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Ein Viertel der Schüler lernt nicht richtig lesen. "Tutoring for All" will deshalb eine neue Methode der Leseförderung in Deutschland etablieren. Kann das funktionieren? Ein Interview mit dem Sozialunternehmer Ekkehard Thümler und der Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin.
Ekkehard Thümler ist Senior Fellow am Centre for Social Investment (CSI) der Universität Heidelberg. Er arbeitete in verschiedenen Funktionen unter anderem für Joachim-Herz-Stiftung und die Bertelsmann-Stiftung. 2020 gründete er das gemeinnützige Startup "Tutoring for All". Ingrid Gogolin war über viele Jahre Professorin am Arbeitsbereich "Interkulturell und International Vergleichende Erziehungswissenschaft" der Universität Hamburg und forscht dort als Seniorprofessorin weiter. Fotos: Gerrit Meier/Scholzfoto.
Herr Thümler, 26 Prozent der deutschen Neuntklässler können schriftliche Texte nicht sinnerfassend verstehen, hat die jüngste PISA-Studie ergeben.
Ekkehard Thümler: Und das Problem fängt in der Grundschule an. Jedes vierte Kind lernt nur sehr schlecht lesen. Wenn wir das ändern wollen, brauchen die Lehrkräfte Unterstützung und die Schulen neue Methoden.
Mit Mitstreitern haben Sie "Tutoring for All" gegründet, was ist das?
Thümler: Ein Sozialunternehmen, das die individuelle Förderung von Kindern in ganz kleinen Gruppen durch Tutorinnen und Tutoren fördern will. Außerhalb des regulären Unterrichts und mit Hilfe einer digitalen Tutoring-Plattform.
Dahinter steht das sogenannte "High Impact Tutoring". Klingt nach Marketing.
Thümler: Das ist eine Methode aus den USA, die laut Forschung besonders hohe Effekte hat, vor allem bei der Stärkung sozial benachteiligter Kinder und deren Basiskompetenzen. In den USA und Großbritannien wird Tutoring deshalb auch mit großen nationalen Programmen gefördert. In Deutschland nennen wir unser Angebot "Lesen mit dem Turbo-Team". Knackpunkt ist die hohe Dosis. Tutoring mindestens dreimal die Woche, durchgeführt von geschulten Tutorinnen und Tutoren. Reale Menschen, die digitale Hilfsmittel einsetzen, auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Konzepts. Aber das Persönliche, die menschliche Beziehung zwischen Kind und Tutor, steht im Vordergrund. Das ist der Unterschied zu rein virtuellen Tools, die deutlich weniger bringen. Hinzu kommt, dass es beim High Impact Tutoring ein Monitoring gibt, um zu prüfen, ob die gewünschten Effekte auch tatsächlich eintreten.
"Wir konzentrieren uns auf einen Ansatz, der relativ leicht umzusetzen ist und relativ schnell einen hohen Wirkungsgrad erzielt."
Ihr Glaube an die Methode muss groß sein. Immerhin haben Sie dafür die sichere Welt einer Bildungsstiftung verlassen, um in die Selbstständigkeit zu gehen.
Thümler: Eigentlich hatten wir mehr vor. Wir wollten ein umfangreiches Schulentwicklungsprogramm nach Deutschland holen, "Success for All", bei dem das Tutoring nur ein Ausschnitt gewesen wäre. Aber dann kam Corona. Und uns wurde klar, dass für so große Projekte mit jahrelangem Vorlauf jetzt weder die Zeit noch das Geld da ist. Darum konzentrieren wir uns auf einen Ansatz, der relativ leicht umzusetzen ist und relativ schnell einen hohen Wirkungsgrad erzielt.
Was heißt "relativ schnell"?
Thümler: Mit dem Turbo-Team waren wir Ende 2023 an 22 Schulen bundesweit, im Januar kommen fünf weitere Standorte dazu. Das bedeutet, wir haben bislang etwa 1000 Kinder mit der Förderung erreicht. Dafür arbeiten wir meistens mit Organisationen und Vereinen zusammen, die ohnehin schon an den Schulen sindund oft auch eigene Tutorinnen und Tutoren mitbringen. In selteneren Fällen führen Schulen unser Programms auch eigenständig durch.
Frau Gogolin, Sie sind Senior-Professorin am Arbeitsbereich "Interkulturell und International Vergleichende Erziehungswissenschaft" der Universität Hamburg und begleiten "Tutoring for All" wissenschaftlich. Warum?
Ingrid Gogolin: Ekkehard Thümler und ich kennen uns seit etlichen Jahren. Wir haben gemeinsam versucht, "Success for All" aus den USA nach Deutschland zu bringen, nach meiner Überzeugung eines der besten Schulentwicklungskonzepte weltweit. Die wissenschaftliche Studienlage ist da sehr eindeutig: Konzepte, die verschiedene Akteure von innerhalb und außerhalb der Schule unter einer gemeinsamen Strategie vereinen, auf dieser Grundlage systematisch Maßnahmen ergreifen und deren Wirkung regelmäßig messen, haben durchgehend positive Effekte auf die Schülerleistungen. Und weil, wie Ekkehard eben erwähnte, nach Corona das ganz große Rad nicht mehr zu drehen war, haben wir gesagt: Fangen wir mit dem Tutoring an, also mit einem Element von "Success for All". Dieses Tutoring findet in enger Abstimmung mit den Lehrkräften und dem allgemeinen Unterricht statt. Einen wichtigen Erfolgsaspekt möchte ich hinzufügen: Es handelt sich nicht um allgemeine Leseförderung, sondern um das gezielte Arbeiten an individuellen Schwächen, die vorher bei einem Kind diagnostiziert worden sind. Wenn diese Schwächen beseitigt sind, endet auch die Förderung. Dadurch ist es möglich, sehr genau die Effekte zu messen.
Das haben Sie getan.
Gogolin: Ja, in Form einer Pilotevaluation. Ich weiß, dass Ekkehard den Begriff nicht mag und mich zu vorsichtig findet mit meinen Aussagen. Aber als Wissenschaftlerin muss ich genau sein. Es handelt sich immer noch um eine relativ kleine Anzahl von Kindern, und für die Kontrollgruppe haben wir keine Zufallszuweisung der Kinder hinbekommen. Trotzdem, und das kann ich als Wissenschaftlerin wieder ohne Einschränkung sagen, sind wir von den Ergebnissen einigermaßen überrascht gewesen.
Sie haben zu Beginn und nach Abschluss des Turbo-Tutorings bei den Kindern vier Kompetenzbereiche untersucht: ihre basale Lesefertigkeit, ihr Wortverständnis, ihr Satzverständnis und ihr Textverständnis. Und Sie haben die Ergebnisse mit Schülern verglichen, die nicht an dem Programm teilgenommen haben.
Gogolin: Und damit man die Ergebnisse vergleichen kann, haben wir den Einfluss von Geschlecht, Klassenstufe, Erstsprache und sozioökonomischem Status der Familie statistisch kontrolliert. Unabhängig von der Lesekompetenz vor Beginn der Förderung zeigte sich in allen vier Bereichen ein Vorteil für die Kinder, die beim Tutoring dabei waren. Beim Satzverständnis und beim Textverständnis fiel der Unterschied so groß aus, dass er statistisch signifikant, also kein Zufallsergebnis ist.
"Auch andere Leseförderprogramme haben überzeugende Geschichten von sich zu erzählen. Doch stellen sich nur die wenigsten einer wissenschaftlichen Evaluation."
Warum war das bei der basalen Lesefähigkeit und dem Wortverständnis anders?
Gogolin: Weil sich auch die Kinder der Kontrollgruppe in anderen an den Schulen bereits praktizierten Formen der Leseförderung befanden. Auch dies war also eine gute Förderung. Der Turbo-Team-Ansatz bringt aber zusätzlich auf der Ebene der komplexeren Leseleistungen erstaunliche Effekte, also genau da, wo die Stolperstellen liegen, die das Tutoring gezielt bearbeitet. Wichtig ist, dass dies in der Kombination eines digitalen Systems mit Tutorinnen und Tutoren passiert, die das Programm in ihrer Arbeit mit den Kindern zum Leben bringen. Darum bin ich optimistisch, dass wir bei einer größer angelegten Evaluation zu vergleichbaren Ergebnissen kämen. Dann müssten wir die Kinder allerdings auch über einen längeren Zeitraum verfolgen, um herauszufinden, ob der Lerneffekt von Dauer ist.
Ist Ihnen das zu pessimistisch Herr Thümler?
Thümler: Ich würde nie mit einer Wissenschaftlerin schimpfen, weil sie wissenschaftlich vorgeht. Und Ingrid hat ja Recht: Auch andere Leseförderprogramme haben überzeugende Geschichten von sich zu erzählen. Doch stellen sich nur die wenigsten einer wissenschaftlichen Evaluation.
Gogolin: Ich kenne keinen einzigen anderen Anbieter einer onlinebasierten Leseförderung, der das schon im Prozess der Entwicklung getan hat.
Thümler: Das enthält ja auch ein immenses wirtschaftliches Risiko, wenn Sie gerade ein Unternehmen gegründet haben und als Person in Vorleistung gegangen sind. Was wäre passiert, wenn die wissenschaftliche Untersuchung nun belegt hätte, dass die Methode nicht funktioniert?
Gogolin: Aber wir haben das Risiko offenen Auges auf uns genommen und sehen nun, dass die Richtung, in die das Programm geht, stimmt. Der Vorteil ist, dass die Ergebnisse unserer Prüfung sofort wieder in die Weiterentwicklung der Plattform einfließen können.
Wie geht es jetzt weiter, Herr Thümler?
Thümler: Motiviert von der Evaluation wollen wir jetzt an weitere Schulen gehen und so viele Schülerinnen und Schüler erreichen, dass wir uns einer noch anspruchsvolleren wissenschaftlichen Studie stellen können. Unsere Botschaft lautet: Wir bringen ein fertiges Produkt mit, verknüpft mit dem Angebot, die vorhandenen Tutoren und Lehrkräfte zu schulen. Wir wollen es den Schulen so einfach wie möglich machen.
"Wirtschaftlich ist das eine Wette, das ist klar."
Das klingt, als wären die meisten Schulen sehr vorsichtig und zurückhaltend. Was kostet denn die Teilnahme?
Thümler: 2.500 Euro pro Schule und Jahr, unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und Tutorinnen und Tutoren. Dafür können sie alle die digitale Plattform nutzen, sie bekommen die Schulungen und alle Unterstützung, die sie brauchen, um das Programm durchzuführen. Künftig wollen wir noch einen Schritt weitergehen und das Angebot machen, dass jemand von "Tutoring for All" vorbeikommt, wenn ein konkretes Anwendungsproblem zu lösen ist.
Gogolin: Was eine große Rolle spielt, wie unsere Evaluation gezeigt hat: Es braucht nicht nur die einmalige Schulung von Tutorinnen und Tutoren, sondern ihre dauerhafte Begleitung.
Und der ganze Aufwand für 2.500 Euro, Herr Thümler – das geht auf?
Thümler: Die Kalkulation wird dann aufgehen, wenn wir eine ausreichend große Zahl von Schulen gewinnen können. Insofern ist es wirtschaftlich eine Wette, das ist klar.
Wo sind denn dann all die Schulen, die mitmachen wollen?
Thümler: Die meisten Schulen haben im Moment weder die Ressourcen noch die Kraft, sich erst auf einen jahrelangen Schulentwicklungsprozess einzulassen. Aber genau das ist das "Turbo-Team" nicht, die Schulen müssen sich zu nichts committen. Hinzu kommt: Viele Schulen haben bislang gar nicht das Budget für solche Extra-Aktivitäten, wenn sie es nicht durch Stiftungen oder andere Förderorganisationen finanziert bekommen. Das ändert sich hoffentlich durch das Startchancen-Programm von Bund und Ländern für Schulen in benachteiligten Lagen. "Lesen mit dem Turbo-Team" wird von diesem Programm ausdrücklich als empfehlenswerte Maßnahme genannt, das könnte eine große Chance auch für unser Vorhaben sein.
Gogolin: Es gibt auch eine emotionale Schwelle, die es zu überwinden gilt. Sehr viel Leseunterstützung, die es heute gibt, kommt von Ehrenamtlichen, die sich mit den Kindern unterhalten, ihnen etwas vorlesen. Das finde ich prima – aber: Jetzt kommen wir mit so einem systematischen Lernprozess, mit dialogischen, digital gestützten Verfahren und Monitoring-Tools. Das ist vielen Ehrenamtlichen fremd. Aber wir können hoffentlich klarmachen, dass wir die Angebote, die es gibt, nicht ersetzen wollen. Dass sie aber bei allem Bemühen noch nicht reichen, um den besonders gefährdeten Kindern ausreichend zu helfen. Wenn jetzt die Startchancen kommen und Ganztagsausbau an den Grundschulen voranschreitet, hoffen wir, dass diese systematische Perspektive stärker als bislang aufgegriffen wird.
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Die Konstanzer Universitätsleitung ist stolz auf ihr neues Karrieremodell. Aber hält es auch, was es verspricht? Ein Interview mit Prorektor Malte Drescher über Abhängigkeitsverhältnisse, Drittmittelvorgriff, Stellenpools – und eine neue Währung im internationalen Wettbewerb um Talente.
Malte Drescher ist als Prorektor an der Universität Konstanz unter anderem für Forschung, Karriereentwicklung und Transfer zuständig. Im Dezember 2023 wurde er zum Präsidenten der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) gewählt und tritt sein Amt im Oktober an. Foto: Inka Reiter / Universität Konstanz.
Herr Drescher, die Universität Konstanz hat ein Personalkonzept mit der wenig bescheidenen Überschrift "Attraktive und verlässliche Karrierewege für exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler". Was ist denn so mutig und anders an Ihrem Modell?
Wir kokettieren in Konstanz gern damit, als kleinste und damit agilste deutsche Exzellenzuniversität immer auch ein Reallabor zu sein. Wir probieren Dinge aus, und genau das wollten wir auch bei diesem wahrscheinlich zurzeit wichtigsten hochschulpolitischen Thema. Zwei Jahre lang haben wir uns damit auseinandergesetzt, immer wieder, über alle Ebenen, Gremien, Statusgruppen und Fachbereiche der Universität hinweg. Im Vordergrund stand für uns immer, dass wir die besten Köpfe für Konstanz rekrutieren wollen, und die Währung, mit der wir sie im internationalen Wettbewerb heutzutage bekommen, ist die richtige Kombination von attraktiven Aufgaben und die nötige Perspektive bei der Karriereplanung. Entscheidend ist, dass unser Modell mehr ist als eine Absichtserklärung. Daher haben wir unser Konzept bis in einzelne Maßnahmen, bis ins kleinste – um nicht zu sagen: manchmal nervigste – Detail ausbuchstabiert.
Verabschiedet haben Sie Ihr Konzept im vergangenen Sommer. Schon da steckte die Ampel-Koalition mit ihrer versprochenen Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) fest. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wir wollten nicht warten, vor allem wollten wir zeigen, was alles unter den gegebenen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist. Und das ist viel. Uns war es besonders wichtig, den notwendigen Kulturwandel an der Universität durch Maßnahmen zu unterstützen, die sowohl den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den frühen Karrierephasen nutzen als auch den etablierten PIs.
Dann bitte mal konkret.
In der Promotionsphase setzen wir in Konstanz bei Haushaltstellen auf Mindestvertragslaufzeiten von anfangs drei Jahren. Das ist nichts Besonderes mehr, das halten viele Universitäten inzwischen genauso. Wir haben aber, und das nicht so selbstverständlich, die drei Jahre jetzt zusätzlich für die vielen Promovierenden eingeführt, die über Drittmittel finanziert werden. Dahinter verbirgt sich ein Pfandsystem, das ich für innovativ halte. Eigentlich passt die Bezeichnung Drittmittelvorgriff-Modell besser, denn darum geht es: Unabhängig davon, wie lang ein Drittmittelprojekt noch läuft, gehen wir als Universitätsleitung in Vorleistung und gewähren für Promotionen einen Dreijahresvertrag. Weil wir darauf vertrauen, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lage sind, neue Mittel einzuwerben, zum Beispiel die Verlängerung eines Sonderforschungsbereichs.
Und wenn die Drittmittel doch ausbleiben?
Dann holen wir uns das Geld zurück über Mittel der PIs wie Berufungszusagen oder über die Nichtnachbesetzung der ihnen gewährten Haushaltsstellen, wenn die irgendwann freiwerden. Es soll ja nur ein Pfand sein, ein Kredit. Die Wissenschaftler müssen den Anreiz zur erfolgreichen Drittmittelakquise behalten.
"Als Hochschulleitung sind wir eine freundliche Bank."
Und das machen die mit?
Wie gesagt: Wir haben unser Konzept universitätsweit im Konsens beschlossen. Dazu gehört, dass die meisten Beteiligten verinnerlicht haben, dass sich etwas Grundsätzliches ändern muss. Im Gegenzug haben die PIs deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen für die Doktoranden zu bieten, die gerade vor der Tür stehen.
Eine Bank würde für so eine Risikoabsicherung Zinsen berechnen.
Als Hochschulleitung sind wir eine freundliche Bank und wollen natürlich keine Zinsen. Außerdem kostet uns die Regelung im Idealfall gar nichts, weil das Geld ja zurückkommt – solange die Ausgaben für die Stellen nicht die Berufungszusagen übersteigen. Um die Vertragslaufzeiten drittmittelfinanzierter Doktoranden drückt sich übrigens auch der WissZeitVG-Referentenentwurf der Ampel herum. Und obgleich wir unabhängig davon handeln: Es ist schon ärgerlich, wie lange das Gesetz auf sich warten lässt.
Und bei der Postdoc-Entfristung konnten die Fraktionen sich gar nicht erst mit dem BMBF auf eine Lösung einigen. Was ist da der Konstanzer Weg?
Wir sind davon überzeugt, dass die Postdoc-Phase kurz zu sein hat, weil sie als Orientierung und Weichenstellung dienen sollte – hin zu einer anschließenden Qualifizierung auf dem Weg zu einer Professur. Oder auf eine andere wissenschaftliche Stelle mit verlässlicher Perspektive. Oder eben für eine Entscheidung für eine Karriere außerhalb der Wissenschaft.
Gut und schön. Aber was heißt kurz?
Das ist die Frage, die alle umtreibt. Unser Rektorat ist in die Diskussion eingestiegen mit dem Ziel, auf eine Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren zu kommen. Wir haben uns dann aber überzeugen lassen, dass das zu kurz ist und vier Jahre deutlich besser passen. Dies entspricht dem Fenster beispielsweise für den Zugang zum Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), außerdem müssten Sie sich bei zwei Jahren praktisch am ersten Postdoc-Tag auf eine Tenure-Track-Professur bewerben, weil die Berufungsverfahren so lange dauern. Das würde die Idee einer Orientierungsphase obsolet machen.
Da hat Sie der Mut ganz schön verlassen, oder?
Unser höchster Anspruch ist nicht, mutig zu handeln, sondern klug. Jeder Postdoc hat im Gegenzug das Recht auf eine Karriereberatung unabhängig vom Professor, und zwar durch unser Academic Staff Development. Im Übrigen bezweifle ich, dass dieser bundesweite Streit um zwei, drei oder vier Jahre tatsächlich zielführend ist. Dreh- und Angelpunkt für attraktive Karrierebedingungen ist, dass alle Universitäten begreifen, wie wichtig dieses Thema für sie selbst, ihre Zukunft und Exzellenz ist. Das ist der entscheidende Kulturwandel.
Was heißt für Sie Exzellenz in dem Zusammenhang?
Exzellenz bedeutet Bestenauslese abhängig vom Potenzial junger Forschender in Forschung, Lehre und Transfer. Und der Kulturwandel besteht in der Art, wie wir die Besten für unsere Dauerstellen auswählen. In einem ersten Schritt identifizieren wir als Institution strategisch, wo genau welcher Personalbedarf besteht. Dann besetzen wir die Stellen über vorher festgelegte, transparente Verfahren und Kommissionen. Nur so kommen wir weg von bilateralen Abhängigkeitsverhältnissen, dass zum Beispiel Stellen freihändig geschaffen werden, um bestimmte Leute draufzusetzen, die sich dann von Kettenvertrag zu Kettenvertrag hangeln. Übrigens sind wir überzeugt, dass nur solch ein Modell mit klaren Prozessen in der Lage sein wird, die Diversität zu erhöhen – und parallel die Exzellenz der Stelleninhaber.
"Ich habe eingesehen, dass es viele Fachdisziplinen gibt, in denen an der Habilitation kein Weg vorbeiführt."
Was Sie da beschreiben, erfordert ein völlig neues Verständnis von Stellenplanung. Und eine Entmachtung der einzelnen Professoren.
Das ist ein dickes Brett, ja. Die Fachbereiche haben anderthalb Jahre Zeit für die Entwicklung von Personalkonzepten, die wie gesagt unabhängig sein müssen von bestimmten Personen und potenziellen Stelleninhabern. Welche Aufgaben sind Daueraufgaben? Welche Professuren sollten nachbesetzt, welche umgewidmet werden? Am Ende werden die Konzepte mit dem Rektorat abgestimmt und ergeben eine Grundlage, die über die sonst in Baden-Württemberg übliche, alle fünf Jahre neu beschlossene Struktur- und Entwicklungsplanung für Universitäten weit hinausreicht. Mit einer Entmachtung der Professor*innen hat das im Übrigen nichts zu tun. Es handelt sich um eine Optimierung der Stellenstruktur, an der die Professor*innen selbstverständlich ganz zentral beteiligt sind.
Was wird in Ihrem System eigentlich aus der Habilitation?
Das ist noch ein Punkt, wo ich persönlich etwas gelernt habe. Zu Beginn unserer Diskussion habe ich den Standpunkt vertreten, dass wir in Konstanz dieses Modell aufgeben sollten. Ich habe aber eingesehen, dass es viele Fachdisziplinen gibt, in denen an der Habilitation kein Weg vorbeiführt. Sie werden sie nicht aufgeben. Darum muss unser Ziel sein, die Habilitation ebenfalls mit einer stärkeren Verlässlichkeit auszustatten. Bei uns in Konstanz erhält jeder Habilitand und jede Habilitandin daher jetzt eine verlässliche Vertragslaufzeit von sechs Jahren, und zwar in Form einer Verbeamtung auf Zeit.
Lassen Sie mich nachrechnen. Das heißt: Wer in Konstanz habilitiert, kann künftig bis zu 16 Jahre befristet werden: sechs Jahre bis zur Promotion, vier Jahre in der Postdoc-Orientierungsphase, und dann sechs Jahre als habilitierender Beamter auf Zeit.
Es kann in Promotion und Postdoc-Orientierungsphase auch schneller gehen, aber im Kern ist das richtig. Und es ist unsere Antwort darauf, dass wir die Habilitation als je nach Disziplin wichtigen Qualifizierungspfad nicht zumachen wollten.
Und wo ist da die Verlässlichkeit, wenn die sechs Jahre Habil-Befristung ohne Anschlusszusage daherkommt?
Die Verlässlichkeit liegt in der gesicherten Zeit für die Habilitation selbst, sie ist ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit, die bei der Vertragsgestaltung von Abhängigkeitsverhältnissen gekennzeichnet war.
"Manchmal finden wir auch kreative Lösungen, wenn gesetzliche Vorgaben Hürden aufbauen."
Haben Sie nicht das Gefühl, auch hier in ihrem persönlichen Reformeifer eingebremst worden zu sein? Unkonventionell gestartet, konventionell gelandet?
Das mag mancher so sehen. Aber was nützt es uns, wenn wir uns am Reißbrett ein bestechendes Konzept überlegt haben, das dann vielleicht in der Physik gut funktioniert, in der Literaturwissenschaft aber überhaupt nicht – oder umgekehrt? Ich glaube, das ist etwas, worauf auch die Wissenschaftspolitik achten sollte: die große Fächerbreite und die unterschiedlichen Bedarfe nicht zu vergessen.
Sie haben am Anfang gesagt, Sie wollten mit Ihrem Konzept zeigen, was alles innerhalb der geltenden gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist. Was hätten Sie trotzdem gern anders gemacht, wenn die Gesetzeslage es zuließe?
Wichtig ist vor allem, dass die gesetzlichen Möglichkeiten sich nicht so ändern, dass sie unsere Wettbewerbslage verschlechtern. Das wäre etwa der Fall, wenn wir nach der WissZeitVG-Novelle im Postdoc-Bereich nur noch zwei Jahre befristen dürften, während Hochschulen im Ausland attraktive Stellen mit einer Laufzeit von vier oder sechs Jahren anbieten, auf die junge Wissenschaftler*innen dann wechseln. Und meine zweite Antwort: Manchmal finden wir auch kreative Lösungen, wenn gesetzliche Vorgaben Hürden aufbauen.
Bitte ein Beispiel.
Wir sind gesetzlich gezwungen, für jede Tenure-Track-Stelle nach sechs Jahren eine dauerhafte Professorenstelle vorzuhalten. Das beschränkt die Zahl der Tenure-Track-Ausschreibungen von vornherein, obwohl am Ende gar nicht alle die Evaluation bestehen. Wir haben das Problem gelöst, indem wir einen W3-Stellenpool geschaffen haben, so dass unabhängig vom Freiwerden einzelner Professuren ein Anschluss immer möglich ist – und wir mutiger Tenure-Track-Stellen ausschreiben können.
