Zunächst erläutern die Verfasser den Traditionsbegriff in seiner Bedeutung für das Militär. Am Beispiel der Bundeswehr wird dann illustriert, wie sich Traditionen in Symbolen, Zeremonien und Ritualen konkretisieren und welche historischen Inhalte als traditionsbildend gelten. Dabei wird herausgearbeitet, nach welchem Muster und mit welchen Institutionen die öffentliche, politische und militärischen Diskussion lange Zeit um die Traditionspflege der Bundeswehr geführt wurde und wie das Meinungsbild dazu in der Bevölkerung sowie bei den Soldaten aussieht. Danach wird anhand des 2009 eingerichteten Ehrenmals der Bundeswehr die Herausbildung eines neuen Umgangs mit militärischer Tradition in Politik und Gesellschaft diskutiert, bevor abschließend auf die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen eingegangen wird, die sich vor diesem Hintergrund ergeben. (ICE2)
Um die Frage zu beantworten, warum das Thema "Militär und Tradition" in Deutschland eine hohe politische und gesellschaftliche Brisanz besitzt, müssen sowohl die grundlegenden Funktionen von Tradition im Militär als auch die Hintergründe der intensiven und über mehrere Jahrzehnte betriebenen Suche nach einer angemessenen Tradition für die Bundeswehr beleuchtet werden. Im vorliegenden Aufsatz wird daher zunächst der Traditionsbegriff in seiner Bedeutung für das Militär erläutert. Am Beispiel der Bundeswehr wird anschließend verdeutlicht, wie sich Traditionen in Symbolen, Zeremonien und Ritualen konkretisieren und welche historischen Inhalte als traditionsbildend gelten. Dabei wird herausgearbeitet, nach welchem Muster und mit welchen Intentionen die öffentliche, politische und militärische Diskussion um die Bundeswehrtradition geführt wird und welche Einstellungen die deutsche Bevölkerung und die Soldaten zur Tradition haben. Ferner werden empirische Studien zur Tradition in der Bundeswehr vorgestellt und es wird die Bedeutung von Tradition als reflexiver Umgang mit der Vergangenheit diskutiert. (ICI2)
Knapp ein Jahr, nachdem sich in Deutschland die Burschenschaftsbewegung zum "legendären Fest" auf der Wartburg versammelt hatte, wurde 1819 die erste Studentenverbindung in der Schweiz gegründet ("Zofingerverein"). Die Autorin skizziert ausgehend von dieser Gründung die weitere Entwicklung und Aufspaltung der Studentenverbindungen in der Schweiz. Sie analysiert Inhalt und Qualität des verbindungsstudentischen Habitus im 19. Jahrhundert. Dieser sei fast ausschließlich in Form von Bier- und Fechtcomments festgelegt worden. Erläutert werden Duell und Mensur als wichtige Aspekte der Verbindungen. Im sog. "Biercomment" wurde z.B. ein körperlicher Kontrollverlust rituell begangen. Durch ihr Repertoire an Ritualen und Zeremonien unterschieden sich Studentenverbindungen von anderen geschlechtsspezifischen Vereinen dieser Zeit. Mit der Schwerpunktverschiebung von der pareipolitischen Ausrichtung der Verbindungen zum Primat der verbindungsstudentischen Formen habe im Schweizer Verbindungswesen jedoch eine Verschiebung von der Staatspolitik zur Geschlechterpolitik stattgefunden. Ab den 1870er Jahren bildete die Geschlechterpolitik als Primat der Erziehung zur verbindungsstudentischen Männlichkeit das Fundament für die Staatspolitik der Verbindungsmitglieder, so ein Fazit. (rk)
