"Austrifizierung" der Oststaaten auch in der Wirtschaftspolitik?
In: Europäische Rundschau: Vierteljahreszeitschrift für Politik, Wirtschaft und Zeitgeschichte, Band 18, Heft 1, S. 11-24
ISSN: 0304-2782
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In: Europäische Rundschau: Vierteljahreszeitschrift für Politik, Wirtschaft und Zeitgeschichte, Band 18, Heft 1, S. 11-24
ISSN: 0304-2782
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In: NATO-Brief, Band 37, Heft 2, S. 13-18
ISSN: 0255-3821
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In: Beiträge zur Konfliktforschung: Grundlagen-Informationen, Band 18, Heft 4, S. 91-116
ISSN: 0045-169X
Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) wurden erstmals auf dem KSZE-Folgetreffen in Madrid (1983) vereinbart; sie sollen künftig vor allem im Rahmen der KVAE weiterentwickelt werden, wobei entscheidend sein wird die Verbesserung der Ost-West-Beziehungen und Fortschritte bei den Rüstungskontrollverhandlungen. VSBM können z.B. die Transparenz militärischer Potentiale verbessern und Instrumente zur Krisenbeherrschung anbieten. (SWP-Wgn)
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In: China aktuell: journal of current Chinese affairs, Band 17, S. 283-315
ISSN: 0341-6631
Untersucht wird eine Phase der jüngeren chinesischen Geschichte, in der sich "maoistische Unarten" wie die Überbetonung des subjektiven Faktors, die "Sprungmentalität" und die Neigung, jeden Gegner als Klassenfeind abzustempeln, am deutlichsten ausgewirkt haben soll. Zu dieser Phase gehören die antibürokratische Kampagne der "Linken", die unter der Bezeichnung "Drei Rote Banner" oder "Der kommunistische Wind" in die Geschichte einging; der "Große Sprung nach vorn" und die Volkskommunebewegung. (DÜI-Rmb)
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In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Band 34, Heft 38, S. 25-37
ISSN: 0479-611X
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In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft 18, S. 3-20
ISSN: 0479-611X
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In: Europa-Archiv / Beiträge und Berichte, Band 37, Heft 12, S. 357-368
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In: Soziologie in der Gesellschaft: Referate aus den Veranstaltungen der Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der Ad-hoc-Gruppen und des Berufsverbandes Deutscher Soziologen beim 20. Deutschen Soziologentag in Bremen 1980, S. 759-763
In: Europa-Archiv / Beiträge und Berichte, Band 35, Heft 2, S. D49-D55
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NRW will Machtmissbrauch in der Wissenschaft per Gesetz bekämpfen. Gut so. Doch wenn die Landesregierung die Betroffenen wirklich besser schützen will, muss sie mehr liefern als in ihrem Eckpunktepapier. Ein Gastbeitrag von Leila Dedial, Sophia Hohmann und Jana Lasser.
Hauswand in Hamburg. Foto (zugeschnitten): Sebastian Bartoschek, CC BY 2.0.
IM WINTERSEMESTER 2023/2024 hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Pressemitteilung deutlich gemacht, dass auch Maßnahmen gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft im "Hochschulstärkungsgesetz" berücksichtigt werden sollten.
Nun liegt jedoch ein Eckpunktepapier für die geplante Novelle vor, das genau an dieser Stelle noch
nicht liefert. Hinzu kommt: Es offenbaren sich im Papier Schwächen im Verständnis von Machtmissbrauch an Hochschulen sowie im Schutz von Betroffenen.
Es ist richtig und wichtig, dass eine gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung von Machtmissbrauch geschaffen werden soll: Die aktuellen rechtlichen Möglichkeiten sind auch in Nordrhein-Westfalen
nicht ausreichend, um Machtmissbrauch im Wissenschaftssystem präventiv und sanktionierend zu begegnen. Das haben nicht erst die vielen verschiedenen bekanntgewordenen Fälle der vergangenen Jahre
gezeigt. Wir begrüßen es daher sehr, dass sich die nordrhein-westfälische Landesregierung dieser Verantwortung bewusst ist und Pionierarbeit in der Entwicklung von gesetzgeberischen Maßnahmen
leisten möchte.
Im Eckpunktepapier heißt es indes: "Bei dem Thema Machtmissbrauch in wissenschaftlichen Kontexten handelt es sich nicht um ein besonderes strukturelles Problem der Hochschulen, sondern um ein
individuelles Versagen Einzelner, die ihre Machtposition missbräuchlich ausnutzen. Der gesetzgeberische Ansatz muss dieser Problemdiagnose entsprechen."
Unsere Problemdiagnose ist eine andere: Machtmissbrauch hat Ursachen, die dem Wissenschaftssystem inhärent sind. Ungeachtet dessen sind es Individuen, die ihre Macht missbrauchen, weil ihnen
dieses Handeln durch Strukturen wie extremen Abhängigkeiten und prekären Beschäftigungsbedingungen ermöglicht wird. Deshalb ist es entscheidend, dass die geplanten Maßnahmen Machtmissbrauch als
systemisches Problem adressieren. Gleichzeitig kommt es darauf an – und dies benennt das Eckpunktepapier treffend – dass das geltende Recht so ergänzt wird, dass Hochschulen in ihren
Möglichkeiten, auf Täter*innen zu reagieren, gestärkt werden.
Ein zu eng gefasstes Verständnis
von Machtmissbrauch
Wesentlich für die Bekämpfung von Machtmissbrauch ist außerdem die Anerkennung seiner Vielfalt. Die im vergangenen Jahr in NRW medial diskutierten Fälle zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der
Ausprägungen, die Machtmissbrauch an Hochschulen hat. Ein so eng gefasstes Verständnis scheint jedoch auch im Eckpunktepapier durch: So werden vorwiegend sexuelle Belästigung und Diskriminierung
in Lehr-Lernkontexten adressiert, während etwa die vom extrem hierarchisch organisierten System begünstigte Ausbeutung von befristet und abhängig beschäftigten Wissenschaftler*innen
(Promovierenden, Post-Doktorierenden) und studentischen Beschäftigten durch ihre Betreuer*innen unerwähnt bleiben.