Noch ein Wort zu den finanziellen Rahmenbedingungen?
Wir können nicht auf die Politik warten. Aber wenn wir über neue Personalstrukturen und mehr Dauerstellen reden, braucht es dafür am Ende natürlich doch auch mehr Geld. Nicht in unendlichen Mengen, aber so viel, dass Entfristungen nicht auf Kosten der Qualifizierungsstellen gehen. Hier würden wir uns neben der verbalen über jede tatkräftige Unterstützung freuen. Das klingt fast banal, ist aber – wie immer – essenziell.
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Das postjugoslawische Dokumentarfilmschaffen hat, entgegen der Spielfilme und abgesehen von ein paar wenigen Beiträgen in Fachzeitschriften, bislang nur wenig filmwissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. Dies ändert sich nun mit Andrea Reiters als Monografie publizierter Dissertationsschrift. Sie geht von der Annahme aus, dass sich in den dokumentarischen Arbeiten, die während und unmittelbar nach den jugoslawischen Zerfallskriegen produziert wurden, divergierende Strategien des politischen Widerstands finden lassen. Diese ortet sie nicht in einer etwaigen Haltung pazifistischer Narrative und Themen der Filme, sondern in deren formalästhetischer Umsetzung. In diesen Filmen liege, so die Argumentation, nicht nur ein politisch-aktivistisches Potenzial, sondern eben auch ein politisch-aktivierendes, mit dem Anspruch, einen gesellschaftlichen demokratischen Wandel mitzugestalten. Unter dem "politisch-aktivistischen" Charakter wird auf ein Verständnis von Aktivismus als politisches Handeln oder auf die Agitation innerhalb politischer Bewegungen referenziert, welche Filme als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele nutzen. Das "politisch-aktivierende" Vermögen wiederum ist ein diskurstheoretischer Begriff, mit dem eine Aktivierung eines kritischen, dem dirigistischen Mainstream entgegengesetzten Denkens erfasst wird. Um das Potential eines aktivistischen Filmschaffens im postjugoslawischen Dokumentarfilm jener Zeit zunächst zu kontextualisieren, leitet die Autorin 70 Seiten lang in die historischen Parameter der Jugoslawienkriege ein. Die historischen Voraussetzungen für das Ende der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens werden auch für eine balkanhistorisch wenig bewanderte Leser*innenschaft verständlich und präzise zusammengefasst. Besondere Aufmerksamkeit erhalten dabei die Umbrüche in den dokumentarfilmproduzierenden Medienlandschaften Serbiens, Kroatiens und Bosnien und Herzegowinas, welche weitgehend dem jeweiligen dominanten Politdiskurs im Land gleichgeschalten waren und – nach der Liquidation und (Teil-)Privatisierung der staatlich geförderten Produktionsgesellschaften, Filmzentren sowie Fernsehanstalten in den frühen 90er-Jahren – durch direkten politischen Einfluss gesteuert wurden. Hierbei seien die Grenzen "zwischen 'objektiver' Berichterstattung und interessensgesteuerter Kommunikation" fließend: "Was wahr ist und was falsch, was Informationen oder Deutung, tendenziös oder manipulativ, lässt sich für den Einzelnen oder die Einzelne oft schwer entschlüsseln, da er oder sie auf die Informationsvermittlung durch die Medien angewiesen ist, um sich ein Bild machen zu können" (S. 44). An diese Beobachtung schließen die Analysen der Dokumentarfilme an, welche "Denkanstöße liefern und so auf ein Zukünftiges verweisen, was aufseiten der Zuschauer*innen zu einer spezifischen filmischen Erfahrung führt, welche die Vision eines demokratischen Wandels der Gesellschaft anregt" (S. 20). Die Frage nach Gattungen des Dokumentarfilms und insbesondere der Aspekt objektiver oder objektivierbarer Fakten und 'Wahrheiten' in dokumentarfilmischen Praktiken wird in einer film- und medienwissenschaftlichen Vielstimmigkeit problematisiert, wobei die Autorin insbesondere auf den vielzitierten US-amerikanischen Dokumentarfilmtheoretiker Bill Nichols zurückgreift. In der theoretischen Verortung des Dokumentarfilmbegriffs und dessen Verfahren wird aufgezeigt, dass sich filmische Aktivierung nicht in einem einheitlichen Konzept zusammenfassen lässt. Je nach Film würden filmische Agitation, Vision und Reflexion facettenreich ineinander verwoben. Somit müsse jeder Film auch als Einzelfall erörtert und in seinen Spezifika betrachtet werden. Reiter betont in ihrem Verständnis des politisch-filmischen Aktivismus mit Nachdruck, dass die Dokumentarfilme des Forschungskorpus weder als propagandistisch noch als gegenpropagandistisch einzustufen sind. Sie greift dabei auf die zehn Kriterien des funktionalen Analysemodells von Garth S. Jowett und Victoria O'Donnell in Propaganda & Persuasion (2012) (Jowett/O'Donnel 2012) zurück, das propagandistische Tendenzen von Filmen prüft, um anhand dieser Konzeptualisierung aufzuzeigen, dass es sich bei ihren Analysebeispielen nicht um Propaganda handelt. Propaganda sei, jenen Konzepten folgend, stets um Überzeugung und emotionale Lenkung bemüht, während die politisch-aktivistische Perspektive gegenteilige Ziele verfolge. Diese stelle eine Form dar, welche an das natürliche Urteilsvermögen der Zuschauer*innen appelliert, Widersprüche zulässt und das kritische Hinterfragen fördert: "Der politisch-aktivierende Dokumentarfilm wird vielmehr als eine Kommunikationsform verstanden, der es maßgeblich um die Aufforderung zur politischen Reflexion geht" (S. 96). Demnach ist Reiters Dokumentarfilmverständnis, nicht unähnlich demjenigen von Bill Nichols, eines, welches bei den Zuschauer*innen eine individuelle Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema anstoßen soll und somit Ideologiekritik als ästhetische Praxis begreift. Das Politische kritischer Dokumentarfilme liege demzufolge nicht in den etwaigen Zielsetzungen der Werke selbst, sondern in einer Bedeutungszuschreibung, die sich erst in der Rezeption vollzieht. Dieses Denkmodell behält Reiter auch im Auge, wenn sie von den konkreten Filmen spricht, denn diese werden von ihr stets in den jeweiligen Rezeptionskontext gebettet, welcher von internationalen Festivalkarrieren bis hin zu klandestinen Vorführungen in kleinen Filmclubs reicht. Somit würden die Dokumentarfilme Gegendiskurse erzielen, welche "[aufdecken und konterkarieren], was ihr Widerpart zu verbergen sucht" (S. 138). Die aktive Rolle der Zuschauer*innen in der Rezeption dieser zum Nachdenken anregenden Filme bezeichnet die Autorin als "Prospektivität" (S. 19f). Dieser geht sie in den Filmanalysen anhand der Frage nach, wie die Filme ein Bewusstsein für das Werden der Wirklichkeit im Allgemeinen sowie für einen gesellschaftlichen Wandel im Konkreten schaffen. Formalästhetische Parameter etwa würden die Zuschauer*innen dazu anregen, über die thematisierten Fragen zu reflektieren, wodurch diese sich selbst in weiterer Folge als handlungsmächtige politische Subjekte begreifen würden, die sich dominanten politischen Diskursen durch konkrete politische oder ästhetische Intervention widersetzen können. Dieses prospektive Moment der Dokumentarfilme sucht Andrea Reiter in den filmischen Strategien selbst. Um die jeweiligen Filme spezifisch zu kontextualisieren, sind die Analysekapitel nach Ländern geordnet, was angesichts der zentralen Forschungsfrage zwar sinnvoll erscheint, sich jedoch zugleich den Potenzialen komparatistischer Betrachtungen (bewusst) entzieht. Dokumentarfilme aus Serbien etwa seien in einer weitgehend gleichgeschalteten Medienlandschaft unter der autokraten Herrschaft Slobodan Miloševićs primär unter der Ägide des unabhängigen Radios B92 entstanden. Reiter beginnt hier mit einem besonders prominenten, international aufgrund der Bekanntschaft des Filmemachers breit rezipierten Beispiel: In Želimir Žilniks Tito po drugi put među Srbima (Tito zum zweiten Mal unter den Serben, BRJ 1994) begleitet der Regisseur den als Josip Broz Tito verkleideten Mimen Dragoljub S. Ljubičić auf den Straßen Belgrads und beobachtet dabei die spontanen Gespräche zwischen den Bürger*innen und dem Darsteller des verstorbenen ehemaligen Anführers der bereits zerfallenen sozialistischen Republik. Die gefilmte öffentliche Performance zeichnet ein kaleidoskopisches Bild der damaligen serbischen Gesellschaft, welches von der Staatsseite gänzlich negiert wurde: Hier begegnen wir Bürger*innen, die die dominanten politischen Diskurse hinterfragen und sich gar in der Öffentlichkeit kritisch und reflektiert zur aktuellen Lage ihres Landes äußern – es zeigt sich somit ein gänzlich konträres Bild zu der in Mitteleuropa wahrgenommenen, vermeintlich mehrheitlichen Unterstützung der serbischen Bevölkerung für die nationalistische Agenda ihrer Regierung: Ein Misstrauen gegenüber Milošević kommt in den Gesprächen zwischen dem Tito-Mimen und den Passant*innen ebenso zum Ausdruck wie auch Distanzierungen zur sozialistischen Vergangenheit. Der Dialog, welchen der Tito-Imitator provoziert und befördert und welcher in Žilniks Film mitdokumentiert wird, zeigt eine Polyphonie an Meinungen und politischen Haltungen, welche im Mainstreamdiskurs häufig negiert wird. Janko Baljak wiederum, der zu den Gründungsmitgliedern des Video-Departments des B92-Senders gehörte, widmet sich in seiner Dokumentarfilmreihe Kosovska Trilogija (Kosovo Trilogy: The Parallel Worlds of Kosovo, BRJ 1994) der Parallelgesellschaft der serbischen und albanischstämmigen Bevölkerung im Kosovo. Seine Filme, die Reiter als nächstes inspiziert, konfrontieren die Zuschauer*innen mit der harten sozialen Realität der beiden Minderheiten. Doch durch einen politisch nicht zuzuordnenden Off-Kommentator entzieht sich der Film einer 'proserbischen' oder 'prokosovarischen' Lesart – vielmehr liegt der Referenzpunkt der Kritik, laut Reiter, "in einem allgemeinen gesellschaftlichen Normen- und Wertekanon und weist über ethnische Differenzierungen zwischen den beiden Parteien [.] hinaus" (S. 170). Ebenso von Baljak stammt Vidimo se u Čitulji (The Crime that changed Serbia – See you in the Obituary, BRJ 1995), ein kontrovers diskutierter Dokumentarfilm, welcher sich der während des Krieges ausbreitenden 'Unterwelt' des Landes widmet. Mitglieder gewaltbereiter Gangs kommen zu Wort und prahlen teilweise über ihre Taten. Die Kamera folgt auch Polizeibeamt*innen an Tatorte und zeigt dabei Spuren von Gewalt und Tod. Der Film problematisiert somit eine neue, besonders zu hinterfragende Schatten-Elite und ihre Einflusssphären innerhalb der postjugoslawischen serbischen Gesellschaft. Die Filme der B92-Bewegung, welche weitgehend innerhalb geschlossener Filmvorführungen in oppositionellen Zirkeln Belgrads zur Aufführung kamen, sieht Reiter als "eine Komponente [der] sich aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten langsam konsolidierenden Bewegung [.], die im Laufe der 1990er-Jahre eine immer breitere Basis erreichte, bis Milošević im Jahr 2000 endgültig von der Bevölkerung gestürzt wurde" (S. 165). Die B92-Filme seien, so die Schlussfolgerung, nicht auf Belehrung aus, sondern würden die Zuschauer*innen dazu anleiten, die neuen Verhältnisse in ihrem Land kritisch zu hinterfragen, indem sie politisch Verleugnetes oder Verdrängtes bezeugen. Die Suche nach politisch-aktivierenden Dokumentarfilmen in Kroatien wiederum gestaltete sich dabei für die Autorin besonders schwierig. Anders als in Serbien hatte sich unter den Dokumentarfilmer*innen der jungen Republik kein Kommunikationsraum eines engagierten Gegendiskurses etablieren können – finanzielle Unterstützung für Dokumentarfilme gab es unter der rechten HDZ-Regierung Franjo Tuđmans kaum. Umso spannender sind im entsprechenden Kapitel Reiters Analysen zu lesen, denn sie fokussiert sich auf para- und metapolitische Aspekte in zuteil staatlich mitproduzierten, doch politisch nicht klar verortbaren Dokumentarfilmen. Die drei Beispiele – Petar Kreljas Na Sporednom Kolosijeku (At the Railway Siding, HR 1992), Ivan Saljas Hotel Sunja (HR 1992) und Zvonimir Jurićs The Sky Below Osijek (HR 1996) – lassen Kriegsbeteiligte mit unterschiedlichen Erfahrungen zu Wort kommen und entziehen sich dabei, entgegen der meisten kroatischen Dokumentarfilme jener Zeit, einer eindeutigen Schwarzweiß-Zeichnung von Freund*in-Feind*in bzw. Opfer-Täter*in-Narrativen. Somit wird die dominante patriotisch-heroische Perspektive in Frage gestellt. Die Kroatienstudie schließt mit einem Kapitel zu Lordan Zafranovićs essaystischem Dokumentarfilm Zalazak Stoljeća: Testament L.Z. (Decline of the Century: Testament L.Z., 1993), dessen Produktion mit 1986 schon deutlich vor dem Kroatienkrieg begann und der die Ustaša-Vergangenheit des Staates zum Thema hat. Zafranović verwendet filmische Strategien, die seinen Arbeitsprozess als Regisseur mitreflektieren, beispielsweise indem er sich selbst am Schneidetisch filmt. Dies akzentuiert nicht nur die Konstruktion des Films als Kunstwerk, sondern reflektiert zugleich die Gestaltung und Konstruierbarkeit von Geschichte. Die behandelten Filmbeispiele, die in Bosnien und Herzegowina während des Kriegs produziert wurden, sind allesamt innerhalb des belagerten Sarajevos entstanden. Hier findet man den mit über 50 kürzeren und längeren Dokumentarfilmen quantitativ größten Korpus eines regionalen Dokumentarfilmschaffens vor – was keineswegs eine Anomalie ist, denn auch in Theater, Literatur und anderen Künsten zeigt sich ein äußerst reges Schaffen während der Belagerung der bosnischen Hauptstadt. Die Filme handeln vom Alltag der von serbischen Streitkräften umzingelten Zivilbevölkerung. Sie entziehen sich jeglicher Spaltung der Ethnien und inszenieren Sarajevo als multiethnische und -kulturelle Stadt. Da Reiter hier natürlich auch mit Filmen konfrontiert ist, die sich mit explizitem Krieg und Gewalt beschäftigen, ja sogar tote Menschen zeigen, werden auch ethische Komponenten des Betrachtens des Leidens Anderer (Susan Sontag) miteinbezogen – insbesondere im Fall von Vesna Ljubićs Film Evo Čovjeka: Ecce Homo (Ecce Homo: Behold the Man, BIH 1994), welcher sich der Ausweglosigkeit der Bevölkerung in einem beobachtenden Modus nähert. In ästhetisierten Kadragen verweilt hier die Kamera auf den Straßen, Plätzen und Hügeln der Stadt und beobachtet den Alltag einer Bevölkerung in einem Belagerungszustand. Trotz der Gefahr, der die Sarajevoer*innen ausgeliefert sind, werden auch Menschen auf offener Straße beobachtet, die sich ohne Hast und scheinbar entspannt fortbewegen, während um sie herum Detonationen und Schüsse zu hören sind – die beobachtende Distanz zeigt also auch einen Gewohnheitseffekt, der sich unter der leidenden Bevölkerung einstellt – Gewalt als Alltag. Das letzte Kapitel des Buchs widmet sich Beispielen nach 1995, also folgend dem Friedensabkommen von Dayton, welches die Kriege in Kroatien und Bosnien beendete. Serbische Filmemacher*innen rücken, folgt man Reiter, in dieser Zeit die Opposition und die gegen Milošević demonstrierende Öffentlichkeit ins Zentrum ihrer Werke, während in Kroatien eine Fokussierung auf die Enttabuisierung kroatischer Kriegsverbrechen eintritt. Als eine weitere Konfiguration des politisch-aktivierenden Dokumentarfilmschaffens stellt Reiter im Schlusskapitel subjektive Erzählstrategien in den Mittelpunkt: Regisseur*innen richten hier zunehmend die Kamera auf sich selbst und gehen offenen Fragen der Nachkriegsgesellschaften nach. Dies ist eine weitere Strategie im breiten untersuchten Korpus, durch welchen einem vermeintlichen Objektivitätsparadigma des Dokumentarfilms offensiv entgegengetreten wird: Die Ausstellung der Konstruiertheit dokumentarischen Erzählens durch den je subjektiven Blickwinkel wird nicht nur zum Gegenstand des jeweiligen Films, sondern damit auch die Erzählperspektive als hinterfragbar herausgestellt. "Die Filme führen die politische Dimension persönlichen Denkens und Handelns vor Augen sowie die Wichtigkeit, einerseits unterschiedliche Diskurse zu erkennen und anzuerkennen und andererseits die Macht und Einflussmöglichkeiten dominanter Rhetoriken wahrzunehmen" (S. 321f). Ein paar wenige ungenaue, teils saloppe Formulierungen ("Die Bilder vermitteln einen dokumentarischen 'Look'", S. 159 oder "Selbst wenn [.] die serbische Unterwelt aus einem chaotischen, [.] – man kann es nicht anders sagen – Haufen intellektuell beschränkter Verbrecher besteht [.]", S. 174f) trüben den Gesamteindruck des sonst sprachlich präzisen Textes nicht. Bislang noch unerwähnt blieb der sparsame und kluge Einsatz von Interviews mit den Filmschaffenden jener Zeit, welche immer wieder in den Text einfließen. Die Verzahnung von Dokumentarfilmtheorie mit (post)jugoslawischen politischen Diskursen und dem argumentativ präzisen Close Reading des Filmmaterials macht dieses Buch zu einem unverzichtbaren Beitrag zur Grundlagenforschung des rezenten südslawischen Filmschaffens. Andrea Reiters Studie beleuchtet nicht nur bislang marginalisiertes und außerhalb der Region seitens der Filmwissenschaft wenig beachtetes Material, sondern sie regt durch die Perspektivierung auf Prospektivität und Aktivismus implizit dazu an, auch das Filmschaffen anderer Konfliktregionen unter diesem Augenmerk zu untersuchen. Literatur: Jowett, Garth/O'Donnel, Victoria: Propaganda and Persuasion. 4. Aufl.Thousand Oaks, CA 2012.