Am Beispiel eines Vorfalls von 1794 untersucht der Aufsatz die Entwicklung weltanschaulicher und politischer Vorstellungen unter den Handwerkern Wiens. Quellenbasis bilden Polizeiberichte, Prozeßprotokolle, Pfarrakten. 1794 wurden in Wien einige Handwerker, vor allem Schuhmacher, verhaftet und wegen aufrührerischer Aktivitäten angeklagt. Die betroffene Gruppe von Handwerkern hatte aufklärerisches Gedankengut rezipiert und dabei zunächst eine kritische Haltung zu den religiösen Zeremonien und Bräuchen entwickelt, die sie in erster Linie als Einschränkungen in der freien Verfügung über ihre Arbeitszeit empfanden. In der Folge weitete sich ihre Kritik jedoch zu einer generell atheistischen Position und einer Ablehnung der Religion als falsche Glücksperspektive und als Priesterbetrug zur Schädigung des Volkes aus. Schließlich wurde auch die politische Ebene in die Kritik einbezogen. Die Angeklagten hatten damit versucht, aufklärerische Ideen in umfassendes emanzipatorisches Handeln umzusetzen. Das Überschreiten privaten Räsonierens in Richtung politischer Agitation konnte die Obrigkeit auch des josephinisch geprägten Staates nicht hinnehmen, die angeklagten Handwerker wurden verurteilt. (BJ)
Die Parlamente in Europa weisen nach der These der Autorin einen symbolischen und einen instrumentellen Repräsentationscharakter auf. Unter instrumentellem Aspekt repräsentiert ein modernes Parlament das ganze Volk in dem Sinne, dass es verbindliche Entscheidungen produziert, die der Gesamtheit zugerechnet werden, so als hätten alle zugestimmt; es macht also das politische Ganze überhaupt erst als solches handlungsfähig. Unter symbolischem Aspekt repräsentiert das Parlament vor allem die politischen Leitwerte des Parlamentarismus selbst, die zugleich Leitwerte der gesamten politischen Kultur sind: vor allem das diskursförmige, sachliche, nicht-persönliche, verfahrensmäßige Austragen von gesellschaftlichen Konflikten und Kontroversen. Ohne die symbolische Dimension sind allerdings der politische Raum im Allgemeinen und parlamentarische Kulturen im Besonderen nicht zu denken. Das scheinbar Paradoxe an den modernen Parlamenten ist die Tatsache, dass gerade die sachlich-rationalen Debatten eine symbolische Botschaft transportieren. Die symbolischen Elemente des Parlamentarischen beschränken sich somit keineswegs auf die altertümlichen Reste förmlicher Zeremonien oder auf explizite Symbole wie die Nationalfahne oder den Bundesadler. Im Gegenteil: Viel wesentlicher ist die implizite Symbolik der parlamentarischen Verfahren selbst. Sie entfalten gerade dann ihre Wirkung, wenn sie vollkommen unzeremoniell, nüchtern und schlicht sind. (ICI2)
Der Beitrag entfaltet eine neue Dimension der Relation von Gefühl und Geschlecht im Kontext moderner Arbeitsorganisationen. Differenziert wird in drei Grund- bzw. Idealtypen der Arbeitsorganisation: Bürokratie, Gemeinschaft und Ich-AG, in denen die Gefühl/Gender-Relationen neu zugeordnet werden. Als relativ eindeutiges Ergebnis der Analyse kann festgehalten werden, dass in der Bürokratie Gefühle als Störfaktor gelten und deshalb ausgegrenzt werden, während sie sowohl in der Gemeinschaft als auch in der Ich-AG als Produktionsfaktoren gesehen und instrumentalisiert werden. Die Autorin schlägt vor, die drei Typen als Komponenten von Organisationen überhaupt zu verstehen. So ist die "Vergemeinschaftungsdimension" ein Bestandteil des Organisationskonstrukts bzw. der Hervorbringung von Organisationen. Wird diese Sichtweise auch auf die Bürokratie und die Ich-AG angewendet, finden sich z. B. in einer Universität sowohl bürokratische Elemente (z.B. die Regelungen der Studien- und Prüfungsordnung) als auch vergemeinschaftende (z.B. Zeremonien wie Antrittsvorlesungen oder feierliche Verabschiedungen der Studierenden, und kollektive Forschungsschwerpunkte), und schließlich können die dort tätigen Wissenschaftlerinnen auch als Prototypen von Ich-AGs betrachtet werden (z.B., wenn sie individuelle Profilierungen bzw. Schwerpunktsetzungen vornehmen). So gesehen, erscheinen Bürokratie, Gemeinschaft und Ich-AG nicht als säuberlich getrennt oder trennbar, sondern als miteinander verwoben oder verflochten. (ICA2)
