In den gegenwärtigen Debatten über politische Verantwortung und Wirkungsmöglichkeiten kultureller Formen wie Literatur und Theater, Film, Fernsehen und neue Medien, Performance-Kunst und Street Art ist ein gewandeltes, zivilgesellschaftlich erweitertes Verständnis des Politischen auffällig, das auch den erstarrten Dualismus von Engagement und Autonomie der Künste neu infrage stellt. Das Politische in der Literatur wird nicht mehr wie lange Zeit üblich von der ästhetischen Eigenart abgegrenzt und daher auch nicht auf unmittelbare und direkte Thematisierung impliziter politischer Bezüge reduziert. Im Mittelpunkt der Debatten stehen häufig die nicht zuletzt durch die jüngsten Medienentwicklungen, insbesondere die sozialen Netzwerke, bedingten Veränderungen im Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, vor allem die Sorge um den Schutz der Privatsphäre vor allgegenwärtiger Überwachung und auch ästhetisch neuartige Strategien in der Herstellung von Öffentlichkeit für existenziell bedeutsame Problemlagen. Im nachfolgenden Beitrag soll gefragt werden, inwieweit das Verhältnis zwischen dem ästhetisch Eigenwertigen und dem politisch Wirkmächtigen auch in zeitgenössischen Literaturdebatten zur Sprache kommt, wie auch, welchen Anteil Literaturtheorie und -ästhetik an den Auseinandersetzungen um einen komplexeren Begriff des Politischen haben.
Datenschutz bleibt ein umkämpftes Thema im Kontext der voranschreitenden Digitalisierung. Die Beiträge des Bandes gehen der Frage nach, welche Formen Privatheit in einer digitalen Gesellschaft annehmen kann und welche Chancen und Risiken dabei entstehen. Dabei ergeben sich medienkulturelle Fragestellungen nach den Normierungsmustern hinter digitalen Anwendungen sowie die Notwendigkeit, digitale Nutzungsszenarien zu analysieren, einzuordnen und zu bewerten. Der interdisziplinäre Band versammelt kultur-, sozial-, medien-, rechts- und politikwissenschaftliche Perspektiven. ; Martin Hennig et al.: ›Smarte Diktatur‹ oder ›egalitäre Netzgemeinschaft‹? Diskurse der Digitalisierung Sektion 1: Politisch-rechtliche Diskurse Martin Hennig et al.: Einleitung Christian Aldenhoff: Legitimation von Datenverarbeitung via AGB? Wider eine Verlagerung von datenschutzrechtlichen Abwägungen in das Vertragsrecht Karsten Mause: Schutz der (digitalen) Privatsphäre als Staatsaufgabe? Eine polit-ökonomische Analyse Andreas Spengler: Technologisierung der Lebenskunst — Subjektivierung und Digitalität Louisa Specht-Riemenschneider und Dennis Jennessen: Persönlichkeitsschutz im digitalen Umfeld in Zeiten der Mehrebenenregulierung Sektion 2: Zwischen Öffentlichkeit, Privatheit und Privatisierung — soziale Kollektive im Netz Martin Hennig et al.: Einleitung Paula Helm und Johannes Eichenhofer: Reflexionen zu einem social turn in den privacy studies Benjamin Heurich: Unsocial Bots — Eine Gefahr für die Autonomie des Gesellschaftssystems Lea Raabe: Die Kommentarspalten des Online-Magazins COMPACT als privatisierte Echokammer Sebastian J. Golla et al.: Connecting the Dots. Sozialwissenschaftliche Forschung in sozialen Online-Medien im Lichte von DS-GVO und BDSG-neu Sektion 3: Mediale Formen und Verhandlungen von Privatheit in Zeiten der Digitalisierung Martin Hennig et al.: Einleitung Axel Kuhn: Reader Analytics: Vom privaten zum öffentlichen Lesen? Gala Rebane: Aushandlung und Inszenierung des Privaten in room tour-Videos Marcella Fassio: »Ich erfinde nichts, ist alles, was ich sagen kann«. Praktiken der Subjektivierung zwischen Privatheitund Inszenierung in Wolfgang Herrndorfs Blog Arbeit und Struktur Amy Lynne Hill: 'GRWM': Modes of Aesthetic Observance, Surveillance, and Subversion on YouTube Bärbel Harju: »The Glass Room« — Privatheit in digitalen Kunstprojekten Jakob Kelsch: »Transparente Individuen im intransparenten System«. Das Spannungsfeld von Privatheit und Digitalisierung in Marc-Uwe Klings Roman QUALITYLAND
Am 26. und 27. November 2015 veranstaltet das "Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der Digitalen Welt" eine Konferenz zum Thema "Die Zukunft der informationellen Selbstbestimmung".
