"'Goldbroiler' und 'Verkaufsstelle': zwei Wörter aus dem Alltag der DDR. Belegen sie, daß sich eine eigene 'Sprache der DDR' entwickelte? Oder stehen diese Neuschöpfungen für eine 'deutsche Sprache in der DDR'? Diese Debatten, die die DDR jahrzehntelang begleiteten, können freilich in die Irre führen. Denn ist nicht wichtiger, wie Herrschaft in und durch Sprache gestützt oder gar produziert wurde - wie Menschen Zumutungen oder Anforderung 'von oben' sprachlich aufnahmen oder auch ausmanövrierten? Wie weit reichten Sprachregelungen? Welche Bedeutung hatten 'öde Phrasen'? Welche Rolle spielten Schriftsteller - wie balancierten sie Engagement mit jener Distanz, die für kritische Sprache und Sprache der Kritik unerläßlich scheint?" (Autorenreferat)
Women, language, linguistics, discrimination. - Prof. Dr. Susanne Schmidt-Knaebel weist in diesem Vortrag darauf hin, daß Frauen nicht nur durch Sprache diskriminiert werden, sondern daß sie durch ihren eigenen Sprachgebrauch sich selbst diskriminieren. Sie lehnt die bestehende, an einer von Männern dominierten Gesellschaft orientierte Gegenwartssprache ab und plädiert für eine menschlichere Sprache, die geschlechtsspezifische Wörter und Ausdrücke und die daraus entstehenden Vorurteile vermeidet und eine emotionale Annäherung zwischen Männern und Frauen fördert
Roland Ris untersucht in dem Beitrag die Veränderbarkeit von Sprache und deren Funktion im Kontext gesellschaftlichen und sozialen Wandels. Auf der Grundlage einer Vielzahl linguistischer Beispiele verdeutlicht und belegt er seine Überlegungen, die mit der Beschreibung des Sprachgebrauchs der Berner Pfadfinder-Jugend der fünfziger Jahre, der Studentenbewegung der sechziger und der Alternativbewegung der siebziger Jahre eingeleitet werden. Diese gesellschaftlichen Gruppierungen und Erscheinungen bewertet Ris als Beispiele nichtisolierter, gesellschaftlich wirksam werdender und verändernder sprachlicher Bewegungen, auf die die gesamte Sprachgemeinschaft durch Übernahme des oder Angrenzung vom gruppenspezifischen Sprachgebrauchs reagierte. Es folgen Gedanken bzgl. der sprachlichen Auswirkungen bewußter sozialer Isolation einzelner "Szenen" mit ihren, speziellen, Gruppenidentität stiftenden sprachlichen Codierungen, und der durch sprachimmanente Bewertungsmaßstäbe gegebenen Rehabilitations- und Diskriminierungspotentiale. Der Beitrag endet mit Ausführungen zum Thema "sexistische Diskriminierung in der Sprache". In diesem Zusammenhang setzt sich Ris mit dem von der feministischen Linguistik erhobenem Postulat einer konsequenten "Sexualisierung von Sprache" und den durch die bedingten semantischen und grammatikalischen Auswirkungen auseinander. Er unterbreitet eigene Vorstellungen für eine, die Diskriminierung von Frauen überwindende sprachliche Gebrauchsregelung und ergreift Partei gegen eine Uniformierung von Sprache, mit der er das Ende sprachlicher Bewegungen und damit einhergehend den Verlust einer zur äußeren und inneren Veränderung drängenden Kraft gegeben sieht. (TR)
Wie ist es um die deutsche Sprache in den Schulen bestellt? Bisherige wissenschaftlich fundierte Antworten, etwa von Großstudien wie PISA oder DESI, zielen auf repräsentative, eng umschriebene Zustandsbeschreibungen. Sie erfassen nur wenig von der Dynamik der Veränderung und der Arbeit an Sprache, die ja gerade das Aufgabenfeld der Schule ist. Der hier vorgelegte Bericht der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften sieht die Schule als gesellschaftliches Sprachlabor. Er entwirft das in vieler Hinsicht überraschende Bild einer "Sprache im Werden". Dabei liegt der Schwerpunkt auf den durch die Schriftlichkeit geprägten, sprachproduktiven Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Insgesamt zehn Teilkapitel behandeln ein breites Spektrum von Fragen: Wie verhalten sich familiäre Kommunikationsmuster zu den schulischen? Hat die Lehrersprache einen Einfluss auf die Schülersprache? Wie stellen Schülerinnen und Schüler Zusammenhänge in ihren Texten her? Was bestimmt den Ausbau des Wortschatzes und der Grammatik? Wie sieht die historische und individuelle Entwicklung der Rechtschreibung inklusive der Zeichensetzung und der Handschrift aus? Wie verändert der digitale Wandel das Sprachlernen und wie steht die Spracherfahrung in vielfältigen Familiensprachen zum Ziel des Erwerbs der Bildungssprache? Der Bericht wendet sich an die bildungsinteressierte Leserschaft, an Eltern und Lehrer und nicht zuletzt an die Bildungspolitik.
