spiegelt die Einleitung die Argumentationsstruktur der im Band versammelten Beiträge wider, die analytisch die Veränderungen in den empirischen Bezugsrahmen und Materialien der Kommunikationswissenschaft aufarbeiten.
Der Beitrag schlägt einen analytischen Rahmen für die Untersuchung der Bedeutung von Medientechnik für Medienkommunikation vor. Dieser nimmt die Genese von Medien als Praxis in den Blick, in der die Komplexität von Kommunikation für die Bearbeitung durch Computer auf berechenbare Variablen reduziert werden muss. Latour nennt diesen Prozess der Herstellung technischer Operationsketten 'Verkomplizierung'. Technik selbst wird durch diese Fixierungen von Wirkungszusammenhängen zu einem Medium der Handlungskoordination, wie das Konzept 'Technisierung' beschreibt. Mit diesen Anleihen aus STS und Techniksoziologie ergibt sich für genuin kommunikations- und medienwissenschaftliche Fragestellungen eine zentrale Analysekategorie: die Selektivität von Medientechnik. Wir diskutieren abschließend methodologische Implikationen, wie diese Kategorie sowohl in der Genese, der Medientechnik selbst als auch in der Nutzung untersucht werden kann.
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 1033-1043
Viele Vorläufer des soziologischen Denkens waren mit der Mathematik und den Naturwissenschaften vertraut. Sie waren für die Klassiker ein Maßstab und ein Modell für die noch junge Soziologie. Der wohl folgenreichste Bezug zur Biologie stellte Niklas Luhmanns Theorie der Selbstreferenz sozialer Systeme dar. Der Beitrag diskutiert die Verbindungen zwischen naturwissenschaftlichem Denken und Gesellschaftstheorie. Dies hat zur Konsequenz, dass abstrakte Kategorien wie "Systeme", "Anpassung", "Zielerreichung" u. ä. ihres sozialen, historischen und politischen Sinns beraubt werden. Die Frage, welche Ziele mit welchen Mitteln anzustreben sind, ist ebenso eine originär politische wie die, an welche Rahmenbedingungen sich ein System anpassen soll. Es ist zugleich erstaunlich, wenn Naturwissenschaftler auf massenmedialer Bühne die Welt erklären. Spätestens hier zeigt sich, dass disziplinäre Selbstbeschränkung angebracht wäre. Solche Erklärungsmuster blenden eine Differenzierung aus, die auch den Naturwissenschaften und ihrer Methodologie innewohnt. Es werden Befunde der Medienforschung vorgestellt, die verdeutlichen, dass Deutungsmuster für Formen der Mediennutzung implizit oft einen naturwissenschaftlichen Kern haben. (ICB2)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 2252-2266
"Während die Wirtschafts-, Sozial- und Infrastrukturen der Niederlausitz im 'Dritten Reich' einem forcierten Modernisierungs- und Transformationsprozess unterworfen waren, wurde das rustikal und natürlich anmutende Kulturerbe der Region dafür genutzt, (Medien-)Bilder vormoderner Lebens- und Arbeitswelten zu inszenieren, die den Vorgaben einer auf 'Blut und Boden' geeichten 'Volkstumspflege' entsprachen. Dass ein Gutteil der bevorzugten Motive auf die Überlieferung der hier heimischen Sorben oder Wenden zurückging, tat dieser Affinität - zunächst - keinen Abbruch. Die ethnische Minderheit, deren intellektuelle Wortführer sich zum Teil ebenfalls auf die Rhetorik bodenständigen Ariertums einließen, schien gleichberechtigt in die 'Volksgemeinschaft aller Deutschen' eingebunden zu sein. Nach der Konsolidierung des Regimes war es mit derartigen Zugeständnissen vorbei. Insbesondere die 'slawische' Grundierung sorbischer Identität widersprach dem 'nordisch-germanisch' orientierten Welt- und Menschenbild des Nationalsozialismus. Zunehmend wurden die Sorben als 'fremdvölkisch' wenn nicht gar als 'fremdrassig' diskreditiert. Dennoch blieb der trügerische Schein des agrarromantischen Wirklichkeitskonstruktes gewahrt. Bis Anfang der 1940er Jahre praktizierte die NS-Propaganda eine Doppelstrategie, die am attraktiven Formenschatz der regionalen Folklore festhielt, gleichzeitig aber dessen sorbisch-wendische Inhalte ausblendete und dem Vergessen anheim stellte. Sorben und Wenden wurden kurzerhand unter dem rassenideologisch unverdächtigen Begriff des 'Spreewaldbauern' subsumiert. Hinter den Kulissen konnte derweilen die realpolitische Verdrängungspraxis umso gründlicher voranschreiten. Gestützt auf historisches Quellenmaterial soll die Ambivalenz des medialen Wendenbildes zwischen Identifikation und Selbstbehauptung einerseits sowie Instrumentalisierung und Unterdrückung andererseits erörtert und zugleich auf die Sorben als einen bislang kaum thematisierten Gegenstand der Ost- und Ostmitteleuropa-Soziologe aufmerksam gemacht werden." (Autorenreferat)
