In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 1211-1227
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie, ehedem eine Vereinigung von Wissenschaftlern für Wissenschaftler, hat mit der Erweiterung der Mitgliedschaft für Nicht-Wissenschaftler ein Zeichen gesetzt, das eine erhebliche Verunsicherung der Disziplin signalisiert. Diese Verunsicherung wir auch in den organisationalen Ausformungen der Soziologie an deutschen Hochschulen sichtbar, exemplarisch am Beispiel der "Lehrforschungsprojekte", die Forschung nicht akzeptablen Restriktionen unterwerfen. Das Modell, anhand dessen die Lernenden in die Forschung eingeführt werden, muss vielmehr die eigene Forschung der Lehrenden sein, deren Offenheit in der Lehre noch durchscheint. Mit dem Bachelor-Studiengang - der groteskerweise sowohl berufsvorbereitend als auch generalistisch sein soll - wird dagegen eine Verschulung des Soziologiestudiums betrieben. Diese Studiengänge degradieren die Soziologie zum Nebenfachangebot für andere Studiengänge. Die deutsche Soziologie läuft Gefahr, zwischen der Scylla der angemaßten Praxis und der Charybdis der aufgegebenen Wissenschaftlichkeit in die Bedeutungslosigkeit zu segeln. (ICE)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 4509-4519
"Das oft spontane und episodische Engagement ist gerade für Organisationen des Non-Profit Bereichs prekär. Langfristige Bindungen von Akteuren sind nur in Aushandlungen über die individuellen Bedingungen von Ankommen und Mitmachen der Akteure in Organisationsstrukturen zu erreichen, die im Vortrag als 'Verortung' beschrieben werden. Hier werden Einschluss und Ausschluss individueller und organisationaler Optionen realisiert, wobei sich unvermeidlich Ungleichheit einstellt. Das Verortungsmodell bezeichnet die Einheit dreier zirkulär verknüpfter Relationierungen zwischen Individuen und Gemeinschaften, nämlich Zugehörigkeitsbehauptungen, Vertrauensbildung und Anerkennungsprozesse. Damit ist eine alternative Beschreibung der gegenseitigen Bindung von Akteuren und Organisation möglich, indem zu zeigen ist, wie gegenseitige Ansprüche an sozialem Kapital aufgestellt, verhandelt und eingelöst werden. Ungleichheit wird dabei durch zunehmende Reflexivität und Individualität verstärkt. So stellt Vorortung heute erhöhte Anforderungen an die Selbstbehauptung der Individuen, wie auch an die Leistungsfähigkeit der Organisationsstrukturen. Auf welche Art und Weise Organisationen und Individuen unter unterschiedlichen Bedingungen zusammenfinden und sich der Verortungsprozess realisiert, zeigen Ergebnisse einer organisationsvergleichenden Studie im Forschungsprojekt 'Reflexive Individualisierung und posttraditionale Ligaturen' des SFB 536. Die Befunde sind Ausgangspunkt für eine Diskussion über die im Verortungsprozess angelegte Reproduktion von Ungleichheiten sein." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 2105-2114
"Der Vortrag wird auf der Grundlage von qualitativen Interviews die Frage nachgehen, wie kollektive Identität und ihre Beziehung zur Staatsbürgerschaft unter den Bedingungen der Entkoppelung von Nationalstaaten und erhöhter Mobilität gestaltet wird. Im Laufe der Untersuchung wurde deutlich, dass die Organisation, in der die interviewten Individuen arbeiten, einige der Funktionen des Nationalstaat übernimmt, z.B. löst sie von nationalstaatlichen Steuer-, Recht- Renten und Gesundheitssystemen. Außerdem beeinflusst die Arbeit in der Organisation die Lebensführung, z.B. wird oft temporäre Migration und erhöhte Mobilität erforderlich. Lebensstile und die Familie selbst werden internationalisiert. In diesem Kontext wird die nationalstaatliche und ethnische kollektive Identität in Frage gestellt und andere Fragen werden relevant: Gibt es in dieser Gruppe eine kollektive Identität? Was zeichnet kollektive Identitäten aus, die sich nicht länger auf einen Nationalstaat beziehen? Es zeigt sich, dass die Organisation zwar eine Bindung für die Mitarbeiter schafft, die funktional an die Stelle des Nationalstaats tritt, aber man kann diese Identität nicht mit der nationalstaatlichen Einbindung vergleichen. Sie zeigt, z.B. keine dauerhafte Kontinuität in der Zeit. Die (National)Staatsbürgerschaft wird oft zu einer leeren, rein rechtlichen Kategorie. Zugleich tauchen nationalstaatliche Bezüge immer wieder auf. Es