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In diesem Beitrag stellt Yutian Leiyang folgenden Aufsatz vor:Fischer, Thorben (2017): Die Demokratiedefizite des Krisenmanagements in der europäischen Finanz- und Schuldenkrise; in: Zeitschrift für Politik 64, 4/2017, S. 411-436, online unter: https://www.jstor.org/stable/26429621.Die europäische Finanz- und Schuldenkrise verursachte ein schweres Legitimität- und Demokratiedefizit. Kritisiert wird das europäische Krisenmanagement, welches sich um die Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) kümmert. Die Gründe, welche das Legitimität- und Demokratiedefizit der EU verstärken, sind vielfältig.Manche beschuldigen den "Neuen Intergouvernementalismus" mit dem Europäischen Rat als zentralem Akteur, andere den "Neuen Supranationalismus" mit den supranationalen europäischen Organen wie der Europäischen Zentralbank (EZB). Ebenso werden ein "verschärfte[r] Exekutivföderalismus oder eine zu starke(…) Dominanz von technokratischen Akteure[n] (EZB, Europäische Kommission)" in Erwägung gezogen (S. 411).Auf europäischer Ebene kann eine demokratische, legitime Politik nur bestehen, wenn diese mit ausreichenden Beteiligungs- und Kontrollmechanismen seitens der Bevölkerung versehen wird. Ebenso sollten die Wähler*innen repräsentiert werden.Im ersten Abschnitt beleuchtet Fischer die Struktur und Maßnahmen des europäischen Finanz- und Krisenmanagements zwischen aktiv und inaktiv sowie die Regierungsdimensionen Intergouvernementalismus und Supranationalismus. Des Weiteren werden die Machtbefugnisse der Institutionen hinsichtlich der Finanz- und Schuldenkrise analysiert. Im letzten Abschnitt werden Vorschläge diskutiert, welche die demokratische Legitimität bezüglich der WWU verbessern können.Systematisierung des Krisenmanagements in der europäischen Finanz- und SchuldenkriseUm den Supergau zu verhindern und die WWU zu schützen, wurden eine Vielzahl an Maßnahmen auf europäischer Ebene beschlossen und umgesetzt (S. 413ff):Das Rechtspaket Sixpack beinhaltet eine Neuausrichtung der Zielwerte bzgl. der Schuldenrückführung. Der Zielwert richtet sich nach der Schuldenbegrenzung von 60% des BIP eines EU-Mitgliedslandes. Ein weiteres Ziel ist die Herstellung eines ausgeglichenen Haushaltes innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens und schließlich wurde auch ein Sanktionsverfahren eingeführt, sollten diese gesetzten Ziele nicht eingehalten werden. Ebenso wurde eine Instanz auf europäischer Ebene eingesetzt, welche zur Überwachung und Kontrolle dient.Der Fiskalvertrag verpflichtet die teilnehmenden Mitgliedsstaaten, die oben genannten Regeln in nationales Recht umzusetzen.Der Twopack knüpft am Sixpack an und beinhaltet die Haushaltsüberwachung und die wirtschaftliche Steuerung.Das Europäische Semester ist ein sechsmonatiger Prozess, welcher die Wirtschafts- und Haushaltspolitik überwacht. Das Verfahren des Europäischen Semesters erlaubt ein frühzeitiges und präventives Eingreifen, sollten Unstimmigkeiten in nationalen Haushaltsplänen entstehen, bevor sie vom nationalen Parlament der EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet werden.Der Euro-Plus-Pakt ist eine freiwillige Vereinbarung zur wirtschaftlichen Koordinierung zwischen den Staaten der Eurozone und anderen EU-Mitgliedsstaaten. Sie hat das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit sowie eine langfristige Beständigkeit der öffentlichen Finanzen aufrechtzuerhalten.Die Europäische Bankenunion ist eine europäische überstaatliche, zentrale Bankenaufsicht. Sie beruht auf drei Säulen. Die erste Säule entspricht einer gemeinsamen Bankenaufsicht in der Eurozone, die zur Stabilität des Finanzsystems in der Union sorgen soll. Die zweite Säule verhindert, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler für den Schaden der Banken aufkommen soll, wenn diese bankrott geht.Geldpolitische Maßnahmen sollen den reibungslosen Ablauf der Ankaufprogramme von Staatsanleihen im Euroraum sicherstellen und die Funktionsfähigkeit des Europäischen Finanzsystems gewährleisten.Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) soll für finanzielle Stabilität in der gesamten Euro-Währungsunion sorgen und ist ein Teil des Euro-Rettungsschirms. Sie wurde durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ersetzt und kümmert sich um überschuldete Mitgliedsstaaten der Eurozone mittels Kredite und Bürgschaften.Diese Maßnahmen können nach drei Kriterien gegliedert werden, welche zur Analyse der demokratischen Legitimitätsdefizite genutzt werden. Das erste Kriterium befasst sich mit der Zuordnung dieser Maßnahme zu bestimmten Politikbereichen. Sixpack, Twopack und Fiskalvertrag dienen der Überwachung der nationalstaatlichen Finanz- und Haushaltspolitik. Das Europäisches Semester und der Euro-Plus-Pakt stärkt die wirtschaftspolitische Steuerung auf europäischer Ebene. Die Europäische Bankenunion ist Teil des neuen Banken- und Finanzmarktregulierungssystems. Das ESM dient der Vergabe von Finanzhilfen.Das zweite Kriterium kategorisiert "[…] die Maßnahmen nach ihrer Funktion bei der Krisenbewältigung" (S. 415) und differenziert zwischen aktivem und reaktivem Krisenmanagement. Aktives Krisenmanagement bedeutet die präventive Arbeit und reaktives die Bearbeitung und Lösung von aktuellen Krisen.Das dritte Kriterium beschäftigt sich mit den "Governance-Dimension[en] der Maßnahmen" (S. 416), d.h. ob eine Maßnahme intergouvernemental oder supranational ist. Des Weiteren wird zwischen Politikformulierung und Politikumsetzung unterschieden. Bei ersterem gilt die Möglichkeit, das Europäische Parlament in die Gesetzgebung mit einzubeziehen. Letzteres bezieht sich auf die Steuerungs- und Entscheidungskompetenzen.Hierbei kann unterschieden werden, ob die Umsetzung von Maßnahmen auf zwischenstaatliche Kooperationen (bspw. Europäischer Rat) basiert, ein supranationales Organ dafür zuständig ist ,wie die EZB, oder die Umsetzung durch eine Kombination von intergouvernementaler und supranationaler Governance erfolgt.Legitimitätsdefitizie des europäischen KrisenmanagementsHierbei wird unterschieden zwischen zwei Positionen. Bei der ersten Position legitimiert sich die EU als zwischenstaatliches Regulierungsregime durch die vielen "checks and balances" im Entscheidungsprozess. Bei der zweiten Position wird die EU als Mehrebenensystem gesehen, sie verfügt jedoch über keine legitime Herrschaftsausübung mittels gesellschaftlicher (bspw. europäischer demos, europaweite politische Debatten) oder institutioneller Voraussetzungen wie europäischer Parteien. Fischer nennt drei demokratische Legitimitätsdefizite, welche seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise diskutiert wurden. Diese sind:"Exekutivdominanz bei der Formulierung und der Aufbau intergouvernementaler Parallelstrukturen"(S. 422). Die Gesetzgebung der EU setzt sich aus einer mittelbaren (Rat) und einer unmittelbaren Institution (bspw. Europäisches Parlament) als Legitimationsquelle zusammen. Ebenso besitzt die EU-Kommission das Initiativrecht. Eine immer größer werdende Exekutivdominanz schmälert eine gemeinschaftliche Beschlussfassung. So werden die politischen Entscheidungen immer mehr in "geheimen Sitzungen und Verhandlungen der Regierungen" (S. 422) getroffen."Schwächung der parlamentarischen Entscheidung und Kontrollrechte bei der Politikumsetzung" (S. 422). Die WWU beruht auf zwei Säulen. Zum einen die supranationale währungspolitische Säule. Um die Wirksamkeit dieser "[...] neuen Economic Governance zu erhöhen, wurden auf Kosten der parlamentarischen Entscheidungs- und Kontrollrechte exekutive und technokratische Politikmuster gestärkt" (S. 423). Somit kann die EU-Kommission im Rahmen der haushalts- und wirtschaftspolitischen Überwachungs- und Regelungsverfahren der nationalen Haushaltsplanung über die Schulter schauen. Werden Unstimmigkeiten sichtbar, so kann die EU-Kommission den jeweiligen Staat auffordern, einen überarbeiteten Haushaltsentwurf vorlegen. Desweitern senkt der Fiskalvertrag die Hürden für Sanktionen, sollten Haushaltspläne nicht eingehalten werden und beschneidet letztlich den Handlungsspielraum der nationalen Parlamente."Überdehnung der primärrechtlichen Kompetenzen und Delegation politischer Aufgaben an nichtmehrheitsgebundene Akteure" (S. 425). Jede Kompetenzerweiterung der EU braucht eine primärrechtliche Grundlage. Jedoch besitzen die europäischen Organe "keine Kompetenz-Kompetenzen". Somit können sie ihren Handlungsbereich nicht beliebig erweitern. Dies gilt ebenso für die Troika. Sie ist eine Zusammensetzung aus der EU-Kommission, IWF und EZB und besitzt keine demokratische Legitimation (vgl. S. 425). Ihre Aufgabe besteht darin, mit den Mitgliedsländern der Eurozone über Kreditprogramme zu verhandeln und dient als Überwachungsinstanz des ESM. Darüber hinaus üben sie auch Einfluss auf die nationalen Finanzinstrumente wie Lohn-, Tarif- und Rentenpolitik aus.Lösungsvorschläge zur Steigerung der demokratischen Legitimität europäischer GovernanceEs gilt nicht nur das Krisenmanagement zu verbessern, sondern auch dessen demokratische Legitimität sicherzustellen. Damit sollte auch das Vertrauen der europäischen Bürger*innen zurückgewonnen werden (vgl. S. 429). Hierzu schlägt Fischer vor: Erstens soll das Europäische Parlament in Form von Beteiligungs- und Entscheidungskompetenzen gestärkt werden. Dies allein reicht nicht aus, sondern die zwischenstaatlichen Verträge, wie der Fiskalvertrag oder ESM, sollen nicht nationale Gesetze und europäische Institutionen umgehen (vgl. S. 431).Der zweite Punkt nach Fischer ist das stärkere Einbeziehen nationaler Parlamente in die europäischen Entscheidungen. Letztlich die Schaffung einer "echten" Wirtschaftsregierung für die Eurozone mit einem eigenständigen "Eurozonenparlament", einem EU-Finanzminister und eine "[...] stärkere Ausdifferenzierung der EU" würde die WWU demokratisieren (S. 434).
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Nach einer externen Evaluation mit erschreckendem Ergebnis beschließen die Kultusministerinnen und -minister der 16 Länder Eckpunkte für eine Reform der Kultusministerkonferenz. Hat der Beschluss das Zeug, aus der KMK eine agile Organisation zu machen, die in der Lage ist, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren?
Bild: Gerd Altmann / Pixabay.
ALS DIE KULTUSMINISTERKONFERENZ (KMK) im Herbst 2022 beschloss, sich selbst von einer Unternehmensberatung durchleuchten zu lassen, war die Skepsis groß. "Es gibt genügend Expertise, die seit Jahrzehnten Lösungen vorschlägt", die aber "überhört, ignoriert wird", meinte etwa der bekannte Rostocker Schulpädagogik-Professor Falk Radisch. "Nun ja, dann jetzt also neoliberale Ökonomisierung des Bildungssektors auf dieser Ebene. Traurig."
Als ein Jahr später die Evaluationsergebnisse an die Öffentlichkeit durchsickerten, redete freilich kaum noch einer davon, dass sie von einem Schweizer Wirtschaftsforschungsunternehmen stammten. Zu atemberaubend las sich, was "Prognos" da in seiner schonungslosen Analyse präsentierte: 177 Gremien unter dem Dach der KMK, die 2022 insgesamt fast 600 Mal im Jahr konferierten unter Beteiligung von 1.300 Einzelpersonen.
Doch führte diese Vielzahl kaum zu Synergieeffekten, denn die allermeisten saßen jeweils in nur einem einzigen Gremium, wie "Prognos" außerdem feststellte. Man tagte also nebeneinander her, noch dazu meist ohne Beschlussmacht: 434 der 595 Sitzungen fanden 2022 in den 123 sogenannten AGs statt, die irgendwann einmal zu irgendeinem Zweck eingesetzt wurden.
Für politisch-akute Themen nicht geeignet
Und die Minderzahl der KMK-Gremien, die konkrete Beschlusskompetenzen hatten, brauchten extrem lang dafür. Die "strukturbedingt langen Entscheidungszyklen" führten dazu, dass die Beschlussvorlagen sich vom Beratungsbeginn bis zu ihrer Verabschiedung zwischen den Gremien im Kreis bewegten, worüber üblicherweise mindestens neun Monate vergingen. "Für politisch-akute Themen nicht geeignet", befanden die Evaluatoren.
Es ging allerdings noch krasser: Weitere 59 Sitzungen, mehr als eine pro Woche, entfielen auf 29 weitere AGs, die sich sogar ohne Einsetzungsbeschluss von oben einfach selbst gebildet hatten. Und als sei das nicht genug, kamen neue Gremien beständig hinzu: Allein im Jahr 2022 ein Dutzend.
Ausgerechnet in einem dieser in jüngster Zeit hinzugekommenen Gremien dürften sie angesichts des "Prognos"-Leaks nicht nur unglücklich gewesen sein: die Mitglieder der eigens eingesetzten Strukturkommission II zur "Weiterentwicklung der Kultusministerkonferenz sowie des Sekretariats". Hatten sie doch genau deshalb für die Beauftragung einer externen Unternehmensberatung plädiert: um den nötigen Veränderungsdruck zu erzeugen, den man von innen heraus so meist nicht hinbekommt.
Kultusministerien ziehen Konsequenzen
Ein Beben mit Folgen: Vergangene Woche, bei ihrem Treffen in Berlin, haben die Kultusministerinnen und Kultusminister aller 16 Länder die Konsequenz gezogen. Sie einigten sich nach langen, teilweise hitzigen Diskussionen auf den Einstieg in einen Reformprozess, der, wenn man den Beteiligten glauben darf, einer grundlegenden Neuaufstellung einer Institution gleichkommen würde, die nächstes Jahr ihren 76. Geburtstag feiert und damit älter ist als die Bundesrepublik.
Zeit würde es: In den vergangenen Jahren hat die KMK zwar schon vieles, was lange unmöglich erschien, geschafft. Sie hat ein neues Länderabkommen für eine verbindlichere Zusammenarbeit verabschiedet, sie hat sich mit der "Ständigen Wissenschaftlichen Kommission" ein unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium gegeben, sie hat für die Kulturpolitik eine weitgehend eigenständige Kulturministerkonferenz geschaffen. Doch abgesehen von ein bisschen Kosmetik hat sich die KMK dabei an sich selbst, an ihre eigene Verfasstheit und Prozesse, nicht herangetraut.
Bis vergangene Woche. Aus den zwölf im Abschlussbericht der "Prognos"-Berater enthaltenen Empfehlungen hat die Strukturkommission sieben Eckpunkten abgeleitet, die die Kultusminister jetzt wiederum per Beschluss zu ihrem Reformbekenntnis gemacht haben.
Die Kultusministerinnen und -minister hätten "jetzt die Chance, die notwendigen politischen und strukturellen Veränderungen vorzunehmen, um eine funktionsfähige Kultusministerkonferenz für die Zukunft zu entwickeln", sagte KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch, im Hauptberuf CDU-Bildungssenatorin von Berlin.
Zu wenig systematische Steuerung
Tatsächlich waren sich nämlich auch die Kultusministerien sehr bewusst, was sie mit der Beauftragung von "Prognos" lostreten würden. Denn obgleich die Unternehmensberater die KMK-Organisationsmängel selten prägnant auf den Punkt brachte, neu waren sie den meisten Kennern des real existierenden Bildungsföderalismus kaum.
Etwa dass der KMK bei all ihrer Gremienvielfalt die strategische Steuerung fast völlig abgeht. Das Präsidium trifft sich in Normalzeiten nur einmal im Monat, während die Verwaltung der Kultusministerkonferenz, das KMK-Sekretariat, personell auf dem Kopf steht: Von den gut 414 Vollzeit-Planstellen entfallen laut "Prognos"-Zählung überhaupt nur 78 auf die drei Abteilungen, die für die gesamte föderale Koordination in Schule, Hochschule Wissenschaft, Kultur, Qualitätssicherung, Internationales und Statistik verantwortlich sind. Und nur 4,7 Stellen davon sind für führende und übergreifende Aufgaben vorgesehen.
Das bedeutet keineswegs, dass die übrigen über 300 KMK-Mitarbeiter nicht gebraucht würden, leisten sie doch in der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) grundlegende Arbeit bei der Bewertung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, oder sie gehören zum Pädagogischen Austauschdienst (PAD). Doch überdeckt die vermeintlich große Gesamtmitarbeiterzahl der KMK ihre dramatische strukturelle Schwäche genau an der Stelle, wofür sie in der Öffentlichkeit steht: bei der Gestaltung einer länderübergreifenden Bildungspolitik.
"Versäult" sei das KMK-Sekretariat, kritisierten die Berater, "mit wenig horizontaler Zusammenarbeit und Informationsaustausch", die kleinteilige Aufgabenzuordnung und der Zuschnitt der Organisationseinheiten böten "wenig Flexibilität und Steuerungsmöglichkeit", das Wissensmanagement sei dezentral und konzentriere sich auf Fachwissen. Und dann mangele es in den Kernprozessen auch noch an technischer Unterstützung.
Auf die wichtigen Themen konzentrieren
All das hat weitreichende Folgen für die Entscheidungsprozesse. Die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz entstehe zum großen Teil "Bottom Up", resümieren die "Prognos"-Berater nach einer Vielzahl von Gesprächen, die sie in den Landesministerien, im KMK-Sekretariat und drumherum geführt haben. Es gebe "wenig systematische Steuerung oder Priorisierung von Beratungsgegenständen". Anders gesagt: Die Arbeitsebene spült zur Entscheidung nach oben, was sie für relevant hält, und die Chefs sollen sich dann damit beschäftigen.
Entsprechend betonte der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe, der die Bildungspolitik der SPD-regierten Länder koordiniert, nach dem KMK-Reformbeschluss vergangene Woche: "Ziel muss es sein, dass wir uns stärker auf die wichtigen Themen konzentrieren und nicht im Kleinkram ersticken." Deshalb müsse die Vielzahl der Arbeitsgruppen reduziert werden, und auch die Zahl der Projekte und Themen müsse verringert werden.
Und in noch eine organisatorische Wunde der KMK legten die "Prognos"-Berater ihren Finger: in das unausgegorene Nebeneinander der Bereiche Schule, Hochschule und Wissenschaft. Der Bereich Schule dominiere die KMK-Beratungen, es gebe unklare Prioritäten für Beratungen zu Hochschulen. Die gegenwärtige Teiltrennung zwischen Schule und Hochschule werde als "nicht funktional beschrieben", berichtet "Prognos".
Einrichtung einer eigenen Wissenschaftskonferenz
Aus einer ähnlichen Schieflage heraus hatten sich die für Kultur zuständigen Minister in der KMK bereits 2019 ihre eigene Konferenz mit weitgehender Eigenständigkeit gesichert. Entsprechend waren jetzt die Wissenschaftsminister mit die ersten, die bei dem in Berlin beschlossenen Reformprozess Nägel mit Köpfen machen wollen. Überwiegend begeistert griffen sie den zweiten der sieben Eckpunkte der Strukturkommission auf: die Einrichtung einer eigenen Wissenschaftsministerkonferenz "mit eigenem (nicht notwendigerweise jährlich wechselndem) Vorsitz und Präsidium und separaten Beratungsstrukturen, deren Zeitplan mit den Teilnahmeverpflichtungen von Wissenschaftsministerinnen und -ministern an anderen Konferenzen (GWK, Wissenschaftsrat) abgestimmt ist".
Entweder analog zur bestehenden Kulturministerkonferenz unter dem Dach der KMK "mit dem Sekretariat als zentraler Unterstützungseinheit (aber mit einer separaten Unterstützungsstruktur Hochschule und Wissenschaft)". Oder aber, was die Extremlösung wäre, völlig losgelöst von der KMK.
So weit wird es aller Voraussicht nach nicht kommen, aber schon die Tatsache, dass dies diskutiert wurde, zeigt die Radikalität, die inzwischen eingezogen ist in die Reformdebatte: Die Loslösung der Wissenschaft würde faktisch das Ende der bisherigen KMK bedeuten. Von einer "Revolution statt Evolution in der KMK", sprach schon einmal Bayerns CSU-Wissenschaftsminister Markus Blume, dessen Ministerium zusammen mit Hamburg den Vorsitz in der Strukturkommission führt. "Wir müssen schneller, agiler und politischer werden. Gerade die Einrichtung einer eigenen Wissenschaftsministerkonferenz ist ein wichtiger Schritt, um den wissenschafts- und hochschulpolitischen Themen eine deutlich höhere Eigenständigkeit und Sichtbarkeit zu geben."
KMK-Präsidentschaft über mehrere Jahre?
Dem "Prognos"-Gutachten folgend beschlossen die Kultusminister außerdem unter anderem eine Verschlankung der Gremienstruktur, ein Monitoring für KMK-Beschlüsse und "ein adäquat aufgestelltes Sekretariat", das zum zentralen "Wissens-Hub", "der für die Länder Fach- und Prozesswissen vorhält", weiterentwickelt werden soll.
Ein besonders heißes Eisen fassen die Eckpunkte unter Punkt 3, "Strategiefähigkeit erhöhen", an: Für die Einführung einer strategischen Arbeitsplanung, heißt es da, erscheine "eine Weiterentwicklung der Präsidiums- /Vorsitzstrukturen notwendig. Diese sollen eine längerfristige Ausrichtung und ein politisches Controlling der Vorhaben ermöglichen." Eine KMK-Präsidentschaft, die über mehrere Jahre reicht und sich politischer definiert – so lautet eine der wichtigsten von KMK-Kritikern immer wieder vorgetragene Forderung. Offenbar ist man auch dafür in der KMK endlich offen – oder noch nicht alle Kultusministerinnen und Kultusminister haben die Sprengkraft des von ihnen beschlossenen Absatzes erkannt.
Keine Aussage findet sich indes zu einer Aufweichung oder Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in finanzwirksame und vielen Grundsatzfragen, das in der Vergangenheit oft zu wenig ambitionierten Beschlüssen führte. Weil dies, wie Skeptiker sagen, mindestens einen Staatsvertrag, womöglich aber eine Grundgesetzänderung erfolgen würde? Nein, ist aus der Strukturkommission zu hören – weil, wenn die Gremienstrukturen erstmal umgebaut sind, die Abstimmungsprinzipien automatisch drankämen. Genau wie sich mit der Neustrukturierung des KMK-Sekretariat zwangsläufig nach Rolle, Auswahl und Amtszeit künftiger Generalsekretäre stelle.
Und auch wenn die Eckpunkte in Teilen noch abstrakt klingen mögen, vor allem unter 7, beim weiteren Vorgehen, sind sie außerordentlich konkret: Im März bereits soll ein erstes Umsetzungskonzept das KMK-Ministerplenum passieren, so dass "jedenfalls" die Wissenschaftsministerkonferenz schon zum 1. Juli 2024 kommen könne.
Dass es sich dabei um ein Mindestziel handelt, lässt sich auch daran erkennen, dass die KMK bei der Struktur- und Organisationsveränderung in Gremien und Sekretariat inklusive "Umsetzungscontrolling und -begleitung" plant. Womit offenbar erneut die Beauftragung einer externen Agentur gemeint ist. Man ist, so scheint es, auf den Geschmack gekommen.
Dieser Artikel erschien heute zuerst im Deutschen Schulportal.
Ein Resolution zu PISA, ein Aktionsplan gegen Antisemitismus und eine realistischere Lehrkräfte-Prognose
In Reaktion auf die mauen deutschen PISA-Ergebnisse sprachen sich die Kultusminister in einem Beschluss für neun Maßnahmen aus, darunter der Vorrang für die Vermittlung der Bildungssprache Deutsch "für alle Fächer und Lernbereiche", Sprachstandsfeststellungen vor dem Schulbesuch "und bei entsprechendem Bedarf verbindliche Sprachförderung vor der Einschulung". Außerdem müssten die Konzepte zum Unterricht Deutsch als Zweitsprache auf den Prüfstand gestellt werden, eine entsprechende Expertenanhörung befinde sich bereits in Vorbereitung. Die Kernfächer und die basalen Kompetenzen müssten in der Schule insgesamt gestärkt werden. Die Digitalisierung des Systems Schule sei prioritär und beschleunigt umzusetzen, weshalb die Länder von der Bundesregierung "schnellstmöglich verbindliche Finanzierungszusagen" zur Fortsetzung des Digitalpakts erwarteten.
Schließlich bekannten sich die Kultusminister einmal mehr zu einer "kohärenten Gesamtstrategie Bildungsmonitoring" inklusive der Beteiligung an internationalen und nationalen Vergleichsstudien und Durchführung von Tests und Lernstandserhebungen als "notwendige Grundlage für eine evidenzbasierte Schul- und Unterrichtsentwicklung" (wissend, dass viele von ihnen in den vergangenen Jahren und vor allem in der Corona-Pandemie genau beim Monitoring vieles haben schleifen lassen). Bei der Neugestaltung der Lehrkräftebildung müsse die Vermittlung von Konzepten der sprachlichen Bildung und Sprachförderung "Bestandteil aller Phasen der Lehrkräftebildung sein" und weiterentwickelt werden. Um Risikoschüler gezielt zu erreichen, müsse das von Bund und Ländern geplante Startchancen-Programm als ein Baustein für Schulen in besonders herausfordernden Lagen schnellstmöglich umgesetzt wird.
Mit reichlich Verspätung beschloss die KMK zudem die – eigentlich jährliche – Modellrechnung zur voraussichtlichen Entwicklung des Lehrkräftebedarfs und –angebots. In der Summe der Berechnungen der einzelnen Länder stehen demzufolge einem Einstellungsbedarf von 463.000 in den Jahren 2023 bis 2035 lediglich 395.000 fertige Lehrer gegenüber, folglich ergebe sich eine rechnerische Differenz in Höhe von 68.000 Lehrkräften. Wobei die KMK sofort betont, eine derartige Differenz lasse "keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Lehrkräfteversorgung – insbesondere
auch auf den tatsächlichen Lehrkräftemangel zu". Erst ab Beginn der 2030er Jahre wird jetzt eine spürbare Entspannung erwartet. Bei ihrer Modellrechnung im März 2022 war die KMK noch von einer Unterversorgung von 23.400 ausgegangen – für den Zeitraum 2021 bis 2035.
Mit der auf 68.000 hochgeschnellten rechnerischen Lücke nähert sich die KMK nun erstmals den Prognosen des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm an, dessen Vorhersagen in den vergangenen Jahren deutlich näher an der dann jeweils eingetroffenen Realitäten gelegen hatten. In seiner jüngsten Vorausberechnung 2022 hatte Klemm die Lücke bis 2035 mit 85.000 Lehrkräften beziffert. Der Prognosezeitraum der KMK sei nicht ganz identisch, doch sehe er mit Genugtuung, sagt Klemm, dass viele Kultusministerien nun realistischer und präziser in ihren Annahmen würden. "Aber nicht alle. Es fällt auf, dass einige Länder es sich immer noch zu einfach machen. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zum Beispiel sagen für das Angebot an Berufseinsteigern im Sekundarbereich I jedes Jahr zwischen 2023 und 2025 dieselbe Zahl vorher. Das ist aus der Luft gegriffen."
Wie bei der außerordentlichen Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) Ende November angekündigt verabschiedeten die Landeswissenschaftsminister einen zehn Punkte umfassenden Aktionsplan gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, dem sich auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) anschloss. Darin bekräftigen sie unter anderem ein Nein zu Antisemitismus in jeder Form, jüdische und israelische Studierende und Mitarbeitende müssten sich an den Hochschulen sicher fühlen können. Die Hochschulen werden ermuntert, die Antisemitimus-Definiton der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken als Grundkonsens zu übernehmen, außerdem seien sie aufgerufen, Foren zur interkulturellen und interreligiösen Begegnung sowie kritisch-friedlicher Reflexion zu etablieren, wo diese noch nicht bestünden. Die Lehre und Forschung zu Israel, Judaistik und Antisemitismus sollten ausgebaut werden, und: "Wir ermutigen die Hochschulen, den Austausch mit jüdischen Gemeinden und Studierendenvereinigungen zu vertiefen und bestehende Kooperationen mit israelischen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zu fördern."