Slides for a presentation at the 38th congress of the German Sociological Association (GSA) at the University of Bamberg. Einer der wichtigsten Klassiker der Privatheitstheorie ist Beate Rösslers "Der Wert des Privaten" (2001), in dem die Sozialphilosophin eine Bestimmung dieses Wertes und seiner Bedeutung für Gesellschaft und Demokratie unternimmt. Auch wenn das Private während seiner Geschichte immer auch unscharf und umstritten war (Geuss 2013), scheint es im Zuge der Digitalisierung und ihrer Praktiken doch zu einer epochalen Verunsicherung von Privatheit zu kommen (Ochs 2015). In dieser Situation kann es sinnvoll sein, davon abzusehen, den Wert des Privaten zu bestimmen, um stattdessen zu analysieren, *wie* dieser Wert in aktuellen Kontroversen stabilisiert oder neuverhandelt wird. Statt der Suche nach einer fixen Sozialordnung und ihrer passenden Privatheit, müssten dann Kartografien von Entgrenzungs- und Neubewertungsprozessen ins Zentrum rücken. Eine Kontroverse radikaler Neubewertung von Privatheit findet sich in der Debatte um das Issue Postprivacy (Lamla 2013), in der die Idee verfolgt wird, Privatheit könnte langfristig nicht zu bewahren sein und ihr Verschwinden sei möglicherweise zu begrüßen oder zu beschleunigen (Heller 2011). Am Beispiel der Postprivacy-Kontroverse will ich zeigen, wie bei der Suche nach neuen Lösungen für neue Probleme, auch die Frage der Bewertung des Privaten neu gestellt wird. Dabei will ich die aktuelle Entgrenzung und Neubewertung des Privaten darlegen, und auf dieser Basis abschließend der Frage nachgehen, ob der aktuellen Neubewertung des Privaten eine Transformation jener Konstellationen zugrunde liegt, aus denen hervorgeht, wie Menschen in soziale, materielle und technische Umwelten eingebunden werden und sich selbst einbinden.
In Reaktion auf die Enthüllungen Edward Snowdens und die dadurch aktualisierte Krise der Privatheit tritt die Reterritorialisierung des Digitalen als Reaktionsweise zeitgenössischer Demokratien auf den Plan. Verwerfungen im Zuge zunehmend globalisierter Datenströme sollen nach altbekanntem Muster der territorialen und nationalen Containergesellschaften gekittet werden. Reterritorialisierung adressiert dabei einen digital induzierten Wandel und versucht, Antworten zu geben auf Fragen der gegenwärtigen Neukonfiguration des Verhältnisses von Demokratie und Gesellschaft. Die Kartografie der dynamischen Arena um das umstrittene Konzept Privatheit liefert empirische Erkenntnisse zu einem der meistdiskutierten sozialen Ordnungsmechanismen und zeigt, wie die politische Suche nach Lösungen angesichts der tektonischen Verschiebungen der Digitalisierung mit bestehenden Institutionen, Routinen und Ressourcen verbunden bleibt. Die Publikation präsentiert Ergebnisse des BMBF-Projektes "Kartografie und Analyse der Privacy-Arena", an dem die Disziplinen Soziologie, Rechtswissenschaft und Philosophie/Ethik beteiligt sind. ; Also available via the publisher: https://doi.org/10.19211/KUP9783862191079
Datenschutz bleibt ein umkämpftes Thema im Kontext der voranschreitenden Digitalisierung. Die Beiträge des Bandes gehen der Frage nach, welche Formen Privatheit in einer digitalen Gesellschaft annehmen kann und welche Chancen und Risiken dabei entstehen. Dabei ergeben sich medienkulturelle Fragestellungen nach den Normierungsmustern hinter digitalen Anwendungen sowie die Notwendigkeit, digitale Nutzungsszenarien zu analysieren, einzuordnen und zu bewerten.Der interdisziplinäre Band versammelt kultur-, sozial-, medien-, rechts- und politikwissenschaftliche Perspektiven.
