In diesem Buch geht es um die Frage, ob und wie sich aus im Wesentlichen qualitativen empirischen Studien über soziale und politische Makrophänomene - zum Beispiel den Institutionenwandel im Gesundheitssystem, einen sozialpolitischen Entscheidungsprozess oder die Entwicklung internationaler Organisationen - theoretische Schlussfolgerungen ziehen lassen, die über diese konkreten Fälle hinausreichen. Die Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen war Gegenstand einer Vorlesungsreihe international renommierter Historiker, Wissenschaftstheoretiker und Sozialwissenschaftler am MPIfG in den Jahren 2000 und 2001. Die überarbeiteten Vorträge werden von der Herausgeberin einleitend zu einem Argument zusammengefasst, das die Ausgangsfrage beantwortet.
Die Mission öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken beruht auf Teilhabe an Informationen und Medien, an Kompetenzentwicklung und Qualifizierung sowie an Diskursen in Bildung Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft. Im Zuge tiefgreifender, gesellschaftlicher Umbrüche, zu denen auch der digitale Wandel gehört, ist Teilhabe von zentraler Bedeutung, die auf den Werten unserer demokratischen Gesellschaft beruht. Bibliothekarische Verbände machen sich diese Mission zunehmend zu Eigen und tragen in ihrer politischen Kommunikation wie durch Förderung ihrer Mitglieder zur Sichtbarkeit dieser Mission bei. So entwickeln sich aus Verbänden Communities, in denen zunehmend das Engagement der einzelnen Mitglieder gefordert wird. Die gemeinsame Mission stärkt Verbände und Mitglieder und verleiht den gemeinsamen Zielen ihren gesellschaftlichen Stellenwert. ; The mission of public and academic libraries is based on participation in information and media, in skilling competences and qualification and in discourses in education, society, culture and science. In the course of profound social upheavals, including the digital transformation, participation is of central importance, based on the values of our democratic society. Library associations are increasingly making this mission clear to themselves and contributing to its visibility in their political communication as well as by promoting their members. In this way, associations develop into communities in which the commitment of individual members is increasingly called for. The common mission strengthens associations and members and gives the common goals their social status. ; Peer Reviewed
Wessen Präferenzen repräsentiert der gewählte Abgeordnete im Parlament? Für diese in der empirischen Demokratietheorie wichtige Frage existiert bis heute kein realitätsgerechtes Forschungsdesign. Diese Arbeit versucht dieses Defizit zu mindern, indem das Repräsentationsmodell der beiden Amerikaner MILLER/STOKES, das die Beziehung zwischen Wählern und Abgeordneten untersucht, modifiziert wird. Nach Anregung von HOFFMANN-LANGE werden alle Gruppen berücksichtigt, die an Entscheidungen beteiligt sind. Da dies einen großen Rechercheaufwand verlangt, konnte nur eine statische Querschnittsanalyse in einer Stadt (Stuttgart) zu einem Zeitpunkt (1997) realisiert werden. Ziel ist dennoch ein Repräsentationsmodell, das auf allen politischen Ebenen anwendbar ist. Der Theorieteil gibt einen Überblick über die Community Power-Ansätze und die empirischen Ergebnisse; insgesamt wurden 200 Annahmen erarbeitet. Untersucht werden die Einstellungenkongruenzen (22 Themen) zwischen den Stadträten und den anderen lokalen Akteure sowie die Politikergebnisse der letzten Jahre. Demnach liegt in Stuttgart eine etabliert-demokratische Elitenkonstellation bzw. ein konsensorientiertes Repräsentationsmodell vor. D.h., daß die Wünsche der gesellschaftlichen Eliten und die der Bürger von der politisch-administrativen Elite gut repräsentiert werden. Für einzelne Themen ist jedoch eine Variation im Responsivitätsverhalten festzustellen. Wie die Entscheidungen real aussehen, kann nicht beantwortet werden. Die Kongruenz zwischen Eliten- und Bürgerwünschen und die sich im Haushalt widerspiegelnde Responsivität kann Mehreres beinhalten; letztlich ist wichtig, daß das Ergebnis die Bürgerpräferenzen präsentiert. Dies ist der Fall, allerdings kann nichts über die Einflußprozesse gesagt werden. Für weitere Studien ist spannend, welche Ergebnisse das Responsivitätsmodell in anderen Gemeinden bzw. in anderen Ländern liefert. Vergleichende Längsschnittanalysen sollten deshalb die künftige Orientierung sein. ; Which preferences do the elected policymakers in parliament represent? Although this question is a