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Ob durch Spiegel im All, künstlich erzeugte Wolken oder Partikel in der Stratosphäre, die technischen Möglichkeiten, Einfluss auf das Klima zu nehmen, scheinen in einer Welt, die zunehmend mit den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert wird, grenzenlos (vgl. Deutschlandfunk 2023).Geoengineering steht für den Versuch, gegen die steigenden Temperaturen und CO₂-Emissionen anzukämpfen und das Klimasystem der Erde zu beeinflussen. Während die wissenschaftliche Erforschung dieser Technologien immer weiter fortschreitet, rückt auch die politische Machbarkeit solcher Eingriffe in den Fokus von internationalen Debatten und politischen Agenden. Doch was ist solares Geoengineering und wie funktioniert es, welche politischen Risiken birgt es und wie umsetzbar erscheint dieses Vorhaben derzeit? Diesen Fragen will die folgende Arbeit nachgehen.Zunächst soll Geoengineering im allgemeinen und solares Geoengineering im besonderen dargestellt werden. Neben der Vorstellung verschiedener Konzepte des solaren Geoengineerings soll auch die technologische Machbarkeit dargestellt werden. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit der politischen Seite des solaren Geoengineerings. Die politischen Risiken sollen thematisiert werden. Zudem sollen Probleme der Umsetzbarkeit im politischen Rahmen anhand von Spieltheorien erläutert werden und das Dilemma des moralischen Risikos, das sich am solaren Geoengineering zeigt, dargestellt werden.GeoengineeringFür den Begriff des Geoengineering existiert in der Wissenschaft bislang keine allgemeingültige Definition (vgl. Wagner 2023, S. 11). Eine in der Literatur verbreitete Definition stammt von der britischen Royal Society. Demnach umfasst Geoengineering bewusste und zielgerichtete – meist in großem Maßstab durchgeführte – Eingriffe in das Klimasystem mit dem Ziel, die anthropogene Klimaerwärmung abzumildern (vgl. Royal Society 2009, S. 1).Auch in der Definition des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change – kurz IPCC) werden unter Geoengineering technologische Maßnahmen verstanden, die darauf abzielen, das Klimasystem zu stabilisieren, indem sie direkt in die Energiebilanz der Erde eingreifen und dadurch das Ziel verfolgen, die globale Erwärmung zu verringern (vgl. IPCC 2007).Laut dem Klimaökonom Gernot Wagner ist die Begriffsverwendung von Geoengineering, wie sie auch in diesen Definitionen verwendet wird, zu vage. Es handelt sich nach ihm um eine menschengemachte Bezeichnung, die durch seine häufige Verwendung im öffentlichen Diskurs entstanden ist und häufig als Überbegriff für zwei sich stark unterscheidende Konzepte verwendet wird (vgl. Wagner 2023, S. 11). Grundlegend werden die Maßnahmen des Geoengineering in zwei Kategorien untergliedert:Maßnahmen zur Kohlenstoffdioxidentfernung: Unter diese Maßnahmen fallen Technologien, die das Ziel haben, dem Kohlenstoffkreislauf der Atmosphäre CO2 zu entziehen und dieses dauerhaft zu speichern. Diese Maßnahmen werden auch als Kohlenstoffentnahme oder im englischen Sprachgebrauch als Carbon Dioxid Removal (CDR), Carbon Geoengineering oder Direct air capture bezeichnet (vgl. Wagner 2023, S. 12).Maßnahmen zur Beeinflussung des Strahlenhaushalts: Diese Maßnahmen werden auch unter solarem Geoengineering, solar radiation management (SRM), Strahlungsmanagement, solar radiation modification oder als albedo modification bezeichnet. Gemeint sind damit Methoden, die einen umfassenden und gezielten Eingriff zur Abkühlung der Erde vorsehen und damit die Atmosphäre in Bodennähe abkühlen sollen (vgl. Wagner 2023, S. 11).Da in dieser Seminararbeit das solare Geoengineering im Fokus steht, soll im nachfolgenden Kapitel genauer auf die verschiedenen Ansätze des solaren Geoengineerings eingegangen werden.Solares GeoengineeringDas solare Geoengineering setzt am Klimasystem der Erde an. Die Sonne spielt in diesem System den Motor. Während ein Teil des Sonnenlichts direkt über Wolken, Bestandteile der Luft oder der Erdoberfläche reflektiert und an den Weltraum zurückgegeben wird, wird der andere Teil der Strahlung durch die Atmosphäre und den Erdboden in Wärmestrahlung umgewandelt (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 9). Ein Teil dieser Wärmestrahlung bleibt aufgrund bestimmter Gase in der Atmosphäre und erwärmt die Erde, sodass Leben überhaupt möglich ist, hierbei spricht man vom natürlichen Treibhauseffekt. Der andere Teil der Wärmestrahlung wird an den Weltraum abgegeben (vgl. Deutscher Wetterdienst 2023). Wird nun durch bestimmte Faktoren, wie zu viel anthropogen verursachte Treibhausgase, die Atmosphäre zusätzlich erwärmt, spricht man vom Klimawandel (vgl. ebd.).Solares Geoengineering kann nun an verschiedenen Punkten des Klimasystems ansetzen, um die Temperatur der Atmosphäre zu senken. Zum einen an der reflektierten Solarstrahlung durch eine Veränderung der Erdoberfläche oder der Wolken, an der abgegebenen Wärmestrahlung durch den atmosphärischen Gehalt an Treibhausgasen und Aerosolen sowie durch Installationen im Weltraum (Umweltbundesamt 2011, S. 9). Die verschiedenen Konzepte des solaren Geoengineerings sollen nachfolgend kurz vorgestellt und hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit eingeordnet werden.Änderung der Albedo von OberflächenKonzepte, die sich die Änderung der Albedo von Oberflächen zunutze machen, setzen auf die Reflektion der einfallenden Sonnenstrahlen von Oberflächen. Je nach Farbe und Beschaffenheit von Oberflächen und Körpern werden einfallende Sonnenstrahlen unterschiedlich stark reflektiert (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 12). Das Verhältnis der Strahlung, die auf einem Objekt ankommt, und dem, was zurückgeworfen wird, wird als Albedo bezeichnet. Es ist daher ein Maß für das Rückstrahlungsvermögen von Objekten. Während dunkle Flächen, wie zum Beispiel Ozeane ein niedrigeres Rückstrahlungsvermögen und damit eine niedrige Albedo aufweisen, besitzen helle Oberflächen ein hohes Rückstrahlungsvermögen und damit eine hohe Albedo, die dazu führt, dass die Temperatur sinkt und die an den Weltraum abgegebene Wärmestrahlung verringert wird (vgl. ebd.).Um die Albedo von Oberflächen zu erhöhen, wird beispielhaft für diese Art des solaren Geoengineerings vorgeschlagen, Dächer, Straßen und Gehwege weiß zu streichen, rückstrahlungsstarke Pflanzen in der Landwirtschaft einzusetzen, Wüstenregionen mit reflektierenden Planen zu bedecken oder die Ozeane durch schwimmende reflektierende Gegenstände aufzuhellen (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 12).Auch wenn das Streichen von ganzen Städten eine niederschwellige Art des solaren Geoengineerings darstellt, würde diese Vorgehensweise nur bedingt einen Beitrag zur Reduktion der Temperatur leisten (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 12). Zudem dürfte der Einsatz von reflektierenden Feldfrucht- und Grünlandsorten ebenso scheitern, da enorme Flächen benötigt werden würden und große Monokulturen entstehen könnten (vgl. ebd. S. 13). Und auch der Vorschlag, die Ozeane mit schwimmenden Gegenständen aufzuhellen, ist kritisch zu betrachten und steht im Widerspruch zu anderen Umweltzielen wie der Vermeidung von Müll in den Meeren. Zudem würde die Funktion der Meere eingeschränkt und ein Ökosystem der Erde vom Licht abgeschnitten werden, wodurch die Nebenwirkungen auf den Menschen nur bedingt planbar wären (vgl. ebd.).Erhöhung der Albedo von WolkenDamit Wolken entstehen können, werden neben der passenden Temperatur und Luftfeuchtigkeit kleine Partikel wie Sandkörner, Salzkristalle oder Staub benötigt. Sie bilden die sogenannten Kondensationskerne, an denen das Wasser kondensieren kann, wodurch sich kleine Tröpfchen bilden. Der Gehalt dieser Wassertröpfchen bestimmt die Reflektionseigenschaft einer Wolke und somit ihre Albedo. Kleine Tröpfchen werfen das Sonnenlicht stärker zurück und führen zu einer längeren Lebensdauer der Wolken und zu dem gewünschten Abkühlungseffekt (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 13 f.). Anwendbar wäre dieses Konzept in Küstenregionen, indem durch Flugzeuge oder Schiffe vermehrt Kondensationskerne ausgebracht werden, um niedrige Wolken über den Ozeanen zu generieren (vgl. ebd.).Technisch ist dieses Konzept umsetzbar, die Einsatzorte könnten gewechselt und der Einsatz auch kurzfristig gestoppt werden. Bei großen Flächen sind die Auswirkungen auf Windsysteme, Meeresströmungen und Niederschläge sowie Folgen für Meeresorganismen jedoch noch unklar. Daher ist die weitere Erforschung dieser Thematik nötig (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 14).Installationen im erdnahen WeltraumDiese Konzepte setzen an der einstrahlenden Sonnenenergie in erdnahen Umlaufbahnen an und sollen die ankommende Sonnenstrahlung auf der Erde reduzieren. Als Ideen für diese Art des solaren Geoengineering kursieren beispielsweise das Anbringen eines reflektierenden Materials zwischen Erde und Sonne, an der ein Riesenspiegel, ein Aluminiumgeflecht oder eine Vielzahl an reflektierenden Scheiben installiert werden könnte. Auch das Anbringen eines Saturn-ähnlichen Rings aus Staubpartikeln wird in diesem Kontext diskutiert (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 16).Diese Konzepte klingen wenig realistisch und schwer umsetzbar. Es würden je nach Verfahren immense Mengen an Material benötigt werden und hohe Materialkosten bergen. Des Weiteren ist unklar, wie genau und wo solche Konstruktionen im Weltraum angebracht werden könnten. Zudem wäre durch spiegelnde Objekte im Weltraum die solare Einstrahlung nicht gleichmäßig verteilt, was dazu führen könnte, dass sich die atmosphärische und ozeanische Zirkulation verändern würde (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 16).Ausbringung stratosphärischer AerosoleDurch Vulkanausbrüche konnte nachgewiesen werden, dass in der Stratosphäre durch geringere Austauschprozesse von Luftmassen Ascheteilchen und Schwefelverbindungen Monate bis Jahre verweilen können und dadurch weniger Sonnenlicht zur Erdoberfläche gelangt und das Klima der Erde um 0,1 bis 0,2 °C gemindert wird (vgl. Umweltbundesamt 2011, S. 14). Diese Erkenntnisse sollen im Sinne des solaren Geoengineering angewendet werden, indem zum Beispiel über Wetterballons oder spezielle Flugzeuge Schwefelverbindungen in die Stratosphäre freigesetzt werden. Diese oxidieren dort zu Sulfatpartikeln, die die Sonnenstrahlung streuen und damit das an der Erdoberfläche einfallende Sonnenlicht reduzieren könnten (vgl. ebd. S. 15).Diese Art des solaren Geoengineerings wird wohl derzeit am häufigsten diskutiert. Aus technischer Sicht lässt sich die Ausbringung von Aerosolen einfach ermöglichen. Dieses Konzept des Geoengineering ist im Vergleich zu anderen Methoden eher kostengünstig und könnte schon mit einstelligen Milliarden-Dollar-Beträgen pro Jahr realisiert werden (vgl. Wagner 2023, S. 15). Jedoch überwiegen weitere Risiken als die bloße technische Umsetzbarkeit, die im Abschnitt der politischen Risiken für diese Art des solaren Geoengineering ausführlicher erläutert werden.Solares Geoengineering als politisches ThemaBevor man sich mit der politischen Umsetzbarkeit von solarem Geoengineering befassen kann, muss darauf eingegangen werden, wie solares Geoengineering derzeit in der Klimapolitik thematisiert wird. Da es sich beim Klima um ein gemeinschaftliches Gut handelt und der Klimawandel keinen Stopp vor Grenzen macht, wird die Klimapolitik auch als sogenannte "Querschnittsaufgabe" bezeichnet. Nicht ein Akteur allein kann diese politische Aufgabe lösen. Im Feld der Klimapolitik sind Prozesse der vertikalen und horizontalen Politikintegration sowie die Einbindung verschiedener Akteure beinhaltet. So ist die deutsche Klimapolitik in zwischenstaatliche und völkerrechtliche Abkommen der internationalen Klimapolitik integriert (vgl. Roelfes 2022).Teil dieser Struktur sind die Berichte des Weltklimarats, das Pariser Klimaabkommen oder die Convention on Biological Diversitiy der UNO, die wichtige Grundlagen für politische Entscheidungen der Länder zum Klimaschutz bilden. Daher soll vorgestellt werden, inwieweit das solare Geoengineering in diesen Debatten thematisiert wird.Solares Geoengineering in Berichten des IPCCDer IPCC oder auch Weltklimarat veröffentlicht in seinen Sachstandberichten zusammengefasst den aktuellen Stand der Klimaforschung, bewertet diesen und bereitet ihn für die Politik auf. Dadurch nimmt die zwischenstaatliche Organisation der Vereinten Nationen Einfluss, inwieweit ein Thema in der Politik behandelt wird und welche Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden, ohne direkte Handlungsempfehlungen abzugeben. Stattdessen sind Bewertungsmodelle in den Veröffentlichungen integriert, die verschiedene Klimaszenarien beinhalten (vgl. Wittstock 2023, S. 40).Im fünften Sachstandsbericht des IPCC werden Methoden des Geoengineering erstmals bei einem Migrationsszenarium aufgeführt. Da nur in wenigen Szenarien die Emissionsreduktion allein die Erderwärmung auf 2 °C begrenzen könnte. Soziale und politische Aspekte wurden bei den Modellierungen jedoch nicht berücksichtigt (vgl. Wittstock 2023, S. 41). Vermehrt wird auf die Methode des Carbon Dioxid Removals eingegangen, aber auch das Solar Radiation Management wird thematisiert. Insgesamt befürwortet der IPCC nicht direkt die Methoden des Geoengineering, sondern empfiehlt die weitere Erforschung dieser Technologien auf technologischer und sozialwissenschaftlicher Ebene (vgl. ebd. S. 42).Solares Geoengineering im Pariser KlimaabkommenIn den politischen Debatten des Pariser Abkommens von 2015 und den Texten des Abkommens wurden Methoden des solaren Geoengineerings nicht diskutiert. Dennoch kamen nach der Ratifizierung des Abkommens Methoden des Geoengineering vermehrt ins Gespräch. Das angestrebte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, ist nach Klimaforscher*innen nur mit Unterstützung des Geoengineering möglich (vgl. Wittstock 2023, S. 44 f.).Solares Geoengineering in der Convention on Biological DiversityAuch im Rahmen der Convention on Biological Diversity wurde das solare Geoengineering weitreichend diskutiert. Der Schwerpunkt der multilateralen Diskussion beim Thema Geoengineering liegt in diesem Übereinkommen. Im Jahr 2010 wurde für Geoengineering im allgemeinen auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips sowie ökologischer und sozialer Bedenken eine Vereinbarung aufgeschoben (vgl. Heinrich Böll Stiftung 2018, S. 5).Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass solares Geoengineering in den politischen Debatten Einzug hält und diskutiert wird, jedoch derzeit keine Strukturen zu finden sind, die den Einsatz erlauben. Mit Vereinbarungen und Einigungen in den Diskussionen kann derzeit nicht gerechnet werden.Risiken des solaren GeoengineeringsWie bei der Beschreibung der einzelnen Konzepte des solaren Geoengineering deutlich wurde, handelt es sich je nach Konzept um realistischere oder weniger realistische Vorhaben, Einfluss auf das Klima der Erde zu nehmen. Während Konzepte, welche Installationen im Weltraums vorsehen und sehr hohe Kosten mit sich brächten, weniger diskutiert werden, wird die Ausbringung von stratosphärischen Aerosolen weit häufiger in politischen Debatten diskutiert. Doch gerade diese Art des solaren Geoengineering birgt politische Risiken, auf die nun eingegangen werden soll.Immer wieder wird diskutiert, inwieweit das solare Geoengineering durch Aerosole Einfluss auf das regionale Klima und damit auf die Landwirtschaft von bestimmten Ländern hat (vgl. Wagner 2023, S. 46). Während starke Kritiker wie die Klimawissenschaftler Alan Robock und David Keith es für möglich halten, dass es durch den falschen und leichtsinnigen Einsatz zu regionalen Klimaanomalien kommen kann, die im schlimmsten Fall die Nahrungsversorgung von Milliarden Menschen bedrohen und damit zu einem politischen Problem ausufern (vgl. ebd. S. 57), äußern neuere umfassendere Analysen weniger Bedenken bezüglich des sich verändernden regionalen Klimas, da es sich um ein komplexes System handelt.Es wird davon ausgegangen, dass der Effekt des solaren Geoengineering nicht nur eine geringere Oberflächentemperatur der Erde nach sich zieht, sondern auch Temperaturextreme reduzieren kann und dadurch die Verdunstung von Wasser reduziert wird. Dadurch zeigt sich, dass die Welt durch solares Geoengineering eher wie eine Welt ohne Klimawandel aussieht und große Hungersnöte aufgrund von ausbleibendem Regen eher unwahrscheinlich sind (vgl. ebd. S. 58).Ein weiteres politisches Risiko besteht im Ozonabbau. Während in den vergangenen Jahren durch die politische Reglementierung von Fluorchlorkohlenwasserstoff das Ozonloch zum Schrumpfen gebracht wurde, führen Sulfat-basierte stratosphärische Aerosole durch ihren Säuregehalt zu einer Reduktion des Ozons in der Atmosphäre, wodurch die Erholung des Ozonlochs verlangsamt wird (vgl. Wagner 2023, S. 63). Zwar wurde in Forschungsgruppen auch mit einer Alternative für Sulfat-Aerosole experimentiert, doch diese Studien sind noch am Anfang. Generell ist nicht gewiss, wie solares Geoengineering den Erholungsprozess beeinflussen kann (vgl. ebd. S. 65).Während erneuerbare Energien, wozu auch Solarenergie gehört, durch die Politik stark gefördert werden, kann durch die Dimmung des solaren Geoengineerings der Solarertrag reduziert werden. Photovoltaikanlagen können zwar auch mit dem diffusen Licht, das durch solares Geoengineering entsteht, Strom erzeugen, aber wie genau sich die Reduktion des Sonnenlichts auf die Energiegewinnung auswirkt, ist unklar (vgl. Wagner 2023, S. 69).Ein weiteres Problem, das sich vor allem auf der politischen Ebene zeigt und hohe Bedenken gegenüber solarem Geoengineering erzeugt, bezieht sich auf eine schnellere und nicht genau vorhersehbare Erwärmung bei einem Aussetzen der Maßnahmen. Solares Geoengineering könnte eine Angriffsfläche für Anschläge sein. Aber auch Naturkatastrophen oder rasche politische Veränderungen können Grund zur Sorge wecken (vgl. Wagner 2023, S. 71).Würde die globale Durchschnittstemperatur gesenkt und der Einsatz des solaren Geoengineering abrupt beendet werden, könnte dies zu einem "termination shock" führen. Die Temperaturen könnten nach oben schellen, ohne dass eine Anpassung der Umwelt möglich wäre. Zudem besteht auch die Gefahr, dass trotz langwieriger wissenschaftlicher Forschung unvorhergesehene Probleme auftauchen könnten, die solch einen "termination shock" heraufbeschwören könnten (vgl. ebd. S. 72).Mit diesen Risiken hängen auch die Bedenken zusammen, dass es kein sofortiges Zurück gibt. Wenn einmal mit der Ausbringung von Aerosolen begonnen wurde, ist ein Abbruch nur sehr langsam möglich (vgl. Wagner 2023, S. 72). Um die Maßnahmen zu stoppen, kann nur stufenweise vorgegangen werden. Da sich Aerosole 12 bis 18 Monaten in der Stratosphäre befinden, können diese nicht innerhalb eines Tages entfernt werden (vgl. Wagner 2023, S. 72).Ein weiteres Risiko betrifft die Steuerung des Vorgehens. Mechanismen wie menschliches Versagen stellen dabei eine besondere Gefahr dar (vgl. Wagner 2023, S. 73). Solares Geoengineering birgt viele Gefahren, die übersehen werden könnten. So kann das Ziel, den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid zu reduzieren, durch den leichtsinnigen Einsatz von solarem Geoengineering umgangen werden (vgl. ebd.).Kommerzielle und militärische Kontrollen stellen ein weiteres Risiko dar. Im Prozess der Ermöglichung von solarem Geoengineering sieht Wagner eine Vielzahl an Unternehmen bei jeder Lieferkette beteiligt (vgl. Wagner 2023, S. 74). Militärische Kontrollen sind in solch einem Bereich besonders besorgniserregend und könnten anderen Ländern falsche Signale vermitteln und auch die Kontrolle des solaren Geoengineerings durch die Verteilung von Patenten wäre nach Wagner kritisch zu sehen (vgl. ebd.).Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt ein möglicher Konflikt mit bereits bestehenden Abkommen dar. Das geltende Umweltkriegsabkommen ENMOD verbietet die militärische und feindselige Nutzung umweltverändernder Techniken, verbietet derzeit jedoch nicht die Forschung am solaren Geoengineering und würde im Falle eines bestehenden globalen Steuerungssystems auch nicht die Durchführung von solarem Geoengineering verbieten (vgl. Wagner 2023, S. 74).Dieses Problem führt auch zu einer der riskantesten Unklarheiten des solaren Geoengineering und zu der Frage, wer solares Geoengineering kontrollieren soll und wem diese moralische Autorität obliegt? Bislang gibt es keine global greifende Governance-Struktur, der sich alle Menschen der Erde anschließen würden und die solche Entscheidungen treffen könnte, und solch eine zu gründen, erscheint derzeit unmöglich (vgl. Wagner 2023, S. 75).Und nicht zuletzt besteht ein erhebliches Risiko im Bereich der unvorhergesehenen Konsequenzen. Derzeit geht es noch vor allem um die Erforschung der Technologien des solaren Geoengineering. Größere Risiken und Unsicherheiten sprechen eher für einen erhöhten Forschungsbedarf. Man weiß nicht alles und kann womöglich in diesem Bereich nie alles wissen, solange solares Geoengineering nicht tatsächlich eingesetzt wird (vgl. Wagner 2023, S. 82).Probleme der Umsetzbarkeit des solaren GeoengineeringNeben den Risiken, die solares Geoengineering mit Aerosolen birgt, zeigen sich auch auf der Ebene der Umsetzbarkeit weitere Probleme. Nach Gernot Wagner kommen beim solaren Geoengineering zwei spieltheoretische Phänomene zu tragen, die auf die Umsetzbarkeit Einfluss nehmen und damit das Entscheidungsverhalten beeinflussen. Zum einen der Free-Driver-Effekt sowie das Gefangenendilemma (vgl. Wagner 2023, S. 33).In der Spieltheorie geht es um strategische Entscheidungssituationen. Es werden Situationen untersucht, in denen das Ergebnis nicht von einer Partei allein bestimmt werden kann, sondern nur von mehreren gemeinsam. Die Handlungen des*der Einzelnen wirken sich immer auf das Ergebnis der*des Anderen aus (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2023).Free-Driver-ProblemBeim Klimawandel kommt die "Tragik der Allmende" zum Tragen. Während im Mittelalter die Dorfwiese, auf der jede*r Dorfbewohner*in sein*ihr Vieh weiden lassen konnte, auf Kosten der Allgemeinheit verwüstet wurde, lässt sich dieses Szenario heutzutage auf die Nutzung der Atmosphäre als Senke für anthropogen verursachte Treibhausgase übertragen (vgl. Forschungsinformationssystem 2023). Während die Vorteile der Emissionen privatisiert sind, trägt die Allgemeinheit die Kosten der Verschmutzung und muss Lösungen für den Klimawandel finden (vgl. Wagner 2023, S. 22).In der Klimapolitik wirkt sich auf spieltheoretischer Ebene das "free-rider-problem" oder auch Trittbrettfahrerproblem darauf aus, warum wenige Länder hohe Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. Für ein einzelnes Land liegt es nicht im Eigeninteresse, als Erster die Kosten für die CO₂-Minderung zu tragen. Wenn alle anderen so weitermachen wie bisher, hätte es keine Vorteile für das Land, mehr zu tun als die anderen. Was dazu führt, dass die Motivation, strenge Maßnahmen für eine CO₂-Reduktion zu ergreifen, sehr gering ist und nicht umgesetzt wird (vgl. Wagner 2023, S. 22).Anders als beim Trittbrettfahrerproblem, bei dem es nicht im Eigeninteresse des*der Einzelnen liegt, als Erste*r die Kosten für eine CO₂-Minderung zu tragen, und damit eine Tatenlosigkeit einhergeht, führt beim Free-Driver-Problem eine zu hohe Handlungsbereitschaft zu einem Problem (vgl. Wagner 2023, S. 23). Aufgrund der geringen Kosten für die Umsetzbarkeit des solaren Geoengineering durch Aerosole stellt solares Geoengineering ein mächtiges Werkzeug dar, dass Staaten dazu veranlassen kann, "Gott" zu spielen (vgl. ebd.). Daher könnte es zu einem zu schnellen Einsatz und damit einhergehend einer schnellen Umsetzbarkeit von solarem Geoengineering kommen. Die Risiken und Ungewissheiten mindern diesen Effekt gerade noch ab (vgl. Wagner 2023, S. 28).GefangenendilemmaAuch das Gefangenendilemma kommt bei der Frage nach der Umsetzung von solarem Geoengineering zum Tragen. Das Dilemma beruht auf der Unvorhersehbarkeit des Verhaltens der*des anderen Spielers*in und kennzeichnet eine Situation, bei der sich zwei rational denkende Individuen selbstsüchtig verhalten und einander verraten, obwohl es für beide besser wäre, an einem Strang zu ziehen (vgl. Wagner 2023, S. 33).Anhand einer 2x2-Matrix stellt Wagner die Klimapolitik anschaulich dar. Das Ziel beider Länder ist, die CO₂-Emissionen zu reduzieren. Dabei ergibt sich die Möglichkeit, dies durch eine hohe Minderung der Emissionen zu verfolgen und es damit durch einen ambitionierten Klimaschutz zu tun, oder durch eine niedrige oder langsame Minderung der Emissionen. Wenn sich nicht beide Länder auf die hohe Minderung einigen, wird immer die niedrige Minderung gewinnen, was bedeutet, dass das schwächste Glied über den Ausgang der Situation entscheidet (vgl. ebd. S. 34). Dieses Szenario verdeutlicht auch, warum es so schwierig ist, eine hohe Emissionsreduzierung zu verwirklichen. Wenn andere Länder wenig im Hinblick auf den Klimaschutz tun, bietet das keine Anreize für ein anderes Land, sich stärker für den Klimaschutz einzusetzen (vgl. ebd.).Kommt zu dieser vorgestellten Matrix nun noch die Option des solaren Geoengineering hinzu, die durch ihre schnelle und (relativ) günstig Umsetzbarkeit überzeugt, würde solares Geoengineering an Stelle der Reduktion von CO₂-Emissionen kommen und das eigentliche Ziel, die Emissionen zu reduzieren, könnte verfehlt werden (vgl. Wagner 2023, S. 35).Wichtig bei diesem spieltheoretischen Ansatz ist auch die Rangfolge, die ein Land aus den Komponenten des solarem Geoengineering, hoher CO₂-Minderung und niedriger CO₂-Minderung aufstellt. Wenn ein Land ein großes Interesse verfolgt, das Klima zu schützen, und sich einer hohen Minderung der Emissionen verschreibt, gibt es zwei Optionen, an welchem Rangplatz solares Geoengineering angeordnet wird. Entweder als erste Option, mit der Reihenfolge solares Geoengineering vor hoher Minimierung der Emissionen und an dritter Stelle die langsame Minimierung der Emissionen. Diese Reihenfolge führt dazu, dass solares Geoengineering auf Kosten anderer Klimaschutzmaßnahmen durchgesetzt wird. Bei einer anderen Möglichkeit, die die Einordnung der hohen Minimierung der Emissionen in der Rangfolge vor solarem Geoengineering und als letzte Option die niedrige Minimierung des CO₂s platziert, bleibt das Hauptziel, die Emissionen zu senken, bestehen (vgl. Wagner 2023, S. 36).Hinzu kommt im spieltheoretischen Rahmen, dass das endgültige Ergebnis auch davon abhängt, an welcher Stelle in der Rangfolge ein anderes Land solares Geoengineering verortet. So könnte solares Geoengineering auch an Platz drei der Rangfolge anderer Länder stehen. Je nachdem, an welcher Stelle es verortet wird, setzt sich in der Matrix ein anderes Szenario durch (vgl. Wagner 2023, S. 37).Es zeigt sich also, dass es sich bei den spieltheoretischen Überlegungen um ein komplexes Zusammenspiel von den verschiedenen Spielparteien und ihren Ansichten zum Klimaschutz handelt. Die bloße Verfügbarkeit von solarem Geoengineering kann aufgrund seiner Risiken auch zur Verschärfung der Umweltpolitik führen. Inwieweit solares Geoengineering durch den vernünftigen Einsatz einen positiven Effekt auf das Klima und den Planeten haben kann, bleibt immer noch unklar (vgl. Wagner 2023, S. 41).Moralisches Risiko des solaren GeoengineeringIm Zusammenhang mit dem solaren Geoengineering steht immer wieder der Begriff des moralischen Risikos - auch "moral hazard" genannt. Definitorisch wird moralisches Risiko beschrieben als "den fehlenden Anreiz, sich vor Risiken zu schützen, wenn man vor den Folgen geschützt ist" (Wagner 2023, S. 131). In der Anwendung gibt es ein breites Gebiet, auf dem das moralische Risiko wirken kann. Ein bekanntes Beispiel ist die Krankenversicherung oder das Anlegen eines Sicherheitsgurts beim Autofahren. Das bloße Anlegen kann zu riskantem Verhalten durch schnelleres Fahren führen. Denn der Sicherheitsgurt macht schnelles Fahren scheinbar sicherer (vgl. Wagner 2023, S. 131).Im Zusammenhang mit dem solaren Geoengineering besteht die Sorge darin, dass der Einsatz von solarem Geoengineering zu einem Anstieg der Kohlenstoffdioxid-Emissionen führen könnte und klimaschädliche Mechanismen weiter ausgebaut werden (vgl. Wagner 2023, S. 132). Gernot Wagner beschreibt das moralische Risiko, welches beim solaren Geoengineering zum Tragen kommt, auch als "grünes moralisches Risiko". Darunter versteht er "den fehlenden Anreiz, tiefgehende, komplexe Umweltprobleme anzugehen, weil die Möglichkeit einer schnellen technologischen Lösung, z.B. Geoengineering, besteht" (Wagner 2023, S. 133).Diese Bedenken stammen laut Wagner vor allem aus dem linken Umweltschutz und kritisieren, dass technologische Lösungen allein nicht weit genug gehen und die grundlegenden Ziele verfehlen. Befürchtet wird auch, dass komplexe gesellschaftliche Veränderungen umgangen werden könnten (vgl. Wagner 2023, S. 133). Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch, dass sich bei solarem Geoengineering eine "Technofix"-Mentalität zeigt, die darauf vertraut, dass soziale und ökologische Probleme mit technologischem Fortschritt zu lösen seien. An den zugrundeliegenden Ursachen und Treibern des Klimawandels wird nicht gearbeitet und Nebeneffekte sowie Risiken verlagert (vgl. Schneider 2020).Bei diesen Diskussionen muss man jedoch beachten, dass die gerade eingesetzten Interventionen, CO2-Emissionen zu reduzieren, um den Klimawandel zu bekämpfen, zu wenig greifen und die aktuellen politischen Debatten dazu führen, dass solares Geoengineering als eine Maßnahme im Kampf gegen den Klimawandel diskutiert wird (vgl. Wagner 2023, S. 141).Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, ob solares Geoengineering das erste oder das letzte Mittel gegen den Klimawandel ist. Wenn solares Geoengineering die beste Lösung darstellt, liegt es nach Wagner auch nahe, dass ein Verzicht auf fossile Brennstoffe unvorstellbar erscheint (vgl. Wagner 2023, S. 141). Andere, vielleicht auch schwierigere und teurere Maßnahmen gegen den Klimawandel erscheinen dabei überflüssig und das grüne moralische Risiko wird beschworen (vgl. ebd.).Wird solares Geoengineering als letzte Rettung angesehen, könnte es jedoch auch nicht den gewünschten Effekt erzielen. Denn wenn die erhofften Erwartungen nicht erfüllt werden, gibt es keine weitere Lösung. Daher kann solares Geoengineering nicht als alleinige Lösung für dieses komplexe Problem angesehen werden und das moralische Risiko schwingt in allen Entscheidungen für und gegen solares Geoengineering mit (vgl. ebd.).FazitDiese Seminararbeit wollte der Frage nachgehen, ob sich das solare Geoengineering als Maßnahme gegen den Klimawandel eignet. Aus Sicht der aktuellen politischen Lage, die in internationalen Abkommen eingebettet ist, in denen der Umgang mit solarem Geoengineering noch nicht hinreichend geregelt ist beziehungsweise eine Einigung immer wieder verschoben wird und kein rechtlicher Rahmen über die Nutzung von solarem Geoengineering besteht, verschiedene Risiken und Probleme sowohl auf technischer als auch auf sozialer Ebene konstatiert werden, zeigt sich, dass solares Geoengineering derzeit noch kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Klimawandel darstellt.Auch wenn sich solares Geoengineering in Form der Ausbringung von Aerosolen technisch und mit verhältnismäßig geringen Kosten umsetzen lassen würde, birgt es noch auf zu vielen Ebenen Risiken. Erschreckend sind vor allem die unvorhersehbaren Folgen, die nicht einschätzbar sind und die erst durch eine tatsächliche Anwendung auftreten können, sowie die Gefahr eines termination shocks. Gerade auf politischer Ebene, auf der Strukturen für einen Einsatz noch fehlen, würde ein verfrühter Einsatz vor allem Konflikte schüren und einem Spiel mit dem Feuer gleichkommen.Auch eine Klimapolitik, die solares Geoengineering vor das Ziel stellt, die CO₂-Emissionen signifikant zu senken, geht in die falsche Richtung. Solares Geoengineering kann in Zukunft als sinnvoller Zusatz gegen den Klimawandel und nicht als Lösung des eigentlichen Problems dienen.Bis solares Geoengineering durch Aerosole tatsächlich umsetzbar ist, bedarf es weiterer Forschung, nicht nur auf technischer, sondern auch auf sozialwissenschaftlicher Ebene, sowie geeigneter globaler Governance-Strukturen, die solch ein Vorgehen mit globalen Auswirkungen rechtfertigen können. Denn letztendlich stellt sich die Frage, ob und wer das Klima überhaupt beeinflussen will und darf. Und dazu sollte solares Geoengineering im öffentlichen Diskurs thematisiert und in einem transparenten und partizipativen Prozess in der Öffentlichkeit ausgehandelt werden, damit solares Geoengineering als technische Möglichkeit in der Zukunft eingesetzt werden kann.LiteraturDer Deutsche Wetterdienst (2023): Klimawandel – ein Überblick (dwd online) <https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimawandel/klimawandel_node.html> (26.12.2023).Deutschlandfunk (2023): Können wir nicht einfach die Sonne verdunkeln? (Deutschlandfunk vom 15.02.2023) <https://www.deutschlandfunk.de/geoengineering-klimawandel-100.html> (23.12.2023).Forschungsinformatiossystem (2023): Beispiel: Die "Tragik der Allmende" (Forschungsinformationssystem.de vom 14.07.2023) <https://www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/328924/> (07.01.2024).Gabler Wirtschaftslexikon (2023): Spieltheorie (wirtschaftslexikon.gabler.de) <https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/spieltheorie-46576#:~:text=Definition%3A%20Was%20ist%20%22Spieltheorie%22,von%20den%20Aktionen%20anderer%20abhängt> (08.01.2024). Heinrich Böll Stiftung (2018): Ein zivilgesellschaftliches Briefing zur Governance von Geoengineering. Dem Geo-Sturm standhalten (boell.de) <https://www.boell.de/sites/default/files/hbf_etc_geogovern_briefing_de.pdf> (11.01.2024).IPCC (2007): Climate Change 2007: Mitigation. Contribution of Working Group III to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (vom 12.01.2018) <http://www.ipcc.ch/pdf/assesment-report/ar4/wg3/ar4_wg3_full_report.pdf> (23.12.2023).Roelfes, Michael (2022): Klimapolitik in Deutschland (bpb vom 24.06.2022). https://www.bpb.de/themen/klimawandel/dossier-klimawandel/509727/klimapolitik-in-deutschland/ (01.01.2024). Royal society (2009): Geo-Engineering the Climate: Science, Governance and Uncertainty, Royal society: London.Schneider, Linda (2020): Ein Technofix für das Klima? Die Interessen hinter dem Geoengineering im Meer (boell.de vom 23.04.2020) <https://www.boell.de/de/2020/04/23/ein-technofix-fuer-das-klima-die-interessen-hinter-dem-geoengineering-im-meer> (10.01.2024). Umweltbundesamt (2011): Geo-Engineering wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn? <https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/4125.pdf> (10.01.2024).Wagner, Gernot (2023): Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln? Das riskante Spiel, mit Geoengineering die Klimakrise aufhalten zu wollen, Oekom: München. Wittstock, Felix (2023): Alternativloses Climate Engineering? Kommunikation von NGOs in einer klimapolitischen Kontroverse, Nomos: Baden Baden.
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Eine Unternehmensberatung hält der Kultusministerkonferenz gnadenlos den Spiegel vor. Wer wissen will, warum der Bildungsföderalismus zu wenig auf die Kette bringt, findet in der internen Analyse mehr Antworten, als ihm lieb ist.
Foto: Pxhere, CCO.
ES WAR EINE ungeschminkte Analyse, die die Kultusminister während ihres Treffens vorvergangene Woche in Berlin präsentiert bekamen. Auf 19 Slides trugen Mitarbeiter des Beratungsunternehmens Prognos den Zustand der Kultusministerkonferenz (KMK) vor. Die Minister hatten sie selbst in Auftrag gegeben als Teil ihres Reform-Projekts "KMK 2025", wobei es außer der Einigkeit darüber, etwas verändern zu wollen, bislang wenig Einigkeit gab, was genau – und wie.
Das könnte sich nun bald ändern, denn der Handlungsdruck, der sich aus der internen Prognos-Evaluation ergibt, ist groß. Zu eindeutig sind Unzulänglichkeiten, Unstimmigkeiten und Ineffizienzen der KMK, ihrer Organisation und Entscheidungsabläufe, deren Auswirkungen den deutschen Bildungsföderalismus prägen, aber bislang nie in dieser Form auf den Punkt gebracht wurden.
177 Gremien, 600 Sitzungen pro Jahr
Wenig überraschend, dafür atemberaubend in seinen Dimensionen ist der Gremien-Wildwuchs, den die Unternehmensberater erstmals mit genauen Zahlen unterlegen: 177 Gremien, die insgesamt fast 600 Mal im Jahr konferieren unter Beteiligung von 1.300 Einzelpersonen zumeist aus den für Bildung, Hochschule, Wissenschaft und Kultur zuständigen Landesministerien. Hinzu kommt, dass diese Gremien kaum untereinander vernetzt sind, denn Mehrfachmitgliedschaften seien "wenig ausgeprägt", hat Prognos festgestellt.
Man konferiert also nebeneinander her, hat aber kaum Beschlussmacht: Denn 434 der 595 Sitzungen fanden 2022 in den 123 sogenannten AGs statt, die irgendwann einmal zu irgendeinem Zweck eingesetzt wurden. Wobei es noch krasser geht: Denn weitere 59 Sitzungen, mehr als eine pro Woche, entfielen auf 29 weitere AGs, die sich ohne Einsetzungsbeschluss von oben einfach selbst gebildet haben. Und neue Gremien kommen beständig hinzu: Allein 2022 waren es ein weiteres Dutzend.