Der Tagungsband möchte das interdisziplinäre Gespräch zwischen Sprach- und Rechtswissenschaft ein weiteres Mal und vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen anregen. Die hierfür ausgewählten Themen werden sowohl aus linguistischer wie aus juristischer Perspektive, d.h. von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern sowie von Juristinnen und Juristen beleuchtet: Verhältnis von Sprache, Recht, Öffentlichkeit und Politik, Kommunikation vor Gericht, eine z.T. sprach- bzw. rechtsphilosophische Sicht auf rechtsrelevante Äußerungen, Fragen der Auslegung insbesondere angesichts der verzweigten Intertextualität des Rechts, historische und aktuelle (auf die europäische Einigung zurückzuführende) Wandlungen von Rechts- und Sprachsystemen, der Nutzen der Linguistik für die Kriminologie sowie Ursachen und Lösungen für die Schwerverständlichkeit von Gesetzen
"Ausgehend von der Vorklärung eines alltagsnahen Verständnisses von Sprache und Migration (1), wird in Abschnitt 2 die historische Rekonstruktion der entsprechenden Konzeptualisierungen, insbesondere von deren juristischer Verfestigung skizziert: in Hinblick auf die Sprachenvielfalt (2.1), die Menschenrechte (2.2), das Verhältnis von Sprache und Volk bzw. die Staatsbürgerschaft (2.3) sowie das Bildungssystem (2.4). Als Ergebnis dieser Betrachtungen wird die zentrale Achse des schriftkulturellen Ausbaus bei der staatlichen Ausgestaltung der sprachlichen Verhältnisse deutlich. Diesen historischen bzw. systematischen Überlegungen wird in Abschnitt 3 der empirische Blick auf die sprachlichen Verhältnisse gegenübergestellt, der ein mehrdimensionales Begriffssystem verlangt, wozu insbesondere die Differenzierung von Registern gehört (3.1); erst auf einer solchen Folie lässt sich die in diesem Zusammenhang immer gestellte Frage klären, wie viele Sprachen in Deutschland gesprochen werden (3.2). In Abschnitt 4 wird das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache systematischer in den Blick genommen: mit seinen strukturellen (4.1), gesellschaftlichen (4.2) und sprachbiographischen Aspekten (4.3). Abschnitt 5 betrachtet die aktuellen migrationsspezifischen Problemstellungen in Deutschland im Horizont der europäischen Verhältnisse (5.1), wobei 5.2 dem Sonderproblem der ›Aussiedler‹ gilt. In Abschnitt 6 werden die Sprachfragen unter der politischen Vorgabe der Integration betrachtet. Dem werden in Abschnitt 7 sprachpädagogische Ansätze gegenübergestellt. Der abschließende Abschnitt 8 entwickelt Perspektiven für die Sprachwissenschaft." (Autorenreferat)
Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Kübra Gümüsay setzt sich seit langem für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. In ihrem ersten Buch geht sie der Frage nach, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Sie zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden - und sich nur als solche äußern dürfen. "Der Titel des ersten Buches von Kübra Gümüşay, lässt eher auf ein philosophisches Standardwerk schließen, als auf einen politischen Essay über die Ungerechtigkeiten, denen Minderheiten im öffentlichen Diskurs und im Sprachgebrauch der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind. Gümüşays Buch ist immer dann am stärksten, wenn die Autorin am eigenen Beispiel zeigt, wie sie als Benannte unter Unbenannten an ihrem Traum von einer Gesellschaft, in der "alle gleichberechtigt sprechen und sein können" festhält. Dafür nimmt man auch ein paar Redundanzen, Abschweifungen und Selbstzitate in Kauf. Gewiss hätte dem Buch auch etwas mehr Struktur gut getan. So wirkt es ein wenig unfertig, wie aus verschiedenen Vorträgen und Texten der Journalistin und Bloggerin zusammengefügt" (deutschlandfunk.de). Platz 3 der Sachbuchbestenliste März 2020