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Das Konzept des demokratischen Rechtsstaates, bisher einigendes Fundament und Leitprinzip der europäischen Einigung, steht heute im Zentrum einer kritischen Debatte, die die Grundlagen des europäischen Friedensprojektes zu gefährden droht. Weltweit und insbesondere in Europa wächst die Sorge um den Erhalt der freiheitlich-demokratischen Werte. Populistische Bewegungen gewinnen an Einfluss, indem sie einfache Antworten auf die komplexen Herausforderungen unserer Zeit anbieten. Diese Bewegungen finden vor allem bei denjenigen Anklang, die sich inmitten des raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels nach Sicherheit und Beständigkeit sehnen. Sie neigen dazu, sich Lösungen wie nationaler Abschottung und der Etablierung autoritärer Regime zuzuwenden, um ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln (vgl. Möllers 2018, S. 7).Seit der Flüchtlingskrise 2015 haben populistische Strömungen in verschiedenen europäischen Ländern an Zulauf gewonnen. Ungarn und Polen sind prominente Beispiele, in denen rechtsnationale bis rechtsradikale Parteien an die Macht gekommen sind. Diese Regierungen stehen im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Europäischen Union, einschließlich der Achtung der Menschenwürde, der Demokratie, der Freiheit, der Gleichheit und der Rechtsstaatlichkeit. Der Umbau des Staatswesens in diesen Ländern zeigt sich insbesondere in der Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz, der Verfassungsgerichtsbarkeit und der Medien (Bundeszentrale für politische Bildung 2022).Besonders in Ungarn, wo seit Viktor Orbáns zweiter Amtszeit im Jahr 2010 ein schleichender Prozess des Demokratieabbaus zu beobachten ist, wird die Bedeutung der Medienregulierung für die demokratischen Strukturen und die politische Landschaft offensichtlich. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Problematik und beleuchtet, wie die Regulierung der Medien in Ungarn demokratische Prozesse und die politische Szenerie des Landes beeinflusst.Die Arbeit beginnt mit einer grundlegenden Definition des Begriffs "Medien" und einer Erörterung ihrer primären, sekundären und tertiären Funktionen im politischen Raum. Anschließend wird die Nutzung der Medien als Instrument der Regierungskommunikation und als Mittel der Machtsicherung untersucht. Eine Analyse der aktuellen Medienlandschaft in Ungarn, einschließlich der Einschränkungen der Pressefreiheit, der Meinungsvielfalt sowie der Kontrolle und Einflussnahme der Regierung auf die Medienorgane, bildet den Kern der Arbeit.Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Medienregulierung in Ungarn gelegt. Die Auswirkungen dieser Medienregulierung auf die Demokratie in Ungarn werden untersucht, um zu verstehen, wie Veränderungen in der Medienlandschaft die Grundpfeiler der Demokratie beeinflussen - die Bedeutung der Medien für eine demokratische Gesellschaft, die Einschränkungen der Demokratie durch Regulierungen in der Medienlandschaft und die politischen Auswirkungen auf das demokratische System. Abschließend wird in einem Fazit reflektiert, inwiefern die Medienregulierung in Ungarn als symptomatisch für eine Verschiebung weg von demokratischen Idealen gesehen werden kann.Ziel der Arbeit ist es, ein Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Medienregulierung und demokratischen Prozessen in Ungarn zu erlangen und damit einen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Bedeutung liberaler demokratischer Werte in Europa zu leisten.Die Rolle der Medien in der PolitikDer folgende Abschnitt befasst sich mit der Rolle der Medien in der Politik. Im Mittelpunkt steht dabei die differenzierte Betrachtung der primären, sekundären und tertiären Funktionen der Medien. Mit Hilfe dieser Unterscheidung ist es möglich, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Medien die politische Landschaft gestalten und beeinflussen. Durch die Analyse dieser Funktionen wird untersucht, wie Medien Öffentlichkeit herstellen, Informationen verbreiten, politische Akteure kontrollieren und zur politischen Sozialisation und Bildung beitragen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik vollständig zu erfassen. Primär-, Tertiär- und SekundärfunktionDie Macht der Massenmedien, bestehende Machtstrukturen herauszufordern, darf nicht unterschätzt werden. Durch die Sammlung, Aufbereitung und Verbreitung von Informationen, Wissen und politischen Ansichten wird die öffentliche Meinung wesentlich beeinflusst (Wittkämper, S. 37). Bereits in der Frühen Neuzeit erkannten der Adel und die Kirche als damalige Machthaber die potenzielle Bedrohung, die von den Medien ausging. Sie reagierten schnell und führten nach der Entdeckung des Buchdrucks Zensurmaßnahmen ein, um die zu druckenden Inhalte vorzuprüfen und ihre Herrschaft zu sichern (Strohmeier 2004, S. 69).In der heutigen Zeit spielen die Medien eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der politischen Realitäten, da sie in der Lage sind, die politische Macht entweder zu stärken oder zu untergraben (Strohmeier 2004, S. 69). Ziel der folgenden Ausführungen ist die Veranschaulichung des Einflusspotenzials der Massenmedien durch die Darstellung ihrer grundlegenden Funktionen.Gerd Strohmeier weist auf die Bedeutung der primären, der sekundären und der tertiären Funktion der Massenmedien hin. Die Primärfunktion besteht darin, Öffentlichkeit herzustellen, die entsteht, wenn direkte Kommunikationsformen bevölkerungsbedingt nicht ausreichen. Massenmedien ermöglichen eine schnelle und einfache Verbreitung von Nachrichten und füllen so diese kommunikative Lücke (Strohmeier 2004, S. 72).Die Kontrolle der politischen Akteure und die Verbreitung von Informationen gehören zu der Sekundärfunktion. Ziel ist die umfassende und verständliche Vermittlung von Inhalten und damit die Beeinflussung der Meinungsbildung. Zugleich haben Massenmedien die Aufgabe, das Verhalten der politischen Institutionen zu überwachen, Missstände aufzudecken und Kritik zu üben (Strohmeier 2004, S. 72f.).Die Tertiärfunktion der Medien umfasst drei wesentliche Aspekte. Erstens die Förderung der politischen Meinungs- und Willensbildung, zweitens die Integration und politische Sozialisation und drittens die Vermittlung politischer Bildung. Diese Aspekte unterstützen die Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen und seine Integration in die Gesellschaft, fördern das Verständnis für das politische System und regen zur aktiven Teilnahme am politischen Leben an. Darüber hinaus haben die Massenmedien einen entscheidenden Einfluss auf die Art und Weise, wie über bestimmte Themen nachgedacht und gesprochen wird, oft ohne dass sich die Menschen der Beeinflussung ihrer Meinungen durch die Medien bewusst sind (Strohmeier 2004, S. 73f.).Medien als InstrumentIm nächsten Schritt unserer Analyse konzentrieren wir uns auf die Rolle der Medien als politisches Werkzeug. Dabei unterteilt sich unsere Betrachtung in zwei Schlüsselaspekte. Einerseits die Nutzung der Medien für Regierungskommunikation, durch die Regierungen ihre Botschaften vermitteln, und andererseits die Anwendung der Medien als Mittel zur Machtsicherung, wodurch Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen und politische Macht gefestigt wird.Medien als Instrument für RegierungskommunikationDie strategische Nutzung der Medien durch die Regierung wird vor allem in Bezug auf den Einfluss der Mediengesetzgebung auf die Demokratisierungsprozesse und die Politikgestaltung in Ungarn untersucht. Durch die gezielte Verbreitung politischer Botschaften und Entscheidungen interagieren Regierungen direkt mit der Bevölkerung, was nicht nur die Verbreitung von Informationen fördert, sondern auch die öffentliche Meinung prägt und politische Unterstützung generiert.Um den Rechtspopulismus zu verstehen, ist es notwendig, sich mit Cas Muddes Definition des Populismus auseinanderzusetzen, der Populismus als eine Ideologie betrachtet, die die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen teilt: "das reine Volk" gegenüber "der korrupten Elite", wobei Politik als Ausdruck des allgemeinen Volkswillens verstanden wird (Mudde 2004, S. 543). Die Tendenz, dass rechtspopulistische Parteien seit den 1980er Jahren Wahlerfolge erzielen und sich etablieren, zeigt sich nicht nur in westeuropäischen, sondern auch in jungen Demokratien Osteuropas, einschließlich Ungarns (Geden 2006, S. 17f.).Rechtspopulisten positionieren sich als Vertreter der "schweigenden Mehrheit" in direktem Gegensatz zu den politischen und kulturellen Eliten und privilegierten Minderheiten, denen sie die Verfolgung partikularer Interessen vorwerfen (Geden 2006, S. 20f.). Ihre politische Rhetorik ist durch Vereinfachung und Komplexitätsreduktion gekennzeichnet, wobei sie sich organisatorisch von den etablierten Parteien abgrenzen, etwa durch die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen, die Initiierung von Volksentscheiden oder die Präsenz charismatischer Führungspersönlichkeiten (Geden 2006, S. 22).Ein zentrales Element rechtspopulistischen Denkens ist der "Ethnopluralismus", der besagt, dass sich ethnisch und kulturell homogene Völker nicht vermischen sollten, was eine inhärente Ungleichheit der Völker suggeriert und kulturelle Begegnungen als konfliktträchtig ansieht (Bruns et al. 2015, S. 12f.).Im spezifischen Kontext Ungarns unter der Führung von Viktor Orbán zeigt sich die kritische Rolle dieser Medienstrategien. Die Regierung Orbán hat Medienregulierung bewusst eingesetzt, um ein medienfreundliches Umfeld für regierungsnahe Nachrichtenquellen zu schaffen und gleichzeitig den Raum für kritische Stimmen einzuschränken (Mudde 2004, S. 543). Dies schränkt nicht nur die Vielfalt und Freiheit der Medien ein, sondern hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf demokratische Prozesse, indem es die Möglichkeiten für eine offene politische Debatte einschränkt.Diese strategische Nutzung der Medien für die Regierungskommunikation verdeutlicht die Doppelnatur der Medien in der Politik. Einerseits als Kanäle für die transparente Kommunikation politischer Inhalte und andererseits als Instrumente der Machtkonsolidierung, die die demokratischen Grundlagen untergraben können. Diese Dynamik ist entscheidend für das Verständnis der politischen Situation in Ungarn und der Rolle, die die Medienregulierung dabei spielt (Geden 2006, S. 17f.).Detlef Grieswelle betont in "Politische Rhetorik: Macht der Rede, öffentliche Legitimation, Stiftung von Konsens" die bedeutende Rolle der Rhetorik in der Politik. Rhetorik dient nicht nur der Durchsetzung und Legitimation von Macht, sondern auch der Kontrolle und Repräsentation von Interessen, was ihre Bedeutung als Instrument politischer Führung und Einflussnahme unterstreicht (Grieswelle 2000, S. 33). In diesem Zusammenhang ist die rhetorische Strategie des ungarischen Ministerpräsidenten von besonderer Relevanz, da mit ihr versucht wird, politische Legitimität für diese Vision zu schaffen und die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen (Bruns et al. 2015, S. 12f.).Medien als Werkzeug zur Sicherung von MachtUm zu verstehen, wie die Medien zum Machterhalt beitragen, ist die Rhetorik von rechtspopulistischen Figuren wie Viktor Orbán besonders aufschlussreich. Orbán nutzt plakative und skandalträchtige Kommunikationswege, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren die nicht nur seine Präsenz in der Öffentlichkeit stärkt, sondern auch eine Mobilisierung seiner Anhängerschaft bewirkt (Schnepf 2020, S. 5). In seinen politischen Reden kehren bestimmte rhetorische Muster immer wieder, darunter die Verwendung von Antagonismen, die eine Konfliktsituation erzeugen, insbesondere durch die Gegenüberstellung von "Elite" und "Volk". Dabei wird das "Volk" als unterdrückt dargestellt, während die rechtspopulistische Partei als volksnah inszeniert wird (Mudde 2004, S. 543). Eine charakteristische Einfachheit in den Botschaften rechter Parteien wird von Bischof und Senninger hervorgehoben. Je weiter rechts eine Partei steht, desto einfacher ist ihr Programm (Bischof/Senninger 2018, S. 484). Solche Diskurse verwenden prägnante und leicht verständliche Formulierungen für ansonsten komplexe politische Sachverhalte, suggerieren einfache Lösungen und nutzen Dramatisierungen und Metaphern. Insbesondere werden Migrant*innen durch metaphorische Vergleiche abgewertet (Hogan/Haltinner 2015, S. 533) und es wird auf die Bedrohung der nationalen Identität durch ethnische Minderheiten und Migrant*innen angespielt, ein Vorgehen, das Ruth Wodak als "politics of fear" beschreibt (Wodak 2015, S. 2).Diese Elemente rechtspopulistischer Rhetorik finden sich in Orbáns Äußerungen deutlich wieder, wie einige seiner Reden und Interviews exemplarisch zeigen. Besonders deutlich wird dies in seiner Darstellung von Migration als Bedrohung für das ungarische Volk, wobei er einen alarmistischen Ton anschlägt, um die migrationskritische Haltung der Regierung zu untermauern und ein Klima der Angst zu erzeugen: "Europa wird von einer beispiellosen Masseneinwanderung bedroht. (...) Wir sprechen heute von Hunderttausenden, nächstes Jahr werden es Millionen sein, ein Ende ist nicht in Sicht" (Orbán, zitiert nach Mendelski 2019, S. 8). Orbáns Wortwahl, in der er von der "Wahrheit" spricht, verdeutlicht seine Überzeugung von der Legitimität seiner Politik, wobei er durch Übertreibungen wie "Millionen", "massive Integration" oder "unerwartetes Ausmaß" eine Atmosphäre der Panik schafft.In einer Rede anlässlich seiner Vereidigung als Ministerpräsident präsentierte Orbán seine Vision einer Demokratie, die er als "christdemokratisch im 21. Jahrhundert" bezeichnete und damit ein stark von christlichen Werten geprägtes Bild nationaler Identität entwarf, das traditionelle Familienbilder bevorzugt und Homosexualität ausgrenzt. Diese Ausführungen zeigen, wie Orbán die Medien nutzt, um seine politische Botschaft zu verstärken und wie er die Medien als Instrument zur Sicherung seiner Macht einsetzt, indem er sich einer Rhetorik bedient, die sowohl mobilisiert als auch polarisiert, um seine Position zu festigen und Herausforderungen zu kontrollieren.Analyse der aktuellen Medienlandschaft in UngarnDer folgende Teil der Arbeit befasst sich mit der aktuellen Medienlandschaft in Ungarn. In der ersten Amtszeit Orbáns zwischen 1998 und 2002 gab es kaum Eingriffe in die Pressefreiheit, was auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Da Ungarn in dieser Zeit noch auf den EU-Beitritt hinarbeitete, vermied Orbán bewusst Auseinandersetzungen mit der Europäischen Union über Fragen der Pressefreiheit. Dies änderte sich jedoch in der darauffolgenden Amtszeit ab 2010 drastisch: Ein neues Gesetz wurde eingeführt, das staatlichen Stellen die Einflussnahme auf die Medien ermöglichte und deren Regulierung legitimierte. Fortan nutzte die Regierung Orbán die Medien gezielt für ihre politischen Ziele.Einschränkungen der Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in UngarnDas Beispiel Ungarns zeigt den Übergang von einem Demokratisierungsprozess zu einem schleichenden Verlust demokratischer Strukturen. Ursprünglich galt Ungarn aufgrund seiner politischen Fortschritte und wirtschaftlichen Stabilität in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren als Vorbild unter den EU-Beitrittskandidaten. Nach dem Fall der kommunistischen Einparteienherrschaft (1949-1989) und der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie (ab 1990) unternahm das Land erhebliche Anstrengungen, um eine demokratische Staatsform zu etablieren. Wichtige Reformen dieser Zeit schufen unter anderem eine klare Trennung der Staatsgewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) und die neue Verfassung verankerte Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz (Ismayr 2002, S. 310ff.).Seit 2010 hat Viktor Orbán mit seiner Fidesz-Partei jedoch einen politischen Kurs eingeschlagen der den zuvor eingeleiteten Demokratisierungsprozess nicht nur gestoppt, sondern in einigen Bereichen sogar rückgängig gemacht hat. Ein 2010 verabschiedetes Mediengesetz, das es staatlichen Stellen erlaubt, die Medien zu überwachen und bei Verstößen zu sanktionieren, markiert einen Wendepunkt in der Einschränkung der Pressefreiheit und ist ein zentraler Faktor im Demokratieabbau des Landes (Bajomi-Lazar 2018, S. 273ff.). Freedom House hebt hervor, dass von allen Kriterien zur Bewertung des Zustands von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gerade die Pressefreiheit in Ungarn die dramatischsten Einbußen zu verzeichnen hat (Bajomi-Lazar 2018, S. 273).Die ungarische Medienlandschaft hat sich seit der Regierungsübernahme durch Orbán und Fidesz sukzessive verändert. Die Regierung kontrolliert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die staatliche Nachrichtenagentur Magyar Tavirati Iroda sowie einen erheblichen Teil der privaten Medien, die sich im Besitz von Orbán nahestehenden Personen befinden. Im Rahmen einer umfassenden Umstrukturierung wurden 570 leitende Angestellte der Rundfunkanstalten durch der Fidesz-Partei loyale Mitarbeiter ersetzt (Bajomi-Lazar 2018, S. 275f.).Für die regionale Berichterstattung sind seit Sommer 2017 ausschließlich unternehmerfreundliche Medien zuständig. Mit der Schließung einiger kritischer Zeitungen, darunter die überregionalen Blätter Nepszabadsag und Magyar Nemzet, ist die kritische Berichterstattung landesweit nahezu zum Erliegen gekommen. Zudem werden Journalisten, die sich kritisch über Orbán und seine Regierung äußern, nicht selten auf "schwarze Listen" gesetzt, eine Praxis, die offensichtlich darauf abzielt, Kritiker einzuschüchtern (Bajomi-Lazar 2018, S. 280).Kontrolle und Einflussnahme der Regierung auf MedienorganeEin neues Medienpaket mit Änderungen des Medien- und Pressegesetzes trat am 01.01.2011 durch die Regierung Orban in Kraft. Dieses sorgte damals europaweit für Schlagzeilen. Die Rechtsstaatlichkeit des Gesetzes wurde von der EU-Kommission angezweifelt. Auf einige Aspekte soll im Folgenden kurz eingegangen werden.Die Unabhängigkeit der Medien wurde durch das Mediengesetz erheblich geschwächt. Das Mediengesetz sah unter anderem ein Verbot bestimmter Äußerungen vor und legte eine Registrierungspflicht für alle Medien fest. Es drohte die Löschung und der Entzug der rechtlichen Möglichkeit, in Ungarn zu publizieren, wenn der Registrierungspflicht nicht nachgekommen wurde. Dies galt auch für Medienunternehmen, die außerhalb Ungarns in anderen Staaten der Europäischen Union (EU) tätig waren.Die Aufsicht über die Medien wurde nicht mehr von verschiedenen Behörden, sondern von einem einzigen Medienkontrollgremium ausgeübt. Das Medienkontrollgremium war für die Verhängung von Geldstrafen bei "politisch unausgewogener Berichterstattung" (Möllers 2018, S. 47) zuständig. Hinzu kam, dass viele Journalistinnen und Journalisten, die für den staatlichen Rundfunk arbeiteten, entlassen wurden und beispielsweise privaten, regierungskritischen Medien erschwert wurde, eine Rundfunklizenz zu erhalten. Die EU konnte durch die Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens zumindest eine Änderung der "EU-Ausländer betreffenden Aspekte" (Möllers 2018, S. 47) erreichen.MediengesetzgebungNoch bevor Ungarn seine neue Verfassung verankerte, stand die Regierung aufgrund der Verabschiedung eines restriktiven Mediengesetzes unter Beschuss. Das Gesetz, welches im Januar 2011 in Kraft trat, beschränkt deutlich die Freiheit der Medien und Presse (Salzborn 2015, S. 76). Das Hauptziel dieser Maßnahme ist die Dominanz der Regierung Orbáns über das Mediengefüge. Zu diesem Zweck wurde die Nationale Kommunikations- und Medienbehörde ("KESMA") ins Leben gerufen. Diese Behörde und der Medienrat erhielten erweiterte Befugnisse zur Überwachung und Lizenzierung von Medienangeboten. Unter anderem ist die Nationale Kommunikations- und Medienbehörde verantwortlich für die Vergabe von Sendelizenzen und übernimmt Aufgaben im Bereich des Verbraucher- und Wettbewerbsschutzes. Eine der Hauptaufgaben des Medienrates ist die Gewährleistung einer Berichterstattung (Bos 2021, S. 38). Neben der Neustrukturierung des Medienwesens führte die Regierung ein Fördermodell ein, das regierungsnahe Medien durch staatliche Werbeverträge finanziell unterstützt.Nach den Wahlen im Jahr 2014 erwarben Unternehmer, die der Regierung nahestehen, zunehmend Medien der Opposition, die anschließend in die neu geschaffene "Mitteleuropäische Presse- und Medienstiftung" eingebracht wurden (Bos 2021, S. 38). So schaffte es die Regierung Orbán, einflussreiche Medien der Opposition zu marginalisieren oder vollständig vom Markt zu nehmen. Ebenso wurden Online-Nachrichtenplattformen in das System eingegliedert (Bos 2021, S. 39).Samuel Salzborn kritisiert insbesondere den rechtlichen Charakter des neuen Mediengesetzes, das vage Generalklauseln beinhaltet, welche sich auf unbestimmte Konzepte wie "gute Sitten" berufen. Diese Klauseln sind offen für Interpretationen und ermöglichen damit eine gewisse Willkür. Die Definition dessen was als "gute Sitte" gilt kann staatlich bestimmt und gegen kritische Berichterstattung eingesetzt werden, was deren Sanktionierung zur Folge haben kann (Salzborn 2015, S. 77).Auswirkungen der Medienregulierung auf die Demokratie in UngarnNachdem im vorangegangenen Kapitel die aktuelle Medienlandschaft in Ungarn dargestellt wurde, widmet sich der folgende Abschnitt den Auswirkungen der Medienregulierung auf die demokratische Verfasstheit Ungarns. Anhand konkreter politischer Maßnahmen der ungarischen Regierung wird untersucht, wie die Visionen Orbáns umgesetzt wurden. Darüber hinaus wird analysiert, inwiefern die rechtspopulistische Politik die Qualität der ungarischen Demokratie beeinflusst und verändert hat.Bedeutung der Medien für die demokratische GesellschaftIm Zentrum der Debatte um die Rolle der Medien in der demokratischen Gesellschaft Ungarns steht die Transformationspolitik Viktor Orbáns und seiner Fidesz-Partei, die seit ihrem Regierungsantritt eine umfassende Kontrolle über die Medienlandschaft ausüben. Die Regierung nutzt diese Kontrolle strategisch als Instrument der Regierungskommunikation, um eine fast ausschließlich positive Berichterstattung über ihre Handlungen und Entscheidungen sicherzustellen. Regierungskritische Stimmen finden kaum Gehör, stattdessen wird Kritik systematisch unterdrückt und negative Nachrichten werden in einem für die Regierung vorteilhaften Licht dargestellt. Die gezielte Durchführung von Desinformationskampagnen, die Bajomi-Lazar als "Propaganda" bezeichnet, ist ein weiterer Baustein dieser Medienpolitik (Bajomi-Lazar 2018, S. 280f.).Die Verpflichtung von Arthur J. Finkelstein, einem erfahrenen Kampagnenstrategen aus den USA, durch Viktor Orbán unterstreicht den gezielten Einsatz der Medien zur Meinungsbildung. Das Phänomen der Verbreitung von teilweise oder vollständig gefälschten Nachrichten ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal der ungarischen Medienlandschaft, die offene Zurschaustellung dieser Praktiken durch die ungarische Regierung ohne den Versuch, ihre Aktivitäten zu verschleiern, stellt jedoch einen klaren Bruch mit demokratischen Normen dar (Bajomi-Lazar 2018, S. 281).Diese Entwicklung wirft grundsätzliche Fragen nach den Auswirkungen der Medienregulierung auf die Demokratie in Ungarn auf. Die Einflussnahme auf die Medien und die damit einhergehende Unterdrückung pluralistischer Diskurse hat unmittelbare Folgen für die demokratische Gesellschaft. Indem die Medien als verlängerter Arm der Regierungskommunikation fungieren und kritische Berichterstattung marginalisiert wird, werden demokratische Grundwerte wie Meinungsvielfalt und Pressefreiheit massiv untergraben. Die strategische Manipulation der Medienlandschaft durch die Regierung Orbán verdeutlicht die Herausforderungen vor denen die Demokratie in Ungarn steht und unterstreicht die zentrale Rolle der Medienfreiheit als Grundpfeiler einer lebendigen und funktionierenden demokratischen Gesellschaft. Einschränkung der Demokratie durch Regulierungen in der MedienlandschaftDie Regulierung der Medienlandschaft in Ungarn durch Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei hat weitreichende Folgen für die Demokratie im Land. Durch die systematische Übernahme und Anpassung der Medien an ihre Vorstellungen, insbesondere durch die Besetzung der Führungspositionen in den wichtigsten Medienorganisationen mit Verbündeten der Regierung, haben sie die Medien zu einem Instrument der Machtsicherung gemacht. Die Aufhebung der Unabhängigkeit der Medien ermöglicht es der Orbán-Regierung, die Berichterstattung vollständig für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Es dominiert eine einseitige Berichterstattung, die den Bürgern vor allem in den ländlichen Regionen wenig Spielraum lässt die Authentizität und Richtigkeit der präsentierten Nachrichten zu überprüfen. Die Bürger Ungarns stehen vor der Herausforderung, dass sie kaum Zugang zu alternativen Perspektiven oder kritischen Stimmen haben, was sie quasi dazu zwingt, den regierungsgesteuerten Nachrichten Glauben zu schenken (Bajomi-Lazar 2018, S. 281/282).Diese Einschränkung der Medienfreiheit und die Manipulation der Informationslandschaft durch die Regierung Orbán untergraben grundlegende demokratische Prinzipien, indem sie den freien Zugang zu Informationen einschränken und eine fundierte öffentliche Meinungsbildung verhindern. Durch die gezielte Meinungsmache und die Abschottung gegenüber kritischen Debatten werden die natürlichen demokratischen Kontrollmechanismen geschwächt und die Bevölkerung als Kontrollinstanz der Regierung faktisch entmachtet. Die Strategie, die Macht über die Medien zu festigen und dafür zu sorgen, dass keine Gegenmeinungen an die Öffentlichkeit gelangen oder Widerstand gegen politische Entscheidungen leisten können, ist ein deutliches Zeichen für den Missbrauch von Medienmacht zur Festigung autoritärer Strukturen.Diese Entwicklungen in Ungarn verdeutlichen die zentrale Bedeutung einer unabhängigen und pluralistischen Medienlandschaft für den Erhalt einer gesunden Demokratie. Die Einschränkung der Pressefreiheit und die gezielte Manipulation der Medien durch die Regierung stellen eine ernsthafte Bedrohung für die demokratischen Prozesse und die politische Freiheit im Land dar. Politische Auswirkungen auf das demokratische System UngarnsDie politischen Auswirkungen der Regulierung der Medien auf das demokratische System in Ungarn sind tiefgreifend und haben zu einer Verschlechterung der Qualität der Demokratie im Land geführt. Diese Veränderungen spiegeln sich in verschiedenen internationalen Indizes wider, die die demokratische Stabilität Ungarns bewerten. Der "Freedom in the World Index" von Freedom House stuft Ungarn als "teilweise frei" ein, da die Fidesz-Partei die Kontrolle über unabhängige Institutionen erlangt hat, was zu einer Schwächung der Aktivitäten von Oppositionellen, Journalisten, Universitäten und NGOs geführt hat (Freedom House 2021). Der "Nations in Transit Index" bezeichnet Ungarn sogar als "Transitional or Hybrid Regime" mit einem Wert von 49 von 100 Punkten, wobei 100 Punkte für eine funktionierende Demokratie stehen (Freedom House 2021b). Der Bertelsmann Transformationsindex beschreibt Ungarn als "defekte Demokratie", in den demokratischen Institutionen zwar existieren, aber eingeschränkt und ineffektiv sind (Bertelsmann Stiftung 2020, S. 13).Deutlich verschlechtert hat sich zudem die Platzierung Ungarns in der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen", wo das Land nur noch auf Platz 92 von 180 Ländern rangiert und die Situation der Pressefreiheit als problematisch eingestuft wird (Reporter ohne Grenzen 2021). Der "Rule of Law Index" des World Justice Project weist Ungarn den niedrigsten Wert in Osteuropa zu, weltweit liegt es auf Platz 60 von 128 (World Justice Project 2020).Diese Indizes und Bewertungen zeigen, dass die von Viktor Orbán vorangetriebene politische Transformation direkte negative Auswirkungen auf die Qualität der Demokratie in Ungarn haben. Einige Autoren wie Attila Ágh sprechen von der "ungarischen Krankheit" als antidemokratischer Herausforderung für die EU und beschreiben das Land als "worst case scenario" einer "elected autocracy" (Ágh 2015, S. 4, S. 16). János Kornai sieht in der Entwicklung seit Orbáns Amtsantritt eine Abkehr von Demokratie und Errungenschaften des Systemwechsels Ende der 1980er, einen "U-Turn" (Kornai 2015, S. 1). Samuel Salzborn identifiziert eine transformatorische Entwicklung hin zu einer Diktatur, bedingt durch rechtliche Veränderungen und eine zunehmende Ethnisierung der Innenpolitik (Salzborn 2015, S. 81).Andere Forscher sprechen von einem "hybriden Regime" und positionieren Ungarn in einer Grauzone zwischen Demokratie und Autokratie. András Bozóki und Dániel Hegedüs betonen, dass hybride Regime eine eigenständige Kategorie darstellen, die weder als Unterform der Demokratie noch der Diktatur zu verstehen ist (Bozóki/Hegedüs 2018, S. 1183). Attila Antal betont, dass das Orbán-Regime seine politische Anhängerschaft gezielt repolitisiert und den Rest der politischen Gemeinschaft depolitisiert hat (Antal 2017, S. 18).SchlussfolgerungDas Phänomen des Demokratieabbaus, beobachtet nicht nur in Ungarn, sondern weltweit und innerhalb Europas, unterstreicht eine kritische Herausforderung für die demokratische Ordnung vieler Staaten. Die systematische Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn seit Viktor Orbáns zweiter Amtszeit im Jahr 2010 zeichnet ein beunruhigendes Bild der Degradierung demokratischer Werte, das weit über die Grenzen Ungarns hinausreicht und die europäische Gemeinschaft insgesamt betrifft (Möllers 2018, S. 7; Ismayr 2002, S. 309ff.).Die zentrale Rolle der Medien in einer Demokratie, hervorgehoben durch ihre vielfältigen Funktionen wie die Schaffung von Öffentlichkeit, Informationsvermittlung, Kontrolle der Macht, soziale Integration und Bildung, unterstreicht die Bedeutung der Medienfreiheit für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft (Strohmeier 2004, S. 69ff.). Die Kontrolle über die Massenmedien zu haben bedeutet, einen entscheidenden Einfluss darauf zu besitzen, welche Informationen die Bevölkerung erhält und wie sie die politische Realität wahrnimmt.Ungarns Entwicklung seit 2010 unter der Fidesz-Regierung ist besonders alarmierend, da sie zeigt, wie gezielt Propaganda eingesetzt wird, um die Regierungsperspektive zu stärken und oppositionelle Stimmen effektiv zum Schweigen zu bringen. Die offene Ausführung dieser Maßnahmen und das scheinbare Desinteresse der Regierung, ihre Aktionen zu verbergen, verdeutlichen eine besorgniserregende Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Standards (Bajomi-Lazar 2018, S. 281f.). Trotz der Transparenz dieser Aktivitäten hat die Europäische Union bisher wenig Einfluss auf eine positive Veränderung nehmen können, was den Demokratieabbau in Ungarn weiter vorantreibt.Die Situation in Ungarn ist nicht isoliert zu betrachten, sondern stellt ein ernstes Problem für die EU dar, da es die konstitutionellen und demokratischen Grundlagen der Gemeinschaft untergräbt. Die aktuellen Entwicklungen in Ungarn sind ein Warnsignal und erfordern eine dringende und koordinierte Reaktion auf europäischer Ebene, um die Demokratie zu schützen und zu fördern. Die Frage, wie die Medienregulierung in Ungarn die demokratischen Prozesse und die politische Landschaft des Landes beeinflusst, lässt sich klar beantworten: Sie führt zu einer erheblichen Einschränkung der Demokratiequalität, indem sie die freie Meinungsäußerung untergräbt, die politische Pluralität einschränkt und die Kontrollfunktion der Medien schwächt.Die Hoffnung liegt nun darauf, dass die internationale Gemeinschaft und europäische Institutionen wirksame Maßnahmen ergreifen, um die demokratischen Prinzipien in Ungarn zu stärken und einen weiteren Demokratieabbau zu verhindern. Die Bewahrung der Medienfreiheit und die Sicherstellung einer pluralistischen und unabhängigen Medienlandschaft sind essenziell für die Aufrechterhaltung einer lebendigen und gesunden Demokratie, nicht nur in Ungarn, sondern in allen demokratischen Staaten. LiteraturverzeichnisÁgh, Attila. 2015. 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Jakob von Weizsäcker wird im Juli der erste Vorsitzende der neuen Wissenschaftsministerkonferenz. Außerdem ist er der einzige Wissenschaftsminister, der auch Finanzminister ist. Eine glückliche Kombination aus Sicht der Hochschulen? Ein Interview über die Machbarkeit der nötigen Zukunftsinvestitionen, den Umbau des wissenschaftlichen Karrieresystems und einen Besuch in Israel.