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren das Ausmaß von Inzivilität und argumentativer Qualität in Nutzerkommentaren beeinflussen. Kognitives und affektives Involvement werden als zentrale Triebfedern für das Verfassen von Nutzerkommentaren identifiziert. Wir vermuten, dass realweltliche, medien- und diskussionsimmanenten sowie situative Faktoren das Ausmaß kognitiven sowie affektiven Involvements und darüber vermittelt auch das Kommentierverhalten beeinflussen. In einer Inhaltsanalyse von Nutzerkommentaren unter Onlineartikeln zu Tarifkonflikten auf bild.de und spiegel.de aus dem Jahr 2015 untersuchen wir den relativen Einfluss der verschiedenen Faktoren auf das Ausmaß an Inzivilität und argumentativer Qualität in Onlinediskussionen. Insbesondere die situativen Faktoren entscheiden darüber, inwieweit Nutzende inzivil oder diskursiv kommentiert. Allerdings schließen sich Inzivilität und argumentative Qualität keineswegs aus.
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 1044-1059
"'Who says what to whom, through what channel and with what effect?' - damit wollte Harold Lasswell 1948 das Feld der Kommunikationswissenschaft beschreiben. In die gleiche Richtung weist das mathematische Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver: Sie wird bei ihnen zu einem Konzept der Nachrichtentechniker, die Medien als Kanäle verstehen und über Signalgebungen und technische Informationsbegriffe grübeln. So entsteht ein naturwissenschaftlich inspiriertes Kommunikationsmodell, das in der sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft vorherrschend wird. Es hat auch deswegen soviel Akzeptanz gefunden, weil es für die quantitative Kommunikationsforschung gut verwendbar war. Sozialwissenschaftlich inspirierte Ansätze blieben demgegenüber randständig. - Sie konzipieren Kommunikation als soziales Handeln im Sinne Max Webers oder untersuchen sie wie die Cultural Studies von den jeweiligen Handlungskontexten her, schließen an Meads Vorstellungen von Interaktion als wechselseitige Interpretation von Symbolen oder an die Theorie kommunikativen Handelns von Habermas an. Der Vortrag analysiert Konsequenzen, die sich aus einer derartigen naturwissenschaftlichen Kommunikationsvorstellung ergeben: Sie ist kommunikator- statt rezipientenorientiert, tendiert zu technizistischen, isolierten Konzepten und dazu, die Frage nach dem Warum und Wozu zu übersehen sowie, die sozialen und kulturellen Kontexte mediatisierter Kommunikation einerseits und ihre Bedeutung für die Rekonstruktion der Kontexte andererseits zu ignorieren. Schließlich überbetont sie Inhalte und verdinglicht Kommunikation mit und mittels Medien als etwas eigenständiges, anstatt - gerade heute wichtig - verschiedene Formen von Kommunikation zu analysieren, die wie Fernsehen, Schreiben, Telefonieren oder Computerspielen alle von dem auch von Gesten begleiteten Face-to-face-Gespräch von Menschen miteinander abgeleitet sind. Von daher kann man sagen, dass ein derartiges naturwissenschaftliches Modell für manche Fragestellungen adäquat ist, dass sich aber eine sozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft darauf nicht beschränken darf: das wird angesichts des Wandels der Medien gerade heute immer deutlicher." (Autorenreferat)
