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Deutschland braucht eine andere Wirtschaftspolitik. Nicht noch mehr Reglementierung, sondern die Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung heißt das Gebot der Stunde. "Es ist ein Irrtum … "GastbeitragIrrtümer der Wirtschaftspolitik" weiterlesen Der Beitrag <b>Gastbeitrag</b><br>Irrtümer der Wirtschaftspolitik erschien zuerst auf Wirtschaftliche Freiheit.
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Was sind Grundsätze für eine bessere Wirtschaftspolitik? In dieser Jubiläums-Episode (Nr. 50) skizzieren renommierte Experten in aller Kürze 10 Gebote für eine bessere Wirtschaftspolitik. Mit … "Podcast10 Gebote … für eine bessere Wirtschaftspolitik" weiterlesen Der Beitrag <b>Podcast</b>10 Gebote … <br><b>für eine bessere Wirtschaftspolitik</b> erschien zuerst auf Wirtschaftliche Freiheit.
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Nicht bloß unabhängige Experten sagen: Deutschlands Wirtschaft ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Inzwischen räumen das auch Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck […] The post Wie gute Wirtschaftspolitik geht – Interview mit Professor Moritz Schularick (IfW Kiel) first appeared on Blog der Republik.
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„Der Gedanke, dass wir unbewusst eine zweite Zwischenkriegszeit erlebt haben (…) hat etwas ziemlich Beunruhigendes.“ (Niall Ferguson) Der neue Kalte Krieg werde unser Leben im … "Video„Wir sind im zweiten Kalten Krieg“, sagt Niall Ferguson." weiterlesen Der Beitrag <b>Video</b><br>„Wir sind im zweiten Kalten Krieg“, sagt Niall Ferguson. erschien zuerst auf Wirtschaftliche Freiheit.
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Der Begriff "Neoliberalismus" hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich und wird im heutigen öffentlichen Diskurs allzu oft mit zahlreichen Malaisen in Verbindung gebracht, die um das komplexe Problemfeld der Wirtschaftspolitik kreisen (vgl. Biebricher 2012: 9f). Er ist zu einer Art Herrensignifikant geworden, der über vielen Diskussionen insbesondere im Nachgang der...
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Die Wirtschaftspolitik erfährt seit einiger Zeit eine grundlegende Neuausrichtung. Woher kommt diese Neuausrichtung und wie geht es wohl weiter? Ein Gespräch zwischen Prof. Volker Wieland, … "PodcastWirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel" weiterlesen Der Beitrag <b>Podcast</b>Wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel erschien zuerst auf Wirtschaftliche Freiheit.
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Neun Monate nach der Regierungsbildung schält sich die reale Politik der Mitte-Rechts Regierung Italiens deutlich heraus, zumal vor dem Ferien-Exodus noch im Schnellverfahren viele Pflöcke für neue Maßnahmen eingeschlagen wurden, zusätzlich zu den schon ausgestalteten und verabschiedeten. Es handelt sich nach innen – wie angekündigt – um eine illiberale gesellschaftspolitische Restauration bei populärliberaler Wirtschaftspolitik... The post Meloni zieht es durch first appeared on Blog der Republik.
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Das Urteil des BVerfG vom 15.11.2023 zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 stellt die Ampelkoalition vor enorme Herausforderungen. Wichtige Förderprogramme zum Übergang in eine möglichst emissionsfreie Wirtschaftsweise sind akut gefährdet. Da ist es wenig verwunderlich, dass das Urteil auch kritische Reaktionen ausgelöst hat. Ich halte es im Ergebnis ebenfalls für bedenklich, dass schuldenfinanzierte Investitionen in den klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft kategorisch ausgeschlossen werden. Ich sehe aber nicht, dass dieses Ergebnis auf der Ebene der Verfassungsinterpretation zu vermeiden gewesen wäre. Vielmehr wird deutlich, dass die Regelung des Art. 115 Abs. 2 GG dringend auf den Prüfstand gehört. Die Verfassung sollte die politischen Akteure nicht auf eine einseitige Sicht der Wirtschaftspolitik und ein verkürztes Verständnis von Generationengerechtigkeit festlegen.
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In diesem Beitrag stellt Lina Buchloh folgenden Aufsatz vor: Klatzer, Elisabeth / Schlager, Christa (2016): Gender Mainstreaming oder Mainstream ohne Gender? Wirtschaftspolitische Steuerung in der Europäischen Union: geschlechterblind und gleichstellungsriskant; in: Femina Politica 2-2016, S. 37-48, online unter: https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v25i2.25351. Die Autorinnen tragen mit ihrem Artikel zu einer kritischen Bilanz der Errungenschaften der Gleichstellungspolitik bei. Die Gleichstellungspolitik wurde 1997 von der Europäischen Union mit dem Vertrag von Amsterdam als Querschnittsziel vertraglich festgelegt (vgl. S. 37). Des Weiteren analysieren die Autorinnen den geschlechterpolitischen Gehalt der EU-Wirtschaftspolitik und untersuchen den Einfluss der Gleichstellungspolitik in der budget- und wirtschaftspolitischen Steuerung der EU (S. 38). Das Ziel der Autorinnen ist es, reagierend auf die Defizite der Geleichstellungspolitik Handlungsansätze zu entwickeln, damit die Gleichstellungspolitik in Zukunft wirksamer werden kann. Im folgenden Abschnitt des Artikels fassen die Autorinnen die Charakteristika der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung ("EU Economic Governance") zusammen:"Regelgebundenheit mit hoher rechtlicher Bestandskraft führt zu einer einseitigen Defizit- und Verschuldungsabbau-Ausrichtung und zu Sparzwang und Abbau von Sozialstaatlichkeit." (S. 38f.)"Mit der Formel "Wettbewerbsfähigkeit" wurden Regelungen geschaffen, die den Druck auf Löhne erhöhen, den Abbau von Arbeitsrechten forcieren und Gewerkschaften schwächen." (S. 39)"Ein hohes Maß an wesentlichen wirtschafts- und budgetpolitischen Entscheidungskompetenzen wurde an eine kleine Gruppe der Wirtschafts- und Finanzelite übertragen." (S. 39)Die Autorinnen schildern, dass im Zusammenhang der Economic Governance die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, die Finanzministerien, das Generalsekretariat und der Rat der Finanzminister bei Entscheidungen im Bereich Budget und Wirtschaftspolitik einen großen Machtzugewinn erfuhren. Die daraus resultierenden Entscheidungen sind durch ihre Komplexität schwer nachzuvollziehen. Diese Prozesse, in die auch die Europäische Zentralbank mit eingebunden ist, bezeichnen die Autorinnen als intransparent. Entscheidungen auf wirtschaftspolitischer Ebene werden laut den Autorinnen demokratischen Institutionen entzogen und an informelle oder bürokratische Machtzentren übergeben (vgl. S. 39).Im folgenden Abschnitt weisen die Autorinnen darauf hin, dass der Gender-Mainstreaming-Auftrag nicht zufriedenstellend erfüllt wurde. Bis auf die Arbeitsmarktpolitik sind "die Wirtschafts-, Budget- und Geldpolitiken ebenso wie die wirtschaftspolitischen Institutionen weiterhin weitgehend geschlechterblind […] und mit geschlechterpolitischen Schieflagen verbunden" (S. 40). Die bisherigen Errungenschaften der Gleichstellungspolitik werden durch die geschlechterblinde Politik gefährdet.Die Autorinnen beschreiben einzelne Aspekte dieser Machtverschiebung: Die institutionellen Veränderungen aufgrund der Economic Governance sind bereits geschlechterpolitisch, da die Institutionen, wie oben beschrieben, über größere wirtschaftspolitische Entscheidungsmacht verfügen und in einem hohen Ausmaß von Männern dominiert werden (vgl. S. 40).Laut den Autorinnen nimmt die Überbeanspruchung von Frauen zu, allerdings werde die Notwendigkeit, bezahlte und unbezahlte Arbeit gleich zu betrachten, von den EntscheidungsträgerInnen untergraben. Die Autorinnen beschreiben, dass der Sozialabbau Frauen stärker betrifft, da sie z.B. durch Betreuungspflichten und gesellschaftliche Diskriminierung durchschnittlich niedrigere Erwerbseinkommen haben (vgl. S. 41).Die Wirkung der Gleichstellungspolitik kann durch das Europäische Semester ermittelt werden. Hierbei soll sichergestellt werden, dass Empfehlungen (von EK und Rat) umgesetzt werden. Die Berichte der Kommission, die jedes Jahr im November mit Blick auf die Prioritäten und wirtschaftspolitischen Analysen für das kommende Jahr veröffentlicht werden, sind laut den Autorinnen häufig geschlechterblind. Die Mitgliedsstaaten sind nur bezüglich der Beschäftigungsquote dazu angehalten, Maßnahmen zu befolgen, die die Arbeitsanreize erhöhen sollen."Gleichstellungsaspekte sind, trotz der eindeutigen Rechtslage, dass sie eine Querschnittsmaterie sind, in den umfangreichen Dokumenten in den allerwenigsten Fällen enthalten. Im gesamten Mechanismus der Economic Governance wurde auf EU-Ebene kein Aspekt eines Gender Mainstreaming-Prozesses verankert" (S. 42).Die Autorinnen beschreiben, dass die Auswirkungen auf Frauen und Geschlechterverhältnisse in den länderspezifischen Empfehlungen 2014-15 "zur fiskalischen Konsolidierung, zur Förderung von Wachstum und Wettbewerb, zu Reformen des Gesundheits-, Pensions- und Steuersystems sowie zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung […]" (S. 42) nicht thematisiert werden. Die EK erwähnt Frauen laut den Autorinnen nur in Bezug auf die Ziele zur Erhöhung der Beschäftigungsquote.Die Autorinnen bezeichnen die EU als Wettbewerbsstaat, dessen Wettbewerbsstaatlichkeit durch die Economic Governance, den Euro-Plus Pakt und die Wettbewerbsfähigkeitsräte in den EU-Staaten weiter angetrieben wurde (vgl. S. 44). Genetti, auf den sich die Autorinnen im Folgenden beziehen, beschreibt Veränderungen von Politik, Gesellschaft und Staat mit folgenden geschlechterrelevanten Charakteristika:"Orientierung neoliberaler Diskurse und Praxen an männlichen Normen,Reprivatisierung und Refeminisierung von sozialen Reproduktionsaufgaben,Verschiebungen in den Bedeutungen von Privat und Öffentlichkeit sowieHerausbildung einer neuen hegemonialen Geschlechterordnung und eines neuen Genderregimes im Postfordismus" (S. 44)In der Schlussfolgerung kommen die Autorinnen zu folgenden Ergebnissen:Die Gleichstellungspolitik der EU erfährt eine Krise.Bisherige Errungenschaften der Gleichstellungspolitik werden durch geschlechterblinde Politiken und Institutionen, die männlich dominiert sind, gefährdet."Trotz des Bekenntnisses der EU zu Gender Mainstreaming und der Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsziel in den EU-Verträgen spielen gleichstellungspolitische Überlegungen in der Economic Governance praktisch keine Rolle" (S. 45).Die Autorinnen sehen für die Weiterentwicklung und Umsetzung der Geschlechterpolitik eine Transformation auf drei Ebenen für notwendig:Neukonzeptionierung von Ökonomie. Wirtschaft soll als vor- und versorgende Wirtschaft konzeptualisiert werden (dadurch können geschlechterpolitische Schieflagen erkannt werden) (vgl. S. 45)Emanzipatorische Transformation von Staatlichkeit: "Die öffentliche Organisation von universellen Care-Dienstleistungen für Kinder, Alte, Kranke und Behinderte, ein emanzipatorischer Um- und Ausbau des "Öffentlichen" sowie wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Macht des Finanzsektors und multinationaler Unternehmen sowie zum Abbau der enormen Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen sind dabei wesentliche strategische Ansatzpunkte" (S. 46)."Ausbau geschlechtergerechter partizipatorischer Institutionen und Entscheidungsprozesse" (S. 46).Die Autorinnen sehen diese drei Faktoren "als Basis für praktische Gleichstellungspolitik" (S. 47), durch welche Emanzipation und Gleichstellung in der EU wirksam werden können.