The paper addresses the juridical norm of the German Parental Leave legislation as an instrument of bio-politics. Referring to Michel Foucault and Judith Butler, three questions are discussed: (a) which productive power can be identified within Parental Leave in terms of the government of the subject as well as in technologies of the self? Both aspects are intertwined through processes of surveying, (self-) measuring and normalization. These issues are especially discussed regarding the fields of politics, economy and social sciences. (b) How do these technologies of subjectivation affect the constitution of gendered subjects? (c) Which transformation processes (can possibly) emerge with regard to the relation of the private and the public sphere? The discussion of these questions is based on first findings of a research project on "Fathers in Parental Leave".
Was hat Freundschaft heutzutage mit Politik zu tun? Dieser Frage und einer möglichen Antwort werde ich mich in dieser Arbeit über die philosophiegeschichtliche Rezeption des Begriffs Freundschaft annähern. Wenn man sich mit dem Begriff der Freundschaft in der Philosophie beschäftigt, merkt man schnell, dass dieses Thema in allen Epochen aktuell war und man merkt auch, dass Freundschaft beispielweise in der Antike noch etwas anderes bedeutet hat als das, was man heute weitläufig unter Freundschaft versteht. Freunde und Freundschaften kategorisieren wir heute gemeinhin als eine private Angelegenheit. In der Antike war Freundschaft ein Thema des öffentlichen Lebens. Trotzdem können wir uns heute noch für Aristoteles' und auch Ciceros Freundschaftskonzeptionen begeistern, obwohl sich das Prinzip von Freundschaft über die Jahrtausende verändert hat – warum ist das so? Bei einer näheren Betrachtung philosophischer Freundschaftskonzeptionen verschiedener Philosophen zeigt sich eine Traditionslinie in der Begriffsgeschichte der Freundschaft, die bei Aristoteles ihren Anfang nimmt. Seine Konzeption der Freundschaft ist eng verknüpft mit dem öffentlichen, politischen Leben der Menschen. Führt sich diese Verknüpfung von Freundschaft und Politik in der Traditionslinie des Begriffs Freundschaft ebenfalls fort? Diese Frage steht im Zentrum dieser Arbeit. Zu ihrer Beantwortung werde ich mich als erstes mit dem Freundschaftsbegriff der Antike beschäftigen und hierbei die Traditionslinie von Aristoteles zu Cicero nachzeichnen. Es wird sich zeigen, dass bestimmte Motive in den Freundschaftskonzeptionen vorzufinden sind, die immer wieder auftauchen. Daher werde ich die Frage nach einem antiken Ethos der Freundschaft stellen und das Verhältnis von Freundschaft und Politik in den antiken Freundschaftskonzeptionen anhand der beiden Autoren zusammenfassen. Für die neuzeitliche Rezeption des Freundschaftsbegriffs beziehe ich mich v. a. auf Montaigne. Dieser nimmt explizit Bezug auf Aristoteles und Cicero und führt damit die Traditionslinie auf den ersten Blick fort. Bei genauerer Betrachtung tilgt er jedoch die politische Dimension aus seiner Freundschaftsvorstellung. Wird die Traditionslinie des Freundschaftsbegriffs damit transformiert, indem sich bestimmte Merkmale ändern oder wegfallen, oder wird die Traditionslinie damit abgebrochen? Dieser Frage werde ich mich im zweiten Kapitel dieser Arbeit widmen. Für die Moderne ergeben sich aus dieser Transformation heraus im Wesentlichen drei Sichtweisen in Bezug auf den Begriff der der Feindschaft: Erstens wird Freundschaft durch ihren Gegenentwurf, der Feindschaft, heraus definiert. Zweitens wird Freundschaft als Angelegenheit des Privaten und drittens wird Freundschaft als Angelegenheit des öffentlichen Lebens betrachtet. Die Koexistenz dieser drei Dimensionen zeigt, wenn auch nur grob, wie vielfältig sich das Erbe einer philosophischen Idee über Jahrhunderte und Jahrtausende ausgestaltet hat. In Bezug auf die Politik umso mehr, wenn soziologische Entwicklungen und die Ausdifferenzierung verschiedener politischer Lager berücksichtigt werden. Je nachdem, ob wir den Begriff der