central concern to democratic theory there is no adequate research design for the study of political responsiveness. This work attempts to reduce that deficit by modifying the classical model of MILLER/STOKES, who analyse the relationship between members of parliament and citizens. According to the proposal of HOFFMANN-LANGE, all groups which participate in the decision making process will be included. Because such a research design requires a lot of effort, the study could only be conducted in one single town (Stuttgart) at one point of time. However, the main goal is a model of policy responsiveness applicable to all political levels. The theoretical part offers an overview of the community power approaches and their empirical results; 200 assumptions have been formulated. The main focus of the empirical part is on the congruence between representatives and other local actors concerning their attitudes to 22 issues. The final focus is the policy output. Despite different levels of analysis, policy responsiveness is quite the same: In Stuttgart we have an established-democratic elite constellation and a consensus model of representation. This means that the representation of elite preferences and citizen preferences by the political-administrative actors is satisfactory. However, there is variation concerning some issues. The remaining question is, 'what happened during the decision making process?'. Unfortunately, this work can give no answer. The congruence between elites and citizens can consist of different processes, but the main point is that the policy output reflect the citizens' wishes. This is the case, but it is not possible to make statements about the real decision making process. An exciting question would be the one dealing with findings in other communities or countries. Comparative studies over time should therefore be a model for future research.
Die EU hat für ihre weltweite Außenpolitik ein Netz von interregionalen Beziehungen und "strategischen Partnerschaften" geknüpft. Die interregionalen Beziehungen sind historisch gewachsene, vertraglich geregelte Wirtschaftsbeziehungen, die seit einiger Zeit in regionale "Strategien" eingebettet werden. "Strategische Partnerschaften" werden mit solchen Drittstaaten geschlossen, deren Kooperation für das Erreichen der globalpolitischen Ziele der EU als besonders wichtig angesehen wird.Vor diesem Hintergrund wird in der Studie folgenden Fragen nachgegangen: Was qualifiziert eine bilaterale oder interregionale Beziehung als "strategische" Beziehung? Wie weit reicht die politisch-programmatische Übereinstimmung zwischen der EU und ihren Partnern? In welchem Verhältnis stehen interregionale Beziehungen und "strategische Partnerschaften" zueinander? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für den Charakter der EU als Akteur globaler Politik? Es lässt sich feststellen, dass weder die interregionalen Beziehungen noch die "strategischen Partnerschaften" mit Blick auf ihre Ziele, Prioritätensetzung und Instrumente die an strategische Beziehungen zu stellenden Anforderungen in puncto Klarheit, Kohärenz und erfolgsorientiertes Monitoring erfüllen. Auch die Vorstellung, die EU sei ein internationaler Akteur "sui generis", trifft allenfalls auf das institutionelle Gerüst der europäischen Außenpolitik zu. Hinsichtlich ihrer konkret betriebenen Politik vermittelt die Union dagegen eher den Eindruck eines zwar bedeutenden, letztlich aber "normalen" internationalen Akteurs. Leitbilder wie "Zivilmacht", "normative power" oder "kollektiver Hegemon" erfassen die Komplexität, Widersprüchlichkeit und Offenheit der weltweiten EU-Außenpolitik deshalb nur unvollkommen
In vielen Ländern ist Wassermangel ein zentrales Problem. Die Politikwissenschaftlerin Julia Bar ist der Ansicht, dass diese Krise in politischem und gesellschaftlichem Unvermögen der beteiligten Akteure begründet ist. Am Beispiel Zentralasiens analysiert die Autorin das Konfliktpotenzial der Ressource Wasser anhand der zwischen- und innerstaatlichen Dimension. Es werden die Nutzungs- und Verteilungskonflikte um das Wasser in der Region sowie die Faktoren zur Verbesserung der nachhaltigen Wassernutzung untersucht. Als zentraler Lösungsansatz wird das Konzept des Integrierten Wasserressourcen-Managements behandelt und seine Anwendbarkeit in Bezug auf Zentralasien diskutiert. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass für die Etablierung eines nachhaltigen Ressourcennutzungssystems Kooperation und Konsensfindung der Akteure entscheidend sind.