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In diesem Beitrag stellt Katharina Lagger folgenden Aufsatz vor:Heine, M. & Herr, H. (2021): Europäische Währungsunion: schlecht gerüstet für große Krisen; in: Wirtschaftsdienst, 101, S. 369-375, online unter: https://doi.org/10.1007/s10273-021-2921-6."Bereits vor der Corona-Krise zeigte die Europäische Währungsunion (EWU) eine unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung mit niedrigem Wachstum und zu geringer Inflation."Mit diesem Satz beginnt der Text von Michael Heine und Hansjörg Herr. Um die Corona-Krise und auch andere Krisen bewältigen zu können, ist eine Koordination zwischen Geld- und Fiskalpolitik notwendig. Abgesehen von der Geldpolitik fehlt es der EWU auch an Institutionen, die die notwendige Wirtschaftspolitik unterstützen. Damit besteht die Gefahr einer langfristigen Stagnation der EWU. Wie kommt es dazu?Bereits in der zweiten Hälfte 2019 kam es in der Währungsunion zu einem konjunkturellen Abschwung, der durch die Corona-Pandemie erheblich beschleunigt wurde. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit der Großen Depression 1930 in Europa nicht mehr so stark gesunken wie im Jahr 2020. Bei wirtschaftlichen Abschwüngen sinken bekanntermaßen die staatlichen Einnahmen und die Ausgaben steigen an. Aus diesem Grund ließ sich die Schuldenbremse, ohne katastrophale Konsequenzen zu riskieren, nicht verteidigen, weshalb sie außer Kraft gesetzt wurde. Damit hat die Fiskalpolitik erstmals seit der Finanzmarktkrise 2007/2008 wieder eng mit der expansiv ausgerichteten Geldpolitik zusammengearbeitet.Die aktuelle Debatte konzentriert sich auf die Ausgestaltung der Fiskalpolitik. Dieser Bereich ist für die künftige Entwicklung der EWU sehr wichtig. Allerdings kommen hierbei Themen wie die Gefahren der hohen Verschuldung von staatlichen, aber auch privaten Sektoren oder auch der krisenbedingte Druck auf die Lohnentwicklung viel zu kurz. Gerade letzteres Thema kann zu einer massiven deflationären Entwicklung beitragen.Hier kann vor allem die Frage nach den Deflationsgefahren bei geringem Wachstum in Betracht gezogen werden. Heine und Herr gehen dieser Frage in einem ihrer Textabschnitte nach. Die wirtschaftliche Entwicklung in der EWU verläuft seit der Finanzmarktkrise mehr als unbefriedigend. Das durchschnittliche jährliche Wachstum des realen BIP betrug seit dem Jahr 2008 bis 2019 nur gut 1%. Hierbei lassen sich enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern feststellen.Während die EWU von 2007-2019 insgesamt um 9,5% wuchs, lagen die Werte bspw. für Deutschland bei 14,6% und für Griechenland bei -23,2%. Werden nun Zahlen der Europäischen Zentralbank angeschaut, so lässt sich feststellen, dass das BIP in der EWU im Jahr 2020 um rund 7,3% geschrumpft ist. Auch andere Länder wie Portugal, Italien und Frankreich kämpfen mit einem Rückgang des BIP.Mit diesen Hintergrundinformationen ist es wenig überraschend, dass auch die Arbeitslosigkeit in der EWU hoch ist und 2020 auf einen Wert von 8,3% anstieg. Die schleppende Konjunktur spiegelt sich aber auch in den Veränderungen des Preisniveaus wider. Die EZB hatte 2003 ihr damaliges Inflationsziel, das zwischen 0 und 2% lag, aufgrund der niedrigen Inflationsraten in Deutschland ziemlich schnell auf knapp unter 2% korrigiert. Dies hatte zum Ziel, dass deflationäre Gefahren vermieden werden sollten.Das von der EZB festgelegte Inflationsziel wurde ab 2013 Jahr für Jahr deutlich verfehlt. 2020 betrug die Inflationsrate im Euroraum 0,2% und ist damit auf einem Tiefpunkt angekommen. Der Hauptgrund für diese niedrige Inflationsrate liegt bei den geringen Lohnerhöhungen. Im Zeitraum von 2011 bis 2020 sind die Nominallöhne je Beschäftigten in der EWU jährlich nur um 1,7% gestiegen.Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten, denn Lohnerhöhungen lassen sie steigen und Produktivitätsfortschritte lassen sie sinken. Besonders wichtig ist hier zu wissen, dass die Entwicklung der Lohnstückkosten der wichtigste Faktor für die Preisentwicklung ist. Die Arbeitsproduktivität stieg in der EWU von 2011-2019 jährlich um durchschnittlich 0,81% an. Damit hätten die nominalen Löhne jährlich um rund 2,7% steigen müssen, um die Zielinflationsrate von 1,9% erreichen zu können. Diese sind aber nur um rund 1,09% angestiegen.Aufgrund dessen besteht die Gefahr, dass in den nächsten Jahren der nominelle Lohnanker bricht, denn die hier betrachtete mikroökonomische Logik, wonach Unternehmen durch Lohnzurückhaltung gerettet werden müssen, erscheint hier besonders plausibel. Dies bedeutet, dass die Versuchung bei den Unternehmen naheliegt, die Krise mithilfe sinkender Löhne zu meistern. Damit würde es aber zu einer Deflation kommen, die wiederum zu einer Erhöhung der Realschulden der Unternehmen und damit zur Lähmung der Investitionsneigung des Unternehmens führt.An diesem geringen Wachstum und vor allem dem Verfehlen des Inflationsziels konnte auch eine expansive Geldpolitik der EZB nichts ändern. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde seit 2012 schrittweise gesenkt und befindet sich heute bei einem Wert von Null. Die von der EZB genutzte "Easy Money policy" oder auch "einfache Geldpolitik", bei der die Geldmenge normalerweise durch Senkung der Zinssätze erhöht wird, konnte das Investitionsverhalten der Unternehmen nicht nachhaltig verändern.Die EZB, die ab 2012 insgesamt geldpolitisch richtig gehandelt hat, konnte allerdings ohne die Unterstützung der Fiskal- und Lohnpolitik Kollateralschäden nicht vermeiden und damit wurden die Gefahren von Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten deutlich erhöht. Hier zu erwähnen ist noch, dass die Entwicklung der Aktienkurse in der EWU sehr beunruhigend ist und mittlerweile ein Kursniveau erreicht wurde, das mit der Spekulation vor der Finanzmarktkrise 2008 vergleichbar ist.Heine und Herr sprechen neben der Geldpolitik auch die Fiskalpolitik als einen gesonderten Punkt an. Für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist das Zusammenspiel zwischen der Geld- und Fiskalpolitik enorm wichtig. Mit Beginn der Corona-Krise schaltete man in der EWU auf eine expansive Fiskalpolitik um, die entweder zu einer Erhöhung der Staatsausgaben oder zu einer Senkung der Steuern führt.Im Frühjahr 2020 beschlossen die Finanzminister der EU ein Finanzpaket (Coronahilfen) in Höhe von 540 Mrd. Euro. Um die künftige Entwicklung beurteilen zu können, muss beachtet werden, dass es sich bei diesem Corona-Programm um eine einmalige Maßnahme handelt. Hinzuzufügen ist noch, dass die Fiskalpolitik eine eigenständige Angelegenheit der Mitgliedsländer bleibt und damit eine gemeinsame Fiskalpolitik in der EWU erschwert.Derzeit ist es noch nicht absehbar, ob die EWU erneut zu früh eine expansive Fiskalpolitik aufgibt und damit Wachstumschancen verspielt. Auszuschließen ist hier nicht, dass vorrangig Deutschland die wachsende Verschuldung der öffentlichen Haushalte in einigen Ländern der Eurozone zum Anlass nimmt, den Fiskalvertrag schnell wiederzubeleben. Nicht nur die Verschuldung der öffentlichen Haushalte hat in der EWU zugenommen, sondern auch die Quote des Unternehmenssektors und der privaten Haushalte. Zusammengenommen stieg die Verschuldung auf 174% vom BIP 2020 an.Dieser trendmäßige Schuldenaufbau kann die künftige ökonomische Entwicklung erheblich belasten. Falls die Unternehmen und privaten Haushalte ihre Verschuldung zu reduzieren versuchen, belasten sie durch die zurückgehenden Konsum- und Investitionskäufe die effektive Nachfrage und bremsen damit eine expansive Geldpolitik aus. Aber nicht nur dies ist ein Problem, sondern die hohen Verschuldungsquoten erschweren auch Maßnahmen gegen inflationäre und deflationäre Entwicklungen.Beispielsweise steht die EZB bei einer Inflation vor dem Dilemma, dass steigende Zinssätze die Schuldner*innen in die Knie zwingen und so eine konjunkturelle Krise eingeleitet wird - und je höher die Schuldenbestände, umso gravierender ist die Krise. Eine notwendige EWU-weite Lösung ist zurzeit noch nicht in Sicht und ebenso gibt es keine gemeinsame Einlagenversicherungen der entsprechenden Mitgliedsstaaten.Zusammenfassend lässt sich nun sagen, dass die Lage der Eurozone alles andere als rosig aussieht. Es existieren erhebliche Risiken und es kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass die vorherrschende ökonomische Lage außer Kontrolle gerät. Des Weiteren liegen in den Bereichen Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik der EWU deutliche strukturelle Defizite vor, die zunächst behoben werden müssen. Hier muss es eine bessere Zusammenarbeit dieser Bereiche geben.
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Dieser Beitrag stellt einige Erkenntnisse meiner Seminararbeit über den Wandel des französischen Parteiensystems vor. Über Jahrzehnte hinweg war das Parteiensystem der V. französischen Republik von einer starken bipolaren Rechts-Links-Logik geprägt. Das politische Spektrum ließ sich dabei in vier grobe Gruppierungen unterteilen: Linkssozialisten und Kommunisten (Linksfront), Sozialisten und Linksliberale (Parti socialiste), dann die gemäßigte Rechte um die rechtsliberalen und konservativen UDI und Les Républicains und schließlich der rechtspopulistische Rassemblement National (früher: Front National).Infolge des Mehrheitswahlrechts dominierten die zwei gemäßigten Großparteien des linken und rechten Lagers (PS und LR) die Institutionen. Kleinere Parteien konnten sich durch Bündnisse mit ihnen an der Macht beteiligen. Das Zentrum um die Partei MoDem spielte eine eher untergeordnete Rolle (vgl. Höhne 2015: 41; Kimmel 2017: 328; Ruß-Sattar & Jakob 2018: 5).Diese Grundstruktur in einem "semipräsidentiellen System", in dem das Staatsoberhaupt die Richtlinien der Politik bestimmt, sorgte nach relativer Instabilität in der IV. Republik für stabile Mehrheiten und regelmäßige Machtwechsel zwischen den beiden politischen Lagern. Ferner konnten durch das Wahlsystem extreme Kräfte erfolgreich in Schach gehalten werden. So sorgte auch das Erreichen der Stichwahl von Jean-Marie Le Pen (FN) im Jahr 2002 nicht dafür, dass die bipolare Struktur aufgebrochen wurde, da bei der nachfolgenden Parlamentswahl kein Kandidat der Rechtsextremen in die Nationalversammlung einzog. Man spricht hier auch von einer "republikanischen Front", die den Einfluss rechtsextremer Kräfte einhegt (vgl. Kimmel 2017: 329-33).Das Erdbeben 2017Wahlergebnisse nach https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_Frankreich_2017Diese Bipolarität wurde mit der Wahl Macrons im Jahre 2017 aufgebrochen, was einem politischen Erdbeben gleichkam (vgl. Martin 2017). Obwohl schon vorher andere Parteien versucht hatten, das politische Zentrum zu besetzen und mit der Rechts-Links-Logik zu brechen, war die Situation im Jahr 2017 nach Evans & Ivaldi (2018: 20) aus drei Gründen besonders günstig:Eine starke, radikale Wählerschaft (sowohl die linksextreme Partei LFi als auch der rechtspopulistische FN schnitten rekordverdächtig gut ab,eine glaubwürdige zentristische Alternative unter Macron, der auch davon profitierte, dass das politische Zentrum überhaupt erst frei wurde ("Da mit Fillon ein Vertreter der ausgesprochen konservativen Orientierung der Republikaner und mit Hamon ein Exponent des linken Flügels der sozialistischen Partei kandidierten, wurde die politische Mitte für Macrons Kandidatur frei", Kimmel 2017: 340),eine erhöhte Fragmentierung des Parteiensystems.Dem sind weitere Gründe hinzuzufügen:Ein mehr und mehr salonfähig gewordener Front National, der unter Marine Le Pen seit 2011 erfolgreich "entdämonisiert" wird,eine bemerkenswerte Unzufriedenheit mit den Kandidaten der "Regierungsparteien" (innerhalb der PS war man mit dem Kandidaten Hamon gar so unzufrieden, dass einige Wahlwerbung für Macron machten (vgl. Martin 2017: 251),ein immer stärker werdender Konflikt rund um das Thema Globalisierung, auf den ich nun etwas näher eingehen möchte.Dieser Konflikt wurde nämlich von den erfolgreichsten Parteien (LREM, RN, LFi) am deutlichsten integriert, während die "Regierungsparteien" sich hierzu gespalten zeigten. Während Macron die "Gewinner" der Globalisierung für sich gewinnen konnte, ein klares Ja zur europäischen Integration hat, kulturliberale Werte vertritt und sich durch eine liberale Wirtschaftspolitik auszeichnet (vgl. Algan et al. 2018: 2ff; Holzer 2018: 121; Kallinich 2020: 23f), attackieren Mélenchon (LFi) und Le Pen (RN) den gegenwärtigen Kurs von linker bzw. rechter Seite.Dies lässt sich an Le Pens hartem Kurs beim Thema Migration, ihrer Ablehnung des Multikulturalismus, einem starken EU-Skeptizismus bis hin zum lange Jahre angestrebten 'Frexit', einem großen Misstrauen ihrer Wähler gegenüber dem politischen System (vgl. Algan et al. 2018: 19.32; Durovic 2019: 1491f) und dem geforderten Wirtschaftsprotektionismus zeigen.Mélenchons Partei zeichnet sich durch ihren Euroskeptizismus, ihre globalisierungskritische Einstellung und das ebenfalls relativ starke Misstrauen ihrer Wähler gegenüber dem politischen System (vgl. Algan et al. 2018: 32) aus, gründet aber nicht in einer generellen Ablehnung der Globalisierung, sondern in ihrer neoliberalen Ausprägung (vgl. Martin 2017: 261-63).Weiter lässt sich festhalten, dass sich diese Konfliktlinie mitten durch die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien zieht (vgl. Grillmayer 2017: 211). Auf linker und rechter Seite lassen sich jeweils Befürworter und Ablehner der Globalisierung in ihrer gegenwärtigen Ausprägung ausmachen. Die klassischen Volksparteien weisen bei diesem Konflikt also Elemente beider Pole auf.Dies lässt folgende Schlussfolgerung zu: Die neue Konfliktlinie rund um die Globalisierung (Offenheit vs. Geschlossenheit) verläuft entgegen der Rechts-Links-Logik und trennt nicht das linke vom rechten Lager, sondern die Mitte von den Extremen (vgl. Pütz 2017: 206-08). Auf Seite der Rechtspopulisten liegt die Vermutung nahe, dass die Probleme der Globalisierung durch den Rückzug ins Nationale gelöst werden sollen, auf Seite der Linksextremen hingegen durch eine Demokratisierung und Neuordnung der Institutionen jenseits einer neoliberalen Grundordnung (vgl. Martin 2017: 257-63). Die folgende Grafik (eigene Darstellung) macht diese Entwicklung deutlich:Die Präsidentschaftwahl 2022 konnte diese Entwicklung eindrucksvoll bestätigen: Wahlergebnisse nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_Frankreich_2022 RN und LFi konnten ihre Ergebnisse sogar weiter verbessern, während die traditionellen Regierungsparteien in der Bedeutungslosigkeit versunken sind. Die große Frage, die sich damit für die Präsidentschaftswahl 2027 stellt, lautet: Was wird passieren, wenn mit Macron die einzige Alternative des politischen Zentrums wegfällt, da er dann bereits zwei Legislaturperioden im Amt war? Eine rechtspopulistische Regierung unter Marine Le Pen scheint realistischer denn je - die republikanische Front in Frankreich wackelt erheblich. Die Folgen für Deutschland und die EU wären gravierend...LiteraturAlgan et al. (2018): The rise of populism and the collapse of the left-right paradigm: Lessons from the 2017 French presidential election. In: Cepremap Working Papers (Docweb) 1805.Durovic, Anja (2019): The French elections of 2017: shaking the disease? In: West European Politics. Volume 42,7. S. 1487-1503.Evans, Jocelyn & Ivaldi, Gilles (2018): The 2017 French Presidential Elections.: A Political Reformation?. Palgrave; Springer International Publishing, 2018, 978-3-319-68326-3.10.1007/978-3-319-68327-0.halshs-01697559.Grillmayer, Dominik (2017): Das Wahljahr 2017. In: Bürger & Staat. Frankreich. Heft 4-2017, 67. Jahrgang. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Ulm:Süddeutsche Verlagsgesellschaft. S. 210-15.Holzer, Birgit (2018): Understanding the Macron Phenomenon - The Causes and Consequences of an Unprecedented Political Rise. In: Echle, Christian et al. (Hg.): Panorama. Insights into Asian and European Affairs. Singapore: Konrad-Adenauer- Stiftung. S. 113-22.Höhne, Roland (2015): Parteiensystem im Umbruch. In: Rill, Richard (Hg.): Frankreich im Umbruch. Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, 100. München: Hanns Seidel Stiftung; Akademie für Politik und Zeitgeschehen. S. 41-48.Kallinich, Daniela (2020): Zwischen Polarisierung und Moderation. Frankreichs Präsident Macon und sein Dritter Weg auf dem Prüfstand. Brüssel: Friedrich-Naumann-Stiftung.Kimmel, Adolf (2017): Die französischen Wahlen 2017 und die Entwicklung desParteiensystems. In: Zeitschrift für Politik. Vol. 64, No. 3. Baden-Baden: NomosVerlag. S. 328-49.Martin, Pierre (2017): Un séisme politique. L'élection présidentielle de 2017. Commentaire 158: 249–264.Pütz, Christine (2017): Frankreichs Parteiensystem im Wandel. In: Bürger & Staat. Frankreich. Heft 4-2017, 67. Jahrgang. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft. S. 204-09.Ruß-Sattar, S., & Jakob, S. (2018): Unruhe im System: seit Macrons Wahl wandelt sich die französische Parteienlandschaft. (DGAP-Analyse, 2). Berlin: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.. Online verfügbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-58156-7. Abgerufen am: 24.02.22.
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Jakob von Weizsäcker wird im Juli der erste Vorsitzende der neuen Wissenschaftsministerkonferenz. Außerdem ist er der einzige Wissenschaftsminister, der auch Finanzminister ist. Eine glückliche Kombination aus Sicht der Hochschulen? Ein Interview über die Machbarkeit der nötigen Zukunftsinvestitionen, den Umbau des wissenschaftlichen Karrieresystems und einen Besuch in Israel.
Jakob von Weizsäcker (SPD) ist seit April 2022 Minister der Finanzen und für Wissenschaft im Saarland. Von 2014 bis 2019 war der Ökonom Mitglied des Europäischen Parlaments und anschließend Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und internationale Wirtschaftspolitik im Bundesfinanzministerium. Foto: Oliver Dietze.