Freundschaft heute beispielsweise ganz allgemein in den Kontext von Konkurrenz und Kooperation, von geopolitischen, kapitalistischen oder neoliberalen Interessen, von Individualität und Kollektivismus, von Konservativismus oder Pluralismus stellen, finden wir zwangsläufig Elemente aus dieser Begriffstradition wieder – entweder ein aristotelisches Motiv oder einen ciceronischen Gedanken oder eine Wendung, die an Montaigne erinnert. Freundschaft als eine persönliche und soziale Beziehung, jenseits der familiären Bande, und ihre Transformationsformen wie Kameradschaft, Genossenschaft, Bruderschaft, Fraternité, etc., hat, wie sich zeigen wird, ganz generell eine besondere Relevanz für das soziale und politische Leben. Welche Aspekte der Freundschaft besonders hervorstechen und bedeutsam werden, variiert in verschiedenen Zeiten bzw. Epochen und Kontexten. Aus der letzten der genannten Perspektiven heraus, stellt sich die Frage, inwiefern wir hier bei der Idee der Verknüpfung von Freundschaft und Öffentlichkeit wieder auf den Kerngedanken des aristotelischen Freundschaftsbegriffs treffen: Freundschaft ist für die Gemeinschaft gut und impliziert Eintracht. Zuletzt wird diskutiert, ob dieser Begriff von Freundschaft konstitutiv sein kann für eine pluralistische Politik in einer pluralistischen Gesellschaft.
Competent adult internet users voluntarily disclose vast amounts of personal data. As such disclosure can cause great harm, governments may feel that through minor interventions they can protect their citizens from disclosure that is not in the latters' best interest. However, such actions can infringe upon the rights of the users' and of the data collectors', and are only licit when justified. Neither the German nor the US government has the duty or the power to coerce the privacy choices of competent adult users for the sole purpose of protecting them against dangers caused by themselves. Instead, it is suggested that governments should focus on limiting specific harmful disclosure.
Im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19- Pandemie sind die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und vielen anderen Ländern dazu angehalten (gewesen), weitestgehend in ihren Privatwohnungen zu bleiben. Wurde der Wert des Privaten in der liberalen Tradition gerade im Rückzug von und als Schutz vor der politischen Öffentlichkeit sowie administrativen Eingriffen gesehen, wird das Private damit nun unmittelbar politischen Anforderungen unterworfen. Indem die Kontrolle über die Gewährung und Verwehrung des Zugangs zum Privaten eingeschränkt worden ist und keinen frei gewählten Rückzugsort mehr darstellt, verändert sich auch die Wahrnehmung lokaler Privatheit. Dabei stellt sich die Frage, ob die lokale Privatheit ihren Wert verliert und hier bereits von einer "Kolonialisierung" der lokalen Privatheit gesprochen werden muss. Vor diesem Hintergrund soll ausgehend von feministischer Kritik liberaler Verständnisse lokaler Privatheit argumentiert werden, dass die These der strikten Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit empirisch unzutreffend und normativ unangemessen ist. Davon ausgehend können Legitimitätsbedingungen öffentlichen Eingreifens in die lokale Privatheit entwickelt und die pandemiebedingten Maßnahmen hinsichtlich ihrer Legitimität überprüft werden. Dabei wird argumentiert, dass sich hierbei zwar nur eingeschränkt von einer Kolonialisierung sprechen lässt, sich die Wahrnehmung der lokalen Privatheit im Zuge der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen jedoch zu Lasten ihres Wertes verändert hat. ; As part of the measures to contain the Covid-19 pandemic, citizens in Germany and many other countries are or have been encouraged to stay in their private homes. Whereas the value of privacy in the liberal tradition was seen precisely in the withdrawal and protection from the political public and administrative intervention, it is now directly subject to political demands. As the control over granting and denying access to the private