Auch bezieht Machtmissbrauch weitere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Ableismus und Klassismus sowie deren Verschränkung mit ein und geht über Lehr-Lern-Kontexte und die im Entwurf genannten
Statusgruppen hinaus. Dass derart gelagerte Fälle bisher in Nordrhein-Westfalen nicht medial aufgegriffen wurden, heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Auf unserer Website können Fallbeispiele
anonym eingereicht werden: Eines davon beschreibt die komplexen Herausforderungen internationaler Studierender. Ein anderes handelt davon, wie ein Lehrstuhlinhaber sein Lehrdeputat jahrelang
unerlaubt an seine Mitarbeiter*innen delegiert hat und gewalttätig wird, als er auf Widerstand stößt. Die Gesetzgebung muss Betroffene stärken, sich als Betroffene erkennen zu geben, und darf
bestimmte Formen des Machtmissbrauchs durch eine Engführung nicht ausschließen, unsichtbar machen oder gegeneinander ausspielen.
Im Fokus der Maßnahmen müssen die Personen stehen, für die der Hochschulraum nicht sicher ist. Ausgehend von der Frage, wie Betroffene gestärkt werden können, müssen konkrete Handlungsoptionen
entwickelt werden, die Betroffene durch eigens geschaffene Strukturen schützen, begleiten, entlasten und entschädigen. Im Eckpunktepapier werden zwar weisungsunabhängige Ansprechpersonen benannt,
die Hochschulen "für Fragen im Zusammenhang insbes. mit sexueller Belästigung zum einen und der Antidiskriminierung zum anderen" einrichten können. Diese Stellen dürfen die Parteilichkeit für die
Hochschule – so wie sie aktuell bei vielen Anlaufstellen gegeben ist – aber nicht weiter fortschreiben, sondern müssen als parteiische Stelle für die Betroffenen agieren.
Betroffene nicht nur auf dem Papier,
sondern de facto schützen
Machtmissbrauch muss auch präventiv bekämpft werden, indem Personen mit viel Macht für ihre Position sowie die Konsequenzen ihres Handelns sensibilisiert werden. Die Eignung von Führungspersonal
an Hochschulen spricht auch das Eckpunktepapier an, verfehlt aber eine Orientierung hin zu einer Auswahl, die nicht nur auf wissenschaftliche "Exzellenz", sondern auch auf Führungseignung und
-qualitäten abstellt.
Es bleibt die Schlussfolgerung, dass die Landesregierung nachschärfen muss, wenn sie die Hochschulmitglieder nicht nur auf dem Papier, sondern de facto schützen will. Dafür ist wesentlich die
Vielfalt von Machtmissbrauch in der Wissenschaft mitzudenken und die Prävention von Machtmissbrauch voranzutreiben. Macht wird dort missbraucht, wo sie in großer Fülle gebündelt einzelnen
Personen zur Verfügung steht und ihr Missbrauch kaum Konsequenzen hat. Um Machtmissbrauch effektiv zu verhindern, müssen deshalb die systemischen Komponenten des Problems adressiert werden.
Leila Dedial, Sophia Hohmann und Jana Lasser engagieren sich im Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft e.V.
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Die Verhandlungen von Bund und Ländern ziehen sich. Die Schulen brauchen aber endlich ein Zeichen, wie es nach Auslaufen des aktuellen Digitalpakts Schule weitergeht. Ein Gastbeitrag von Franziska Krumwiede-Steiner.
Franziska Krumwiede-Steiner (Bündnis 90/Die Grünen) ist Lehrerin für Deutsch und Geschichte und seit März 2024 nachgerückte Abgeordnete im
Deutschen Bundestag. Foto: Carsten Andrea.
NOCH IM FEBRUAR stand ich, um E-Mails zu beantworten, dicht gedrängt mit meinen Kolleginnen und Kollegen am einzigen Fenster im Lehrerzimmer, an dem wir Empfang hatten. Jeden Tag bin ich
bepackt mit meinem privaten Beamer und meinem eigenen GigaCube von Raum zu Raum gewandert, um den Schülerinnen und Schülern kollaboratives Arbeiten mit digitalen Lernplattformen oder
Visualisierungen jenseits der störanfälligen Overhead-Projektoren zu ermöglichen.
Als Mitglied des städtischen Bildungsausschusses musste ich 2023 zur Kenntnis nehmen, dass der Glasfaseranschluss meiner Schule im Norden der Stadt Mülheim, die sich gerade erst aus dem
Nothaushalt befreit hatte, bis Ende 2025 dauern würde und die Stadt für mobile WLAN-Stationen keine Mittel mehr hat.
Dass an unseren Schulen immer noch Aufholbedarf bei der digitalen Ausstattung besteht, bestätigt nicht nur meine anekdotische Evidenz, das zeigen auch internationale Vergleichsstudien wie die
letzte PISA-Studie oder Erhebungen wie die letzte forsa-Schulleiterbefragung.
Angesichts dieser Herausforderungen war ich als kürzlich nachgerückte Bundestagsabgeordnete überrascht, wie lange sich die Verhandlungen von Bund und Ländern zum Digitalpakt 2.0 schon
hinziehen.
Die Qualität digitaler Bildung darf
nicht von der Postleitzahl abhängen
Die Schulen und die Kommunen als Schulträger brauchen endlich ein Zeichen, wie es nach Auslaufen des aktuellen Digitalpakts Schule Ende 2024 weitergeht. Die Qualität digitaler Bildung darf nicht
von der Postleitzahl, sprich vom städtischen Haushalt einer Kommune, abhängen. Der Digitalpakt ist daher auch ein Projekt der Bildungsgerechtigkeit.
Es wird Zeit, dass sich nicht nur das BMBF zum Anschlusspakt bekennt, sondern auch das Bundesfinanzministerium endlich Aussagen zum Volumen trifft, um die Verhandlungen voranzubringen. Das
aktuelle Aufstellungsverfahren für den Bundeshaushalt 2025 ist entscheidend, um die drohende Förderlücke zu verhindern.
Der Digitalpakt 2.0 darf nicht an der zukunftsgefährdenden Sparpolitik eines Christian Lindners scheitern, die nicht nur Schulden, sondern ganz konkret unsere Schulen bremst. Eine Reform der
Schuldenbremse ist nötig, denn ein weiteres Sparen an Zukunftsinvestitionen wie Bildung und Digitalisierung schadet nicht nur den individuellen Entwicklungschancen unserer Kinder, sondern unserer
Wirtschaft, die schon jetzt mit einem sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangel zu kämpfen hat – gerade im MINT-Bereich.