gibt verschiedene Kontexte, in denen die (private-) kollektive Identität explizit und diskursiv oder selbstverständlich und unartikuliert wird. Man kann die These wagen, dass sich kollektive Identitäten außerhalb eines nationalstaatlichen Kontexts individualisieren und mobilisieren. Die kollektive Identität wird aus dem nationalstaatlichen Rahmen enthoben und entterritorialisiert, ohne dass dies die untersuchten Individuen belasten würde. Eher entsteht eine Bedrohung für die Nationalstaaten, die die Konzepte der Staatsbürgerschaft und ihre Immigrationsgesetze überdenken müssen. Es wäre verfehlt, eine am Nationalstaat orientierte kollektive Identität auf transnationaler Ebene zu vermuten. Es sind aber Identitäten zu beobachten, die der nationalstaatlichen ähneln und zugleich den nationalstaatlichen Bürgerschafts- und Identitätsbegriff in Frage stellen." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 4549-4561
"Die Partizipation von Migrant(inn)en in hochqualifizierten Berufen ist nach wie vor sehr gering. Zum Beispiel haben in den neuen, anspruchsvollen IT-Berufen nur ca. 3% der Auszubildenden keine deutsche Staatsangehörigkeit. Die geringe Partizipation von Migrant(inn)en in anspruchsvollen Ausbildungsberufen hat zahlreiche Gründe, die im Rahmen der Bildungs- und Berufsforschung schon eruiert wurden: Schichten- oder Klassenzugehörigkeit, Statuserwerb, Mobilitätsprozesse und soziale Netzwerke, die Verfügung über ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital, aber auch die immer noch zu geringe Beachtung interkultureller Kompetenzen und eine empirisch nachgewiesene institutionelle Diskriminierung von Migrant(inn)en in der Schule werden als Gründe in der Forschungsliteratur genannt. Allerdings bleiben bei diesen Erklärungsansätzen die einzelnen Stationen und Verläufe der Bildungspfade nach wie vor im Dunkeln. Die entscheidenden Schnitt- und Eckpunkte der Migrations-, Bildungs-und Erwerbsbiographien sind bisher unklar geblieben. Zudem impliziert eine rein deduktive Betrachtung einen Automatismus, der einer empirischen Überprüfung nicht standhält. Eine erfolgversprechende methodische Variante, die einen detaillierten und authentischen Einblick in die 'Unsicherheitserfahrungen' und 'Sicherheitskonstruktionen' ermöglicht, bietet die Biographieforschung. Im Rahmen eines EQUAL-Projekts, das die Autoren im Auftrag des Landeszentrum für Zuwanderung (LzZ) NRW durchführen, sind zahlreiche teils leitfadengestützte, teils narrative Interviews mit sog. Expert(in)en und mit Migrant(inn)en gemacht worden, die einen genaueren Einblick in die Biographieverläufe von Migrant(inn)en auf ihren Wegen in IT-Berufen ermöglichen. Als ein Ergebnis stellt sich ein vielfältiges Bündel an Risiken bzw. Unsicherheitserfahrungen in den Biographieverläufen dar, denen zugleich eingeschränkte Chancen bzw. Sicherheitsstrategien gegenüber stehen. Allerdings ist hier nach dem Migrationskontext, der durch Migrationsgrund, -zeitpunkt und Bildungserwerb im Herkunftsland bestimmt wird, zu unterscheiden. Neben dem Migrationskontext spielt aber auch die Art des Umgangs mit der zugewanderten Bevölkerung durch die Aufnahmegesellschaft eine erhebliche Rolle bei der Positionierung dieser Gruppe. Im Rahmen einer Typologie möchten die Autoren Eckpunkte und Pfade der exemplarischen Karriereverläufe präsentieren. Deutlich wird dabei, dass diese zwar migrationsspezifischzu deuten sind, aber nicht einfach auf ethnische und kulturelle Differenzen reduziert werden können." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 4135-4143
Der Beitrag erörtert die These, wonach Staatsgrenzen als politische Symbole und deshalb Grenz(sicherungs)regime - nicht nur, aber auch - als Akte symbolischer Politik begriffen und analysiert werden müssen. Ein solcher Zugang kann eventuell erklären, warum die Regulierung des 'illegalen' Grenzverkehrs allem Anschein nach wenig effektiv (im ökonomischen Sinne) ist. Die Ausführungen zur politischen Symbolhaftigkeit der Grenze gliedern sich in drei Aspekte: Im ersten Schritt wird aus historischer Perspektive die wissenschaftlich-technische Grenzziehung im 19. Jahrhundert im Königreich Sachsen beschrieben. Der zweite Schritt beleuchtet die Vorgehensweise bzw. den Umfang der Grenzsicherung an den Beispielen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den