Was der KMK gleichzeitig fast völlig abgeht, ist die strategische Steuerung. Nicht nur trifft sich das Präsidium nur einmal im Monat. Auch ist die Verwaltung der Kultusministerkonferenz, das KMK-Sekretariat, dazu personell völlig ungeeignet aufgestellt. Von den gut 414 Vollzeit-Planstellen entfallen überhaupt nur 78 auf die drei Abteilungen, die sämtliche föderale Koordination in Schule, Hochschule Wissenschaft, Kultur, Qualitätssicherung, Internationales und Statistik leisten sollen. Und nur 4,7 Stellen davon sind laut Prognos für führende und übergreifende Aufgaben vorgesehen.
Während der Großteil der KMK-Mitarbeiter in der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) mit der Bewertung von im Ausland erworbenen Qualifikationen zuständig ist oder zum Pädagogischen Austauschdienst (PAD) gehört.
"Wenig Flexibilität und Steuerungsmöglichkeit"
Insgesamt sei das KMK-Sekretariat von der Organisation her "versäult mit wenig horizontaler Zusammenarbeit und Informationsaustauch". Die kleinteilige Aufgabenzuordnung und der Zuschnitt der Organisationseinheiten böten "wenig Flexibilität und Steuerungsmöglichkeit", das Wissensmanagement sei dezentral und konzentriere sich auf Fachwissen. Und dann mangele es in den Kernprozessen auch noch an technischer Unterstützung.
All das hat weitreichende Folgen für die Entscheidungsprozesse. Die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz entstehe zum großen Teil "Bottom Up", resümieren die Prognos-Berater nach einer Vielzahl von Gesprächen, die sie in den Landesministerien, im KMK-Sekretariat und drumherum geführt haben. Anders gesagt: Die Arbeitsebene spült zur Entscheidung nach oben, was sie für relevant hält, und die die Chefs sollen sich dann damit beschäftigen.
Genau darüber klagen viele Kultusminister schon seit Jahren, aber so richtig geändert haben sie daran bislang nichts. Die Kritik, dass die KMK-Tagesordnungen nicht zu den aktuellen Themen der Bildungspolitik passten, wurde auch gegenüber Prognos wiederholt, ebenso dass längerfristige Themen und Schwerpunktsetzungen nur in Ansätzen vorhanden seien. Es gebe "wenig systematische Steuerung oder Priorisierung von Beratungsgegenständen".
Hinzu kommt das unausgegorene Nebeneinander der Themen: Der Bereich Schule dominiere die KMK-Beratungen, es gebe unklare Prioritäten für Beratungen zu Hochschulen. Die gegenwärtige Teiltrennung zwischen Schule und Hochschule werde als "nicht funktional beschrieben", berichtet Prognos. Während sich die Kulturminister in ihrer eigenen Konferenz eine weitgehende Eigenständigkeit gesichert haben.
Das Ganze dauert dann auch noch entsprechend lang. "Strukturbedingt lange Entscheidungszyklen" nennt Prognos das: Von Beratungsbeginn bis zu einem Beschluss vergehen demzufolge üblicherweise mindestens neun Monate. Wobei die Gremienbefassung (Stichwort "wiederholte Auseinandersetzung") sich zwischendurch im Kreis bewegt. Diese Struktur, warnen die Berater, sei "für politisch-akute Themen nicht geeignet".
Wozu führt die Schonungslosigkeit der Analyse?
Ein KMK-Sekretariat, das einer grundlegenden Strukturreform bedarf; ein anarchisch anmutender Gremienwust ohne funktionierenden Informationsaustausch; Entscheidungsabläufe, bei denen die Arbeitsebene der Führung die Richtung vorgibt: Wer sich fragt, warum in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrscht, der Bildungsföderalismus bekomme zu wenig auf die Kette, findet in der Prognos-Evaluation mehr Erklärungen, als ihm lieb ist.
Die entscheidende Frage: Wozu führt die Schonungslosigkeit der Unternehmensberater? Zucken die Kultusminister mit den Achseln nach dem Motto: Da könne man nichts machen? Sind einige womöglich ganz froh über die Ergebnisse, weil sie gar keine strategiefähige KMK wollen? Oder rauft man sich zusammen und entwickelt einen gemeinsamen Plan, wie der Föderalismus rauskommt aus diesem Schlamassel?
Seit ihrer Feier zum 70-jährigen Jubiläum vor bald sechs Jahren befindet sich die KMK, teilweise selbst gewollt, teilweise von außen aufgezwungen, inmitten einer Reformdebatte. Tatsächlich ist bereits einiges passiert: Ein neues Bildungsabkommen wurde geschlossen, eine eigene Kulturministerkonferenz eingerichtet und die Ständige Wissenschaftliche Kommission eingesetzt.
Doch jetzt endlich, mahnen die Prognos-Berater in ihren Empfehlungen, müssten die Kultusminister strategisch die "grundlegenden Fragen der Struktur und des Aufgabenzuschnitts der KMK" klären. Nur dass die Verantwortlichen sich eben genau darum seit Jahren herumdrücken – aus purem Desinteresse oder weil sie fürchten, eine funktionierende KMK würde zugleich Schluss machen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Was Alleingänge von Ländern deutlich erschweren würde.
Weshalb Prognos – wissend um die Widerstände – betont, die operative Weiterentwicklung der "Aufgabenerledigung" in der KMK sei einerseits "direkte Konsequenz" aus den strategischen Empfehlungen, könne aber auch "für sich allein stehen". Zusätzlich brauche es Details zur Weiterentwicklung von Gremien und Sekretariat auf der Grundlage der Analyse.
Fest steht: Laut Zeitplan sollen die Kultusminister in ihrer Dezembersitzung die Bestandteile und Umsetzungsplanung des Projekts "KMK 2025" (interne Agentur-Bezeichnung) beschließen. Dann lässt er sich endlich nicht mehr aufschieben, der Zeitpunkt zum Farbebekennen. Diese Woche schon trifft sich zur Vorbereitung der Beschlüsse erneut die Strukturkommission "Weiterentwicklung der Kultusministerkonferenz und des Sekretariats der Kultusministerkonferenz". Eingesetzt 2022, trug auch sie zum KMK-Gremienwachstum bei. Aber ausnahmsweise auf heilsame Weise.
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Die Reaktionen von Wissenschaft und Politik auf die Pisa-Ergebnisse zeigten eine problematische Engführung der Bildungsdebatte. Für eine wirkliche Verbesserung müssen wir uns zunächst wieder an die eigentlich entscheidenden Fragen herantrauen. Ein Gastbeitrag von Kai Maaz, Sabine Reh und Tilman Drope.
Foto: Katerina Holmes / Pexels.
DIE VIELEN ÖFFENTLICHEN REAKTIONEN auf die aktuelle PISA-Studie und die dort diagnostizierte nur mittelmäßige Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungswesens bringen wenig Neues. Sie lassen dominante, alte Denkmuster unangetastet, bildungspolitische Zielkonflikte bleiben ausgeblendet. Der Zustand der Schule wird nicht als Ausdruck vielfältiger gesellschaftlicher Problemlagen verstanden, vielmehr wird in der Hauptsache ihr die Schuld am konstatierten Elend gegeben. Gleichzeitig wird weiter die Hoffnung gehegt, die Schule werde, richtig gesteuert, gesellschaftliche Probleme heilen. Dass sie an einem solchen Anspruch nur scheitern kann, könnte man wissen. Denn dafür müssten alle Akteure sich endlich ehrlich den alten Denkmustern stellen und den mit ihnen verbundenen Narrativen, Gefühlen und Zielkonflikten.
Da ist zunächst die Enttäuschung der Bildungsforscher und -forscherinnen darüber, dass die Bildungspolitik nicht einfach tut, was die Bildungsforschung besser weiß. So kritisieren manche, dass Programme zur Verbesserung insbesondere des Mathematikunterrichts nicht dauerhaft installiert worden seien. Selbstverständlich wird niemand etwas gegen besseren Mathematikunterricht sagen wollen. Wenn aber eine solche Kritik mit der Diskreditierung anderer Maßnahmen, etwa denen zur Schulsanierung und Schulsozialarbeit im Rahmen des angekündigten "Startchancenprogramm", verbunden wird, zeigt sich eine problematische Engführung.
Die überschätzte Rolle der einzelnen Lehrkraft
Denn die Annahme, dass guter Unterricht lediglich eine Frage des richtigen Vorgehens sei und losgelöst von den konkreten Handlungsbedingungen vor Ort wirken könne, bedient letztlich das alte Denkmuster eines durch die einzelne Lehrkraft zu steuernden Verhältnisses von Input und Output. Es bleibt außer Acht, dass Schülerinnen und Schüler ihre fachlichen Fähigkeiten und Lernerfolge miterzeugen; diese hängen daher auch mit den Lernbedingungen in einem intakten Schulgebäude und etwa der Begleitung durch sozialpädagogische Fachkräfte zusammen. Ganz abgesehen davon, dass die für guten Unterricht nötigen Fachkräfte es vielleicht vorziehen, ihre auch woanders begehrten Fähigkeiten dort einzusetzen, wo sie sich nicht als Einzelkämpfer um ein funktionierendes WLAN kümmern oder sich als Streitschlichter Gefahren für das leibliche Wohlergehen aussetzen müssen.
In der Fokussierung auf den Fachunterricht setzen sich Qualitätsdebatten und Fragen einer "inneren Schulreform" fort, wie sie in den 1980er begannen und bald darauf mit Ideen eines neuen Managements der Schulen und der Steuerung durch Monitoring und Evaluierung verbunden wurden. Die empirische Bildungsforschung, die sich fast parallel dazu im Laufe der 1990er Jahre zu einer elaborierten Kompetenzforschung entwickelte, erzeugte zwar neues und teilweise auch schulfachlich ausreichend detailliertes Wissen über den Unterricht. Dennoch reichte eine in deren Folge verbreitete neue Aufgabenkultur nicht aus, nachhaltig und flächendeckend erfolgreiches Lernen im Unterricht durchzusetzen. Im Gegenteil: Das Vertrauen in die Schule und ihre Leistungen sank und sinkt noch immer.
Ein weiteres so altes wie dominantes Denkmuster zeigt sich, wenn Leistungssteigerung gegen Chancengleichheit ausgespielt wird. Hier werden die seit dem Sputnik-Schock oder dem ersten Ausrufen der Bildungskatastrophe tradierten Ängste vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Landes seit den 1960er Jahren gegen die nur unwesentlich jüngere Skandalisierung systematischer Benachteiligung unterer Sozialschichten immer wieder von Bildungspolitiker:innen und auch von Journalist:innen in Stellung gebracht. Heute wie vor 50 Jahren kann mit diesem Denkmuster sowohl der Appell an Lernende und ihre Familien als auch die Unantastbarkeit des auf die Universität vorbereitenden Gymnasiums begründet werden. So wird mindestens implizit die Verwirklichung von Chancengleichheit von der Leistungsorientierung benachteiligter Familien abhängig gemacht und inzwischen wieder – wenn auch vorsichtig – die Frage gestellt, ob nicht doch einfach mehr Druck helfe.
Die am Gymnasium ausgerichtete Gliederung des Schulwesen wird kontrafaktisch begründet
Folgenreich ist zudem, dass die am Gymnasium ausgerichtete Gliederung des Schulwesens kontrafaktisch damit begründet wird, dass im internationalen Vergleich Länder mit Gesamt- bzw. Einheitsschulsystemen hinsichtlich der (Spitzen-)Leistungen nicht überlegen seien. Wenn in unserem Land sehr viele Schülerinnen und Schüler am Gymnasium die für die gesellschaftliche Teilhabe notwendigen Grundlagen erwerben, an anderen Schulformen zu viele aber entsprechende Ziele nicht erreichen, verdeutlicht das den Zielkonflikt: Das Festhalten am Gymnasium ist mit Blick auf die Leistungsspitze möglicherweise noch rational, die Absage an eine gemeinsame Beschulung bis zur neunten oder zehnten Klasse ist es mit Blick auf faire Chancen beim Erwerb von Basiskompetenzen sicherlich nicht.
Ein drittes Denkmuster zieht sich schließlich durch beinahe alle Debattenbeiträge der vergangenen Wochen. Es spiegelt sich in der Forderung (und Erwartung) schneller und punktueller Bearbeitung immer wieder neu und je etwas anders diagnostizierter Probleme. Die Vorstellung, dass man durch Nachsteuerung an einzelnen Stellschrauben die Outcomes des gesamten Bildungswesens entscheidend verbessern könne, besteht seit Jahrzehnten. Seitdem Mitte der 1970er Jahre großangelegte Bildungsreformen scheiterten und stattdessen Schulqualitätsdebatten begannen, wurde die Schule meist nicht mehr als vielfach verknüpfter Bestandteil der sie umgebenden gesellschaftlichen Umwelt gesehen. Die in der Folge aufgesetzten bildungspolitischen Maßnahmen waren und sind stets auf das Innen der Schule und des Unterrichts gerichtet und dürfen dabei auf keinen Fall Fragen der – horribile dictu – Schulstruktur oder der Gesellschaftsstruktur berühren.
Dementsprechend fordert die Bildungspolitik Problemdiagnosen und Handlungsempfehlungen auch beinahe ausschließlich von einer Bildungsforschung ein, die beides evidenzbasiert anbietet. Grundsätzliche Fragen an die Verfasstheit von Schule und Gesellschaft, etwa danach, welche Gründe es für eine nachlassende Identifikation der Lernenden mit ihren Schulen und vielleicht auch mit den Zielen schulischer Bildung gibt, werden dabei nicht gestellt. Sie könnten im Moment evidenzbasiert auch nicht ohne Weiteres beantwortet werden. Symptome werden so in einer "educationalization of social problems" zur Ursache gemacht. Als Folge dieses Denkens bestimmt die Individualisierung struktureller und somit politischer Fragen die Debatte um Schule und Bildung. Gesellschaftliche Entwicklungen, deren problematische Auswirkungen sich in den Schulen zeigen, aber anderswo herrühren, sollen dennoch vorrangig in den Schulen gelöst werden.
Wirkt die Bildungsforschung zu bereitwillig mit bei der Perpetuierung falscher Narrative?
Obwohl selbstverständlich an vielen Stellen im Bildungssystem Verbesserungsbedarf besteht, muss sich die Bildungsforschung die Frage gefallen lassen, ob sie an der Perpetuierung derart vereinfachend-falscher Narrative nicht zu bereitwilligt mitwirkt. Nehmen wir die Situation von Schulen "in schwierigen Lagen". Sie würde nachhaltig eher durch eine auf sozialen Ausgleich bemühte Stadtentwicklung verbessert werden – und nicht umgekehrt. Auch lässt sich zwar das Ziel anstreben, die Ungleichheit der Bildungschancen zu reduzieren, es ist jedoch unmöglich, den Zusammenhang von familiärem Hintergrund und Bildungserfolg in Gänze aufzulösen. Seit über 50 Jahren wird überzeugend theoretisch erklärt und fortlaufend empirisch bestätigt, dass die Schichtung der Gesellschaft Bildungsungleichheit zur Folge hat. Die Reduzierung letzterer muss also über die Abschwächung erster erfolgen – und nicht umgekehrt.
Den ständigen Anspruch an die Schulen und an die dort Tätigen, gesellschaftliche Missstände zu korrigieren, müssten diese eigentlich als Zumutung zurückweisen. Das gilt auch für die Illusion, allein Bildung könne den individuellen Aufstieg ermöglichen. Damit die Lehrkräfte nicht wirklich irgendwann aufgeben, ist es unerlässlich, dass wenigstens die jeweils unterschiedlichen Lagen von Schulen und Schüler:innen erkannt, benannt und berücksichtigt werden. Der landesweite Einsatz bereits erprobter Instrumente wie der Mittelzuweisung auf Grundlage von Sozialindizes ist hier naheliegend.
Für eine erfolgreiche Arbeit vor Ort wäre es überdies an der Zeit, die verschiedenen Verantwortungsebenen aufeinander abzustimmen. Gemeint sind hier alle im System beteiligen Akteure, also Schulträger, Schulaufsicht, Kommunen, Ministerialverwaltung, Landesinstitute und Qualitätsagenturen, Schulentwicklungsbegleitung und schließlich und vor allem auch die einzelnen Schulen, die alle abgestimmt und gemeinsam arbeiten müssen. Die Erfahrungen zeigen, dass es den Ländern unterschiedlich gut gelingt, in den gegebenen Strukturen kohärente und passgenaue Angebote für die Schulen vorzuhalten. Dies trifft umso mehr zu, wenn immer wieder verschiedene Programme von unterschiedlichen Anbietern implementiert werden.
Ein geteiltes Verständnis der Akteure, die Definition einer gemeinsamen Zielperspektive, ist dafür ebenso unerlässlich wie eine unterstützende Struktur, vielleicht eine neue Form intermediärer Organisation. In dieser würden alle relevanten Informationen für die Auswahl, Implementation und Umsetzung einer Innovation oder Maßnahme an einer Schule gebündelt werden. So könnten Erkenntnisse der Wissenschaft mit Gesetzesgrundlagen, Umsetzungslogiken der Verwaltung, politischen Interessen und Bedarfen der schulischen Praxis im Sinne einer kohärenten Schulentwicklung abgestimmt werden und in Angeboten münden, die die unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen. Dafür müssten wir vielleicht aber auch diskutieren, was für eine Gesellschaft wir sein wollen und welchen Beitrag die Schule dazu realistisch leisten kann.
Kai Maaz ist geschäftsführender Direktor des DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation; Sabine Reh ist Direktorin der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) des DIPF; Tilman Drope leitet den Arbeitsbereich BBF-Forschung am DIPF.
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Berlin setzt seine Postdoc-Reform um, bevor das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, und wer den Sanierungsstau im Hochschulbau auflösen will, muss sich jetzt an Tabus herantrauen: ein Gastbeitrag von Henry Marx.
Henry Marx (SPD) ist seit April 2023 Staatssekretär für Wissenschaft in der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege. Foto: Nils Bornemann.
PANDEMIE, PREISSCHOCK, KLIMAKRISE, Fachkräftemangel, Inflationsspirale und der anhaltende Zuzug von vielen Geflüchteten: Die Herausforderungen und die multiplen Krisen der vergangenen Jahre machen vor den Hochschulen nicht halt. Welcher Auftrag ergibt sich daraus für die Wissenschaftspolitik, wie muss die hochschulpolitische Strategie für die nächsten Jahre lauten?
Ein wesentlicher Teil der Antwort heißt: fünfmal fünf Prozent. Jedes Jahr steigern wir die Globalzuschüsse an die staatlichen Berliner Hochschulen und die Charité um fünf Prozent. Das bedeutet, dass wir die Grundfinanzierung von insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf über zwei Milliarden 2028 steigern werden. Darüber hinaus geben wir den Hochschulen weitere Mittel: bis zu 35 Millionen Euro jährlich etwa für den Ausbau der Lehrkräftebildung an den Universitäten.
Das Wesentliche bleibt aber die Zahl "5". Ihre Bedeutung liegt nicht nur in der realen jährlichen Steigerung der Budgets, sondern in ihrer demonstrativen Wirkung: als deutliches Bekenntnis des Berliner Senats zur Berliner Wissenschaft gerade in Zeiten knapper öffentlicher Haushaltskassen, Kürzungen in anderen Politikfeldern, Belastungen durch Energiekosten und anhaltende Inflation. Fünf Prozent jährlich mehr sind zugleich eine Festlegung für die Zukunft. Aktuelle und künftige (Landes-)Regierungen werden sich an ihr messen lassen müssen.
Besonders in Berlin, aber nicht nur. Denn diese Steigerungen sind bundesweit einmalig, und ich bin stolz darauf, dass Berlin hier Trendsetter ist.
Die Berliner Hochschulen verpflichten sich im Gegenzug, ambitionierte Ziele umzusetzen. Unter anderem finden sich auf den über 20 Textseiten der Hochschulverträge:
o Das Niveau der Berliner Studierendenzahlen werden wir halten. Berlin und seine Hochschulen sind weiter so attraktiv, dass wir im Gegensatz zu anderen Wissenschaftsstandorten nicht mit sinkenden Zahlen rechnen.
o Nach der gesetzlichen Einführung der Anschlusszusagen für PostDocs wird es keinen haushaltsfinanzierten Qualifizierungsvertrag mit einer geringeren Laufzeit von vier Jahren und schrittweise mit einem Beschäftigungsanteil von weniger als 75 Prozent geben.
o Den Anteil dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse im Mittelbau werden wir auf 40 Prozent steigern.
o Berlin ist bereits heute Spitzenreiter beim Frauenanteil unter den Professuren. Diesen Anteil wollen wir weiter verbessern mit einer Steigerung der Berufungsquote von Frauen um zehn Prozent.
Dabei setzen die Hochschulverträge auf Hochschulautonomie. Wir wollen und werden den Hochschulen nicht detailliert vorgeben, wie sie ihre Ziele zu erfüllen haben. Dafür sind diese zu unterschiedlich, und es wäre für eine Landesregierung unangemessen zu denken, sie könne jede Hochschulstruktur von außen durchdringen. Wir setzen auf Output-Steuerung.
Doch auch wenn das Land Berlin in einer bundesweit einzigartigen Vereinbarung die Hochschulen mit deutlichen finanziellen Steigerungen für ein halbes Jahrzehnt abgesichert hat, sehe ich drei große Herausforderungen für das Wissenschaftssystem:
1. Mehr Kooperationen in der Wissenschaft: Gerade die Berliner Universitäten und die Charité haben bewiesen, was die Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Einrichtungen bewirken kann. Mit der Berlin University Alliance wird ein bundesweit einzigartiger Exzellenzverbund im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert. Bald steht dessen Evaluation an, und die BUA wird sicherlich erfolgreich darlegen, wie sehr diese Kooperationsplattform in die vier Einrichtungen und ihre Exzellenzcluster hineinwirkt.
Aber diese Kooperation muss nachhaltig und tiefgreifend sein, sonst bleibt sie ein schönes Aushängeschild ohne spürbare Veränderungen der Wissenschaftsstruktur. Es geht darum, die Versäulung in einzelne Einrichtungen zu überwinden, ohne im Verbund aufzugehen. Ziel muss sein, durch Kooperation akademische Skaleneffekte zu erzeugen, mehr zu sein als die Summe der Einzelteile. Die BUA hat gezeigt, wie es geht und in Berlin entstehen viele andere Kooperationen, die es ihr nachmachen wollen: Berlin Research 50, Science & StartUps, die Berlin Quantum Alliance, das Climate-Change-Center Berlin-Brandenburg. Aber solche Kooperation können noch so sehr politisch gepusht werden, am Ende hängt es an den Wissenschaftler*innen und den Hochschulpräsident*innen, dass sie ernsthaft diese Kooperationen verfolgen und stärken. Wissenschaftler*innen müssen sie mit Leben füllen, und Hochschulleitungen müssen ihnen die notwendige Priorität geben.
2. Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Mit den Hochschulverträgen haben wir – wie ich oben geschrieben habe – ambitionierte Ziele vereinbart. Doch diese Ziele können nur ein Baustein sein. Mit der Einführung des Anschlusszusagen-Modells für Post-Docs hat Berlin einen mutigen Weg eingeschlagen. Diesen werden wir umsetzen, ohne erst ausstehende Bundesverfassungsgerichtsurteile abzuwarten. Doch würde uns eine WissZeitVG-Novelle helfen, die uns Ländern diesen Spielraum gibt. Berlin soll nicht nur ein exzellenter Standort für Wissenschaft bleiben, wo junge Wissenschaftler*innen gern forschen, sondern wir wollen jungen Menschen auch Perspektive und Sicherheit bieten. Diese Regelung umzusetzen, wird die Personalentwicklung an Universitäten in ihren Grundzügen ändern. Das haben die Berliner Universitäten schon verinnerlicht, die mit uns gemeinsam Modelle der Umsetzung entwickeln. Diese Umsetzung wird Zeit brauchen, aber am Ende sollen verlässliche und rechtssichere Perspektiven für Post-Docs stehen.
3. Investitionen in den Hochschulbau: Die einstürzenden Decken einer Berliner Universität waren im Sommer 2023 der mediale Höhepunkt einer Debatte über den Sanierungsstau in der Wissenschaft. Dieser betrifft nicht nur Berlin. Eine finanziell gut ausgestattete Wissenschaft bringt uns gar nichts, wenn sie in heruntergekommenen Gebäuden arbeiten muss. Die Vorkommnisse sind Symbol für eine über Jahrzehnte vernachlässigte öffentliche Infrastruktur. Die Berliner Hochschulen müssen deshalb in den kommenden Jahren ihren deutlichen Beitrag leisten: mehr Mittel in den Bauunterhalt und einen sehr deutlichen Abbau ihrer hohen Rücklagen zugunsten von Sanierungsprojekten.
So wichtig diese Stellschrauben sind, sie werden dieses über einen so langen Zeitraum akkumulierte Problem nicht allein lösen.
Die Minimierung des Investitionsstaus ist in meinen Augen deshalb die zentrale Herausforderung in der Wissenschaft. Wir merken, dass öffentliche Haushalte immer weniger dazu in der Lage sind, ihn aufzulösen. Auch wenn ich mir eine stärkere Beteiligung des Bundes beim Hochschulbau wünschen würde, auf ihn kann in dieser Frage wahrscheinlich kein Verlass sein. Deshalb müssen wir über alternative Finanzierungen nachdenken. Dabei müssen wir Tabus der vergangenen Jahre aufbrechen: Wir müssen auch in den Kategorien öffentlich-öffentlicher Partnerschaften denken, etwa in Form von öffentlichen Hochschulbaugesellschaften. Auf bessere Haushaltszeiten zu hoffen, wird nichts nützen.
Wenn wir wollen, dass unsere exzellente Wissenschaft auch unter den bestmöglichen Bedingungen entstehen kann, müssen wir jetzt aktiv werden. Dazu braucht es Mut und Entschlossenheit. Als Politik sind wir bereit, ihn zu zeigen.
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Am Mittwochnachmittag überreichen die EFI-Wissenschaftsweisen ihr Jahresgutachten an Bundeskanzler Scholz. Der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner spricht im Interview über den transformationspolitischen "Schlingerkurs" der Ampel, Deutschlands Bildungskrise und den Rückstand bei der KI-Entwicklung, die Öffnung zur Militärforschung – und was die Regierung trotz allem richtig macht.
Uwe Cantner, 63, ist seit Mai 2019 Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). An der Universität Jena hat er eine Professur für VWL/Mikroökonomie, seit 2014 ist er Vizepräsident seiner Universität. Foto: David Ausserhofer.
Herr Cantner, wenn Sie nach der Überreichung des neuen EFI-Jahresgutachtens eine Minute allein hätten mit Olaf Scholz, was würden Sie ihm raten?
Meine wichtigste Botschaft an den Bundeskanzler wäre: Trotz aller Riesenaufgaben von der Verteidigungs- über die Sicherheits- bis hin zur Klimapolitik dürfen Forschung und Innovation auf keinen Fall unter die Räder der immer schärferen Budgetkonkurrenz geraten. Und dann würde ich ihm ein paar Vorschläge machen, wie sich die Bearbeitung der unterschiedlichen Herausforderungen geschickt mit einer gut ausfinanzierten F&E-Politik kombinieren ließe.
Alle wissen doch, dass sich die großen Probleme von heute und morgen nur mithilfe der Wissenschaft lösen lassen. Warum glauben Sie trotzdem, dass so eine Warnung nötig ist?
Weil wir die Transformation unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und damit auch die nötige Forschung und Entwicklung jetzt durchführen und finanzieren müssen, die Erträge aber erst weit nach den nächsten Wahlen sichtbar werden. Da ist es politisch opportuner, große Investitionsprogramme für die Bundeswehr zu beschließen oder Konjunkturstimuli, die schnell wirken. Wir dürfen über dem kurzfristig Drängendem nicht das langfristig Erforderliche aus den Augen verlieren.
Sie sagen es selbst: Politiker wollen Wahlen gewinnen, anstatt sie jetzt zu verlieren und in 15 Jahren Recht gehabt zu haben.
Dieser Gegensatz ist nicht zwangsläufig. Es ist durchaus möglich, Verantwortung für heute und für die Zukunft zu übernehmen. Also Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, die schnell helfen, mit ihren Auswirkungen aber der nächste Generation zu Gute kommen. Natürlich muss ich so einen langfristigen Plan den Wählerinnen und Wählern unbedingt erklären, sie dafür gewinnen. Die Grünen versuchen das meiner Meinung nach zurzeit am ehesten.
Und bekommen entsprechend Gegenwind. Sagen Sie mir bitte, wann eine Regierung das zuletzt so gehandhabt hat und dann erfolgreich bei Wahlen war.
(lange Pause) Bei der Wiedervereinigung, beim Aufbau Ost, da hat es funktioniert.
Den Eindruck hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vermutlich nicht, als er von Demonstranten mit Eiern beworfen wurde.
Proteste wird es immer geben, wenn sich Dinge ändern. Aber Kohl ist 1994 wiedergewählt worden. Und er hat das sehr geschickt angestellt mit seinem Versprechen, in zehn Jahren werde es im Osten "blühende Landschaften" geben. Bis die da waren, hat es zwar – im Nachhinein betrachtet – deutlich länger gedauert, aber er hat es mit diesem Narrativ geschafft, die Leute hinter sich zu bringen. Mehr noch: Er hat einen parteiübergreifenden Konsens in der Politik hergestellt, der ziemlich lange gehalten hat. Man hat das zusammen durchgezogen. So lange, bis wichtige Weichen gestellt waren. Ein bisschen von diesem Geist würde ich mir heute wünschen. Zuerst hatte ich den Eindruck, der Ampel-Koalitionsvertrag, der sehr ambitioniert war, wäre ein Signal für einen solchen gemeinsamen Aufbruch. Aber in der Praxis der drei Parteien prallen die Ideologien aufeinander. Und in der Wahrnehmung der Wähler verlieren alle Koalitionspartner – und extreme Kräfte bekommen Aufwind.
"Jeden Tag wird eine andere Technologie durchs Dorf getrieben, die abgelöst oder besonders gefördert werden soll. Die Politik generiert keine Ziele, sondern Unsicherheit."
Ist es nicht erwartbar, dass bei einer Transformationsaufgabe dieser Größe die Fetzen fliegen?
Ich habe nichts dagegen, wenn über die Maßnahmen gestritten wird: Steuererhöhung, Steuersenkung, Subventionsabbau, Gebote und Verbote, solche Dinge. Das Problem ist, wenn darüber die gemeinsamen Ziele verloren gehen. Die Regierung braucht einen Zielkorridor, wo sie hinwill, und dieser Zielkorridor muss über eine Legislaturperiode und die jetzige Parteienkonstellation hinaus Bestand haben. Die Unternehmen haben hunderte Milliarden auf der hohen Kante, aber sie geben sie nicht aus, weil sie nicht wissen, in was sie investieren sollen. Jeden Tag wird eine andere Technologie durchs Dorf getrieben, die abgelöst oder besonders gefördert werden soll. Die Politik generiert keine Ziele, sondern Unsicherheit.
Bekommen andere Länder das besser hin mit dem Zielesetzen?
Bei allen politischen Schwierigkeiten würde ich sagen, dass die USA besser sind im Ansagenmachen in Richtung ihrer Wirtschaft, im Setzen von Rahmenbedingungen. Oder nehmen Sie Österreich: Da hat die Bundesregierung einen nationalen Energie- und Klimaplan aufgestellt, auf den sich alle politischen Akteure verständigt haben, und unterlegt ihn strategisch-langfristig mit Maßnahmen wie der "Klimaneutralen Stadt". Natürlich ist es von Vorteil, wenn wie dort alle Zuständigkeiten in einem Ministerium konzentriert sind, das auch die operative Umsetzung übernimmt, das schafft Konstanz –während bei uns immer wieder irgendein Ressort oder eine Partei die Grundsatzfrage neu stellen will.
Vielleicht wird das Thema bei uns zu sehr überhöht? Anstatt die Transformation als Teil des politischen Tagesgeschäfts zu begreifen und unaufgeregt voranzutreiben, wird in Deutschland immer die große Umwälzung beschworen. In einer Vorversion des EFI-Gutachtens stand, es handle sich um eine "Herkulesaufgabe" ohne Vorbild, die von den finanziellen Dimensionen vergleichbar sei mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.
Den Satz haben wir gestrichen, obwohl ich persönlich ihn angemessen fand. Entscheidend ist: Für diese Transformation gibt es keine Blaupause, keine Erfahrungswerte. Unserer deutschen Mentalität entspricht es, dass wir erstmal stehen bleiben und alles haarklein vorab besprechen und regeln wollen. Am besten juristisch wasserdicht. Anstatt wie andere Länder erstmal loszulaufen, auszuprobieren, und wenn etwas nicht funktioniert, unaufgeregt nachzusteuern.
Die deutsche Politik fördert diese Mentalität, wenn sie so tut, als ließen sich im Voraus alle Härten ausschließen. Schon in der Corona-Pandemie hat sie Milliarden und Abermilliarden ausgegeben, um auch denen die Verluste auszugleichen, denen sie gar nicht wehgetan haben.
Die Politik weiß genau, dass sie solche Versprechen nicht halten kann. Die Transformation kostet fürchterlich viel Geld, es wird Gewinner und Verlierer geben, das kann man nicht alles abfangen. Doch aus Angst vor den Protesten entstehen solche politischen Lebenslügen. Und in der Not nimmt man dann Gelder, die für die Bekämpfung der Coronakrise vorgesehen waren, und will sie für die Transformation einsetzen – bis das Bundesverfassungsgericht einem einen Strich durch die Rechnung macht.
Im EFI-Gutachten sprechen Sie von einem "Schlingerkurs".
Nehmen Sie das Gebäude-Energie-Gesetz. Wie konnte man auf die Idee kommen, den Einbau von Gasheizungen kurzfristig verbieten zu wollen, obwohl man weiß, dass der Einbau von Wärmepumpen pro Haushalt 30.000 Euro kosten wird, wahrscheinlich sogar mehr? Und warum hat man die soziale Abfederung erst später nachgeliefert?
"Die Streichung der Subvention von Agrardiesel ist transformationspolitisch richtig. Ich darf aber bei der Umsetzung nicht gleich zwei Fehler machen."
Jetzt hat man die Pflicht aufgeweicht, und die staatliche Förderung bekommen alle, nicht nur die sozial Bedürftigen. Da ist sie wieder, die Beschwichtigungsstrategie auch denen gegenüber, die es sich leisten könnten.
