Die nationalsozialistische Gesellschaft war geprägt von vielgestaltigen kommunikativen Praktiken des sozialen und auch gewaltvollen Ein- und Ausschlusses. Gleichzeitig bildeten sich durch Widerstandshandlungen vielfältige Gegendiskurse heraus. Der Sammelband nimmt konkrete Beispiele kommunikativer Praktiken während des Nationalsozialismus in den Blick und fragt speziell danach, inwiefern diese themen-, textsorten- und akteursspezifisch gebunden waren.
Der Autor macht deutlich, daß auch die Behandlung eines Phänomens wie des Nationalsozialismus "so etwas wie eine moralische Halbwertszeit" hat. Dafür sind weder die kurzen politischen noch die längeren ökonomischen Wellen verantwortlich, sondern die Abfolge der Generationen. Innerhalb der Diskussion um den Nationalsozialismus rücken deshalb zunehmend Fragen nach seiner historischen Einordnung in den umfassenden Prozeß der Moderne in den Vordergrund. Dabei können zwei Gedankenfiguren identifiziert werden, denen es weiterhin auf eine Gegenwartsbedeutung des Nationalsozialismus ankommt. "Gemeinsam ist diesem Engagement zunächst ein negatives Ziel, nämlich zu verhindern, daß 'Auschwitz' zur vollendeten Vergangenheit wird." Bei diesen Gedankenfiguren handelt es sich zum einen um eine Neubelebung der "Dialektik der Aufklärung", in deren Kontext Auschwitz nicht als Antithese der Moderne, sondern als deren "ultimativer Konsequenz" verstanden wird; die zweite Gedankenfigur geht davon aus, daß man aus der Entwicklung der Moderne etwas über den Nationalsozialismus und das Zustandekommen seiner Verbrechen erfahren kann. Im Unterschied zur "Dialektik der Aufklärung" sind hier spezifische Merkmale der modernen Gesellschaft eine Quelle, nicht jedoch der Ursprung für Großverbrechen. (ICD)
"Die Erklärung des deutschen Faschismus als eine Konsequenz der kapitalistischen Krise um 1930 reicht nicht aus. Wichtige Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie und Praxis wären so nicht zu begreifen, und unklar bliebe überdies, warum sich der Faschismus in Deutschland, nicht aber in anderen westlichen Ländern mit fortgeschrittener kapitalistischer Wirtschaftsordnung durchsetzte. Zum einen erklärt sich die besondere deutsche Anfälligkeit für den Faschismus aus Faktoren, die mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg zusammenhingen. Zum anderen: Die Krise des privatwirtschaftlichen Wirtschafts- und bürgerlichen Gesellschaftssystems endete in Deutschland deshalb in der Katastrophe, weil sich aufgrund eines spezifischen Weges der deutschen Modernisierung mehr als in anderen westlichen Ländern vorbürgerliche Reste erhalten hatten. Weil die deutsche Gesellschaft nie wirklich eine bürgerliche gewesen war, schlug deren Krise in den zwanziger Jahren so abrupt in das anti-bürgerliche System des Faschismus um. Dies wird hier vor allem an der Sozial- und Bewußtseinsgeschichte ausgewählter Sozialgruppen, die überproportional in der NS-Bewegung vertreten waren, gezeigt, insbesondere an den Angestellten. Die vorindustriellen Traditionen und Reststrukturen, die den Umschlag der kapitalistisch-bürgerlichen Krise in den Nationalsozialismus ermöglichten, sind durch dessen Sieg, vor allem aber durch den zweiten Weltkrieg wesentlich geschwächt oder ganz beseitigt worden. Dies wird als eine der Bedingungen des Erfolgs des demokratisch-parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik beschrieben. Die Ergebnisse der Analyse werden abschließend in aktuelle Diskussionen eingeordnet. Erstens: Es erscheint als historisch unrichtig, Nationalsozialismus und Sozialismus als nah benachbart oder ähnlich zu sehen. Zweitens: Ohne die Rolle der Person Hitlers zu leugnen, ist es wissenschaftlich interessanter und politisch wichtiger, jene Strukturen und Prozesse aufzuweisen, die Hitlers Erfolge ermöglichten. Drittens: Die Untersuchung bedient sich sowohl des Begriffs 'faschistisch' wie des Begriffs 'totalitär', die oft überscharf gegeneinander ausgespielt worden sind, in Wirklichkeit aber miteinander zur Analyse des Nationalsozialismus verknüpft werden können. Ein sorgsam definierter Faschismusbegriff erweist sich als unverzichtbar für die sozialgeschichtliche Untersuchung des Nationalsozialismus. Er kann die deutschen Besonderheiten auf dem Hintergrund allgemeiner, auch in anderen Ländern auftretender Zusammenhänge in den Blick rücken und ermöglicht den sozialgeschichtlichen Vergleich besser als der Totalitarismusbegriff." (Autorenreferat)