osteuropäischen Nachbarstaaten sowie den EU-Außengrenzen. Grenzsicherungspolitik ist dabei de facto symbolische Politik, weil sie nach innen diejenigen beschwichtigt, die sich bedroht fühlen, und nach außen möglicherweise diejenigen abschreckt, oder zu größerer Vorsicht gemahnt, die sich von der Existenz der Grenze einen Profit versprechen. Der dritte Schritt beleuchtet abschließend den wohl zum Scheitern verurteilten Versuch staatlicher Grenzüberschreitung im Kontext der Wandlung der Grenzlinie zum Grenzraum. Die deutschen Behörden haben diesen Raum diesseits auf einen Dreißig-Kilometer-Streifen festgelegt. Das ist der Bereich, in dem der Bundesgrenzschutz eigenständig polizeilich aktiv werden darf, das heißt: Personen observieren, Personen kontrollieren, Personen festnehmen. Jenseits der Grenze ist per Staatsvertrag eine 500-Meter-Zone für die 'Nacheile' vorgesehen. (ICG2)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 4614-4623
"Part of the study of twentieth-century changes in German, American, English and Dutch manners books focuses on developments in courting and dating. It shows that in all these countries, around the turn of the nineteenth to the twentieth century, young people started to 'date', that is, to go out together, both with and without a chaperone. From the 1920s onward, however, advice on dating, necking and petting, the 'line', the stag line, cutting in, and getting stuck appears in American manners books only. The US dating regime that emerged signified the escape of young people from under parental wings and the formation of a relatively autonomous courting regime of their own, leading to a head start in the emancipation of sexuality and to the rise of the first western youth culture, which was restricted to the USA. This emancipation of young people in the USA made young women less dependent upon their parents, but in regard to their relationship to young men, the dating regime kept women rather dependent upon men and their 'treats'. The then prevalent uneven balance of power between the sexes was institutionalized in an attitude that linked 'petting and paying'. Necking and petting as inherent possibilities made dating highly sexually oriented, but also sexually restrained, as the sexual exploration was to remain without sexual consummation. In that sense, the youth-culture dating code was oriented toward sex and marriage, maintaining the adult-code of abstinence of sex before and outside marriage. The responsibility for sufficiently restrained sexual emotion management was put in the hands of women. This double standard demanded that women developed increasing subtlety in the art of being both naughty and nice, of steering between yielding and rigidity, prudery and coquetry: a highly controlled indulgence of sexual impulses and emotions. This paper focuses on the present-daysocial legacy of the dating regime, which seems to consist of such characteristics as a highly commercialized sex, a fascination with breasts and blow jobs, and two pronounced double standards, one being the continued co-existence of a youth code allowing for sex and an adult code tending to demand abstinence of sex before and outside marriage, with the construction of 'technical virginity' as a bridge between the two. The other double standard consists of dating manners and office manners, the latter tending to demand abstinence of sexual references and allusions in the domain of work. This paper argues that the formalization of male dominance in the dating regimehelps explain why the female emancipation movements that followed the youth culture of the 1960s - a western international one - met with tougher resistance in the USA than in Europe: the reputedly advanced greater freedom of women in America seems to have turned into a deficit." (author's abstract)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 2303-2311