In den 1980er-Jahren erweiterte die In-vitro-Fertilisation (IVF) nicht nur die Möglichkeiten der Familienplanung, sondern eröffnete auch neue, rasch expandierende Forschungs- und Geschäftsfelder für Mediziner in der Bundesrepublik. Die Vermarktlichung der menschlichen Reproduktion war Gegenstand eines breiten Aushandlungsprozesses über das technisch Machbare und das ethisch Vertretbare. Der Aufsatz stellt die Reproduktionsmediziner in den Mittelpunkt: Als Anbieter von innovativen Dienstleistungen verfolgten sie neben einem wissenschaftlichen Fortschrittsstreben auch ökonomische Interessen. Über die Medien sowie als Mitglieder von Ethikkommissionen nahmen sie politischen Einfluss. Sie verstärkten die öffentliche Wahrnehmung der Reproduktionsmedizin und waren an der Erstellung von gesetzlichen Richtlinien für ihr Tätigkeitsfeld beteiligt. Die medial geübte Kritik betonte die Gefahren einer technokratisch-politischen Steuerung und mögliche Kontinuitäten zur NS-Zeit. Mit der Verabschiedung des – im internationalen Vergleich restriktiven – Embryonenschutzgesetzes von 1990 kam die Debatte zu einem vorläufigen Ergebnis, war und ist jedoch keineswegs beendet. ; In the 1980s, in vitro fertilisation (IVF) not only expanded the possibilities of family planning, but also opened up new, rapidly expanding research and business fields for medical professionals in the Federal Republic of Germany. The marketisation of human reproduction was the subject of a broad negotiation process about what was technically feasible and ethically acceptable. The article focuses on reproductive physicians: As providers of innovative services, they pursued both scientific progress as well as economic interests. They exerted political influence through the media and as members of ethics committees. They increased public awareness of reproductive medicine and were involved in drawing up legal guidelines for their field of activity. The criticism voiced by the media emphasised the dangers of technocratic political control and possible continuities with the Nazi era. With the passing of the Embryo Protection Act of 1990 – which is restrictive by international comparison – the debate reached a preliminary conclusion, but was and is by no means over.
Stellt 'Bologna' nun eine neue Dimension der europäischen Hochschulpolitik oder doch nur eine Fortsetzung der alten Politikstrukturen und -mechanismen dar? Der Wandel der Hochschulpolitik in den Ländern Europas betrifft nicht nur Inhalte, sondern auch und vor allem Akteure und Formen der Entscheidungsfindung. Dieser These geht der Autor nach, wenn er den politischen Prozess bei der Erstellung der Kommuniqués untersucht. Der Autor beleuchtet die bereits entwickelte Konfiguration von Akteuren, ihren Interessen und Einflussmöglichkeiten im Bologna-Prozess. Mit Hilfe von Netzwerkanalysen untersucht er empirisch die Frage, welche Akteure auf welchen Kanälen mitwirkten, welche Beziehungen sich herauskristallisierten und wie stark ihr Einfluss auf die Entscheidungen war. Im Zentrum stehen hier insbesondere die bereits genannten 'E-Verbände' ESIB, EUA etc. Neu an dem Prozess ist, dass viele nicht-ministerielle Gruppen, wie Hochschulen, Studierende und Qualitätseinrichtungen, jeweils europäisch organisiert, partizipierten; doch offen ist die Frage, ob diese tatsächlich auch Einfluss auf die Entscheidungen hatten oder ob nicht am Ende doch allein die staatlichen Akteure bestimmten. Liegt hier also eine stärkere Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen oder gar eine gewisse Entstaatlichung der Hochschulpolitik vor und ist hier doch 'nur' der herkömmliche Etatismus im neuen europäischen, also intergouvernementalen Gewand zu konstatieren? (HoF/Text übernommen)