Examines the response of the US news media to the perceived results of the 2000 presidential election. A history of reporting election outcomes & acceleration of broadcasting results is described with attention to the impact of technological advances. The formations of the News Election Service & Voter Research and Surveys & their merger into a single election day newsgathering organization, the Voter News Service (VNS), are summarized. The 2000 election mistakes by the VNS, the media networks, & the electoral system itself are identified with commentary on post-election analysis & reforms. The network recommendations are detailed -- gather more & better data, revise rules for calling election results, clarify reporting results, & improve management of VNS. The prospects for improved news media coverage of elections & calling of electoral results are surmised. 3 Tables, 3 Figures. L. Collins Leigh
Gabriele Balbi und Paolo Magaudda haben mit dem Band A History of Digital Media - An Intermedia and Global Perspective (2018) erstmals einen übergreifenden Überblick zur Geschichte digitaler Medien und digitaler Medienkommunikation vorgelegt. Sie entwerfen dabei eine historische Perspektive, die einerseits die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen alten und neuen Medien - analog und digital - berücksichtigt und andererseits die gesellschaftlichen (ökonomischen, politischen, soziokulturellen) und globalen Entwicklungskontexte digitaler Medien einbezieht. Der vorliegende Beitrag präsentiert die deutsche Übersetzung der konzeptionellen Einleitung zu diesem Buch. Darin begründen Balbi und Magaudda einen innovativen interdisziplinären theoretischen Zugang zur Geschichte digitaler Medien - bestehend aus Kommunikations- und Mediengeschichte, Cultural Studies, Science and Technology Studies und Politischer Ökonomie. Und sie zeigen, dass nur ein kritischer Blick, der gesellschaftlich und wissenschaftlich verbreitete Mythen und Vorstellungen hinterfragt und sich nicht nur auf die gerade aktuellen und erfolgreichen digitalen Medien fokussiert, der gesamten Komplexität der Geschichte digitaler Medien und digitaler Medienkommunikation gerecht wird.
The history, conception, & uses of the term public sphere are explored. A recounting of initial & subsequent political usage draws on statements by Kane, Tonnies, Habermas, Garnham, & Arendt. There is consideration of conflicts between populist & market-driven motivations for control of public information. A survey of the early 20th-century rise of public service broadcasting is followed by details of its weakening. Investigation of causes for the ongoing crisis in public service media links public sphere theory with major factors, including financial instability, questions of legitimacy, & technological evolution. A tracing of changes in the nature of populist space & discourse includes examination of micro-, meso-, & macropublic spheres. Acceptance of the complexities attending public spheres discussion calls for ongoing assessment of volatile issues including pluralism, political geography, distinctions between public & private zones, transience, & the need for a shift in definitions to include cultural phenomena such as talk shows & video games. 34 References. M. C. Leary
Der Beitrag befasst sich mit dem Verhältnis von Geschichte und digitalen Spielen. Es wird unterschieden zwischen einer Geschichte der digitalen Spiele (und den Problemfeldern einer konzisen und umfassenden Betrachtung der Geschichte des digitalen Spiels) und Repräsentationsformen von Geschichte im Digitalen Spiel. Diese wird aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet: erstens in Form einer Darstellung von Erwartungen historischer Authentizität und Akuratesse an digitale Spiele; zweitens in Form einer von Daniel Giere entwickelten Typologie historischer Repräsentation im Spiel; drittens einer Ergänzung dieser Typologie durch den Aspekt der Vergangenheitsatmosphären; und viertens einer Betrachtung des digitalen Spiels als eines interaktiven Simulationsortes historischer Kontingenzerfahrungen. Mittels dieser Aufteilung wird das digitale Spiel als Quelle sowohl ihrer eigenen Geschichtsschreibung wie auch einer umfassenden Geschichtskultur und somit als Kulturtechnik anerkannt.