Jakob von Weizsäcker (SPD) ist seit April 2022 Minister der Finanzen und für Wissenschaft im Saarland. Von 2014 bis 2019 war der Ökonom Mitglied des Europäischen Parlaments und anschließend Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und internationale Wirtschaftspolitik im Bundesfinanzministerium. Foto: Oliver Dietze.
Herr von Weizsäcker, wenn am 1. Juli die neue Wissenschaftsministerkonferenz startet, sind Sie dann der Präsident aller Wissenschaftsminister in Deutschland?
Tatsächlich macht sich der Wissenschaftsbereich eigenständig, aber mit schlanken Strukturen, also ohne großes Präsidium und Präsidententitel, aber weiter unter dem Dach der KMK. Insofern dürfte ich schlicht der erste Vorsitzender der neuen WissenschaftsMK werden. Das alles ist keine schmerzhafte Scheidung von den Bildungsministerinnen und Bildungsministern, sondern eine freudvolle Weiterentwicklung, die den veränderten Ressortzuständigkeiten Rechnung trägt.
Was meinen Sie damit?
Im klassischen Kultus waren die Zuständigkeiten für Schule, Wissenschaft und Kultur vereint. Dieser Logik entsprechend war die Kultusministerkonferenz sinnvoll strukturiert. Heute gibt es aber nur noch in einem Bundesland, nämlich in Schleswig-Holstein, solch ein klassisches Kultusministerium. Überall sonst gibt es eine stärkere Aufteilung der Zuständigkeit auf zwei oder sogar drei Ressorts. Das führte dazu, dass die für Teilbereiche verantwortlichen Ministerinnen und Minister in den Sitzungen der KMK gelegentlich das Gefühl hatten, nur eine Minderzahl der Themen gehe sie wirklich etwas an.
Mit dem Ergebnis, dass etwa die Wissenschaftsminister kaum noch zu den Treffen der Kultusministerkonferenz gekommen sind.
Mit dem Ergebnis, dass die für Kultur zuständigen Minister schon 2018 ihre eigene Kulturministerkonferenz innerhalb der KMK gegründet haben. Diesen Schritt holen wir für die Wissenschaft jetzt nach. Form follows function. Daher werden wir die Sitzungen der neuen WissenschaftsMK an Terminen stattfinden lassen, die wir ohnehin haben: einmal im Jahr parallel zum Wissenschaftsrat, einmal am Tag der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) und das dritte Mal anlässlich der KMK. Es gibt ja weiterhin thematische Schnittmengen mit den Bildungsressorts, zu denen wir uns selbstverständlich weiter abstimmen.
Es geht also nur um eine Arbeitserleichterung für die Wissenschaftsminister, weil sie sich unnötige Sitzungen sparen können? Ich hatte gedacht, die WissenschaftsMK stehe für einen neuen föderalen Gestaltungsanspruch.
Das ist keine Frage der Annehmlichkeit für die Wissenschaftsministerinnen und -minister, sondern der Arbeitsökonomie, der Effizienz und, wie Sie sagen, der Schlagkraft.
"Ohne eine entsprechende Kompensation im Gesundheitssystem droht dies zu Lasten der Medizinstudienplätze zu gehen, von denen wir ja eigentlich mehr statt weniger benötigen."
Geben Sie bitte ein paar Beispiele, wo wir diese neue Schlagkraft demnächst merken werden.
Erst einmal müssen wir die neue Konferenz ins Leben rufen. Wir sind da gut vorangekommen, aber ein paar Details müssen noch geklärt werden. Das erledigen wir bis zum KMK-Treffen im Juni. Inhaltlich geht es zum Beispiel um Finanzierungsfragen der Universitätsklinika, die einen riesigen Posten in den Budgets unserer Ressorts ausmachen. Die Klinika leisten einen entscheidenden Beitrag zu unseren Gesundheitssystem, arbeiten aber derzeit überwiegend mit hohen Defiziten. Das geht zulasten der übrigen Wissenschaftsfinanzierung. Wir müssen im Rahmen der Krankenhausreform zu einer fairen Vergütung der Unikliniken kommen.
Den Versuch, mehr Geld von der Gesundheitsseite zu bekommen, unternehmen die Wissenschaftsminister seit Jahren.
Es geht ganz konkret um die Krankenhausreform. Es geht auch ganz konkret um das Thema der neuen Approbationsordnung, die die Ausbildung von Ärzten nicht nur besser, sondern auch teurer machen würde. Ohne eine entsprechende Kompensation im Gesundheitssystem droht dies zu Lasten der Medizinstudienplätze zu gehen, von denen wir angesichts des Ärztemangels ja eigentlich mehr statt weniger benötigen. Ich möchte aber noch einen weiteren Schwerpunkt in diesem Jahr nennen. Deutschland ist inzwischen das drittbeliebteste Ziel für internationale Studierende weltweit. Das ist ein großartiger Erfolg, auch wenn ins Verhältnis zur eigenen Bevölkerungszahl gesetzt eine Reihe anderer europäischer Länder noch erfolgreicher sind. Aber der Wettbewerb um Studierende wird sich vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels weiter intensivieren. Deshalb bereiten wir eine Internationalisierungsstrategie für die deutschen Hochschulen vor, die noch in diesem Jahr beschlossen werden soll. Nur ein Detail, aber für mich ein wichtiges, ist, dass wir die für ein Studium in Deutschland vorausgesetzten Deutschkenntnisse künftig stärker vom Studienfach abhängig machen. Es kann nicht sein, dass wir die international talentiertesten Leute für ein MINT-Studium nicht erreichen, weil sie hier in Deutschland erst ein oder zwei Jahre einen Deutschkurs belegen müssten, während sie anderenorts gleich fachlich losstudieren können. Da müssen wir flexibler werden, wenn wir international wettbewerbsfähig sein wollen.
Dass Ihnen als eines der ersten Themen die Krankenhausfinanzierung eingefallen ist, mag auch daran liegen, dass Sie nicht nur Wissenschafts-, sondern auch Finanzminister sind im Saarland. Eine ungewöhnliche, dafür aber glückliche Kombination aus Sicht der Wissenschaft?
Natürlich muss ich als Finanzminister gegenüber allen Ressorts fair sei, darf mich als Wissenschaftsminister also nicht bevorzugen. Trotzdem birgt diese ungewöhnliche Ressortkombination erhebliche Chancen. Nehmen Sie das Thema der Transformation, von dem das Saarland besonders betroffen ist: Kein Bundesland hat eine höhere Beschäftigungskonzentration in der Automobilindustrie und der Stahlindustrie als das Saarland. Wir haben deshalb im Saarland einen Transformationsfonds geschaffen, damit der durch den Ukrainekrieg und den Energiepreischock beschleunigte Strukturwandel im Saarland gelingen kann. Das erfordert neben klassischer Industriepolitik massive Investitionen in Infrastruktur und in unser Innovationssystem: in Startups, in Technologietransfer, in Forschung und Wissenschaft. Wenn der Finanzminister inhaltlich sensibilisiert ist für diese innovationspolitischen Zukunftsfragen, dann hilft das auch dem Wissenschaftsressort.
"Kürzungen im Zukunftsfeld Hochschulen wären der falsche Weg. Denn wie sollen wir die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen, wie den Fachkräftemangel bekämpfen ohne Investitionen in die Hochschulen?"
Und über das Saarland hinaus? Verschaffen Sie dem Thema Wissenschaft mehr Sichtbarkeit und Problembewusstsein im Kreise Ihrer Finanzministerkollegen aus den anderen Bundesländern?
Man sollte seine eigene Bedeutung nicht überschätzen. Ich glaube nicht, dass meine Doppelfunktion da einen großen qualitativen Unterschied macht. Aber ich kann vielleicht an der einen oder anderen Stelle als Dolmetscher fungieren zwischen den zwei recht unterschiedlichen Politikfeldern. Wie hilfreich das letztlich ist, müssen andere beurteilen.
Machen wir auch das konkret. In praktisch allen Bundesländern sind die öffentlichen Haushalte unter Druck. Müssen die Hochschule auch im Saarland mit Einschnitten rechnen?
Wir bewegen uns in der Wissenschaft dank Hochschulverträgen oder Ziel- und Leistungsvereinbarungen in einem mehrjährigen Rahmen. Das gibt den Hochschulen finanzielle Planungssicherheit. Im Saarland soll die nächste Ziel- und Leistungsvereinbarung am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die verhandeln wir also nächstes Jahr. Kürzungen in diesem Zukunftsfeld wären der falsche Weg. Denn wie sollen wir die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen, wie den Fachkräftemangel bekämpfen ohne Investitionen in die Hochschulen? Gleichzeitig gehört das Saarland zu den finanzschwächsten Ländern. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir dank des Transformationsfonds auch jenseits des Kernhaushalts Impulse für unser Innovationssystem setzen können.
Warum fällt es der Haushaltspolitik wider besseres Wissen so schwer, in der Krise mutig auf Zukunftshemen wie Bildung und Wissenschaft zu setzen – anstatt gerade da auch noch einzusparen?
Unsere Schuldenbremse ist relativ gut darin, überbordende Staatsverschuldung zu verhindern. Deshalb sollte man sie nicht abschaffen. Leider hilft die Schuldenbremse derzeit aber überhaupt nicht dabei, das Auftürmen von Bildungsschulden, Infrastrukturschulden, Digitalisierungs- und Dekarbonisierungsschulden zu verhindern. In einer Zeit, in der wir einen enormen Investitionsschub benötigen, damit die Transformation gelingt, wird das zu einem echten Problem. Deshalb wäre ich dafür, dass wir uns endlich ehrlich machen, wie groß die öffentlichen und privaten Investitionsbedarfe für die Transformation in den kommenden 20 Jahren in etwa sind. Dabei könnte eine hochrangige Expertenkommission der Politik helfen. Und auf dieser Basis ist dann zu überlegen, wieviel der erforderlichen öffentlichen Investitionen realistischerweise aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden können – und wieviel darüber hinaus mit Schulden, die man dann später mit der gesteigerten Finanzkraft einer gelingenden Transformation bedient. Im Ergebnis wird man dann die Schuldenbremse reformieren müssen.
Wenn Sie vom Fachkräftemangel sprechen: Wie wollen Sie verhindern, dass die nächste Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Hochschulen abwandert, weil ihre Karriereperspektiven so unklar und unsicher sind?
Das Karrieresystem an deutschen Hochschulen befindet sich in einem Zwischenzustand irgendwo zwischen dem traditionellen Weg zur Professur, mit Lehrstühlen, mit Habilitationen und Berufungsverfahren auf der einen Seite und dem angelsächsischen Tenure-Track-Modell auf der anderen Seite. Aus diesem Zwischenzustand müssen wir endlich raus. Er macht auch die Diskussionen gerade im Postdoc-Bereich so schwierig und auch emotional. Was wir daher meines Erachtens bräuchten, ist eine von möglichst vielen Akteuren gemeinsam getragene Grundsatzentscheidung, in welche Richtung wir gehen wollen als Hochschulsystem.
"Wir sollten so rasch und so komplett wie möglich umstellen auf ein stimmiges System aus Tenure Track als Standard und der flächendeckenden Etablierung von Department-Strukturen."
Und wie sollte diese Grundsatzentscheidung aussehen, wenn es nach Ihnen geht?
Für mich gibt es mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit eine klare Präferenz: Wir sollten so rasch und so komplett wie möglich umstellen auf ein stimmiges System aus Tenure Track als Standard und der flächendeckenden Etablierung von Department-Strukturen – was einhergehen würde mit einer deutlichen Reduktion des abhängig arbeitenden Personals.
Darüber können wir jetzt lange diskutieren, oder Sie machen es einfach wie die hessische Landesregierung und beschließen, dort als Teil des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst, dass die Hochschulen bis 2030 eine verpflichtende Anzahl zusätzlicher Wissenschaftlerstellen entfristen müssen.
Wir gehen im Saarland einen anderen Weg. In der Novelle unseres Hochschulgesetzes wollen wir eine Promovierendenvertretung einführen. Diese Art der hochschulinternen Demokratie wird dafür sorgen, dass Themen, die den wissenschaftlichen Nachwuchs betreffen, mit einer neuen Dringlichkeit innerhalb der Hochschulen artikuliert werden – und Niederschlag finden in den diesbezüglichen Entscheidungen.
Ist das eine elegant formulierte Ausrede, um nicht das nötige Geld für mehr Dauerstellen in die Hand nehmen zu müssen?
Wenn die Hochschulen den Wechsel zu einem echten Tenure Track- und Department-System machen, wird sich der Stellenmix automatisch verschieben. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die Hochschulfinanzierung dadurch viel teurer würde. Nochmal: Ich will die Übergangsprobleme von einem ins andere System nicht kleinreden, aber unsere Hochschulen stehen in einem Wettbewerb mit den Hochschulen weltweit und genauso mit der Privatwirtschaft. Wie will man denn die Leute halten, wenn man sie noch zehn Jahre nach ihrem Hochschulabschluss völlig im Ungewissen über ihre berufliche Zukunft lässt? Dafür müssen Sie ein attraktives Gesamtpaket anbieten können.
Ihr Ministerkollege Markus Blume aus Bayern kritisiert die Bundesbildungsministerin für ihre BAföG-Reform. Die sei enttäuschend: "Auf der einen Seite beim Bürgergeld großzügig sein, aber den Studierenden mit einer Nullrunde kommen. Das passt nicht zusammen und verfehlt die Lebensrealität der Studierenden." Argumentativ ein bisschen einfach, wenn man bedenkt, dass die Länder den Bund seit 2016 das BAföG allein zahlen lassen?
Als Finanzminister weiß ich: Weder für den Staat, der Steuereinnahmen braucht, noch für die jungen Menschen ist es eine gute Idee, wenn sie länger studieren, weil sie nebenher viel jobben müssen. Das BAföG muss so bemessen sein, dass sich junge Menschen auf ihr Studium konzentrieren können, und zwar unabhängig davon, wieviel Geld ihre Eltern haben. Dann kommen die Studierenden besser und schneller durchs Studium, treten früher gut bezahlte Jobs an und zahlen mehr Steuern.
"Wir wollen nicht nur unsere Zusammenarbeit mit der herausragenden israelischen Wissenschafts- und Hochschulszene fortsetzen, wir wollen sie ausbauen."
Ärger gab es zwischen Landeswissenschaftsministern und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in den vergangenen zwei Jahren an vielen Stellen. Geht vor der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch etwas in der föderalen Wissenschaftspolitik?
Die Bundesregierung kämpft ressortübergreifend mit einem massiven Spardruck, obwohl man eigentlich deutlich mehr in die Zukunft investieren müsste. Darunter leidet auch das BMBF. Diese Situation verkompliziert tatsächlich die Zusammenarbeit, wenn der Bund versucht, diesen Spardruck zu Lasten der Länder weiterzureichen. Das sollte man allerdings nicht der Bundesbildungsministerin zum Vorwurf machen, die ich sehr schätze.
Was genau erwarten Sie denn vom Bund noch in dieser Legislaturperiode?
Vor allem erwarte ich ein Signal, dass es perspektivisch gelingt, das notwendige Geld für die unverzichtbaren wissenschafts- und forschungsgetriebenen Zukunftsinvestitionen zu mobilisieren. Der 2025er Haushalt wird dafür ganz entscheidend sein.
Vor wenigen Tagen sind Sie von einer Delegationsreise mit Wissenschaftsministern und Hochschulrektoren aus Israel zurückgekehrt. Mussten Sie dort viel Erklärungsarbeit leisten angesichts der antisemitischen Vorfälle an deutschen Hochschulen?
Die Hamas-Terrorattacken vom 7. Oktober sind ein Trauma für das Land, denn Israel wurde nicht zuletzt als sicherer Zufluchtsort für Juden aus aller Welt gegründet. Es ist klar, dass sich Israel gegen diese Attacke verteidigen muss. Gleichzeitig droht inzwischen in Gaza der Zivilbevölkerung eine fürchterliche Hungersnot, die abgewendet werden muss. Die Situation ist also alles andere als einfach. Vor diesem Hintergrund war es uns wichtig, Solidarität mit Israel und der dortigen Wissenschaft zu zeigen. Die Universitäten stehen für die offene Gesellschaft. Besonders beeindruckt hat es mich, wie es den Universitäten gelingt, das friedliche Miteinander von jüdischen und palestinensischen Studierenden zu organisieren. Das macht Hoffnung für eine bessere Zukunft. Aber natürlich wurden wir auch nach der Sicherheit der jüdischen Studierenden in Deutschland gefragt. Leider nehmen in der aktuellen Lage die antisemitischen Vorfälle in Deutschland zu. Dieser Entwicklung müssen wir uns mit aller Entschiedenheit entgegenstellen. Das war der Grund, warum wir als Wissenschaftsminister einen Aktionsplan gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an den Hochschulen beschlossen haben. Dabei geht es um Prävention und Sensibilierung, um feste Anlaufstellen für Betroffene und um die Überprüfung von Sicherheitskonzepten. Was wir glücklicherweise nicht wahrgenommen haben: dass israelische Forschende nicht mehr nach Deutschland kommen wollen oder dass der Studierendenaustausch nach Deutschland leidet. Umgekehrt gibt es stellenweise derzeit eine gewisse Zurückhaltung auf deutscher Seite, nach Israel zu reisen. Auch deshalb war unsere Reise ein wichtiges Signal: Wir wollen nicht nur unsere über Jahrzehnte gewachsene Zusammenarbeit mit der herausragenden israelischen Wissenschafts- und Hochschulszene fortsetzen, wir wollen sie ausbauen.
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Anforderungen und Möglichkeiten im Studium: Charakterisierung des eigenen Hauptstudienfaches und der gestellten Anforderungen; Bewertung dieser Anforderungen; Charakterisierung von Lehrenden und Studierenden des eigenen Fachbereichs; Fachcharakterisierung (spezielle Ausrichtung, elitärer Anspruch, politische Rivalitäten unter den Studenten, Strenge in Prüfungen, hoher intellektueller Anspruch, Benachteiligung weiblicher Studierender, gute Beziehungen zwischen Studenten und Lehrenden).
Lernen und Arbeiten: aufgewendete Stunden für den Besuch von Lehrveranstaltungen; zusätzlicher wöchentlicher Zeitaufwand für das Studium; Intensität des Studierens in verschiedenen Phasen des Studiums; mehr Fachliteratur gelesen als empfohlen; kritisches Lesen; eigene Interessenschwerpunkte gesetzt; Entwicklung eigener Gedanken zur Problemlösung; Versuch, Forschungsergebnisse nachzuvollziehen; eigene Untersuchung durchgeführt; Inanspruchnahme der Studienberatung des Faches; Übereinstimmung des Studiums mit eigenen Interessen und Neigungen; Anzahl zusätzlich besuchter fachfremder Lehrveranstaltungen im sozialwissenschaftlichen, geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Bereich; Interesse für Mathematik, Naturwissenschaft, Medizin, Sprachen, Geschichte, Literatur/Philosophie, Wirtschaft, Soziologie/Politikwissenschaft, Pädagogik/Psychologie, Technik, künstlerisch-musischer Bereich (Skalometer); Lernmotivation (Skala: gemeinsames Lernen, erfolgversprechende Perspektive, neuer Stoff, praktische Anwendbarkeit des Gelernten, selbstbestimmtes Lernen, vor Prüfungen, lernen ohne Druck, Anerkennung durch Lehrende); Charakterisierung des eigenen Verhaltens anhand von Gegensatzpaaren (Problemlösungssicherheit bei neuen und bei komplizierten Aufgaben, Prüfungsangst, Nervosität bei Gesprächen mit Lehrenden und in Prüfungssituationen); Lern- und Leistungsorientierung; Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses und der Zwischenprüfung bzw. des Vordiploms; Zufriedenheit mit den bisherigen Noten im Studium; Einschätzung der Chancen auf einen guten Studienabschluss; Wichtigkeit der Prüfungsergebnisse für die beruflichen Chancen; Gedanken an Hauptfachwechsel oder Studienabbruch; erneute Entscheidung für das gleiche Studium, ein anderes Fach oder eine andere Ausbildung und Art dieser Ausbildungsfächer; empfundene persönliche Belastung durch: Leistungsanforderungen im Studium, finanzielle Situation, unsichere Berufsaussichten, Anonymität an der Hochschule, bevorstehende Prüfungen, Wohnsituation, die Situation als Student generell); empfundene Benachteiligung von Frauen an der Universität; Interesse an hochschulpolitischen Fragen; Interesse für ausgewählte Hochschulgruppen; erfahrene Förderung der eigenen Persönlichkeit im Studium in ausgewählten Bereichen; Einschätzung der Nützlichkeit für die persönliche Entwicklung und die Verbesserung von Berufsaussichten von: Hochschulwechsel, Forschungspraktika, Auslandsstudium, Spezialisierung, fachübergreifendes Studium, Anwendung theoretischen Wissens auf Alltagsprobleme, praktische Arbeitserfahrung außerhalb der Hochschule, hochschulpolitisches Engagement, schneller Studienabschluss; praktische Erfahrungen im zukünftigen Beruf vor bzw. während des Studiums; Einfluss dieser Erfahrungen auf die Berufswahl; Nutzen des Hochschulstudiums für den späteren Beruf; Vergleich von zukünftigem Beruf und Studium hinsichtlich verlangter Fähigkeiten; geplante Promotion, Zweitstudium, Referendariat, Trainee bzw. Berufstätigkeit nach dem ersten Studienabschluss; Zuversicht oder Befürchtungen für die Zeit nach dem Studium; Charakterisierung der Gesellschaft der BRD, der Universität sowie des zukünftigen Berufsfeldes anhand von Eigenschaften (human, fortschrittlich, autoritär, reformbedürftig, unbeweglich, leistungsfähig und anonym).