Was über den Erfolg des
Digitalpakts 2.0 entscheidet
Natürlich ist es mit frischem Geld von Bund und Ländern allein nicht getan. Der Digitalpakt 2.0 muss pädagogisch sinnvoll eingebettet sein. Die Konzepte zum sinnvollen Einsatz digitaler Medien
liegen bei so gut wie allen Schulen in der Schublade, einzig die Technik fehlt, um die Konzepte auch umzusetzen. Damit der Digitalpakt 2.0 zum Erfolg wird, sind für mich außerdem folgende Punkte
entscheidend:
O Die Mittel des Digitalpakt 2.0 müssen evidenzbasiert verteilt werden. Das Startchancen-Programm mit der teilweisen Abkehr vom Königsteiner Schlüssel sollte hier als Blaupause
dienen. Der Digitalpakt 2.0 könnte das zweite große Bund-Länder-Projekt werden, das im Bereich Schule nach realen Bedarfen fördert. Dafür ist ein neuer Verteilschlüssel nötig, der zum Beispiel
die Zahl der Schülerinnen und Schüler, den Nachholbedarf im Bereich Digitalisierung (etwa anhand bestehender Daten aus dem ersten Digitalpakt) und die Wirtschaftskraft der Länder berücksichtigt.
O Neben der technischen Ausstattung müssen die Digitalpakt-Mittel eine IT-Administration an den Schulen rechtssicher ermöglichen. Hier braucht es Fachleute, und die ohnehin schon
stark eingespannten Lehrkräfte müssen von diesen Zusatzaufgaben entlastet werden. Auch hier zeigt das Startchancen-Programm mit dem Fokus auf multiprofessionelle Teams den Weg in die richtige
Richtung.
O Vielleicht am wichtigsten sind Investitionen in die Lehrkräfteaus-, -fort- und -weiterbildung. Die Nutzung digitaler Technik allein ist kein Fortschritt. Ein schlechtes
Arbeitsblatt ist kein gutes, nur weil es digitalisiert wurde. Lehrkräfte müssen zielgerichtet aus- und fortgebildet werden, auch gerade im Umgang mit Künstlicher Intelligenz, die längst
angekommen ist im Klassenzimmer. Lehrerinnen und Lehrer sollten eine kritische Auseinandersetzung mit Medienangeboten und dem eigenen Medienverhalten erlernen und weitergeben können. Der Umgang
mit Hass im Netz und Desinformation gehört ebenfalls in die Curricula.
O Eine "Experimentierklausel" im Pakt könnte Freiräume für innovative Konzepte und deren Transfer ermöglichen. Denn alle Herausforderungen kann und wird der Digitalpakt 2.0
allein nicht lösen, und das muss er auch nicht. Er ist eine Ergänzung zu den vielen guten, bestehenden Programmen der Länder.
Mittelfristig die Schuldenbremse, langfristig
den Bildungsföderalismus reformieren
Investitionen in digitale Bildung sind Zukunftsinvestitionen. Kurzfristig müssen Bund und Länder die Verhandlungen zum Digitalpakt 2.0 zum Erfolg führen. Mittelfristig gehört die Schuldenbremse
reformiert, um weitere Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Langfristig ist eine Debatte über eine Reform des Bildungsföderalismus nötig. In meinen Augen ist die Finanzierung der digitalen
Bildungsinfrastruktur eine Daueraufgabe, die einer besseren Lösung bedarf, als in ein paar Jahren nach dem Auslaufen des Digitalpakts 2.0. schon wieder von vorn anfangen zu müssen.
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Studierende brauchen wieder etwas länger bis zum Abschluss. Trotzdem bleiben durchschnittliche Studiendauer und Alter der Hochschulabsolventen meilenweit unterhalb der Vor-Bologna-Zeiten.
Hörsaal der Universität Heidelberg. Foto: Tyr-asd, CC BY 4.0, via
Wikimedia Commons.
WAS WAR DAS für eine Aufregung vor 15, 20 Jahren, als in Deutschland ein Diplom- und Magister-Studiengang nach dem anderen durch Bachelor und Master abgelöst wurde. Schmalspur! Verschulung!
Ökonomisierung! Ein bisschen narzisstische Kränkung dürfte hier und da auch dabei gewesen sein, schließlich gab die Bundesrepublik mit dem Übergang zu den international gängigen gestuften
Abschlüssen einen mitteleuropäischen Sonderweg auf.
Tatsächlich war der Wandel weitreichend: Bis zur sogenannten Bologna-Reform war es vor allem in den Geisteswissenschaften üblich, den Studenten im Namen der wissenschaftlichen Freiheit kaum
Vorschriften bei der Gestaltung ihres Studiums zu machen und sie im Extremfall bis zum Examen mit abschlussrelevanten Prüfungen zu verschonen. Während die Bachelor- und Masterprogramme häufig
sehr detaillierte Curricula haben und es von Anfang an Kreditpunkte und Bewertungen gibt, die sich auf die Abschlussnote auswirken.
Die Aufregung von damals, statt Inhalten und Reflexion gehe es jetzt um die stupide Jagd nach Credits, liegt den meisten Studierenden von heute fern. Sie kennen es halt nicht anders, mögen manche
Altvordere mitleidig sagen. Vielleicht haben viele aber auch einfach andere Probleme. Die Finanzierung ihres Studiums zum Beispiel.
Zur Einordnung der Reform aus heutiger Sicht hilft es, sich die Zeit davor in Erinnerung zu rufen. Vor zwei Jahrzehnten gab es weniger belastbares statistisches Material als heute, doch hatte der
Wissenschaftsrat 2001 in einer wahren Fleißarbeit über 200 universitäre Studiengänge auf
ihre tatsächliche Studiendauer ausgewertet. Ergebnis: In nur elf von 132 untersuchten Magister- und Diplom-Studiengängen schafften mehr als 30 Prozent der Studierenden den Abschluss in der
offiziellen Regelstudienzeit, und selbst diese Zahl war noch ins Positive verzerrt. Denn sieben dieser elf Programme wurden an den – in der Regel anders strukturierten – künstlerischen
Hochschulen angeboten.