"Die Visionen von Frauenbewegungen zielen auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen: Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis sollen aufgehoben und das Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen nicht nur herausgefordert, es soll beseitigt werden. Vor diesem Hintergrund haben sich verschiedene 'Politikender Gleichheit' etabliert, die einen Wandel im Geschlechterverhältnis befördern sollen. Diese Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterpolitik ist von jeher feministischer Kritik unterzogen worden, was auch aktuell für das auf europäischer und auf nationaler Ebene implementierte Konzept des 'Gender Mainstreaming' zu beobachten ist. Unterschiedliche Kritiken richten sich dabei auf die zunehmende Ökonomisierung auch von Geschlechterpolitik, wenn in den Geschlechtergerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit und die betriebswirtschaftliche Logik der Qualitätssicherung unmittelbar miteinander verknüpft werden. Welchen Bedeutungswandel erfährt eine Kategorie wie Geschlecht, wenn sie zunehmend als eine Humanressource für wirtschaftliche Interessen und Entwicklungen begriffen wird? Wie wird die komplexe Kategorie Geschlecht gegenwärtig in weit reichende Analyse- und Handlungskonzepte des Gender Mainstreaming übersetzt? Welchen Bedeutungswandel erfährt dabei der gesellschaftskritische Gehalt soziologischer Frauen- und Geschlechterforschung? Diese Fragen werden anhand der Analyse von Kernaussagen und Schlüsselkonzepten des Gender Mainstreaming diskutiert (Genderkompetenz, Genderwissen, Gendertrainings), deren Ambivalenz herausgearbeitet wird: zwischen der fraglosen Passförmigkeitin die Logik des marktbezogenen Individualismus und einem fortdauernden Streben nach Wandel im Geschlechterverhältnis und damit nach Gleichheit." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 526-539
"Legitimationsfähig sind in modernen Gesellschaften bekanntlich nur solche sozialen Ungleichheiten, die auf 'erworbenen' Merkmalen beruhen, während Benachteiligungen aufgrund 'natürlicher', askriptiver Eigenschaften als inakzeptabel gelten. Dahinter steht offenbar die Vorstellung der eindeutigen Unterscheidbarkeit zwischen 'Natur' und 'Gesellschaft', die für die okzidentale Moderne und ihr Selbstverständnis konstitutiv ist. Was aber bedeutet es für die Erzeugung, Wahrnehmung und Legitimation von sozialer Ungleichheit, wenn eine der zentralen Thesen der Theorie reflexiver Modernisierung zutrifft und die Grenzziehung zwischen Natur und Gesellschaft uneindeutig wird oder sich sogar auflöst? Kann unter diesen Bedingungen überhaupt noch trennscharf zwischen naturgegebenen und erworbenen Eigenschaften unterschieden werden? Kommt es in der Folge zu einer unterschwelligen oder offenen (Re-)Naturalisierung sozialer Ungleichheit, gerade weil 'Natur' zunehmend zu etwas sozial zu Verantwortendem wird? Und etabliert sich eine neuartige 'Herrschaft der Uneindeutigkeit', weil bislang handlungsorientierende Unterscheidungen wie 'natürlich vs. künstlich' oder 'krank vs. gesund' sich aufzulösen beginnen? Konkretisiert werden sollen diese Fragen vor allem am Beispiel der Debatte um die Herausbildung einer 'genetic underclass' infolge der Verbreitung von prädiktiven Gentests. Gemeint ist damit, dass Personen mit 'ungünstiger' genetischer Ausstattung zukünftig in institutionellen Zusammenhängen (Arbeitsmarkt, Versicherungswesen u. a.) benachteiligt oder ausgegrenzt werden könnten. Diskutiert werden soll in dem Beitrag vor diesem Hintergrund, inwiefern sich hierbei neuartige Formen des Eindringens von 'Natur'-Kategorien in soziale Handlungs- und Wahrnehmungsprozesse erkennen lassen und in welchem Verhältnis sie zu 'älteren' (aber gleichwohl noch immer virulenten) Phänomenen naturalisierender Herrschaft und Ungleichheit (etwa Rassismus oder Sexismus) stehen." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 2570-2579
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 1356-1370
"Drei Probleme der Gleichheit/ Ungleichheitsproblematik sind es, die zum Schlussthematisch werden sollen: das begründungstheoretische, das gesellschaftstheoretische und das praktisch-politische Problem. Begründungstheoretisch wird Gleichheit auch noch im philosophischen Verständnis der Gegenwart als ein transzendental vorgegebenes kulturelles Prinzip verstanden, das als Grundlagentheorem der gesellschaftlichen Verfassung fungiert. Soziologisch erscheint das transzendentale Begründungstheorem deshalb problematisch, weil es im konstruktiven Verständnis derModerne nicht möglich ist, dem Bildungsprozess der Gesellschaft ein kulturelles Apriori vorweg gelegen sein zu lassen. Im soziologischen Verständnis der Modernemuss sich auch das Sollen konstruktiv aus den