Gesellschaftliche Krisen finden auch in theoretischen Debatten ihren Ausdruck, wie im vorliegenden Beitrag am Beispiel des Liberalismus und des Kommunitarismus dargelegt wird. Die Konzeption des Kommunitarismus entstand Anfang der 80er Jahre in der Kontroverse zwischen amerikanischen Sozial- und Rechtsphilosophen, wie verbindliche Maßstäbe für "Gerechtigkeit" in einer modernen differenzierten Gesellschaft gesetzt bzw. gefunden werden können. Die Vertreter des Liberalismus wollen dies durch formale Verfahren und Fairneßregeln gewährleistet sehen, die gleichsam aufgrund eines Vertrages zwischen Individuen zustande kommen, die nur von ihrem zweckrationalen Kalkül geleitet sind, wie sie ihre Interessen optimal verwirklichen können. Die Kommunitaristen dagegen betonen, daß nur durch den Bezug auf gemeinschaftlich geteilte Werte die Frage nach der gerechten Ordnung einer Gesellschaft sinnvoll entschieden und deren moralische Ansprüche gegenüber dem einzelnen Bürger sinnvoll begründet werden können. Diese sozialphilosophische Diskussion wird von den Autoren in antithetischer Form nachgezeichnet, um so einige Bezüge zu realen Problemen der demokratischen Industriegesellschaften der Gegenwart herausarbeiten zu können. (psz)
In Fortsetzung seiner Kritik an der These vom "deutschen Sonderweg" versucht der Autor neue Kriterien für eine Beurteilung der Entwicklung des deutschen Liberalismus im Kaiserreich zu gewinnen. In einem ersten Schritt werden die gemeinsamen Charakteristika des europäischen Liberalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet, auf deren Basis E. ein sieben Punkte umfassendes Raster zu Analyse und Vergleich des einzelstaatlichen Liberalismus entwickelt. Vor diesem Hintergrund werden die liberalen Bewegungen in Deutschland und Großbritannien hinsichtlich ihres politischen und wirtschaftlichen Programms, ihrer Organisation und ihrer Einstellung zu den Konfessionen und zu den Unterschichten miteinander verglichen, wobei das Interesse vor allem den 1860er Jahren gilt. Dabei lassen sich weder bei der Ideologie noch bei der Organisationsstruktur gravierende Unterschiede erkennen. Wohl aber führte Bismarcks "Revolution von oben" zu einer völligen Umwandlung der politischen Konstellation in Deutschland, durch die er die deutschen Liberalen mit völlig anderen politischen Problemen konfrontierte als ihre britischen Gesinnungsfreunde. Im Blick auf weitere Forschungen plädiert der Verfasser gegen eine Fixierung auf einen "idealisierten" englischen Liberalismus und für eine Zuwendung zu den "eigenarten" des kontinentaleuropäischen Liberalismus sowie einem Vergleich dieser untereinander. (JF)
In: Das deutsche Judentum und der Liberalismus: Dokumentation eines internationalen Seminars der Friedrich-Naumann-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institute, London, S. 28-43
Überblicksartig werden die Entwicklung und der sozialen Basis des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert dargestellt und dabei nach den Ursachen für sein "politisches Scheitern" gefragt. Als grundlegend für alle Strömungen des Liberalismus sieht der Verf. die Orientierung an den optimistischen Forderungen der Aufklärung, nach einem von Vernunft und Recht geleiteten Aufbau von Staat und Gesellschaft, wobei es auf dem rechten Flügel starke Vorbehalte gegen allzu demokratische Forderungen gab. Im Hinblick auf die Sozialstruktur wiesen gemäßigte "Konstitutionelle" und radikalere "Demokraten" aber kaum Unterschiede auf: Bei beiden dominierten die bildungs- und besitzbürgerlichen Honorationen. Daß der deutsche Liberalismus mit seinem emanzipatorischen Programm nicht durchdrang, sondern sich nach 1866 weitgehend mit dem konservativen Staat arrangierte und in der Folgezeit an politischer Zugkraft und an Rückhalt in der Bevölkerung verlor, führt der Verfasser vor allem auf die "zunehmende Inhomogenität seiner sozialen, bürgerlichen" Trägerschichten zurück. (JF)