Mitte der 90er Jahre war der
durchschnittliche Uniabsolvent über 30
Umgekehrt betrug in 15 Studiengängen der Anteil der – je nach Sichtweise selbstbestimmten oder orientierungslosen – Absolventen in der Regelstudienzeit: null Prozent. Und im
Durchschnitt dauerte das Studium so lange, dass laut Statistischem Bundesamt 2002 der typische Uniabsolvent 28,9 Jahre zählte. Übrigens schon ein Fortschritt gegenüber 1996, da war er über 30.
Fairerweise muss man sagen, dass der Vergleich zu heute etwas hinkt, weil die früher im Westen üblichen 13 Jahre bis zum Abi zwischenzeitlich zum Teil auf zwölf Jahre sanken und
die Wehrpflicht ausgesetzt wurde.
Doch kann das nur den kleineren Teil des riesigen Abstands zu heute erklären: 2022 lag das mittlere Alter beim Uni-Masterabschluss bei 26,1 Jahren. Und
31 Prozent
schafften die Regelstudienzeit – über alle Programme und Hochschulformen hinweg allerdings. Ja, 2015 waren es sogar 37 Prozent, wie neulich die FAZ zu Recht anmerkte. Doch kann man den
Anstieg der durchschnittlichen realen Studiendauer bis zum Erstabschluss zwischen 2015 und 2022 mit 0,3 auf 8,1 Semester als kaum mehr als homöopathisch bezeichnen. Und er dürfte vor allem damit
zu tun haben, dass über die Jahre alle ein wenig entspannter geworden sind mit den einst neuen Studiengängen, auch dank mancher Lockerung nach studentischen Protesten, und Profs wie Studierende die sehr wohl
vorhandenen Freiräume nutzen. Wie sich Corona und die Inflationskrise ausgewirkt haben, wird so richtig allerdings erst in den Statistiken der nächsten Jahre zu sehen sein.
Unterdessen ließe sich lange und komplex über die Frage streiten, inwieweit es Bologna überhaupt erst möglich machte oder begünstigt hat, dass heute rund eine Million junge Menschen mehr
studieren als 2002. Fest steht: Ein anderes explizites Ziel der Reform, die nachhaltige Senkung der Studienabbrecherquoten, hat sich kaum erfüllt. Im Uni-Bachelor gab es laut Deutschem Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung
(DZHW) zwischen 2016 und 2020 sogar einen Anstieg von 32 auf 35 Prozent, während es an HAWs von 25 auf 20 Prozent herunterging. Immerhin: Wer heute im Master abbricht, hat schon einen ersten
Abschluss. Wer früher das Diplom oder die Magisterprüfungen nicht schaffte, stand noch nach neun, zehn oder mehr Semestern ohne jeden akademischen Grad da.
Heilsames Mehr
an Orientierung
Umgekehrt hatten 2016 nur noch 23,2 Prozent der fortgeschrittenen Studierenden einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt hinter sich, 2,3 Prozentpunkte weniger als ihre Vorgänger 2012, was
DZHW-Forscher als eine "Auswirkung des noch neu eingeführten gestuften Bachelor-Master-Studiums und dessen stärker strukturierten Studien- und Prüfungssystems" bezeichnen. Für den noch stärkeren
Rückgang 2020 auf nur noch 18,9 Prozent, sagen die Forscher, sei dann aber wohl die Pandemie verantwortlich
gewesen.
Zurück zur Studiendauer. Trotz ihres leichten Anstiegs waren 2022 immer noch fast Dreiviertel (73,7 Prozent) der Studierenden innerhalb von ein bis zwei Semestern über der Regelstudienzeit
fertig. Das ist weiter ein großartiger Wert. Zumindest wer das Studium als Zwischenstation sieht auf dem Weg in ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben, dürfte – genau wie die oftmals als
Finanziers fungierenden Eltern – froh sein über diese Entwicklung dank Bologna. Vielleicht ist es Zeit, den Vorwurf der Verschulung von einst ins Positive zu wenden: Vielen Studierenden hat das
Mehr an Orientierung offenbar gutgetan.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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#MeToo in der Wissenschaft? Die strukturelle Benachteiligung von Frauen in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen wird in Deutschland meist totgeschwiegen. Das müssen wir ändern. Ein Gastbeitrag von Rena K. Nieswind*.
*Der Name der Autorin wurde geändert. Bild: chenspec / Pixabay.
EINE ABENDLICHE INSTITUTSFEIER irgendwo in Deutschland: Ein Arbeitsgruppenleiter, der perspektivisch auf eine Juniorprofessur berufen werden soll, bändelt mit einer Doktorandin der Gruppe
an. Im Nachgang vermittelt sie ihm, dass sie keine nähere Beziehung zu ihm haben möchte. Einige Mitglieder der Gruppe, darunter diese beiden, nehmen wenig später an einer Konferenz im Ausland
teil, wofür eine Unterkunft in einem "Bed & Breakfast" gebucht wurde. An einem der Abende, die Doktorandin schläft bereits in ihrem Zimmer, klopft der Arbeitsgruppenleiter im volltrunkenen
Zustand an ihre Tür und fordert sie zu sexuellen Handlungen auf. Die Doktorandin ist paralysiert und lässt den sexuellen Übergriff über sich ergehen. Danach vertraut sie sich der
Gleichstellungsbeauftragten der Universität an, die Mitglieder der Hochschulleitung kontaktiert und um Unterstützung und Aufklärung bittet. In der Folge passiert: nichts. Weil die Betroffene
irgendwie doch selber schuld ist?
Machtmissbrauch, systematische Benachteiligung und sexualisierte Gewalt gegen Frauen machen seit einiger Zeit verstärkt Schlagzeilen. Viel ist dabei von Vorfällen in der Politik, in den Medien
oder der Wirtschaft die Rede – und kaum einmal von den Zuständen an Universitäten im In- und Ausland. Und wenn, dann handelt es sich um abstoßende Einzelfälle. Die noch dazu oft nur geahndet
werden, wenn der mediale Druck doch einmal zu groß wird.
Manchmal schwappt etwas von der Debatte über strukturelle Diskriminierung "über den Teich", aber das wird meist schnell abgetan, das sei halt in den USA so, während es hierzulande "anders
zugehe". Leben die Mitglieder deutscher Universitäten, Hochschulen und anderer Wissenschaftsinstitutionen tatsächlich in einer weitgehend geschützten Blase, umgeben von gegenseitiger
Wertschätzung und respektvollem Umgang miteinander?