Nach verbreiteter Ansicht wird die Nato-Strategie in Afghanistan nur Erfolg haben, wenn Fortschritte im innerafghanischen Friedensprozess erzielt werden. Bislang konnte aber keine der maßgebenden Vermittlungsinitiativen substantielle Verhandlungen anstoßen. Eine dauerhafte Festlegung auf Unterhändler, Vermittler, Themen und Prozeduren ist noch nicht gelungen. An den bisherigen Sondierungen, bei denen teils unabhängige, teils miteinander verwobene Gesprächsstränge zum Tragen kamen, waren eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Sollten sich die existierenden Initiativen in einen geordneten Verhandlungsprozess überführen lassen, wäre schon das ein Erfolg. Deutschland kann hier als Vermittler eine wichtige Rolle spielen. Die Verhandlungen über eine politische Lösung des Afghanistankonflikts werden kompliziert und langwierig sein, ihr Ausgang ist offen. Grundsätzlich ist bei künftigen strategischen Überlegungen allerdings auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der innerafghanische Friedensprozess scheitert
Wie wird über Religion berichtet? Welche Bilder herrschen über einzelne Religionsgemeinschaften in Schweizer Medien vor? Die hier vorgestellte Inhaltsanalyse von Beiträgen aus elektronischen sowie gedruckten Medien aus dem Jahr 2008 weist eine einseitige Berichterstattung über Religion nach, die stark auf Islam und Katholizismus fokussiert ist. Dies lässt sich im Hinblick auf die verwendeten Frames, narrativen Muster und die Valenz des Ereignisses aufzeigen. Weitere Ergebnisse legen einen starken Fokus auf Politik in der Berichterstattung über die behandelte Thematik. Religiöse Inhalte an sich finden hingegen kaum Eingang in die Medien – wenn doch, dann am ehesten im Zusammenhang mit dem Christentum. Dieses wird am deutlichsten als Religion dargestellt, nicht-christliche Religionen hingegen werden häufig als politische Akteure präsentiert. ; How do Swiss media report on religion, what picture do they draw of different religious groups? Which frames and which narrative archetypes do they use to describe religious groups? The presented content analysis of electronic and print media of the year 2008 demonstrates a one sided coverage about Religion which is strongly Islam and Catholicism centred. That can be showed with regard to the frames and narrative archetypes used as well to the valence of the event. Further results suggest a strong focus on politics in the coverage with and about religion. Religious matters at the other hand barley are found in the media, but if then in relation with Christianity. Christendom most explicitly is described as a religion; non-Christian religions at the other hand more frequently are presented as political actors.
Die vorliegende Untersuchung analysiert die Verhandlungsprozesse um die Routen der trans-nationalen Ölexportwege im Zeitraum von 1993 bis 2003, die auf eine Verbindung der land-umschlossenen Kaspischen Region mit dem Weltmarkt zielen. Im Zentrum der Arbeit steht die unterschiedliche Verteilung von Kosten und Gewinnen innerhalb von Pipelineprojekten auf die beteiligten Staaten und Ölfirmen. Anhand der Ölpipeline Baku-Ceyhan (BTC-Projekt) und der Ölleitung des Caspian Pipeline Consortium (CPC-Projekt) wird gezeigt, dass die Einflussfakto-ren "Ölpreis" und "Struktur des Produktionskonsortiums" verantwortlich sind für eine stärkere Durchsetzung privatwirtschaftlicher Präferenzen gegenüber den Präferenzen der staatlichen Akteure. Zum einen stärken demnach Multinationale Konsortien die Durchsetzungskraft der Ölfirmen als Gruppe. Zum anderen wirkt der Ölpreis gleichermaßen als Einflussgröße auf das Verhalten staatlicher wie privat-wirtschaftlicher Akteure, wenn die Staatsbudgets der staatli-chen Akteure stark von der Ölrente abhängig sind. Den theoretischen Hintergrund der Unter-suchung bildet die Internationale Politische Ökonomie in der Interpretation von Susan Stran-ge. ; This study analyses the negotiations of transnational oil export routes between 1993 and 2003 which aim to connect the Caspian region with the world oil market. The focus of this thesis is on the different distribution of costs and profits between involved states and oil companies with regard to various pipeline projects. By analysing two oil pipeline projects, the Baku-Ceyhan Pipeline and the export route of the Caspian Pipeline Consortium, it is demonstrated methodologically that the independent variables "oil price" and "structure of the production consortium" are responsible for a stronger enforcement of private vis-à-vis state preferences. The following two major findings have been generated: Firstly, multinational consortia strengthen the oil companies as a group to enforce their preferences. Secondly, the oil price influences the behaviour ...