Der Vortrag gibt eine Überblick über die Geschichte und Entwicklung des Liberalismus und der liberalen Parteien in Italien seit 1870 und fragt dabei vor allem nach Ansätzen zu einem Sozialliberalismus. Im Mittelpunkt der Studie, die die neueste italienische Forschung verarbeitet, steht zum Einen die Ära des Ministerpräsidenten Giolitti (1901-1914) und zum Anderen die Nachkriegszeit. Der Autor arbeitet die Konzeptionen und Wandlungen der beiden Hauptströmungen, des eher konservativ-bürgerlichen Wirtschaftsliberalismus und des demokratisch-sozialreformerischen Linksliberalismus, heraus und untersucht ihre Stellung im Parteiensystem. Die Erfolge des italienischen Liberalismus liegen nach Ansicht des Verfassers auch weniger in der konkreten Sozialpolitik, als in der Integration der Arbeiterbewegung und ihrer Parteien in das politische System durch linksliberale Politiker. In jüngster Zeit lasse sich aber eine Überwindung der Spaltung in mehrere Parteien erkennen, womit für den italienischen Liberalismus Chancen eröffnet werden, stärker als je zuvor politischen einfluß zu nehmen. (JF)
Der Vortrag befragt die Geschichte und Entwicklung des sehr heterogenen französischen Liberalismus auf Ansätze zu einem reformerischen Sozialliberalismus. Es wird zunächst ein Überblick über Aufstieg und Niedergang des parteipolitischen Liberalismus, in erster Linie der Radikalen und Republikaner, gegeben und dann dessen Haltung gegenüber der sozialen Frage untersucht. Nach einem Exkurs zu den sozialpolitischen Konzeptionen von Konservativismus und politischem Katholizismus befasst sich die Studie schließlich mit der neuerlichen Renaissance des Liberalismus als politischer Ideologie. Die Bilanz der Autoren insgesamt ist negativ: Demnach hat der organisierte Liberalismus während seiner Blütezeit in der ersten Jahrhunderthälfte keinen entscheidenden Anteil an Sozialreformen gehabt. Vielmehr verfolgen beide Richtungen trotz starker ideologischer Unterschiede eine ähnliche konservative Sozialpolitik. Auch in der "neoliberalen Diskussion" seit Mitte der 70er Jahre lassen sich keine genuin sozialliberalen Konzepte ausfindig machen. Stattdessen ging es dabei der politischen Rechten wie der Linken lediglich um eine Bereicherung und Wiederbelebung ihrer alten Konzepte um einige liberale Elemente. (JF)
In Auseinandersetzung mit der These vom Defizit an liberaler Bürgerlichkeit in der wilhelminischen Epoche untersucht H. die Wahrnehmung und Verarbeitung der Modernisierungskrise nach 1890 durch den wichtigsten Träger liberaler Wertvorstellungen, durch das "liberal-protestantische Sozial- und Gesinnungsmilieu". Zunächst werden zeitgenössische und moderne Erklärungsmodelle für den Niedergang des deutschen Liberalismus im Kaiserreich vorgestellt, dann die ideologischen und institutionellen Verflechtungen zwischen Liberalismus, Bildungsbürgertum und protestantischer Kirche aufgezeigt und schließlich danach gefragt, welche neuen Leitbilder und neuen Strategien zur politischen Einflußnahme von führenden liberalen Theoretikern und Politikern entworfen wurden. Es läßt sich sowohl bei der Fortentwicklung des liberalen Ideals der "Persönlichkeit" als auch bei der öffentlichen Propagierung liberaler Werte eine Anpassung an die Gegebenheiten der Massengesellschaft erkennen, so daß eher von einer "Revitalisierung" als vom Niedergang des Liberalismus in wilhelminischer Zeit die Rede sein kann. Jedoch kam diese letztlich einem Pyrrhussieg gleich, da das neu erwachte liberale Selbstbewußtsein auch zu antiliberalen Gegenreaktionen führte, die nach 1918 übermächtig wurden. (JF)