In order to filter women's use & role in the Yugoslav war through an "action-response complex" model, Slapsak considers the anthropological & cultural traditions of the Balkans. Illustrations of seminal Serbian poetry, philosophy, & mythology are given. The activities & history of death cults are examined. Female striving for independence is related from the French Revolution. Changes in Yugoslav women's roles after WWII & in relation to communism are delineated. Also considered are the impacts of Tito's death, widespread rape in Bosnia, conflicts between feminism & Croatian nationalism, Serbian women's war opposition, & activities such as "Women in Black." Consideration of women's potential considers populist reactions to the war's purported causes, the role of international media attention, & transmutation by women of tradition & ritual to address wounds & issues. M. C. Leary
Der in diesem Beitrag von den Herausgebern vorgestellte Band Digitale Kommunikation und Kommunikationsgeschichte. Perspektiven, Potentiale, Problemfelder hat das Ziel, digitale Kommunikation in Bezug zu ihrer eigenen Geschichte und der Kommunikationsgeschichte zu setzen, und interessiert sich in diesem Sinne für die historische Einordnung und Perspektivierung sehr gegenwärtiger Phänomene. Digitale Kommunikation hat Gesellschaften und Formen sozialen Lebens fundamental verändert, der Verlauf dieses immer noch unabgeschlossenen Wandels ist jedoch kaum erforscht. Vor diesem Hintergrund ist es Zeit, die historischen Entwicklungen, die Herausbildung und Durchsetzung von Digitalisierung und Vernetzung, des Internets und der digitalen Kommunikation eingehender zu untersuchen. Digitale Kommunikation ist nicht einfach aus dem Nichts entstanden, sondern innerhalb von Gesellschaften und bestehenden Medienumgebungen gewachsen und geformt worden. In diesen Kontexten werden Kommunikation und Medienrepertoires verändert, neue Formen hervorgebracht bzw. bestehende Formen der Kommunikation transformiert und das Verhältnis von Medien und Kommunikationsmitteln zueinander verändert. In diesem Sinne zeigen die einzelnen Beiträge des Buchs auf, welche Fragen und Perspektiven möglich werden, welche Kontexte und Hintergründe mitzudenken sind, wenn in längerfristigen Perspektiven über digitale Kommunikation jenseits des aktuellen Jetzt nachgedacht wird.
After documenting how the mass media manipulates images of the Palestinian-Israeli conflict, the realities of this conflict "on the ground" & reasons for its continuity are examined. Focus is on how the embryonic Palestinian state is represented as "failing" at policing tasks that are more appropriately the duty of a sovereign state; political-geographic constraints on state authority are also identified. The history of the Oslo Agreements is traced & it is shown how the creation of a Palestinian National Authority has caused the state to be labeled "rogue" & incapable of preventing terrorism. A Gramscian perspective illuminates the function of intrastate geopolitics & the critical role of a territory over which two parties desire exclusive control in shaping the power dynamics & continuing conflict in the region between Israel & the Palestine Liberation Organization (PLO). Figures, References. K. Hyatt Stewart
Mit digitalisierten Zeitungen und digitalen Zeitungsportalen hat sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte für die historische Presseforschung eine grundlegend neue Forschungs- und Quellensituation herausgebildet. Trotzdem fallen digitale Methoden und Werkzeuge in der pressehistorischen Methodenpraxis bislang kaum ins Gewicht und ebenso wird die Quellenpraxis mit digitalisierten Zeitungen selten thematisiert. In diesem Sinne stellt der Beitrag die Fragen, welche spezifischen epistemischen und quellenkritischen Praktiken für den Umgang mit Zeitungen vonnöten sind, wenn sie als digitale Objekte bzw. Ressourcen vorliegen, und wie pressehistorische Forschungsprozesse in digitalen Kontexten modelliert und operationalisiert werden können. Als Beispiel dient hierfür die digitalisierte Ausgabe der Berliner Volkszeitung (1890-1930), die das Zeitungsinformationssystem ZEFYS der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz zum europäischen Zeitungsportal Europeana Newspapers metadaten- und volltexterschlossen beigesteuert hat. Neben einer medien- und zeithistorischen Einordnung werden entlang der praktischen digitalen Forschung mit dem Zeitungskorpus drei Forschungsdimensionen systematisch diskutiert und mit Beispielen illustriert: (1.) Digitales Kuratieren, (2.) Metadaten und (3.) Text Mining.
"Kommunikationsgeschichte Digitalisieren" ist eine 2017 gegründete Initiative, die im Feld der deutschsprachigen kommunikations- und medienhistorischen Forschung aktiv ist. Neben der fachpolitischen Bewusstseinsbildung und Selbstreflexion innerhalb des kommunikations- und medienhistorischen Gebiets sowie der praktischen Kompetenzvermittlung von Digital Literacy für Kommunikations- und Medienhistoriker*innen ist die Vermittlung von Historical Literacy für die Kommunikationswissenschaft ein wesentliches programmatisches Anliegen der Initiative. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Initiative als ein interventionistisches und kritisches Projekt, dessen Kritikverständnis und kritisches Potential im Beitrag vorgestellt werden.