Einhergehend mit der wirtschaftlichen Modernisierung und außenwirtschaftlichen Öffnung seit dem Ende der 1970er Jahre hat sich die politische Führung der Volksrepublik China auch um eine Modernisierung und Angleichung des chinesischen Rechtssystems an international geltende Standards bemüht. Dieser Prozess der Rechtsreformen orientierte sich zum einen stark an ausländischen (westlichen) Rechtsordnungen als Vorbildern; zum anderen hatten westliche Staaten durch Rechtsberatung im Rahmen der zwischenstaatlichen Technischen Zusammenarbeit (TZ) einen direkten Einfluss auf die Gestaltung der innerstaatlichen chinesischen Rechtsordnung, sodass mit diesen Rechtsberatungsmaßnahmen immer auch ein "Export" von Rechtsnormen und Rechtsgedanken verbunden ist.
Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich mit den Verhältnissen der Landschulen im Kanton Luzern und mit ihrer Entwicklung vom Beginn der Helvetik 1798 bis zum Ende der Mediation 1813. Als Grundlage für die Studie dienten einige unterschiedliche Arten von Quellen. Zunächst zeigen verschiedene Umfragen (Krauer-Tabelle Luzern, Stapfer-Enquête, Erziehungsratsbericht Luzern von 1801, Luzerner Lehrerumfrage 1811) die Verhältnisse und Entwicklungen für den ganzen Kanton, ebenso wie mehrere längere Berichte des Erziehungsrats, welche sich jeweils auf die Angaben der Schulinspektoren über die Zustände ihres Distrikts stützten. Auf lokaler Ebene geben einerseits die Korrespondenzen der Schulinspektoren mit dem Erziehungsrat und den Helvetischen oder kantonalen Regierungen Auskunft, wobei sich vor allem der Entlebucher Schulinspektor Stalder als umtriebiger und fleißiger Quellenproduzent erweist. Außerdem finden sich in den gemeindespezifischen Archivalien viele Schreiben und Hinweise, die nicht nur die Gemeinden und deren Mitglieder, sondern auch die konkret greifbaren Schwierigkeiten im Detail beleuchten. Die qualitativen Tiefenbohrungen werden dabei größtenteils im Entlebuch gemacht, da durch die – im Vergleich zum Rest des Kantons – noch verheerendere Armut und die ländliche Weitläufigkeit die betrachteten Hindernisse stärker zum Vorschein kommen und weil dort mit Pfarrer und Schulinspektor Franz Josef Stalder ein wichtiger Akteur über die ganze Zeitspanne großen Einfluss auf die Schulen ausübte. Methodisch befasst sich die Untersuchung in erster Linie mit den Akteuren, welche für oder gegen die Schulen agierten, andererseits mit den allgemeinen Hindernissen, die den Schulen entgegenwirkten. Dadurch werden strukturelle und akteursbezogene Analysen miteinander verknüpft. Die Ergebnisse werden zwar quantitativ für den ganzen Kanton erhoben, der Fokus jedoch liegt auf qualitativen Betrachtungen, in welchen die Akteure und die Hindernisse deutlich sichtbar werden. Die beträchtliche Kontinuität der lokalen Akteure und des Luzerner Erziehungsrats, welche auch den Umbruch von der Helvetik zur Mediation überdauerte, ermöglicht ein genaues Nachzeichnen der politischen und persönlichen Interessen der einzelnen Handelnden, welche dadurch in den Mittelpunkt rücken. Von den höchsten politischen Ämtern bis zu den Eltern der Schulkinder werden alle Akteure untersucht, wobei sich deutlich der Lokalismus der Schulentwicklung und eine Aufklärung von unten zeigen, insofern die Handelnden vor Ort mit konkreten Maßnahmen, mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl die Reform der Landschulen vorantrieben. Die Errichtung von Dorf- und Nebenschulen sowie der Bau von Schulhäusern und -stuben wurden – nach dem mäßigen Erfolg unter der helvetischen Zentralregierung – während der Mediation nahtlos weiter vorangetrieben. Auch der Schulbesuch verbesserte