Beruf: Entscheidung über eigene zukünftige Berufswahl getroffen; angestrebter Tätigkeitsbereich; Zeitpunkt dieser Entscheidung; Informiertheit über ausgewählte Aspekte der zukünftigen Berufstätigkeit; Berufsaussichten; berufliche Wertvorstellungen (Skala); erwartete Übereinstimmung dieser Wertvorstellungen mit dem zukünftigen Beruf; Erwartungen an den zukünftigen Beruf (Arbeitszufriedenheit, Möglichkeit anderen zu helfen, Verwirklichung eigener Ideen, wissenschaftliche Tätigkeit, hohes Einkommen, gute Aufstiegsmöglichkeiten); erwartetes Anfangsgehalt und monatliches Bruttogehalt nach zehn Jahren Berufstätigkeit; erwartete Anforderungen an Berufsanfänger im künftigen Berufsfeld; erwartetes Zurechtkommen im voraussichtlichen Beruf; erwartete Schwierigkeiten zu Berufsbeginn (Skala); Einstellung zur Rolle der Frau zwischen Familie und Beruf; Eignungsvergleich von Frau und Mann hinsichtlich: Aufgaben mit eigenen Ideen, berufliche Führungspositionen, Eingehen auf andere Menschen, politische Betätigung, wissenschaftliche Forschung; Einschätzung gesellschaftlicher Gleichstellung bzw. Benachteiligung der Frau in Ausbildung, Beruf, Politik, Führungspositionen sowie in der Familie; Beurteilung von Wertvorstellung und Einstellung anhand von Gegensatzpaaren zu: Emotionen als Schwäche, Bestrafung bei Gesetzesverstößen, Meinungsfreiheit, impulsivem Handeln, Wahrheitsfindung durch Identifikation, Menschen sind grundsätzlich gut; gefestigte Wertvorstellungen über: Zusammenleben der Menschen, drängende soziale Probleme der Gesellschaft, politische Ziele, Bereiche eigener Leistungsfähigkeit, persönlicher Einsatz, gesellschaftlicher Erfolg, Ziele und Aufgaben der Wissenschaft, Bedeutung von Bildung; Beurteilung der eigenen Kompetenz hinsichtlich ausgewählter gesellschaftlicher Probleme im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (Skala: Parteienbeurteilung, Vorteile und Nachteile der Marktwirtschaft, Lage der dritten Welt und der Entwicklungsländer, Erklären und Lösen der Probleme der Jugendkriminalität, Notwendigkeit und Grenzen der Meinungsfreiheit in der Demokratie, wichtigste Reformen im Bildungswesen, Rolle der Wissenschaftler für menschliche und gesellschaftliche Entwicklung, Humanisierung der Arbeitswelt, Möglichkeit und Folgen der Gleichberechtigung, Möglichkeiten eigene politische Interessen zu vertreten); Zweck wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens: gesicherte Wahrheit versus Interpretationen der Wirklichkeit, eigene Erkenntnis versus praktische Problemlösung; Rangfolge der wichtigsten Aufgabengebiete der Wissenschaft (technischer Fortschritt und Wohlstand, gegen Unterdrückung arbeiten, geistige Aufklärung und kulturelle Entwicklung); Einstellung zur Wissenschaft und zu Wissenschaftlern (Skala: Gesellschaftsentwicklung hängt vom wissenschaftlichen Fortschritt ab, wissenschaftliche Forschungsergebnisse hauptsächlich zugunsten der Wirtschaft, Forschungsergebnisse auch Laien vermitteln zeichnet guten Wissenschaftler aus, zu großer Einfluss auf das tägliche Leben, hauptsächlich Wissenschaftler profitieren von wissenschaftlicher Forschung, Wissenschaftler stehen gesellschaftlichen Tatbeständen kritisch gegenüber, wichtigste Wissenschaften sind die Naturwissenschaften, Wissenschaftler können frei ihre Forschungsthemen bestimmen); Forderungen an Wissenschaftler und die Wissenschaft (Skala); tatsächliche und gewünschte Wichtigkeit ausgewählter Aufgaben der Universität; Akademiker haben besondere Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit aufgrund ihrer Universitätsausbildung; besondere Eigenschaften und Fähigkeiten unterscheiden Akademiker von Nicht-Akademikern; Vergleich ausgewählter Eigenschaften von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern; Beurteilung der Ganztags-Berufstätigkeit einer verheirateten und finanziell abgesicherten Mutter bei Unterbringung ihres einjährigen Kindes bei einer Tagesmutter; Einstellung zu ausgewählten Motiven für sowie gegen das Verhalten der Mutter; Einschätzung der vorgenannten Problematik als rechtliches, familiäres, moralisches, finanzielles oder gesellschaftliches Problem; Beurteilung des Verhaltens eines Arztes, der einer todkranken Patientin auf deren Wunsch Sterbehilfe leistet; Einstellung zu ausgewählten Gründen für bzw. gegen das Verhalten des Arztes; Beurteilung von Sterbehilfe als rechtliches, religiöses, moralisches, humanitäres, wissenschaftliches oder gesellschaftliches Problem.
Gesellschaft: Bewertung der sozialen Unterschiede in der BRD als groß sowie als ungerecht; Einschätzung der Schichtanteile der deutschen Bevölkerung anhand von vier Skizzen; Verringerung der sozialen Unterschiede im Land ist möglich; Einstellung zur Verringerung sozialer Unterschiede; perzipierte Möglichkeit der Abschaffung der sozialen Unterschiede; Gründe gegen die Abschaffung der sozialen Unterschiede (Skala); Einstellung zu ausgewählten gesellschaftspolitischen Aussagen: soziale Unterschiede führen zu Konflikten zwischen Oben und Unten in der Gesellschaft, Erfolg durch individuellen Aufstieg statt Solidarität der unteren Schichten, Abhängigkeit der individuellen politischen Meinung von der gesellschaftlichen Stellung, Wettbewerb zerstört Solidarität, faire Chance für gesellschaftlichen Aufstieg in der BRD, ohne Wettbewerb kein gesellschaftlicher Fortschritt, Widerspruch zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, ohne Wettbewerb keine Leistung, rechtliche Benachteiligung der sozialen Unterschicht; Entwicklung der gesellschaftlichen Aufstiegschancen in der BRD; Wichtigkeit ausgewählter Faktoren für gesellschaftlichen Erfolg; Vergleich von Akademikern und Nicht-Akademikern im Bezug auf höheres Einkommen, höheres Ansehen und größeren politischen Einfluss; Rechtfertigung von höherem Einkommen, höherem Ansehen und größerem politischen Einfluss von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern; Beurteilung der nachfolgenden Aussagen: Forderung nach bildungs- sowie leistungsabhängiger Entlohnung, gleiches Einkommen für alle; Forderung nach Aktionen (z.B. Streiks) der sozial Benachteiligten, der Wert eines Menschen an seiner Leistung bemessen, Reformen lösen keine Probleme, Demokratisierung aller Lebensbereiche, gewaltfreie Durchsetzung von Reformen; Machtverteilung in der BRD (Gruppen, Elite, Großkapital); derzeitig verwirklichte gesellschaftliche Ziele in der BRD (materieller Wohlstand, soziale Gleichheit, individuelle Freiheit, sozialer Frieden, demokratische Mitbestimmung, soziale Sicherheit); individuelle Freiheit versus soziale Gleichheit, soziale Gleichheit versus materieller Wohlstand, materieller Wohlstand versus individuelle Freiheit; Meinung zum Verhältnis der Ziele Freiheit und Gleichheit.
Politik: Politikinteresse (international, national, lokal, studentische Politik); Art der eigenen politischen Partizipation; Einstellung zur politischen Partizipation (Skala: derzeitige Möglichkeiten sind zufriedenstellend, Gleichgültigkeit gegenüber Politik ist verantwortungslos, Normalbürger hat nicht genug Gelegenheit zu politischer Einflussnahme, politische Aktivität ist Privatsache, Neigung zum politischen Protest bei Fehlentscheidungen, Politiker sind unfair und unehrlich, keine Beurteilung komplexer politischer Probleme möglich); politische Selbsteinschätzung links/rechts im Vergleich zu den Mitbürgern, den Kommilitonen und den Eltern sowie im Vergleich zu vor 2 Jahren; Einstellung zu politischen Zielen (Bewahren der Familie, harte Bestrafung der Kriminalität, Stabilität der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, volle Mitbestimmung der Arbeitnehmer, Förderung technologischer Entwicklung, Festlegung einer Einkommenshöchstgrenze, Gleichstellung der Frau, Abschaffung des Privateigentums an Industrieunternehmen und Banken, gleiche Bildungschancen durch Reform des Schulwesens, Sicherung der freien Marktwirtschaft); Einstellung zu Toleranz und wissenschaftlichem Denken: Experten ohne eindeutige Antwort fehlt es an Kompetenz, Dankbarkeit für ruhiges, geregeltes Leben, Präferenz für Menschen mit gleicher Meinung, alle sollten gleiche Werte annehmen, schematisches Leben kostet Lebensfreude, Interesse an unkonventionellen Menschen, Ja-/Nein-Antworten sind zu einfach, Präferenz für Aufgabenstellungen, die Kreativität zulassen.
Lebensbereiche und Selbstbild: Wichtigkeit ausgewählter Lebensbereiche; Wichtigkeit ausgewählter Erziehungsziele; Selbstcharakterisierung anhand einer Eigenschaftenliste (Selbstbild); Einschätzung der Chancen auf Selbstbestimmung oder Abhängigkeit von gesellschaftlichen Anforderungen; persönliche Eigenschaften oder Zufälligkeiten als lebensbestimmend (externe Kontrolle); Einfluss des Hochschulstudiums auf die eigene Einstellung zur Politik, Wissenschaft, die eigene Zukunft, die Gesellschaft, sich selbst und Religion; Beeinflussung der eigenen Orientierung durch die Hochschullehrer, Kommilitonen, Lehrinhalt des Fachstudiums, Fachinhalte anderer Studiengebiete bzw. durch das studentische Leben allgemein; empfundener Gruppendruck an der eigenen Universität; Freude am Studentendasein.
Zusätzlich verkodet wurde: Verständnisprobleme beim Ausfüllen des Fragebogens; problemtische Antwortvorgaben; Unsicherheit bei der Beantwortung der Fragen; Diskussion mit anderen über die Fragen.
Demographie: Alter (Geburtsjahr); Geschlecht; erstes und zweites Hauptfach; erstes und zweites Nebenfach; Tätigkeit nach dem Abitur (Bundeswehr, Ersatzdienst, Direktstudium; anderes Studium und Studienart; Semesterzahl; Studienabschluss; andere Ausbildung und Art dieser Ausbildung; Ausbildungsdauer; Ausbildungsabschluss; Berufstätigkeit und Dauer der Berufstätigkeit; Jahr des Abiturs; Hochschulsemester; Fachsemester.
2. Welle: Derzeitige Tätigkeit; Beendigung des Hauptstudiums; Anzahl der Fachsemester bis zum Abschluss; Promotionsabsicht; Wechsel des Hauptfachs nach dem Wintersemester 1979/80; erstes und zweites Hauptfach; retrospektiv gesehen: erneute Entscheidung für das gleiche Studium, ein anderes Fach oder eine andere Ausbildung und Art dieser Ausbildungsfächer; Durchschnittsnote der Hauptprüfung bzw. des Diploms; Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Abschlussprüfung; erfahrene Förderung der eigenen Persönlichkeit im Studium in ausgewählten Bereichen; retrospektive Zufriedenheit mit der Art des Aufbaus des Fachstudiums; Einschätzung der Nützlichkeit für die persönliche Entwicklung und die Verbesserung von Berufsaussichten, durch: Hochschulwechsel, Forschungspraktika, Auslandsstudium, Spezialisierung, fachübergreifendes Studium, Anwendung theoretischen Wissens auf Alltagsprobleme, praktische Arbeitserfahrung außerhalb der Hochschule, hochschulpolitisches Engagement, schnellen Studienabschluss.
Beruf: Sicherheit der bereits getroffenen Berufswahl; angestrebte Tätigkeitsbereiche; Einschätzung der Berufsaussichten; geschätzte Anzahl weiterer Studiensemester; empfundene persönliche Belastung durch: die eigene finanzielle Situation, unsichere Berufsaussichten, Leistungsanforderungen im Studium, bevorstehende Prüfungen, Anonymität an der Hochschule, Wohnsituation, die Situation als Student generell; Art der Beschäftigung; Art des Arbeitsverhältnisses; derzeitige Tätigkeit entspricht dem angestrebten Beruf; Tätigkeitsbereich; Dauer der jetzigen Tätigkeit; Berufs- oder Stellenwechsel seit Studienabschluss; Arbeitslosigkeit seit Abgang von der Hochschule und Arbeitslosigkeitsdauer; Schwierigkeiten beim Übergang in den Beruf; Möglichkeit einer besseren beruflichen Stellung in 5 Jahren (Karriereerwartung); persönliche Schwierigkeiten durch die Berufstätigkeit (Lebensweise als Berufstätiger, Kollegen, Vorgesetzte, Leistungsanforderungen, Einbringen eigener Interessen, veränderte Arbeitsweise, Vereinbarkeit von Beruf und Familie); Vergleich der Anforderungen im Studium und im Beruf (Kreativität, Fleiß, Kritikfähigkeit, Selbständigkeit, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Anpassungsfähigkeit und Zuverlässigkeit); berufliche Anforderungen und deren Bewertung durch den Befragten; allgemeine Bewertung des eigenen Berufseinstiegs; Charakterisierung der derzeitigen Berufstätigkeit hinsichtlich: Arbeitszufriedenheit, Möglichkeit anderen zu helfen, Verwirklichung eigener Ideen, wissenschaftliche Tätigkeit, hohes Einkommen, gute Aufstiegsmöglichkeiten, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsbelastung, Anwendung fachlicher Fähigkeiten); Nutzen des Studiums für den Beruf; Änderung der Berufspläne in den letzen zwei Jahren; Zuversicht oder Befürchtungen für die berufliche Zukunft; Einschätzung des Arbeitslosigkeitsrisikos von Absolventen der eigenen Fachrichtung; vermutete Benachteiligung von Frauen bei der Anstellung im eigenen Berufsfeld; Präferenz für neigungsorientiertes oder an späteren Berufschancen orientiertes Studium; Höhe des monatlichen Bruttogehalts einschließlich BAföG; erwartetes monatliches Bruttogehalt nach zehn Jahren Berufstätigkeit.
Berufliche Wertvorstellungen (Skala); erwartete Übereinstimmung dieser Wertvorstellungen mit dem zukünftigen Beruf; Charakterisierung des eigenen Verhaltens anhand von Gegensatzpaaren (Bewältigung neuer und komplizierter Aufgaben, Prüfungsangst, Gespräche mit Lehrenden, Prüfungssituation); Charakterisierung der Gesellschaft der BRD, der Universität sowie des eigenen Berufsfeldes anhand von Eigenschaften (human, fortschrittlich, autoritär, reformbedürftig, unbeweglich, leistungsfähig und anonym); Schichtzugehörigkeit der Eltern und Selbsteinschätzung der Schichtzugehörigkeit in zehn Jahren (Oben-Unten-Skala); Einstellung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen; Eignungsvergleich von Frau und Mann hinsichtlich: Aufgaben mit eigenen Ideen, berufliche Führungspositionen, Eingehen auf andere Menschen, politische Betätigung, wissenschaftliche Forschung; gesellschaftliche Gleichstellung bzw. Benachteiligung der Frau in der Hochschule, in anderen Ausbildungen, im Beruf, in der Politik, in Führungspositionen sowie in der Familie; Bewertung von Aussagen anhand von Gegensatzpaaren zu: Emotionen als Indikator für Schwäche, Bestrafung bei Gesetzesverstößen, Meinungsfreiheit, impulsivem Handeln, Wahrheitsfindung durch Identifikation, Menschen sind grundsätzlich gut; Unsicherheit bzw. feste Vorstellungen über: wichtigste Werte für das Zusammenleben der Menschen, drängende soziale Probleme der Gesellschaft, Unterstützung politischer Ziele, Bereiche eigener Leistungsfähigkeit, persönlicher Einsatz im Leben, Kriterien für gesellschaftlichen Erfolg, Ziele wissenschaftlichen Arbeitens; Bedeutung von Lernen und Bildung für den Einzelnen, Anforderungen im Berufsleben, Rolle der Akademiker in der Gesellschaft; Beurteilung der eigenen Kompetenz hinsichtlich der Bewertung ausgewählter gesellschaftlicher Fragestellungen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (Skala: politische Ziele der Parteien in der BRD beurteilen, Vorteile und Nachteile der Marktwirtschaft, Lage der dritten Welt und der Entwicklungsländer, Erklären und Lösen der Probleme der Jugendkriminalität, Notwendigkeit und Grenzen der Meinungsfreiheit in der Demokratie, wichtigste Reformen im Bildungswesen, Rolle der Wissenschaft für die menschliche und gesellschaftliche Entwicklung, Humanisierung der Arbeitswelt, Möglichkeit und Folgen der Gleichberechtigung, Möglichkeiten eigene politische Interessen zu vertreten); Selbstcharakterisierung hinsichtlich: breites Allgemeinwissen, kritisch und problembewusst, logisches und analytisches Denken, ordentliches und pünktliches Arbeiten, Bevorzugung verantwortungsbewusster Aufgaben, Fähigkeit eine leitende Position einzunehmen.
Wissenschaft und Akademiker: Zweck wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens: gesicherte Wahrheit versus Interpretationen der Wirklichkeit, Grundlagenforschung versus praktische Problemlösung; Einstellung zur Wissenschaft und zu Wissenschaftlern (Skala: Gesellschaftsentwicklung hängt vom wissenschaftlichen Fortschritt ab, wissenschaftliche Forschungsergebnisse hauptsächlich zugunsten der Wirtschaft, Forschungsergebnisse auch Laien vermitteln zeichnet guten Wissenschaftler aus, zu großer Einfluss auf das tägliche Leben, hauptsächlich Wissenschaftler profitieren von wissenschaftlicher Forschung, Wissenschaftler stehen gesellschaftlichen Tatbeständen kritisch gegenüber, wichtigste Wissenschaften sind die Naturwissenschaften, Wissenschaftler können frei ihre Forschungsthemen bestimmen); Aussagen der Wissenschaftler sind zu widersprüchlich um gesellschaftlich hilfreich zu sein; Rangfolge der wichtigsten Aufgabengebiete der Wissenschaft (Wohlstand durch technischen Fortschritt, gegen Unterdrückung arbeiten, geistige und kulturelle Entwicklung); Forderungen an Wissenschaftler und die Wissenschaft (Skala); tatsächliche und gewünschte Wichtigkeit ausgewählter Aufgaben der Universität; Einstellung zu Toleranz und wissenschaftlichem Denken: Experten ohne eindeutige Antwort fehlt es an Kompetenz, Interesse an unkonventionellen Menschen, Präferenz für Menschen mit gleicher Meinung, Ja-/Nein-Antworten sind zu einfach, schematisches Leben kostet Lebensfreude, Wunsch nach ruhigem, geregeltem Leben, alle sollten gleiche Werte annehmen, Präferenz für Aufgabenstellungen, die Kreativität zulassen; besondere Verantwortung Akademiker gegenüber der Allgemeinheit aufgrund ihrer Universitätsausbildung; besondere Eigenschaften und Fähigkeiten unterscheiden Akademiker von Nicht-Akademikern; Vergleich ausgewählter Eigenschaften von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern (Selbstbild); Vorbereitung von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern für ausgewählte Aufgaben: Formulierung gesellschaftlicher Ziele, Beurteilung politischer Ereignisse und Verhältnisse, Entwicklung neuer Ideen, Führungspositionen einnehmen, Meistern schwieriger Situationen im Beruf, Aufklärung der Bevölkerung über sozialpolitische Entwicklungen; Rolle der Frau: Beurteilung der Ganztags-Berufstätigkeit einer verheirateten und finanziell abgesicherten Mutter bei Unterbringung ihres einjährigen Kindes bei einer Tagesmutter; Beurteilung dieses Verhaltens fällt leicht oder schwer; Einstellung zu ausgewählten Gründen für sowie gegen das Verhalten der Mutter; Beurteilung des Verhaltens eines Arztes, der einer todkranken Patientin auf deren Wunsch Sterbehilfe leistet; Beurteilung dieses Verhaltens fällt leicht oder schwer; Einstellung zu ausgewählten Gründen für bzw. gegen das Verhalten des Arztes.
Gesellschaft: Bewertung der sozialen Unterschiede in der BRD als groß sowie als ungerecht; Einschätzung der Schichtanteile in der deutschen Bevölkerung anhand von vier Skizzen; perzipierte Chance zur Verringerung der sozialen Unterschiede; Einstellung zu einer Verringerung sozialer Unterschiede; Abschaffung der sozialen Unterschiede im Land wird als möglich eingeschätzt; Einstellung zu ausgewählten Gründen gegen die Abschaffung der sozialen Unterschiede (Skala); Einstellung zu ausgewählten gesellschaftspolitischen Aussagen: soziale Unterschiede führen zu Konflikten zwischen Oben und Unten in der Gesellschaft, Erfolg durch individuellen Aufstieg statt Solidarität der unteren Schichten, Abhängigkeit der politischen Meinung von der gesellschaftlichen Stellung, Wettbewerb zerstört Solidarität, faire Chance für gesellschaftlichen Aufstieg in der BRD, ohne Wettbewerb kein gesellschaftlicher Fortschritt, Widerspruch zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, ohne Wettbewerb keine Leistung, rechtliche Benachteiligung der sozialen Unterschicht; Entwicklung der gesellschaftlichen Aufstiegschancen in der BRD; Wichtigkeit ausgewählter Faktoren für gesellschaftlichen Erfolg; Vergleich von Akademikern und Nicht-Akademikern im Bezug auf Einkommen, Ansehen und politischen Einfluss; höheres Einkommen, höheres Ansehen und größerer politischer Einfluss von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern sind gerechtfertigt; Beurteilung der Aussagen: Forderung nach bildungs- sowie leistungsabhängiger Entlohnung, gleiches Einkommen für alle, direkte Aktionen (z.B. Streiks) der sozial Benachteiligten, den Wert eines Menschen an seiner Leistung bemessen, Reformen lösen keine Probleme, Demokratisierung aller Lebensbereiche, gewaltfreie Durchsetzung von Reformen; Machtverteilung in der BRD (Gruppen, Elite, Großkapital); derzeitige Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele in der BRD (materieller Wohlstand, soziale Gleichheit, individuelle Freiheit, sozialer Frieden, demokratische Mitbestimmung, soziale Sicherheit); Abwägung der Gegensätze: individuelle Freiheit versus soziale Gleichheit, soziale Gleichheit versus materieller Wohlstand, materieller Wohlstand versus individuelle Freiheit; Meinung zum Verhältnis der Ziele Freiheit und Gleichheit.
Politik: Politikinteresse (international, national, lokal, Hochschulpolitik); Art der selbst praktizierten politischen Partizipation; Einstellung zur politischen Partizipation (Skala: derzeitige Möglichkeiten sind zufriedenstellend, Gleichgültigkeit gegenüber Politik ist verantwortungslos, Normalbürger hat nicht genug Gelegenheit zu politischer Einflussnahme, politische Aktivität ist Privatsache, Neigung zum politischen Protest bei Fehlentscheidungen, Politiker sind unfair und unehrlich, keine Beurteilung komplexer politischer Probleme möglich); politische Selbsteinschätzung auf einem Links-Rechts-Kontinuum im Vergleich zur Allgemeinheit im Land, den Kollegen, den Eltern sowie im Vergleich zu der Zeit vor zwei Jahren; Einstellung zu politischen Zielen (Bewahren der Familie, harte Bestrafung der Kriminalität, Stabilität der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, volle Mitbestimmung der Arbeitnehmer, Förderung technologischer Entwicklung, Festlegung einer Einkommenshöchstgrenze, Gleichstellung der Frau, Abschaffung des Privateigentums an Industrieunternehmen und Banken, gleiche Bildungschancen durch Reform des Schulwesens, Sicherung der freien Marktwirtschaft und des privaten Unternehmertums, Erhöhung der Verteidigung und der militärischen Anstrengungen sowie Priorität des Umweltschutzes vor wirtschaftlichem Wachstum); Wichtigkeit ausgewählter Erziehungsziele.
Lebensbereiche und Selbstbild: Wichtigkeit ausgewählter Lebensbereiche; Selbstcharakterisierung anhand einer Eigenschaftsliste; Einschätzung der Chance auf Selbstbestimmung oder Abhängigkeit von gesellschaftlichen Anforderungen; persönlichen Eigenschaften oder Zufälligkeiten als lebensbestimmend (externe Kontrolle); Einfluss des Hochschulstudiums auf die eigene Einstellung zu Politik, Wissenschaft, die eigene Zukunft, die Gesellschaft, sich selbst und Religion; Beeinflussung der eigenen Orientierungen durch die Hochschullehrer, Kommilitonen, Lehrinhaltes des Fachstudiums, Fachinhalte anderer Studiengebiete bzw. durch das studentische Leben allgemein; Freude am Studentendasein; Forschungsbericht über dieses Projekt bereits gelesen; Beurteilung des Forschungsberichts.
Demographie: Familienstand; Anzahl der Kinder.
Zusätzlich verkodet wurde: Interviewnummer.