Das ist wie bei der Subvention von Agrardiesel. Deren Streichung ist transformationspolitisch richtig. Ich darf aber bei der Umsetzung nicht gleich zwei Fehler machen. Erstens: Ich nehme die Streichung der Subvention für Flugbenzin raus, obwohl es die Reichen sind, die fliegen und Kerosin verbrennen. Und zweitens verzichte ich beim Agrardiesel auf eine soziale Kompensation, eine Staffelung abhängig von der Betriebsgröße etwa. Da sind Proteste vorprogrammiert. Um diese Unausgewogenheit auszugleichen wäre es wohl besser gewesen, alle Subventionen um einen einheitlichen Prozentsatz zu kürzen.
Sie widmen sich als EFI-Kommission diesmal ausführlich dem Bildungssystem. Die internationale Schulvergleichsstudie PISA hat gezeigt, dass deutsche Neuntklässler so schlecht lesen, schreiben und rechnen wie seit mindestens 20 Jahren nicht. Woraus Sie die Prognose ableiten, dass die Bundesrepublik über die nächsten Jahrzehnte eine unterdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung nehmen wird. Steckt da nicht ein Denkfehler drin? Wenn sich die Schülerleistungen ein, zwei Jahrzehnte später in der Innovationsdynamik widerspiegeln, müssten wir gerade einen Boom erleben, denn vor 15, 20 Jahren befand sich unser Bildungssystem nach dem ersten PISA-Schock kräftig im Aufwind.
Natürlich kann man die Ergebnisse von Bildungsstudien nicht eins zu eins auf das künftige Wirtschaftswachstum übertragen, da gibt es noch weitere Faktoren. Aber wir sollten die Entwicklung sehr ernstnehmen. Unsere künftige Innovationsfähigkeit als Gesellschaft entscheidet sich heute daran, wie gut wir den jungen Menschen die Grundkompetenzen vermitteln.
Dann machen Sie ein paar Vorschläge, was helfen würde.
Als EFI wollen wir vor allem eine nachdrückliche Warnung in Richtung Politik senden. Wir sind aber keine Bildungsforscher. Deren Botschaft ist allerdings überwiegend recht deutlich: weg vom Frontalunterricht, stattdessen eine interaktivere Unterrichtsgestaltung, ein Einsatz digitaler Medien und die Nutzung der neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, wo sie Sinn ergibt. Aber ohne zu überziehen – wir sehen, dass beispielsweise Schweden und Finnland den Grad der Digitalisierung in der Bildungsvermittlung zurückfahren. Wir müssen auch über die Prüfungsformate sprechen. Und ich kann nicht nachvollziehen, dass Deutschland zwar mit die höchsten Lehrergehälter weltweit hat, aber die Lehrerfortbildung wenig systematisch betreibt und zu wenig in sie investiert. Übrigens brauchen wir an den Hochschulen ebenfalls dringend wieder einen Diskurs über die Modernisierung der Studiengänge. Der ist leider zum Erliegen gekommen. Und die Lehrerbildung muss ins Zentrum der universitären Strategie rücken.
Unterdessen fallen Deutschland und Europa bei der nächsten Schlüsseltechnologie zurück, der Künstlichen Intelligenz, die viele Experten für die entscheidende für die kommenden Jahrzehnte halten. Bis vor einer Weile tröstete die Wissenschaft sich damit, wenn schon nicht in der Umsetzung in Anwendungen und Produkte, dann wenigsten in der KI-Entwicklung an der Weltspitze zu sein. Das, sagt Ihre Kommission, ist jetzt auch vorbei.
Nicht vorbei, aber wir drohen nach den Patenten auch bei den wissenschaftlichen Publikationen den Anschluss zu verlieren. Allerdings handelt es sich um eine sehr junge Technologie, die Entwicklungspfade sind nicht festgelegt, noch ist das Spiel nicht vorbei. Nehmen wir die großen KI-Sprachmodelle, da hat Open AI mit ChatGPT einen deutlichen Vorsprung, aber Aleph Alpha aus Deutschland und Mistral aus Frankreich sind in einer guten Position für eine Aufholjagd, um bei den Modellen der dritten Generation – vor allem in der Anwendung – die Augenhöhe zu erreichen.
Allein mir fehlt der Glaube. Es sind die US-Konzerne von Google über Facebook bis hin zu Microsoft und Apple, die seit Jahren die weltweiten Standards vorgeben und einen Innovationssprung nach dem anderen abliefern. Und wir Deutschen und Europäer setzen diese Technologien ein, diskutieren über Datenschutz, europäische Lösungen und das Erringen technologischer Souveränität, und während wir noch diskutieren und politische Pläne schmieden, stellen die Amerikaner oder Chinesen uns mit dem nächsten Game Changer vor vollendete Tatsachen.
Das muss nicht jedes Mal so laufen. Wir können uns immer noch auf eine starke Grundlagenforschung stützen, wir bilden hervorragende Leute aus. Die großflächige Einrichtung von KI-Professuren und Nachwuchsgruppen, die wir als EFI zunächst kritisiert haben, hat sich doch bewährt. Wenn Sie im Silicon Valley durch die Entwicklungsabteilungen der großen Tech-Konzerne laufen, stammt da gefühlt jeder dritte aus Deutschland.
"Wenn wir das attraktiv genug machen, gehen die Leute nach Dresden oder Tübingen anstatt nach Stanford oder Palo Alto."
Was nicht wirklich eine Beruhigung ist, wenn unsere KI-Talente keine Perspektiven für sich in Deutschland sehen.
Wenn sie keine Chance haben, mit ihrem Know How bei uns wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gehen sie weg, das ist richtig. Der Vorteil der amerikanischen Konzerne ist deren Größe und ein schier unerschöpfliches Finanzvolumen. Deutschland und Europa kann da nur mit KI-Ökosystemen gegenhalten. Diese können sich um Forschungszentren herum entwickeln, mit kleinen und größeren Laboren, Unternehmen und Start-ups. In Deutschland versuchen wir, mit den KI-Zentren Ähnliches zu entwickeln: Kerne der Grundlagenforschung, Hochschulen und Forschungsinstitute, und um sie herum eine geschickt aufgesetzte Startup-Förderung. Wenn wir das attraktiv genug machen, gehen die Leute nach Dresden oder Tübingen anstatt nach Stanford oder Palo Alto.
Sie können nicht mit ein bisschen staatlicher Gründerförderung den weltweiten Kapitalzustrom in die US-Tech-Community kompensieren. Die jungen Leute gehen nach Kalifornien, weil sie dort das Risikokapital erhalten, das ihnen in Europa keiner gibt.
Das kommt darauf an. Von einem bestimmten Punkt an entwickeln die Ökosysteme eine Eigendynamik, dann kommt das Geld, und die Investitionen folgen. Schauen Sie auf Intel oder Microsoft und ihre Pläne in Deutschland. Richtig ist, dass wir mehr mutige Unternehmer und Mäzene brauchen wie Dieter Schwarz, der massiv in Wissenschaft und Künstliche Intelligenz investiert und speziell in Aleph Alpha. Fest steht: Wenn wir es jetzt nicht mit aller Kraft versuchen, ist das Spiel wirklich entschieden zugunsten der USA oder von China. Innovationsfinanzierung, insbesondere im Start-up Bereich, ist ja ein deutsches Dauerproblem. Das lässt sich nicht nur mit deutscher Risikoaversion erklären, sondern auch mit dem Fehlen großer Pensionsfonds, die beispielsweise in den USA eine wichtige Rolle bei der Start-up-Finanzierung spielen. Aber das ist, wie gesagt, kein KI-spezifisches Problem.
Jetzt loben Sie die Politik bitte einmal.
Nur einmal? In unserem Gutachten sehen wir für Lob gleich mehrfachen Grund. Der wichtigste: Die Bundesregierung ist bei ihrer Forschungs- und Innovationspolitik an sich auf dem richtigen Weg. Sie ist sich der Aufgabe bewusst. Und sie beginnt bei allen erwähnten Inkonsistenzen mit der Umsetzung, sei es bei der Ausgestaltung der "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation", bei der Weiterentwicklung der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) oder dem Aufbau der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Natürlich würden wir uns bei der SPRIND wünschen, dass man ihr noch mehr rechtliche und finanzielle Freiräume gibt, dass die Bundesregierung zum Beispiel ganz auf ein Aufsichtsgremium verzichtet. Wir sehen aber ein, dass die Politik vermutlich so weit gegangen ist, wie sie kann. Bei der Zukunftsstrategie wiederum sind die Strukturen jetzt da, die Missionsteams zwischen den Ministerien wurden aufgestellt, die Beiräte installiert. Natürlich wäre es besser, wenn die Steuerung der Strategie nicht auf Ebene der Staatssekretäre angesiedelt wäre, sondern weiter oben. Und wenn sie einen eigenen Etat hätte, anstatt dass die Mitglieder der Missionsteams für jede Maßnahme Geld aus ihren Häusern mitbringen müssen. Aber jetzt sollten wir sie mal laufen lassen. Zu hoffen ist, dass der lange Atem da ist, in die eingeschlagene Richtung weiterzulaufen, falls es nächstes Jahr zu einem Regierungswechsel kommt. Bis eine Mission umgesetzt ist, wird es viele Jahre dauern. Womit ich wieder beim langfristigen Zielkorridor bin: Wir brauchen eine grundsätzliche Übereinkunft, die über die Ampel hinausreicht.
Eine Übereinkunft von wem? Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Ministerien am Ende doch zu stark die Richtung vorgeben und die Wissenschaftsfreiheit unter die Räder kommt?
Die Politik muss ihre Rolle genau definieren. Eine Mission vorgeben heißt: Wir wollen das Alte durch etwas Neues, Anderes ablösen. Aber was dieses Neue ist, geben wir nicht vor. Alles, was anders ist, kann erforscht und ausprobiert werden. Ein Beispiel: Wir wollen beim Automobilantrieb raus aus den fossilen Energien, aber in Hinblick auf die Alternativen fördern wir technologieoffen. Wir lassen die Akteure loslaufen und nutzen die Kreativität der Wissenschaft und des Marktes.
Dann hat die FDP also Recht mit ihren Mahnungen, bloß nicht einseitig auf Batterieantriebe zu setzen?
Richtig ist, dass der Markt entscheiden muss, welche Technologien überleben und sich durchsetzen und welche nicht. Das heißt nicht, dass ich als Politik nicht verschiedene Innovationsansätze zeitweise mit Subventionen unterstützen darf, aber es muss von Anfang an klar kommuniziert werden, dass diese Subventionen befristet sind. Wenn eine Innovation nicht von der Mehrheit der Bevölkerung angenommen wird, dann muss die Politik irgendwann aufhören, sie zu fördern. Wobei der Zeitpunkt, wann Subventionen beendet werden, mitunter sehr schwer zu bestimmen ist. Bei neuen, genmodifizierten Ansätzen in der Landwirtschaft ist das genauso. Wir sollten die Erforschung in jedem Fall ermöglichen und vom Ergebnis abhängig machen, was langfristig erlaubt ist und was nicht. Aber wir dürfen nicht schon die Entwicklung verhindern!
"Der geopolitischen Lage können auch wir Wissenschaftler uns nicht verschließen. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dollar, der in Militärforschung gesteckt wird, weitere 50 Cent an ziviler Forschung stimuliert."
Am Anfang haben Sie gesagt, in Zeiten der Budgetkonkurrenz komme es darauf an, die Finanzierung der aktuell drängenden Herausforderungen geschickt mit den nötigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu kombinieren. Aber was genau meinen Sie damit? Die Budgetkonkurrenz auflösen, indem die Wissenschaft in den Dienst der Aufrüstung gestellt wird?
So drastisch würde ich das nicht formulieren. Richtig ist aber: Das 100-Milliarden-Sondervermögen fließt nicht allein in militärisches Gerät. Ein Teil davon kann neue Forschungsansätze finanzieren, die einen Dual-Use-Charakter haben, also Richtung ziviler und militärischer Nutzung gehen. Was bei der Forschung zu Künstlicher Intelligenz eigentlich immer und grundsätzlich der Fall ist. Und noch ein Beispiel, das gar nichts mit Verteidigung zu tun hat: Wenn die Bundesregierung demnächst, über das Wachstumschancengesetz etwa, Maßnahmen zur Konjunkturstimulation ergreifen sollte, gehört da eine sogenannte Strukturkomponente rein. Also Investitionen, um den langfristig notwendigen Umbau der Industrie jetzt voranzutreiben. Das geht wiederum nur mit zusätzlichen F&E-Ausgaben.
Was Sie da beschreiben, würde bedeuten, dass sich Forscher auch an Ihrer Hochschule, der Universität Jena, darauf einstellen müssten, sich demnächst häufiger um Drittmittelaufträge der Bundeswehr zu bewerben.
Das erfordert ein Umdenken, ja. Aber der geopolitischen Lage, in der wir uns befinden, können auch wir Wissenschaftler uns nicht verschließen. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dollar, der in Militärforschung gesteckt wird, weitere 50 Cent an ziviler Forschung stimuliert. Ich sehe die Schwierigkeit für die Universitäten eher anderswo. Wenn Sie einen Auftrag der Bundeswehr annehmen, kann es sein, dass die Wissenschaftler anschließend ihre Erkenntnisse nicht publizieren dürfen. Aktuell höre ich, dass es bereits bei einzelnen Drittmittelprojekten, die von der Cyberagentur finanziert werden, solche Probleme gibt. Publizieren ist aber die Voraussetzung, um in der Wissenschaft Karriere zu machen. Insofern glaube ich nicht, dass wir viele rein militärische Forschungsaufträge an Universitäten sehen werden.
Sie loben die Bundesregierung auch dafür, dass Sie bei der DATI in die Umsetzung gekommen ist. Ist sie das? Das Gründungskonzept steht weiter aus, und die ersten Pilot-Förderlinien waren Kritikern zufolge so vage ausgeschrieben, dass es eine kaum zu handelbare Bewerbungsflut gab.
Das mit den vielen Bewerbungen finde ich überhaupt nicht schlimm. Das Ausschreibungsverfahren war bewusst experimentell aufgelegt, es musste breit sein, um den Transferbegriff möglichst offenzuhalten. Zum Glück ist man von der ursprünglichen Kanalisierung auf Hochschulen für Angewandte Wissenschaften weg. Was das Konzept angeht: Es gibt jetzt die Gründungskommission, und zu deren Aufgaben gehört neben der Auswahl von Ort und Leitung die Formulierung des finalen Konzepts.
Was ursprünglich anders gedacht war. Sonst hätte das BMBF die Kommission viel früher berufen.
Jetzt ist sie am Arbeiten, das zählt.
Wird die DATI wenigstens gleich die Freiheitsgrade bekommen, um die die SPRIND über Jahre kämpfen musste?
Vielleicht ja, vielleicht wird sich der Kampf auch wiederholen. Wichtig ist, dass die Agentur bald loslegt und ins Ausprobieren kommt. Dann werden wir sehen.
"Wenn von oben, von der Ministeriumsspitze, kein Druck gemacht wird, es anders zu machen, dann sind all die Beschwörungen und Ambitionen nichts wert. Es ist ein Drama."
Apropos: Evaluationen neuer Einrichtungen, Projekte und Förderlinien gehören inzwischen nicht nur in der Innovationspolitik zum Alltag. Nur dass sie laut Ihrem Gutachten oft nicht richtig aufgesetzt sind.
Wir haben uns die Evaluationspraxis in zwei Ministerien angeschaut, dem BMWK und dem BMBF. In beiden Häusern existieren eigene Referate für Evaluation mit hochkompetenten Mitarbeitern, die wissen, wie es geht. Das BMWK hat im Jahr 2013 bereits eine Richtlinie zur Durchführung von Evaluationen erstellen lassen, die stimmt Punkt für Punkt. Trotzdem sehen wir viele Evaluationen, die nach dem Prinzip laufen: Ich gebe Geld, um zum Beispiel ein bestimmtes Technologiefeld zu fördern. Und wenn dieses Technologiefeld sich in ein paar Jahren positiv entwickelt hat, sage ich: Bingo, hat funktioniert. Obwohl das 1000 Gründe haben kann und überhaupt nicht an der Förderung liegen muss. Aber man weiß es nicht besser, weil man die Erfolgskriterien vorher nicht richtig bestimmt, keine Kontrollgruppe eingerichtet hat und nicht methodisch sauber misst.
Wie kann das sein?
Die Expertise im eigenen Haus wird nicht ausreichend genutzt, man hört nicht auf das, was die Fachleute im Evalutionsreferat sagen. Und den Einrichtungen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die extern mit der Evaluation beauftragt werden, verweigert man in der Regel die Herausgabe der notwendigen Daten, selbst wenn man sie hat. Das ist paradox. Offenbar herrscht in vielen Referaten immer noch Angst vor zu viel Transparenz – vielleicht aus Furcht, bei einer negativen Evaluation Budget einzubüßen. Weswegen das, was ein Ministerium anstößt, per definitionem positiv wirken muss. Wenn von oben, von der Ministeriumsspitze, kein Druck gemacht wird, es anders zu machen, dann sind all die Beschwörungen und Ambitionen nichts wert. Es ist ein Drama.
Am Ende bekommen Sie noch eine zweite Minute mit Olaf Scholz. Ihr Rat an den Bundeskanzler?
Bei der Forschungs- und Innovationspolitik unbedingt Kurs beibehalten. Die Innovationspolitik der Bundesregierung ist nicht konturenscharf, aber die prinzipielle Richtung stimmt. Sich über die Ziele einigen, und wenn dann über den Weg und die Instrumente gestritten wird, ist das nicht schlimm. Entscheidend ist, nicht bei jeder Protestaktion zurückzuschrecken, sondern beharrlich zu erklären und auch mal klare Ansagen zu machen. Zu Beginn des Ukrainekriegs, als Deutschland eine Energiekrise abwenden musste, hat Robert Habeck das gemacht. Er hat jeden Abend erklärt, worum es geht und worauf es jetzt ankommt. Mittlerweile hat er das eingestellt. Wirklich schade.
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Die stetig fortschreitende Urbanisierung ist eine der prägenden Entwicklungen unserer Zeit. Mit einer immer größeren Bevölkerung, die sich in Städten niederlässt, haben sich urbane Gebiete zu den Knotenpunkten unserer Gesellschaft entwickelt. Sie sind Treffpunkt für Innovationen, Wirtschaftswachstum und kulturellen Austausch.Doch mit dieser enormen Verdichtung der Bevölkerung in städtischen Ballungsräumen geht auch eine Reihe komplexer Herausforderungen einher. Städte stehen vor einem wachsenden Druck, die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen, aber auch gleichzeitig ökologische und soziale Nachhaltigkeit sicherzustellen (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 1ff.).In diesem Kontext hat sich das Konzept der "Smart City" in den letzten Jahren als zukunftsweisender Ansatz erwiesen. Die Smart City stellt eine strategische Herangehensweise dar, die auf Technologie und Innovation setzt, um Städte intelligenter, nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten. Der Kerngedanke besteht darin, städtische Ressourcen effizienter zu nutzen und gleichzeitig die Lebensqualität der Bürger*innen zu erhöhen (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 7f.). Eine Smart City nutzt moderne Technologien, wie künstliche Intelligenz (KI) und Big Data-Analysen, um urbane Prozesse zu optimieren.Trotz des Potenzials zur Förderung einer nachhaltigen Stadtentwicklung gibt es jedoch auch einige Herausforderungen, mit denen sich die Städte konfrontiert sehen. Datenschutz und Privatsphäre sind wichtige Anliegen, insbesondere angesichts der Vielzahl von Daten, die in einer Smart City erfasst werden. Die Finanzierung solcher umfassenden städtischen Transformationen kann ebenfalls ein Hindernis darstellen. Des Weiteren stellt die Einbeziehung der Bürgerschaft eine komplexe Aufgabe dar.Die folgende Arbeit befasst sich mit dem Konzept Smart City und fragt nach den damit zusammenhängenden Chancen und Herausforderungen. Welche Chancen bietet das Konzept für eine nachhaltige Stadtentwicklung? Um ein vertieftes Verständnis für die Smart City als einen richtungsweisenden Ansatz zur Bewältigung der städtischen Herausforderungen im Hinblick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung zu erlangen, wird die Stadt Freiburg im Breisgau herangezogen, die als ein Beispiel für eine intelligente und nachhaltige Stadtentwicklung und Stadtplanung steht.Warum Smart City?Mit dem Eintritt in das neue Jahrtausend hat sich eine bedeutende Entwicklung abgezeichnet: Das Zeitalter der Städte hat begonnen, und erstmalig in der Geschichte der Menschheit wohnt die Mehrheit der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten. Dieser Wandel ist eng mit einem Anstieg der Weltbevölkerung verbunden. Im Jahr 1950 lebte weniger als ein Drittel der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten. Seit 2007 ist dieser Anteil auf mehr als die Hälfte angestiegen. Laut Berechnungen der Vereinten Nationen werden bis zum Jahr 2050 voraussichtlich etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben (vgl. bpb 2017, o.S.).Mit dem Zuwachs der urbanen Bevölkerung rücken vermehrt Potenziale und Herausforderungen hinsichtlich der Städte im globalen Entwicklungsprozess in den Fokus, darunter die Bekämpfung von Armut, die Integration marginalisierter Gruppen, das Wirtschaftswachstum sowie die Verwirklichung von Klima- und Entwicklungszielen. Der anhaltende Trend zur Urbanisierung erfordert spezifisch angepasste und nachhaltige Ansätze für die Gestaltung von urbanen Siedlungen (vgl. Jaekel 2015, S. 2f.).Durch dieses Wachstum entstehen jedoch auch Risiken. Mit dem rapiden Anstieg der Bevölkerungszahlen geht eine Zunahme des motorisierten Verkehrs einher. Dies führt u.a. zur Verkehrsstauung und verstärkten Lärm- und Schadstoffemissionen. Gleichzeitig kommt es zur Verschmutzung von Böden und Gewässern und vermehrter Bebauung landwirtschaftlicher Flächen (vgl. Weiland 2018, o.S.).Außerdem weisen Städte einen erhöhten Bedarf an Ressourcen wie z.B. Wasser, Energie und Rohstoffe für Gewerbe, Haushalte und Verkehr auf. Städte tragen damit überproportional zur Nutzung vorhandener Ressourcen bei, zu steigenden CO2-Emissionen und gelten damit als ein Verursacher der globalen Klimaerwärmung (vgl. Weiland 2018, o.S.). Natürliche Lebensräume und die Artenvielfalt sind gefährdet, wodurch die Städte gleichzeitig ihre eigene Lebensgrundlage zerstören (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 7). Dabei sind es insbesondere die Städte, die"das Potenzial [haben], durch ihre Dichte und Struktur klima- und ressourcenschonend zu wirtschaften und durch geeignete Maßnahmen den Schutz der lebendigen Umwelt zu fördern" (Etezadzadeh 2015, S. 5).Städte spielen demnach eine entscheidende Rolle im Kontext des ökologischen Fortschritts und des Klimaschutzes. Eine auf Umweltbewusstsein basierende Stadtentwicklung kann wesentlich zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen beitragen. Dabei stellt das Konzept der Smart City einen Ansatz dar, diese Schwierigkeiten anzugehen (vgl. LpB BW 2022, o.S.). Das Konzept Smart CityFür die genannten urbanen Herausforderungen im Hinblick auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte gibt es verschiedene Ansätze, Konzepte und Lösungsmodelle, welche unter dem Begriff "Smart City" firmieren. Grundsätzlich wird Smart City als ganzheitlicher Lösungsansatz gesehen, bei dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt sind. Dabei gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs."Aus der Erkenntnis, dass den Herausforderungen einer Stadt mit einem umfassenden Ansatz begegnet werden muss, entstand die Idee der intelligenten Stadt" (Hadzik 2016, S. 10).Das Konzept der Smart City integriert verschiedene Bereiche des urbanen Lebens: die soziale und bauliche Infrastruktur, Verkehr, Mobilität, Energie, Nachhaltigkeit, Dienstleistungen, Politik, aber auch die generelle Stadtentwicklung und ihre Planung (vgl. Hadzik 2016, S. 10). Einen zentraler Bestandteil der Welt der Smart City stellt die Verwendung von digitaler Technologie dar. Hier sehen sich die Städte dem Anspruch gegenüber, digitale Instrumente adäquat einzusetzen und damit für effizientere und nachhaltigere Prozesse zu sorgen. Durch deren Einsatz sollen intelligente Lösungen für das urbane Leben geschaffen werden (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 46f.). Zwar gibt es keine einheitliche Vorstellung davon, was "Smart City" ist und sein soll, jedoch ist"den meisten Ansätzen […] gemein, dass man unter 'Smart City' den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zum Zwecke einer integrierten Stadtentwicklung versteht" (Hoppe 2015, S. 5).Dadurch stellen Klimaschutz, die Steigerung der Lebensqualität für Bewohner*innen, wachsende Partizipation, Inklusion und Effizienz von Ressourcen übergeordnete Ziele dar, welche mithilfe dieser Technologien erreicht werden sollen (vgl. Hoppe 2015, S. 5). Vor diesem Hintergrund sollen "smarte" Lösungen die Antwort hinsichtlich einer Optimierung urbaner Prozesse sein (vgl. Libbe 2019, S. 2). Der Unterschied zwischen einer "normalen" Stadt und einer Smart City liegt demnach darin, dass eine Smart City durch Digitalisierung"effizienter, nachhaltiger und fortschrittlicher sein [soll]. Das kann die Infrastruktur betreffen, Gebäude, Mobilität, Dienstleistungen oder die Sicherheit" (LpB BW 2022, o.S.).Es hat sich gezeigt, dass der Smart City- Ansatz nicht als fertige Lösungsstrategie betrachtet werden und auch nicht als vollständig ausgearbeitetes Modell angesehen werden kann (vgl. Jaekel 2015, S. 31), sondern vielmehr als eine Reihe von Entwicklungsstrategien (vgl. LpB 2022, o.S.). Es lassen sich jedoch verschiedene Bausteine identifizieren.Bausteine einer Smart CityNach Steinbrecher, Salg und Starzetz (2018, S. 2) lassen sich sechs Bereiche der Smart City ausmachen: Smart Economy, Smart People, Smart Governance, Smart Mobility, Smart Environment, Smart Living.Smart Economy: Das Ziel der Smart Economy besteht darin, die umfangreichen Innovationsmöglichkeiten von Städten zu nutzen, um wirtschaftliche Herausforderungen und Veränderungen erfolgreich zu bewältigen. Hierbei sollen die reichhaltigen Daten- und Informationsressourcen von Städten eingesetzt werden, um bestehende Wirtschaftszweige zu stärken, z.B. durch die Optimierung von Produktions- oder Dienstleistungsprozessen. Gleichzeitig soll die Entstehung neuer Wirtschaftszweige gefördert werden, etwa durch die Entwicklung digitaler Angebote für Bürger*innen und Unternehmen.Smart People: Für die Umsetzung aller digitalen und "smarten" Anwendungen ist es erforderlich, dass die Bürger*innen und Unternehmen über digitale Fähigkeiten verfügen, um die vorhandenen Angebote nutzen oder sogar weiterentwickeln zu können. Der Bereich "Smart People" bezieht sich darauf, das Ziel zu verfolgen, die digitalen Kompetenzen der Menschen so zu fördern und auszubauen, dass die aktiv an der Gestaltung ihrer Stadt, der Wirtschaft und der Umwelt teilhaben und mitwirken können.Smart Governance: Smart Governance strebt danach, eine engere Verbindung zwischen Bürgern und Verwaltung herzustellen. Dieses Konzept zielt darauf ab, die Abläufe und Interaktionen innerhalb der Verwaltung zu optimieren und die Kommunikation zwischen der Verwaltung und den Bürgern zu verbessern. Dies erfordert nicht nur den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), sondern auch die Entwicklung neuer Methoden, um eine tiefere Beteiligung der Bürger zu ermöglichen und innovative Wege für digitale Bürgerbeteiligung zu schaffen.Smart Mobility: Der Transportsektor trägt maßgeblich zum Energieverbrauch und den Emissionen von Treibhausgasen bei. Außerdem sind andere Umweltauswirkungen wie Lärm und Luftverschmutzung stark mit dem Verkehr verknüpft. Eine effiziente Mobilitätsstrategie zielt darauf ab, die negativen Auswirkungen des Verkehrssektors zu reduzieren, während sie den hohen Mobilitätsanforderungen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Smart Mobility strebt an, Lösungen zu entwickeln, die von IKT unterstützt werden und die Umweltbelastung und Lärmbelästigung signifikant verringern. Dies beinhaltet die Weiterentwicklung bewährter Transportkonzepte, wie autonome und emissionsfreie Verkehrslösungen, sowie die Optimierung des Verkehrsflusses durch Echtzeit-Verkehrsleitsysteme. Darüber hinaus kann auch die Integration alternativer Mobilitäts- und Stadtplanungskonzepte, wie z.B. die Förderung einer "Stadt der kurzen Wege", die idealerweise ohne motorisierten Verkehr auskommt, Teil einer Smart Mobility-Strategie sein.Smart Environment: Im Bereich des Smart Environment lassen sich intelligente Ansätze zur Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs verorten. Dazu gehört u.a. die Verbesserung der Überwachung und Steuerung von Umweltbedingungen, beispielsweise durch kontinuierliche Überwachung der Luft- oder Wasserqualität. Diese Herangehensweise erfordert gleichzeitig eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen. IKT-basierte Anwendungen und Infrastrukturen wie Smart Grids spielen hierbei eine entscheidende Rolle, da sie dazu beitragen, das Angebot und die Nachfrage von Energie effizienter aufeinander abzustimmen.Smart Living: Dieser Bereich zielt darauf ab, IKT-basierte Anwendungen stärker einzubinden und damit zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Bürger*innen beizutragen. Dies kann z.B. durch einen höheren Komfort bei der Bedienung drahtlos vernetzter Haushaltsgeräte, wie der Kaffeemaschine oder der Heizung, geschehen (vgl. Steinbrecher, Salg, Starzets 2018, S. 2).Im Folgenden werden konkrete Handlungsfelder und Anwendungsbereiche des Konzepts Smart City betrachtet, wobei der Fokus insbesondere auf die Umsetzung in der Stadt Freiburg im Breisgau liegt. Welche Ideen, Innovationen und Anwendungen konnten in Freiburg bisher realisiert werden und was plant die Stadt weiter in Richtung Smart City? Um ein umfassendes Bild der Thematik zu erlangen, werden im Anschluss die damit zusammenhängenden Chancen und Herausforderungen für die Transformation urbaner Räume durch das Konzept der Smart City dargestellt. Chancen von Smart City-Konzepten – die Stadt Freiburg im Breisgau"Gutes Zusammenleben, saubere Luft angenehmes Stadtklima, emissionsarme Mobilität, Raum für Fußgänger, attraktiv für Kreative und Engagierte, Unternehmen und Gäste. Sicherer Alltag, freundliche und offene Quartiere, in denen wir gerne leben" (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 1).Im Folgenden wird die Stadt Freiburg zur Betrachtung herangezogen und danach gefragt, wie diese die Inhalte und Prinzipien des Konzepts Smart City konkret umsetzt. