Bundestagswahl 2002: eine zweite Chance für Rot-Grün
In: Zeitschrift für Parlamentsfragen: ZParl, Band 34, Heft 1, S. 187-219
ISSN: 0340-1758
Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 entschied sich eine knappe Mehrheit der Wähler für die Fortsetzung der rot-grünen Regierungskoalition. In den Vorwahlumfragen hatte das bürgerliche Lager lange Zeit vorn gelegen. Auslöser dieses Stimmungsumschwungs war ein Themenwechsel: Anstatt der bis Anfang August dominierenden Themen Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit bestimmten nun die Jahrhundertflut und der aufziehende Irakkonflikt die öffentliche Diskussion. Der Kanzler nutzte nicht zuletzt in den beiden TV-Duellen die Chance, sich als führungsstarker und entscheidungsfreudiger Krisenmanager zu profilieren, was ihm vor allem Stimmen der ostdeutschen Wähler einbrachte. Mit seiner deutlichen Absage an eine Kriegsbeteiligung besetzte er ein wesentliches Kompetenzfeld der PDS, was maßgeblich zu deren Scheitern an der Fünf Prozent-Hürde beitrug und damit erst die Voraussetzung für eine Regierungsmehrheit von Rot-Grün schuf. Wesentliche Voraussetzung für den Stimmungsumschwung war die anhaltende Skepsis gegenüber der Problemlösungskompetenz der Union und eine in breiten Wählerschichten spürbare Zurückhaltung gegenüber ihrem Spitzenkandidaten. Trotz der insgesamt kritischen Beurteilung der Politik der Bundesregierung herrschte deshalb zu keinem Zeitpunkt eine ausgeprägte Wechselstimmung. Auch wenn sich der Wahlkampf schließlich auf die Kanzlerfrage zuspitzte und es darüber zur Polarisierung der Wähler kam, ist am Wahlverhalten 2002 auch eine Präferenz für unterschiedliche Gesellschaftsmodelle abzulesen: für eine offene, tolerante Gesellschaft, die eher auf sozialen Ausgleich bedacht ist - wofür SPD und Grüne und auch Schröder standen - oder für eine stärker auf traditionelle Werte ausgerichtete und effizienzorientierte Leistungsgesellschaft, die eher mit Schwarz-Gelb und mit Stoiber verbunden wurde. (Zeitschrift für Parlamentsfragen / FUB)