sphere has been restricted and no longer represents a freely chosen place of retreat, the perception of local privacy is also changing. This raises the question of whether the local private sphere is losing its value and whether we can already speak of a "colonization" of local private sphere. Against this background, it will be argued, based on feminist criticism of liberal understandings of local privacy, that the thesis of a strict separation of public and private sphere is empirically incorrect and normatively inadequate. On this basis, the conditions of legitimacy of public intervention in local privacy can be developed and the legitimacy of pandemic-related measures can be examined. It is argued that although it is only possible to speak of colonization to a limited extent, the perception of local privacy has changed in the course of the restrictions to the detriment of its value. ; (VLID)5810431
Das sogenannte 'privacy paradox' besteht darin, dass Privatsphäre und Datenschutz zwar in der Theorie für wertvoll und notwendig gehalten werden, im tatsächlichen Nutzungsverhalten der User z. B. von Web 2.0-Anwendungen jedoch kaum eine Rolle spielen. Diese Diskrepanz hat bereits eine Reihe an wissenschaftlichen Arbeiten sowie pädagogischen Bemühungen generiert. Thilo Hagendorffs Buch Das Ende der Informationskontrolle. Zur Nutzung digitaler Medien jenseits von Privatheit und Datenschutz beansprucht, eine Alternative zu normativ aufgeladenen Diskursen um den Verlust der Privatsphäre zu bieten. Nicht moralisieren will es, sondern über die "Aufdeckung von Reflexionsdefiziten" zu einer "Pragmatik resilienter Mediennutzung unter den Bedingungen des informationellen Kontrollverlusts in modernen Gesellschaften" (S. 10f) gelangen, die der Lebenswelt privater Endanwender gerecht wird. Unter informationellem Kontrollverlust versteht Hagendorff das Kollabieren von bislang getrennt gehaltenen Informationskontexten aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung aller Lebensbereiche. Sein deklarierter Fokus liegt dabei auf "publikumsbezogenen Kontextverletzungen" (S. 29), also auf Fällen, in denen personenbezogene Informationen für verschiedene, potenziell unerwünschte Empfängerkreise zugänglich werden. Wenn etwa ein Urteil eines Richters aufgehoben wird aufgrund eines Fotos, das dieser bei Facebook gepostet hat, wenn die geheim gehaltene Homosexualität einer jungen Frau vor Familie und Freunden enthüllt wird, weil sie Facebooks Algorithmus ungefragt zu einer Queer-Diskussionsgruppe hinzufügt, oder wenn russische Pornodarstellerinnen über eine Gesichtserkennungs-App deanonymisiert und geoutet werden, haben wir es mit derartigen publikumsbezogenen Kontextverletzungen zu tun. Mit diesem Schwerpunkt auf Effekten, die informationelle Kontrollverluste in der Öffentlichkeit zeitigen, wird die im Buch behandelte Problematik jedoch in einer Weise beschränkt, die wesentliche Aspekte – nämlich insbesondere die Implikationen der Datenaggregation und -analyse, sofern diese nicht mit der Veröffentlichung intimer Details einhergehen – nicht in den Blick nimmt. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Seine Auffassung von Informationskontexten entnimmt Hagendorff soziologischen Rollentheorien Goffman'scher Prägung: Es wird nicht von einer kohärenten personalen Identität ausgegangen, sondern von verschiedenen und teils widersprüchlichen Rollen, die Menschen innerhalb unterschiedlicher sozialer Kontexte annehmen. Damit es zu keinen Rollenkonflikten kommt, müssen diese Kontexte voneinander getrennt gehalten werden und somit auch jeweils isolierte Informationskontexte bilden. Ein genuines Spezifikum digitaler Medien sieht Hagendorff darin, dass diese 'nicht' imstande sind, Kontexttreue zu gewährleisten und somit stets die Gefahr einer Perforierung von Informationskontexten bergen. Medientechnischer Fortschritt ist nämlich gleichbedeutend mit der Abnahme dessen, was Luciano Floridi als 'ontological friction' bezeichnet: jener Widerstände, die der reibungslosen Verbreitung von