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich dabei für Freiburg, aber auch für andere Städte auf dem Weg in die "smarte" Richtung? Das folgende Video gibt einen Überblick über die (digitalen) Ziele der Stadt (digital.freiburg 2019: https://www.youtube.com/watch?v=3clTSCU1NjY) Freiburg ist eine der zahlreichen Städte in Deutschland, die damit begonnen haben, bestimmte Maßnahmen bezüglich des Feldes der "smarten" Stadtplanung und Stadtentwicklung anzugehen. Dabei haben die Städte Freiburg, Mannheim, Aalen und Heidenheim in Baden-Württemberg im Jahr 2020 beim Bundeswettbewerb "Smart Cities made in Germany" eine Förderung für digitale Zukunftsprojekte erhalten (vgl. LpB BW 2022, o.S.).Freiburg hat eine Digitalstrategie entwickelt hinsichtlich der Frage, wie Digitalisierung helfen kann, die Stadt nach den Vorstellungen der Menschen zu entwickeln. Diese digitale Agenda besteht aus insgesamt sechs Themenfeldern. Jedes Themenfeld umfasst Maßnahmen und Ziele, welche die Entwicklung der Stadtgesellschaft im Blick haben. Die Digitalisierungsstrategie beschreibt das Freiburg der nächsten sechs Jahre und zielt auf das Jahr 2025 ab (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 6).Digitalstrategie Freiburg: https://digital.freiburg.de/digitalstrategie Im Folgenden werden die sechs Themenfelder der Strategie und einige damit zusammenhängende Maßnahmen betrachtet, um ein umfassenderes Bild der Smart City Freiburg gewinnen zu können.1. Lebenswelten. Familie. GesundheitDigitales Nachbarschaftsnetzwerk: Freiburg entwickelt unter dem Namen "Soziale Nachbarschaft und Technik" (SoNaTe) aktuell ein digitales Kommunikationsnetzwerk. Dabei sollen soziale Nachbarschaften in Kommunen und Regionen gestärkt werden. Das Ziel ist die lokale Verbindung von Menschen, Gruppen, Organisationen und Unternehmen, aber auch die Vereinfachung des Zugangs zu Kommunikation, Dienstleistungen, Infrastruktur und Freizeitangeboten. Die Plattform als Alternative zu etablierten sozialen Medien soll bundesweit eingesetzt werden und die Teilhabe ihrer Nutzer*innen gewährleisten.Online-Vermittlung von Räumen in der Stadt: Die Stadt arbeitet in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kooperationspartnern daran, ein Online-Tool zur Vermittlung von Räumlichkeiten zu entwickeln. Dieses Tool soll dazu beitragen, die gemeinsame und effiziente Nutzung von städtischen Räumen, Hallen und Vereinsräumen zu fördern. Darüber hinaus wird es dazu beitragen, das vielfältige Engagement von städtischen Initiativen besser sichtbar zu machen.Digitale Unterstützung bei Feuerwehr und Rettungsdienst: Die Integrierte Leitstelle (ILS) in Freiburg befindet sich derzeit in der Entwicklungs- und Testphase als Pilotstandort für eine fortschrittliche Handyortung namens AML (Advanced Mobile Location) im Falle eines Notrufs über Smartphones. Zusätzlich unterstützt die ILS Freiburg die Ersthilfe-App namens "FirstAED", die dazu dient, die nächstgelegenen Ersthelfer zu alarmieren. In Zukunft soll die ILS Freiburg eine automatisierte "Nächste-Rettungsmittel-Strategie" einführen, die auf GPS-Ortung direkt aus dem Einsatzleitsystem der ILS Freiburg basiert. Gleichzeitig wird im Rahmen des Landesprojekts "Leitstelle Baden-Württemberg" ein vernetzungsfähiges Einsatzleit- und Kommunikationssystem aufgebaut. Parallel dazu wird der Ausbau von vernetzten, GPS-gesteuerten Ampelvorrangschaltungen und bevorzugten Strecken vorangetrieben, die auch von Fahrzeugen der Freiwilligen Feuerwehren genutzt werden können (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 19ff.).2. Gesellschaft. Ethik. VertrauenBürgerschaftliche Beteiligung mit digitalen Mitteln: Um sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger von Freiburg effektiv und einheitlich an städtischen Angelegenheiten teilnehmen können, wurde ein IT-gestütztes Instrument eingeführt. Die Website "mitmachen.freiburg.de" bietet verschiedene Beteiligungsmodule an, die je nach Art des Projekts flexibel eingesetzt werden können. Die Online-Beteiligung wird aktiv ausgebaut und soll als Standardmethode neben den traditionellen analogen Beteiligungsformaten etabliert werden. Zusätzlich soll die formelle Beteiligung der Bürger*innen bei der Bauleitplanung durch den Einsatz digitaler Tools vereinfacht und verbessert werden. In Zukunft wird die Stadtverwaltung verschiedene Formen der Beteiligung anbieten, die im Einklang mit dieser Digitalisierungsstrategie stehen (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 31).3. Bildung. Kultur. WissenschaftIndustrie 4.0-Labor-Walter-Rathenau-Gewerbeschule: Im Mai 2018 wurde ein Labor eingerichtet, das mit digital gesteuerten Produktionsmodulen wie Industrierobotern und Automatisierungssystemen ausgestattet ist. Ziel war es, intelligente Produktionsprozesse zu entwickeln und Schulungen auf der Grundlage realer Industriestandards durchzuführen. Dieses Labor ist äußerst flexibel, da seine Komponenten und Schnittstellen denen in der Industrie gleichen. Es kann problemlos an aktuelle Entwicklungen und neue Industriestandards angepasst werden. Die Einrichtung des Industrie 4.0-Labors erfolgte in enger Abstimmung mit den Anforderungen der Wirtschaft und wurde speziell auf den Schulbetrieb abgestimmt. Die Finanzierung für dieses Labor erfolgte ausschließlich aus dem städtischen Haushalt.Museen Digital: Die Planungen für das "Museum der Zukunft" umfassen die Erwägung neuer Ausstellungsformate im Kontext der Digitalisierung. Dabei werden innovative digitale Vermittlungswege sowie die Nutzung von Social Media in Betracht gezogen. Ein Hauptziel besteht darin, den Besucherinnen und Besuchern einen einfachen und unmittelbaren Zugang zu Informationen und den Dienstleistungen der Museen zu ermöglichen. Die Ausstellungsinhalte sollen durch vielfältige multimediale und interaktive Vermittlungsformate lebendiger erlebbar gemacht werden. Dies könnte den Einsatz von Technologien wie Augmented Reality, 3D-Visualisierungen und sogar spielerische Elemente wie Gaming-Formate einschließen. Eine zentrale Grundlage für die digitale Vermittlung ist eine umfangreiche Museumsdatenbank, die als Wissensspeicher dient und die digitale Sammlung erweitert. Auf dieser Basis kann die Museumsdatenbank in einem weiteren Schritt mit den physischen Ausstellungsobjekten verknüpft werden, um die reale Ausstellung um Informationen zu Entstehungsprozessen, Techniken, Materialien und Geschichte zu bereichern (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 43ff.).4. Digitale StadtverwaltungDigitaler Posteingang, Digitale Akten- und Vorgangsverwaltung: Die Einführung der elektronischen e-Akte ist bereits weit fortgeschritten und bildet das Fundament für die Digitalisierung in der Verwaltung. Sie eröffnet die Möglichkeit zur Effizienzsteigerung von Arbeitsabläufen und ermöglicht flexibleres Arbeiten, unabhängig von Zeit und Ort. Dies hat zur Folge, dass Informationen und Dokumente nicht mehr in vielfacher Ausführung und in verschiedenen Medien an verschiedenen Orten aufbewahrt werden müssen. Die Einführung der e-Akte ermöglicht sogenannte "medienbruchfreie" Prozesse und verbessert die Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger. Die positiven Auswirkungen der e-Akte erstrecken sich somit über die internen Verwaltungsabläufe hinaus.Digitale Stadt- und Bauplanung: Wie viele Großstädte in Deutschland steht auch Freiburg vor der Herausforderung, schnell neuen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der gleichzeitig umweltfreundlich und nachhaltig ist. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, sollen Bauplanung und baurechtliche Verfahren mithilfe digitaler Werkzeuge vereinfacht werden. Aktuell werden die baurechtlichen Aspekte in der gesamten Stadt digital erfasst. Gleichzeitig werden neue Bauprojekte in einem standardisierten digitalen Format entwickelt (XPlanung/XBau). Dieser Ansatz ermöglicht nicht nur eine digitale Beteiligung aller Betroffenen in den verschiedenen Phasen des Planungsprozesses, sondern ebnet auch den Weg für digitale Bauanträge. Durch teilautomatisierte digitale Prüfungen wird die Zeitspanne von der Antragstellung bis zur Genehmigung verkürzt. Zusätzlich werden aus den verfügbaren digitalen Informationen dreidimensionale Pläne (ein "digitaler Zwilling") erstellt, die umfassende Analyse- und Berichtsoptionen für die Stadtentwicklung bieten. In diesem Zusammenhang ermöglicht eine detaillierte digitale Darstellung von Gebäudemodellen (Building Information Modeling - BIM) die Verknüpfung von Entwurfsvisualisierungen, Baufortschritt, Genehmigungsverfahren und Gebäudemanagement.Service Management für digitale Bürger*innenanfragen: In Zukunft sollen alle digitalen Anfragen von Bürger*innen in ein zentrales Ticketsystem geleitet werden. Dieses System soll einen einheitlichen, zentral gesteuerten Bearbeitungsprozess bieten. Die verschiedenen Dienststellen und Ämter sollen in dieses Ticketsystem integriert werden und können darüber den gesamten Kommunikationsprozess abwickeln. Die Nutzung von Automatisierung, die Möglichkeit zur Überwachung, Steuerung und Auswertung innerhalb dieses Systems soll die Servicequalität bei der Beantwortung der Anfragen verbessern (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 57ff.).5. Arbeit. Wirtschaft. TourismusNetzausbau: Masterplan digitale Infrastruktur: Um die Grundlage für den Netzausbau zu schaffen, soll ein Masterplan "digitale Infrastruktur für Freiburg" als Ausbaustrategie erstellt werden, was auch Gigabit-Breitband, 5G sowie Sensorik-Netzwerke einschließen soll. Zusätzlich soll für den Mobilfunk ein koordinierter, aber auch strahlungsmindernder Ausbau in Kooperation mit den Anbietern geschaffen werden (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 72).6. Netze. Energie. VerkehrIntermodale Verkehrsplattform/App: Die bestehende ÖPNV-Auskunft namens "VAG mobil" sowie der digitale Vertrieb über "MobilTicket" und den "VAG-Online-Shop" werden um neue multimodale Funktionen erweitert. Egal an welchem Ort sich Kunden der VAG in Freiburg gerade befinden, die App zeigt auf einer Karte nicht nur Haltestellen mit Live-Abfahrtszeiten für Busse und Bahnen, sondern auch sämtliche "Sharingpoints" für Fahrzeuge und Fahrräder an. In einem ersten Schritt wurden verfügbare Mietfahrräder des Fahrradverleihsystems "FRELO" in die "VAG mobil"-App integriert, inklusive Buchung, Nutzung und Abrechnungsfunktionen.Umweltsensitives Verkehrsmanagement: Der Luftreinhalteplan sieht vor, dass bei Überschreitung bestimmter Schadstoffwerte an der Messstelle Schwarzwaldstraße die Menge des Verkehrs aus dem Osten, der über die B 31 in die Stadt einfährt, reguliert werden soll. In diesem Kontext wird derzeit untersucht, ob es sinnvoll ist, die bestehende Verkehrssteuerung zu einem umfassenden Verkehrsleitsystem für Freiburg auszubauen. Ein solches System könnte dazu verwendet werden, sicherzustellen, dass nur eine angemessene Anzahl von Fahrzeugen in das Stadtgebiet oder in bestimmte Stadtteile einfährt, die dort ohne größere Störungen bewältigt werden können. Es würde auch die Möglichkeit bieten, auf hohe Schadstoffbelastungen, beispielsweise bei ungünstiger Witterung, und auf akute Verkehrsstörungen wie Baustellen, Unfälle oder Veranstaltungen gezielt zu reagieren.Ausbau öffentliches WLAN: Ein kostenfreies WLAN an Verwaltungsstandorten und öffentlichen Einrichtungen sowie in Bussen und Stadtbahnen soll ausgebaut werden.Belegungserfassung und Leitsystem für P&R-Parkplätze: Durch die Installation von Belegungssensoren an den P+R-Anlagen wird die Belegung effizienter gestaltet und die unerlaubte Nutzung durch Dauerparker*innen oder Fremdparker*innen verringert. Dies ermöglicht es Besuchern und Pendlern, Echtzeitinformationen über die Auslastung der P+R-Parkplätze online über die städtische Website, die App "VAG mobil" und dynamische Wegweiser zu erhalten. Diese Daten werden ähnlich wie im bestehenden Parkleitsystem der Innenstadt verarbeitet. Das Ziel ist es, den Verkehr innerhalb der Stadt zu reduzieren, indem Berufspendler und Besucher leichter freie P+R-Plätze am Stadtrand finden können, um von dort auf den öffentlichen Nahverkehr oder das städtische Fahrradverleihsystem umzusteigen. Darüber hinaus wird durch die Integration weiterer Parkhäuser in das bestehende Echtzeit-Parkleitsystem in der Innenstadt vermieden, dass Parkplatzsuchende unnötige Autofahrten unternehmen müssen.In Anbetracht der vorangegangenen Entwicklungen und Maßnahmen, die in Freiburg im Kontext der Smart City-Initiative geplant und umgesetzt werden, wird deutlich, dass die Stadt aktiv bestrebt ist, intelligente Lösungen zur Bewältigung der heutigen und zukünftigen urbanen Herausforderungen zu implementieren. Freiburg setzt dabei auf Digitalisierung und Technologie, um die Lebensqualität der Bürger*innen zu steigern und gleichzeitig umweltfreundlichere, effizientere und nachhaltigere Stadtstrukturen zu schaffen. Dies zeigt sich in verschiedenen Aspekten, z.B. darin, dass Freiburg grundsätzlich den Anspruch hat, die Menschen in den Fokus der Digitalisierung zu stellen, damit diese den Prozess der Digitalisierung aktiv mitgestalten können, was im Hinblick auf die Einrichtung der Online-Beteiligungsplattform "mitmachen.freiburg" deutlich wird (Mitmachen.Freiburg: https://mitmachen.freiburg.de/stadtfreiburg/de/home). Darüber hinaus investiert die Stadt in die Entwicklung digitaler Plattformen und Services, die den Zugang der Bürger*innen zu städtischen Dienstleistungen verbessern. Im Bereich des Verkehrs und der Mobilität trägt Freiburg mit der Einführung von intelligenten Verkehrssystemen, der Optimierung des Nahverkehrs sowie im Rahmen des Belegungssystems für P+R Parklätze dazu bei, den Verkehr in der Stadt effizienter und nachhaltiger zu gestalten.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Stadt Freiburg auf unterschiedliche Weise in Richtung Smart City moderne Technologien und digitale Lösungen einsetzt, um die Lebensqualität zu steigern, Umweltbelastungen zu reduzieren und die Stadt insgesamt effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Die zuvor genannten Beispiele der verschiedenen Themenfelder haben gezeigt, dass Tendenzen im Hinblick auf Konzepte und Bereiche der Smart City geplant, umgesetzt und auch funktionieren können. Trotzdem stehen Städte wie Freiburg vor einigen Herausforderungen bei der Implementierung und Umsetzung von Strategien und Plänen im Sinne von Smart City.Herausforderungen für Smart CitiesDW Shift (2020): https://www.youtube.com/watch?v=VRRPy-yEKRM Smart Cities stehen vor einer Reihe von Herausforderungen, während sie sich bemühen, technologische Lösungen zur Verbesserung der Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Effizienz in städtischen Gebieten zu implementieren. Dazu gehören die Aspekte Sicherheit, Datenschutz und Privatsphäre, Inklusion und Chancengleichheit sowie finanzielle Aspekte.Das Konzept der Smart City sieht in verschiedenen Teilbereichen das Sammeln einer Fülle von Daten vor. Hierbei gilt es zu beachten, dass Digitalisierung dem Menschen dienen sollte und die Implementierung von Smart City-Elementen nicht eine übermäßige Überwachung der Bürger*innen voraussetzt. Dabei stellen die Sicherheit und die Privatsphäre der Bürger*innen zentrale Punkte dar, die es zu beachten und zu berücksichtigen gilt (vgl. LpB BW 2022, o.S.).Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (2022, o.S.) führt an, dass sich eine Smart City an den Grundsätzen der Digitalcharta des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung orientieren sollte. Hierzu gehört in erster Linie die Wahrung der Menschenwürde im Digitalen. Darüber hinaus gilt, dass jeder Mensch das Recht auf Identität, Datenschutz und Privatsphäre hat. An dieser Stelle stellt sich bei dieser großen Menge an gesammelten Daten die Frage, was mit den gesammelten Daten passiert, wer darauf Zugriff hat und was damit gemacht wird (vgl. Stöckl 2022, o.s.). Unter einer Unsicherheit im Hinblick auf Datenschutz und Privatsphäre kann die Effizienz von Smart Cities leiden sowie das Vertrauen in öffentliche Behörden, was die Einrichtung von ausreichendem Datenschutz und Transparenz zu einer zentralen Herausforderung macht (vgl. Stöckl 2022, o.S.).Eine weitere Herausforderung für Smart Cities ist die Gewährleistung von Inklusion und Chancengleichheit. Es wird davon ausgegangen, dass digitale Infrastrukturen für alle Menschen zugänglich sein und überdies gleiche Chancen für gesellschaftliche Teilhabe und Entfaltung bieten sollten. Das stellt die Städte vor Schwierigkeiten, da es immer technikaffine und weniger technikaffine Menschen sowie Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Fähigkeiten geben wird. Somit sollte im Idealfall bei der Digitalisierung der Städte darauf geachtet werden, dass beispielsweise nicht-technikaffine Bürger*innen keine Nachteile oder Ausgrenzung erfahren. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sinnvoll ist, z.B. den Kauf von Parktickets oder Bahnfahrkarten ausschließlich über Smartphones zur Verfügung zu stellen, da nicht alle Menschen ein Smartphone besitzen (vgl. LpB BW 2022, o.S.). Somit ist die Gewährleistung, dass die Vorteile der Digitalisierung niemanden abhängen oder zurücklassen, mitunter eine der größten Herausforderungen für eine Smart City (vgl. Stöckl 2022, o.S.).Was als weitere zentrale Herausforderung hinzukommt, mit der jede Stadt zwangsläufig konfrontiert wird, wenn es um die Planung und Umsetzung von Anwendungen und Strategien hinsichtlich des Smart City-Konzeptes geht, ist der Aspekt der Finanzierung. Für eine erfolgreiche Finanzierung müssen verschiedene Finanzierungsinstrumente und -strategien herangezogen werden, wozu öffentliche sowie private Akteure gehören. Die Planung und Durchsetzung von Geldern hinsichtlich der Einrichtung von Smart City muss von den Städten demnach ausreichend durchdacht und organisiert werden (vgl. Hinterberger et. al. 2015, S. 4).FazitARTE (2023): Retten Städte die Welt? https://www.youtube.com/watch?v=dUkrIDg0_8c Smart Cities bieten eine Vielzahl von Chancen und Möglichkeiten, die die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger verbessern, die Effizienz städtischer Dienstleistungen steigern und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Folgende Schlussfolgerungen konnten aus der Betrachtung der Smart City Freiburg gezogen werden:Smart City-Technologien können die Lebensqualität in städtischen Gebieten erheblich steigern. Dies umfasst eine bessere Luftqualität, weniger Verkehrsstaus, sauberes Wasser, sichere Straßen und öffentliche Plätze sowie den Zugang zu hochwertigen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Sie können zusätzlich die Effizienz städtischer Dienstleistungen steigern, was den effizienten Einsatz von Energie, Wasser und Ressourcen, die Optimierung des öffentlichen Verkehrs und die Verbesserung der Verwaltung inkludiert.Einen weiteren Aspekt stellt die Bürgerbeteiligung dar. Smart City-Initiativen können die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am städtischen Leben fördern. Das schließt die Möglichkeit ein, Feedback zu geben, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen und städtische Dienstleistungen zu personalisieren. Zusätzlich können intelligente Verkehrsmanagementsysteme und vernetzte Verkehrslösungen dazu beitragen, den Verkehrsfluss zu optimieren, Staus zu reduzieren und die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Insgesamt bieten Smart Cities die Möglichkeit, Städte lebenswerter, nachhaltiger und effizienter zu gestalten und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Durch die Integration von Technologie und Innovation können viele der heutigen urbanen Herausforderungen angegangen werden.Die Betrachtung der verschiedenen Themenfelder und Maßnahmen der Smart City Freiburg im Rahmen ihrer Digitalstrategie konnte aufzeigen, dass sich zwar viele Ideen bereits in der Planung und Entwicklung befinden, es aber an einigen Stellen noch an technischen Strukturen oder Fachkräften fehlt, die die Entwicklung und Durchsetzung vorantreiben würden.Trotz der Möglichkeiten und Chancen sind Smart Cities mit einigen Herausforderungen konfrontiert, darunter finanzielle Herausforderungen, denn die Entwicklung und Implementierung der Initiativen erfordern die nötige Technologie, Infrastruktur und Fachkräfte. Eine Stadt muss demnach Finanzierungsquellen finden, um diese Projekte umzusetzen bzw. aufrechtzuerhalten.Als weiterer Punkt wurde der Datenschutz genannt. Die Erhebung von Daten in einer Smart City erfordert Datenschutz- und Sicherheitsmaßnahmen. Die Stadt muss sicherstellen, dass mit den Daten der Bürger*innen sorgsam umgegangen wird und dass sie vor Sicherheitsrisiken geschützt sind. Eine weitere Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass alle Bürger*innen von den Smart City-Lösungen profitieren können. Dies erfordert Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Technologie für alle zugänglich ist, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status oder ihrer technischen Affinität.Es hat sich gezeigt, dass die Einbeziehung der Bürger*innen in den Prozess der Smart City-Gestaltung entscheidend ist, jedoch auch eine Herausforderung darstellt. Die Stadt muss Mechanismen entwickeln, um die Meinungen und Bedenken der Bevölkerung zu berücksichtigen und transparente Entscheidungsprozesse zu gewährleisten, wie man am Beispiel der Stadt Freiburg sehen konnte. Die Betrachtung der Stadt Freiburg zeigt, dass die Herausforderungen, vor denen Städte bei der Umsetzung von Smart City-Initiativen stehen, vielfältig sind und eine sorgfältige Planung und strategische Herangehensweise erfordern. Eine ganzheitliche Betrachtung unter Berücksichtigung von finanziellen, technischen, sozialen und ökologischen Aspekten ist entscheidend für den Erfolg.QuellenARTE (2023): Retten Städte die Welt? Video: https://www.youtube.com/watch?v=dUkrIDg0_8c (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2017): Verstädterung, online unter: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52705/verstaedterung/ (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Digitalstrategie der Stadt Freiburg, online unter: https://digital.freiburg.de/digitalstrategie (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)DW Shift (2020): Smart City: How do you live in a Smart City? Future Smart City Projects. Surveillance or Utopia? Video: https://www.youtube.com/watch?v=VRRPy-yEKRM (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Etezadzadeh, Chirine (2015): Smart City- Stadt der Zukunft? Die Smart City 2.0 als lebenswerte Stadt und Zukunftsmarkt. Springer Vieweg. Wiesbaden.Hadzik, Tobias (2016): Smart Cities. Eine Bestandsaufnahme von Smart City- Konzepten in der Praxis. Epubli Ebooks. 3. Auflage.Hinterberger, Robert/ Kopf, Thomas/ Linke, Alexander/ Stühlinger, Lukas (2015): Finanzierungshandbuch Smart Cities. Smart Finance for Smart Cities. Wien, online unter: https://www.klimafonds.gv.at/wp-content/uploads/sites/16/Smart-FinanceFinanzierungshandbuch.pdf (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023).Hoppe, Klaus (2015): Der Smart City- Ansatz. Chancen und Herausforderung für Städte und Gemeinden. Klima-Bündnis. Arbeitsgruppe Energieversorgung 2050, online unter: https://klaushoppe-consulting.de/wp-content/uploads/2018/06/1_Der_Smart_Cities_Ansatz.pdf (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Jaekel, Michael (2015): Smart City wird Realität. Wegweiser für neue Urbanitäten in der Digitalmoderne. Springer Vieweg. Wiesbaden.Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (lpB) (2022): Smart City- die Stadt der Zukunft? Technologie in der nachhaltigen Stadtentwicklung, online unter: https://www.lpb-bw.de/smart-city#c56712 (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023).Libbe, Jens (2019): Lost in Transformation: Rezension zu 'Smart City. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten' von Sybille Bauriedl und Anke Strüver (Hg.). Soziopolis: Gesellschaft beobachten, online unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/82404 (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Mitmachen. Freiburg: https://mitmachen.freiburg.de/stadtfreiburg/de/home (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Stadt Freiburg (2019): digital.freiburg. Video: https://www.youtube.com/watch?v=3clTSCU1NjY (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Steinbrecher, Johannes/ Salg, Julian/ Starzetz, Julia (2018): Viele bunte Smarties?! Die Smart City als Lösung kommunaler Herausforderungen? KfW Research. Fokus Volkswirtschaft. Nr. 204, online unter: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2018/Fokus-Nr.-204-April-2018-Smart-Cities.pdf (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Stöckl, Benedikt (2022): 'Smart Cities' bergen Chance, aber auch Risiken für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Euractiv, online unter: https://www.euractiv.de/section/innovation/news/smart-cities-bergen-chancen-aber-auch-risiken-fuer-gesellschaftlichen-zusammenhalt/ (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Weiland, Ulrike (2018): Stadt im Klimawandel. Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), online unter: https://www.bpb.de/themen/stadt-land/stadt-und-gesellschaft/216883/stadt-im-klimawandel/ (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)
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1. EinleitungStädtereisen stehen derzeit hoch im Kurs. Dies wird unter anderem durch das schnelle Wachstum dieser Tourismusform deutlich. So verzeichneten die 33 wichtigsten städtetouristischen Destinationen zwischen den Jahren 2008 und 2017 in Bezug auf die Übernachtungsaufenthalte ein Wachstum von durchschnittlich 57 Prozent. Die große Beliebtheit spiegelt sich darüber hinaus in der Tatsache wider, dass gegenwärtig mehr als 45 Prozent der internationalen Reisen in Städte führen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 210f.).Obwohl der Tourismus vielerorts ein willkommener Wachstumsmotor ist (vgl. Vogel 2020: 97f.), werden besonders große städtische Destinationen mit der Kehrseite des Tourismus, dem sogenannten Overtourism, konfrontiert (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 210). Die Folgen: Eine von Instagram-Touristen überschwemmte Wohnstraße in Paris, vermüllte Gassen in Florenz, picknickende Besucher in Rom, nächtlicher Partylärm in Barcelona, immer mehr Kreuzfahrtschiffe in Dubrovnik, lärmende Rollkoffer in Venedig, kiffende Touristen in Amsterdam, steigende Mieten in Lissabon, von Reisebussen verstopfte Plätze in Salzburg, Gefühle der touristischen Überfremdung auf Mallorca (Neumair/Schlesinger 2021: 201).Besonders deutlich werden die negativen Effekte des Besucherandrangs in der katalanischen Hauptstadt Barcelona, die neben Venedig als Aushängeschild des Overtourism gilt (vgl. ebd.: 211). So wendet sich die lokale Bevölkerung Barcelonas zunehmend gegen die Tourismusentwicklung und fordert im Rahmen von diversen Protestaktionen eine Regulierung und Begrenzung des Tourismus in der Stadt (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165).Inwiefern eine solche Regulierung des Städtetourismus unvermeidbar ist, soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Hierfür wird im Anschluss an eine begriffliche Einführung (Kapitel 2) zunächst die Entwicklung Barcelonas zu einer führenden städtetouristischen Destination skizziert (Kapitel 3.1 und 3.2). Daraufhin werden die aus der starken touristischen Prägung Barcelonas resultierenden Effekte (Kapitel 3.3) und die damit einhergehende Kritik der Bewohner*innen (Kapitel 3.4) beschrieben. Inwieweit die Stadtverwaltung die von der Lokalbevölkerung geforderte Begrenzung des Tourismus realisiert und welche Herausforderungen hierbei bestehen, ist Thema des vierten Kapitels. Abschließend soll aufgezeigt werden, welche Problematik eine Begrenzung des Tourismus mit sich bringt (Kapitel 5).2. Begriffliche Grundlagen 2.1 StädtetourismusDie grundlegende Definition des Begriffs "Tourismus" (auch Fremdenverkehr, Reiseverkehr oder Touristik) stammt von der Welttourismusorganisation (UNWTO) aus dem Jahr 1993 (vgl. Freyer 2015: 2). Demnach umfasst Tourismus"die Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten" (UNWTO 1993: 2).Je nach Reisedauer, Entfernung des Reiseziels und Motiv der Reise kann darüber hinaus zwischen diversen Tourismusformen differenziert werden (vgl. Freyer 2018: 2670). Eine Tourismusform, die in den letzten drei Jahrzehnten immer bedeutender wurde, ist der Städtetourismus (vgl. Krajewski 2022: 423). Sowohl neue Mobilitätsoptionen (z.B. Billigflüge) als auch die Veränderung des Reiseverhaltens begünstigen das städtetouristische Wachstum (vgl. Freytag/Popp 2009: 5; Gebhardt 2017: 226).So entscheiden sich immer mehr Reisende in Ergänzung zum Jahresurlaub für zusätzliche Kurzreisen, die häufig in Städte führen (vgl. Freytag/Propp 2009: 5). Weiterhin eröffnen Städtereisen die Möglichkeit, verschiedenste Reisemotive und Aktivitäten auf engem Raum miteinander zu verbinden (vgl. ebd.: 5–7). Somit kommt es zu einer Überlagerung von Urlaubs-, Vergnügungs-, Kultur- und Bildungsmotiven sowie geschäftlichen Motiven (vgl. Kagermeier 2008: 16).Aufgrund dieser Motiv-Gemengelage und Multioptionalität existiert keine allgemeingültige Definition für den Städtetourismus (vgl. Krajewski 2022: 426). Typisch ist jedoch die gleichzeitige Nutzung von städtischen Räumen durch die lokale Bewohnerschaft und Reisenden (vgl. Gebhardt 2017: 226). Grundlegend muss zwischen verschiedenen Formen des Städtetourismus unterschieden werden (vgl. ebd.: 427). In diesem Zusammenhang grenzt der Deutsche Tourismusverband (DTV) den primären vom sekundären Städtetourismus ab (vgl. Kagermeier 2008: 16). Beim primären oder kulturorientierten Städtetourismus"wird die Stadt aufgrund ihrer städtebaulichen Attraktivität ("Sightseeing") oder ihrer Kunst- und Kulturangebote besucht und besichtigt, was mit oder ohne Übernachtung erfolgen kann" (Krajewski 2022: 427).Hierbei ist der Besuch von kulturellen Veranstaltungen inkludiert (vgl. ebd.: 427). Das Hauptbesuchsmotiv bildet somit die Stadtbesichtigung bzw. das Stadterlebnis (vgl. Kagermeier 2008: 17). Demgegenüber ist beim sekundären Städtetourismus"nicht die Stadt selbst das Reisemotiv, sondern […] die dort verorteten Funktionen wie z.B. Einkaufs-, Veranstaltungs- oder Tagungsorte" (Krajewski 2022: 427).Zu den Hauptmotiven zählen in diesem Zusammenhang geschäftliche Gründe, Shopping oder der Besuch von Verwandten und Bekannten (vgl. Kagermeier 2008: 17). Allerdings ist hervorzuheben, dass aufgrund der hybriden Reisemotive in der Praxis keine klare Trennung zwischen diesen beiden Formen möglich ist (vgl. Freytag/Popp 2009: 7). 2.2 OvertourismIm Kontext der negativen Auswirkungen des Städtetourismus wird häufig von "Overtourism" (auch Overtourismus, Übertourismus) gesprochen (vgl. Krajewski 2022: 423). Paradigmatisch für dieses Phänomen stehen unter anderem die europäischen Städte Venedig und Barcelona, in denen wiederum bestimmte Bereiche, wie z.B. die Promenade La Rambla in Barcelona, besonders betroffen sind (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 210f.).Bevor der Begriff im Jahr 2017 in die breite Öffentlichkeit und Fachkreise gelang, war er primär unter dem Hashtag #overtourism auf dem Social-Media-Kanal Twitter präsent. Heute existieren zahlreiche Medienbeiträge, die die Problematik des Overtourism zum Gegenstand haben. Als exemplarisch gelten die folgenden Schlagzeilen: "Invasion der Touristen", "Tourist, du bist Terrorist", "Tourist go home! Proteste in Spanien werden aggressiver" (vgl. ebd.: 202). Trotz der vielfachen Thematisierung des Phänomens gibt es hinsichtlich des Begriffs Overtourism keine einheitlich anerkannte Definition. Eine vielfach geteilte Definition bezeichnet Overtourism jedoch als"the excessive growth of visitors leading to overcrowding in areas where residents suffer the consequences of temporary and seasonal tourism peaks, which have enforced permanent changes to their lifestyles, access to amenities and general well-being" (Milano et al. 2018).Hierbei ist allerdings nicht nur die negative Wahrnehmung von Besuchermengen und die Beeinträchtigung der Lebensqualität der Bereisten, sondern auch eine Schmälerung der Aufenthaltsqualität für die Reisenden prägend (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 203). Inwiefern die Lebensqualität der Einwohner*innen allerdings geschmälert wird, hängt von diversen stadtspezifischen Faktoren, wie der Größe der Stadt oder der Lage der Attraktionen, ab (vgl. Hospers 2019: 20).Ob das Stadium des Overtourism erreicht ist, wird von der Überschreitung ökonomischer, ökologischer, physischer, sozialer und psychischer Tragfähigkeiten bestimmt (vgl. Reif 2019: 264). Tragfähigkeit beschreibt in diesem Zusammenhang"the maximum number of people that may visit a tourist destination at the same time, without causing destruction of the physical, economic and sociocultural environment and an unacceptable decrease in the quality of visitors' satisfaction" (UNWTO 2018: 3).So ist die Unzufriedenheit der Einwohner*innen aufgrund von touristischer Aktivität ein Indiz für die Überschreitung der sozialen Tragfähigkeit, während steigende Miet- und Immobilienpreise und damit einhergehende Verdrängungsprozesse auf eine Überschreitung der ökonomischen Tragfähigkeit hinweisen (vgl. Reif 2019: 264). 3. Tourismusentwicklung in Barcelona 3.1 Die Anfänge des TourismusBarcelona befindet sich im Nordosten Spaniens und ist die Hauptstadt der Region Katalonien (Catalunya) (vgl. Goodwin 2019a: 126). Ausgangspunkt für die Entwicklung Barcelonas zu einer führenden städtetouristischen Destination ist die Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 1992 (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165; Gebhardt 2017: 229). Im Rahmen der Vorbereitungen auf dieses Großereignis vollzog sich eine große Umgestaltung der ehemaligen Industriestadt mit dem Ziel, die Stadt für den Tourismus attraktiv zu machen (vgl. Gebhardt 2017: 229–232). Hierzu zählten die Verbesserung der Infrastruktur (z.B. Anlage der Ringstraßen), die Schaffung von Stränden und neuer Museen sowie die Erbauung des Olympischen Hafens (Port Olímpic) (vgl. ebd.: 229).Infolge der entstandenen Schulden und dem Wunsch, Barcelona zu einer Dienstleistungsmetropole zu transformieren, wurde im Anschluss an die Olympischen Spiele verstärkt mit privatwirtschaftlichen Akteuren kooperiert und diverse öffentliche Dienstleistungen wurden privatisiert. Die Olympischen Spiele markierten somit die Abkehr vom sogenannten "Modell Barcelona", das sich durch eine konsensorientierte Kooperation zwischen öffentlicher Verwaltung, Privatwirtschaft und Nachbarschaftsvereinigungen kennzeichnete (vgl. ebd.: 229f.). 