Bedingungen im Aufbau sozialer Systemebilden. Das ist das eine Problem, das thematisiert werden muss. Das andere istihm eng verbunden und rührt an das Grundverständnis der Gesellschaft. Wenn manGesellschaft als das Netzwerk der Handlungen und Kommunikationen versteht, durch die die Menschen in den Praxisformen ihres Daseins verbunden sind, dann bestimmt sich die Gesellschaft als Marktgesellschaft nicht über die lebensweltlichen Bezüge, sondern durch die Bedingungen der Vernetzung über den Markt. Und die sind auf eine positionale Ungleichheit festgelegt. Die Konsequenzen für die normative Verfassung sollen als zweites thematisch werden. Unter einem konstruktivistischen Verständnis auch der Normativität stellt sich schließlich das Problem, wie das, was als Sollen an die Politik adressiert wird, normative Geltung erlangt. Manwird annehmen müssen, dass als Sollen in der Moderne nur Anerkennung findet, wofür eine praktische Vernunft in Anspruch genommen werden kann. Unter dieser Prämisse aber wird die normative Geltungsproblematik von Gleichheit zu einer Frageder Repräsentanz der Interessen im politischen System. Das ist das dritte Problem, das thematisch werden muss." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 1329-1355
"Die deutsche Soziologie hat die gesellschaftlichen Ungleichheiten nach dem Zweiten Weltkrieg ganz unterschiedlich interpretiert und meinte stets, es käme darauf an, sie zu verändern. Folgte man diesen Deutungen so hätten sich eine klassenlose und nivellierte Mittelstandsgesellschaft, zwiebelförmige Schichtungen, verschärfte Klassenkonflikte, horizontale Disparitäten und 'neue' Ungleichheiten, individualisierte Milieus, eine Unterklasse der Überflüssigen, soziale Exklusionen, die Unterschichtung Ostdeutschlands und die geschlossene PISA-Gesellschaft nacheinander abgelöst. Tatsächlich verweisen sehr viele empirische Befunde auf eine erhebliche zeitliche Robustheit von Verteilungs- und Chancenungleichheiten und damit nicht nur auf die Wirklichkeitsschwäche der Soziologie, sondern auch auf deren primäres Engagement im Sinngeschäft. Was ist aber der 'Sinn' der Ungleichheit? Gilt die Toquevillesche These von der nicht-umkehrbaren Dynamik eines historischen Egalisierungsprozesses noch? Der Verfasser plädiert dafür, den Sinn 'deutscher' Ungleichheiten nicht primär normativ, sondern komparativ zu bestimmen. Und schliesslich: Gibt es einen trade-off zwischen mehr Gleichheit und mehr Wohlstand?" (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 733-736
Aufgrund der hohen Differenziertheit der Benachteiligung innerhalb ausländischer Bevölkerungsgruppen ist die These der durch kulturelle Unterschiede bedingten Benachteiligung als primärer Erklärungsansatz nicht aufrecht zu erhalten. Die drei Beiträge des Plenums XI des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (2004) erweitern den auf kulturelle Unterschiede gerichteten Fokus um die Dimensionen der familialen, kinderkulturellen und schulischen Praxen. Dabei kommt dem Merkmal Bildung, wie sich zeigt, ein zentraler Stellenwert zu. (ICE2)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 19-38
Der Klassen-Ansatz erschien - trotz seiner Modifikationen (Dahrendorf; Giddens) und nach seiner zeitweiligen Wiederbelebung im Kontext des durch die Studentenrevolte resonanzverstärkten Neo-Marxismus - vollends als anachronistisch, nachdem der unter sowjetischer Hegemonie entwickelte Staatssozialismus samt seiner ML-Orthodoxie zusammengebrochen war. Durch das "Ende der Geschichte" landete die "Klassengesellschaft" auf den "Müllhaufen der Geschichte". Im Zuge einer fortschreitenden "Durchkapitalisierung" der Welt wird jedoch wieder von "Klassenlagen" gesprochen. Der Beitrag thematisiert zunächst Gründe für die "Unsichtbarkeit" der Klassengesellschaft: Auffällig ist, dass in einem kapitalistischen Land wie der BRD statistisches Material über die personale oder haushaltsbezogene Verteilung des Produktionsmittelbesitzes weitgehend fehlt. Im Jahre 1978 wurde geschätzt, dass die 1,7 Prozent reichster Haushalte 35 Prozent des Gesamtvermögens beziehungsweise 70-74 Prozent des Produktivvermögens besitzen - und daran hat sich für den Autor nicht viel geändert. Der einleitende Beitrag arbeitet heraus, dass heute auch nach dem Ende des real existierenden Sozialismus Klassengesellschaften