Herr von Weizsäcker, wenn am 1. Juli die neue Wissenschaftsministerkonferenz startet, sind Sie dann der Präsident aller Wissenschaftsminister in Deutschland?
Tatsächlich macht sich der Wissenschaftsbereich eigenständig, aber mit schlanken Strukturen, also ohne großes Präsidium und Präsidententitel, aber weiter unter dem Dach der KMK. Insofern dürfte ich schlicht der erste Vorsitzender der neuen WissenschaftsMK werden. Das alles ist keine schmerzhafte Scheidung von den Bildungsministerinnen und Bildungsministern, sondern eine freudvolle Weiterentwicklung, die den veränderten Ressortzuständigkeiten Rechnung trägt.
Was meinen Sie damit?
Im klassischen Kultus waren die Zuständigkeiten für Schule, Wissenschaft und Kultur vereint. Dieser Logik entsprechend war die Kultusministerkonferenz sinnvoll strukturiert. Heute gibt es aber nur noch in einem Bundesland, nämlich in Schleswig-Holstein, solch ein klassisches Kultusministerium. Überall sonst gibt es eine stärkere Aufteilung der Zuständigkeit auf zwei oder sogar drei Ressorts. Das führte dazu, dass die für Teilbereiche verantwortlichen Ministerinnen und Minister in den Sitzungen der KMK gelegentlich das Gefühl hatten, nur eine Minderzahl der Themen gehe sie wirklich etwas an.
Mit dem Ergebnis, dass etwa die Wissenschaftsminister kaum noch zu den Treffen der Kultusministerkonferenz gekommen sind.
Mit dem Ergebnis, dass die für Kultur zuständigen Minister schon 2018 ihre eigene Kulturministerkonferenz innerhalb der KMK gegründet haben. Diesen Schritt holen wir für die Wissenschaft jetzt nach. Form follows function. Daher werden wir die Sitzungen der neuen WissenschaftsMK an Terminen stattfinden lassen, die wir ohnehin haben: einmal im Jahr parallel zum Wissenschaftsrat, einmal am Tag der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) und das dritte Mal anlässlich der KMK. Es gibt ja weiterhin thematische Schnittmengen mit den Bildungsressorts, zu denen wir uns selbstverständlich weiter abstimmen.
Es geht also nur um eine Arbeitserleichterung für die Wissenschaftsminister, weil sie sich unnötige Sitzungen sparen können? Ich hatte gedacht, die WissenschaftsMK stehe für einen neuen föderalen Gestaltungsanspruch.
Das ist keine Frage der Annehmlichkeit für die Wissenschaftsministerinnen und -minister, sondern der Arbeitsökonomie, der Effizienz und, wie Sie sagen, der Schlagkraft.
"Ohne eine entsprechende Kompensation im Gesundheitssystem droht dies zu Lasten der Medizinstudienplätze zu gehen, von denen wir ja eigentlich mehr statt weniger benötigen."
Geben Sie bitte ein paar Beispiele, wo wir diese neue Schlagkraft demnächst merken werden.
Erst einmal müssen wir die neue Konferenz ins Leben rufen. Wir sind da gut vorangekommen, aber ein paar Details müssen noch geklärt werden. Das erledigen wir bis zum KMK-Treffen im Juni. Inhaltlich geht es zum Beispiel um Finanzierungsfragen der Universitätsklinika, die einen riesigen Posten in den Budgets unserer Ressorts ausmachen. Die Klinika leisten einen entscheidenden Beitrag zu unseren Gesundheitssystem, arbeiten aber derzeit überwiegend mit hohen Defiziten. Das geht zulasten der übrigen Wissenschaftsfinanzierung. Wir müssen im Rahmen der Krankenhausreform zu einer fairen Vergütung der Unikliniken kommen.
Den Versuch, mehr Geld von der Gesundheitsseite zu bekommen, unternehmen die Wissenschaftsminister seit Jahren.
Es geht ganz konkret um die Krankenhausreform. Es geht auch ganz konkret um das Thema der neuen Approbationsordnung, die die Ausbildung von Ärzten nicht nur besser, sondern auch teurer machen würde. Ohne eine entsprechende Kompensation im Gesundheitssystem droht dies zu Lasten der Medizinstudienplätze zu gehen, von denen wir angesichts des Ärztemangels ja eigentlich mehr statt weniger benötigen. Ich möchte aber noch einen weiteren Schwerpunkt in diesem Jahr nennen. Deutschland ist inzwischen das drittbeliebteste Ziel für internationale Studierende weltweit. Das ist ein großartiger Erfolg, auch wenn ins Verhältnis zur eigenen Bevölkerungszahl gesetzt eine Reihe anderer europäischer Länder noch erfolgreicher sind. Aber der Wettbewerb um Studierende wird sich vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels weiter intensivieren. Deshalb bereiten wir eine Internationalisierungsstrategie für die deutschen Hochschulen vor, die noch in diesem Jahr beschlossen werden soll. Nur ein Detail, aber für mich ein wichtiges, ist, dass wir die für ein Studium in Deutschland vorausgesetzten Deutschkenntnisse künftig stärker vom Studienfach abhängig machen. Es kann nicht sein, dass wir die international talentiertesten Leute für ein MINT-Studium nicht erreichen, weil sie hier in Deutschland erst ein oder zwei Jahre einen Deutschkurs belegen müssten, während sie anderenorts gleich fachlich losstudieren können. Da müssen wir flexibler werden, wenn wir international wettbewerbsfähig sein wollen.
Dass Ihnen als eines der ersten Themen die Krankenhausfinanzierung eingefallen ist, mag auch daran liegen, dass Sie nicht nur Wissenschafts-, sondern auch Finanzminister sind im Saarland. Eine ungewöhnliche, dafür aber glückliche Kombination aus Sicht der Wissenschaft?
Natürlich muss ich als Finanzminister gegenüber allen Ressorts fair sei, darf mich als Wissenschaftsminister also nicht bevorzugen. Trotzdem birgt diese ungewöhnliche Ressortkombination erhebliche Chancen. Nehmen Sie das Thema der Transformation, von dem das Saarland besonders betroffen ist: Kein Bundesland hat eine höhere Beschäftigungskonzentration in der Automobilindustrie und der Stahlindustrie als das Saarland. Wir haben deshalb im Saarland einen Transformationsfonds geschaffen, damit der durch den Ukrainekrieg und den Energiepreischock beschleunigte Strukturwandel im Saarland gelingen kann. Das erfordert neben klassischer Industriepolitik massive Investitionen in Infrastruktur und in unser Innovationssystem: in Startups, in Technologietransfer, in Forschung und Wissenschaft. Wenn der Finanzminister inhaltlich sensibilisiert ist für diese innovationspolitischen Zukunftsfragen, dann hilft das auch dem Wissenschaftsressort.
"Kürzungen im Zukunftsfeld Hochschulen wären der falsche Weg. Denn wie sollen wir die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen, wie den Fachkräftemangel bekämpfen ohne Investitionen in die Hochschulen?"
Und über das Saarland hinaus? Verschaffen Sie dem Thema Wissenschaft mehr Sichtbarkeit und Problembewusstsein im Kreise Ihrer Finanzministerkollegen aus den anderen Bundesländern?
Man sollte seine eigene Bedeutung nicht überschätzen. Ich glaube nicht, dass meine Doppelfunktion da einen großen qualitativen Unterschied macht. Aber ich kann vielleicht an der einen oder anderen Stelle als Dolmetscher fungieren zwischen den zwei recht unterschiedlichen Politikfeldern. Wie hilfreich das letztlich ist, müssen andere beurteilen.
Machen wir auch das konkret. In praktisch allen Bundesländern sind die öffentlichen Haushalte unter Druck. Müssen die Hochschule auch im Saarland mit Einschnitten rechnen?
Wir bewegen uns in der Wissenschaft dank Hochschulverträgen oder Ziel- und Leistungsvereinbarungen in einem mehrjährigen Rahmen. Das gibt den Hochschulen finanzielle Planungssicherheit. Im Saarland soll die nächste Ziel- und Leistungsvereinbarung am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die verhandeln wir also nächstes Jahr. Kürzungen in diesem Zukunftsfeld wären der falsche Weg. Denn wie sollen wir die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen, wie den Fachkräftemangel bekämpfen ohne Investitionen in die Hochschulen? Gleichzeitig gehört das Saarland zu den finanzschwächsten Ländern. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir dank des Transformationsfonds auch jenseits des Kernhaushalts Impulse für unser Innovationssystem setzen können.
Warum fällt es der Haushaltspolitik wider besseres Wissen so schwer, in der Krise mutig auf Zukunftshemen wie Bildung und Wissenschaft zu setzen – anstatt gerade da auch noch einzusparen?
Unsere Schuldenbremse ist relativ gut darin, überbordende Staatsverschuldung zu verhindern. Deshalb sollte man sie nicht abschaffen. Leider hilft die Schuldenbremse derzeit aber überhaupt nicht dabei, das Auftürmen von Bildungsschulden, Infrastrukturschulden, Digitalisierungs- und Dekarbonisierungsschulden zu verhindern. In einer Zeit, in der wir einen enormen Investitionsschub benötigen, damit die Transformation gelingt, wird das zu einem echten Problem. Deshalb wäre ich dafür, dass wir uns endlich ehrlich machen, wie groß die öffentlichen und privaten Investitionsbedarfe für die Transformation in den kommenden 20 Jahren in etwa sind. Dabei könnte eine hochrangige Expertenkommission der Politik helfen. Und auf dieser Basis ist dann zu überlegen, wieviel der erforderlichen öffentlichen Investitionen realistischerweise aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden können – und wieviel darüber hinaus mit Schulden, die man dann später mit der gesteigerten Finanzkraft einer gelingenden Transformation bedient. Im Ergebnis wird man dann die Schuldenbremse reformieren müssen.
Wenn Sie vom Fachkräftemangel sprechen: Wie wollen Sie verhindern, dass die nächste Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Hochschulen abwandert, weil ihre Karriereperspektiven so unklar und unsicher sind?
Das Karrieresystem an deutschen Hochschulen befindet sich in einem Zwischenzustand irgendwo zwischen dem traditionellen Weg zur Professur, mit Lehrstühlen, mit Habilitationen und Berufungsverfahren auf der einen Seite und dem angelsächsischen Tenure-Track-Modell auf der anderen Seite. Aus diesem Zwischenzustand müssen wir endlich raus. Er macht auch die Diskussionen gerade im Postdoc-Bereich so schwierig und auch emotional. Was wir daher meines Erachtens bräuchten, ist eine von möglichst vielen Akteuren gemeinsam getragene Grundsatzentscheidung, in welche Richtung wir gehen wollen als Hochschulsystem.
"Wir sollten so rasch und so komplett wie möglich umstellen auf ein stimmiges System aus Tenure Track als Standard und der flächendeckenden Etablierung von Department-Strukturen."
Und wie sollte diese Grundsatzentscheidung aussehen, wenn es nach Ihnen geht?
Für mich gibt es mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit eine klare Präferenz: Wir sollten so rasch und so komplett wie möglich umstellen auf ein stimmiges System aus Tenure Track als Standard und der flächendeckenden Etablierung von Department-Strukturen – was einhergehen würde mit einer deutlichen Reduktion des abhängig arbeitenden Personals.
Darüber können wir jetzt lange diskutieren, oder Sie machen es einfach wie die hessische Landesregierung und beschließen, dort als Teil des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst, dass die Hochschulen bis 2030 eine verpflichtende Anzahl zusätzlicher Wissenschaftlerstellen entfristen müssen.
Wir gehen im Saarland einen anderen Weg. In der Novelle unseres Hochschulgesetzes wollen wir eine Promovierendenvertretung einführen. Diese Art der hochschulinternen Demokratie wird dafür sorgen, dass Themen, die den wissenschaftlichen Nachwuchs betreffen, mit einer neuen Dringlichkeit innerhalb der Hochschulen artikuliert werden – und Niederschlag finden in den diesbezüglichen Entscheidungen.
Ist das eine elegant formulierte Ausrede, um nicht das nötige Geld für mehr Dauerstellen in die Hand nehmen zu müssen?
Wenn die Hochschulen den Wechsel zu einem echten Tenure Track- und Department-System machen, wird sich der Stellenmix automatisch verschieben. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die Hochschulfinanzierung dadurch viel teurer würde. Nochmal: Ich will die Übergangsprobleme von einem ins andere System nicht kleinreden, aber unsere Hochschulen stehen in einem Wettbewerb mit den Hochschulen weltweit und genauso mit der Privatwirtschaft. Wie will man denn die Leute halten, wenn man sie noch zehn Jahre nach ihrem Hochschulabschluss völlig im Ungewissen über ihre berufliche Zukunft lässt? Dafür müssen Sie ein attraktives Gesamtpaket anbieten können.
Ihr Ministerkollege Markus Blume aus Bayern kritisiert die Bundesbildungsministerin für ihre BAföG-Reform. Die sei enttäuschend: "Auf der einen Seite beim Bürgergeld großzügig sein, aber den Studierenden mit einer Nullrunde kommen. Das passt nicht zusammen und verfehlt die Lebensrealität der Studierenden." Argumentativ ein bisschen einfach, wenn man bedenkt, dass die Länder den Bund seit 2016 das BAföG allein zahlen lassen?
Als Finanzminister weiß ich: Weder für den Staat, der Steuereinnahmen braucht, noch für die jungen Menschen ist es eine gute Idee, wenn sie länger studieren, weil sie nebenher viel jobben müssen. Das BAföG muss so bemessen sein, dass sich junge Menschen auf ihr Studium konzentrieren können, und zwar unabhängig davon, wieviel Geld ihre Eltern haben. Dann kommen die Studierenden besser und schneller durchs Studium, treten früher gut bezahlte Jobs an und zahlen mehr Steuern.
"Wir wollen nicht nur unsere Zusammenarbeit mit der herausragenden israelischen Wissenschafts- und Hochschulszene fortsetzen, wir wollen sie ausbauen."
Ärger gab es zwischen Landeswissenschaftsministern und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in den vergangenen zwei Jahren an vielen Stellen. Geht vor der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch etwas in der föderalen Wissenschaftspolitik?
Die Bundesregierung kämpft ressortübergreifend mit einem massiven Spardruck, obwohl man eigentlich deutlich mehr in die Zukunft investieren müsste. Darunter leidet auch das BMBF. Diese Situation verkompliziert tatsächlich die Zusammenarbeit, wenn der Bund versucht, diesen Spardruck zu Lasten der Länder weiterzureichen. Das sollte man allerdings nicht der Bundesbildungsministerin zum Vorwurf machen, die ich sehr schätze.
Was genau erwarten Sie denn vom Bund noch in dieser Legislaturperiode?
Vor allem erwarte ich ein Signal, dass es perspektivisch gelingt, das notwendige Geld für die unverzichtbaren wissenschafts- und forschungsgetriebenen Zukunftsinvestitionen zu mobilisieren. Der 2025er Haushalt wird dafür ganz entscheidend sein.
Vor wenigen Tagen sind Sie von einer Delegationsreise mit Wissenschaftsministern und Hochschulrektoren aus Israel zurückgekehrt. Mussten Sie dort viel Erklärungsarbeit leisten angesichts der antisemitischen Vorfälle an deutschen Hochschulen?