3. Welle: Beendigung des Hauptstudiums; Anzahl der Fachsemester bis zum Abschluss; derzeitige Tätigkeit; Promotionspläne; Studium und Studienzeit; Hauptfachwechsel nach dem Wintersemester 1981/1982; Zweit- oder Aufbaustudium beendet; erstes bzw. zweites Hauptfach; erneute Entscheidung für das gleiche Studium, ein anderes Fach oder eine andere Ausbildung aus der Rückschau und Art der dann bevorzugten Ausbildungsfächer; Durchschnittsnote der Abschlussprüfung bzw. des Diploms; Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Abschlussprüfung; erfahrene Förderung der eigenen Persönlichkeit im Studium in ausgewählten Bereichen; Einschätzung der Nützlichkeit für die persönliche Entwicklung und die Verbesserung von Berufsaussichten durch: Hochschulwechsel, Forschungspraktika, Auslandsstudium, Spezialisierung, fachübergreifendes Studium , Anwendung theoretischen Wissens auf Alltagsprobleme, praktische Arbeitserfahrung außerhalb der Hochschule, hochschulpolitisches Engagement, schneller Studienabschluss; Selbstkritik zum eigenen Studienverlauf; Sicherheit der Entscheidung über die eigene zukünftige Berufswahl; angestrebter Tätigkeitsbereich; Einschätzung der Berufsaussichten; persönliche Belastung durch die eigene finanzielle Lage bzw. unsichere Berufsaussichten; voraussichtliche restliche Semesterzahl; Beschäftigungsstatus (Vollzeit, Teilzeit oder Gelegenheitstätigkeit) und Art des Befristungsverhältnisses; derzeitige Tätigkeit entspricht dem angestrebten Beruf; Tätigkeitsbereich; Tätigkeitsdauer; Berufs- oder Stellenwechsel seit Studienabschluss; arbeitslos bzw. arbeitssuchend seit Ende des Hochschulstudiums und Arbeitslosigkeitsdauer; Erfahrungen beim Übergang in den Beruf; Zeitraum vom Examen bis zur ersten Stelle in Monaten; Anzahl der Bewerbungen bis zur ersten Stelle; Möglichkeit einer besseren beruflichen Stellung in 5 Jahren (Karriereerwartung); Vergleich der Anforderungen im Studium und im Beruf (Kreativität, Fleiß, Kritikfähigkeit, Selbständigkeit, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Anpassungsfähigkeit, Zuverlässigkeit); berufliche Anforderungen und deren Bewertung durch den Befragten; persönliche Schwierigkeiten bei der Anpassung an die Berufstätigkeit (Lebensweise als Berufstätiger, Kollegen, Vorgesetzte, Leistungsanforderungen, Einbringen eigener Interessen, veränderte Arbeitsweise, Vereinbarkeit von Beruf und Familie); leichter oder schwerer Berufseinstieg; Nutzen des Studiums für den Beruf; Änderung der Berufspläne in den letzten zwei Jahren; Zuversicht; Befürchtungen für die berufliche Zukunft; Einschätzung des Arbeitslosigkeitsrisikos von Absolventen der eigenen Fachrichtung; Benachteiligung von Frauen bei der Anstellung im eigenen Beruf; Präferenz für neigungsorientiertes oder an späteren Berufschancen orientiertem Studium; Höhe des monatlichen Bruttogehalts und erwartetes monatliches Bruttoeinkommen nach zehn Jahren Berufstätigkeit; berufliche Wertvorstellungen; erwartete Übereinstimmung dieser Wertvorstellungen mit dem Beruf; Charakterisierung der derzeitigen bzw. zukünftigen Berufstätigkeit hinsichtlich: Arbeitszufriedenheit, Möglichkeit anderen zu helfen, Verwirklichung eigener Ideen, wissenschaftliche Tätigkeit, hohes Einkommen, gute Aufstiegsmöglichkeiten, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsbelastung, Anwendbarkeit fachlicher Fähigkeiten); Charakterisierung der Gesellschaft der BRD, der Universität sowie des eigenen Berufsfeldes anhand von Eigenschaften (human, fortschrittlich, autoritär, reformbedürftig, unbeweglich, leistungsfähig und anonym); Schichtzugehörigkeit der Eltern; Selbsteinschätzung der Schichtzugehörigkeit in zehn Jahren (Oben-Unten-Skala); Einstellung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen; Eignungsvergleich von Frau und Mann hinsichtlich: Aufgaben mit eigenen Ideen, berufliche Führungspositionen, Eingehen auf andere Menschen, politische Betätigung, wissenschaftliche Forschung; Einschätzung der gesellschaftlichen Gleichstellung bzw. Benachteiligung der Frau in der Hochschule, in der Ausbildung, Berufswelt, Politik, Führungspositionen sowie in der Familie; Bewertung von Aussagen anhand von Gegensatzpaaren: Emotionen als Indikator für Schwäche, Bestrafung bei Gesetzesverstößen, Meinungsfreiheit, impulsivem Handeln, Wahrheitsfindung durch Identifikation, Menschen sind grundsätzlich gut; Unsicherheit bzw. feste Vorstellungen über: wichtigste Werte für das Zusammenleben der Menschen, drängende soziale Probleme der Gesellschaft, Unterstützung politischer Ziele, Bereiche eigener Leistungsfähigkeit, persönlicher Einsatz im Leben, Kriterien für gesellschaftlichen Erfolg, Ziele wissenschaftlichen Denkens, Bedeutung von Bildung für den Einzelnen, Anforderungen im Berufsleben, Rolle von Akademikern in der Gesellschaft; Beurteilung der eigenen Kompetenz hinsichtlich der Bewertung ausgewählter gesellschaftlicher Fragestellungen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (Skala: politische Ziele der Parteien in der BRD, Vorteile und Nachteile der Marktwirtschaft, Lage der dritten Welt und der Entwicklungsländer, Erklären und Lösen der Probleme der Jugendkriminalität, Notwendigkeit und Grenzen der Meinungsfreiheit in der Demokratie, wichtigste Reformen im Bildungswesen, Rolle der Wissenschaft für die menschliche und gesellschaftliche Entwicklung, Humanisierung der Arbeitswelt, Möglichkeit und Folgen der Gleichberechtigung, Möglichkeiten eigene politische Interessen zu vertreten); Selbstcharakterisierung: breites Allgemeinwissen, kritisch und problembewusst, logisches und analytisches Denken, ordentliches und pünktliches Arbeiten, Bevorzugung verantwortungsbewusster Aufgaben, Fähigkeit zu einer leitenden Position.
Wissenschaft und Akademiker: Zweck wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens: gesicherte Wahrheit versus Interpretationen der Wirklichkeit, Grundlagenforschung versus praktische Problemlösung; Einstellung zur Wissenschaft und zu Wissenschaftlern (Skala: Gesellschaftsentwicklung hängt vom wissenschaftlichen Fortschritt ab, wissenschaftliche Forschungsergebnisse hauptsächlich zugunsten der Wirtschaft, zu großer Einfluss auf das tägliche Leben, widersprüchliche Aussagen von Wissenschaftlern sind wenig hilfreich für gesellschaftliche Entwicklung); Forderung nach Orientierung der wissenschaftlichen Forschung an: Sammlung objektiver Daten, Konzentration auf Theorien und Hypothesen, die objektiv überprüfbar sind bzw. auf direkte Erfahrung und unmittelbare Einsicht; Rangfolge der wichtigsten Aufgabengebiete der Wissenschaft (Wohlstand durch technischen Fortschritt, gegen Unterdrückung arbeiten, geistige und kulturelle Entwicklung); Forderungen an Wissenschaftler und die Wissenschaft (Skala); tatsächliche und gewünschte Wichtigkeit ausgewählter Aufgaben der Universität; Einstellung zu Toleranz und wissenschaftlichem Denken: Experten ohne eindeutige Antwort fehlt es an Kompetenz, Interesse an unventionellen Menschen, Präferenz für Menschen mit gleicher Meinung, Ja-/Nein-Antworten sind zu einfach, schematisches Leben kostet Lebensfreude, Wunsch nach ruhigem, geregeltem Leben, alle sollten gleiche Werte annehmen; Präferenz für Aufgabenstellungen, die Kreativität zulassen; besondere Verantwortung von Akademikern gegenüber der Allgemeinheit aufgrund ihrer Universitätsausbildung; besondere Eigenschaften und Fähigkeiten unterscheiden Akademiker von Nicht-Akademikern; Vergleich ausgewählter Eigenschaften von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern (Selbstbild); Vorbereitung von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern für ausgewählte Aufgaben: Formulierung gesellschaftlicher Ziele, Beurteilung politischer Ereignisse und Verhältnisse, Entwicklung neuer Ideen, Führungspositionen einnehmen, Meistern schwieriger Situationen im Beruf, Aufklärung der Bevölkerung über sozialpolitische Entwicklungen; Beurteilung der Ganztags-Berufstätigkeit einer verheirateten und finanziell abgesicherten Mutter bei Unterbringung ihres einjährigen Kindes bei einer Tagesmutter; Einstellung zu ausgewählten Gründen für sowie gegen das Verhalten der Mutter; Einschätzung der vorgenannten Problematik als rechtliches, familiäres, moralisches, finanzielles oder gesellschaftliches Problem; Beurteilung des Verhaltens eines Arztes, der einer todkranken Patientin auf deren Wunsch Sterbehilfe leistet; Einstellung zu ausgewählten Gründen für bzw. gegen das Verhalten des Arztes; Beurteilung von Sterbehilfe als rechtliches, religiöses, moralisches, humanitäres, wissenschaftliches oder gesellschaftliches Problem.
Gesellschaft: Bewertung der sozialen Unterschiede in der BRD als groß sowie als ungerecht; Einschätzung der Schichtanteile der deutschen Bevölkerung anhand von vier Skizzen; perzipierte Chance zur Verringerung der sozialen Unterschiede; Einstellung zu einer Verringerung sozialer Unterschiede; Abschaffung der sozialen Unterschiede im Land ist möglich; Einstellung zu ausgewählten Gründen gegen die Abschaffung der sozialen Unterschiede (Skala); Einstellung zu ausgewählten gesellschaftspolitischen Aussagen: soziale Unterschiede führen zu Konflikten zwischen Oben und Unten in der Gesellschaft, Erfolg durch individuellen Aufstieg statt Solidarität der unteren Schichten, Abhängigkeit der politischen Meinung von der gesellschaftlichen Stellung, Wettbewerb zerstört Solidarität, faire Chance für gesellschaftlichen Aufstieg in der BRD, ohne Wettbewerb kein gesellschaftlicher Fortschritt, Widerspruch zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, ohne Wettbewerb keine Leistung, rechtliche Benachteiligung der sozialen Unterschicht; Einkommen richtet sich vor allem nach Leistung; Entwicklung der gesellschaftlichen Aufstiegschancen in der BRD; Wichtigkeit ausgewählter Faktoren für gesellschaftlichen Erfolg; Vergleich von Akademikern und Nicht-Akademikern im Bezug auf höheres Einkommen, höheres Ansehen und größeren politischen Einfluss; höheres Einkommen, höheres Ansehen und größerer politischer Einfluss von Akademikern im Vergleich zu Nicht-Akademikern sind gerechtfertigt; Beurteilung der Aussagen: Forderung nach bildungs- sowie leistungsabhängiger Entlohnung; gleiches Einkommen für alle; direkte Aktionen (z.B. Streiks) der sozial Benachteiligten; den Wert eines Menschen an seiner Leistung bemessen, Reformen lösen keine Probleme; gewaltfreie Durchsetzung von Reformen; Machtverteilung in der BRD (Gruppen, Elite, Großkapital); perzipierte Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele in der BRD (materieller Wohlstand, soziale Gleichheit, individuelle Freiheit, sozialer Frieden, demokratische Mitbestimmung, soziale Sicherheit); Abwägen der Gegensätze: individuelle Freiheit versus soziale Gleichheit, soziale Gleichheit versus materieller Wohlstand, materieller Wohlstand versus individuelle Freiheit; Meinung zum Verhältnis der Ziele Freiheit und Gleichheit.
Politik: Politikinteresse (international, nationalpolitisch, lokalpolitisch, studentische Politik); Art der selbst praktizierten politischen Partizipation; Einstellung zur politischen Partizipation (Skala: derzeitige Möglichkeiten sind zufriedenstellend, Gleichgültigkeit gegenüber Politik ist verantwortungslos, Normalbürger hat nicht genug Gelegenheit zu politischer Einflussnahme, politische Aktivität ist Privatsache, Neigung zum politischen Protest bei Fehlentscheidungen, Politiker sind unfair und unehrlich, keine Beurteilung komplexer politischer Probleme möglich); politische Selbsteinschätzung auf einem Links-Rechts-Kontinuum im Vergleich mit der Allgemeinheit im Land und den Kollegen sowie im Vergleich zu vor zwei Jahren; Einstellung zu politischen Zielen (Bewahren der Familie, harte Bestrafung der Kriminalität, Stabilität der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, volle Mitbestimmung der Arbeitnehmer, Förderung technologischer Entwicklung, Festlegung einer Einkommenshöchstgrenze, Gleichstellung der Frau, Abschaffung des Privateigentums an Industrieunternehmen, gleiche Bildungschancen durch Reform des Schulwesens, Sicherung der freien Marktwirtschaft, Erhöhung der Verteidigungskraft und der militärischen Anstrengungen, Priorität von Umweltschutz vor Wirtschaftswachstum).
Lebensbereiche und Selbstbild: Erziehungsziele; Wichtigkeit ausgewählter Lebensbereiche; Selbstcharakterisierung anhand einer Eigenschaftsliste (Selbstbild); Charakterisierung des eigenen Verhaltens anhand von Gegensatzpaaren (Bewältigung neuer und komplizierter Aufgaben, Prüfungsangst, Gespräche mit Lehrenden, Prüfungssituation); Einschätzung der Chancen auf Selbstbestimmung sowie Abhängigkeit von gesellschaftlichen Anforderungen, persönlichen Eigenschaften oder Zufälligkeiten als lebensbestimmend (externe Kontrolle); Einfluss des Hochschulstudiums auf die eigene Einstellung zur Politik, Wissenschaft, die eigene Zukunft, die Gesellschaft, sich selbst und Religion; Beeinflussung der eigenen Orientierungen durch die Hochschullehrer, Kommilitonen, Lehrinhaltes des Fachstudiums, Fachinhalte anderer Studiengebiete durch das studentische Leben allgemein und durch die Berufserfahrung; Freude am Studentendasein; Forschungsbericht über dieses Projekt bereits gelesen.
This article provides an overview of the topic of the pandemic from the perspective of criminal law theory and practice in Germany. First of all, the major criminal offences of bodily injury and murder are discussed in the context of infecting a person with the Coronavirus and the (possible) consequences of having Covid-19, such as risk of death. The dilemmatic situation of triage, i.e., allocating limited intensive care resources, is illustrated in relation to the same offences. Then, the more specific crimes that came to the fore in the course of the pandemic are addressed. Subsidy fraud due to the state aids intended to compensate for the financial damage in the marketplace because of pandemic-related measures, and issuance or use of incorrect health certificates for exemption from the obligation to wear a face mask fall within this scope. Finally, the administrative offences law of the German Infection Protection Act was discussed, primarily with regard to regulations that violate the principle of legal certainty. ; Henning Lorenz: henning.lorenz@jura.uni-halle.de ; Engin Turhan: engin_turhan@windowslive.com ; Henning Lorenz is a PhD Candidate and an Assistant at the Department of Criminal Law, Criminal Procedure Law and Medical Law, Martin-Luther-University Halle-Wittenberg, Germany. ; Engin Turhan is a PhD Candidate and an Assistant at the Department of Criminal Law, Criminal Procedure Law and Medical Law, Martin-Luther-University Halle-Wittenberg, Germany. ; Henning Lorenz - Martin-Luther-University Halle-Wittenberg, Germany ; Engin Turhan - Martin-Luther-University Halle-Wittenberg, Germany ; Ast S., Quieta non movere? 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Der Schwerpunkt der Arbeit basiert auf einer retrospektiven Betrachtung des seit Jahrzehnten in Italien etablierten komplexen Beziehungsnetzwerkes zwischen Medien und Politik. Von seinen Anfängen im 19. Jh. bis einschließlich Mitte September 2006 werden die Konsequenzen dieser medienpolitischen Interdependenzen analysiert und kritisch hinterfragt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der seit dem letzten Jahrzehnt virulent geführten Debatte über den Einfluss des italienischen Medienmoguls und Spitzenpolitikers Silvio Berlusconi auf die mediale Politikberichterstattung Italiens. Die vorhandenen Sprachbarrieren machen es allerdings oft nicht leicht, die Komplexität der italienischen Medien- und Politiklandschaft zu verstehen. Bei oberflächlicher Betrachtung kann dies rasch zu Fehleinschätzungen und -interpretationen führen, die in der gegenwärtigen Studie korrigiert werden. Neben einer fundierten Analyse der existierenden Fachliteratur zur Entwicklung der italienischen Massenmedien gründet die Studie auf einer detaillierten Berücksichtigung journalistischer Publikationen unterschiedlicher italienischer Tageszeitungen. Bei diesem literature review werden insgesamt 335 italienischsprachige Quellen berücksichtigt, von denen 128 Fachpublikationen sind. Mehrheitlich handelt es sich um soziologische, politik- und kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen aus den vergangenen 15 Jahren. In Form eines chronologisch-deskriptiven Überblicks wird vor allem die Entwicklung des italienischen Fernsehsektors seit seiner Einführung 1954 bis zur Gegenwart nachgezeichnet. In diesem Kontext wird der Aufstieg Berlusconis zum Medienmogul und zum zweimaligen Ministerpräsidenten Italiens vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund skizziert und mit Interpretationen der italienischen Vergangenheit und Gegenwart abgeglichen. Dies erklärt letztlich auch die Herausbildung des Medienmonopols von Silvio Berlusconi und dessen Instrumentalisierungsversuche der Medien für seine politischen Zwecke. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil beinhaltet eine historisch-deskriptive Darstellung der seit Jahrzehnten bestehenden symbiotischen Verquickung von Medien und Politik in Italien (Kap. 1 bis 7). Hierbei finden politische, ökonomische, soziale und rechtliche Aspekte Berücksichtigung. Zudem stehen die unterschiedlichen Akteure des Mediensektors wie politische Parteien, Politiker, Journalisten, Medienunternehmen, Wähler sowie die katholische Kirche im Zentrum der Arbeit. Zum besseren Verständnis werden sie nicht isoliert, sondern in ihren vielfältigen Wechselwirkungen betrachtet. Da Berlusconi in den vergangenen vier italienischen Parlamentswahlen stets der Anwärter auf das Präsidentschaftsamt des Mitte-Rechts-Lagers war, werden die relevanten medienpolitischen Aspekte aller vier Wahlen zusammengefasst und erstmalig zueinander in Beziehung gesetzt. Im zweiten Teil werden Perspektiven für ein zukünftiges Forschungsvorhaben präsentiert, um die Qualität italienischer Hauptabendnachrichten in Bezug auf ihren tendenziösen Charakter zum Vor- bzw. Nachteil politischer Akteure bestimmen zu können (Kap. 8). Auf Basis des identifizierten Forschungsdefizits italienischer Studien wird ein idealtypisches Analysekonzept für künftige Studien entwickelt, das auf der empirischen Methode der Inhaltsanalyse beruht. Ein exemplarisch vorgestelltes Forschungsdesign soll dazu beitragen, zukünftig Erkenntnisse über die Qualität der politischen Fernsehberichterstattung in Italien gewinnen zu können. Dies erfolgt unter Rückgriff auf die kommunikationswissenschaftlichen Theorien: gatekeeper-, agendasetting-, framing-, bias-Ansatz und instrumentelle Aktualisierung. Das Ziel der Arbeit ist es, das Wechselspiel und die Einflussversuche unterschiedlicher Akteure des italienischen Mediensektors in ihrem historischen Kontext darzustellen. Hierbei interessieren vor allem die zentralen Konfliktfelder und Entwicklungslinien, die im Rahmen der medienpolitischen Verflechtungen Italiens zu konstatieren sind. Mittels eines umfassenden reviews der italienischen Literatur sollen die vorhandenen Sprachbarrieren überwunden und der deutschsprachigen Leserschaft gezielt soziopolitische Zusammenhänge des modernen italienischen Journalismus und seiner historischen Entwicklung zugänglich gemacht werden. Ein weiteres Ziel besteht darin, den Kenntnisstand über italienische Studien zum engen Netzwerk aus Medien und Politik zu erhöhen. Insgesamt wird eine systematische Aufarbeitung der medienpolitischen Charakteristika Italiens sowohl aus inländischer als auch aus ausländischer Sicht geliefert. ; The controversy about the role of the mass media in Italy's political landscape has generated a heated debate among the academia, the media, intellectuals, journalists, politicians, the church, and civil society alike. By the turn of the new millennium, there has been an increasing public concern about who is doing what, when and how regarding the role of the mass media and political entrepreneurs in shaping public opinion about crucial issues that directly affect the life of the citizenry. On both sides of the Atlantic the role of the media has set path breaking and innovative approaches in motion for handling major political events such as elections, assessing the general performance of the ruling party and even acting as watchdogs on the moral character of leaders and party functionaries. Especially in Italy, where media manipulation and spin-doctoring have pervaded the socio-political and economic fabric, news reporting has assumed dimensions that are now being questioned by the wider society. People all around the world have a suspicious view on the potential influence of Silvio Berlusconi- media on Italian politics and at the same time of his politics on the Italian media. This is partly due to the information they are exposed to by the media itself. The news reporting of the international press scene is characterized by a certain kind of "hysteria" concerning the assumed influence on Italian voters by the majority of Italian media being controlled by one person: Silvio Berlusconi. Especially the greed of the yellow press for sensational reporting lets the danger of manipulating political news reporting appear immediate. Most of the time this reporting manner is quite different from the accounts given by the high quality press which normally uses a trenchant, but less emotional and therefore more fact-centred news reporting style. The role of ex-Prime Minister Silvio Berlusconi as a powerful media tycoon and political leader of the Italian right wing offers a concrete case for explaining the main features of the Italian media system. This paper sets forth to investigate the interlocking role between mass media and politics in Italy. The core agenda of the work delineates the historical development of the media sector from its beginning in the early 19th century to the present. Furthermore, some of the key controversies such as views on certain conflict-riddled issues, and the respective positions taken by influential actors, as well as views and opinions held by renowned experts on the field are presented in a systematic way. About 335 Italian publications are thoroughly reviewed to offer access to the German academic community. This review has revealed some deficit as evidenced by relatively low attention paid to qualitative research methods in a field traditionally over flooded with quantitative empirical techniques and approaches. As a result, based on the current standard of knowledge of state-of-the-art there exits a deficit regarding the systematic and scientific investigation of the close confines between mass media and politics in Italy that takes qualitative characteristics into account. Future research agenda should therefore place more emphasis on qualitative factors. Consequently, it has become imperative to level the research terrain with supplementary approaches, so as to ensure some degree of balance and complementarity among existing theories and approaches for analysing the crucial interface between mass media and politics. By applying content analysis as a standard methodology in the social sciences a contribution to the above mentioned research deficit is made by presenting a theoretical concept for a profound future case study on the quality of news reporting on Italian television. The theoretical and methodological proposals put forward in this particular study are meant to stimulate future research. All this calls for a bi-national collaboration between German and Italian mass media communication scientists. The objective is to provide more insight about the need to incorporate extensive comparative analysis in the scientific domains of mass communication and politics.