Informationen im Wege stehen. Hierin besteht die technische Grundlage einer Auflösung von Kontexten, die von verschiedenen Akteuren vorangetrieben wird: in massivem Ausmaß – wie spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen allgemein bekannt ist – von Geheimdiensten, aber auch von Data Brokern, die personenbezogene Informationen aus verschiedenen Quellen zusammenführen und gewerblich nutzen, sowie von Hackern, die Sicherheitslücken von Technologien ausnutzen, um Daten abzugreifen. Die Vulnerabilität der Netze steigt in dem Maße, in dem ihre Komplexität, Interkonnektivität und -operabilität zunehmen. Strategien, den Widerstand der Informationsflüsse wieder zu erhöhen (etwa Regulierungsbestrebungen, Kryptographie oder die – am Back-End ohnehin wirkungslosen – Privatsphäreneinstellungen von Social-Media-Plattformen), kämpfen gegen die inhärente Logik digitaler Informationsinfrastrukturen an und stehen damit gewissermaßen auf verlorenem Posten. Technologieunternehmen fungieren als Taktgeber einer sich immer rascher beschleunigenden technischen Entwicklung, die Politik und Recht nicht mehr regulierend einzuholen vermögen. Eine Abkehr vom Trend zu immer weitreichender Verdatung sämtlicher Lebensbereiche ist auch unwahrscheinlich aufgrund der Abhängigkeit, die sich vom zu einer "kritische[n] Infrastruktur" (S. 113) gewordenen Internet gebildet hat: Soziale Gravitation und Lock-In-Effekte binden die User an dominante Plattformen. Und dies, obwohl die Vernetzung mit informationeller Selbstbestimmung völlig unvereinbar geworden ist: "Strategien für den informationellen Kontrollverlust zu entwickeln bedeutet, zu wissen, dass Informationen oder Handlungen, welche tatsächlich geheim bleiben müssen, in radikal analogen Räumen lokalisiert werden müssen. Sobald sie in die Reichweite oder den Speicher vernetzter, sensorbewehrter informationstechnischer Systeme geraten und 'verdatet' werden, sind sie unmittelbar dem Risiko ausgesetzt, sich unkontrolliert zu verbreiten" (S. 9). Partielle Entnetzung stellt in diesem Sinne eine Resilienzstrategie dar, die durchaus auch praktiziert wird, für den einzelnen (Nicht-)Nutzer aber mit lebenspraktischen Nachteilen verbunden ist. Wer diese nicht in Kauf zu nehmen bereit ist, ist unvermeidlich dem permanenten Risiko informationeller Kontrollverluste ausgesetzt. Man könnte auf unterschiedliche Weise versuchen, mit diesem eindringlich dargestellten Konflikt zwischen Datenschutz und Digitalisierung umzugehen. So präsentiert Hagendorff Verschlüsselungstechnologie als Ansatz, der durchaus in der Lage ist, informationellen Kontrollverlusten in gewissem Maße vorzubeugen – daraus ließen sich für eine Pragmatik resilienter Mediennutzung hilfreiche Schlüsse ziehen. Man könnte auch die unhinterfragte Dominanz vor proprietärer und intransparenter Software, von Cloud Computing und Software as a Service problematisieren, die im Buch als relevante Faktoren für den informationellen Kontrollverlust identifiziert werden. Man könnte Hagendorffs Beobachtung vertiefen, dass der Großteil unserer digitalen Kommunikationsinfrastrukturen von einer kleinen Elite designed und kontrolliert wird, deren Status nur selten als legitimationsbedürftig begriffen wird. Man könnte die im Rahmen dieses Buches weitgehend ausgesparte ökonomische Dimension – etwa die dominanten Geschäftsmodelle, über die die meisten digitalen Plattformen funktionieren – einholen. Hagendorff jedoch positioniert sich anders: Nicht nur sei das Ende der Privatsphäre unausweichlich, sondern auch gar nicht so schlimm und sogar eine Chance. Privatheit sei nämlich bestenfalls ambivalent, insofern in ihrem Schutz z. B. auch häusliche Gewalt stattfinden könne. Überhaupt stecke hinter dem Ruf nach Privatsphäre "in bestimmten Fällen" nichts anderes als der Wunsch, eingespielte Normverstöße weiterhin unsanktioniert vollziehen zu können (S. 139). Hagendorff sieht zwar die Machtasymmetrie zwischen gläsernen Usern und völlig intransparenten transnationalen Plattformanbietern, bevorzugt allerdings gegenüber