Die Hamas-Terrorattacken vom 7. Oktober sind ein Trauma für das Land, denn Israel wurde nicht zuletzt als sicherer Zufluchtsort für Juden aus aller Welt gegründet. Es ist klar, dass sich Israel gegen diese Attacke verteidigen muss. Gleichzeitig droht inzwischen in Gaza der Zivilbevölkerung eine fürchterliche Hungersnot, die abgewendet werden muss. Die Situation ist also alles andere als einfach. Vor diesem Hintergrund war es uns wichtig, Solidarität mit Israel und der dortigen Wissenschaft zu zeigen. Die Universitäten stehen für die offene Gesellschaft. Besonders beeindruckt hat es mich, wie es den Universitäten gelingt, das friedliche Miteinander von jüdischen und palestinensischen Studierenden zu organisieren. Das macht Hoffnung für eine bessere Zukunft. Aber natürlich wurden wir auch nach der Sicherheit der jüdischen Studierenden in Deutschland gefragt. Leider nehmen in der aktuellen Lage die antisemitischen Vorfälle in Deutschland zu. Dieser Entwicklung müssen wir uns mit aller Entschiedenheit entgegenstellen. Das war der Grund, warum wir als Wissenschaftsminister einen Aktionsplan gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an den Hochschulen beschlossen haben. Dabei geht es um Prävention und Sensibilierung, um feste Anlaufstellen für Betroffene und um die Überprüfung von Sicherheitskonzepten. Was wir glücklicherweise nicht wahrgenommen haben: dass israelische Forschende nicht mehr nach Deutschland kommen wollen oder dass der Studierendenaustausch nach Deutschland leidet. Umgekehrt gibt es stellenweise derzeit eine gewisse Zurückhaltung auf deutscher Seite, nach Israel zu reisen. Auch deshalb war unsere Reise ein wichtiges Signal: Wir wollen nicht nur unsere über Jahrzehnte gewachsene Zusammenarbeit mit der herausragenden israelischen Wissenschafts- und Hochschulszene fortsetzen, wir wollen sie ausbauen.
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"Da die demokratischen Institutionen und Haltungen weiterhin existieren, merken wir nicht, dass die Demokratie geschwächt und die Macht innerhalb des politischen Systems auf eine kleine Elite aus Politikern und Konzernen übergegangen ist, die eine Politik nach den Wünschen Letzterer betreiben."Dieses drastische Zitat, welches eine dramatische Betrachtung der gegenwärtigen Lage der westlichen Demokratien darstellt, ist nicht etwa aus dem Wahlprogramm einer populistischen Partei entnommen. Ebenso wenig sind es Auszüge aus einer Wutrede von Alice Weidel oder Sarah Wagenknecht. Diese rigorosen Worte stammen vom britischen Sozialwissenschaftler Colin Crouch und fassen weite Teile seiner Postdemokratie-These pointiert zusammen (Crouch 2021, S. 21).Die vermeintliche Nähe zu rechten Verschwörungsmythen und populistischen Narrativen von korrupten Eliten in angeblichen Scheindemokratien rückt Crouch auf den ersten Blick in kein gutes Licht (vgl. Mudde 2020, S. 55 f.). Ist er durch seine Kritik am Zustand der westlichen Demokratien womöglich als latenter Komplize der aufsteigenden Kräfte des rechtsradikalen Spektrums auszumachen?Hinsichtlich der evidenten Defizite in der Entwicklungsrichtung etablierter Demokratien der westlichen Hemisphäre erscheint eine kritische Analyse als durchaus sinnvoll. So bestätigt die Realität durch Wahlergebnisse und zahlreiche Umfragen beispielsweise zunehmend das vielzitierte Phänomen der Politikverdrossenheit sowie das verbreitete Misstrauen der Bürger*innen in Politik und deren Institutionen (vgl. Best et al. 2023, S. 18-21). Daher möchte der vorliegende Beitrag folgenden Fragestellungen nachgehen:Ist die Postdemokratie-These notwendige Kritik an politischen Missständen oder Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus?Sind die Ausführungen Crouchs damit als Chance oder Gefahr für die Demokratie zu bewerten? Aus Gründen des begrenzten Umfangs beziehen sich die folgenden Ausführungen explizit auf den Rechtspopulismus und klammern den durchaus existierenden Populismus des politisch linken Spektrums aus. Angesichts des fortwährend wachsenden Einflusses politischer Akteur*innen der Neuen Rechten sowie der Verbreitung einschlägiger rechtsradikaler Narrative im öffentlichen Diskurs scheint dieser Fokus aktuell von ungleich größerer Bedeutung zu sein (vgl. Mudde 2020, S. 13-17).Der inhaltliche Gedankengang des Beitrags sei an dieser Stelle knapp skizziert: Die Leitfrage soll aus verschiedenen Perspektiven bearbeitet werden, um den ambivalenten Potenzialen der These Colin Crouchs gerecht zu werden. Dabei wird der schmale Grat zwischen angebrachter Kritik, welche zu einer verbesserten Demokratie beitragen kann, und der Nähe zu rechtspopulistischen Narrativen mit gegenteiliger Wirkung thematisiert.Insbesondere die zentralen Unterscheidungsmerkmale zwischen Crouchs analytischen Ausführungen und rechtspopulistischer Eliten-Kritik sollen anschließend als sinnvolle Abgrenzung herausgearbeitet werden. Dies wird als Schlüssel zu einer gewinnbringenden praktischen Verwertung der Postdemokratie-These betrachtet, um sie als Chance im Sinne einer konstruktiven Kritik an negativen Entwicklungen der westlichen Demokratien fruchtbar werden zu lassen.Colin Crouch: "Postdemokratie"Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch sorgte bereits in den frühen 2000er Jahren mit Veröffentlichungen um seine These der Postdemokratie für internationales Aufsehen. Seine Gegenwartsanalyse beschreibt einige Tendenzen, die insbesondere in den etablierten Demokratien der westlichen Welt zu beobachten sind und durch komplexe Zusammenhänge eine zunehmende Schwächung der Demokratie bedeuten.Gemäß der Wortneuschöpfung mit der bedeutungsschweren Vorsilbe "post" charakterisiert er den aktuellen Zustand als Niedergang der lebhaften Demokratie nach der politischen und gesellschaftlichen Hochphase demokratischer Prozesse. Solch ein vergangener "Augenblick der Demokratie" (Crouch 2021, S. 22) zeichne sich in der Theorie durch die Verwirklichung sämtlicher demokratischer Ideale aus. Insbesondere eine lebendige Zivilgesellschaft partizipiert dabei öffentlich am politischen Prozess, wobei die aktive Beteiligung der gleichberechtigten Bürger*innen über den regelmäßigen Gebrauch des Wahlrechts hinausgeht. Eine angemessene und wirkungsvolle Verbindung zwischen dem Staat und seinen Bürger*innen gewährleistet eine funktionierende Repräsentation der Bevölkerung durch demokratisch legitimierte politische Amtsträger*innen (vgl. Crouch 2021, S. 22 f.).Die neoliberale Vorherrschaft in grundlegenden politischen Entscheidungen und Handlungen seit den 1980er Jahren führte zu wachsender Ungleichheit, die auch im politischen Diskurs spürbar wurde. So dominieren in Folge von ökonomischer Globalisierung und der Entstehung mächtiger Megakonzerne wirtschaftliche Eliten zunehmend den politischen Diskurs sowie durch gezielten Lobbyismus den Raum der politischen Entscheidungsfindung.Demokratische Prozesse werden subtil ausgehöhlt, indem Wirtschaftseliten den Platz von formal gleichberechtigten Bürger*innen als bedeutendste Instanz im demokratischen Raum einnehmen. Dies führe mitunter zu einer folgenschweren einseitigen Zuwendung politischer Akteur*innen hin zu wirtschaftlichen Eliten und deren Interessen der Profitsteigerung, was mit einer symptomatischen Entfremdung der Volksvertreter*innen von der zu repräsentierenden Bevölkerung einhergehe (vgl. Crouch 2021, S. 9 f.; S. 24-26). Der renommierte Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas fasst die Zusammenhänge der These bezüglich der vorherrschenden neoliberalen Ideologie pointiert zusammen:"Ich habe den Begriff 'Postdemokratie' nicht erfunden. Aber darunter lassen sich gut die politischen Auswirkungen der sozialen Folgen einer global durchgesetzten neoliberalen Politik bündeln." (Habermas 2022, S. 87)Ein weiterer einschneidender Umbruch ist in der Zivilgesellschaft selbst verortet. So nimmt die herkömmliche Bindung an soziale Klassen und Kirchen als gesellschaftliche und politische Verortung der kollektiven Milieus innerhalb einer Gesellschaft seit Jahrzehnten massiv ab. Damit gehe in vielen Fällen auch ein Raum der politischen Betätigung und Meinungsbildung verloren, was zuweilen zur politischen Orientierungslosigkeit der Bürger*innen führe. Dies erschwere das Aufrechterhalten der Bindung politischer Akteur*innen an deren Basis in vielerlei Hinsicht. Denn nicht zuletzt orientiert sich auch die etablierte Parteienlandschaft an den einst zentralen sozialen Zugehörigkeiten der Bürger*innen (vgl. Crouch 2021, S. 26-30).Rund 20 Jahre nach den ersten einschlägigen Veröffentlichungen erneuerte Crouch seine These mit einigen Ergänzungen und Korrekturen, welche vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Entwicklungen durch den Abgleich mit der politischen Realität notwendig erschienen. Doch die Kernthese der Postdemokratie blieb grundlegend erhalten (vgl. Crouch 2021, S. 10-17):
Als knapper inhaltlicher Exkurs am Rande der Kernthematik sei an dieser Stelle ein kritischer Vermerk bezüglich relevanter politischer Entwicklungen seit 2020 eingefügt. Nach der Veröffentlichung der Originalausgabe des Buches "Postdemokratie revisited", welches die damals aktualisierte Version der Postdemokratie-These von Colin Crouch hinsichtlich veränderter politischer Umstände enthält, sind einschneidende weltpolitische Ereignisse zu bedeutenden Prägefaktoren der transnationalen und nationalen Politiken geworden.Die Corona-Pandemie und der anhaltende russische Angriffskrieg auf die Ukraine führten zu politischen Entscheidungen, welche mitunter unmittelbar spürbar für große Teile der Bürger*innen waren und dies noch immer sind. Damit einhergehend wurde eine zunehmende Politisierung der Bevölkerung einiger demokratischer Staaten beobachtet (vgl. Beckmann/Deutschlandfunk 2021). In der deutschen Gesellschaft sind zudem seit einigen Wochen zahlreiche Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zu verzeichnen, welche vom Soziologen und Protestforscher Dieter Rucht bereits als "größte Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik" bezeichnet wurden (Fuhr/FAZ.NET 2024).Crouch spricht in diesem Kontext aktuell von einer durchaus verbreiteten Abneigung gegenüber den rechtsextremen Strategien von Hass und Hetze in entwickelten demokratischen Gesellschaften. Diese müsse aktiviert und politisch mobilisiert werden im Sinne einer gestärkten Demokratie gegen rechtsextreme Bestrebungen. Doch könne dies lediglich einhergehend mit ökonomischen Lösungen der wachsenden sozialen Ungleichheit seitens der politischen Akteur*innen nachhaltig wirksam werden (vgl. Hesse/fr.de 2024). Nicht außer Acht zu lassen sind diese zuweilen folgenschweren Ereignisse in der politischen und zeitgeschichtlichen Gesamtschau, wenngleich die zahlreichen raschen politischen sowie demoskopischen Wendungen der vergangenen Jahre in den folgenden Ausführungen nicht umfänglich Berücksichtigung finden können.Relevanz der AnalyseWie bereits das zustimmende Zitat des namhaften zeitgenössischen Philosophen Habermas im vorausgehenden Abschnitt anklingen lässt, treffen Crouchs Ausführungen hinsichtlich zahlreicher analysierter Missstände politischer und gesellschaftlicher Art durchaus zu. So wird die Relevanz der kritischen Gegenwartsanalyse bezüglich einiger Aspekte in Teilen angesichts der Studienergebnisse zum Thema "Demokratievertrauen in Krisenzeiten" der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023 deutlich.Unter Berücksichtigung der multiplen Krisen der Gegenwart wurden in einer repräsentativen Zufallsstichprobe volljährige wahlberechtigte Deutsche zu Themen befragt, welche die Funktionalität des repräsentativ-demokratischen Systems sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffen (vgl. Best et al. 2023, S. 5 f.). Dabei konnte ermittelt werden, dass etwas mehr als die Hälfte der Befragten unzufrieden ist mit dem gegenwärtigen Funktionieren der Demokratie. Obgleich in der Gegenüberstellung mit der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2019 ein leichter Rückgang dieses Prozentsatzes auszumachen ist, muss ein anhaltend hohes Niveau der generellen Unzufriedenheit bezüglich der Funktionalität unseres politischen Systems diagnostiziert werden (vgl. Best et al. 2023, S. 17 f.).Dass der soziale Status der befragten Bürger*innen als einflussreicher Parameter in dieser Frage herausgestellt werden konnte, lässt sich widerspruchsfrei in Crouchs Analyse der zunehmend elitär gestalteten Politik einfügen. Denn es erscheint folgerichtig, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten mit vergleichsweise wenig Einkommen häufiger unzufrieden sind mit dem politischen System, in welchem vermehrt die Interessen höherer sozio-ökonomischer Gruppen begünstigt werden (vgl. Crouch 2021, S. 44-47).Außerdem beklagen deutliche Mehrheiten in der Befragung die Undurchschaubarkeit komplexer Politik sowie unzureichende Möglichkeiten der politischen Partizipation, was Crouchs Ausführungen zur Entpolitisierung der Mehrheitsgesellschaft im Zuge der zunehmenden Politikverdrossenheit bestärkt (vgl. Best et al. 2023, S. 18-20). Vor die Wahl verschiedener Regierungsmodelle gestellt, bevorzugt lediglich ein Drittel der Befragten die repräsentative Demokratie, während beinahe die Hälfte zur direkten Demokratie tendiert (vgl. Best et al. 2023, S. 21 f.).Passend dazu ist das Vertrauen in die politischen Institutionen lediglich hinsichtlich der Judikative, dem Bundesverfassungsgericht, bei der großen Mehrheit unter den befragten Bürger*innen in hohem Ausmaß vorhanden. Der eklatant angestiegene Anteil der Menschen ohne jegliches Vertrauen in das Parlament und die Bundesregierung könnte im Sinne Colin Crouchs als Folge der Entfremdung der politischen Akteur*innen vom Großteil der Bevölkerung gekennzeichnet werden (vgl. Best et al. 2023, S. 26-31; Crouch 2021, S. 216 f.).Ein weiterer zentraler Kritikpunkt Crouchs wird sinngemäß durch die Frage nach konkreten Problemen der deutschen Demokratie angesprochen. So sehen über 70 Prozent der Befragten den Einfluss von Lobbygruppen als problematisch an, wobei sich diese Ansicht in vergleichbarer Weise durch alle politischen Lager zieht. Colin Crouchs kritischer Blick bezüglich eines überbordenden Lobbyismus mit unverhältnismäßigem Einfluss im politischen Prozess wird somit durch diese Studie demoskopisch gestützt (vgl. Best et al. 2023, S. 32 f.; Crouch 2021, S. 68 f.).Auch andere wissenschaftliche Veröffentlichungen, wie der aktuelle "Transformationsindex BTI 2024" der Bertelsmann-Stiftung, analysieren einen ähnlichen Zustand der politischen und gesellschaftlichen Lage westlicher Demokratien im Sinne einer akuten Krise des Liberalismus vor dem Hintergrund der neoliberalen Vorherrschaft.Das positive Potential der Postdemokratie-These liegt angesichts der ernstzunehmenden Problematiken in einer möglichen Stärkung der Demokratie durch praktische Konsequenzen auf Grundlage dieser kritischen Befunde. Praktische Ansätze im Bereich der strenger regulierten Lobbyarbeit sowie neue Formen der Bürger*innenbeteiligung sind bereits Teil der politischen Agenda und werden erprobt. Ob diese den Zweck einer erstarkenden Demokratie real erfüllen werden, ist aktuell noch offen. Im besten Falle können gestärkte demokratische Strukturen nicht zuletzt demokratiegefährdende Akteur*innen aus dem rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektrum zurückdrängen.Jedoch klingt an dieser Stelle ein Widerspruch an. Denn stärkt nicht gerade Crouchs Framing der Kritik an politischen Eliten und an der Entwicklung des politischen Systems die antidemokratischen radikalen Kräfte am rechten Rand angesichts der vermeintlichen narrativen Überschneidungen?Parallelen zu rechtspopulistischen NarrativenCrouch selbst schreibt in seinem Buch von neuen "Bewegungen […], die ähnliche Klagen über die heutigen Demokratien vorzubringen scheinen, wie ich sie in Postdemokratie geäußert habe, und insbesondere den Vorwurf äußern, dass die Politik von Eliten dominiert werde, während normale Bürger kein Gehör mehr fänden." (Crouch 2021, S. 136).Gemeint sind aufsteigende populistische Gruppierungen und Parteien, wovon jenen aus dem rechtsradikalen Lager aktuell die höchste politische Relevanz beigemessen wird. Um die Leitfrage des Beitrags angemessen multiperspektivisch zu beleuchten, sollen nun die vermeintlichen Gemeinsamkeiten zwischen den Erkenntnissen des britischen Sozialwissenschaftlers und