Diskriminierung auf allen Ebenen
des akademischen Betriebs
Leider nein, wohl eher in einer aus karrierepolitischen Gründen schweigenden Akzeptanzwelt. Erschreckende Vorfälle gibt es auch in Deutschland auf allen Ebenen des akademischen Betriebs, die
Erfahrungen reichen von der Studentin bis zur Professorin – wobei der Anteil an Frauen durch die Qualifizierungsstufen signifikant absinkt, bis auf dem Level der Professur eine deutliche
Unterrepräsentanz an Frauen erreicht ist.
Der Anteil an Professorinnen liegt aktuell bei etwa einem Drittel, und das trotz zahlreicher Bemühungen der vergangenen Jahre, hier Veränderungen herbeizuführen. Professorinnen sind im Vergleich
zu ihren männlichen Kollegen besonders stark von strukturellen Defiziten, etwa einer fehlenden Unterstützung durch Personal- und Beschwerdemanagement-Systeme, betroffen und werden im Bedarfsfall
oft allein gelassen.
Wie die Professorin, die ein Forschungsprojekt in einem Verbund betreut, in dem der Frauenanteil kleiner als 20 Prozent ist, und beabsichtigt, die wissenschaftlichen Ergebnisse in einer
Fachzeitschrift zu veröffentlichen. Sie benennt alle an der Studie beteiligten Wissenschaftler*innen und sendet den Entwurf an die Koautor*innen zur finalen Überarbeitung. Daraufhin erhält sie
eine Rückmeldung von einem männlichen Koautor, der sie auffordert, den Institutsdirektor (männlich) auf die Veröffentlichung mit aufzunehmen. Ihre Argumentation, dass dieser nicht zur
wissenschaftlichen Arbeit beigetragen habe, wird ignoriert und auf die Mitnutzung von Infrastruktur des kooperierenden Instituts hingewiesen. Die kaum verhohlene Drohung: Diese Mitnutzung lässt
sich jederzeit beenden.
Da ist die Juniorprofessorin, die im Rahmen ihrer befristeten Professur schwanger wird und Angst hat, es dem Lehrstuhlinhaber/Institutsleiter mitzuteilen; die Professorin, die in männlich
dominierten Gremien keine Stimme erhält oder nicht ernst genommen wird. Oder die vielfach belegte Tatsache, dass Berufungszusagen oder Leistungszulagen im Falle von Professorinnen bei gleicher
Leistung geringer ausfallen als bei ihren männlichen Kollegen. Und das sind nur einige Beispiele für die strukturelle Diskriminierung von Frauen im deutschen Wissenschaftssystem.
Nur wenige haben den Mut,
sich aufzulehnen
Hinzu kommen verbale Attacken: "Frau" sei nicht so leistungsfähig, weil sie sich neben dem harten Job einer Professur noch auf die Familie konzentrieren müsse; warum "sie" sich das überhaupt
antue und nicht ihrem Mann die Finanzierung der Familie überlasse, wenn sie durch eine Schwangerschaft bzw. bereits vorhandene Kinder forschungstechnisch eh nicht mehr auf internationalem Niveau
mithalten könne. Äußerungen, die fast jeder Professorin irgendwann einmal begegnen. Diskriminierungen aus religiösen, kulturellen oder sprachlichen Gründen gibt es noch obenauf.
Nur wenige haben den Mut, sich dagegen aufzulehnen, solche Situationen bekannt zu machen oder auch nur, sich jemandem anzuvertrauen. Denn immer noch verhindern Abhängigkeiten in Qualifikations-
oder Berufungsverfahren oder bei der Ressourcenzuteilung die ehrliche und transparente Auseinandersetzung mit diesen Themen.
Sicher: Die jüngste Initiative der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, mit einer gemeinsamen Selbstverpflichtungserklärung gegen Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten vorzugehen, ist
löblich. Es stellt sich allerdings die Frage, was genau wo und wie umgesetzt wird – wenn doch die Strukturen für ein adäquates Meldewesen, für ein entsprechend organisiertes
Beschwerdeverfahrensmanagement und die dafür nötigen Kontrollsysteme gegenwärtig weitgehend fehlen und ihre Etablierung auch dadurch behindert wird, dass solche Ämter und Tätigkeiten an
Hochschulen leider oft unprofessionell begleitet werden – erst recht in einer weitgehend nach ständischen Regeln funktionierenden Organisation wie der deutschen Wissenschaft.
Das Warten auf die Entfristung oder die Berufung auf eine Lebenszeitprofessur, die Integration in bestehende Netzwerke, die Begutachtungen von Veröffentlichungen jeglicher Art oder von
Projektanträgen durch (vorwiegend) männliche Kollegen, die Etablierung und Aufrechterhaltung von notwendigen Kooperationen: Das sind nur einige der wesentlichen Umstände, die über Erfolg und
Status im akademischen System entscheiden und viele Frauen zum Schweigen bringen.
Sie verzichten lieber auf eine als vermeintlich konfrontativ empfundene Vorgehensweise zur Durchsetzung ihrer berechtigten Interessen, um – das ist das größte Paradox – genau diese nicht zu
gefährden. Wie lange noch?