3.2 Die Tourismus-Wachstumskoalition und externe BeschleunigungFür die Stadtverwaltung und privatwirtschaftlichen Akteure war der Tourismus ein willkommener Wachstumsmotor, der zur Wiederbelebung der Wirtschaft beitrug (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165; Hospers 2019: 21). Im Zuge dessen kam es im postolympischen Zeitraum zur Entwicklung einer Tourismus-Wachstumskoalition, die sich primär aus Unternehmen der Hotellerie, Gastronomie sowie Reiseveranstaltern zusammensetzte. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung teilte die Tourismus-Wachstumskoalition die Überzeugung, dass der Tourismus in Barcelona gefördert werden müsse (vgl. Gebhardt 2017: 230).Jene Wachstumskoalition wurde in den 1990er Jahren durch die Gründung der Organisation Turisme de Barcelona institutionell in den Organen der Stadt- und Tourismusentwicklung verankert, was eine unmittelbare Beteiligung dieser Akteursgruppe an der Steuerung des Tourismus implizierte (vgl. ebd.: 230–232). Die Aufgaben der Tourismussteuerung wurden somit aufgeteilt (vgl. Goodwin 2019b: 2). Während das Tourismusmanagement der Stadtverwaltung (Ajuntament de Barcelona) zugewiesen wurde, fiel das Marketing in das Aufgabengebiet von Turisme de Barcelona (vgl. ebd.). Somit erfolgte eine gemeinsame Förderung der touristischen Erschließung Barcelonas durch Politik und Privatwirtschaft, wobei die ökonomischen Akteure während dieser Zeit mit Leichtigkeit ihre Interessen durchsetzen konnten (vgl. Gebhardt 2017: 232).Das touristische Wachstum im postolympischen Barcelona, für das Turisme de Barcelona eine zentrale Rolle spielte, wurde im Laufe der Zeit durch zwei externe Faktoren verstärkt (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165; Gebhardt 2017: 231). So erfolgte sowohl eine Zunahme internationaler Investitionen in Tourismusunterkünfte als auch eine Steigerung von Kurzzeitvermietungen von Wohnungen an Reisende, was vor allem auf Online-Plattformen wie Airbnb zurückzuführen ist (vgl. Gebhardt 2017: 235–237). 3.3 TourismuseffekteInfolge der starken Förderung durch politische und ökonomische Akteure verzeichnete der Tourismus in Barcelona ein spektakuläres Wachstum, wodurch Barcelona in Bezug auf die Hotelübernachtungen heute auf Platz sieben der europäischen Städte liegt (vgl. Goodwin 2019a: 125–126; Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 139).So vollzog sich in den 1990er Jahren erstmals eine Verdoppelung der Hotelübernachtungen, wobei sich dieser Trend durch das kontinuierliche Wachstum im neuen Jahrzehnt fortsetzte (siehe Abbildung 1) (vgl. Gebhardt 2017: 232f.). Heute zählt Barcelona jährlich knapp 20 Millionen Hotelübernachtungen, was mehr als das Fünffache im Vergleich zum Jahr 1990 darstellt (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2021: 48). In diesem Punkt unterscheidet sich die Tourismusentwicklung Barcelonas von der in anderen europäischen Städten (vgl. Goodwin 2019a: 126). Denn während bspw. der Tourismus in London zwischen 2005 und 2013 um 16 Prozent zunahm, wuchs der Tourismus in Barcelona in dieser Zeit um mehr als 54 Prozent (vgl. ebd.). Abbildung 1: Übernachtungen und Übernachtungsgäste in Hotels in BarcelonaQuelle: In Anlehnung an Observatori del Tourisme a Barcelona (2021: 48)Verschärft wird diese Problematik durch die geringe Größe der Stadt (vgl. ebd.). So kommen auf ca. 1,6 Millionen Einwohner*innen derzeit jährlich knapp 30 Millionen Reisende (vgl. Barcelona Activa o. D.), wovon ca. die Hälfte Tagesausflügler*innen sind, die vor allem über den Kreuzfahrttourismus Barcelona erreichen (vgl. Gebhardt 2017: 233).Das Wachstumstempo und die daraus resultierende starke touristische Prägung Barcelonas ziehen weitreichende Folgen nach sich, von denen die wichtigsten im Folgenden beschrieben werden. Während das Tourismusmarketing primär die positiven ökonomischen und strukturellen Synergieeffekte in den Vordergrund rückt, bekommen vor allem die Bewohner*innen Barcelonas die zahlreichen negativen Effekte des Overtourism zu spüren (vgl. Freytag/Glatter 2017: 163).So konstatiert Vogel (2020: 97f.), dass manche Städte durch ein zu hohes Touristenaufkommen schlicht überlaufen sind, wodurch in bestimmten Bereichen ein Durchkommen kaum möglich ist (siehe Abbildung 2). Die damit einhergehenden negativen "Crowding-Effekte" bekommen sowohl Reisende als auch Bereiste zu spüren (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 303). So vermindern bspw. das subjektive Gefühl von Enge sowie erhebliche Wartezeiten an touristischen Attraktionen die Aufenthaltsqualität für die Reisenden (vgl. Freytag/Popp 2009: 10).Auf der anderen Seite bedeutet die massive Präsenz von Reisenden für viele Einwohner*innen eine Einschränkung ihrer außerhäuslichen Mobilität (vgl. ebd.). Gekoppelt mit dem dadurch entstehenden Lärm und dem Fehlverhalten einiger Reisenden, kommt es im Extremfall dazu, dass sich die Bewohner*innen wie Statist*innen in einer Ferienlandschaft fühlen (vgl. Vogel 2020: 98). Dieses Gefühl der Überfremdung geht häufig mit einer zunehmenden Ablehnung der einheimischen Bevölkerung gegenüber dem Tourismus einher (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 206).Abbildung 2: Menschenmassen auf der La RamblaFoto: Lea KoppNeben das Gefühl der Überfremdung tritt die ökonomische Verdrängung der Bewohner*innen (vgl. Vogel 2020: 98). So vernachlässigt der Einzelhandel bspw. den Bedarf der Lokalbevölkerung, indem der Fokus auf die Bereitstellung tourismusspezifischer Angebote gerichtet wird (vgl. ebd.). Ein ausschlaggebender Punkt ist die Kurzzeitvermietung von Zimmern oder von ganzen Wohnungen an Reisende via Übernachtungsplattformen wie Airbnb (vgl. Gebhardt 2017: 237).Laut der aktivistischen Plattform "Inside Airbnb" betrifft dies derzeit knapp 9.500 Wohnungen und 6000 Zimmer in Barcelona, wobei 71,5 Prozent der Anbieter*innen mehrere Wohnungen gleichzeitig vermieten (vgl. Inside Airbnb 2022). Nach Angaben der Stadtverwaltung aus dem Jahr 2017 werden bis zu 40 Prozent aller Wohnungen legal an Reisende vermietet, wobei die Dunkelziffer an illegal genutzten Wohnungen die Lage noch weiter verschärft (vgl. Gebhardt 2017: 237f.).Die Folgen: Lärmbelästigung, sinkende Gewinne im Hotelgewerbe, Immobilienspekulation und vor allem Mietpreissteigerungen (vgl. Goodwin 2019a: 134). Durch die steigenden Mietpreise kommt es zur Verdrängung einkommensschwacher Bewohner*innen und somit zur Veränderung der soziodemografischen Zusammensetzung (vgl. ebd.). Ada Colau, einstige stadtpolitische Aktivistin und heutige Bürgermeisterin von Barcelona, thematisierte diesen Zusammenhang bereits 2014:Any city that sacrifices itself on the altar of mass tourism will be abandoned by its people when they can no longer afford the cost of housing, food, and basic everyday necessities. (Colau 2014)Des Weiteren kommt es durch den Tourismus und die Veränderung der Form und Intensität des Wohnens zu einer Erhöhung des Wasser- und Energieverbrauchs sowie der Abfallproduktion (vgl. Goodwin 2019a: 134). Jedoch beginnt die ökologische Belastung bereits mit der Anreise (vgl. Freytag/Popp 2009: 10), die im Fall von Barcelona zu ca. 80 Prozent mit dem Flugzeug erfolgt (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 75). Dabei trägt jede Flugreise mit ihrem CO2-Ausstoß zum Klimawandel und somit zur Zerstörung von Ökosystemen bei (vgl. Vogel 2020: 96f.).Es kann festgehalten werden, dass während der touristischen Entwicklung Barcelonas psychische, soziale, ökonomische und ökologische Tragfähigkeitsgrenzen überschritten wurden, was sich anhand der diversen negativen Effekte zeigt. Hierzu zählen unter anderem die Minderung der Aufenthaltsqualität für Reisende, die Schmälerung der Lebensqualität der Bewohner*innen, die Veränderung der Einzelhandelsstruktur, die Umnutzung von Wohnungen und die damit einhergehende ökonomische Verdrängung der Lokalbevölkerung sowie ökologische Belastungen durch die touristische Mobilität. Wie die Lokalbevölkerung Barcelonas auf die Effekte des Overtourism reagiert, wird im folgenden Kapitel näher beleuchtet. 3.4 TourismuskritikMit der Überschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen änderte sich die Einstellung der ortsansässigen Bevölkerung gegenüber dem Tourismus (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 205). Diese veränderte Wahrnehmung lässt sich anhand des "irritation index" veranschaulichen. Hierbei handelt es sich um ein Modell, das die Entwicklung der lokalen Reaktionen auf den Tourismus anhand von vier aufeinanderfolgenden Stadien darstellt:Während anfangs vor allem über die ökonomischen Vorzüge des Tourismus Euphorie herrscht (Stadium 1: euphoria), gewöhnen sich die Einwohner*innen im Laufe der Zeit an die Reisenden und entwickeln eine gleichgültige Einstellung (Stadium 2: apathy). Diese Gleichgültigkeit schlägt jedoch in eine ablehnende Haltung um, falls die Tragfähigkeitsgrenzen überschritten werden (Stadium 3: irritation), was im schlimmsten Fall zu einer feindseligen Haltung gegenüber Reisenden führen kann (Stadium 4: antagonism) (vgl. Hospers 2019: 20).Eine Abkehr von der Begeisterung über den Tourismus zeigte sich in Barcelona erstmals im Jahr 2004, als tourismuskritische Kommentare während des Internationalen Forums der Kulturen geäußert wurden (vgl. Goodwin 2019a: 128). Ab dem Jahr 2005 kritisierten Nachbarschaftsvereinigungen zunehmend die "masificación", sprich die Überfüllung des öffentlichen Raums, die mit einer Einschränkung der außerhäuslichen Mobilität der Einwohner*innen einherging.Infolge der Vervielfachung neuer Hotelbauten und touristisch genutzter Wohnungen kam es zu einer Multiplizierung von Protestbündnissen. So traten neben die Nachbarschaftsvereinigungen tourismusspezifische lokale Bündnisse (z.B. "Barceloneta sagt es reicht!", "Die Altstadt ist nicht zu verkaufen") sowie Initiativen gegen spezifische Hotelprojekte (z.B. "kein Hotel am Rec Comtal") (vgl. Gebhardt 2017: 233–238).Eine von vielen Protestaktionen vollzog sich im Dezember 2009, als Einwohner*innen und Händler*innen aus dem Stadtteil El Raval über 500 Weihnachtskarten an die barcelonische Stadtverwaltung schickten. Auf diesen befanden sich Fotos von Prostituierten, Drogenhändler*innen sowie Reisenden, die in der Öffentlichkeit urinierten und Geschlechtsverkehr hatten. Zudem kam es im Jahr 2009 zu einem Anstieg der negativen Berichterstattung in den Medien (vgl. Goodwin 2019a: 128). Dies verwundert jedoch kaum, da die Tourismuskritik mit den Aufmerksamkeitsregeln der Medien besonders kompatibel ist (vgl. Gebhardt 2017: 240).Dass die Kritik den gesellschaftlichen Mainstream erreicht hat, zeigte sich ebenfalls in den städtischen Meinungsumfragen, die halbjährlich durchgeführt werden (vgl. ebd.: 238). So zählte die Bevölkerung erstmals im Juni 2013 den Tourismus zu den größten Problemen der Stadt, wobei sich die Lage aus Sicht der Einwohner*innen weiter verschärfte (vgl. Ajuntament de Barcelona 2013: 9). Denn während der Tourismus im Juni 2013 noch den zehnten Platz belegte, stellte er im Dezember 2016 aus Sicht der Bevölkerung das zweitgrößte Problem der Stadt dar (vgl. ebd.; Ajuntament de Barcelona 2016: 9).Zudem war im Jahr 2016 die Mehrheit der Bevölkerung Barcelonas erstmals der Meinung, dass die touristische Kapazitätsgrenze Barcelonas erreicht sei (siehe Abbildung 3, Seite 127 oben) (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 127). Abbildung 3 zeigt allerdings auch, dass die Bevölkerung Barcelonas nicht als homogene Gruppe betrachtet werden kann. So variiert die Meinung der Einheimischen in Bezug auf den Tourismus, was von diversen Faktoren, wie bspw. der Entfernung des Wohnorts vom Tourismusgebiet oder soziodemografischen Merkmalen, beeinflusst wird (vgl. Hospers 2019: 21f.). Neumair/Schlesinger (2021: 201) heben hervor, dass"sich die Kritik nicht nur gegen die Touristen, sondern vor allem die politischen Entscheidungsträger richtet, denen vielerorts vorgeworfen wird, […] zu spät und zu wenig energisch dagegen vorgegangen zu sein". Dies verdeutlichen die Proteste im August 2014, die als "Barceloneta Krise" bezeichnet werden. Im Rahmen dieser Demonstrationen forderten die Bewohner*innen ein neues Tourismusmodell, das strikter gegen die illegale Vermietung von Wohnungen an Reisende vorgehen sollte. Das daraufhin vom damaligen Bürgermeister getätigte Versprechen, stärker gegen die illegal genutzten Wohnungen im Stadtviertel La Barceloneta vorzugehen, wurde jedoch nicht eingehalten, weshalb der Tourismus bei den Kommunalwahlen im Jahr 2015 zum Thema wurde (vgl. Goodwin 2019a: 128).Mit dem Wahlsieg von "Barcelona en Comú" ("Barcelona gemeinsam") im Mai 2015 institutionalisierte sich der Widerstand gegen das bislang dominierende tourismusbasierte Wachstumsmodell im Stadtparlament. So griff das Programm von Barcelona en Comú diverse Forderungen der Nachbarschaftsverbände auf, wie z.B. ein Moratorium für Hotellizenzen, den Schutz des traditionellen Einzelhandels sowie die Regulierung touristisch genutzter Wohnungen (vgl. Gebhardt 2017: 239–241).Insgesamt reagieren die Einwohner*innen Barcelonas auf die Effekte des Overtourism (Kapitel 3.3) mit der Infragestellung des am Tourismus ausgerichteten Wachstums (vgl. Gebhardt 2017: 226). So wendet sich "die in den besonders stark touristifizierten Quartieren ansässige Bevölkerung und deren Nachbarschaftsinitiativen […] zunehmend gegen die fortschreitende Tourismusentwicklung" (Freytag/Glatter 2017: 165).Aus der Sicht des Großteils der Bewohnerschaft ist aufgrund der Erreichung der touristischen Kapazitätsgrenze Barcelonas und den damit einhergehenden Folgen eine Regulierung und Begrenzung des Tourismus in der Stadt unvermeidbar (vgl. Gebhardt 2017: 226; Freytag/Glatter 2017: 165). Nachfolgend werden einige der praktizierten Maßnahmen zur Regulierung des Tourismus in Barcelona vorgestellt. 4. Regulierung des Städtetourismus in Barcelona 4.1 Der strategische Tourismusplan 2010–2015Nachdem der Overtourism in Barcelona im Jahr 2004 offiziell als Problem erkannt wurde, entwickelte die Stadtverwaltung im Jahr 2008 erste Ansätze, um die Effekte des Overtourism einzudämmen (vgl. Goodwin 2019a: 125). Hierzu zählt vor allem der von der Stadtverwaltung und Turisme de Barcelona in den Jahren 2008 bis 2010 entwickelte strategische Tourismusplan (vgl. ebd.: 129). Im Fokus dieses im Jahr 2010 verabschiedeten Plans steht die Förderung eines Tourismusmodells, das "das Gleichgewicht zwischen Einheimischen und Touristen stärkt" (Ajuntament de Barcelona/Barcelona Turisme 2010: 5). Dazu solle der Tourismus in der Altstadt reguliert, das Wachstum auf Gebiete außerhalb des Stadtzentrums verlagert und die Bevölkerung stärker für den Nutzen des Tourismus sensibilisiert werden (vgl. Gebhardt 2017: 243).Allerdings wurde dieses Vorhaben bis zum Jahr 2015 nicht realisiert. Gebhardt (2017: 234) führt dies auf die Beteiligung von Turisme de Barcelona als eine Institution, die primär Vertreter*innen der Tourismusindustrie vereint, sowie das geringe Interesse an einer Regulierung aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise zurück. 4.2 Strategie 2020Mit 30 Aktionslinien und 85 Maßnahmen verabschiedete die Stadtverwaltung im Jahr 2017 die Strategie 2020, die sich an die Hauptziele des strategischen Tourismusplans anlehnt. Im Zentrum der Tourismuspolitik stehen hierbei die folgenden fünf Kriterien: Nachhaltigkeit, Verantwortung, Umverteilung, Zusammenhalt und Innovation (vgl. Goodwin 2019a: 130f.).So zielen die Maßnahmen unter anderem auf die Stärkung des Tourismusmanagements sowie die Wissensgenerierung, die als Basis für eine effektive Entscheidungsfindung erachtet wird (vgl. ebd.: 133). Des Weiteren enthält die Strategie 2020 Überlegungen zur Besucherlenkung ("Visitor Management") (vgl. ebd.). Hierunter fallen "Maßnahmen zur Beeinflussung von Besuchern bezüglich ihrer räumlichen, zeitlichen oder quantitativen Verteilung sowie deren Verhaltensweisen" (Freyer 2018: 628). Auch in Bezug auf die illegale Vermietung von Wohnungen an Reisende werden Maßnahmen präsentiert (vgl. Goodwin 2019a: 133). Laut einer Evaluation aus dem Jahr 2022 wurden 67 der 85 Maßnahmen bis zum Jahr 2020 realisiert (vgl. Ajuntament de Barcelona 2022: 2). 4.3 Konkrete MaßnahmenAuf Basis der Strategie 2020 entwickelte die Stadtverwaltung Barcelonas diverse Maßnahmen zur Regulierung des Städtetourismus (vgl. Gebhardt 2017: 245). Vor allem die derzeitige Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, ist in diesem Kontext für Gegenmaßnahmen bekannt (vgl. Vogel 2020: 98). Im Folgenden werden exemplarisch einige der Maßnahmen vorgestellt, die die Stadtverwaltung Barcelonas zur Begrenzung des Tourismus ergriffen hat.Reduzierung der BesucherzahlEine häufig praktizierte Maßnahme, um die Besucherzahl zu reduzieren, ist die Beschränkung bzw. Kontingentierung des Zugangs zu touristischen Attraktionen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 216). So wurde bspw. im Jahr 2013 der Zugang zum Park Güell, einer der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Barcelonas, für Reisende eingeschränkt (vgl. Goodwin 2019b: 20). Während die gesamte Parkanlage für die Einwohner*innen Barcelonas frei zugänglich ist, erhalten demnach maximal 800 Besucher*innen pro Stunde Zugang zur sogenannten monumentalen Zone, die knapp acht Prozent der Gesamtfläche des Parks ausmacht (vgl. ebd.).Darüber hinaus können Reisende von bestimmten Attraktionen ausgeschlossen werden (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 216). Diesen Schritt vollzog die Stadtverwaltung im Jahr 2015 in Bezug auf die berühmte Markthalle La Boquería, indem an Freitagen und Samstagen Touristengruppen ab 15 Personen zeitweise der Zugang zum Markt untersagt wurde (vgl. ebd.: 216f.). Hierdurch sollte den Einwohner*innen Barcelonas wieder ein ungestörtes Einkaufen ermöglicht werden (vgl. ebd.).Zur Reduzierung der Besucherzahl sind weiterhin die Einführung bzw. die Erhöhung von Steuern auf touristische Leistungen (z.B. Übernachtungs- und Beherbergungsleistungen) sowie die Einführung von Eintrittspreisen auf touristische Attraktionen mögliche Maßnahmen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 217). So wurde der Zugang zur monumentalen Zone im Park Güell nicht nur beschränkt, sondern auch an Eintrittstickets gebunden, wodurch die Zahl der Besucher*innen von neun auf ca. zwei Millionen sank (vgl. Goodwin 2019b: 20).Darüber hinaus besteht die Option, Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels oder Privatunterkünften wie Airbnb zu limitieren (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 217). So reguliert die Stadtverwaltung Barcelonas touristische Unterkünfte durch den im Jahr 2017 eingeführten "Besonderen Stadtentwicklungsplan für touristische Unterkünfte" (Plan especial urbanístico de alojamientos turísticos, PEUAT) (vgl. Gebhardt 2017: 241).Dieser legt eine Beschränkung und Dekonzentration des Wachstums von touristischen Unterkünften sowie ein Nullwachstum für touristisch genutzte Wohnungen fest (vgl. ebd.). Eine Eröffnung von neuen Privatunterkünften ist somit nur möglich, wenn andere schließen (vgl. Goodwin 2019a: 135). Ob eine Wohnung über eine für die touristische Nutzung notwendige Lizenz verfügt, können Reisende sowie Einwohner*innen auf einer von der Stadtverwaltung geschaffenen Webseite überprüfen (vgl. ebd.).DispersionNeumair/Schlesinger (2021: 218) sehen allerdings in der Dispersion, "der räumlichen und zeitlichen Entzerrung der Touristenströme", die vielversprechendste Strategie im Umgang mit den Effekten des Overtourism. Auch Barcelona strebt eine Dezentralisierung der Touristenströme an (vgl. Maier-Albang 2022). Hierfür sollen Besucherströme auch in die benachbarten Gemeinden der Provinz Barcelona umgelenkt werden (vgl. Goodwin 2019b: 20).Des Weiteren sollen Touristenströme vor allem durch die Nutzung von Big Data entzerrt werden (vgl. ebd.: 19). Hierfür wurde bspw. die App "Check Barcelona" entwickelt, die unter anderem Informationen über aktuelle Besucherzahlen und Wartezeiten bei Sehenswürdigkeiten sowie Mobilitätsempfehlungen bereitstellt (vgl. Maier-Albang 2022; Barcelona Turisme o. D.).4.4 Schwierigkeiten bei der Regulierung des Städtetourismus in BarcelonaHäufig wird im Kampf gegen den Overtourism vorgeschlagen, an den touristischen Verkehrsmitteln anzusetzen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 218). In diesem Zusammenhang stehen Maßnahmen wie bspw. Anlegestopps für Kreuzfahrtschiffe, die Erhöhung von Steuern auf Kerosin oder Landegebühren auf Flughäfen, die darauf zielen, Billigfluglinien abzuhalten (vgl. ebd.: 218; Vogel 2020: 101).Allerdings entziehen sich sowohl der Flughafen "El Prat" als auch der Hafen Barcelonas weitgehend dem Einfluss der Stadtverwaltung (vgl. Goodwin 2019a: 132f.). Dies gilt ebenfalls für die große Zahl an Reisenden, die im nahegelegenen Girona oder an der Costa Brava ihren Urlaub verbringen und Barcelona im Rahmen von Tagesausflügen besuchen (vgl. ebd.). Somit hat "die Stadtverwaltung von Barcelona praktisch keine Möglichkeit, die Zahl der Touristen und Tagesausflügler per Flugzeug, Bahn, Straße oder Schiff zu begrenzen" (Goodwin 2019a: 133).Insgesamt hat Barcelona jedoch ein umfassendes Programm zur Regulierung des Tourismus entwickelt, das weitaus mehr als die in diesem Kapitel vorgestellten Maßnahmen beinhaltet und als Inspirationsquelle für andere Städte dienen kann (vgl. Goodwin 2019a: 136). Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass es sich um keine allgemeingültigen Lösungen handelt und die Wirksamkeit der Maßnahmen stets kontextabhängig ist (vgl. UNWTO 2018: 7). 5. Problematik von RegulierungsmaßnahmenIn der Diskussion über die Regulierung des Tourismus wird häufig, vor allem von der Wachstumskoalition, auf die Abhängigkeit der lokalen Ökonomie vom Tourismus verwiesen und aus diesem Grund eine Regulierung abgelehnt (vgl. Gebhardt 2017: 234f.). In diesem Zusammenhang generiert der Tourismus in Barcelona knapp 150.000 Arbeitsplätze, was in etwa 14 Prozent der Gesamtbeschäftigung darstellt (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 154). Darüber hinaus macht der Tourismus rund 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Barcelona aus (vgl. Barcelona Activa o. D.). Dass der Tourismus wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt, steht somit außer Frage (vgl. Milano et al.).Allerdings müssen politische Entscheidungsträger erkennen, dass dem touristischen Wachstum Grenzen gesetzt sind und dass durch eine Überschreitung dieser Grenzen Overtourism entsteht, was diverse Effekte und Kritik nach sich zieht (Kapitel 3.3 und 3.4) (vgl. ebd.). Dass "mehr" immer "besser" bedeutet, ist in diesem Zusammenhang ein Trugschluss (vgl. Hospers 2019: 21). Ist eine Stadt bereits vom Overtourism betroffen, können die genannten Gegenmaßnahmen (Kapitel 4.3) die Lage entlasten. Allerdings wird dieses Programm das Fernweh der Reisenden insgesamt nicht bremsen können (vgl. Vogel 2020: 99).Außerdem bringt die Regulierung des Tourismus eine weitere Problematik mit sich, die Vogel (2020: 101f.) als "demokratisches Paradox" beschreibt. Auf der einen Seite würde demnach die Beschränkung des Tourismus mit dem demokratischen Anspruch, allen das Reisen zu ermöglichen, kollidieren. Die meist mit der Begrenzung des Tourismus einhergehende Verknappung und Verteuerung des Angebots würde demzufolge dazu führen, dass das Reisen erneut zu einem Privileg der Eliten werden würde.Auf der anderen Seite führt die fundamentale Demokratisierung des Reisens dazu, dass die Einheimischen aufgrund der diversen Tourismuseffekte (Kapitel 3.3) verdrängt werden, wodurch "der Anspruch, jedem das Reisen zu ermöglichen, mit einem mindestens ebenso […] demokratischen Bestreben, den […] Tourismus zu begrenzen" kollidiert. Insgesamt lässt sich dieses demokratische Paradox nur schwer auflösen, weshalb Vogel (2020: 102) dafür plädiert, weniger das Reisen an sich, sondern vielmehr das Reisen in seiner derzeitigen Form in Frage zu stellen. 6. FazitZusammenfassend entwickelte sich Barcelona seit der Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 1992 zu einer führenden städtetouristischen Destination, die heute knapp 30 Millionen Reisende pro Jahr anzieht. Einen erheblichen Beitrag hierzu leistete die Tourismus-Wachstumskoalition und die damaligen politischen Entscheidungsträger*innen, für die der Tourismus ein willkommener Wachstumsmotor darstellte. Zudem beschleunigten externe Faktoren wie die Zunahme an internationalen Investitionen und die Entstehung von Online-Vermietungsplattformen das Wachstumstempo.Im Rahmen dieser Entwicklung wurden jedoch psychische, soziale, ökonomische und ökologische Tragfähigkeitsgrenzen überschritten, was sich anhand der negativen Effekte des Overtourism äußert. Neben der Verminderung der Zufriedenheit von Gästen und Einwohner*innen zählen hierzu unter anderem tourismusinduzierte Gentrifizierungsprozesse sowie ökologische Belastungen durch die touristische Mobilität. Diese Überschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen markierte für die Bewohner*innen entsprechend des irritation index den Wendepunkt von der anfänglichen Euphorie hin zur Irritation und Ablehnung des Tourismus. Exemplarisch steht hierfür die Aufforderung "Tourist go home", die durch zahlreiche Protestaktionen zum Ausdruck gebracht wurde.Für den Großteil der Bewohnerschaft Barcelonas ist demnach eine Regulierung des Städtetourismus notwendig. Nach einer zunächst zögerlichen Begrenzung präsentierte die Stadtverwaltung vor allem mit der Strategie 2020 ein Arsenal an Maßnahmen zur Steuerung des Tourismus, von denen der Großteil bereits realisiert wurde. Neben Maßnahmen, die auf eine Reduzierung der Besucherzahl zielen, gilt vor allem die räumliche und zeitliche Entzerrung der Touristenströme als ein vielversprechender Ansatz.Dass eine Regulierung des Tourismus aus Sicht der Bewohnerschaft und aktuellen Stadtverwaltung unvermeidbar ist, liegt somit auf der Hand. Allerdings kollidiert das demokratische Anliegen, den Tourismus zu begrenzen, mit dem ebenso demokratischen Anspruch, allen das Reisen zu ermöglichen. Somit ist eine Regulierung des Städtetourismus auf der einen Seite notwendig, auf der anderen Seite vertieft diese jedoch Ungleichheiten. Inwiefern eine neue Form des Reisens wie z.B. "Slow Travelling" eine Alternative zur Beschränkung des Tourismus darstellt, bleibt offen.LiteraturAjuntament de Barcelona (2013): Baròmetre semestral de Barcelona: Resum de Resultats, [online] https://bcnroc.ajuntament.barcelona.cat/jspui/bitstream/11703/86695/1/11539.pdf [abgerufen am 18.03.2023].Ajuntament de Barcelona (2016): Baròmetre semestral de Barcelona: Resum de Resultats, [online] https://bcnroc.ajuntament.barcelona.cat/jspui/bitstream/11703/99553/1/r_16037_Resum%20de%20resultats.pdf [abgerufen am 18.03.2023].Ajuntament de Barcelona (2022): Avaluació del Pla Estratègic de Turisme 2020, [online] https://ajuntament.barcelona.cat/turisme/sites/default/files/220208_avaluaciopet20_v2_0.pdf [abgerufen am 11.03.2023].Ajuntament de Barcelona/Barcelona Turisme (2010): City of Barcelona Strategic Tourism Plan: Diagnosis and strategic proposal, [online] https://bcnroc.ajuntament.barcelona.cat/jspui/bitstream/11703/86343/1/4064.pdf [abgerufen am 08.03.2023].Barcelona Activa (o. 