rechtspopulistischen Narrativen herausgestellt sowie kritisch betrachtet werden.Die augenscheinlichste Parallele liegt im Bereich der Elitenkritik, wie Crouch es im angeführten Zitat selbst andeutet. Politische Entscheidungsträger*innen und wirtschaftliche Eliten handeln überwiegend im eigenen Interesse und entfernen sich dabei immer mehr von den Bürger*innen, insbesondere von jenen mit geringem sozialen Status, und deren Anliegen. Diese Analyse Crouchs erinnert an die rechtspopulistische Dichotomie, welche die abgehobene Elite dem normalen Volk gegenüberstellt. Der Wille des Volkes werde gemäß diesem Narrativ von der etablierten Politik bewusst übergangen (vgl. Crouch 2021, S. 41 f.; Mudde 2020, S. 55 f.).Doch bereits in der Formulierung wird ein zentraler Unterschied hinsichtlich der Vorstellung der regierten Bürger*innen deutlich. So wird im rechtspopulistischen Narrativ das Volk als homogene Masse mit einheitlichem Willen angesehen, während Crouch von Bürger*innen mit verschiedenen sozioökonomischen Hintergründen und pluralen Interessen spricht (vgl. Wodak/bpb 2023; Crouch 2021, S. 258 f.).Die Globalisierung als nach wie vor prägende Entwicklung mit Auswirkungen auf alle gesellschaftliche Sphären ist Anhaltspunkt einer weiteren vermeintlichen Schnittmenge. Als hintergründige Ursache für die zunehmende Entfremdung politischer Akteur*innen von weiten Teilen der Bevölkerung sowie für den unverhältnismäßig hohen Einfluss kapitalorientierter Großkonzerne konstatiert Crouch die Globalisierung der Wirtschaft.Des Weiteren führe die Tatsache, dass Wirtschaftspolitik vor diesem Hintergrund weitgehend auf transnationaler Ebene betrieben wird, zu einem Bedeutungsverlust der nationalstaatlichen Politik. Debatten im nationalen Kontext seien somit laut Crouch oftmals als politisch gegenstandslose Scheindebatten zu kennzeichnen (vgl. Crouch 2021, S. 25 f.). Diese Beschneidung des Nationalstaats durch eine zunehmende Globalisierung wird von Akteur*innen der Neuen Rechten im Sinne ihres charakteristischen Nationalismus massiv beklagt. Damit einher geht eine misstrauische bis konsequent ablehnende Haltung gegenüber transnationaler Politik insbesondere bezüglich einschlägiger Institutionen wie der Europäischen Union (vgl. Mudde 2020, S. 56-59; S. 132 f.).Populist*innen gerieren sich grundsätzlich als wahre Stimme des Volkes, welches exklusiv durch sie vertreten werde in einem von eigennützigen Eliten regierten System (vgl. Mudde 2020, S. 46). Hinsichtlich der Postdemokratie-These lässt dies vermuten, dass populistische Bewegungen als basisdemokratischer Stachel im Fleisch der Postdemokratie charakterisiert werden können. Mitunter würde das die massive Abneigung der etablierten Parteien ihnen gegenüber erklären (vgl. Crouch 2021, S. 139-141).An dieser Stelle könnte auf eine zumindest teilweise Zustimmung Colin Crouchs hinsichtlich rechtspopulistischer Narrative geschlossen werden. Im Vorgriff auf die Ausführungen der folgenden Abschnitte sei jedoch vor einer voreiligen Gleichsetzung ohne die notwendige politikwissenschaftliche Differenzierung gewarnt. So weist Crouch selbst deutlich auf die Diskrepanz hin, welche die antidemokratischen Tendenzen rechtspopulistischer Bewegungen zweifellos von einer zukunftsorientierten Kritik an postdemokratischen Problemen trennt (vgl. Crouch 2021, S. 139).GefahrenpotentialIst Crouchs These angesichts der verwandten Anklagen Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulist*innen? Trägt die Publizierung seiner massiven Kritikpunkte womöglich zur fortschreitenden Enttabuisierung radikaler Positionen im öffentlichen Diskurs bei?In der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatte lässt sich eine einflussreiche rechtspopulistische Strategie der Diskursverschiebung beobachten. Einschlägige illiberale Narrative werden hierbei im politischen Diskurs salonfähig durch schrittweises Verrücken der roten Linien, welche das legitime demokratische Meinungsspektrum umgrenzen. Das "Perpetuum mobile des Rechtspopulismus" (Wodak/bpb 2023) lässt in einem schleichenden Prozess xenophobe und diskriminierende Haltungen durch kalkulierte rhetorische Grenzüberschreitungen rechtspopulistischer Akteur*innen zunehmend vertretbar erscheinen.Des Weiteren wird so Einfluss auf die Themensetzung im demokratischen Diskurs genommen, was nicht zuletzt durch die partielle Übernahme seitens ursprünglich gemäßigter konservativer Parteien des politischen Establishments befördert wird. Die beobachtbare Diskursverschiebung stellt eine ernstzunehmende Gefahr für liberale Demokratien dar, wie bereits an autokratischen Entwicklungen in einigen Ländern mit Regierungen des äußerst rechten Spektrums abzulesen ist (vgl. Wodak/bpb 2023).Crouchs Ausführungen bezüglich postdemokratischer Tendenzen bergen insbesondere mit Blick auf die Elitenkritik das Gefahrenpotential einer narrativen Instrumentalisierung durch illiberale Akteur*innen. Doch hinsichtlich eines entscheidenden Aspekts eignet sich die Argumentation Colin Crouchs nur schwerlich als Hilfestellung zur Enttabuisierung rechtsradikaler Positionen. So sind vereinfachende Schuldzuweisungen mitnichten Teil der analytischen Ausführungen Crouchs, und es werden keine Feindbilder unter gesellschaftlichen Minderheiten ausgemacht, was der zentralen Ideologie der äußersten Rechten entgegensteht (vgl. Crouch 2021, S. 143 f.). Vortrag von Ruth Wodak über Rechtsruck und Normalisierung: Die von Crouch geforderte Politisierung der Zivilgesellschaft sollte in diesem Zusammenhang nicht mit der fortschreitenden Polarisierung der Öffentlichkeit einhergehen oder gar gleichgesetzt werden. Dies würde gefährliche aktuelle Tendenzen der gesellschaftlichen Spaltung verstärken und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt zusätzlich gefährden. In jener Hinsicht kann enorme politische und gesellschaftliche Polarisierung Demokratien destabilisieren, wie dies beispielsweise in der US-Amerikanischen Gesellschaft zu beobachten ist (vgl. Crouch 2021, S. 150-154). Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes können soziale Bewegungen der äußersten Rechten kaum als anerkennenswerte Belebung der Demokratie gewertet werden, ganz zu schweigen von der antidemokratischen Ideologie, welche dahintersteht (vgl. Mudde 2020, S. 152-155).Crouch selbst geht im Buch in einem eigenen Kapitel auf die "Politik des nostalgischen Pessimismus" (Crouch 2021, S. 136) ein und stellt durch eine eingehende Analyse der populistischen Strategien und Inhalte eine kritische Distanz zu einschlägigen Bewegungen heraus. Insbesondere den Rechtspopulismus heutiger Akteur*innen der Neuen Rechten ergründet der Soziologe als antipluralistisch, antiegalitär und im Kern antidemokratisch, wenngleich diese Ausrichtungen in vielfältiger Weise öffentlich verschleiert werden (vgl. Crouch 2021, S. 169-172).ZwischenfazitDie Postdemokratie-These hat Potenziale für beide politischen Stoßrichtungen, welche in der Leitfrage des Beitrags pointiert gegenübergestellt wurden. Entscheidend sind ein reflektierter Umgang mit den Analysen sowie die gebotene Einordnung der Schlussfolgerungen im jeweiligen politischen Kontext. Zweifelsfrei ist dabei die Maxime zu beachten, niemals den Populismus antidemokratischer Kräfte zu stärken. Gleichermaßen darf die mögliche Angst vor dem schmalen Grat zwischen reflektierter sozialwissenschaftlicher Kritik und rechtspopulistischer Aufwiegelung keinesfalls zur Ignoranz postdemokratischer Missstände führen. Denn im Sinne von Jan-Werner Müllers Definition von Populismus sind "[a]lle Populisten [..] gegen das »Establishment« – aber nicht jeder, der Eliten kritisiert, ist ein Populist." (Müller 2016, S. 18 f.).Um die missbräuchliche argumentative Übernahme von Crouchs These durch demokratiefeindliche Rechtspopulist*innen wirksam zu verhindern, ist eine differenzierte Klarstellung im Sinne der politischen Einordnung von Crouchs Analysen erforderlich.Lösungsansatz: DifferenzierungAls Schlüssel zur fruchtbaren Berücksichtigung von Crouchs These im politikwissenschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Diskurs kann die Differenzierung zur Abgrenzung von rechtspopulistischen Narrativen dienen. Eine deutliche Unterscheidung ist im Sinne Colin Crouchs herauszustellen und in der Argumentation im Kontext der öffentlichen Debatte stets zu beachten, um sich deutlich von rechtspopulistischen Parolen abzugrenzen. So kann einer drohenden Enttabuisierung radikaler Positionen vorgebeugt werden, um diese Gefahr für die liberale Demokratie nicht zusätzlich argumentativ zu stützen. Zentrale Unterscheidungsmerkmale sollen nachfolgend erläutert werden.Rechtspopulistische Bewegungen sind lediglich vordergründig für mehr Demokratie und Mitbestimmung des Volkes. Denn im Kern widersprechen ihre kennzeichnenden Ideologeme liberaldemokratischen Werten, wie insbesondere der Antipluralismus deutlich macht. Die antipluralistische Ideologie steht in enger Verbindung mit dem exklusivistischen Vertretungsanspruch des Volkes und deren homogenen Interessen. Alle Gruppen und Individuen, welche sich aus diversen Gründen nicht diesem normalen Volk zurechnen lassen, werden rhetorisch exkludiert und sind Feindbilder der Rechtspopulist*innen. Dieser xenophobe Antipluralismus veranlasst die grundlegende Einordnung jener Bewegungen als illiberal und antidemokratisch (vgl. Wodak/bpb 2023).Crouch dagegen plädiert für die plurale Interessensvertretung heterogener Gruppen und Individuen als gleichberechtigte Teile einer demokratischen Gesellschaft. Darüber hinaus wird die Emanzipation jeglicher unterdrückter Gruppen innerhalb Crouchs Theorie als erstrebenswerter Moment der Demokratie angesehen, was in diametralem Gegensatz zum ideologischen Antifeminismus und Rassismus sowie zur Queerfeindlichkeit der äußersten Rechten steht (vgl. Crouch 2021, S. 22 f.).Das Verhältnis zum neoliberalen Kapitalismus markiert ebenfalls eine signifikante Differenz zwischen Crouchs Thesen und vorherrschenden Denkweisen der äußersten Rechten. Akteur*innen rechtspopulistischer Politik weisen deutliche antiegalitäre Überzeugungen auf, was programmatisch beispielsweise im angestrebten faktischen Abbau des Sozialstaats ersichtlich wird. Politisch forcierte Umverteilung im Sinne stärkerer sozialer Gerechtigkeit und striktere Regulierung von Lobbyarbeit, wie es von Crouch gefordert wird, steht dieser antiegalitären Haltung entgegen. Der sozialpolitisch im linken Spektrum einzuordnende Soziologe Crouch zeigt sich deutlich kritisch gegenüber neoliberal dominierter Politik und der Macht von Wirtschaftseliten. Als grundlegender zentraler Angriffspunkt der politischen Entwicklungen seit mehreren Jahrzehnten gilt der Neoliberalismus innerhalb seiner gesamten Analyse (vgl. Crouch 2021, S. 143; S. 234-238).Die Art der Beschreibung von Ursachen hinter beklagten Problemen der aktuellen politischen Situation stellt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dar. So weisen rechtspopulistische Narrative zuvörderst liberale Eliten und Migrant*innen als schuldige Sündenböcke aus, wobei diesen Akteur*innen prinzipiell unlautere Absichten unterstellt werden. Die vereinfachende Personifizierung von Schuld fungiert als bedeutender Aspekt der rechtspopulistischen Kommunikationsstrategien (vgl. Mudde 2020, S. 49-56).Die kritische Auseinandersetzung Crouchs mit postdemokratischen Tendenzen hingegen ist geprägt von der Darstellung komplexer Zusammenhänge von multiplen Ursachen. Simple Schuldzuweisungen werden dabei vermieden (vgl. Crouch 2021, S. 9; S. 24-26). Generell unterscheiden sich die Ausführungen Colin Crouchs im Charakter diametral von rechtspopulistischen Narrativen. Die nüchterne sozialwissenschaftliche Analyse beinhaltet die Herausarbeitung komplexer Entwicklungen und Zusammenhänge, während der Rechtspopulismus von allgemeiner Vereinfachung mit personalisierten Schuldzuweisungen und Feindbildern geprägt ist, welche zentrale Bestandteile rechtspopulistischer Kommunikation sind (vgl. Wodak/bpb 2023).FazitZusammenfassend ist zunächst die Relevanz der kritischen Ausführungen Crouchs zu rekapitulieren. Um die Zukunftsvision einer verbesserten Demokratie mit konkreten Maßnahmen anzustreben, ist eine analytische Grundlage bezüglich gegenwärtiger Probleme von Nöten, welche in der Postdemokratie-These gefunden werden kann. Die Ambivalenz der These angesichts einer möglichen Instrumentalisierung durch Populist*innen wurde verdeutlicht, wenngleich keine konkreten Zusammenhänge zwischen Crouchs These und dem Aufstieg der neuen Rechten nachgewiesen werden konnten.Die anschließende Erläuterung der Unterscheidungsmerkmale stellt eine unzweifelhafte Abgrenzung der Postdemokratie-These von der polemischen Ideologie der Rechtspopulist*innen dar. Dies verdeutlicht die aktuelle Notwendigkeit, im gesellschaftlichen Diskurs auf differenzierte Weise Entwicklungen des politischen Systems zu kritisieren, ohne dabei Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus zu geben. Denn die Gefahr, haltlose rechtspopulistische Parolen durch unangemessene Gleichsetzungen mit sachlichen Gegenwartsanalysen soziologisch aufzuladen und damit substantiell zu überhöhen, ist schließlich nicht zu missachten. Wenn jedoch die sozialwissenschaftlichen Analysen der Postdemokratie-These Crouchs wahrheitsgetreu Eingang in die politische Debatte finden, könnten sie der polemischen Argumentation vom rechten Rand die Substanz entziehen und diese als antidemokratisch entlarven, ohne dabei angezeigte Kritik am Status Quo der etablierten Demokratien auszuklammern.Die Fähigkeit zu einer solchen Differenzierung stellt insbesondere für angehende politische Bildner*innen eine bedeutende Kompetenz dar. Neben der stetigen Arbeit an den eigenen Fähigkeiten in diesem bedeutsamen Bereich kommt Lehrkräften die elementare Aufgabe zu, die Kompetenz der reflektierten Differenzierung an Schüler*innen zu vermitteln. Denn diese ist unerlässlich hinsichtlich der übergeordneten Zielperspektive, sie zu mündigen Bürger*innen als Teil einer lebendigen Demokratie werden zu lassen. Insbesondere angesichts der zunehmenden Polarisierung sämtlicher politischer und gesellschaftlicher Themen, die nicht zuletzt durch den Einfluss von Sozialen Medien und deren einschlägigen Mechanismen gefördert wird, ist dieser Ansatz nicht zu unterschätzen (vgl. Crouch 2021, S. 259 f.).Außerdem sind neue politische und gesellschaftliche Entwicklungen stets mitzudenken, was die Notwendigkeit einer fortwährenden Aktualisierung der sozialwissenschaftlichen Gegenwartsanalyse Colin Crouchs hervorhebt und eine stetige kritische Prüfung der Postdemokratie-These vor dem Hintergrund neuartiger Entwicklungen zweifellos miteinschließt.LiteraturBeckmann, Andreas (2021): Pandemie und Demokratie. Wurde der Kurs in der Corona-Politik ausreichend ausgehandelt? (Deutschlandfunk vom 02.09.2021), https://www.deutschlandfunk.de/pandemie-und-demokratie-wurde-der-kurs-in-der-corona-100.html [25.03.2024].Best, Volker; Decker, Frank; Fischer, Sandra et al. (2023): Demokratievertrauen in Krisenzeiten. Wie blicken die Menschen in Deutschland auf Politik, Institutionen und Gesellschaft? Friedrich-Ebert-Stiftung e.V. (Hrsg.), Bonn.Crouch, Colin (2021): Postdemokratie revisited, Suhrkamp: Berlin.Fuhr, Lukas (2024): Protestforscher Dieter Rucht: "Der Höhepunkt der Demowelle liegt wohl hinter uns" (FAZ.NET vom 16.02.2024), https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demos-gegen-rechtsextremismus-werden-laut-protestforscher-nachlassen-19518795.html#void [20.03.2024].Habermas, Jürgen (2022): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Suhrkamp: Berlin.Hesse, Michael (2024): "Im Westen hält die Brandmauer noch": Politologe Colin Crouch über Rechtsextremismus (Frankfurter Rundschau vom 12.02.2024), https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/rechtsextremismus-politologe-colin-crouch-im-westen-haelt-die-brandmauer-noch-populismus-92826654.html [20.03.2024].Mudde, Cas (2020): Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit, Dietz: Bonn.Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus?, Suhrkamp: Berlin.Wodak, Ruth (2023): Rechtspopulistische Diskursverschiebungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (bpb.de vom 20.10.2023), https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/diskurskultur-2023/541849/rechtspopulistische-diskursverschiebungen/ [26.03.2024].