der informationellen Selbstbestimmung schwächerer Akteure dennoch "eine generelle Anhebung von Transparenzniveaus", insofern nur so dem "Problem" beizukommen sei, dass gesellschaftlich relevante Informationen zurückgehalten werden können (S. 185). Totalüberwachung brauche nicht verdammt zu werden, weil sie selbst gar nicht freiheitseinschränkend wirke, sondern bloß die auf ihr basierenden Sanktionen. Diese sollten deshalb einfach auf gesellschaftlich schädliche Normüberschreitungen (wer beurteilt das?) beschränkt bleiben. Unproblematische Normabweichungen hingegen sollten lustvoll und selbstbewusst zur Schau gestellt werden, um Emanzipationsbewegungen Vorschub zu leisten. Post-Privacy wird so zur Möglichkeitsbedingung für eine politische Aushandlung von gesellschaftlich Verdrängtem und Tabuisiertem stilisiert: Eine Gesellschaft, die ohne "Verschleierung, Verheimlichung und Verdunklung" auskommt, würde sich "als freiheitlicher erweisen" als eine, die um "den Erhalt der Privatheit […] kämpft, welcher letztlich dazu führt, dass eingewöhnte Normverletzungen nicht weiter der Diskussion unterzogen werden" (S. 147). Einer der wenigen antizipierten Einwände, nämlich die Verfolgung von Aktivisten in Diktaturen, wird vom Tisch gewischt; hierbei handle es sich um "kein Argument gegen Transparenz, sondern gegen Machtmissbrauch, Ungerechtigkeit, Gewalt et cetera" (S. 185). Vor dem Hintergrund der deklarierten Ansprüche des Buches kann man fragen, ob der verfolgte Aktivist die selbstbewusste Kritik an der Regimegewalt unter Preisgabe aller Privatheit wohl für eine pragmatische oder resiliente Strategie halten würde. Oder ob Hagendorffs "Forderung nach einer toleranzstarken Öffentlichkeit" (S. 136) angesichts von Shitstorms und Hasspostings weniger kontrafaktisch ist als ein Festhalten an Datenschutz und Privatsphäre. Auch das anderweitig beanstandete Moralisieren kommt nicht zu kurz, obgleich an unvermuteten Stellen: Wenn beispielsweise Uber aus Fahrtdaten potentielle One-Night-Stands seiner Kunden errechnet, beklagt Hagendorff, dass die öffentliche Debatte dazu sich auf Datenschutzverletzungen kapriziere, anstatt den "Betrug des Lebenspartners" zu diskutieren, der hier mutmaßlich in vielen Fällen vonstatten gehe (S. 142). Und auch Reflexionsdefizite ließen sich aufdecken, etwa im Postulat, einheitliche Versicherungstarife (die der Autor als Folge des bisherigen Mangels an umfassendem Aktivitätstracking fasst) würden Gesundheitsbewusste diskriminieren (vgl. S. 140). Dass der Verlust der Privatsphäre harmlos und sogar wünschenswert sei, vermag so schon in dem von Hagendorff explizit adressierten Bereich publikumsbezogener Kontextverletzungen nicht zu überzeugen. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass die darüber weit hinausreichenden Implikationen des informationellen Kontrollverlustes nicht in Rechnung gestellt werden. So hat etwa Shoshana Zuboff (in einem von Hagendorff sogar zitierten Paper) die Emergenz einer neuen Form von Kapitalismus konstatiert, in der nicht mehr Produktionsmittel, sondern überwachungsdatenbasierte Verhaltensmodifikationsmittel die zentralen Ressourcen sind. Demokratie wird jedoch obsolet, wenn der zahlungskräftigste Akteur die gewünschte Wahlentscheidung einfach kaufen kann. Diese Problematik, angesichts derer wohl einige von Hagendorffs Thesen einer Revision zu unterziehen wären, wird nicht einmal gestreift. Insgesamt bietet das Buch einen anregenden Überblick über diverse Konzepte und Problemfelder, die den informationellen Kontrollverlust tangieren, sowie eine Vielzahl anschaulicher Beispiele. Seine Stärke liegt vor allem darin, dass es den Leser in aller Deutlichkeit mit der Unvereinbarkeit von Digitalisierung in der Form, in der sie derzeit vorangetrieben wird, mit tradierten Vorstellungen von Datenschutz und Privatsphäre konfrontiert und die daraus resultierenden Aporien aufzeigt. Dass man nach Lektüre geneigt sein wird, die Erosion des Datenschutzes als gesellschaftlichen Fortschritt zu begrüßen, darf jedoch bezweifelt werden.