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Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 wurden im Jahr 2015 siebzehn Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), festgelegt. Da die SDGs auf alle Ebenen der Regierung anwendbar sind, bilden diese Ziele auch für Kommunen einen wichtigen Rahmen zur Orientierung. Eine nachhaltige Entwicklung gewinnt somit auch auf kommunaler Ebene zunehmend an Bedeutung. Dies zeigt sich unter anderem anhand des Engagements, das in vielen Kommunen zu erkennen ist. Durch die SDGs haben auch Kommunen einen strategischen Orientierungsrahmen und können konkrete Ziele und Maßnahmen leichter festlegen. Nachhaltigkeit kann somit vor Ort wirkungsvoller in die Realität umgesetzt werden.Effektiver Klimaschutz und Nachhaltigkeitsmanagement auf kommunaler Ebene ist essenziell. Neben dem notwendigen Beitrag zur nationalen und internationalen nachhaltigen Entwicklung können Kommunen klare Vorteile aus einer Nachhaltigkeitsstrategie ziehen: Beispielsweise können Gebäude energieeffizienter gebaut und genutzt und das Verkehrssystem kann effizienter und umweltfreundlicher gestaltet werden und gleichzeitig die CO2-Belastung und Verkehrsdichte im urbanen Raum reduzieren. Was zum Klimaschutz beiträgt, kann demnach gleichzeitig die Attraktivität von Kommunen steigern. Des Weiteren schützen sich Kommunen so vor Wetterextremen und können sich an den Klimawandel anpassen.Nach wie vor bestehen Unterschiede. Während einige Kommunen bereits seit mehreren Jahrzehnten an einer möglichst nachhaltigen Stadtentwicklung arbeiten und bereits viele Erfahrungen sammeln und Erkenntnisse gewinnen konnten, haben andere Städte vergleichsweise spät damit begonnen. Weiterhin schlagen Kommunen teils sehr unterschiedliche Wege ein, um die festgelegten Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen. Dies kann beispielsweise an den örtlichen Gegebenheiten oder an unterschiedlichen Ziel- und Schwerpunktsetzungen liegen. Übergeordnet stellen sich die Fragen, wieso gerade auf kommunaler Ebene viel für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit getan werden muss und seit wann dies konkrete Formen annimmt.Ziel dieser Ausarbeitung ist es, zwei europäische Großstädte bezüglich ihrer bisherigen Nachhaltigkeitsentwicklung zu untersuchen. Die Schwerpunktsetzung liegt dabei sowohl beim Bereich Mobilität als auch bei ausgewählten Maßnahmen im Bereich einer nachhaltigen Stadtplanung. Weitere Aspekte werden bei Bedarf hinzugezogen. Ein Vergleich zwischen beiden Städten soll anschließend erfolgen. Bei diesem Vergleich müssen die Besonderheiten der jeweiligen Stadt berücksichtigt werden. Auch wenn nicht alle Parameter berücksichtigt werden können und ein direkter Vergleich möglicherweise nicht in allen Bereichen zielführend ist, können dadurch Erkenntnisse, beispielsweise bezüglich des Fortschritts der jeweiligen Stadt, gewonnen werden.Bei den zu untersuchenden Kommunen handelt es sich um Kopenhagen und München. Beide Städte weisen unterschiedliche Ausgangslagen, Besonderheiten und geografische Gegebenheiten auf, was darauf schließen lässt, dass divergente Befunde auftreten. Dies macht einen Vergleich interessanter und aufschlussreicher als beispielsweise einen Vergleich auf nationaler Ebene. Es handelt sich um internationale Städte innerhalb der Europäischen Union. Weiterhin sind beide Städte Großstädte, die ihre jeweilige Region prägen. Trotz der verschiedenen Gegebenheiten werden dabei exemplarisch ähnliche Bereiche beleuchtet. Dies soll die Vergleichbarkeit gewährleisten. Neben der Mobilität werden die Bereiche der Energieversorgung und Extremwetter- beziehungsweise Klimaanpassung beleuchtet.Bevor die Kommunen untersucht werden, werden im Vorgriff die für diese Ausarbeitung notwendigen Grundlagen thematisiert. Hier werden zentrale Elemente untersucht, zum Beispiel, wie Nachhaltigkeit definiert wird, welche Rolle eine nachhaltige Stadt spielt, was eine nachhaltige Stadt ausmacht und wie der urbane Raum überhaupt zentral für internationale Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsbestrebungen werden konnte. Da es sich hierbei um zentrale Aspekte handelt, die es auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu verstehen gilt, fällt dieser Teil verhältnismäßig umfangreich aus.GrundlagenIn diesem Kapitel werden relevante Grundlagen betrachtet. Dazu gehört neben Grundbegriffen und Faktoren, die sich auf nachhaltige Mobilität und Stadtplanung beziehen, ein kurzer Überblick, der beschreibt, wie das Thema Nachhaltigkeit historisch betrachtet für die kommunale Ebene relevant wurde. Darüber hinaus muss der Begriff Nachhaltigkeit vorab definiert werden, womit nachfolgend begonnen wird.Begriff NachhaltigkeitDer Begriff Nachhaltigkeit existiert seit mehr als drei Jahrhunderten und wurde ursprünglich in der Forstwirtschaft verwendet. Nachhaltigkeit stammt aus einem Bereich, in dem ressourcenschonendendes Wirtschaften äußerst relevant ist. Bezeichnend für das damalige Verständnis von Nachhaltigkeit ist die Vorgabe, innerhalb eines Jahres nicht mehr Holz zu fällen, als in derselben Zeitspanne nachwachsen kann (vgl. Weinsziehr/Verhoog/Bruckner 2014, S. 3). Die Forstwirtschaft arbeitete demzufolge dann nachhaltig, wenn der Verbrauch der Ressourcen und somit die Abholzung die Menge des nachwachsenden Holzes nicht übersteigt. Die heutige Auffassung von Nachhaltigkeit ist mit diesem Ursprungsgedanken eng verknüpft. Dies zeigt sich auch anhand der folgenden Definition:"Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden" (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023c, o.S.).In der heutigen Zeit bezieht sich der Begriff Nachhaltigkeit jedoch auf alle Wirtschaftsbereiche und beinhaltet einen weiteren Aspekt, die sogenannte "Triple Bottom Line" (TBL), welche drei Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung benennt (vgl. Weinsziehr/Verhoog/Bruckner 2014, S. 3f.): Die wirtschaftliche Effizienz, die soziale Gerechtigkeit und die ökologische Tragfähigkeit müssen gleichberechtigt betrachtet werden, und möglichst alle politischen Entscheidungen sollten Nachhaltigkeit als Grundlage beinhalten (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023c, o.S.).Der Begriff Nachhaltigkeit wird heute teilweise inflationär verwendet (vgl. Aden 2012, S. 15). Im weiteren Verlauf dieser Arbeit spielt vor allem das Verständnis einer nachhaltigen Entwicklung eine Rolle, was wie folgt definiert werden kann:"Politik und menschliches Verhalten sollen sich an der langfristigen Erhaltung der Lebensgrundlagen orientieren" (ebd., S. 15).Nachhaltige Stadt: Eine ArbeitsdefinitionEs gilt, eine adäquate Arbeitsdefinition von Nachhaltigkeit im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu formulieren. Ziel dieser Arbeit ist es, vor allem den Bereich Mobilität innerhalb von München und Kopenhagen zu beleuchten. Nachhaltigkeit im weiteren Verlauf bezieht sich somit vermehrt auf eine ressourcenschonende und emissionsarme Verkehrsplanung. Neben der Verkehrsplanung sind jedoch weitere Elemente interessant. Eine in der Gesamtheit nachhaltige Stadt lässt sich wie folgt definieren:" […] ein gut ausgebautes Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs, eine regelmäßige Müllentsorgung sowie architektonische Innovationen, die es der städtischen Bevölkerung erlauben, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen" (Bildung für nachhaltige Entwicklung 2023, o.S.).Ein nachhaltiger Lebensstil wiederum bedeutet, dass Menschen durch ihren eigenen Lebensstil und den Verbrauch ihrer Ressourcen nachfolgenden Generationen dieselben Möglichkeiten bieten (vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys 2015, o.S.). Eine nachhaltige Stadt ist gleichzeitig eine für ihre Bewohner:innen ansprechende Stadt, die eine saubere Umwelt, ein intaktes Verkehrssystem, erschwingliche Energie und ein gutes gesellschaftliches Miteinander gewährleistet (vgl. Dütz 2017, S. 15).Eine nachhaltige Stadtentwicklung kann somit eine Vielzahl verschiedener Themenbereiche beinhalten (vgl. Firmhofer 2018, S. 10). Aufgeteilt in zwei Oberbereiche muss sich eine Stadt bezogen auf die städtische Infrastruktur und auf das städtische Leben verändern. Die städtische Infrastruktur beinhaltet zum Beispiel das Transportwesen sowie die Energie- und Wasserversorgung. Das städtische Leben enthält unter anderem wohnliche, arbeitstechnische, soziale und kulturelle Elemente (vgl. ebd., S. 10). Der Begriff Stadtentwicklung selbst bezeichnet"die Steuerung der Gesamtentwicklung von Städten und Gemeinden und erfordert eine integrierte und zukunftsgerichtete Herangehensweise, die durch Stadtplanung […] umgesetzt wird" (Koch/Krellenberg 2021, S. 19).Folgende Handlungsfelder sind besonders relevant für eine nachhaltige Stadtentwicklung: Die Dekarbonisierung, die Förderung möglichst umweltfreundlicher Mobilität, das Ziel einer baulich und räumlich kompakten sowie sozial durchmischten Stadt, die Klimawandelanpassung und die Bekämpfung von Armut (vgl. ebd., S. 22).Diese Eingrenzung dient als Fokus dieser Ausarbeitung. Das Augenmerk liegt neben der städtischen Verkehrsinfrastruktur auf weiteren ausgewählten Aspekten, beispielsweise auf der Energieversorgung und baulichen Maßnahmen. Diese Aspekte werden hinsichtlich der Frage betrachtet, ob und in welchem Maße die städtische Bevölkerung dadurch einen nachhaltigen Lebensstil erreichen kann. Somit ist ebenso das städtische Leben relevant.Entwicklung nachhaltiger KlimaschutzzieleUm zu verstehen, wie sich ein Nachhaltigkeitskonzept auf kommunaler Ebene entwickeln konnte, wird ein historischer Überblick gegeben, der die Entwicklung nachhaltiger Klimaschutzziele von der globalen bis hin zur kommunalen Ebene zusammenfasst. Dabei werden vor allem relevante Eckpunkte benannt.Im Jahr 1997 wurde das Kyoto-Protokoll beschlossen und trat acht Jahre später in Kraft. Durch diese Vereinbarung verpflichteten sich die meisten Industriestaaten inklusive der damaligen EU-Mitgliedsstaaten dazu, die Emissionen von bestimmten Treibhausgasen innerhalb von vier Jahren um mindestens fünf Prozent, verglichen mit dem Jahr 1990, zu senken (vgl. Eppler 2023, o.S.).Im Jahr 2000 verständigten sich die Vereinten Nationen (UN) auf die Millennium Development Goals (MDGs) (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 6). Durch diese Erklärung verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der jeweiligen Staaten neben der Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten auch gegen Umweltzerstörung vorzugehen. Um die Fortschritte messbar zu machen, wurden Zielvorgaben für das Jahr 2015 formuliert (vgl. Weltgesundheitsorganisation 2018, o.S.). Der Fokus lag auf der supranationalen, also auf der überstaatlichen Ebene. Eine nachhaltige Stadtentwicklung stand nicht im Fokus, war durch einige Zielformulierungen dennoch indirekt betroffen (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 6).Im Jahr 2009 fand die Weltklimakonferenz in Kopenhagen statt. Das Ziel, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wurde als Absichtsziel erklärt, jedoch fehlten verpflichtende Regelungen (vgl. Schellnhuber u. a. 2010, S. 5). Der festgelegte Wert von zwei Grad Celsius kommt durch die Wissenschaft zustande. Diese geht davon aus, dass dieser Wert nicht überschritten werden darf, um drastische Konsequenzen zu vermeiden (vgl. Buhofer 2018, S. 83).Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde das Zwei-Grad-Celsius-Ziel festgelegt (vgl. Edenhofer/Jakob 2017, S. 39). Dieses Mal handelt es sich um ein völkerrechtlich bindendes Abkommen, welches das Kyoto-Protokoll ablöste und zur Erreichung der Eckpunkte verstärkt die kommunale Ebene miteinbezieht (vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2023, o.S.). Weitere Ziele des Pariser Klimaabkommens, das Ende 2016 in Kraft trat, sind die Senkung von Emissionen und die Klimawandelanpassung (vgl. Watjer 2023, o.S.). Nationale Klimaschutzkonzepte sind in der Regel als Folge des Pariser Klimaabkommens entstanden (vgl. ebd. 2023, o.S.). Die Vereinten Nationen brachten im Jahr 2015 die Agenda 2030 auf den Weg, die klare Ziele für eine nachhaltige Entwicklung benennt (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 7).Agenda 2030 und die Sustainable Development Goals"Transforming our world" (Koch/Krellenberg 2021, S. 6) - diese Formulierung verdeutlicht die ambitionierten Ziele, die mit der Agenda 2030 durch die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals (SDGs) festgelegt wurden. Die Agenda 2030 ist für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gültig. Kern der Agenda ist das Ziel einer nachhaltigen globalen Entwicklung auf allen dazugehörigen Ebenen, was durch die 17 Ziele erreicht werden soll (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023a, o.S.). Diese Ziele ergänzen sich gegenseitig, haben den gleichen Stellenwert und beinhalten jeweils zwischen acht und zwölf Unterziele (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 9). Auch wenn die Agenda 2030 von allen UN-Mitgliedsstaaten beschlossen wurde, ist diese rechtlich nicht bindend, was ebenfalls für die SDGs gilt (vgl. ebd. 2021, S. 12).Im Vergleich zu den MDG-Zielen sind die SDG-Zielsetzungen umfangreich formuliert und mit SDG-Ziel elf wird erstmals die regionale und lokale Ebene in den Blickpunkt genommen. Dieses Ziel betrachtet ausdrücklich die Entwicklung von Städten und Gemeinden mit dem Anspruch, diese neben einer nachhaltigen Gestaltung sicherer, inklusiver und widerstandsfähig zu gestalten (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 7f.).Nachfolgend werden die wichtigsten Unterziele dargestellt. Neben der Sicherung von bezahlbarem Wohnraum soll das Verkehrssystem nachhaltig, sicher, zugänglich und bezahlbar ausgebaut werden (vgl. Vereinte Nationen 2023b, S. 24). Siedlungspläne sollen auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden (vgl. ebd., S. 24). Ziel hierbei ist es, die Verstädterung bis 2030 nachhaltiger und inklusiver zu organisieren. Ebenfalls bis 2030 soll die Zahl der durch Klimakatastrophen bedingten Todesfälle und Betroffenen deutlich gesenkt werden (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 10). Von Städten ausgehende schädliche Umweltauswirkungen sollen verringert, die Luftqualität verbessert und Grünflächen als öffentliche Räume geschaffen und inklusiv, also für alle Menschen, zugänglich gemacht werden (vgl. Vereinte Nationen 2023b, S. 24).Weitere SDGs lassen sich nur durch städtische Maßnahmen verwirklichen und sind daher eng mit der urbanen Entwicklung verbunden. Ein Beispiel ist SDG 7, das auf nachhaltige beziehungsweise erneuerbare Energien fokussiert ist und nicht entkoppelt von der zukünftigen Energieversorgung in den Städten betrachtet werden kann (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 11).Durch die Festlegung dieser Ziele ist Nachhaltigkeit ein zentraler Aspekt der Städteplanung und -entwicklung. Städte stehen somit spätestens seit der Agenda 2030 auch formell vor großen Herausforderungen und Transformationsprozessen. Die Zuspitzung von Umweltkatastrophen und Extremwetterereignissen zeigt, dass Städte darüber hinaus dazu gezwungen sind, Klimaanpassungsmaßnahmen und eine nachhaltige Stadtentwicklung zügig umzusetzen.Klimaschutz in der Europäischen Union, in Deutschland und in DänemarkWas haben diese internationalen Abkommen bewirkt? Da München und Kopenhagen im Fokus dieser Ausarbeitung stehen, müssen diese Städte betreffende Beschlüsse bezüglich der gesetzten Ziele einer nachhaltigen Stadtentwicklung auf weiteren Ebenen betrachtet werden. Trotz der Ähnlichkeit der festgelegten Klimaschutzprogramme in der EU, in Dänemark und in Deutschland, werden diese separat zusammengefasst. Im Jahr 2007 betrug der Anteil der EU an globalen CO2-Emissionen ein Sechstel und der Anteil der Treibhausgasemissionen der Industrieländer ein Fünftel (vgl. Dröge 2007, S. 2). Dies untermauert den Handlungsbedarf.Das Klimaschutzprogramm der aktuellen Fassung des deutschen Klimaschutzgesetzes hat an den ehrgeizigen Zielen nichts geändert. Nach wie vor soll Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral sein und den Ausstoß von Treibhausgasen bereits bis 2030 um 65 Prozent gesenkt haben (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2023, o.S.).Dänemark hat eine Klimastrategie vorgelegt und sich das Ziel gesetzt, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Bis 2030 will Dänemark seine Treibhausgasemissionen um 70 Prozent senken. Klimaneutralität soll bis 2050 erreicht sein (vgl. Außenministerium Dänemark 2020, S. 27). Ebenso will Dänemark dazu beitragen, die globalen Anstrengungen voranzutreiben. Hierfür soll mit anderen Ländern und mit nichtstaatlichen Akteur:innen zusammengearbeitet werden (vgl. Außenministerium Dänemark 2020, S. 6).Auf EU-Ebene sind die Zielsetzungen ähnlich, was sich durch den "Green Deal" der EU zeigt. Demzufolge sollen die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden, bis 2050 soll Treibhausgasneutralität herrschen (vgl. Europäische Kommission 2023, o.S.). Ziel ist es, durch diesen europäischen "Grünen Deal" der erste klimaneutrale Kontinent zu werden und dementsprechend die Verpflichtungen umzusetzen, die sich aus dem Pariser Klimaabkommen ergeben (vgl. Europarat 2023, o.S.). Folglich sind die Ziele von Deutschland und Dänemark bezüglich der Erreichung und der Höhe der Einsparungen teilweise höher angesetzt, als auf EU-Ebene beschlossen.Nachhaltige StadtentwicklungEs stellt sich die Frage, aus welchen Gründen gerade der urbane Raum eine zentrale Größe für Nachhaltigkeitsziele einnimmt. Aktuelle Berichte, Daten und Prognosen können dabei helfen, diese Frage zu beantworten.Relevanz einer nachhaltigen StadtentwicklungDer jüngste SDG-Fortschrittsbericht wurde im Mai 2023 veröffentlicht. Die Vereinten Nationen kommen darin zu dem Ergebnis, dass über die Hälfte der Weltbevölkerung momentan in städtischen Gebieten lebt. Dieser Anteil könnte bis 2050 auf etwa 70 Prozent steigen (vgl. Vereinte Nationen 2023a, S. 34). Verglichen mit dem Jahr 2020 wird die urbane Bevölkerung in Mitteleuropa und somit auch in Deutschland und Dänemark im Jahr 2050 um acht Prozent steigen (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023b, S. 4).Im Vergleich zu anderen Kontinenten stellt dies einen geringen Anstieg dar. So wird die städtische Bevölkerung in Nordafrika im gleichen Referenzzeitraum voraussichtlich um 79 Prozent steigen (vgl. ebd. 2023b, S. 4). Zwei Aspekte dürfen jedoch nicht unbeachtet bleiben: Zum einem ist es eine globale Herausforderung, diesem Anstieg gerecht zu werden. Die Auswirkungen werden für viele mittelbar und unmittelbar spürbar sein. Weiterhin stehen bei einem Bevölkerungsanstieg von acht Prozent auch dicht besiedelte mitteleuropäische Städte vor einer Vielzahl an Aufgaben, was sich auch für Städte wie München und Kopenhagen bemerkbar machen wird. Beispielsweise lebten bereits im Jahr 2017 drei von vier Menschen in Deutschland innerhalb von Städten (vgl. Dütz 2017, S. 14). Dementsprechend sind auch europäische Städte zentral, was die Implementierung der Klimaschutzziele angeht (vgl. ebd., S. 13).Städte verbrauchen mit knapp 80 Prozent bereits heute einen Großteil der weltweiten Energie und Ressourcen, beispielsweise durch die großen Abfallmengen, das Heizen und den Schadstoßausstoß der vielen Fahrzeuge (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023d, o.S.). Gleichzeitig sind Städte für bis zu 76 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 1). Städte gehören somit zu den Hauptverursachern des Klimawandels, was durch folgende Worte deutlich wird:"Der Klimanotstand ist auch ein Notstand der Stadt" (Chatterton 2019, S. 275).Durch den prognostizierten Bevölkerungsanstieg wird die Relevanz von Städten bezogen auf die Realisierung von Klimaschutzzielen weiter steigen. Nicht zuletzt, da Städte bereits heute für den Großteil der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs verantwortlich sind. Städte nehmen eine zentrale Rolle in der Verwirklichung einer nachhaltigen Zukunft ein. Gleichzeitig sind gerade Städte durch den Klimawandel in erhöhtem Maße gefährdet (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 1f.). Auch aus Gründen des Selbstschutzes sind Städte daher gezwungen, Strategien und Maßnahmen zur Klimaanpassung zu entwickeln. Nur so kann der urbane Raum dem Klimanotstand gerecht werden. Entwicklung einer nachhaltigen und klimaneutralen Stadt"Wie lässt sich die Entwicklung der Städte so steuern, dass diese den notwendigen Beitrag zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung leisten können?" (Koch & Krellenberg 2021, S. 2).Diese zentrale Frage stellt sich in diesem Kapitel. Konkret wird der Frage nachgegangen, wie eine Stadtentwicklung aussehen muss, um notwendige Nachhaltigkeitsziele hinreichend zu erfüllen und den Erfordernissen einer nachhaltigen Stadt gerecht zu werden.Der aktuelle SDG-Fortschrittsbericht bilanziert die Hälfte der Zeit seit Inkrafttreten der SDG-Ziele. Die Halbzeitbilanz der Agenda 2030 liest sich bezogen auf die Fortschritte einer städtischen Nachhaltigkeitsentwicklung insgesamt ernüchternd: Lediglich die Hälfte der städtischen Bevölkerung hatte im Jahr 2022 annehmbaren Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, auch die Luftverschmutzung und der Mangel an Freiflächen sind anhaltende Probleme in Städten (vgl. Vereinte Nationen 2023a, S. 34).Gleichzeitig hält der Bericht fest, dass in Ländern mit hohem Einkommen viel für die Bekämpfung der Luftverschmutzung getan wurde, was dennoch nicht ausreichend ist. Darüber hinaus wird angemerkt, dass es sich bei der Luftverschmutzung um kein rein städtisches Problem handelt (vgl. ebd., S. 35). Allerdings muss sich gerade der Autoverkehr in der Stadt ändern. Paul Chatterton spielt dabei auf ein neues Mobilitätsparadigma an und fordert eine autofreie Stadt, da nur dies dem Klima wirklich gerecht werden und soziale Ungleichheit reduzieren kann (vgl. Chatterton 2019, S. 278).Ebenso muss der Aspekt berücksichtigt werden, dass Menschen in Großstädten häufig verschiedene Verkehrsmittel nutzen, um an ihr Ziel zu kommen (vgl. Kallenbach 2021, S. 33). Selbst wenn klimafreundliche Mobilität zur Verfügung steht, wird diese somit nicht ausschließlich genutzt. Hieran anknüpfend stellt sich die Frage, wie sich dies ändern lässt. Hierfür besteht bereits eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen, unter anderem die Abkehr von der Vorstellung einer autogerechten Stadt, die effizientere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur, die Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zur Schaffung einer wirklichen Alternative oder eine kilometerabhängige Gebühr für die Nutzung von Straßen (vgl. Edenhofer/Jakob 2017, S. 101f. ).Ein Großteil des Energiebedarfs in Städten kommt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, den Transport und die Heizung beziehungsweise Kühlung von Gebäuden zustande (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 2). Sollen die Einsparziele gelingen, so ist eine Verkehrswende unumgänglich (vgl. Jakob 2023, S. 1). Gleichzeitig stehen durch den Klimawandel auch städtische Verkehrssysteme vor enormen Herausforderungen. Gerade in urbanen Gebieten hängen viele Infrastrukturnetze, die zum Funktionieren des städtischen Systems beitragen, mit dem Verkehrssystem zusammen (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 6).Dabei bestehen mehrere Möglichkeiten, städtische Verkehrsnetze zu verbessern und gleichzeitig zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten: Die Fokussierung auf Fußgänger und nicht-motorisierten Verkehr sowie auf den ÖPNV kann einige Vorteile, wie zum Beispiel eine Reduzierung von Emissionen und wirtschaftlichen Wohlstand, bieten (vgl. ebd. 2015, S. 6). Die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und anderer emissionsarmer Infrastrukturen kann darüber hinaus zu Energieeinsparungen, Zeitersparnis und einer besseren Luftqualität beitragen (vgl. ebd., S. 6). Die Zukunftsgestaltung der städtischen Verkehrsinfrastruktur spielt daher in mehrfacher Hinsicht eine zentrale Rolle. Neben dem Verkehrsbereich sind weitere Sektoren, unter anderem das Abfallsystem und der Umgang mit Gebäuden entscheidend (vgl. ebd. 2015, S. 2).Der Energiesektor ist enorm wichtig, da hier das größte Potential für eine Reduzierung von Emissionen liegt. Parallel mit einer steigenden Energienachfrage, beispielsweise in Strom oder Brennstoffen, werden Treibhausgasemissionen ansteigen. Gerade Städte sind dazu gezwungen, den Energiebedarf zu senken, die Energieerzeugung sowie den -verbrauch effizienter zu gestalten, auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen und gleichzeitig eine sichere Versorgung zu gewährleisten (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 6).Im weiteren Verlauf werden nun die Städte Kopenhagen und München in Bezug auf ihre Anstrengungen untersucht. Fokus dabei bleibt der Bereich Verkehr und Mobilität. Ebenso wird exemplarisch der Bereich der Extremwetteranpassung sowie, für den Bereich der Energieversorgung, die kommunale Wärmeplanung untersucht.KopenhagenKopenhagen ist Sitz des dänischen Königshauses (vgl. Heidenreich 2019, o.S.). Die Stadt liegt auf der Insel Seeland (vgl. Britannica 2023, o.S.) und ist an der Meerenge Öresund gelegen, welche die Ost- und die Nordsee miteinander verbindet (vgl. Heidenreich 2019, o.S.). Gegründet wurde die Stadt im frühen zehnten Jahrhundert, seit 1445 ist Kopenhagen Dänemarks Hauptstadt (vgl. Britannica 2023, o.S.). Die Einwohnerzahl Kopenhagens ist in den letzten zehn Jahren um knapp 100.000 Einwohner:innen gewachsen Mit aktuell etwa 653.000 Einwohner:innen ist Kopenhagen die größte Stadt Dänemarks (vgl. Dyvik 2023, o.S.). Sie hat eine Fläche von ungefähr 88 Quadratkilometern, ist damit vergleichsweise klein und liegt 24 Meter über dem Meeresspiegel (vgl. Kallenbach 2021, S. 34).Grundlegende Informationen und BesonderheitenDie Stadt Kopenhagen hat eine bewegte Geschichte. Beispielsweise wurde die Stadt im Laufe der Jahrhunderte mehrmals von Großfeuern zerstört, war sehr umkämpft und im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten besetzt (vgl. Findeisen/Husum 2008, S. 146ff.). Damals blieb die Stadt jedoch überwiegend unbeschädigt, was sich auch heute im Stadtbild bemerkbar macht. Ein Beispiel hierfür ist Schloss Rosenborg (vgl. Heidenreich 2019, o.S.). Im Jahr 1996 wurde die Stadt zur Kulturhauptstadt ernannt (vgl. Findeisen/Husum 2008, S. 149).Das Klima in Kopenhagen ist mild und gemäßigt. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 8,9 Grad Celsius (vgl. climate-data.org 2023, o.S.). In Kopenhagen fällt insgesamt viel Regen. Selbst in den trockenen Monaten ist die Niederschlagsmenge erheblich (vgl. ebd. 2023, o.S.). Aufgrund der Lage am Meer können Sturmfluten zu Überschwemmungen mit gravierenden Auswirkungen führen. Dieser Gefahr und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zu handeln, ist sich auch die Stadtverwaltung Kopenhagens bewusst (vgl. Stadtverwaltung Kopenhagen 2023, o.S.).Verkehr und MobilitätBetrachtet man die Verkehrsplanung Kopenhagens, so muss zwingend auf die Fahrradinfrastruktur eingegangen werden. Der Autoverkehr sowie der ÖPNV dürfen dennoch nicht außer Acht gelassen werden. Ziel dieser Betrachtung ist es, Aufschlüsse über die Beweggründe und konkreten Vorgehensweisen der Verkehrsplanung und -infrastruktur in Kopenhagen zu erhalten. Dabei soll eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation erfolgen.Regelmäßig liegt Kopenhagen auf dem ersten Platz der weltweit besten Fahrradstädte und dennoch wurden im Jahr 2021 knapp ein Drittel aller Fahrten mit dem Auto bewältigt (vgl. Kallenbach 2021, S. 5). In den 1950er und 1960er Jahren war die Verkehrsplanung auf das Auto ausgerichtet, was zu einer deutlichen Verringerung der Radfahrenden in den darauffolgenden Jahrzehnten führte. Während 1949 an der Nørrebrogade, einer zentralen Hauptstraße in Kopenhagen, an einem Tag durchschnittlich mehr als 62.000 Radfahrende gezählt wurden, waren es im Jahr 1978 nur etwa 8.000 (vgl. ebd. 2021, S. 5f.).In den 1970er Jahren kam es zu umfangreichen Fahrradprotesten und Forderungen nach mehr Fahrradwegen. Trotz der damals bereits vorhandenen Relevanz war der Umweltaspekt jedoch nicht ausschlaggebend. Vielmehr stand die Verkehrssicherheit für die Radfahrenden im Fokus der Fahrradproteste (vgl. ebd., S. 30f.). Im Jahr 2019 gab die deutliche Mehrheit aller Fahradfahrenden in Kopenhagen an, aufgrund der Zeitersparnis gegenüber anderen Verkehrsmitteln (46 Prozent) und aus praktischen Aspekten (55 Prozent) mit dem Fahrrad zu fahren. Ein deutlich geringerer Anteil von 16 Prozent gab Umweltschutzaspekte als Beweggrund an (vgl. ebd., S. 31). Ein weiterer Faktor war die Ölkrise in den 1970er Jahren, welche die Notwendigkeit alternativer Verkehrsmittel untermauerte und in der Folge die Anzahl der Fahrradfahrenden in Kopenhagen stark anstiegen ließ (vgl. Kallenbach 2021, S. 35).Trotz dieser Faktoren sind gerade die nicht-diskursiven, also die bereits vorhandenen Faktoren wesentlich für den Weg Kopenhagens zur Fahrradmetropole und für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Zum einem sind es geographisch vorteilhafte Gegebenheiten, die Kopenhagen vorteilhaft für den Fahrradverkehr machen, was durch die geringe Größe und die flache Lage der Stadt sichtbar wird (vgl. Kallenbach 2021, S. 34). Dadurch bedingt ist auch die Geschichte Kopenhagens, in welcher der Radverkehr einen relevanten Teil einnimmt (vgl. ebd. 2021, S. 36). Der Sicherheitsaspekt beim Fahrradfahren ist sehr relevant. In Kopenhagen setzte man dementsprechend bereits früh auf vom Autoverkehr separierte Fahrradwege, was parallel zu einem Anstieg der Fahrradfahrenden führte (vgl. Søholt 2014, S. 1f.).Ein weiterer Faktor ist die ununterbrochene politische Richtung hinsichtlich der Mobilität in Kopenhagen, die durch Sozialdemokrat:innen und linke Parteien seit den 1970er Jahren besteht. Diese Kontinuität wirkte sich ebenso auf Investitionen für den Fahrradverkehr und die Fahrradinfrastruktur aus (vgl. Kallenbach 2021, S. 36f.). Zusammengesetzt aus solchen Faktoren konnte sich in Kopenhagen eine Kultur des Fahrradfahrens herausbilden. Neben den Umweltschutzaspekten ist Kopenhagen dadurch attraktiver für Menschen, aber auch für Unternehmen geworden (vgl. Søholt 2014, S. 1).Auch negative Effekte können auftreten. Beispielsweise kommt es vermehrt zu Staus auf den stark befahrenen Fahrradwegen. Die Stadt reagiert darauf mit dem Ausbau der Fahrradspuren und dementsprechend der Verkleinerung von Fahrbahnen für Autos (vgl. Søholt 2014, S. 2). Auch das Sperren von Straßen für den Autoverkehr wird in Erwägung gezogen. Ziel dabei ist es, mehr Platz für die Radfahrenden und den ÖPNV zu schaffen (vgl. ebd., S. 2). Kopenhagen versucht weiterhin umweltfreundliche Kraftstoffe und den Anteil von Elektroautos, auch unter den Taxen der Stadt, voranzutreiben (vgl. Stadt Kopenhagen 2020, S. 41).Der Klimaschutzplan der Stadt benennt den Bereich der Mobilität als eine von vier zentralen Säulen (vgl. Stadt Kopenhagen 2020, S. 13). Im Bericht aus dem Jahr 2020 wird festgestellt, dass CO2-Emissionen nach wie vor deutlich reduziert werden müssen. So sind trotz der Bemühungen und einiger Erfolge die Kohlenstoffemissionen im PKW-Bereich zwischen 2012 und 2018 um zehn Prozent gestiegen (vgl. ebd. 2020, S. 39f.). Parallel mit dem Bevölkerungsanstieg ist die Zahl der Autobesitzer:innen gestiegen. Dennoch sind die Pro-Kopf Emissionen im Straßenverkehr von 2010 bis 2018 um 16 Prozent gesunken (vgl. ebd. 2020, S. 41).Kopenhagen eröffnete im Herbst 2019 den "Cityring" und baut diesen nach und nach aus. Der damit verbundene Ausbau der U-Bahn soll die verschiedenen Stadteile an den öffentlichen Nahverkehr anbinden und effiziente öffentliche Verkehrsmittel gewährleisten (vgl. Stadt Kopenhagen 2019, S. 26). Langfristig soll der Ausbau immer weiter vorangetrieben werden, um auch während der Rushhour eine attraktive Alternative zum Autoverkehr darzustellen (vgl. ebd., S. 26).Die Stadt Kopenhagen zeigt, wie Mobilität in einer nachhaltigen Stadt der Zukunft aussehen kann. Im gleichen Zug müssen dabei jedoch die vorteilhaften Gegebenheiten berücksichtigt werden, beispielsweise die flache Lage und die geringe Größe der Stadt. Aus diesem Grund muss in größeren und hügligeren Städten beispielsweise der ÖPNV als Alternative gedacht werden und mit ähnlicher Entschlossenheit verbessert werden.Dennoch gibt es Faktoren aus Kopenhagen, die eine grüne Mobilität begünstigen und theoretisch in jeder Stadt umsetzbar sind. Ein Beispiel ist die politische Kontinuität bezogen auf die Förderung des Fahrradverkehrs. Umwelt- und Klimaschutz muss nicht zwingend die ausschlaggebende Motivation für den Beginn einer Verkehrswende sein. Trotz aller positiven Aspekte und der Vorreiterrolle der Fahrradstadt Kopenhagen wurden auch im Jahr 2021 noch einige Fahrten mit dem Auto zurückgelegt.Die dauerhafte Förderung der Alternative Fahrrad konnte das enorme Wachstum des Autoverkehrs jedoch eindämmen. Es liegt auf der Hand, dass durch die Verkleinerung beziehungsweise Sperrung von Fahrbahnen und Straßen für den Autoverkehr auch strittige Debatten entstehen können. Die Stadt Kopenhagen verfolgt jedoch den klaren Plan, das Rad und den ÖPNV als Mobilitätsmittel der Wahl weiter voranzutreiben. Bereits zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts nutzen 45 Prozent der Einwohner:innen Kopenhagens das Fahrrad für den Schul- beziehungsweise Arbeitsweg (vgl. Diehn 2015, o.S.). Dennoch halten aktuelle Ergebnisse fest, dass die Anstrengungen bei weitem nicht genügen.Weitere Maßnahmen und HerausforderungenZiel dieses Kapitels ist es, weitere Maßnahmen in Kopenhagen zu untersuchen. Aufgrund des Umfangs handelt es sich dabei jedoch um Beispiele, die kompakt dargestellt werden. Dabei werden Beispiele aus dem Bereich der Extremwetteranpassung und der kommunalen Wärmeplanung untersucht. Mit der Stadt München wird ähnlich vorgegangen, die Kategorien werden gleich gewählt. Ziel dabei ist festzustellen, welche Anstrengungen in der jeweiligen Kommune unternommen werden, um Nachhaltigkeitsziele voranzubringen.Durch die örtlichen Gegebenheiten muss Kopenhagen Extremwetterereignisse bewältigen, die sich durch den Klimawandel verstärken. So gab es in der dänischen Hauptstadt allein zwischen 2010 und 2015 sechs Starkregenereignisse, die Straßen und Gebäudekeller überfluteten und für einen enormen finanziellen Schaden sorgten (vgl. Kruse 2016, S. 669). Dementsprechend ist vor allem die Anpassung der Stadt an solche Starkregenereignisse ein wichtiger Bestandteil, der im Klimaanpassungsplan festgehalten ist.Um das Überflutungsrisiko zu verringern und dieser Herausforderung gerecht zu werden, arbeitet die Stadt an der Verwirklichung fünf zentraler Aspekte. Dazu zählen Maßnahmen, die einen Beitrag zur Verringerung des Überflutungsrisikos leisten können, zum Beispiel eine qualitative und quantitative Erhöhung des städtischen Grünflächenbereichs (vgl. ebd. 2016, S. 669f.).Ein konkretes Beispiel ist der Kopenhagener Ortsteil Skt. Kjelds Kvarter, der nach und nach in einen klimagerechten Stadtraum der Zukunft umgewandelt werden soll. Zum einem soll sich die Natur in diesem Quartier weiter ausbreiten, gleichzeitig wird die Regulierung von Regenwasser verbessert (vgl. Technik- und Umweltverwaltung Kopenhagen 2023, o.S.). Konkret dienen die Grünflächen als Versickerungsbecken, wodurch das Wasser unabhängig von der Kanalisation zum Hafenbecken geleitet wird. Hierfür wurde auch die Straßenführung angepasst (vgl. Kruse 2016, S. 270). Neben der Risikoreduzierung durch Extremwetterereignisse wird die Stadt durch solche Projekte nachhaltiger. Zugunsten von Grünflächen wird die Verkehrsinfrastruktur verändert und der Natur wird mehr Raum innerhalb der Stadt gegeben.Die Gefährdung der Stadt durch Extremwetterereignisse soll durch weitere Maßnahamen reduziert werden. Dazu zählen beispielsweise die Bereitstellung von Pumpen und die Ausrüstung von Kellern, um gegen Überschwemmungen vorbereitet zu sein. Gleichzeitig macht der Klimaanpassungsplan deutlich, dass die Entwicklung eines grünen Wachstums