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Quo vadis, EU? Das Projekt, das zu Anfang für Frieden sorgen sollte, hat inzwischen so manches umgesetzt, was in der Gründungszeit, im Mai 1951, für visionär gehalten wurde. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die zu Beginn aus sechs Staaten (Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Italien) bestand, entwickelte sich schnell weiter: Von einem Gemeinsamen Markt über weitere Mitgliedsländer bis hin zu einer gemeinsamen Währung transformierte sich die einstige Gemeinschaft zur heutigen Europäischen Union."Spill over"-Effekte sorgten dafür, dass ausgehend vom Gemeinsamen Markt auch gemeinsame Arbeitsbereiche außerhalb der Ökonomie entstanden: Das Wirtschaftsprojekt wurde zunehmend politisch und steht heute zwischen Supranationalismus und Intergouvernementalismus. Die EU, so wird gerne gesagt, ist ein System sui generis, weder ganz internationale Organisation noch ganz Staat. Doch gerade weil die EU in machen Belangen staatliche Züge angenommen hat, stellt sich die Frage, ob ihre demokratische Legitimation ausreicht. Angela Merkel drückte das in einer Regierungserklärung von 2006 folgendermaßen aus:"Kurz gesagt muss man feststellen: Europa steht bei den Europäerinnen und Europäern nicht so hoch im Kurs […]. Wir müssen […] den Stand des Projekts Europa kritisch überprüfen. Wir müssen den Bürger in den Mittelpunkt stellen" (Bundesregierung 2006, S. 3f.).Doch worunter leidet die demokratische Legitimation der EU? Und wie könnte man der Union zu mehr Demokratie verhelfen? Diesen Fragen geht der folgende Beitrag nach. Ausgehend vom Aufbau der EU wird das sogenannte Demokratiedefizit in institutioneller und struktureller Hinsicht erläutert. Abschließend werden mögliche Lösungsvorschläge vorgestellt und Kritikpunkte geäußert.Aufbau der EU und DemokratiedefizitDie Aufbau der Union wird häufig als abstrakt und kompliziert erachtet. Auch die ZDF-Satiresendung Die Anstalt greift den komplexen Aufbau der EU zusammen mit dem Demokratiedefizit in der Sendung vom 06.09.2015 auf. Um auf das Demokratiedefizit aufmerksam zu machen, beginnen die Satiriker Claus von Wagner und Max Uthoff so: Claus von Wagner (C.v.W.): "Die meisten Nutzer [gemeint sind hier die Bürger*innen der Europäischen Union] beschweren sich, dass unser Haus [gemeint ist die Europäische Union] nicht den demokratischen Anforderungen entspricht."Max Uthoff (M.U.): "Diese Leute sind doch gar nicht in der Lage, ein so komplexes Haus wie unseres zu verstehen."C. v. W.: "Aber sie sollen drin wohnen ... wie soll denn das gehen?! Vielleicht können Sie's mir erklären, schau'n Sie mal, wir haben da hinten doch den Grundriss von unserem Hotel [gemeint ist hier abermals die Europäische Union]."M. U.: "Ja ... ja, was suchen Sie denn?"C. v. W.: "Na, die Demokratie!"M. U.: "Ach Demokratie ... Demokratie ... was heißt schon Demokratie?"C. v. W.: "Na, das Regieren des Volkes durch das Volk für das Volk." (von Wagner/Uthoff 2016, 00:00:00 – 00:01:00). Wie Markus Preiß, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, in seinem #kurzerklärt-Video erläutert, ist die Europäische Union "demokratisch mit Schönheitsfehlern" (Preiß 2019, 00:02:07-00:02:10) und sicherlich weit weg davon, undemokratisch zu sein. Doch über ihr Demokratiedefizit lässt sich schlecht hinwegsehen. Es fußt im Wesentlichen auf zwei Gründen: "zu wenig Bürgerbeteiligung infolge mangelnder Transparenz und eine[r] unzureichende[n] Legitimation der Institutionen der Europäischen Union" (Bollmohr 2018, S. 73). Doch politische Systeme sind auf Legitimation angewiesen, "um Herrschaft dauerhaft zu sichern" (Abels 2019, S. 2). Um dieses Demokratiedefizit besser verstehen zu können, ist eine Beschreibung des Aufbaus der Europäischen Union und ihrer Institutionen unerlässlich. Autor*innen, die die Europäische Union für demokratisierbar halten, begreifen die EU als als ein politisches System, das durch institutionelle und strukturelle Reformen verändert werden kann (vgl. Schäfer 2006, S. 354). Sie gehen hierbei von einem Demokratieverständnis gemäß der Übersetzung des Wortes Demokratie (= Volksherrschaft) aus. Wie in der Inszenierung der Anstalt angeklungen, wird von einer Auslegung des Wortes ausgegangen, das das Regieren des Volkes durch das Volk für das Volk als Grundlage nimmt und auf eine Aussage von Abraham Lincoln zurückgeht ("government of the people, by the people, for the people"). Die EU hat sieben Organe (vgl. Weidenfeld 2013, S. 116). Den Kern bildet dabei das "institutionelle Dreieck" bzw. nach der Inklusion des Europäischen Rates durch den Vertrag von Lissabon das "institutionelle Viereck", bestehend aus dem Europäischen Rat, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union. Zu den Organen gehört darüber hinaus der Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank und der Rechnungshof. Beginnend mit dem Europäischen Parlament werden nachfolgend alle Institutionen nach der Reihenfolge aufgelistet, wie sie im Vertrag von Lissabon stehen, und ihr Demokratie- bzw. Legitimationsdefizit erläutert. Europäisches Parlament In das Bewusstsein der europäischen Bevölkerung kam das Europäische Parlament (EP) erst mit der ersten Direktwahl im Jahr 1979 (vgl.: ebd.). Damit war "[d]er Schritt hin zu einem von den Bürgern legitimierten europäischen Einigungswerk […] getan" (ebd.). Seither gewann das EP an Befugnissen. So wurde beispielsweise mit dem Vertrag von Maastricht (1992) das Mitentscheidungsverfahren eingeführt, "welches das Parlament dem Rat im Gesetzgebungsprozess gleichstellt" (ebd.). Wahlen für das Europäische Parlament finden alle fünf Jahre statt (vgl.: Weidenfeld 2006, S. 65). Insbesondere hinsichtlich des Demokratiedefizits ist es wichtig festzuhalten, dass das EP die einzig direkt gewählte Institution der Europäischen Union darstellt. Als solche stellt sie "die unmittelbare Vertretung der Unionsbürger auf der europäischen Ebene dar" (Weidenfeld 2013, S. 116). Dabei werden die Sitze "degressiv-proportional" verteilt (ebd., S. 117). Dies führt allerdings dazu, dass "ein deutscher Abgeordneter mehr als 13 Mal so viele Bürger vertritt wie ein Parlamentsmitglied aus Luxemburg oder Malta" (ebd.). Von einer gleichen Wahl, wie es das Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland für die Bundestagswahlen vorgibt, kann nicht gesprochen werden. Die Funktionen und Aufgaben des EP sind vielfältig. Es "fungiert zusammen mit dem Ministerrat der Union als Gesetzgeber" (ebd.) und stellt mit ihm die Haushaltsbehörde dar (vgl. ebd.). Gleichzeitig "kontrolliert [es] die Arbeit der Kommission" (ebd.). Generell kann von fünf Funktionen des EP gesprochen werden: Systemgestaltungsfunktion, Politikgestaltungsfunktion, Wahlfunktion, Kontrollfunktion und Repräsentations- bzw. Artikulationsfunktion (vgl.: ebd., S. 121ff.). Mit der Systemgestaltungsfunktion hat das Europäische Parlament einen, wenn auch geringen, Spielraum zur "konstitutionellen Weiterentwicklung des EU-Systems" (ebd., S. 121). Beispielsweise darf das Parlament "Entwürfe zur Änderung der Verträge [vorlegen]" (ebd.). Außerdem kann eine Erweiterung der Europäischen Union nur mit Zustimmung der Parlaments durchgeführt werden. Die Politikgestaltungsfunktion bezeichnet die Möglichkeit des EP, die Kommission auffordern zu können, eine Gesetzesinitiative zu starten (= indirektes Initiativrecht). Die Kommission muss dieser Bitte innerhalb von drei Monaten nachkommen oder andernfalls ihr Verhalten wohlbegründet erläutern. Das indirekte Initiativrecht teilt sich das EP mit dem Rat. Ebenso teilen sich beide Organe das Haushaltsrecht, wobei das EP in diesem Belang, zumindest auf Ausgabenseite, das letzte Wort behält (vgl.: ebd., S. 122). Die Wahlfunktion wird durch die Wahl des Kommissionpräsidenten erfüllt, der vom Europäischen Rat vorgeschlagen wird. Das EP ist auch an der Bestellung der Kommission beteiligt und muss der Zusammensetzung zustimmen. Die Repräsentations- und Artikulationsfunktion des Europäischen Parlaments wird kritisch gesehen. Aufgrund einer fehlenden europäischen Öffentlichkeit kann eine Repräsentation der europäischen Bürger*innen nicht in dem Maße stattfinden, wie es in nationalstaatlichen Parlamenten der Fall ist. Das Europäische Parlament arbeitet in Fraktionen, die sich nach der politischen Ausrichtung organisieren und sich aus den Mitgliedern des EP aus den verschiedenen Mitgliedsstaaten zusammensetzen. Im Gegensatz zu nationalen Parlamenten gibt es kein "Regierungs-Oppositions-Schema" (vgl.: ebd., S. 124) und es wird mit Ad-hoc-Mehrheiten gearbeitet. Wie Weidenfeld (2013) klarstellt, bietet diese Herangehensweise "immer wieder neue Möglichkeiten zur persönlichen Einflussnahme […]; [allerdings wird es] für die Öffentlichkeit […] dadurch schwierig, politische Verantwortung zuzuordnen" (ebd.). Auch wenn sich das EP durch verschiedene Vertragsreformen immer weiter an die "Rolle nationaler Parlamente angenähert" (ebd., S. 121) hat, besitzt es nicht alle Funktionen der Parlamente der Mitgliedsstaaten. Bezogen auf das EP werden "drei wesentliche Legitimationsmängel" (Bollmohr 2018, S. 99) aufgezeigt. Einer der Mängel ist der Wahlmodus, denn statt eines "kodifizierten Wahlrechts […] gelten nationale Wahlgesetze mit zum Teil erheblichen Unterschieden" (ebd., S. 86). Die Sitzverteilung im Europäischen Parlament nach der degressiven Proportionalität verstärkt die Ungleichheit der Wähler*innenstimmen bei der Europawahl. Zu erwähnen ist hierbei auch, dass es zur Europawahl, anders als bei nationalen Wahlen, kaum einen erkennbaren Wahlkampf gibt. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass es keine europäischen Parteien und deshalb kein parteienspezifisches Wahl- bzw. Parteiprogramm und kaum europäische Themen gibt (vgl.: ebd., S. 86f.). Auswirkungen hat das auf die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments. Ohne Parteiprogramm können Mitglieder der Fraktionen lediglich fallbezogen "über Vorgänge beraten und abstimmen, die von der Europäischen Kommission vorgegeben werden", was den Prozess "unvorhersehbar" macht (ebd., S: 87). Ein weiterer Mangel ist die eingeschränkte Gesetzgebungsfunktion. Die Rechtsetzungsverfahren werden, trotz Aufwertung des EP, von den Räten dominiert (vgl.: ebd.). Wie Bollmohr (2018) auf Seite 99 feststellt, ist die Beteiligung an der Gesetzgebung mit unter zehn Prozent noch "zu gering". Zusätzlich wird der fehlende Austausch zwischen Unionsbürger*innen und den Abgeordneten des EP als Mangel gesehen. Das einzige von den Unionsbürgern direkt gewählte Organ hat zwar in den letzten Jahrzehnten an Kompetenzen gewonnen, ist aber in wichtigen Bereichen (Außenpolitik, Steuerpolitik) nach wie vor nicht gleichberechtigt mit den nationalen Regierungen im Rat. Europäischer Rat Der Europäische Rat besteht aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU und entscheidet im Konsens. Er nimmt formal nicht am Gesetzgebungsprozess teil, sondern hat eine gewichtige Rolle bei der "Systemgestaltung und bei der Besetzung von Schlüsselpositionen" (Weidenfeld 2013, S. 127). Der Europäische Rat hat drei zentrale Funktionen: Lenkungsfunktion, Wahlfunktion und Systemgestaltungsfunktion. Die Lenkungsfunktion erlaubt es dem Europäischen Rat, allgemeine Leitlinien für die Politik der EU, vornehmlich für die Außenpolitik, zu erlassen. Er wählt mit dem Präsidenten des Europäischen Rats und dem Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik die zwei wichtigsten "Vertreter der EU-Außenpolitik" (ebd.). Darüber hinaus nimmt er eine "Schlüsselstellung" in der Systemgestaltung ein (ebd.). Schließlich sind die Mitgliedsstaaten die Herren der Verträge und sie entscheiden, welche Kompetenzen sie an die europäische Ebene abgeben. Rat der EU/Ministerrat"Der Rat [der EU] besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, verbindlich für die Regierung zu handeln" (ebd., S. 129). Er ist nach Fachgebiet in Fachministerräte unterteilt. Zunehmend entscheidet der Rat mit Mehrheit. Halbjährlich wechselt die Präsidentschaft des Rates (vom 01.01.2023-30.06.2023 hat beispielsweise Schweden die Ratspräsidentschaft inne). Der Rat besitzt zentrale Befugnisse in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Daneben ist seine Legislativ- und Exekutivfunktion entscheidend. Inzwischen teilt sich der Rat die Legislativfunktion, genauso wie das Haushaltsrecht, mit dem Europäischen Parlament. Beide Organe besitzen überdies das Recht, auf die Kommission zuzugehen und einen Gesetzentwurf vorzuschlagen. Die Exekutivfunktion nimmt der Rat wahr, "indem er Vorschriften zur Durchführung von Rechtsakten erlässt, die Durchführung selbst ausführt oder sie an die Kommission delegiert" (ebd., S. 132). Der Rat übernimmt gegenüber der Kommission darüber hinaus eine Kontrollfunktion.Die Räte, also der Europäische Rat und der Rat der Europäischen Union, beziehen ihre Legitimation durch die Nationalstaaten. Daraus entsteht dennoch ein Legitimationsmangel bzw. ein Demokratiedefizit, weil der Ministerrat maßgeblich am Gesetzgebungsverfahren in der EU beteiligt, aber nicht auf EU-Ebene legitimiert ist (vgl.: Bollmohr 2018, S. 99). Zusätzlich hält Bollmohr (2018) fest, dass der Rat (der EU) "zwar von den nationalen Parlamenten beeinflusst wird, aber da die qualitative Mehrheit im Rat auch Abstimmungsniederlagen für einzelne Länder nach sich ziehen kann, sind die Möglichkeiten der Parlamente begrenzt" (ebd.). KommissionWie Weidenfeld (2013) auf Seite 135 schreibt, ist die Kommission "vertragsrechtlich auf das allgemeine EU-Interesse