Development and realization of parenthood depend on the historically specific problematization of child welfare/well-being. The practices of youth welfare service and modern parenthood are primary orientated towards the collective protection and strengthening of the child's autonomy. According to Foucault, family could be understood as a disciplining architecture and simultaneously as a biopolitical regime of the child's body. In this regard, the second step would be to discuss the main regulative effects of the judicial concept child welfare/well-being (Kindeswohl) and the major transformational processes of the German youth welfare service. Historically, the regulations of family and socialization were based explicitly on rigid gender norms (traditional family framework). However this article intends to examine how these rigid norms are getting replaced by a decentralized manifold networking and screening of socialization. Instead of a disciplining architecture with a relatively closed, affective and heteronormative privacy, family becomes a relatively open and networked commitment of prevention. ; Elternschaft hängt in ihrer modernen Verfassung wesentlich davon ab, wie das Kindeswohl problematisiert wird. In der Rekonstruktion der Entwicklung moderner Familialität und der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe zeigt sich, dass insbesondere die kindliche Autonomie zum zentralen Element aufsteigt. Im Rückgriff auf Foucault wird Familie als disziplinierende Architektur (Disziplin) und zugleich als eine Instanz der biopolitischen Verwaltung des Kinderkörpers skizziert. Anschließend wird auf die regulativen Effekte der zunehmenden Bedeutung des Kindeswohls und die daraus folgenden wesentlichen Transformationsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe eingegangen. Der Zugriff auf die Familie und Sozialisation über die klaren und starren (Geschlechter‑) Normen des traditionellen Familienbildes, wird abgelöst von einer vielfältigen, dezentralen Vernetzung und Durchleuchtung von Sozialisation. An die Stelle eines disziplinierenden Gefüges der relativ geschlossenen, affektiven, heteronormativen, familialen Privatheit (um den Vater), rückt ein relativ offenes, vernetztes und präventives Engagement (um das Kind).
Pričujoče magistrsko delo se osredotoča na bistvene poteze pisateljske ustvarjalnosti Irmgard Keun, pri čemer se posveča njenima (zgodnejšima) romanoma: Gilgi – eine von uns (1931) ter Nach Mitternacht (1936). V svojem uvodnem delu magistrsko delo obravnava življenje in delo Irmgard Keun ter okoliščine njenega ustvarjanja, t. j. obdobja Weimarske republike v Nemčiji in obdobja pred drugo svetovno vojno, pri čemer poseben poudarek velja literarnim smerem oz. gibanjem znotraj navedenega obdobja – zlasti novi stvarnosti – in nekaterim literarnim zvrstem, npr. t. i. zeitromanu. Ob tem delo navaja avtoričine vire in pisateljske zglede, kot tudi nekatere podobnosti ter odmike od nove stvarnosti. V drugem delu magistrsko delo prehaja na vsebinsko analizo obeh navedenih romanov Irmgard Keun, pri čemer se ukvarja s primerjavo obravnavanih tem v sklopu zasebne in javne sfere. V tem okviru delo primerja podobe vojne, prostora, mentalitet ter medsebojnih odnosov, ukvarja pa se tudi s satirično in navsezadnje žensko perspektivo Irmgard Keun ter slednjo prepoznava kot eno najpomembnejših nemških avtoric nove stvarnosti oz. 20. stoletja. ; This master's thesis deals with the essential features of Irmgard Keun's writing, focusing on her (earlier) novels: Gilgi – eine von uns (1931) and Nach Mitternacht (1936). In its introductory part, the master's thesis deals with the life and work of Irmgard Keun and the circumstances of her writing, that is, the period of the Weimar Republic in Germany and periods before the Second World War, with a particular emphasis on literary directions or movements within that period, i.e. New Objectivity, and some literary genres, e.g. time-novel. In doing so, the work cites Irmgard Keun's writing sources, as well as her similarities and deviations from the New Objectivity. In its second part, the master's thesis moves to a substantive analysis of two major and aforementioned Keun's novels, while dealing with a thematic comparison of topics within the concepts of private and public sphere. In this context, the work compares the images of war, space, mentalities and intimate relationships, but also considers the satirical and, after all, feminine perspective of Irmgard Keun, classifying her as one of the most important German authors of the New Objectivity or 20th Century.