Given the vast amount of policy discourse claiming that participation of local communities is a condition for sustainable forest management, this research aims at understanding how local actors actually perceive - and interact with - their communally owned forests. Without predetermining whether there will be participation at local levels or predefining what participation should be like at this level, we have selected six communes in the French and Swiss Alps. The selection criteria were that they have a substantial part of their territory covered with communally owned mountain forests and that they tend to have multiple forest-related uses. Besides country and region based institutional variation of the region selected (between the French Haute-Savoie and the Swiss cantons of Valais and Vaud), we chose communes with varying socio-economic and land-use contexts, as well as according to demographic trends and the relative importance of the primary (farming and forestry), secondary or tertiary sectors (mostly tourism). Based on sixty-five semi-structured interviews, we first analyze local actors' perceptions of the communal forests so as to crystallize different forest values and forest related conflicts. We estimate the relative importance of these values and conflicts, comparing results between the communes, and between categories of actors, based on their occupation, their age and their gender. Describing twenty collective agency processes, we develop a typology based on who takes part, why and how. Then we compare these processes in their capacity to either reproduce or change social structures and their relative dependency or autonomy from state authorities. After exploring the background of the concept of "participation" in democratic theory and in natural resources and forest policy making, we focus on micro-level social interactions and collective agency in communal forests. While taking a Grounded Theory approach for generating propositions based on a systematic qualitative interview analysis, we use insights from Anthony Giddens' structuration theory, as well as from Michel Crozier's strategic analytical methodology. We complement these with additional social theory concepts needed to address the cultural and ecological aspects of local social interactions with forests. Interpreting our results, we find that local social interactions and collective agency processes in relation with communal forests are correlated with various local actors' values and with many of their expressed multiple land-use conflicts, but that they generally do not address forestry related conflicts. We notice important variations in perceived conflicts, values, and in the involvement of the actors according to their occupation, gender, age, and relationship with authorities. These findings provide insights about the power relations structuring local interaction systems. The grounded analysis of these variations leads us to distinguish an important cultural, economic, and political conflict line between urban and rural representations of the communal forest (livelihood versus quality of life), as well as between urban and rural strategies in local forest-related agency (local autonomy versus state control). Our research finds a strong relationship between the historical consolidation of state-led forestry institutions and concomitant erosion of common property institutions, and the impact of modernization on the place-making capacity of local actors interacting with their forest. The result of this research is a set of propositions regarding local agency in communal forests and local actors' engagement in forestry, in the Swiss and French alpine region. These findings provide a better understanding of the local dimensions of participation in forestry. ; Lokales Handeln in Gemeindewäldern der Französischen und Schweizer Alpen Ausgehend der großen Anzahl von Literatur, die behauptet, dass die Partizipation von lokalen Gemeinschaften eine Bedingung für nachhaltiges Waldmanagement darstellt, versucht diese Studie zu verstehen, wie lokale Akteure ihren Gemeindewald tatsächlich wahrnehmen und dafür tätig werden. Ohne Partizipation auf lokaler Ebene vorauszusetzen und ohne vorwegzunehmen wie eine solche Partizipation aussehen sollte, haben wir sechs Gemeinden der Schweizer und der Französischen Alpen ausgewählt. Auswahlkriterien waren dabei, dass ein erheblicher Teil des Gemeindeterritoriums aus gemeindeeigenem Bergwald besteht und dass dieser Wald auf vielfache Art und Weise genutzt wird. Die Gemeinden liegen in unterschiedlichen Ländern und Regionen (Haute-Savoie in Frankreich sowie die Kantone Waadt und Wallis in der Schweiz) und zeichnen sich durch unterschiedliche sozio-ökonomische, demographischen und Landnutzungscharakteristiken aus. Die theoretische Basis unserer Forschung baut auf sozialen Handlungstheorien auf. Partizipation wird als kollektives Handeln verstanden, wobei zwei oder mehr soziale Akteure zusammen im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel handeln. In der theoretischen Auseinandersetzung mit der Problemstellung fragen wir zunächst nach dem Hintergrund des Konzepts der "Partizipation" in der Demokratietheorie und konzentrierten uns dann auf den Gebrauch dieses Konzepts in der Formulierung von politischen Inhalten, die sich auf das nachhaltige Resourcenmanagement und die Waldwirtschaft beziehen. Bei unserer Betrachtung der Bedeutung, die Partizipation für lokale Akteure in Bezug auf ihren Gemeindewald hat, konzentrieren wir uns auf Theorien, die Partizipation als ein soziales Interaktionsphänomen betrachten - insbesondere beziehen wir uns auf Anthony Giddens Strukturationstheorie, auf Michel Croziers strategisch-analytische Methodologie sowie auf Lewis Cosers soziale Konflikttheorie. Um eine induktive Analyse durchführen zu können, benutzen wir die so genannte "grounded theory" von Barney Glaser und Anselm Strauss. Mit Hilfe dieses theoretischen und methodologischen Rahmens wird eine systematische Analyse von 65 qualitativen Interviews durchgeführt, mit dem Ziel, induktiv Thesen zu generieren (anstatt Hypothesen zu testen). Die offene qualitative Interviewmethode erlaubt es uns, zu verstehen, was die lokalen Akteure über ihren Gemeindebergwald und seine Verwaltung zu sagen haben, aber auch, weshalb sie entsprechende Überlegungen tätigen. Zunächst wurden die Wahrnehmungen und Wertungen analysiert, die die lokalen Akteure bezogen auf ihren Kommunalwald haben. Unterschiedliche waldbezogene Konflikte und Waldwertschätzungen werden dargestellt und bezüglich ihrer Bedeutung für die verschiedenen lokalen Akteure eingeschätzt. Schließlich wurden 21 kollektive Handlungsprozesse in den sechs Gemeinden analysiert und in einer Typologie systematisiert, die auf den Zielen und den gemeinsamen Strategien, auf den Machtverhältnissen zwischen den Agenten und den Behörden sowie auf der Tendenz, soziale Strukturen zu verändern oder zu reproduzieren, aufbaut. Dabei zeigt sich, dass die Akteure, die hauptberuflich im Wald tätig sind, mehr Konflikte äußern als diejenigen, die im tertiären und sekundären Sektor arbeiten. Frauen, Jugendliche und Menschen, die im tertiären und sekundären Sektor beschäftigt sind, äußern demgegenüber mehr Wertschätzungen des Waldes. Erbschaftsbezogene Werte ("patrimonial values") - die neben dem Eigentumswert, für die Interviewten, mit lokaler Holzarchitektur und - handwerk, mit über Generationen vermittelten lokalem Wissen, und mit kollektiver und persönlicher Identität zu tun haben, erscheinen besonders prägend für die lokale Bevölkerung zu sein. Diese Werte motivieren auch einen großen Teil der waldbezogenen Interaktionen. Die verstehende ("grounded") Analyse dieser Unterschiede deutet auf eine wichtige kulturelle, ökonomische und politische Konfliktlinie zwischen städtischen und ländlichen Wahrnehmungen der Gemeindewälder sowie zwischen städtischen und ländlichen Präferenzen und Strategien. Ländliche Interessen sind auf Lebenserhaltung, während städtische Interessen auf soziale Integration konzentriert sind. Die Ersteren suchen insbesondere, ihre Autonomie über die lokalen Waldressourcen zu bewahren. Die städtischen Akteure hingegen sehen den Wald als einen öffentlichen Raum, dessen Management sie fraglos an Forstexperten delegieren, solange sie freien Zugang zum Wald haben und der Wald relativ unverändert weiter besteht. Wir beobachten auch einen wichtigen Konflikt zwischen den Waldarbeitern und den Bauern, insbesondere bezüglich der Waldflächen, die über Weiden wachsen und bezüglich der Nutzung von Forst- und Landschaftsstraßen. Unter anderem schließen wir aus den empirischen Erhebungen, dass Partizipation im Management von Gemeindewald mit der internationalen Forstpolitik kaum im Einklang steht. In den Gemeinden, wo der Wald ein wichtiger Teil des Territoriums einnimmt und noch eine ökonomische Bedeutung hat, finden wir lokale waldbezogene Institutionen, deren Ziel es ist, eine gewisse Kontrolle über die Ressourcen der Gemeinde zu haben. Es scheint, dass die Gemeinden, in denen die meisten Waldwertschätzungen gefunden wurden, auch oft die sind, die recht viele Konflikte aufweisen und dass dies auch die Gemeinden mit den meisten kollektiven waldbezogenen Interaktionen sind. Es zeigt sich, dass Wertschätzung des Waldes und Konflikte Interaktionen fördern und dass solche Interaktionen auch wertbildend sind. Wir schließen unsere Arbeit mit Vorschlägen, die zum Ziel haben, das Engagement der lokalen Akteure für die Gemeindewälder und für die Waldwirtschaft zu stärken.
Mit der vorliegenden Dissertation wird erstmals ein zeitlich umfassender Überblick über die touristische Verlagskartographie in der DDR gegeben. Als "Leitverlag" steht der Landkartenverlag bzw. Tourist Verlag im Mittelpunkt der Arbeit, dessen Geschichte zugleich den Untersuchungszeitraum 1945–1994 vorgibt. Darüber hinaus werden weitere Verlage, kartographische Betriebe und Institutionen betrachtet, die im Osten Deutschlands mit der Herstellung und Herausgabe von touristischen Karten befasst waren. Das halbe Jahrhundert ostdeutscher Verlagsgeschichte lässt sich in fünf inhaltlich abgrenzbare Entwicklungsphasen einteilen. Phase 1 (1945–1952) war gekennzeichnet durch eine von der Besatzungsmacht UdSSR überwachte und im Aufbau befindliche Verlagslandschaft. In jenen Jahren gelang es nur dem von Kurt Schaffmann gegründeten Landkartenverlag, eine volle Sortimentsbreite touristischer Karten (Stadtpläne, Wanderkarten, Verkehrskarten) aufzubauen, jedoch vorerst noch regional eingeschränkt. In Phase 2 (1953–1965) wurde durch die Verstaatlichung von Verlagen und der sich anschließenden Konzentration der Herausgabe die Grundlage für ein staatlich kontrolliertes Verlagswesen geschaffen. Dabei war zugleich die Sortimentsvielzahl zugunsten einer klar formulierten Programmstruktur aufgegeben worden. Für Phase 3 (1966–1976) war die Herstellung und Herausgabe eines komplett neuen Verlagsprogramms prägend. Vorausgegangen waren Beratungen in Moskau und Ost-Berlin, die zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Kartenwesen führten. Fortan wurden alle für die Öffentlichkeit bestimmten Karten nur noch mit verzerrten Maßstäben produziert. Phase 4 (1977–1989) beinhaltet die Tätigkeit des VEB Tourist Verlag Berlin/Leipzig, der neben Karten nun auch für touristische Literatur verantwortlich zeichnete. Bis auf Koeditionen mit Verlagen benachbarter sozialistischer Staaten stagnierte die Kartenherausgabe, denn zunehmend wurden Kapazitäten durch den Devisen bringenden Kartographieexport in die BRD gebunden. In der Phase 5 (1990–1994) gelang es dem Tourist Verlag nicht, eine gefestigte Stellung in der gesamtdeutschen Marktwirtschaft zu erringen. Durch den Verkauf seitens der Treuhandanstalt an J. Fink – Kümmerly + Frey ließ sich das Schicksal nur um wenige Jahre hinauszögern; am Ende stand die Liquidation des traditionsreichen Unternehmens. Damit wird zugleich der Schlusspunkt der Betrachtungen fixiert. Im Laufe ihrer Geschichte war die ostdeutsche Verlagskartographie verschiedensten Restriktionen unterworfen. Zensur in Form sogenannter Genehmigungsverfahren, Bevormundung durch staatliche Anleitung und Kontrolle sowie die Sicherheitsdoktrin der sowje-tischen Führungsriege gaben den Rahmen vor, in dem Karten für die Öffentlichkeit entstehen konnten. Seit Mitte der 1960er Jahre führte die ausschließliche Verwendung von verzerrten Kartengrundlagen zu Erzeugnissen, in denen das Ermitteln von exakten Streckenlängen unmöglich wurde. Zusammen mit diversen Tarnmaßnahmen für Grenzgebiete, Militärobjekte und Industrieanlagen sowie weiteren Manipulationen des Karteninhalts, entstand ein von Fachleuten und Nutzern oft kritisiertes Verlagsprogramm. Während in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch zahlreiche Stadtpläne in den Handel gelangten, wurde ab Mitte der 1960er Jahre nur noch eine eingeschränkte Anzahl von Orten mit adäquatem Kartenmaterial bedacht. Zudem sind die Erzeugnisse fortan mit sogenannten "gleitenden Maßstäben" erstellt worden. Die Pläne genügten für die grobe Orientierung, touristischer Inhalt war sorgsam eingearbeitet. Als Ausgangsmaterial für Wander- und Touristenkarten in verschiedenen Maßstäben diente ab 1966 die von der staatlichen Kartographie eigens zur Verfügung gestellte, verzerrte Übersichtskarte im Maßstab 1 : 200 000. Fuß- und Radwanderer bekamen die daraus resultierenden Auswirkungen am meisten zu spüren. Da auch das Kartenbild recht grob war, genoss diese Kartengruppe einen allgemein schlechten Ruf. Bei den Verkehrskarten haben sich die Verzerrungen umso weniger bemerkbar gemacht, je länger die zu fahrenden Strecken waren. Wegen ihres Detailreichtums wurden die Karten sogar im Ausland geschätzt – Mairs Geographischer Verlag aus Stuttgart hatte die "Reise- und Verkehrskarte" in seine international bekannte Reihe der "Generalkarten" integriert. Somit ist insbesondere den touristischen Karten, die zwischen 1965 und 1989 produziert worden sind, eine unzureichende Note zu attestieren. Die differenzierte Betrachtung des Gesamtzeitraumes zeigt aber auch, dass Pauschalurteile über die touristische Kartographie in der DDR nicht angemessen sind. ; This doctoral dissertation provides the first general overview of tourist-oriented cartography publishing in the GDR. The thesis centres on the "Landkartenverlag" or "Tourist Verlag" as the "lead publishing houses", investigating their history from 1945 until 1994. Additionally, light is shed on other publishers, cartographic companies and institutions that were involved in the production and publication of tourist maps in Eastern Germany. Half a century of East German publishing history can be divided into five phases of development, defined according to content. Phase 1 (1945–1952) was characterized by a publishing landscape under the supervision of the occupying power, the USSR. In those years only the publishing house "Landkartenverlag" established by Kurt Schaffmann in Berlin managed to build up a full range of tourist maps (city maps, hiking maps, road maps), but which was regionally limited at the time. In Phase 2 (1953–1965), the nationalization of publishing houses and the subsequent concentration of publication created the basis for state-controlled publishing. At the same time, the variety of publications was given up in favour of a clearly formulated programme. Phase 3 (1966–1976) was defined by the production and publication of a completely new publishing catalogue. This was preceded by consultations in Moscow and East Berlin, which led to tightened security measures in cartography. From this point forward, all maps intended for the public were produced only with distorted scales. Phase 4 (1977–1989) includes the activities of the publishing house "Tourist Verlag" in Berlin and Leipzig, which, in addition to maps, also became responsible for travel literature. Except for collaborative editions with publishers of the neighbouring socialist states Poland and Czechoslovakia, map publication stagnated. This was due to the fact that their capacities were increasingly focused on lucrative cartography exports to the FRG. In Phase 5 (1990–1994), the "Tourist Verlag" was not able to achieve a stable position in the then-unified German market economy. With the state trust company's sale to the West German publishing house "J. Fink –Kümmerly + Frey", its fate could only be delayed for a few years. Finally, the company, with its rich tradition in the GDR, was liquidated. The end point of the present study aligns with the conclusion of its history. Throughout its history, East German publishing cartography has been subject to various restrictions. Censorship in the form of so-called approval procedures, patronage by state guidance and control, and the security doctrine of the Soviet leadership set the conditions in which maps could be made available to the public. Since the mid-1960s, the exclusive use of distorted maps has led to products in which it is not possible to measure exact track lengths. Together with various camouflage methods for state border areas, military objects and industrial facilities, as well as further manipulation of the content, the publishing programme became the target of frequent criticism from experts and users. While in the first years after the end of the Second World War many city maps were still introduced into the market, from the mid-1960s forward adequate map material was provided only for a limited number of cities. In addition, the products were from then on produced with so-called "sliding scales". The maps were sufficient for approximate orientation, but tourist content was carefully incorporated. Hiking and biking maps in different scales (from 1: 30,000 to 1: 120,000) were based on a distorted general map of state cartography from 1966, which was provided on a scale of 1: 200,000. Pedestrians and cyclists were most likely to feel the resulting negative effects. Because the map image was also quite rough, this group of maps had a generally poor reputation. In the case of road maps, the distortions became less noticeable the longer the distances to be travelled. Because of their wealth of detail, the maps were even appreciated abroad – the publishing house "Mairs Geographischer Verlag" from Stuttgart had integrated the "Reise- und Verkehrskarte" (travel and traffic map with a scale of 1: 200,000) into its internationally renowned series of the "Generalkarte". Thus, the tourist maps in particular, produced between 1965 and 1989, attest to an insufficient grade. However, a differentiated view of the entire period also shows that generalized assessments of tourist cartography in the GDR are not appropriate.
Einleitung: 'Die Mehrkosten für erneuerbare Energien von heute sind gesicherte Energie, vermiedene Umweltschäden und niedrige Energiekosten von morgen.' Nicht nur seitens der Wissenschaft, sondern auch der Politik werden die derzeit bestehenden Strukturen, gründend auf einer zentralistischen Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen, angezweifelt. Deshalb erscheint es offensichtlich, dass in naher Zukunft fundamentale Veränderungen vorgenommen werden im Hinblick auf eine umweltbewusstere Handlungsweise. Aus diesem Grund ist es unbedingt notwendig, die Energiepolitik so zu gestalten, dass im Rahmen des energiepolitischen Dreiecks neben der Gewährleistung der Umweltverträglichkeit auch noch die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten bleiben. Es ist allerdings ungewiss, ob die Versorgungssicherheit langfristig garantiert werden kann, da manche fossile Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) in nur wenigen und zum Teil politisch unsicheren Regionen vorkommen. Darüber hinaus ist die Gewährleistung eines gemeinsamen Zugangs zu Rohstoffquellen für alle Wettbewerber eine politische Herausforderung. Um diesem und anderen Risiken entgegenzuwirken, versucht man den Anteil der erneuerbaren Energieträger am gesamten Primär-Energieverbrauch auszubauen. Die künftige Entwicklung der einzelnen erneuerbaren Energieträger hängt davon ab, ob ordnungspolitische und andere Maßnahmen es möglich machen, eine wettbewerbskonforme Marktdurchdringung zu erreichen. Aus Gründen des Klimaschutzes ist eine wirtschaftliche Förderung von erneuerbaren Energien zu empfehlen. Fraglich ist jedoch, inwieweit alle erneuerbaren Ressourcen eine ökonomisch tragfähige Energieversorgung künftig sicherstellen können. Im Mittelpunkt der Analyse stehen folgende Forschungsfragen: Wie wird die bevorstehende Entwicklung ausgewählter fossiler Brennstoffe und erneuerbarer Energieträger aussehen? Mithilfe welcher energiepolitischen Rahmenbedingungen, Instrumente und Maßnahmen ist diese Entwicklung zu steuern, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen? Bevor die aufgeworfenen Fragen beantwortet werden können, sind die einzelnen Energieträger erst einmal ihrer Art nach zu differenzieren. In den Blickpunkt rücken die fossilen Energieträger, wobei der Hinweis von Aufschluss ist, dass Uran zwar nicht dazu gehört, aber ebenso wenig ein regenerativer Energieträger ist, womit Uran unter den Energieträgern eine Sonderstellung einnimmt. Danach sind die erneuerbaren Energieträger zu beleuchten. Um einen theoretischen Einblick in die Energiepolitik zu gewinnen, wird diese zu definieren sein, was eine Beschäftigung mit deren Zielen, Rahmenbedingungen, Instrumenten und Maßnahmen mit einschließt. Die Bewertung der ausgewählten Instrumente wird ebenfalls Gegenstand der Debatte sein. Daraufhin ist die dominierende Rolle der fossilen Brennstoffe im Allgemeinen und des Erdöls im Besonderen zu erörtern. Abgesehen von der Darstellung der Kosten und Preise als auch der Nutzung des Erdöls in Deutschland, ist ein erstes Fazit in Hinblick auf Problematik und künftige Entwicklung zu ziehen. Es folgt die Windenergie, die wie das Erdöl nach ähnlichen Gesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen sein wird. Anzumerken bleibt, dass aufgrund der mangelnden Detailrecherche in Bezug auf jede einzelne Energiequelle der Anspruch auf eine allumfassende Betrachtung entfallen muss. Dann ist die europäische Energiepolitik samt ihren Strategien, Zielen und Maßnahmen zu skizzieren und zwar nicht alleine im Rahmen der globalen Klimapolitik, sondern ebenso im Fokus des Kyoto-Protokolls. Den Abschluss bildet eine kritische Betrachtung der Energieversorgung im Spannungsfeld von politischen Vorgaben und unternehmerischen Zielen.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Abbildungsverzeichnis4 Tabellenverzeichnis5 Abkürzungsverzeichnis6 1.Einleitung7 1.1Zielsetzung und Fragestellung der Arbeit7 1.2Aufbau der Arbeit8 2.Begriffsabgrenzung9 2.1Fossile / nicht regenerative Energien und Atomkraft9 2.1.1Erdöl9 2.1.2Erdgas10 2.1.3Kohle11 2.1.4Atomkraft12 2.2Erneuerbare / regenerative Energien13 2.2.1Windenergie14 2.2.2Sonnenenergie15 2.2.3Wasserenergie16 2.2.4Meeresenergie18 2.2.5Geothermie18 2.2.6Bioenergie19 3.Allgemeine Grundlagen der Energiepolitik20 3.1Ziele der Energiepolitik20 3.2Rahmenbedingungen für den Einsatz von energiepolitischen Instrumenten23 3.3Instrumente der Energiepolitik25 3.3.1Monetäre Instrumente27 3.3.1.1Ausschreibungsmodelle28 3.3.1.2Einspeisevergütungen29 3.3.1.3Quotenmodelle ohne und mit Zertifikationshandel30 3.3.1.4Ökologische Finanzreformen32 3.3.1.5Förderung fossiler Energien mit verringerten Emissionen34 3.3.1.6Investitionskostenzuschüsse für Privathaushalte34 3.3.1.7Vergünstigte Darlehen für gewerbliche Investoren35 3.3.1.8Das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) als Modell36 3.3.2Ordnungsrechtliche Instrumente36 3.3.3Flankierende Maßnahmen37 3.3.4Bewertung ausgewählter Förderinstrumente38 4.Dominanz fossiler Energieträger am Beispiel von Erdöl43 4.1Globale Erdölreserven / Ressourcen und deren Verteilung43 4.2Gewinnungskosten sowie Preisbildung und -entwicklung des Erdöls45 4.3Abhängigkeit des Industriestaates Deutschland vom Erdöl49 4.4Zukünftige Entwicklung und Probleme der weltweiten Erdölförderung51 5.Chance für erneuerbare Energien am Beispiel von Windenergie52 5.1Nutzung der Windenergie in Deutschland52 5.2Stromgestehungs-Kosten und Preisentwicklung für Windenergie54 5.3Zukünftige Entwicklung und Probleme der Windenergie-Nutzung56 6.Europäische Energiepolitik im Rahmen der internationalen Klimapolitik59 6.1Internationale Klimapolitik59 6.2Europäische Energie-(Außen)politik61 6.3Anforderungen an die künftige Energiepolitik64 7.Ökonomische Realität im Konflikt zu energiepolitischen Ambitionen66 8.Fazit69 Anhang71 Literaturverzeichnis75Textprobe:Textprobe: Kapitel 3.3.1.4, Ökologische Finanzreformen: Unter der ökologischen Finanzreform ist eine umweltorientierte Umstrukturierung des Finanzsystems zu verstehen. Im Fokus der ökologischen Finanzreformen stehen die Finanzbeziehungen zwischen Bürger und Staat, die unter Beachtung von Nachhaltigkeitskriterien realisiert werden. Die Einnahmen des Staates resultieren hauptsächlich aus der Besteuerung von nicht regenerativen Energien. Zusätzlich gilt es, ökologisch kontraproduktive Subventionen zu reduzieren bzw. umzuschichten und parallel dazu die Abgaben und Beiträge gemäß der ökologischen Ziele und Vorgaben zu gestalten. Zu den Ausgaben des Staates gehören die Unterstützung von Wirtschaftssektoren oder bestimmter Unternehmen, Subventionierung der Forschung, Transfers an private Haushalte, die unter Umständen geprüft werden und neu auszurichten sind. Umwelt-bezogene Ausrichtung staatlicher Programme und Ausgaben stellen eine wichtige Komponente der ökologischen Ausgabereform dar. Im Folgenden wird näher auf die genannten Aspekte einzugehen sein. 1. Internalisierung externer Kosten bei fossiler Energie: Um ein nachhaltiges, globales Energiesystem zu schaffen, bedarf es einer Internalisierung externer Effekte der fossilen und nuklearen Energiekette von der Förderung bis zur Nutzung. In der Praxis jedoch erweist sich das Herbeiführen der geforderten Internalisierung als schwierig. Denn die fossilen und nuklearen Energieträger sind bezogen auf deren Brutto-Abnahmepreis günstiger als regenerative Energiequellen, deren externe Effekte wesentlich geringer ausfallen. Dies schafft Nachteile für den Wettbewerb erneuerbarer Energiequellen. Um für alle Energiearten weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, muss eine absolute Internalisierung externer Kosten stattfinden. Erst dann sind erneuerbare Energiequellen rentabler als ihre bisherigen konventionellen Konkurrenten. Die ökologische Steuerreform trägt einen wichtigen Beitrag zur Klimaschutz-Politik bei. Losgelöst von den gesellschaftlichen Klassen schafft sie Anreize für einen effizienten Umgang mit Energie. Die Kernaussage lautet: Wer Umweltkosten verursacht, soll für diese aufkommen. Betroffen von der Steuerreform sind sowohl Privathaushalte als auch Wirtschaft durch höhere Energie-, Strom- und Kraftstoffkosten. 2. Ökologische Auswirkung durch die Besteuerung nicht regenerativer Energie: Die Besteuerung fossiler Brennstoffe bewirkt deren Verteuerung, was bei unveränderten Marktbedingungen die Nachfrage zurückgehen lässt. Folge ist das Ausweichen auf andere Energieträger. Darüber hinaus werden Anreize geschaffen, was die Effizienz erneuerbarer Energie im Allgemeinen sowie ihre daran gekoppelte technologische Entwicklung im Besonderen steigert. 3. Subventionsabbau für fossile Energie: Mit dem Abbau von umweltschädigenden Subventionen lassen sich die drei Faktoren der Nachhaltigkeit optimal verbinden: • 'Die Ökologie, weil ein ökologisch kontraproduktives Verhalten nicht mehr weiter finanziell unterstützt wird. • Die Ökonomie, weil durch den Staat herbeigeführte Verzerrungen der Marktaktivitäten vermieden werden. • Das Soziale, weil durch die Einsparung von öffentlichen Haushaltsmitteln ein sozial sinnvoller Einsatz gewährleistet werden kann.' Trotz der zahlreichen volkswirtschaftlichen Vorteile, die der Abbau von Subventionen mit sich bringt, stößt man auf große Widerstände, da Subventionen in der Regel verteilungspolitische Auswirkungen haben. Deshalb werden die betroffenen Branchen versuchen, die aus ihrer Sicht betrachtet 'bremsende Reform' der Subventionspolitik zu umgehen. Um diese Blockaden zu minimieren, empfiehlt sich eine zeitlich gestaffelte Einführung der Reform, um den Beteiligten genügend Zeit zu geben, sich an die neue Situation anzupassen. 3.3.1.5, Förderung fossiler Energien mit verringerten Emissionen: Aktuell ist die Wirtschaft noch immer auf fossile Energien angewiesen. Nur die Deckung des entstehenden Versorgungsbedarfs durch erneuerbare Energien wird daran etwas ändern können. Damit einerseits die Versorgung gesichert ist und andererseits die Abhängigkeit von fossiler Energie zurückgeht, sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: Erstens müssen Neuinvestitionen in fossile Energien gegen Null gefahren werden und zweitens müssen die im fossilen Bereich, unter sozioökonomischen Gesichtspunkten gesehen, unverzichtbaren Investitionen geringere Emissionswerte verursachen als bisher und sich darüber hinaus in eine flexible Infrastruktur einfügen. Der Ausbau von Anlagen, die noch vorübergehend mit fossilen Energieträgern betrieben werden, sollte eine spätere Umstellung auf erneuerbare Energien möglich machen. Beispielsweise kann eine Anlage zunächst mit Erdgas und danach mit Biogas gefüttert werden. 3.3.1.6, Investitionskostenzuschüsse für Privathaushalte: Investitionskostenzuschüsse sind Anreize für den Ausbau von Anlagen, dabei verpflichten sie nicht zur Rückzahlung, weshalb sie als 'verlorene Zuschüsse' bezeichnet werden. Die Höhe der Zuschüsse hängt vom Investitionsvolumen oder von der technischen Größe wie der installierten Leistung ab, beispielsweise bei solarthermischen Anlagen von der Fläche der Kollektoren. Bisweilen ergehen sie auch in Form von Festbeträgen. An die Zuschüsse ist ferner die etwaige Erlassung von Schulden geknüpft, die im Rahmen einer Darlehensfinanzierung von Anlagen über das Marktanreiz-Programm des Bundes angeboten wird. Private Haushalte haben mit Investitionszuschüssen bereits positive Erfahrungen gemacht. Ein besonders wichtiger Aspekt bei dieser Art von Förderung ist die staatliche Befürwortung und Unterstützung der Eigeninitiative der Haushalte. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Anreiz für die Teilnahme auch von privater Seite. 3.3.1.7, Vergünstigte Darlehen für gewerbliche Investoren: Diese Maßnahme richtet sich primär an gewerbliche Investoren mit hohem Bedarf an Fremdkapital beispielsweise zur Errichtung von Windparks. Die Vergünstigung des Darlehens ist ein Instrument, um das aufgenommene Kapital billiger zu machen, was niedrigere Zinsen, längere Laufzeit der Kredite oder eine bessere Tilgungsart bedeutet. Private Kreditinstitute vergeben die Darlehen, wobei sie ihrerseits auf günstige Refinanzierungsmöglichkeiten von öffentlichen Banken wie beispielsweise der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) zurückgreifen. In der Regel wird erst durch Bürgschaften der Zugang zur Fremdfinanzierung ermöglicht, womit die Banken parallel Maßnahmen zur Kapitalverbilligung fördern. Je nach Programm ist die Finanzierungsquote recht unterschiedlich. Bei den Marktanreiz-Programmen des Bundes oder dem '100.000 Dächer-Solarstromprogramm' können die durch die Investitionen entstandenen Kosten bis zu 100% finanziert werden. Im Gegensatz dazu liegt die Finanzierungsquote beim Darlehensprogramm der KFW niedriger. Ein Investor sollte seinerseits über einen soliden Eigenkapitalanteil von 30-50 % verfügen. 3.3.1.8, Das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) als Modell: Ein weiteres in Deutschland entwickeltes und taugliches Instrument zur Förderung von Strom aus regenerativer Energie ist das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG). Das Gesetz ermöglicht die Übertragung des wirtschaftlichen Risikos und dient als eine Vorfinanzierung von Ökostrom. Damit wird eine Investition in die Gewinnung regenerativer Energie etwa in Form von kleinen photovoltaischen Anlagen auf dem Hausdach für Privathaushalte bis hin zum großen Windpark für Gewerbetreibende finanziell attraktiv. Darüber hinaus beabsichtigt das Gesetz die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energien im Hinblick auf Klima und Umweltschutz. Das EEG ist am 29. März 2000 in Kraft getreten. Dieser ökonomische Anreiz hat sich im EU-Vergleich als ein besonders effizientes Instrument zum Ausbau der erneuerbaren Energien erwiesen. Die Funktionsweise des Instruments lautet: 'Mindestpreisregelung mit Pflicht der nächstgelegenen Netzbetreiber zur Aufnahme und Vergütung des Stroms aus erneuerbaren Energien; Weiterleitung der Vergütungen an Übertragungsnetzbetreiber (Hochspannungsnetze) mit Pflicht zum bundesweiten Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen.' Auf diese Weise wird eine Verteilung von bundesweit regional unterschiedlichen Belastungen bewirkt. Hierdurch erhöhen sich die Strom-Bezugskosten für Endverbraucher derzeit um durchschnittlich rund 0,05 Cent pro kWh. Bei den Mindestvergütungen an die Einspeiser wird die Höhe der Vergütung unterschieden nach den Sparten der grünen Energien, nach Größe der Anlagen und bei Windenergie nach dem Windstandort.