verpflichtet und soll unabhängig von den nationalen Regierungen handeln". Während der Europäische Rat das prototypische intergouvernementale Organ darstellt, ist die Kommission die klassische supranationale Institution in der Europäischen Union. Das Kollegium, aus dem sich die Kommission zusammensetzt, besteht aus einem Kommissar pro Mitgliedsland. Es wird "in einem Zusammenspiel zwischen den Staats- und Regierungschefs und dem EP [bestimmt]" (ebd., S. 137). Der/die Kommissionspräsident*in und der Verwaltungsapparat ergänzen die Kommission. Der Europäische Rat schlägt ein*e Kandidat*in für das Amt der/des Kommissionpräsident*in vor, welche*r sich dann einer Wahl im EP unterziehen muss. Bei Ablehnung unterbreitet der Rat einen neuen Vorschlag, bei Annahme schlagen die Staats- und Regierungschefs mit dem/der Präsident*in die weiteren Kommissionsmitglieder vor, die ebenso der Zustimmung des Parlaments bedürfen. Eine Amtsperiode der/des Präsident*in dauert fünf Jahre. Außerdem hat das EP die Befugnis, die Kommission durch ein Misstrauensvotum ihres Amtes zu entheben. Hierfür ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Die Kommission hat vier wichtige Funktionen: Sie fungiert sowohl als Exekutive als auch als Außenvertretung und hat die Legislativ- und Kontrollfunktion inne. Als Exekutive ist die Kommission für die Durchführung von Rechtsakten und die "Umsetzung und Verwaltung der Unionspolitiken verantwortlich, die vom Parlament und vom Rat verabschiedet wurden" (ebd., S. 138). Die Ausführung des vom Europäischen Parlament beschlossenen Haushalts gehört ebenso zu den exekutiven Aufgaben der Kommission. Die Legislativfunktion umfasst das Initiativmonopol. Die Kommission darf als einzige EU-Institution Gesetzesvorschläge einbringen. Sie ist "agenda-setter" (ebd., S. 139) und kann die EU-Integration vorantreiben. Als Hüterin der Verträge ist die Kommission für die Einhaltung des Unionsrechts verantwortlich und kann, bei Verletzung des Unionsrechts, ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnen. Sie vertritt überdies die vergemeinschaftete Handels- und Entwicklungspolitik nach außen und nimmt "im Namen der EU an den Verhandlungen im Rahmen der WTO teil" (vgl.: ebd., S. 140). Die Mängel der Legitimation der Europäischen Kommission zeigen sich bei der Wahl der Mitglieder und der/des Präsident*in. Kandidat*innen werden von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament bestätigt. Dies ist in den Verträgen zwar so festgehalten, "aber der Legitimationsglaube in die wichtigste Institution der EU ist gering" (Bollmohr 2018, S. 99). Schließlich ist "das EP durch das bestehende Wahlverfahren nur bedingt als legitimiert [anzusehen] […] und der Europäische Rat durch die Nationalparlamente nicht im Eigentlichen für EU-Fragen legitimiert" (ebd., S. 80). Zudem stellt die Kommission eine Art Exekutive, also Regierung dar. Diese ist momentan weder wähl- noch abwählbar. Doch genau das, eine wähl- und abwählbare Regierung, zeichnet eine Demokratie aus, weswegen das Demokratiedefizit der EU an dieser Stelle besonders zum Vorschein kommt. EuGH, Europäische Zentralbank und RechnungshofDer Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist verantwortlich für die Wahrung und die Einheitlichkeit des Unionsrechts. Er wird dann aktiv, wenn eine Klage oder eine Anfrage vorliegt und agiert deshalb reaktiv. Gleichzeitig stellt er – wie die Kommission – ein supranationales Organ dar. Der Gerichtshof besteht aus einem Richter je Mitgliedsstaat, die von "den nationalen Regierungen im gegenseitigen Einvernehmen für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt [werden]" (Weidenfeld 2013, S. 143). Das Europäische Parlament spielt bei der Ernennung der Richter keine Rolle, was den Gerichtshof von anderen obersten Gerichten, wie dem Supreme Court oder dem Bundesverfassungsgericht, unterscheidet. Zusätzlich unterscheidet ihn vom höchsten Gericht der Bundesrepublik Deutschland, dass eine Wiederwahl der Richter möglich ist. Der Europäische Gerichtshof hat die Befugnis, gegenüber den Mitgliedsstaaten "bindende Urteile [zu] sprechen" (ebd., S. 143). Das hat zur Folge, dass seine Entscheidungen die Bevölkerung der EU direkt betreffen. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden seine Kompetenzen von der supranationalen Säule zudem auf die Innen- und Justizpolitik erweitert (vgl.: ebd.). Entscheidungen fallen meist einvernehmlich oder per einfacher Mehrheit. Der Gerichtshof hat "in der Geschichte der Integration immer wieder eine Motorrolle übernommen" (ebd., S. 145). Seine Urteile fallen überwiegend integrationsfreundlich aus (in dubio pro communitate – (ugf.) im Zweifel für die Europäische Union). Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main wurde 1998 mit der Einführung der gemeinsamen Währung eingerichtet. Sie ist für die Geldpolitik der EU verantwortlich und hat als Organ einen supranationalen Charakter. In ihrer Arbeitsweise ist sie von anderen EU-Organen und von den Mitgliedsstaaten unabhängig. Bei der Währungspolitik arbeitet die EZB mit nationalen Zentralbanken zusammen. Ihr vorrangiges Ziel ist es, Preisstabilität zu sichern. Darüber hinaus unterstützt sie die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union. Der Vertrag von Maastricht (1992) hob den Rechnungshof zu einem Organ an. Seine Aufgabe ist die Rechnungsprüfung der EU, was alle Einnahmen und Ausgaben betrifft. Er besteht aus einem Staatsangehörigen je Mitgliedsstaat, welche vom Rat ernannt werden. Hierbei verfügt das Europäische Parlament über ein Anhörungsrecht. Alle drei Organe, der EuGH, die Zentralbank und der Rechnungshof, werden nicht gewählt, sind aber dennoch in besonderem Maße am Integrationsprozess beteiligt. Dieser Umstand ist keine Besonderheit der EU, sondern auch in Nationalstaaten üblich. Dennoch gibt es Kritik und Reformvorschläge. Die Wiederwahl der Richter am EuGH gilt als besonders problematisch. Ebenso gibt es Forderungen nach mehr Transparenz in allen drei Organen.Die bisher genannten Defizite beziehen sich auf die Institutionen der Europäischen Union und werden deswegen institutionelle Defizite genannt. Daneben gibt es das strukturelle Demokratiedefizit, das die nach wie vor fehlende Kommunikations-, Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft beschreibt, in der sich eine kollektive Identität herausbildet, etabliert und tradiert (vgl. Graf Kielmannsegg 2003, S. 57ff.). Oder einfacher ausgedrückt: Es mangelt an einer "Wir-Identität", denn es fehlt eine gemeinsame Sprache, es gibt kein gemeinsames Politikverständnis und kein einheitliches Rechtssystem (vgl. Bollmohr 2018, S. 74). Schließlich schafft ein auf Effizienz ausgelegter Gemeinsamer Markt noch keine Demokratie, geschweige denn einen gemeinsamen Demos. Darauf ist der Markt auch gar nicht angewiesen. Das strukturelle Demokratiedefizit macht sich beispielsweise bei den Europawahlen durch eine geringe Wahlbeteiligung bemerkbar (im Jahr 2009 lag die Wahlbeteiligung bei gerade mal 43%, vgl.: Decker 2017, S. 166). Diese Defizite sind nicht neu und seit der zunehmenden Politisierung der Europäischen Union bekannt. Seit Ende der 1980er Jahre ist man auf EU-Ebene bemüht, sie zu beheben (vgl.: Bollmohr 2018, S. 71). Doch wie könnten weitere Schritte in Richtung weniger Demokratiedefizit in einem "Mehrebenensystem ohne einheitlichen Demos […], ohne einheitliche Regierung […] und ohne nennenswerte intermediäre Strukturen" (ebd., S. 73) aussehen? Nachfolgend werden exemplarisch Lösungsvorschläge für das institutionelle und strukturelle Demokratiedefizit vorgestellt. Sie erheben nicht den Anspruch, die Gesamtheit aller Lösungsvorschläge abzudecken. Potenzielle Lösungsansätze für das institutionelle und strukturelle Demokratiedefizit der EUInstitutionelles DemokratiedefizitIn ihrem Beitrag "Neue Governance-Formen als Erweiterung der europäischen Demokratie" (2017) nennt Gesine Schwan eine bessere Zusammenarbeit von europäischen und nationalen Parlamentariern als Stellschraube für mehr demokratische Teilhabe. Die Überwindung des Gegensatzes zwischen "renationalisierender" und "supranationaler" europäischer Integration hätte einige Vorteile. Beispielsweise bewirke diese "verschränkte Parlamentarisierung" (S. 158), wie sie diese Form der Zusammenarbeit nennt, eine bessere Verständigung über die Perspektiven von nationalen und europäischen Abgeordneten. Außerdem führe der intensivere Austausch zu einer früheren Information der nationalen Parlamentarier über Debatten und Entscheidungen im Europäischen Parlament. Dies hat folgende, demokratiefördernde Konsequenzen: Einerseits gebe es dadurch eine breitere öffentliche Diskussion und eine daraus resultierende Legitimation. Andererseits eine verstärkte parlamentarische Kontrolle. Einen Einbezug von Wissenschaft und Medien hält Schwan für geboten. Zusätzlich fördere dies die grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation. Nach wie vor, bemängelt Schwan, existiere ein Mangel an intermediären Vermittlerstrukturen in der Europäischen Union, was beispielsweise Medien, Parteien und Verbände betrifft. Etwas konkreter wird Frank Decker in seinem Beitrag "Weniger Konsens, mehr Wettbewerb: Ansatzpunkte einer institutionellen Reform" (2017). Er benennt die seiner Meinung nach drei wichtigsten "demokratischen Stellschrauben" (S. 167), um das institutionelle Demokratiedefizit zu beheben. Er sieht im einheitlichen Wahlrecht, in der Wahl des Kommissionspräsidenten und der Bestellung der Gesamtkommission Potenziale, um die Europäische Union institutionell zu legitimieren.Decker moniert, dass gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, Art. 223 Abs. 1) ein einheitliches Wahlrecht längst hätte erfüllt sein müssen (vgl. Decker 2017, S. 168). Nun gebe es die "paradoxe Situation" (ebd.), dass europäische Parteien zwar den Parlamentsbetrieb bestimmen, bei den Europawahlen aber nach wie vor nur die nationalen Parteien kandidieren (vgl.: ebd.). Eine Aufhebung dieser Tatsache sieht Decker in einer "Einführung eines europaweiten Verhältniswahlsystems mit moderater Sperrklausel" (ebd.). Diese wäre ein starker Anreiz dafür, sich als Parteien zusammenzuschließen, was einerseits der Fragmentierung im Europäischen Parlament entgegenwirken würde und andererseits förderlich für die Arbeitsfähigkeit des EP wäre. Diese Regelung würde zudem zu einer Vereinheitlichung des Wahlsystems innerhalb der Europäischen Union beitragen. Die Mitgliedsstaaten dürften weiterhin selbst entscheiden, wie das Wahlrecht genau geregelt ist und wie die Wahl durchgeführt wird. Unbedingt geboten sei hingegen eine Wahlpflicht oder alternativ eine Verteilung der Sitze nach der Wahlbeteiligung. So würde ein Anreiz für eine hohe Teilnahme geschaffen werden und die Wahlen für das EP könnten ihre Bewertung als Nebenwahl ein wenig verlieren. Jede*r EU-Bürger*in hätte nach wie vor eine Stimme, die er/sie bei der Verhältniswahl mit "starren Listen" vergeben darf (ebd., S. 170). Auf diese Weise, schlussfolgert Decker, könnte mit der heutigen Diskrepanz zwischen Parteiensystem auf der parlamentarischen und elektoralen Ebene gebrochen werden (vgl.: ebd.). Die Wahl der/des Kommissionspräsident*in ist eine weitere Stellschraube, mit der man Decker zufolge das institutionelle Demokratiedefizit der EU schmälern kann. Für zentral hält er die Frage nach dem Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Decker schlägt an dieser Stelle das präsidentielle System vor, mit der Begründung, dass die Bürger*innen selbst die Chance hätten, ihre*n Präsident*in direkt zu wählen. Ob der/die Kommissionspräsident*in mit relativer oder absoluter Mehrheit gewählt wird, müsste geklärt werden. Die Wahl des/der Kommissionspräsident*in auf diese Art zu verändern, würde zum einen dafür sorgen, dass "[d]ie europäische Politik […] endlich ein Gesicht [bekäme]" (ebd., S. 174). Zum anderen würde diese Änderung dazu führen, dass die EU eine wählbare Exekutive hätte, was einer Regierung im nationalstaatlichen Sinn gleichkäme. Ebenso sieht Decker die Bestellung der Kommissare kritisch. Momentan ist das Gremium durch den gleichberechtigten Vertretungsanspruch aller Mitgliedsstaaten zu groß, was negative Auswirkungen auf die Arbeitsweise hat (vgl.: ebd., S. 175). Daneben kann der/die Kommissionspräsident*in kaum Einfluss auf die Auswahl der Kommissare nehmen, was zur Folge hat, dass "[d]ie Zusammensetzung der Kommission […] insofern eher die nationalen Wahlergebnisse [reflektiert] als das Ergebnis der Europawahlen" (ebd.). Deswegen schlägt Decker vor, dem/der direkt gewählten Kommissionspräsident*in das Recht zu erteilen, die Kommissare selbst zu ernennen. Alternativ könnten die Wähler*innen befugt werden, neben dem/der Präsident*in noch die Kommissar*innen zu wählen (vgl.: ebd., S. 176). Dies, so Decker, würde die Kommission nicht nur weiter demokratisch aufwerten, sondern wäre auch ein Beitrag zur Europäisierung der Europawahlen. Antoine Vauchez geht in seinem Beitrag "Die Regierung der 'Unabhängigen': Überlegungen zur Demokratisierung der EU" (2017) auf die mangelnde Transparenz mancher Institutionen der Europäischen Union ein. Er merkt bezüglich der Demokratisierung an:"Um die Stellung dieser Institutionen [gemeint sind hier Kommission, Zentralbank und EuGH, Anm. A.B.] im politischen Prozess neu zu justieren, muss man an den drei Säulen rütteln, auf denen ihre Autorität in der europäischen Politik bislang beruhte: der vollständigen Souveränität in der Auslegung ihres Mandats, dem Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität in ihren Diagnosen und Urteilen und einem bestimmten Verständnis von Unabhängigkeit als Abgrenzung von den vorhandenen politischen und sozialen Interessen. Diese Trias bildet eine Blockade, die zu durchbrechen jede Demokratisierungsstrategie bemüht sein muss" (Vauchez 2017, S. 187f.). Vauchez prangert Kommission, EuGH und EZB als "Mysterien des Staates" (ebd., S. 188) an. Beispielsweise mische sich die EZB inzwischen in Bereiche wie "das Rentensystem, die Lohnpolitik, das Arbeitsrecht und die Organisation des Staatswesens" ein (ebd.). Ähnliches gilt für den Europäischen Gerichtshof. In diesen Institutionen liege damit auch Regierungsgewalt. Deren Mandate sollten politisch erweitert werden, um dem Demokratiedefizit entgegenzuwirken. Antoine Vauchez vertritt deswegen die Ansicht, dass Themen, die in diesen Institutionen behandelt werden, "das Produkt öffentlicher Debatten und Auseinandersetzungen […] in einer Vielzahl nationaler und transnationaler Arenen [sein sollten]" (ebd.). Er nennt als Beispiel das Europäische Parlament, schließt aber andere politische Mittel, um EuGH und EZB zu überprüfen, wie beispielsweise das Frühwarnsystem, das mit dem Lissabonner Vertrag eingeführt wurde, nicht aus. Hierbei können "[e]ine Mindestzahl von einem Drittel der nationalen Parlamente […] den Entwurf eines Gesetzgebungsaktes vor die Kommission bringen, wenn er die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit missachtet" (ebd., S. 189). Die Kommission sollte die Möglichkeit haben, Entscheidungen von EZB und EuGH für nichtig erklären zu können, sollten "diese den von der Union zu vertretenden 'Werten, Zielen und Interessen' [entgegenstehen]" (ebd.).Um der Intransparenz der Arbeitsweise dieser EU-Institutionen entgegenzuwirken, schlägt Vauchez zudem vor, der Öffentlichkeit Zugang zu Archiven, Daten, vorbereitenden Dokumenten und Beratungsprotokollen zu verschaffen. Auch hier hält er die Schaffung eines öffentlichen Forums für Dissens und Diskussion für notwendig (vgl.: ebd., S. 190). Abschließend hält es Vauchez für geboten, den repräsentativen Charakter der 'unabhängigen' Institutionen zu stärken. Damit meint er nicht nur die Repräsentanz aller Mitgliedsstaaten, sondern auch die Abbildung der Komplexität und Vielfalt der Bürger*innen der Europäischen Union in den Gremien und Ausschüssen der Institutionen. So, schlussfolgert Vauchez, stelle "man letztlich die Fähigkeit unter Beweis, ein europäisches Allgemeininteresse zu verkörpern" (ebd., S. 191). Institutionelle Reformen, wie sie hier gefordert werden, sind prinzipiell möglich. Doch kann mit ihnen allein das strukturelle Demokratiedefizit nicht behoben werden (vgl. Bartolini 2000, S. 156, zitiert nach: Schäfer 2006, S. 356). Strukturelles Demokratiedefizit Das strukturelle Demokratiedefizit beruht darauf, dass es kein europäisches Wir-Gefühl bzw. kein europäisches Volk im Sinne eines Staatsvolkes gibt. Dabei verfolgt die EU bereits seit geraumer Zeit eine Politik, die identitätsstiftend sein soll (vgl.: Thalmaier 2006, S. 4). Seit den 1970er Jahren haben Parlament und Kommission versucht, die EU-Bürgerschaft voranzutreiben und die europäischen Bürger*innen an europäische Themen heranzuführen (vgl.: Wiener 2006, S. 8). Diese Politik hat bisher jedoch nicht zu einem 'Wir-Gefühl' geführt (vgl.: ebd.). Doch möchte die EU ihr strukturelles Demokratiedefizit schmälern, ist sie auf ebenjenes 'Wir-Gefühl' angewiesen, denn eine Unterstützung wird von den Bürger*innen für die Europäische Union unbedingt gebraucht. Thalmaier (2006) unterscheidet hierbei zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung. Während Bürger*innen ein politisches System spezifisch unterstützen, wenn es Ergebnisse hervorbringt, die den Interessen der Bürger*innen entsprechen, beschreibt die diffuse Unterstützung ein Vertrauen und eine Identifikation mit einem System, auch wenn die eigenen Interessen nicht immer durchgesetzt werden (vgl.: ebd., S. 6). Auf dieses grundsätzliche Vertrauen in das Handeln der Institutionen ist die Europäische Union als politisches System angewiesen. Eine kollektive Identität, die jedoch nicht mit einer nationalen Identität vergleichbar sein soll, ist dabei unerlässlich. Die Behebung des Öffentlichkeitsdefizit ist bei der Herausbildung einer kollektiven Identität erforderlich. Thalmaier schreibt deswegen, dass die "Ausbildung einer europäischen Identität […] entscheidend von der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit [abhängt]" (ebd., S. 10). Zu lange habe es eine mangelnde Dynamik in der europapolitischen Kommunikation gegeben. Eine "stärkere Politisierung europäischer Politik" ist geboten, um eine europäische Öffentlichkeit überhaupt herauszubilden (ebd., S. 12). Daneben soll die Identitätserweiterung für eine kollektive Identität sorgen. Sie soll nach Thalmaier über die Schließung von Wissensdefiziten und -lücken über die Europäische Union erreicht werden. Der Schule kommt hier eine tragende Rolle zu. Deren Lehrpläne sollen angepasst und europäisiert werden, sodass die Bildungsinhalte in Fremdsprachen oder auch in sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern die europäische Ebene beleuchten. Dadurch soll zusätzlich die Relevanz der Europäischen Union vermittelt werden. Das minimiere die Fremdheit der EU (vgl.: ebd., S. 10) und könne identitätsstiftend wirken. Schließlich, so Thalmaier, erreiche man eine Reduzierung des strukturellen Demokratiedefizits nicht ohne eine Schaffung von mehr Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger*innen bei Themen, die die Politik der EU betreffen. Neben institutionellen Reformen, die in diesem Beitrag bereits thematisiert wurden, spricht sich Thalmaier für europaweite Referenden aus, beispielsweise bei Angelegenheiten, die das Primärrecht oder EU-Beitritte betreffen. Dazu gehöre ein intensiver Austausch mit den Bürger*innen der Europäischen Union. Bereits im Weißbuch der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2006 ist ein Austausch und Dialog in der Dienstleistungsrichtlinie festgeschrieben. Bisher wird sie jedoch wenig genutzt. Thalmaier schlägt deswegen vor, enger in den Austausch mit den EU-Bürger*innen zu gehen. Eine Begründung jedes Projekts in einem öffentlichen Interaktionsprozess sei geboten, genauso sollte um Zustimmung für jede politische Neuerung auf EU-Ebene gerungen werden. Neue Wege der Kommunikation und des Dialogs mit Bürger*innen seien dabei zentral. Mehr Interaktion und Kommunikation schlägt auch Antje Wiener in ihrem Artikel "Bürgerschaft jenseits des Staates" (2006) vor, um die EU-Identität zu stärken und das strukturelle Demokratiedefizit zu mindern. Insbesondere die "Kommunikation über europäische Rechte innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten sowie intra- oder transeuropäisch in den entsprechenden institutionellen beziehungsweise medialen Kontexten, kurz jede Art von öffentlicher Diskussion zum Thema Rechte" (ebd., S. 11), trage dazu bei und mobilisiere auch das "Interesse am europäischen Projekt" (ebd.). Interaktion mit Institutionen, (EU-)Politiker*innen und Mitbürger*innen hätten das Potenzial, zu mehr "Staats- und Gemeinschaftsbildung" (ebd.) zu führen und die Bürger*innen enger an die EU zu binden. Durch Teilhabe und Teilnahme "im öffentlichen Diskurs soll eine zivile republikanische Identität geschaffen werden" (ebd.).Ähnliches fordert Ulrike Guérot, wenn es um die "Ausgestaltung einer europäischen Demokratie geht" (2018, S. 71). Damit "Europa" (ebd., S. 76) entstehe, brauche es Gemeinsames in der Europäischen Union über einheitliche bürgerliche und soziale Rechte. Sie argumentiert: "Es ist die Konvergenz von Recht, die Gemeinsamkeit entstehen lässt. In diesem Fall von Wahlrecht, Steuerrecht und sozialen Anspruchsrechten" (ebd.). Einigkeit und Einheitlichkeit seien auf dem europäischen Markt gegeben, bei den Bürger*innen sei Europa ihrer Ansicht nach aber noch zu fragmentiert. Solle sich daran etwas ändern, müsse mehr Gleichheit geschaffen werden, was am ehesten durch gemeinsame Rechte und Gesetze passiere. Guérot spricht hierbei von einem "Paradigmenwechsel" (ebd., S. 75) hin zu mehr Demokratie. Denn sollte einheitliches europäisches Recht eingeführt werden, wende man sich hin zu einer "Europäischen Republik, bei der die Souveränität bei den Bürger*innen Europas liegt […]" (ebd.). Kritik an diesen Ansätzen einer Demokratisierung der EU Kritiker*innen dieser Vorschläge sehen in einer "politisierte[n] EU eine Lähmung" der Europäischen Union (Schäfer 2006, S. 357). Für sie stellt die EU einen starren Verwaltungsapparat dar, "[e]ine Bürokratie, die sachlich und zielgerichtet arbeitet [und die] vom politischen Tagesgeschäft abgeschottet werden [muss]" (ebd.; Føllesdal/Hix, 2006, S. 538). Kritiker*innen sehen das Problem nicht in einem fehlenden Demos oder mangelnder Beteiligung der Bürger*innen, sondern in "vielfältigen Blockaden" (Schäfer 2006, S. 357) bei der Entscheidungsfindung und -durchsetzung. Ihrer Ansicht nach müsse die Europäische Union effizienter sein, um an Legitimität zu gewinnen, was nicht durch eine Demokratisierung erreicht werden könne (vgl.: ebd.). Schließlich müsse das Gemeinwohl über den Partikularinteressen der aktuellen Regierungen stehen. Für diejenigen, die einer Demokratisierung skeptisch gegenüberstehen, ist die Europäische Union bereits jetzt eine "aufgeklärte Bürokratie, die im Interesse der Bevölkerung entscheidet" (ebd./vgl.: Føllesdal/Hix, 2006, S. 546). Eine Demokratisierung bzw. "Politisierung der Europäischen Union liefe ihrem Aufgabenprofil zuwider" (Schäfer 2006, S. 357). Ebenso merken Kritiker*innen an, dass Macht in der EU geteilt werde und Entscheidungen durch Verhandlungen und nicht durch "Hierarchie" zustande kämen (vgl.: ebd., S. 360). Würde Macht in einem so fragmentierten Raum wie Europa zentralisiert, müsse das "für Minderheiten bedrohlich wirken" (ebd.). Zudem gründe der Erfolg des Konkordanzsystems der EU auf dem "Verzicht auf partizipatorische Entscheidungsverfahren" (ebd.). Gerade das Demokratiedefizit, so die Kritiker*innen, sei deshalb der wesentliche Faktor für den Zusammenhalt der Europäischen Union. Fazit und Ausblick Das sogenannte Demokratiedefizit existiert in institutioneller und struktureller Form. Das Problem ist dabei nicht unbekannt und es wird auf EU-Ebene durchaus versucht, es zu beheben. Reformvorschläge, beispielsweise von führenden Politikwissenschaftler*innen, gibt es zuhauf. Institutionell wird vorgeschlagen, dass sich verschiedene Organe der EU durch demokratische Wahlen legitimieren. Bei den Lösungsvorschlägen wird hierbei häufig auf die Kommission und die Wahl der/des Präsident*in und die Bestimmung der Beamten eingegangen. Eine (direkte) Wahl der/des Präsident*in und gegebenenfalls der Beamten würde das Interesse an der Europäischen Union stärken und das Demokratiedefizit schmälern. Andere Organe, wie beispielsweise der EuGH und die EZB sollten in ihrer Arbeitsweise transparenter werden, indem sie ihre Vorhaben/Gesetzesinitiativen vorab bekanntgeben, sodass sie in öffentlichen Debatten diskutiert werden können. Ein weniger auf konkrete Organe zugeschnittener Vorschlag ist ein engerer Austausch zwischen nationalen Parlamenten und dem EP. Um das strukturelle Demokratiedefizit zu beheben, ist eine europäische Öffentlichkeit, bzw. deren Herausbildung, von besonderer Bedeutung. Stellschrauben sind hier ein intensiver Austausch mit den EU-Bürger*innen und europaweite Referenden. Eine andere wäre die Europäisierung des Schulcurriculums. Damit könnte die Bedeutung der EU vermittelt und Wissenslücken über sie geschlossen werden. Tiefgreifender sind Forderungen nach gleichen Rechten und Pflichten für EU-Bürger*innen in allen Mitgliedsstaaten. Dies würde sicherlich zu einer höheren Identifikation mit der EU und den Mitbürger*innen führen – und somit zu einem Abbau des strukturellen Demokratiedefizits –, bräuchte jedoch weitreichende institutionelle Veränderungen und somit die Zustimmung der Mitgliedsstaaten zu einer EU in supranationalem Gewand.Kritiker*innen einer Demokratisierung der EU stellen sich deswegen die Frage, ob die EU überhaupt einen Demokratisierungsprozess durchlaufen soll. Für sie ist die Union bereits jetzt eine demokratisch legitimierte Gemeinschaft, die effizient und zielgerichtet arbeitet. Eine Demokratisierung, so die Kritiker*innen, laufe dem Aufgabenprofil der "aufgeklärten Bürokratie" (Føllesdal/Hix, 2006, S. 546) zuwider und ist zwecks Effizienzmangel deshalb gar nicht wünschenswert. Die Europäische Union steht vor einem Dilemma: Einerseits fehlt ihr demokratische Legitimität, wie sie in Nationalstaaten vorhanden ist, beispielsweise durch eine wähl- und abwählbare Regierung, gleiche Wahlen mit bedeutendem, europäischem Wahlkampf und Transparenz. Andererseits ist sie, qua Ursprung, eine effiziente Bürokratie, die dem Ziel des Wohlstandserhalts verpflichtet ist. LiteraturverzeichnisAbels, Gabriele (2020): Legitimität, Legitimation und das Demokratiedefizit der Europäischen Union. In: Becker, Peter/Lippert, Barbara (Hrsg.): Handbuch Europäische Union, SpringerVS: Wiesbaden, S. 175-193.(AEUV) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2009): Sechster Teil: Institutionelle Bestimmungen und Finanzvorschriften, Titel I: Vorschriften über die Organe, Abschnitt 1: Das Europäische Parlament (Art. 223). Abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/AEUV/223.html [zuletzt abgerufen am 23.01.2023].Andersen, Uwe (Hrsg.) (2014): Das Europa der Bürger. 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