sich in dieser Zeit beträchtlich, unter anderem auch, weil die ideologischen und von religiös-konservativem Denken geprägten Abneigungen gegen die Schulen mittels positiver Erfahrungen stetig abnahmen. Die allgegenwärtige Armut beispielsweise vermochte jedoch die Verbesserung der Lehrerlöhne noch zu verhindern. Die Schwierigkeiten können dabei zu vier Haupthindernissen zusammengefasst werden, welche sich in praktisch allen Bereichen zeigten: erstens die allgegenwärtige Armut, zweitens die geografischen Umstände (Schulwege etc.), drittens die politischen Strukturen und viertens persönliche Abneigungen gewisser Akteure gegen die Schule. Dadurch werden im Gegenzug auch die Faktoren des Wandels und die Erfolge der Schulreformer sichtbar. Anhand der Ausweitung auf die bisher in der historischen Bildungsforschung vernachlässigte Phase der Mediation wird insgesamt gezeigt, dass die in der Helvetik initiierten Bemühungen um Schulreformen durch das Ende der Helvetik keineswegs zum Erliegen kamen, sondern konsequent und mit beachtlichem Erfolg weitergeführt wurden. (Autor)
Die deutsch-polnischen Beziehungen unterscheiden sich zu denen zwischen Deutschland und anderen Staaten Mittel- und Osteuropas durch die vergleichsweise dichten nichtstaatlichen Kontakte vor 1990. Die zügige Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks sind zum Teil damit zu erklären, daß lange vor der Wende die Neugestaltung dieses bilateralen Verhältnisses konzeptionell vorweggenommen worden ist. An diesem Prozeß waren auf polnischer und deutscher Seite maßgeblich nichtstaatliche Akteure beteiligt, die außerhalb der offiziellen Ebene ein Kontaktnetz zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik, zum Teil aber auch zwischen Warschau und Ost-Berlin aufgebaut hatten. Die vorliegende Arbeit analysiert die Bedeutung des kirchlichen Kontaktnetzes, der demokratischen Opposition in Polen und der DDR sowie der polnischen Emigration für den Prozeß der Entstehung dieser deutsch-polnischen Interessengemeinschaft. Besonders für die polnische Seite dieses nichtstaatlichen Dialogs gilt, daß ihre Akteure während des Systemwechsels eine tragende politische Rolle gespielt haben. Im abschließenden Kapitel wird die These aufgestellt, daß sich bereits vor dem Zusammenbruch der autoritären Systeme in Mittel- und Osteuropa Ansätze einer Vergesellschaftung der deutschpolnischen Beziehungen herausgebildet haben. ; German-Polish relations differ from those between Germany and other states from Central and Eastern Europe in that comparatively intensive contacts among nongovernmental actors existed before 1990. The relatively quick normalisation of the bilateral relationship shortly after the breakdown of the Soviet block can at least in part be explained by the fact that its conceptual foundations had been established long before. Involved in this process have been nongovernmental actors on both sides through their interactions outside the official channels between Germany and Poland, respectively East Berlin and Warsaw. This article analyses the importance of the contacts between the churches, the democratic opposition in Poland and East Germany as well as the role of Polish emigration for the emergence of a German Polish community of interests. In Poland, in particular, the participants in this unofficial dialogue played a major role before and during the transition process. In the final chapter the proposition is elaborated that the German-Polish transnational relations (Vergesellschaftung der Außenpolitik) came into existence long before the breakdown of the authoritarian political systems in Central and Eastern Europe.