"Reden ausländischer Gäste im Parlament stehen auf doppelte Weise unter dem Signum der Fremdheit: In den meisten Staaten sind sie in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen und bilden eine Ausnahme im parlamentarischen Geschäft. Sie sind sehr formalisiert, feierlich und zugleich oft sehr schlicht. Diese Reden sind per definitionem außergewöhnlich, gehören aber zum protokollarischen Ritual. Ihre Besonderheit liegt nicht nur in der Addition des Außerordentlichen und Ritualisierten, sondern auch in der Fremdheit der Redner, die keine Mitglieder des Parlaments und darüber hinaus ausländischer Staatsangehörigkeit sind. Zudem entsteht aufgrund einer Rede ohne Aussprache eine besondere Kommunikationssituation. Es handelt sich um die Botschaft eines Gastes, der in seiner Position, Funktion und Eignung etwas Besonderes vertritt und im Plenum eine Botschaft an die Volksvertreter richtet. Handelt es sich also um eine klassische Zeremonie als Akt der symbolisierenden Politikrepräsentation' oder besitzen diese Sondersituationen möglicherweise eine andere Funktion? Die Besonderheit dieser Veranstaltungen liegt in ihrer Seltenheit, mit einigen Unterschieden zwischen den jeweiligen Ländern. Während vor dem amerikanischen Kongress jährlich durchschnittlich drei ausländische Staats- und Regierungschefs an das gesetzgebende Organ eine 'Adresse' richten, haben in Kanada in 70 Jahren insgesamt nur fünf Gäste vor dem Parlament geredet. In der französischen Assemblée Nationale gehörte bis 1993 die Zulassung fremder Gäste an das Rednerpult nicht zu den parlamentarischen Usancen, nachdem im Jahre 1919 der amerikanische Präsident Woodrow Wilson als letzter ausländischer Staatschef im Palais Bourbon gesprochen hatte. So vermochten die Franzosen 1983 die Einladung an Staatspräsident Mitterrand, vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen, nicht in gleicher Weise zu erwidern, so dass Bundeskanzler Kohl am folgenden Tag in Paris nur im Hotel de la Monnaie eine Rede halten konnte. Im Jahr 1994 führte Parlamentspräsident Philippe Seuin die neue Praxis ein; das Privileg ist seitdem aber den Staats- und Regierungschefs, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und dem Präsidenten der Europäischen Kommission vorbehalten. Als erster ausländischer Staatsgast sprach demnach 1994 der König von Spanien im Palais Bourbon; nach ihm durften es verschiedene Regierungschefs, beispielsweise aus den Vereinigten Staaten, Marokko, China, sowie aus Deutschland Bundeskanzler Schröder im November 1999. Bis 2010 traten 16 ausländische Gäste an das Rednerpult der französischen Volksvertretung. Im internationalen Vergleich sind die Einladungen des Deutschen Bundestages relativ häufig. Die klare Tendenz zu einer 'Inflation' solcher Feierlichkeiten ist sowohl auf die Einrichtung von jährlichen Gedenk- und Feierstunden mit ausländischen Gästen als auch auf ein verändertes Verhältnis des Parlaments zu seiner Umwelt im medialen Kommunikationsnetz zurückzuführen. Insofern stellt die Bundesrepublik einen interessanten Fall dar, an dem sich das Phänomen mit einem dreifachen Ansatz gut beobachten und analysieren lässt: Erstens mit der konstruktivistischen Fragestellung nach der Sinngebung bei diesem besonderen Ritual des Außerordentlichen; zweitens nach einem realistischen Interpretationsmuster von Nutzen und Interesse, mit der Frage nach dem Verhältnis von Form und Botschaft in der Kommunikation; drittens mit der Beobachtung des Handelns in einer spezifischen Öffentlichkeit mit dem Ziel, Performanz, Austausch und Rezeption im Kommunikationsraum des Parlaments und außerhalb des Parlaments ans Licht zu bringen." (Textauszug)