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In Theory for Theatre Studies: Memory untersucht Milija Gluhović, Professor für Theater und Performance an der Universität Warwick, Überschneidungen zwischen den Bereichen der Theaterwissenschaft und der kulturwissenschaftlichen Gedächtnis- und Erinnerungsforschung. Erschienen ist die Monographie als dritte Ausgabe der gleichnamigen Reihe, die von Susan Bennett und Kim Solga herausgegeben wird und sich mit zentralen Schlüsselbegriffen der Theaterwissenschaft befasst – etwa Raum, Körper, Bewegung oder Ökonomie. Laut den Herausgeberinnen ist die Reihe als Einführungslektüre in Ideenkonstellationen, Methoden und Theorien der Theaterwissenschaft konzipiert, die im 21. Jahrhundert an zentraler Bedeutung gewonnen haben. Aufgrund der komplexen theoretischen Bezüge in der Ausgabe Memory, geht der einführende Charakter stellenweise verloren. Mittels anschaulicher Analysen werden jedoch die vielschichtigen theoretischen Zusammenhänge entwirrt und somit greifbarer. Für eine Vertiefung in die jeweilige Thematik findet sich in jeder Ausgabe der Reihe ein Abschnitt mit weiterführender Literatur sowie Links und Diskussionsfragen auf der Website des Verlags. Die Ausgabe Memory baut theoretisch auf dem Standpunkt Marvin Carlsons auf, dass sich Theater aufgrund seiner vielschichtigen Kommunikationsformen besonders gut für die Vermittlung historischer Narrative eignet. Nach Meinung Carlsons können Dynamiken des kollektiven Gedächtnisses sowie individuelle Erinnerungsvorgänge durch diverse Aufführungspraktiken besser greifbar gemacht werden (S. 9). Zudem bezieht sich Gluhović in seiner Einleitung auch auf Rebecca Schneiders Untersuchungen zum politischen und sozialen Potenzial von Reenactments. Schneider untersucht in Performing Remains (2011) das Verhältnis zwischen historischen Ereignissen und deren Nachbildungen. Neben Kriegen definiert sie auch Theaterstücke und Performances als historische Ereignisse, die von Gegenwartskünstler*innen wie beispielsweise Marina Abramović in Seven Easy Pieces (2005) nachgestellt werden. Schneiders These, dass durch Nachahmungen die Linearität der Zeit durchbrochen und somit die historiografische Untersuchung vergangener Ereignisse vorangetrieben werden kann, sowie Carlsons Definition von Theater als "Erinnerungsmachine", führen Gluhović zu seinen zentralen Fragestellungen – etwa wie Theater genutzt werden kann, um Aspekte der Vergangenheit zu erforschen oder wie verdrängte Geschichte ins kollektive Bewusstsein tradiert werden kann. Die Fragen, wie Erinnerungsdiskurse auf Produktionen des internationalen Gegenwartstheaters Einfluss nehmen und welche ethischen und politischen Dimensionen Theaterstücke mit der Verhandlung von gewaltvoller Vergangenheit annehmen können, fließen ebenfalls in die Diskussion mit ein. Und schließlich, warum Erinnerung als politisches Instrument genutzt wird, um auf die Herausforderungen der Gegenwart zu reagieren. In drei Kapiteln geht Gluhović drängenden Fragen der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung nach, die er als methodologischen Zugang für seine Fallstudien wählt und mit theaterwissenschaftlichen Überlegungen verbindet. Fragen nach Wahrheit und Authentizität, Ethik und Politik sowie nach dem Spannungsverhältnis zwischen Erinnerung und Geschichte erscheinen hierbei zentral. Hierzu bezieht sich der Autor in seiner Einleitung zunächst auf die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins, für den Geschichte nicht in der Vergangenheit verborgen liegt, sondern im Antlitz gegenwärtiger Gefahren zu suchen ist. Erinnerung meint in diesem Sinne eine Bewusstwerdung historischer Vorgänge und ihrer Bedeutung für gegenwärtige Verhältnisse. Warum Erinnerung zu einem bedeutenden politischen Instrument geworden ist, erläutert Gluhović mit dem überzeugenden Argument des italienischen Historikers Enzo Traverso, für den die zunehmende Obsession mit der Vergangenheit ein Ausdruck fehlender Utopien in der modernen Welt darstellt (S. 3). Im zweiten Kapitel "Searching for a Common Ground: Performance, Testimony, and Small Acts of Repair" geht Gluhović den Fragen nach Darstellungsmöglichkeiten von Authentizität und Wahrheit im Theater nach sowie der Frage, wie Theater als Korrektiv beziehungsweise als eine Form der Wiedergutmachung für vergangene Verbrechen eingesetzt werden kann. Hierzu verbindet er seine vorhergehenden theoretischen Überlegungen mit der Frage nach dem individuellen psychologischen Effekt der Wiedergutmachung durch Erinnern. Mit Analysen der Theaterproduktionen Minefield (2016) der argentinischen Schriftstellerin und Regisseurin Lola Arias, Common Ground (2015) der israelischen Theaterregisseurin Yael Ronen und des Theaterepos The Seven Stream of the River Ota (1994) des kanadischen Theaterregisseurs Robert Lepage lotet Gluhović Möglichkeiten des Theaters aus, menschliche Katastrophen des 20. Jahrhunderts im Theater zu vermitteln. Während Minefield und Common Ground auf den Biographien der Schauspieler*innen aufbauen und sich mit dem Falklandkrieg (1982) beziehungsweise mit den jugoslawischen Zerfallskriegen (1991-1995) befassen, erzeugt Lepage über individuelle Geschichten Verbindungen zwischen dem Zweiten Weltkrieg, den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und der Aids-Krise der 1980er und 1990er Jahre. Allerdings nicht – wie Gluhović gekonnt herausarbeitet, um die historische Bedeutung der jeweiligen Katastrophen gleichzusetzen, sondern vielmehr um eine Geschichte menschlicher Fehlbarkeit sowie menschlichen Leids zu erzählen, die mittels einer Auflösung linearer Zeitstrukturen die Geschichte der Menschheit als fortwährende Suche nach Sinn und Frieden angesichts von Tod und Leid offenlegt. Seiner Verortung der hier genannten Beispiele zwischen Performativität und Theatralität fügt er jedoch keine weiteren Erläuterungen bei, woraus Fragen entstehen, mit denen die Leser*innen an dieser Stelle alleine gelassen werden. Im letzten Kapitel "Memory and Migration" erörtert Gluhović anhand zweier Theaterbeispiele das erinnerungspolitische Spannungsfeld