Kühnl erörtert die These, ob der Nationalsozialismus eine singuläre Entscheidung in Deutschland war. Er stellt fest, daß in allen Ländern, in denen der Faschismus an die Macht kam bzw. heute noch an der Macht ist, die Arbeiterbewegung entrechtet wurde und das Großkapital an die Macht gelangte. Außenpolitische Expansion diente durch Schaffung neuer Rohstoffgebiete, Exportmärkte und billiger Arbeitskräfte kapitalistischen Interessen. Beim Fehlen einer Expansion nach Außen tritt eine verstärkte Repression nach Innen auf. Auch in der ideologischen Ausrichtung gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialismus und faschistischen Regimen, sodaß man die deutsche Diktatur nicht als einzigartige Erscheinung betrachten kann, wenngleich es auch Elemente gab (Massenbasis, Terrorsystem, Judenvernichtung), die sich in diesem Ausmaß nur in Deutschland entwickelten. (HOE)
In: Frauenforschung: Informationsdienst d. Forschungsinstituts Frau und Gesellschaft, IFG, Band 1, Heft 2, S. 59-63
ISSN: 0724-3626
Die Verfasserin bespricht Literatur zur Situation der Frauen im Nationalsozialismus unter drei thematischen Aspekten; (1) faschistische Frauen- und Familienideologie, Frauenbild und Widersprüchlichkeit von Frauenerwerbstätigkeit; (2) politischer Widerstand von Frauen unter Einbeziehung der Widerstandsformen im Alltagshandeln; (3) nationalsozialistischer Alltag. Die Besprechung schließt mit B. Brechts "Lied einer deutschen Mutter". Behandelt werden folgende Arbeiten zu (1): Dörte Winkler, Frauenarbeit im "Dritten Reich", Hamburg 1977; Frauengruppe Faschismusforschung, Mutterkreuz und Arbeitsbuch. Zur Geschichte der Frauen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1981; Susanne Dammer/Carola Sachse, Nationalsozialistische Frauenpolitik und weibliche Arbeitskraft, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Bd. 5, München 1981; Anette Kuhn/Valentine Rothe, Frauen im deutschen Faschismus, 2 Bde, Düsseldorf 1982; zu (2): Hanna Elling, Frauen im deutschen Widerstand 1933-45, Frankfurt/M. 1981; Gerda Zorn/Gertrud Meyer, Frauen gegen Hitler, Berichte aus dem Widerstand 1933-1945, Frankfurt/M. 1974; Gerda Szepansky, Frauen leisten Widerstand: 1933-1945, Frankfurt/M. 1983; Charles Schüddekopf (Hg.), Der alltägliche Faschismus - Frauen im Dritten Reich, Bonn 1982; zu (3): Maruta Schmidt/Gabi Dietz, Frauen unterm Hakenkreuz, Berlin 1983. (IB)
Bezüglich des Zweiten Weltkrieges ist mit wachsender Distanz eine "nachträgliche Normalisierung" feststellbar. Davon betroffen ist besonders die Traditionsfindung der Bundeswehr; denn Nationalsozialismus und Krieg waren und sind identisch. Die relative Geschlossenheit der Wehrmacht darf nicht zu einer Fehleinschätzung der Besonderheit führen, denn sie war unmittelbar dem Gesamtwillen Hitlers dienstbar. Die Identität von Nationalsozialismus und Krieg wird durch zwei Grundbestimmungen erkennbar: Lüge und Gewalt. Sie sind auch die Urformen des Bösen. Der Ursprung dieser Identität liegt in der Schuldfrage des Ersten Weltkrieges. Die Ablehnung jeder Kriegsschuld überhöht die Demütigung zur Schande, hinzu kommt die Dolchstoßlegende als Element der Mischung, aus der schon die ursprüngliche Identität von Nationalsozialismus und Weltkrieg geboren wurde. Beide Stränge, Nazis wie militärische Traditionalisten und Reichswehr, verbündeten sich zwischen 1930 und 1934. Die Identität wurde mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verwirklicht. Die Militärs fanden im Krieg eine Möglichkeit, sich aus dem Bann der Parteimacht zu entfernen. Als isolierter Teil konnten sie eine Gegenwelt zum Nazismus und damit ein Alibi konstruieren, den Krieg zu adeln. Vor Hitler konnte man noch eine absehbare Überwindung der Kriege annehmen, seitdem haben wir uns an die Kriege gewöhnt. Der Nationalsozialismus hat so auch an heutigem Elend Anteil. (BG)