Der Beitrag rekapituliert zunächst den medialen Diskurs zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 und analysiert, wie dieser auf die Kategorie "Geschlecht" Bezug genommen hat. Es wird deutlich, dass Journalisten zwar häufig "Geschlecht" als Erklärungsvariable bei der Interpretation der Ursachen und Folgen der Krise heranziehen, dabei jedoch häufig auf bekannte Stereotype zurückgreifen. Damit verbunden ist - so die These - nicht nur eine starke Individualisierung von strukturellen Problemen, sondern auch die Gefahr, dass andere gesellschaftliche Ungleichheitsdimensionen ausgeblendet bleiben. Die anschließende Untersuchung des politischen Krisenmanagements zeigt, dass auch diese nicht frei ist von den in der Presse formulierten Annahmen über Geschlecht und bestehende, in Arbeits- und Produktionsverhältnissen eingelagerte geschlechterkulturelle Leitbilder, weshalb - so die weitere Argumentation - Alternativen in Richtung eines geschlechtergerechten und ökologischen Konjunkturprogramms keine Berücksichtigung fanden. Darüber hinaus wird kritisiert, dass die unterschiedliche Wirkung der Konjunkturprogramme und Konsolidierungsmaßnahmen auf Frauen und Männer von den politischen Akteuren weder ex ante noch ex post analysiert wurde. ; The paper analyses the media discourse on the financial and economic crisis in 2008/2009 as well as the state's responses to the crisis regarding its gendered di-mensions. It becomes evident that many comments in newspapers are made on the link between the level of testosterone and the tendency to risk taking among those who gamble at stock-markets. This is connected with the question whether a crisis might have been averted if more women had held leading positions of large invest-ment banks or in regulating bodies. The author argues that the use of gender stereo-types in the media discourse not only tends to individualize structural causes and problems of the current (financialised) economy but also ignores other than gendered social inequalities. The further analysis of the state's responses indicates that these are also referring to particular images about gender and the gendered division of labour. Therefore it is not surprising that neither economic alternatives which might increase gender equality nor a sufficient gender (budget) analysis were part of the policy programs.
Im Fokus der Studie steht die Frage, wie der israelisch-palästinensische Konflikt angesichts des Scheiterns von Friedensverhandlungen und der anhaltenden Besatzung des Westjordanlands Interessenlagen, Narrative und Spielräume unterschiedlicher Akteure prägt und verändert. Mit Blick auf den israelischen Diskurs, den der erste Beitrag beleuchtet, wird gezeigt, wie das Ausbleiben einer Konfliktlösung zu einer paradoxen Situation führt, in der sich Mehrheiten sowohl für eine Zweistaatenlösung als auch gegen einen palästinensischen Staat finden. Dies übersetzt sich politisch in eine zunehmende Paralyse in Bezug auf mögliche Friedensverhandlungen. Der zweite Beitrag analysiert den Umgang der palästinensischen Führungen in Ramallah und Gaza-Stadt mit der israelischen Besatzungsmacht, der sich in einem Spannungsfeld von Verhandlungen, Widerstandsrhetorik und direkter oder indirekter Kooperation bewegt. Es wird erläutert, wie die Führungen wider Willen zu Erfüllungsgehilfen der Besatzungsmacht wurden. Der dritte Beitrag zeigt auf, dass es bei dem Engagement der EU eine Diskrepanz zwischen gesetzten Zielen (Zweistaatenlösung, palästinensische Entwicklung) und erreichten Ergebnissen gibt. Er schlägt konkrete Maßnahmen vor, wie dieser Diskrepanz beizukommen ist. Der vierte Beitrag befasst sich mit der humanitären Organisation UNRWA, die unter den Bedingungen der Besatzung operiert und gegen ihren Willen Partei in der Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern wird. Der letzte Beitrag befasst sich mit der Israel-Lobby in den USA. Er zeigt, dass die Ansichten darüber, ob die Besatzung des Westjordanlands im Interesse Israels ist, unter amerikanischen Juden zunehmend kontrovers ist und zu Spaltungen innerhalb der Lobby führt. Die Studie entstand im Rahmen des Projekts "Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen". Das Projekt ist in der SWP-Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika angesiedelt und wird vom Auswärtigen Amt ...