im organisierten und globalisierten Kapitalismus existieren, mehr noch: ihre Sichtbarkeit nimmt mit der überall beobachtbaren Vergrößerung des Abstandes zwischen Reichen und Armen wieder zu. Gefragt wird, wie man sich unter diesen Bedingungen die Integrationsleistung des Kapitalismus in Zeiten der Krisenverschärfung erklären kann und welche Einflussgrößen die "Superstabilität" der reichen westlichen Gesellschaften begründen. Im wesentlichen sieht der Autor die Antwort in der "Doppelgesichtigkeitdes Konsumismus als gesellschaftlichem Grundprinzip". Knapp analysiert werden die Ambivalenzen eines Prozesses, in dem Konsum zugleich integrierend und desintegrierend wirkt. (ICA2)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 4038-4046
"Offenheit und Vergleichbarkeit sind wichtige Aspekte der empirischen Sozialforschung, wobei Offenheit vor allem mit qualitativen und Vergleichbarkeit üblicherweise eher mit quantitativen Forschungen in Verbindung gebracht wird. Im Rahmen des hier skizzierten Beitrags wird zunächst herausgearbeitet, dass Offenheit und Vergleichbarkeit für beide Forschungsrichtungen wichtig sind, aber jeweils unterschiedlich konzeptualisiert und umgesetzt werden. Diese Unterschiede sind dann von besonderer Bedeutung, wenn qualitative und quantitative Verfahren miteinander kombiniert und Ergebnisse aufeinander bezogen werden sollen. Abschließend werden daher einige Schlussfolgerungen für die Integration qualitativer und quantitativer Forschung skizziert." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 1754-1760
"Die Ausbildungs- und Berufsbiographien von Jugendlichen, die eine Lernbehindertenschule besucht haben, geben Aufschluss über gegenwärtige Marginalisierungsprozesse in Bildungssystem und Arbeitsmarkt: Durch den Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus (in Schulbildung und beruflicher Ausbildung) haben sich die Schwierigkeiten von Sonder- und Hauptschulabgänger/innen, in der Ausbildungs- und Arbeitsmarktkonkurrenz zu bestehen, erheblich verschärft. Die Bildungs'karrieren' dieser Jugendlichen zeigen allerdings auch, welche Kompetenzen marginalisierte jungen Erwachsenen im Ringen um eine Identität - im Sinne eines erfolgreichen Stigma-Managements - entfalten können. Im Beitrag sollen Ergebnisse aus einer Studie zur beruflichen Orientierung und biographischen Identitätsbildung von Absolvent/innenvon Lernbehindertenschulen vorgestellt werden. Dabei wurden im Vergleich erfolgreiche, d.h. in Ausbildung befindliche Sonderschüler/innen untersucht, weil sich diese Gruppe an dem Integrationsversprechen der 'Normalbiographie' abarbeitet. Es hat sich gezeigt, dass diese Jugendlichen zwar prinzipiell den Wunsch äußern, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren, dann aber praktisch aufgrund einer Antizipation ihrer Chancenlosigkeit zur Selbstselektion, d.h. zum Selbstausschluss qua Passivität neigen. Anhand von Fallstudien ist die Autorin der Frage nachgegangen, welche Prozessdynamik diese Rückzugshaltung zustande kommen lässt. Die Jugendlichen orientieren sich an der Ingroup der Sonderschüler/innen und werten die 'Normalen' entweder auf oder ab. Diese Wertungen können als mehr oder weniger erfolgreicher Bestandteil des Stigma-Managements gelten und führen im Fall der untersuchten Jugendlichen zu einer Rückzugshaltung, die geschlechtstypisch defensiv oder offensiv geprägt ist. Neben geschlechtstypisch differierenden Bewältigungsmustern zeigt sich auch die ethnische Herkunft als bedeutsamer Kontext für das Stigma-Management. Im Vortrag werden Ergebnisse einer standardisierten Befragung (Lebensverlaufsdaten) vorgestellt, die auf Selbstselektionsmechanismen von Absolvent/innen von Lernbehindertenschulen im Übergang von der Schule in den Beruf verweisen. Anhand einer fallorientierten Darstellung wird die Art der beruflichen Orientierung der Jugendlichen beschrieben und in ein Verhältnis zur Identitätsbildung und zum Stigma-Management der Jugendlichen gesetzt. Die Analyse des Gelingens der beruflichen Orientierungen stellt dabei den Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen dar: wie sozial benachteiligte Jugendliche den gesteigerten gesellschaftlichen Anforderungen auf selbstorganisatorische Fähigkeiten nachkommen und ob ihnen langfristig eine berufliche Teilhabe gelingen kann." (Autorenreferat)