zwischen Erinnern und Vergessens im Kontext von Migration. In welchem Zusammenhang dabei die gegenwärtige europäische Migrationspolitik mit der europäischen kolonialen Vergangenheit zu betrachten ist, wird anhand der Analyse von Small Island (2019) gezeigt. Mittels dreier Biographien untersucht die Regisseurin Helen Edmonson die Geschichte der sogenannten 'Windrush-Generation' – Einwander*innen aus den ehemaligen britischen Besatzungsgebieten in der Karibik, die 1948 nach Großbritannien auswanderten, um sich als Arbeiter*innen beim Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Jahrzehnte später verlieren sie ihre Aufenthaltsechte durch behördliches Versagen. In der Produktion werden Erinnerungen karibischer Migrant*innen als zentrale Erzählperspektive herangezogen, womit bisherige Narrative zu diesem Abschnitt der britischen Kolonialgeschichte herausgefordert werden. Anhand des Beispiels Portugal is not a small country (2015) des portugiesischen Künstlers André Amálio untersucht Gluhović künstlerische Strategien im Theater, mit denen verdrängte Erinnerungen an vergangene Verbrechen ins Bewusstsein tradiert werden, die aber gleichzeitig Parallelen zwischen vergangenen und gegenwärtigen nationalistischen Aspirationen offenlegen. Wie Gluhović detailliert herausarbeitet, seziert Portugal is not a small country die Ideologie des Lusotropikalismus, dem die Vorstellung einer moralischen und historischen Überlegenheit Portugals als Kolonialmacht zugrunde liegt. Anhand dokumentarischer Elemente, wie beispielsweise Interviews mit portugiesischen Einwander*innen, sowie popkultureller Zitate, in denen der Lusotropikalismus propagiert wird, legt Amálio die in der portugiesischen Kultur tiefsitzenden Dynamiken des portugiesischen Imperialismus offen, wodurch, nach Meinung von Gluhović, das kollektive Gedächtnis Portugals herausgefordert wird. Gluhović schließt seine Monographie mit der Bestandsaufnahme ab, dass angesichts der gegenwärtigen globalen Flüchtlingspolitik Erinnerung und Migration als Themenkomplex in den Fokus theaterwissenschaftlicher Untersuchungen rücken sollte. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine Unterscheidung zwischen Flucht und Migration nicht nur für wissenschaftlichen Untersuchung unabdingbar erscheint, sondern eine synonyme Verwendung beider Begriffe hinsichtlich öffentlicher Debatten um die gegenwärtige Flüchtlingspolitik eine Relativierung der Lebensrealitäten Geflüchteter begünstigen kann. Mit Theory for Theatre Studies: Memory ist Gluhović eine umfassende, wenn auch stellenweise für eine Einführungslektüre etwas zu komplexe Zusammenführung aktueller Fragen und Theorien der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung mit theaterwissenschaftlichen Überlegungen gelungen, die als Ausgang für weiterführende Forschungsarbeiten zu empfehlen ist. Das interdisziplinäre theoretische Gerüst, das Gluhović erarbeitet, veranschaulicht gemeinsam mit den Fallstudien Möglichkeiten des Theaters, als Korrektiv beziehungsweise als mediales Dispositiv zu fungieren.
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In der Theaterwissenschaft lässt sich eine Umbruchs- bzw. Aufbruchsphase zu neuen Forschungsgebieten beobachten; neben ästhetischen Fragen wird zunehmend eine "Inblicknahme der institutionellen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen von Theater" relevant und eine interdisziplinäre Öffnung zu "neuen Methoden" diskutiert. (Wihstutz/Hoesch 2020, S.10) Diese Tendenz geht mit dem Bestreben einher, Kulturproduktion als ganzheitliche Praxis und im Kontext gesellschaftspolitischer Veränderungen zu begreifen. Der Sammelband Radikale Wirklichkeiten. Festivalarbeit als performatives Handeln, herausgegeben von Julia Buchberger, Patrick Kohn und Max Reiniger, verschreibt sich eben diesem Forschungsinteresse und beleuchtet künstlerische, technische und organisatorische Tätigkeitsbereiche der Festivalarbeit. Ein Blick hinter die Kulissen wird versprochen, dem angesichts der praxisnahen beruflichen Hintergründe der Beitragsverfasser*innen auch nachgekommen wird. Die Herausgeber*innen verbindet die kollektive Arbeit am transeuropa fluid, dem Europäischen Festival für Performative Künste, im Mai 2018 in Hildesheim. Dieser gemeinsam durchlebte Prozess bildet somit den Erfahrungshorizont, auf Basis dessen der Sammelband Einblick in die "radikalen Wirklichkeiten" von Festivalarbeit geben möchte. Als roter Faden dient die Absicht, Festivalarbeit als performatives Handeln zu denken – dies reicht von Selbstinszenierungsstrategien der Künstler*innen während der Festivalbewerbung, bis hin zu performativen Auftritten der Geschäftsführung in Pressekonferenzen und Beiratssitzungen. Die drei Kapitel des Sammelbands diskutieren Theaterfestivals als Produktions- und Arbeitsumfeld, das Wechselspiel zwischen institutionellen Strukturen und "ästhetisch wahrnehmbaren Aspekten von Festivals" (S. 20), sowie unsichtbare Tätigkeitsbereiche der Festivalarbeit, wobei sich die jeweilige Kapitelzuordnung der einzelnen Beiträge nicht immer auf Anhieb erschließt. Gelungen ist die abwechslungsreiche Zusammenstellung von Praxisberichten bis hin zu theoretischen Überlegungen, verschriftlichten Gesprächen und freieren Textformen. Im Rahmen eines Interviews mit Juliane Beck und Yvonne Whyte vom PACT Zollverein untersucht Anna Barmettler Residenzformate als "Stationen (auch offener) Arbeitsprozesse" (S. 43). Insbesondere die Förderung ergebnisoffener Theaterprojekte durch die Bereitstellung von Produktionsinfrastruktur ermöglicht kreativen Freiraum, abseits eines neoliberalen Leistungs- und Effizienzdenkens. Auf Theaterfestivals hingegen – mit deren ökonomischer Funktion als "Schau" und "verdichtetes Sichtungsangebot für Kuratierende" (S. 55), wie Anne Bonfert betont – bestreiten Akteur*innen neben ihrer künstlerischen Performance, dem dargebotenen Resultat ihres kreativen Schaffensprozesses, auch eine Arbeitsperformance als Unternehmer*innen. Dass wirtschaftliche Kalkulation neben künstlerischer Innovation zunehmend an Relevanz gewinnt, erkennt auch Benjamin Hoesch in seiner Durchsicht