gewünscht ist und parallel zur Klimaanpassung vollzogen wird (vgl. Stadtverwaltung Kopenhagen 2011, S. 5). So sollen Grün- und Freiflächen verbessert und ergänzt werden. Dort wo gebaut wird, ist dies entsprechend zu berücksichtigen (vgl. ebd. 2011, S. 12).Neben dem Schutz vor Extremwetterereignissen sollen diese grünen Maßnahmen dazu führen, den Energieverbrauch der Stadt zu senken, die Luftqualität zu verbessern und die Lärmbelästigung zu bekämpfen. Durch die Schaffung von Freiflächen kann beispielsweise die Temperatur gemäßigt und für Luftzirkulation gesorgt werden (vgl. ebd. 2011, S. 12).Kopenhagen benennt in seinem aktuellen Klimaschutzplan neben der Mobilität drei weitere Bereiche: Den Energieverbrauch, die Energieproduktion und Initiativen der Stadtverwaltung (vgl. Stadt Kopenhagen 2020, S. 13). Laut eigenen Worten will sich Kopenhagen, neben der Konzentration auf den öffentlichen Verkehr, auf den Energieausstoß, die kohlenstoffneutrale Fernwärme und Maßnahmen zur Verringerung von Kohlenstoffemissionen fokussieren (vgl. Stadt Kopenhagen 2019, S. 25).2014 wurde Kopenhagen von einem unabhängigen und internationalen Expertenteam zur Umwelthauptstadt ernannt. Es gibt eine Reihe von Kriterien, die hierfür erfüllt sein müssen. Neben dem Nahverkehr wird die Luftqualität, der Anteil sowie die Qualität des grünen Stadtgebietes und der Umgang mit dem Klimawandel berücksichtigt (vgl. Diehn 2015, o.S.).Dementsprechend wurden früh weitere Anstrengungen unternommen. Gerade das weit ausgebaute Fernwärmenetz Kopenhagens muss hierbei erwähnt werden. Dieses versorgt den Großteil der Gebäude und trägt damit maßgeblich zur Einsparung von C02-Emissionen in Kopenhagen bei (vgl. Burckhardt/Tappe/Rehrmann 2022, o.S.). Gleichzeitig bieten sich auch Vorteile für die dortigen Bewohner:innen: Die Preise werden staatlich kontrolliert und die Infrastruktur der Fernwärme ermöglicht einen einfachen und für Verbraucher:innen kostengünstigen Umstieg auf erneuerbare Energien, was ermöglicht, dass Kopenhagens Fernwärme bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt wird (vgl. ebd. 2022, o.S.).Das Fernwärmenetz der Stadt hat unter anderem mehrere Müllverbrennungsanlagen und Blockheizkraftwerke, die von verschiedenen Versorgungsunternehmen betrieben werden (vgl. Harrestrup/Svendsen 2014, S. 296). Dies gewährleistet die Nutzung von Abwärme als Heizquelle. Eine dieser Müllverbrennungsanliegen liegt nah am Zentrum Kopenhagens und trägt den Namen Amager Bakke. Das Dach der Müllverbrennungsanlage dient der Bevölkerung gleichzeitig als Skigebiet und steht somit sinnbildlich für die Innovation und entsprechende Nachhaltigkeitsbestrebungen innerhalb der Stadt (vgl. Kafsack 2023, o.S.).Um im Bereich Energie die gesetzten Ziele zu erreichen, setzt Kopenhagen auf eine Vielzahl weiterer Maßnahmen. Dazu zählt neben der Fernwärme der Einsatz erneuerbarer Energietechnologien und die entsprechende Förderung von Heizungspumpen, Erdwärme, Sonnenkollektoren und Windkraftanlagen. Auch Biomasse als Übergangstechnologie wird von der Stadt befürwortet (vgl. Stadt Kopenhagen 2019, S. 54).Kopenhagen wird häufig als grüne Stadt bezeichnet. Viele Maßnahmen der Stadt wurden bereits vor langer Zeit getroffen. Die Pläne der Stadt Kopenhagen sind weit vorangeschritten, äußerst detailliert und durchdacht. Um sich zukünftig besser vor Extremwetterereignissen schützen zu können, arbeitet die Stadt an verschiedenen Lösungen und setzt beispielsweise auf den Ausbau und die Entlastung der Kanalisation. Dass hierbei ebenfalls freie Grünflächen entstehen, ist nicht nur ein nützlicher Nebeneffekt, sondern gewolltes Ziel.Im Bereich der Energieversorgung muss vor allem die Fernwärme genannt werden. Diese wurde in Kopenhagen bereits sehr früh ausgebaut und versorgt dementsprechend fast alle Gebäude. Somit ist dies der wohl wichtigste Bereich der Energieversorgung und gleichzeitig das Hauptaugenmerk des Kopenhagener Klimaplans. Dennoch gibt es auch hier Verbesserungs- und Optimierungspotential. Auch Kritikpunkte sind berechtigt. Beispielsweise ist der Einsatz von Biomasse fraglich. Einen weiteren Rückschlag musste Kopenhagen kürzlich einstecken: Die Stadt gab bekannt, dass sie das Ziel der Klimaneutralität bis 2025 deutlich verfehlen wird (vgl. Wolff 2022, o.S.).MünchenMünchen wurde im Jahr 1158 erstmals urkundlich erwähnt und liegt am Fluss Isar, der im Stadtgebiet eine Länge von 13,7 Kilometern einnimmt (vgl. Stadt München 2023, o.S.). Die Stadt ist bereits seit Beginn des 16. Jahrhunderts die bayrische Landeshauptstadt (vgl. Stahleder 2023, o.S.). Heute hat München mehr als 1,5 Millionen Einwohner und kann damit einen deutlichen Bevölkerungsanstieg verbuchen (vgl. Statistisches Amt München 2023, o.S.). Verglichen mit dem Jahr 2004 stieg die Anzahl der Einwohner:innen um 300.000 Menschen (vgl. Münchner Stadtmuseum 2004, S. 155). München liegt etwa 519 Meter über dem Meeresspiegel und hat eine Fläche von mehr als 310 Quadratkilometern, wodurch die Stadt flächenmäßig zu den größten Städten Deutschlands gehört (vgl. Stadt München 2023, o.S.).Grundlegende Informationen und BesonderheitenAnlass der Gründung Münchens war ein Konflikt zwischen Herzog Heinrich dem Löwen und Bischof Otto I. von Freising (vgl. Scholz 2004, S. 20). Das Bevölkerungswachstum stieg rasch an, was bereits zur Mitte des 13. Jahrhunderts eine deutliche Vergrößerung der Stadt nötig machte (vgl. Scholz 2004, S. 22). Die Isar wurde in München bereits vor mehreren Jahrhunderten als Transportmittel für Waren genutzt und prägte daher die Entwicklung der Stadt maßgeblich (vgl. Scholz 2004, S. 31f.).Im Jahr 1795 begann eine neue Entwicklung. Die bisher genutzten Festigungsanlagen wurden aufgegeben und die dynamische, unbegrenzte Weiterentwicklung der Stadt konnte gelingen (vgl. Lehmbruch 2004, S. 38). Im Laufe der Jahrhunderte kam es zu mehreren Eingemeindungen (vgl. Münchner Stadtmuseum 2004, S. 155). Während des Zweiten Weltkriegs wurden 90 Prozent der historischen Altstadt Münchens zerstört und die Stadt verlor bis zum Ende des Krieges mehr als die Hälfte seiner Einwohner:innen (vgl. Stahleder 2023, o.S.).Münchens Grünanlagen nehmen etwa 13,4 Prozent der gesamten Stadtfläche ein. Den größten zusammenhängenden Teil bildet dabei der Englische Garten mit einer Größe von 374,13 Hektar (vgl. Stadt München 2023, o.S.). Die Jahresmitteltemperatur in München liegt im Durchschnitt bei 8,7 Grad Celsius und der Niederschlag beträgt circa 834 Millimeter im Jahr (vgl. Deutscher Wetterdienst 2023, o.S.). In jüngster Zeit hat München mit einigen Extremwetterereignissen zu kämpfen gehabt, unter anderem mit Starkregen (vgl. Handel 2023, o.S.) und Rekord-Hitzewellen (vgl. Harter 2023, o.S.). Verkehr und MobilitätMünchen arbeitet seit vielen Jahren an seiner Verkehrsstrategie. Der ursprüngliche Verkehrsentwicklungsplan wurde bereits im Jahr 2006 veröffentlicht. Im Sommer 2021 wurde ein neuer Entwurf bezüglich der zukünftigen Mobilitätsplanung beschlossen. Der Stadtrat setzte sich dabei ambitionierte Ziele: Der Verkehr im Stadtgebiet sollte demnach innerhalb von vier Jahren zu mindestens 80 Prozent durch abgasfreie Fahrzeuge beziehungsweise den ÖPNV oder den Fuß- und Radverkehr realisiert werden. Weiterhin soll der Verkehr in München bis 2035 vollständig klimaneutral sein (vgl. Landeshauptstadt München 2023c, o.S.). Der neue Mobilitätsplan der Stadt soll den zukünftigen Herausforderungen gerecht werden. Dazu zählt unter anderem die steigende Bevölkerungszahl und der somit zunehmende Mobilitätsbedarf sowie der Umwelt- und Gesundheitsschutz (vgl. Landeshauptstadt München 2023b, o.S.).Der motorisierte Individualverkehr nimmt in der bayrischen Landeshauptstadt nach wie vor einen hohen Stellenwert ein und wurde 2017 von rund 24 Prozent der Münchner:innen in Anspruch genommen. Die Anzahl der täglich bewältigten Personenkilometer nahm ebenfalls zu, was durch den Anstieg der Bevölkerung und die Zunahme der täglichen Strecken erklärt wird (vgl. Landeshauptstadt München 2022, S. 107f.).Der ÖPNV wurde im Jahr 2017 von 24 Prozent der Münchner:innen genutzt, was verglichen mit dem Jahr 2008 ein leichter Anstieg ist. Verglichen mit dem Jahr 2008 wird das Fahrrad mit 18 Prozent von weniger Münchner:innen genutzt (vgl. ebd. 2022, S. 107f.). Die Stadt kommt in ihrem Nachhaltigkeitsbericht zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung in Richtung ÖPNV und des Radverkehrs geht. Durch das starke Wachstum der Stadt und des Umlands kommt es jedoch zu einem Anstieg des Verkehrs insgesamt, was die eigentlich positive Entwicklung aufhebt (vgl. ebd. 2022, S. 107f.). Die Stadt München beschäftigt sich seit einiger Zeit mit sogenannten Radschnellverbindungen."Radschnellverbindungen sind hochwertige Verbindungen im Radverkehrsnetz (von Kommunen oder StadtUmlandRegionen), die wichtige Zielbereiche (zum Beispiel Stadtteilzentren, Wohn und Arbeitsplatzschwerpunkte, (Hoch)Schulen) mit hohen Potenzialen über größere Entfernungen verknüpfen und durchgängig ein sicheres und attraktives Befahren mit hohen Reisegeschwindigkeiten […] ermöglichen" (Landeshauptstadt München 2022, S. 109).Solche Strecken haben somit das Potential, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag hin zur grünen Mobilität zu leisten. Radschnellwege können nicht nur für die Freizeit, sondern auch von Berufspendler:innen genutzt werden und sind daher eine Alternative zum Auto. Die Landeshauptstadt München hat bereits mehrere Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse belegen, dass viele dieser Strecken, beispielsweise die Strecke zwischen der Innenstadt Münchens und Starnberg, technisch machbar und wirtschaftlich gewinnbringend sind (vgl. Landeshauptstadt München/Landratsamt München/Landratsamt Starnberg 2020, S. 29).Die lange Planung der Radschnellwege ist seit diesem Jahr in einer neuen Phase. Im Juni 2023 wurde mit dem Bau der ersten von insgesamt fünf Strecken begonnen, welche die Stadt München mit Unterschleißheim und Garching verbinden soll (vgl. Heudorfer 2023, o.S.). Gleichzeitig müssen die enorm hohen Kosten für den Bau solcher Strecken berücksichtigt werden. Dies ist der Grund, weshalb beispielsweise die Strecke zwischen München und Starnberg nicht realisiert wird (vgl. ebd. 2023, o.S.).München plant die Reduzierung des Autoverkehrs in seiner Altstadt. So soll mehr Platz für Fußgänger:innen, Radfahrende und den ÖPNV geschaffen werden. Die Stadt nennt eine Reihe an Maßnahmen, die das Ziel einer autofreien Altstadt realisieren sollen. Dazu zählen unter anderem das Errichten und die Erweiterung von Fußgängerzonen, die Neuregelung des Parkens, was auch das Erhöhen der Parkgebühren beinhaltet, die Verbesserung des Liefer- und Ladeverkehrs sowie das Erbauen eines breiten Radrings in der Altstadt (vgl. Landeshauptstadt München 2023a, o.S.).Ein Pilotprojekt diesbezüglich befindet sich in der zentral gelegenen Kolumbusstraße. Die Straße wurde für Fahrzeuge gesperrt und mit Rollrasen, Sitzmöglichkeiten und Hochbeeten ausgestattet (vgl. Stäbler 2023, o.S.). Das Projekt hat jedoch nicht nur Befürworter:innen. Der Verlust von knapp 40 Parkplätzen sowie der Lärm durch spielende Kinder wird kritisiert (vgl. ebd. 2023, o.S.).Der ÖPNV hat in München einen hohen Stellenwert. Bereits im Jahr 2010 lag München im Vergleich unter den besten deutschen Städten. Berücksichtigt wurde damals unter anderem die Fahrtdauer, die Informationslage und die Preise (vgl. Wagner 2010, o.S.). Eine ADAC-Studie zeigt, dass München im Jahr 2021 die teuerste Einzelfahrkarte unter 21 deutschen Großstädten mit mehr als 300.000 Einwohner:innen hatte. Die Münchner Monatskarte sowie die Wochenkarte hingegen war mit Abstand am günstigsten. Die Monatskarte kostete im Vergleich zu Hamburg knapp die Hälfte (vgl. ADAC 2021, o.S.). Dieser Aspekt muss hinsichtlich der Einführung des Deutschlandtickets und der damit verbundenen Preisentwicklung des ÖPNV neu bewertet werden, ist jedoch aufgrund der damals fehlenden Alternative des Deutschlandtickets nicht zu vernachlässigen.Langfristig plant München eine Bahnstrecke, die Stadt und Umland miteinander verbindet und das bereits vorhandene Schienennetz ergänzt. Dieses Projekt ist zuletzt aus finanziellen Gründen gescheitert, soll jedoch durch spezielle Buslinien kompensiert und nach Möglichkeit neu geprüft werden (vgl. Landeshauptstadt München 2023d, o.S.). Um die Kapazität des ÖPNV in München und Umland zu erhöhen, werden im Rahmen eines Programms verschiedene Maßnahmen umgesetzt. Dazu zählt unter anderem die Anbindung an den Flughafen und der Ausbau der Schieneninfrastruktur im Nordosten Münchens (vgl. Landeshauptstadt München 2023d, o.S.).Auch das U-Bahn- und Tramnetz soll durch die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ausgebaut werden. Vorgesehen ist die Verlängerung beziehungsweise der Neubau verschiedener Strecken (vgl. ebd. 2023d, o.S.). Gleichzeitig wird auf die Problematik verwiesen, dass die Kapazitätsgrenze des Schienenverkehrs in München und der Region bereits erreicht ist (vgl. ebd., o.S.).Die bayrische Landeshauptstadt setzt sich selbst ambitionierte Ziele, was den Verkehr und die Mobilität betreffen. Bereits seit vielen Jahren wurde mit entsprechenden Planungen begonnen. Auf der Webseite der Landeshauptstadt finden sich viele Informationen und Vorhaben bezüglich der Verkehrsplanung. Der Ausbau des Fahrradverkehrs, vor allem die Planungen von Radschnellstrecken sind vielsprechend. Die Machbarkeitsstudien belegen das große Potential. Da jedoch erst vor einigen Monaten mit dem Bau der ersten Strecke begonnen wurde, muss München hier in relativ kurzer Zeit viel erreichen.Gleichzeitig kann somit nicht abschließend festgestellt werden, wie groß das Potential der Radschnellverbindungen in der Praxis ist. Der Zuwachs der Stadt München und des Umlands stellt die Landeshauptstadt vor Herausforderungen in doppelter Hinsicht. Obwohl der Anteil der Radfahrenden und der ÖPNV-Fahrenden deutlich zugenommen hat, steigt der Verkehr insgesamt. Gleichzeitig stellt die Stadt fest, dass der ÖPNV an der Kapazitätsgrenze ist. Dennoch müssen die positiven Aspekte betrachtet werden. Hierzu zählt unter anderem das Potential des Münchner ÖPNV und der verschiedenen Projekte. Auch wenn es von der Planung bis zur Umsetzung viele Jahre dauert, ist München sicherlich vielen Städten, vor allem im deutschen Städtevergleich, voraus, da die Planungen früh begonnen haben.Weitere Maßnahmen und HerausforderungenHier werden nun weitere Maßnahmen untersucht. Dabei wird, wie bei Kopenhagen, in exemplarischer Weise auf den Bereich der Extremwetter- beziehungsweise Klimawandelanpassung und den Bereich der kommunalen Wärmeplanung eingegangen. Gleichzeitig werden Herausforderungen, Chancen und Schwierigkeiten beleuchtet, die sich daraus ergeben.Die bayrische Landeshauptstadt hat im Jahr 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Damit verbunden ist das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 (vgl. Landeshauptstadt München 2023e, o.S.). Das Klima in der Stadt München weist aufgrund der dichten Bebauung spezifische Besonderheiten auf. Dazu zählt der sogenannte "Wärmeinseleffekt", der dazu führt, dass ein Temperaturunterschied im Vergleich zum Münchner Umland besteht (vgl. Landeshauptstadt München u. a. 2016, S. 8).Im Stadtgebiet ist es deshalb im Durchschnitt zwei bis drei Grad wärmer, wobei der Temperaturunterschied in der Nacht deutlich höher ausfällt: Im Vergleich zum Münchner Umland ist es nachts im Stadtgebiet Münchens bis zu zehn Grad wärmer, was durch den Klimawandel und den damit verbundenen Anstieg der Durchschnittstemperatur noch deutlich ansteigen wird (vgl. ebd. 2016, S. 8).Dementsprechend sieht das Klimaanpassungskonzept verschiedene Maßnahmen vor. Dazu zählt zum Beispiel der Ausbau der Dachbegrünung und Photovoltaikanlagen auf Gebäuden, die Verbesserung des Wärmeschutzes in der Gebäudeplanung und Förderprogramme für Klimaanpassungsmaßnahmen auf privaten Grundstücken (vgl. ebd. 2016, S. 40). In München gründeten sich einige Bewegungen, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen. Die Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) ist ein Beispiel dafür und setzt sich aus mehrheitlich zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Die Ziele der MIN orientieren sich an den SDGs (vgl. Münchner Initiative Nachhaltigkeit 2023, o.S.).Der Münchner Nachhaltigkeitsbericht liefert interessante Aufschlüsse. Der Anteil der erneuerbaren Energien im Gebiet der Stadtwerke München lag 2019 bei insgesamt 6,4 Prozent. Den größten Anteil hat dabei die Wasserkraft, gefolgt von Solar (vgl. Landeshauptstadt München 2022, S. 85). Ökostrom soll in den eigenen Stadtwerken langfristig betrachtet in ausreichender Menge erzeugt werden, um damit die Stadt München selbst versorgen zu können.Daraus ergibt sich für den Leiter der Stadtwerke die politische Aufgabe, die Energiewende voranzubringen (vgl. Hutter 2019, o.S.). Gerade die lokale Erzeugung von Ökostrom kann sich in einer dicht bebauten Stadt als schwierig herausstellen. Hier stellt sich die Frage, wie viel Potential München und das direkte Umland hat. Dabei kann es sich zum Beispiel um den Auf- und Ausbau umliegender Windräder oder Biomassekraftwerke handeln (vgl. ebd., o.S.).München setzt auf Tiefengeothermie und kann einen Anstieg in der Erzeugung und den Anteil der Tiefengeothermie am Fernwärmeverbrauch verbuchen. Jedoch lag der Anteil der Geothermie am Fernwärmeverbrauch im Jahr 2019 lediglich bei 3,8 Prozent (vgl. Landeshauptstadt München 2022, S. 86f.). Aktuell wird in München das größte Geothermiekraftwerk Europas erbaut. Somit ist davon auszugehen, dass der Anteil der Geothermie innerhalb der Fernwärmeversorgung in München weiter zunimmt und diese in der Konsequenz Schritt für Schritt nachhaltiger und regenerativ gestalten (vgl. Schneider 2022, o.S.). In München befinden sich momentan sechs Geothermieanlagen. Durch die Erweiterungen soll das Fernwärmenetz den Wärmebedarf Münchens bis 2040 klimaneutral abdecken (vgl. Stadtwerke München 2023a, o.S.).Die Methode der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), also die gleichzeitige Gewinnung von mechanischer Energie und nutzbarer Wärme (vgl. Umweltbundesamt 2022, o.S.), wird von den Stadtwerken München genutzt und dient als eine Art Zwischenlösung, die intensiver genutzt wird, bis der Ausbau der Geothermieanlagen abgeschlossen ist (vgl. Stadtwerke München 2023b, o.S.). Die durch die Stromerzeugung der KWK-Methode gewonnene Abwärme wird in das Fernwärmenetz der Stadt München eingespeist. Die so erzeugte Fernwärme kann dementsprechend schon heute in einem beträchtlichen Maß umweltschonend bereitgestellt werden und ersetzt laut den Stadtwerken München bereits etwa 400 Millionen Liter Heizöl und spart pro Jahr eine Millionen Tonnen CO2 ein (vgl. ebd. 2023b, o.S.).Die Stromerzeugung selbst funktioniert mit Brennstoffen. Neben erneuerbaren Energien können dabei auch fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Die Stadtwerke München selbst setzen sich das langfristige Ziel, fossile Brennstoffe abzulösen (vgl. ebd. 2023b, o.S.). Das Heizkraftwerk Süd der Stadtwerke München arbeitet beispielsweise mit der KWK-Methode. Die Stromerzeugung wird durch Erdgas gewährleistet (vgl. Stadtwerke München 2022, o.S.). Somit wird ein fossiler Brennstoff verwendet.Im deutschen Städtevergleich gilt München oft als Vorreiter, was Nachhaltigkeitsbemühungen betrifft. München hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen und sich das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Das Ausrufen des Klimanotstands hat eher symbolischen Charakter. Dennoch wird die Dringlichkeit der Sache damit auch auf kommunaler Ebene betont.Bezüglich der Anpassung an Extremwetterereignisse finden sich viele Informationen der Stadt München. Dabei werden auch viele Maßnahmen genannt, die nach und nach umgesetzt werden sollen. Die Stadt ist sich der Relevanz des Themas bewusst. Durch das veränderte Stadtklima wird deutlich, wie wichtig die Anpassung an Extremwetterereignisse ist, um das Leben in der Stadt auch zukünftig zu sichern.Im Fall von München sind die Maßnahmen gegen Hitze besonders relevant. Hier hat München bereits Pilotprojekte und verschiedene Fördermaßnahmen in die Wege geleitet. Im Bereich der Energieversorgung muss vor allem die Tiefengeothermie benannt werden. München setzt verstärkt darauf und erkennt das große Potential. Gleichzeitig müssen die hohen Kosten und der damit verbundene Aufwand berücksichtigt werden.Aktuell kommen auch KWK-Werke zum Einsatz. Dies ermöglicht die umweltschonende Bereitstellung von Fernwärme. Der Einsatz mehrerer Geothermieanlagen kann dieses Potential jedoch beträchtlich steigern. Erdgas wird zur Erzeugung von Strom in München auch aktuell eingesetzt. Langfristig wollen die Stadtwerke jedoch ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe arbeiten. Die Fernwärme Münchens ist weit ausgebaut und bietet hohes Potential. Dennoch zeigen erst die nächsten Jahre, wie nachhaltig und flächendeckend das Fernwärmenetz konkret ausgebaut werden kann.ErkenntnisseDie Einwohnerzahl Kopenhagens ist in den letzten Jahren gestiegen. Auch zukünftig muss die Stadt mit einem Bevölkerungswachstum rechnen. In München ist ebenso von einem Bevölkerungsanstieg auszugehen, was auch in den letzten Jahren der Fall war. Der Anstieg der Bevölkerung in Zahlen ist deutlich höher, was sich durch die größere Fläche der bayrischen Landeshauptstadt zumindest teilweise relativieren lässt. Im direkten Vergleich ist München mehr als drei Mal so groß wie Kopenhagen.Kopenhagen gilt als eine der besten Fahrradstädte weltweit. Dies führt neben den positiven Aspekten auch zu vollen Fahrradwegen. Die Stadt reagiert mit der Verbreiterung von Fahrradwegen und der Sperrung beziehungsweise Verkleinerung von Autofahrbahnen und ganzen Straßen. München geht diesbezüglich nicht so konsequent vor, hat jedoch ein vergleichbares Pilotprojekt gestartet, welches eine zentrale Straße zeitweise für den Autoverkehr gesperrt hat.Das Fahrrad als Verkehrsmittel konnte sich in Kopenhagen bereits früh etablieren. Ein zentraler Faktor, der für das Fahrrad in Kopenhagen spricht, ist unter anderem die Zeitersparnis. Eine Reihe nicht-diskursiver Faktoren spielen eine wichtige Rolle für die bedeutsame Rolle des Fahrrads in der dänischen Hauptstadt. Neben der flachen Lage und der geringen Größe zählt dazu auch der politische Wille und die Bereitschaft, das Fahrrad als Verkehrsmittel kontinuierlich zu fördern.In München wurde die Relevanz des Fahrrads ebenfalls erkannt. München kann im Vergleich jedoch auf keine derart ausgeprägte Fahrradkultur zurückblicken. Dennoch stellt sich heraus, dass das Fahrrad in München nicht unterschätzt wird. Die aktuellen Planungen und erste bauliche Maßnahmen der Radschnellverbindungen belegen, dass die Stadt den Radverkehr als Alternative zum Auto etablieren möchte.Dabei sollen, wie es in Kopenhagen bereits der Fall ist, nicht nur Freizeitradler:innen, sondern auch Berufspendler:innen angesprochen werden. Das Münchner Umland soll in den Bau der Radschnellverbindungen zu weiten Teilen integriert werden. Theoretisch könnte München auf diese Weise trotz der deutlich weiteren Distanzen die optimale Infrastruktur für das Fahrrad als grüne Alternative etablieren.Der Autoverkehr spielt in Kopenhagen nach wie vor eine Rolle. Trotz einiger Maßnahmen müssen die CO2-Emissionen weiter reduziert werden. Die Emissionen im PKW-Bereich sind bis vor fünf Jahren noch angestiegen. Auch in München ist der Autoverkehr relevant und wurde im Jahr 2017 von fast einem Viertel der Münchner:innen genutzt. Von der Stadt München werden verschiedene Maßnahmen benannt, die zu einer autofreien Altstadt führen sollen. Dabei soll ähnlich wie in Kopenhagen vorgegangen werden, unter anderem mit der Erweiterung von Fußgängerzonen. Kopenhagen scheint diesbezüglich jedoch weiter fortgeschritten zu sein. Bei der Verkleinerung von Fahrbahnen im Bereich des Autoverkehrs handelt es sich dort um dauerhafte Maßnahmen. In München beschränkt sich dies bislang auf Pilotprojekte und Vorhaben.Beide Städte haben ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz. In München ist sich die Stadt der Tatsache bewusst, dass die aktuelle ÖPNV-Infrastruktur an seiner Kapazitätsgrenze angekommen ist. Aus diesem Grund plant München den Ausbau und setzt bereits einige Großprojekte, unter anderem die Erweiterung der Schieneninfrastruktur, in verschiedenen Stadteilen, um. Vor allem das Tramnetz hat sicherlich das Potential, für Münchner:innen eine dauerhafte Alternative zum Auto zu sein. Da das Hauptproblem augenscheinlich die Kapazitätsgrenze des bestehenden Schienennetzes ist, kommt es auf den zügigen und konsequenten Ausbau in den nächsten Jahren an.Kopenhagen hat im Vergleich bereits im Jahr 2019 eine Stadtlinie eröffnet, die immer weiter ausgebaut wird. Kopenhagen will die Attraktivität des ÖPNVs auch während der Rushhour gewährleisten. Dies lässt darauf schließen, dass einer der Hauptfaktoren auch hier die aktuelle Auslastung der vorhandenen öffentlichen Verkehrsmittel ist. In diesem Bereich haben beide Städte somit ähnliche Herausforderungen zu bewältigen. Beide Städte sind aktiv und scheinen den ÖPNV als dauerhaftes Verkehrsmittel fördern zu wollen.Kopenhagen liegt direkt am Meer und 24 Meter über dem Meeresspiegel. Ähnlich wie München sieht sich Kopenhagen mit Extremwetterereignissen konfrontiert. In Kopenhagen regnet es sehr häufig und durch die Lage am Meer und die geringe Höhe über dem Meeresspiegel sind Sturmfluten und Überschwemmungen keine Seltenheit. München hat ebenso mit Starkregen zu kämpfen, wobei Hitzewellen hier auch nicht zu unterschätzen sind. Beide Städte stellen verschiedene Maßnahmen vor, die zur Vermeidung negativer Folgen führen sollen. In der Umsetzung hat Kopenhagen bereits Erstaunliches erreicht, um sich vor Starkregen zu schützen. Beide Städte nehmen die durch den Klimawandel entstehenden Extremwetterereignisse und deren mögliche Folgen ernst und arbeiten an spezifischen Lösungen.Die Energieversorgung ist in beiden Städten ein zentraler Aspekt. Beide Städte nehmen hier in gewisser Weise Vorreiterrollen ein. Sowohl Kopenhagen als auch München fördern den Einsatz erneuerbarer Technologien in verschiedener Hinsicht. Das Fernwärmenetz in Kopenhagen ist bereits sehr gut ausgebaut. Gleichzeitig kann die Fernwärme Kopenhagens bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Die dänische Hauptstadt hat hier einige Vorzeigeprojekte, unter anderem die Müllverbrennungsanlage Amager Bakke.Die Stadt München setzt vermehrt auf Tiefengeothermie und treibt den Ausbau voran. Dies soll die Fernwärme nach und nach nachhaltiger machen. Bis 2040 soll das Fernwärmenetz in München somit klimaneutral arbeiten können. Die KWK-Methode wird in München eingesetzt und spart nennenswerte Mengen an CO2 ein. Fossile Brennstoffe kommen hier aber nach wie vor zum Einsatz. Dennoch hat auch München ein ausgefeiltes Konzept und ist vor allem im deutschen Vergleich weit vorangeschritten und hat bereits früh nach alternativen Wegen gesucht. Daher sind die Fortschritte Münchens in der Wärmeversorgung beachtlich. Im direkten Vergleich kann Kopenhagen jedoch mit noch mehr Innovation und aktuell größeren Fortschritten punkten.FazitEs wurde untersucht, wie eine nachhaltige Stadt gestaltet werden kann. Eine aktuelle Bestandsaufnahme zeigt, dass die Entwicklungen in Städten sehr unterschiedlich sind. Die Abkehr von der Vorstellung einer autogerechten Stadt scheint sinnvoll. Bereits vorhandene ÖPNV-Strukturen und weitere Alternativen zum motorisierten Individualverkehr müssen effizienter genutzt oder geschaffen werden. Der Energiesektor ist besonders relevant, da hier die größten Möglichkeiten hinsichtlich einer Reduzierung von Emissionen bestehen. Städte sollten daher Maßnahmen etablieren, um den Energiebedarf zu senken und auf regenerative Energien umsteigen zu können. In dieser Arbeit wurde bezogen auf den Bereich der Energie die kommunale Wärmeplanung berücksichtigt.Untersucht wurden die Bereiche des Verkehrs und der Mobilität, der Extremwetteranpassung und der kommunalen Wärmeplanung. München und Kopenhagen haben in den untersuchten Bereichen bereits eine Vielzahl an Maßnahmen und Vorhaben vorgestellt und initiiert. Dabei stellt sich heraus, dass die spezifischen Gegebenheiten in Städten stets berücksichtigt werden müssen. Diese unterschiedlichen Gegebenheiten führen dazu, dass ein Städtevergleich nicht in jedem Aspekt einer nachhaltigen Stadtentwicklung zielführend ist. München zeigt jedoch am Beispiel der geplanten Radschnellverbindungen, dass es auch Lösungen für suboptimale Gegebenheiten gibt, in diesem Fall für größere Distanzen beim Radverkehr.Beide Städte sind fortgeschritten, was den Bereich der nachhaltigen Mobilität betrifft. Hier stellt vor allem der erwartete Bevölkerungsanstieg eine Herausforderung dar, da dies zur weiteren Be- beziehungsweise Überlastung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur und zur Zunahme des Verkehrs generell führen wird. Dementsprechend finden sich in beiden Städten Projekte, die auch teils in der Umsetzung und bezogen auf die Zukunft der nachhaltigen Mobilität vielversprechend sind. Hier bleiben jedoch die konkreten Fortschritte in den nächsten Jahren abzuwarten, was eine erneute Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt interessant macht. Die Vision beziehungsweise Utopie einer autofreien Stadt scheint für Kopenhagen einen Schritt näher zu sein. München zeigt jedoch, dass zumindest eine autofreie Altstadt in naher Zukunft nicht undenkbar ist.Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels ist für beide Städte relevant. Kopenhagen hat hier eine Reihe innovativer Projekte bereits umgesetzt. München stellt viele Maßnahmen vor, die im Detail jedoch noch weiter vorangetrieben werden müssen.Bezogen auf die kommunale Wärmeplanung gehen beide Städte verschiedene Wege und haben bestimmte Visionen. Einen Beitrag zur Energiewende wollen beide Städte und deren ansässige Stadtwerke leisten. Die Fernwärme ist sowohl in Kopenhagen als auch in München der zentrale Faktor. Kopenhagen ist bezogen auf den Anteil erneuerbarer Energien und den Ausbau des Fernwärmenetzes weiter fortgeschritten als München. Ebenso bestehen in Kopenhagen innovative Ideen zur nachhaltigen Erzeugung von Fernwärme und zur Einbettung verschiedener Anlagen in die Kopenhagener Stadt und das Umland. München setzt auf die Nutzung von Geothermie, was zu einer sehr guten CO-2-Bilanz beitragen kann.In den untersuchten Bereichen weisen beide Städte Fortschritte auf. Kopenhagen hat zeitlich betrachtet deutlich früher mit dem Ausbau einer nachhaltigen Stadtentwicklung begonnen. Dementsprechend sind einige Pläne ausgereifter und es finden sich hinsichtlich der untersuchten Bereiche mehr konkrete Umsetzungen. München könnte hier jedoch in den nächsten Jahren ähnlich weit voranschreiten, was unter anderem hinsichtlich des Maßnahmenkatalogs deutlich wird. Auch aus diesem Grund wäre die Betrachtung zu einem späteren Zeitpunkt interessant und würde weitere Aufschlüsse liefern.Durch die Untersuchung der Verkehrsinfrastruktur und der kommunalen Wärmeplanung beider Städte wurden Schlüsselaspekte einer nachhaltigen Stadtentwicklung berücksichtigt. Dennoch muss betont werden, dass bei weitem nicht alle Aspekte einer nachhaltigen Stadt berücksichtigt und untersucht werden konnten. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine Untersuchung in weiteren Bereichen würde daher eine sinnvolle Ergänzung darstellen.LiteraturverzeichnisAachener Stiftung Kathy Beys (2015): Nachhaltiger Lebensstil (Aachener Stiftung Kathy Beys vom 16.12.2015) < https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/nachhaltiger_lebensstil_1978.htm > (11.11.2023).ADAC (2021). 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