des Bewerbungsarchivs des internationalen Theater- und Performance-Festivals PLATEAUX. Bewerbungsverfahren um eine Festivaleinladung eröffnen einen "Wettbewerb der Subjekte" (S. 35), der nicht ohne Selbstvermarktungs- und Inszenierungsstrategien auskommt. Mit der Performanz des Arbeitssubjekts befasst sich ebenfalls Bianca Ludewigs empirische Untersuchung zu Praktika und Volunteering auf Transmedia Festivals, die sie als "Wirklichkeitsausschnitte der Spätmoderne" (S. 62) begreift. Demnach weisen Festivals auf gesellschaftspolitische Entwicklungen bzw. Problematiken hin, wie u. a. "die Prekarisierung und Entwertung von (Kultur-)Arbeit" (S. 63). Die vier genannten Beiträge enden z. T. mit Lösungsansätzen und Zukunftswünschen: Um dem steigenden Selbstvermarktungstrend auf Festivals entgegenzuwirken, fordert Hoesch u. a. eine Erhöhung der "Aufführungshonorare und Koproduktionsbeiträge" sowie "längerfristige Verbindungen zwischen Künstler*innen und Festivals" (S. 40). Bonfert betont die Notwendigkeit einer gelungenen Balance zwischen "künstlerischer Performance" und "Arbeitsperformance", die nur dann sichergestellt werden kann, wenn auch Tätigkeiten hinter den Kulissen – eben jene "informelle und unsichtbare Arbeit" – stärker als "offizielle Arbeit" Anerkennung finden (S. 59). Hier ließe sich argumentieren, dass bereits die diskursive Auseinandersetzung mit der Thematik "Kunst als Arbeit" – dazu zählt auch Annemarie Matzkes Professionalisierungsbiografie (Matzke 2018) – ein öffentliches Bewusstsein generiert und folglich Veränderungspotential birgt. Die Beiträge des zweiten Kapitels befassen sich mehrheitlich mit einer diskriminierungskritischen Sichtweise auf Festivalarbeit. Lisa Scheibner, neben ihrer Tätigkeit als Schauspielerin und Kulturwissenschaftlerin auch Referentin für Sensibilisierung und Antidiskriminierung bei Diversity Arts Culture, beschreibt die Zielsetzung und Angebote dieser Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung im Kulturbetrieb. Ihr Beitrag beinhaltet v. a. konkrete Arbeitsschritte in Richtung einer "diskriminierungssensiblen Öffnung der eigenen (Festival-)Strukturen" (S. 99) und richtet sich somit insbesondere an Führungskräfte von Festivals oder Kulturbetrieben. Ebenso betont Martine Dennewald, von 2015 bis 2020 künstlerische Leiterin des Festivals Theaterformen, die Wichtigkeit, nicht bloß "innerhalb des künstlerischen Programms, auf der Bühne, Diversität und Gleichstellung […] zu predigen", sondern diese Grundsätze auch "im eigenen System umzusetzen" (S. 112). Es "genügt" daher nicht, Arbeiten von Künstler*innen aus Afrika, Südostasien oder Südamerika in das Festivalprogramm aufzunehmen, ohne sich um eine diskriminierungskritische Prozessbegleitung zu kümmern. Einen ähnlichen selbstreflexiven Ansatz verfolgen Fanti Baum und Olivia Ebert, indem sie "Gastgeben als Infragestellung der eigenen Souveränität und der eigenen Struktur" (S. 117) begreifen. Auch wenn sich Festivals oftmals als "Wegbereiter der Inklusion" verstehen, bringen sie – laut Yvonne Schmidt – "eigene Mechanismen der Exklusion" hervor (S. 145). Bereits die Internationalisierung der Festivalszene steht in Konflikt zu der nicht immer gegebenen Reisefähigkeit von Ensemblemitgliedern. Nun hat eine diskriminierungssensible Perspektive in Verbindung mit dem fluiden, temporären Charakter von Festivals, der dazu einlädt, "mit neuen Formen und Inhalten zu experimentieren" (S. 88), großes Veränderungspotential. Innovative Arbeits- und Produktionsweisen können erdacht und erprobt werden, und derart auch richtungsweisend für die gesamte Kulturlandschaft sein. So werden mitunter "Konzepte von Slowness […] und Conviviality" auf Disability Arts Festivals umgesetzt, die einen "Kontrast zu neoliberalen Logiken des Produzierens" bilden (S. 153). Malte Wegners Arbeitsberichte, die er als Geschäftsführer des Festivals Theaterformen verfasst hat, wären eher im dritten Kapitel anzusiedeln. Hier werden jene Tätigkeitsbereiche der Festivalarbeit thematisiert, die weniger öffentliche Aufmerksamkeit erlangen und doch wesentlich zum Gelingen der Veranstaltung beitragen. Thomas Friemel, Mitbegründer der freitagsküche, erläutert beispielsweise, wie durch Festivalgastronomie "horizontale Gesprächssituationen" geschaffen werden (S. 190). Esther Bold reflektiert ihre Erfahrungen als Autorin und Theaterkritikerin, wobei sie Festivals als "verdichtete Erfahrungsräume" beschreibt, die "heterogene Kunsterfahrungen" ermöglichen (S. 208). Antonia Rohwetter und Philipp Schulte diskutieren ihre Beobachtungen im Rahmen des Veranstaltungsformats Festivalcampus. Verena Elisabet Eitels "Architektonik des Temporären" steht den Texten des zweiten Kapitels thematisch näher. Anhand von vier exemplarischen Projekten diskutiert Eitel, wie Festivalarchitekturen "zu Schwellensituationen zwischen den Sphären werden können und damit Erfahrungs-, Ideen- und Möglichkeitsräume eröffnen" (S. 176). Daran anschließend analysiert Nicola Scherer Festivalzentren als "Inbetweens" (S. 185), produktive Zwischenräume und Orte der Begegnung. Die vielseitigen Beiträge des Sammelbands, deren Ausgestaltung zwischen Theorietiefe und Praxisnähe deutlich variiert, bieten eine kurzweilige und abwechslungsreiche Leseerfahrung. Sowohl wissenschaftliche Positionen als auch persönliche Erfahrungsberichte aus der Festivalarbeit sind dabei vertreten. Somit wird Diversität nicht nur inhaltlich behandelt (siehe Kapitel 2), sondern auch in der Zusammenstellung des Sammelbands war man darum bemüht, zumal Stimmen aus Theorie und Praxis gleichermaßen Gehör finden. Literatur: Wihstutz, Benjamin/Hoesch, Benjamin (Hg.): Neue Methoden der Theaterwissenschaft. Bielefeld: transcript 2020, S. 10. Matzke, Annemarie: "Sich selbst professionalisieren – zur Figur des Performancekünstlers im gegenwärtigen Theater". In: De-/Professionalisierung in den Künsten und Medien. Formen, Figuren und Verfahren einer Kultur des Selbermachens. Hg. v. Stefan Krankenhagen/Jens Roselt, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2018.
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