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Am Mittwochnachmittag überreichen die EFI-Wissenschaftsweisen ihr Jahresgutachten an Bundeskanzler Scholz. Der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner spricht im Interview über den transformationspolitischen "Schlingerkurs" der Ampel, Deutschlands Bildungskrise und den Rückstand bei der KI-Entwicklung, die Öffnung zur Militärforschung – und was die Regierung trotz allem richtig macht.
Uwe Cantner, 63, ist seit Mai 2019 Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). An der Universität Jena hat er eine Professur für VWL/Mikroökonomie, seit 2014 ist er Vizepräsident seiner Universität. Foto: David Ausserhofer.
Herr Cantner, wenn Sie nach der Überreichung des neuen EFI-Jahresgutachtens eine Minute allein hätten mit Olaf Scholz, was würden Sie ihm raten?
Meine wichtigste Botschaft an den Bundeskanzler wäre: Trotz aller Riesenaufgaben von der Verteidigungs- über die Sicherheits- bis hin zur Klimapolitik dürfen Forschung und Innovation auf keinen Fall unter die Räder der immer schärferen Budgetkonkurrenz geraten. Und dann würde ich ihm ein paar Vorschläge machen, wie sich die Bearbeitung der unterschiedlichen Herausforderungen geschickt mit einer gut ausfinanzierten F&E-Politik kombinieren ließe.
Alle wissen doch, dass sich die großen Probleme von heute und morgen nur mithilfe der Wissenschaft lösen lassen. Warum glauben Sie trotzdem, dass so eine Warnung nötig ist?
Weil wir die Transformation unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und damit auch die nötige Forschung und Entwicklung jetzt durchführen und finanzieren müssen, die Erträge aber erst weit nach den nächsten Wahlen sichtbar werden. Da ist es politisch opportuner, große Investitionsprogramme für die Bundeswehr zu beschließen oder Konjunkturstimuli, die schnell wirken. Wir dürfen über dem kurzfristig Drängendem nicht das langfristig Erforderliche aus den Augen verlieren.
Sie sagen es selbst: Politiker wollen Wahlen gewinnen, anstatt sie jetzt zu verlieren und in 15 Jahren Recht gehabt zu haben.
Dieser Gegensatz ist nicht zwangsläufig. Es ist durchaus möglich, Verantwortung für heute und für die Zukunft zu übernehmen. Also Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, die schnell helfen, mit ihren Auswirkungen aber der nächste Generation zu Gute kommen. Natürlich muss ich so einen langfristigen Plan den Wählerinnen und Wählern unbedingt erklären, sie dafür gewinnen. Die Grünen versuchen das meiner Meinung nach zurzeit am ehesten.
Und bekommen entsprechend Gegenwind. Sagen Sie mir bitte, wann eine Regierung das zuletzt so gehandhabt hat und dann erfolgreich bei Wahlen war.
(lange Pause) Bei der Wiedervereinigung, beim Aufbau Ost, da hat es funktioniert.
Den Eindruck hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vermutlich nicht, als er von Demonstranten mit Eiern beworfen wurde.
Proteste wird es immer geben, wenn sich Dinge ändern. Aber Kohl ist 1994 wiedergewählt worden. Und er hat das sehr geschickt angestellt mit seinem Versprechen, in zehn Jahren werde es im Osten "blühende Landschaften" geben. Bis die da waren, hat es zwar – im Nachhinein betrachtet – deutlich länger gedauert, aber er hat es mit diesem Narrativ geschafft, die Leute hinter sich zu bringen. Mehr noch: Er hat einen parteiübergreifenden Konsens in der Politik hergestellt, der ziemlich lange gehalten hat. Man hat das zusammen durchgezogen. So lange, bis wichtige Weichen gestellt waren. Ein bisschen von diesem Geist würde ich mir heute wünschen. Zuerst hatte ich den Eindruck, der Ampel-Koalitionsvertrag, der sehr ambitioniert war, wäre ein Signal für einen solchen gemeinsamen Aufbruch. Aber in der Praxis der drei Parteien prallen die Ideologien aufeinander. Und in der Wahrnehmung der Wähler verlieren alle Koalitionspartner – und extreme Kräfte bekommen Aufwind.
"Jeden Tag wird eine andere Technologie durchs Dorf getrieben, die abgelöst oder besonders gefördert werden soll. Die Politik generiert keine Ziele, sondern Unsicherheit."
Ist es nicht erwartbar, dass bei einer Transformationsaufgabe dieser Größe die Fetzen fliegen?
Ich habe nichts dagegen, wenn über die Maßnahmen gestritten wird: Steuererhöhung, Steuersenkung, Subventionsabbau, Gebote und Verbote, solche Dinge. Das Problem ist, wenn darüber die gemeinsamen Ziele verloren gehen. Die Regierung braucht einen Zielkorridor, wo sie hinwill, und dieser Zielkorridor muss über eine Legislaturperiode und die jetzige Parteienkonstellation hinaus Bestand haben. Die Unternehmen haben hunderte Milliarden auf der hohen Kante, aber sie geben sie nicht aus, weil sie nicht wissen, in was sie investieren sollen. Jeden Tag wird eine andere Technologie durchs Dorf getrieben, die abgelöst oder besonders gefördert werden soll. Die Politik generiert keine Ziele, sondern Unsicherheit.
Bekommen andere Länder das besser hin mit dem Zielesetzen?
Bei allen politischen Schwierigkeiten würde ich sagen, dass die USA besser sind im Ansagenmachen in Richtung ihrer Wirtschaft, im Setzen von Rahmenbedingungen. Oder nehmen Sie Österreich: Da hat die Bundesregierung einen nationalen Energie- und Klimaplan aufgestellt, auf den sich alle politischen Akteure verständigt haben, und unterlegt ihn strategisch-langfristig mit Maßnahmen wie der "Klimaneutralen Stadt". Natürlich ist es von Vorteil, wenn wie dort alle Zuständigkeiten in einem Ministerium konzentriert sind, das auch die operative Umsetzung übernimmt, das schafft Konstanz –während bei uns immer wieder irgendein Ressort oder eine Partei die Grundsatzfrage neu stellen will.
Vielleicht wird das Thema bei uns zu sehr überhöht? Anstatt die Transformation als Teil des politischen Tagesgeschäfts zu begreifen und unaufgeregt voranzutreiben, wird in Deutschland immer die große Umwälzung beschworen. In einer Vorversion des EFI-Gutachtens stand, es handle sich um eine "Herkulesaufgabe" ohne Vorbild, die von den finanziellen Dimensionen vergleichbar sei mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.
Den Satz haben wir gestrichen, obwohl ich persönlich ihn angemessen fand. Entscheidend ist: Für diese Transformation gibt es keine Blaupause, keine Erfahrungswerte. Unserer deutschen Mentalität entspricht es, dass wir erstmal stehen bleiben und alles haarklein vorab besprechen und regeln wollen. Am besten juristisch wasserdicht. Anstatt wie andere Länder erstmal loszulaufen, auszuprobieren, und wenn etwas nicht funktioniert, unaufgeregt nachzusteuern.
Die deutsche Politik fördert diese Mentalität, wenn sie so tut, als ließen sich im Voraus alle Härten ausschließen. Schon in der Corona-Pandemie hat sie Milliarden und Abermilliarden ausgegeben, um auch denen die Verluste auszugleichen, denen sie gar nicht wehgetan haben.
Die Politik weiß genau, dass sie solche Versprechen nicht halten kann. Die Transformation kostet fürchterlich viel Geld, es wird Gewinner und Verlierer geben, das kann man nicht alles abfangen. Doch aus Angst vor den Protesten entstehen solche politischen Lebenslügen. Und in der Not nimmt man dann Gelder, die für die Bekämpfung der Coronakrise vorgesehen waren, und will sie für die Transformation einsetzen – bis das Bundesverfassungsgericht einem einen Strich durch die Rechnung macht.
Im EFI-Gutachten sprechen Sie von einem "Schlingerkurs".
Nehmen Sie das Gebäude-Energie-Gesetz. Wie konnte man auf die Idee kommen, den Einbau von Gasheizungen kurzfristig verbieten zu wollen, obwohl man weiß, dass der Einbau von Wärmepumpen pro Haushalt 30.000 Euro kosten wird, wahrscheinlich sogar mehr? Und warum hat man die soziale Abfederung erst später nachgeliefert?
"Die Streichung der Subvention von Agrardiesel ist transformationspolitisch richtig. Ich darf aber bei der Umsetzung nicht gleich zwei Fehler machen."
Jetzt hat man die Pflicht aufgeweicht, und die staatliche Förderung bekommen alle, nicht nur die sozial Bedürftigen. Da ist sie wieder, die Beschwichtigungsstrategie auch denen gegenüber, die es sich leisten könnten.
Das ist wie bei der Subvention von Agrardiesel. Deren Streichung ist transformationspolitisch richtig. Ich darf aber bei der Umsetzung nicht gleich zwei Fehler machen. Erstens: Ich nehme die Streichung der Subvention für Flugbenzin raus, obwohl es die Reichen sind, die fliegen und Kerosin verbrennen. Und zweitens verzichte ich beim Agrardiesel auf eine soziale Kompensation, eine Staffelung abhängig von der Betriebsgröße etwa. Da sind Proteste vorprogrammiert. Um diese Unausgewogenheit auszugleichen wäre es wohl besser gewesen, alle Subventionen um einen einheitlichen Prozentsatz zu kürzen.
Sie widmen sich als EFI-Kommission diesmal ausführlich dem Bildungssystem. Die internationale Schulvergleichsstudie PISA hat gezeigt, dass deutsche Neuntklässler so schlecht lesen, schreiben und rechnen wie seit mindestens 20 Jahren nicht. Woraus Sie die Prognose ableiten, dass die Bundesrepublik über die nächsten Jahrzehnte eine unterdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung nehmen wird. Steckt da nicht ein Denkfehler drin? Wenn sich die Schülerleistungen ein, zwei Jahrzehnte später in der Innovationsdynamik widerspiegeln, müssten wir gerade einen Boom erleben, denn vor 15, 20 Jahren befand sich unser Bildungssystem nach dem ersten PISA-Schock kräftig im Aufwind.
Natürlich kann man die Ergebnisse von Bildungsstudien nicht eins zu eins auf das künftige Wirtschaftswachstum übertragen, da gibt es noch weitere Faktoren. Aber wir sollten die Entwicklung sehr ernstnehmen. Unsere künftige Innovationsfähigkeit als Gesellschaft entscheidet sich heute daran, wie gut wir den jungen Menschen die Grundkompetenzen vermitteln.
Dann machen Sie ein paar Vorschläge, was helfen würde.
Als EFI wollen wir vor allem eine nachdrückliche Warnung in Richtung Politik senden. Wir sind aber keine Bildungsforscher. Deren Botschaft ist allerdings überwiegend recht deutlich: weg vom Frontalunterricht, stattdessen eine interaktivere Unterrichtsgestaltung, ein Einsatz digitaler Medien und die Nutzung der neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, wo sie Sinn ergibt. Aber ohne zu überziehen – wir sehen, dass beispielsweise Schweden und Finnland den Grad der Digitalisierung in der Bildungsvermittlung zurückfahren. Wir müssen auch über die Prüfungsformate sprechen. Und ich kann nicht nachvollziehen, dass Deutschland zwar mit die höchsten Lehrergehälter weltweit hat, aber die Lehrerfortbildung wenig systematisch betreibt und zu wenig in sie investiert. Übrigens brauchen wir an den Hochschulen ebenfalls dringend wieder einen Diskurs über die Modernisierung der Studiengänge. Der ist leider zum Erliegen gekommen. Und die Lehrerbildung muss ins Zentrum der universitären Strategie rücken.
Unterdessen fallen Deutschland und Europa bei der nächsten Schlüsseltechnologie zurück, der Künstlichen Intelligenz, die viele Experten für die entscheidende für die kommenden Jahrzehnte halten. Bis vor einer Weile tröstete die Wissenschaft sich damit, wenn schon nicht in der Umsetzung in Anwendungen und Produkte, dann wenigsten in der KI-Entwicklung an der Weltspitze zu sein. Das, sagt Ihre Kommission, ist jetzt auch vorbei.
Nicht vorbei, aber wir drohen nach den Patenten auch bei den wissenschaftlichen Publikationen den Anschluss zu verlieren. Allerdings handelt es sich um eine sehr junge Technologie, die Entwicklungspfade sind nicht festgelegt, noch ist das Spiel nicht vorbei. Nehmen wir die großen KI-Sprachmodelle, da hat Open AI mit ChatGPT einen deutlichen Vorsprung, aber Aleph Alpha aus Deutschland und Mistral aus Frankreich sind in einer guten Position für eine Aufholjagd, um bei den Modellen der dritten Generation – vor allem in der Anwendung – die Augenhöhe zu erreichen.
Allein mir fehlt der Glaube. Es sind die US-Konzerne von Google über Facebook bis hin zu Microsoft und Apple, die seit Jahren die weltweiten Standards vorgeben und einen Innovationssprung nach dem anderen abliefern. Und wir Deutschen und Europäer setzen diese Technologien ein, diskutieren über Datenschutz, europäische Lösungen und das Erringen technologischer Souveränität, und während wir noch diskutieren und politische Pläne schmieden, stellen die Amerikaner oder Chinesen uns mit dem nächsten Game Changer vor vollendete Tatsachen.
Das muss nicht jedes Mal so laufen. Wir können uns immer noch auf eine starke Grundlagenforschung stützen, wir bilden hervorragende Leute aus. Die großflächige Einrichtung von KI-Professuren und Nachwuchsgruppen, die wir als EFI zunächst kritisiert haben, hat sich doch bewährt. Wenn Sie im Silicon Valley durch die Entwicklungsabteilungen der großen Tech-Konzerne laufen, stammt da gefühlt jeder dritte aus Deutschland.
"Wenn wir das attraktiv genug machen, gehen die Leute nach Dresden oder Tübingen anstatt nach Stanford oder Palo Alto."
Was nicht wirklich eine Beruhigung ist, wenn unsere KI-Talente keine Perspektiven für sich in Deutschland sehen.
Wenn sie keine Chance haben, mit ihrem Know How bei uns wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gehen sie weg, das ist richtig. Der Vorteil der amerikanischen Konzerne ist deren Größe und ein schier unerschöpfliches Finanzvolumen. Deutschland und Europa kann da nur mit KI-Ökosystemen gegenhalten. Diese können sich um Forschungszentren herum entwickeln, mit kleinen und größeren Laboren, Unternehmen und Start-ups. In Deutschland versuchen wir, mit den KI-Zentren Ähnliches zu entwickeln: Kerne der Grundlagenforschung, Hochschulen und Forschungsinstitute, und um sie herum eine geschickt aufgesetzte Startup-Förderung. Wenn wir das attraktiv genug machen, gehen die Leute nach Dresden oder Tübingen anstatt nach Stanford oder Palo Alto.
Sie können nicht mit ein bisschen staatlicher Gründerförderung den weltweiten Kapitalzustrom in die US-Tech-Community kompensieren. Die jungen Leute gehen nach Kalifornien, weil sie dort das Risikokapital erhalten, das ihnen in Europa keiner gibt.
Das kommt darauf an. Von einem bestimmten Punkt an entwickeln die Ökosysteme eine Eigendynamik, dann kommt das Geld, und die Investitionen folgen. Schauen Sie auf Intel oder Microsoft und ihre Pläne in Deutschland. Richtig ist, dass wir mehr mutige Unternehmer und Mäzene brauchen wie Dieter Schwarz, der massiv in Wissenschaft und Künstliche Intelligenz investiert und speziell in Aleph Alpha. Fest steht: Wenn wir es jetzt nicht mit aller Kraft versuchen, ist das Spiel wirklich entschieden zugunsten der USA oder von China. Innovationsfinanzierung, insbesondere im Start-up Bereich, ist ja ein deutsches Dauerproblem. Das lässt sich nicht nur mit deutscher Risikoaversion erklären, sondern auch mit dem Fehlen großer Pensionsfonds, die beispielsweise in den USA eine wichtige Rolle bei der Start-up-Finanzierung spielen. Aber das ist, wie gesagt, kein KI-spezifisches Problem.
Jetzt loben Sie die Politik bitte einmal.
Nur einmal? In unserem Gutachten sehen wir für Lob gleich mehrfachen Grund. Der wichtigste: Die Bundesregierung ist bei ihrer Forschungs- und Innovationspolitik an sich auf dem richtigen Weg. Sie ist sich der Aufgabe bewusst. Und sie beginnt bei allen erwähnten Inkonsistenzen mit der Umsetzung, sei es bei der Ausgestaltung der "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation", bei der Weiterentwicklung der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) oder dem Aufbau der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Natürlich würden wir uns bei der SPRIND wünschen, dass man ihr noch mehr rechtliche und finanzielle Freiräume gibt, dass die Bundesregierung zum Beispiel ganz auf ein Aufsichtsgremium verzichtet. Wir sehen aber ein, dass die Politik vermutlich so weit gegangen ist, wie sie kann. Bei der Zukunftsstrategie wiederum sind die Strukturen jetzt da, die Missionsteams zwischen den Ministerien wurden aufgestellt, die Beiräte installiert. Natürlich wäre es besser, wenn die Steuerung der Strategie nicht auf Ebene der Staatssekretäre angesiedelt wäre, sondern weiter oben. Und wenn sie einen eigenen Etat hätte, anstatt dass die Mitglieder der Missionsteams für jede Maßnahme Geld aus ihren Häusern mitbringen müssen. Aber jetzt sollten wir sie mal laufen lassen. Zu hoffen ist, dass der lange Atem da ist, in die eingeschlagene Richtung weiterzulaufen, falls es nächstes Jahr zu einem Regierungswechsel kommt. Bis eine Mission umgesetzt ist, wird es viele Jahre dauern. Womit ich wieder beim langfristigen Zielkorridor bin: Wir brauchen eine grundsätzliche Übereinkunft, die über die Ampel hinausreicht.
Eine Übereinkunft von wem? Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Ministerien am Ende doch zu stark die Richtung vorgeben und die Wissenschaftsfreiheit unter die Räder kommt?
Die Politik muss ihre Rolle genau definieren. Eine Mission vorgeben heißt: Wir wollen das Alte durch etwas Neues, Anderes ablösen. Aber was dieses Neue ist, geben wir nicht vor. Alles, was anders ist, kann erforscht und ausprobiert werden. Ein Beispiel: Wir wollen beim Automobilantrieb raus aus den fossilen Energien, aber in Hinblick auf die Alternativen fördern wir technologieoffen. Wir lassen die Akteure loslaufen und nutzen die Kreativität der Wissenschaft und des Marktes.
Dann hat die FDP also Recht mit ihren Mahnungen, bloß nicht einseitig auf Batterieantriebe zu setzen?
Richtig ist, dass der Markt entscheiden muss, welche Technologien überleben und sich durchsetzen und welche nicht. Das heißt nicht, dass ich als Politik nicht verschiedene Innovationsansätze zeitweise mit Subventionen unterstützen darf, aber es muss von Anfang an klar kommuniziert werden, dass diese Subventionen befristet sind. Wenn eine Innovation nicht von der Mehrheit der Bevölkerung angenommen wird, dann muss die Politik irgendwann aufhören, sie zu fördern. Wobei der Zeitpunkt, wann Subventionen beendet werden, mitunter sehr schwer zu bestimmen ist. Bei neuen, genmodifizierten Ansätzen in der Landwirtschaft ist das genauso. Wir sollten die Erforschung in jedem Fall ermöglichen und vom Ergebnis abhängig machen, was langfristig erlaubt ist und was nicht. Aber wir dürfen nicht schon die Entwicklung verhindern!
"Der geopolitischen Lage können auch wir Wissenschaftler uns nicht verschließen. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dollar, der in Militärforschung gesteckt wird, weitere 50 Cent an ziviler Forschung stimuliert."
Am Anfang haben Sie gesagt, in Zeiten der Budgetkonkurrenz komme es darauf an, die Finanzierung der aktuell drängenden Herausforderungen geschickt mit den nötigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu kombinieren. Aber was genau meinen Sie damit? Die Budgetkonkurrenz auflösen, indem die Wissenschaft in den Dienst der Aufrüstung gestellt wird?
So drastisch würde ich das nicht formulieren. Richtig ist aber: Das 100-Milliarden-Sondervermögen fließt nicht allein in militärisches Gerät. Ein Teil davon kann neue Forschungsansätze finanzieren, die einen Dual-Use-Charakter haben, also Richtung ziviler und militärischer Nutzung gehen. Was bei der Forschung zu Künstlicher Intelligenz eigentlich immer und grundsätzlich der Fall ist. Und noch ein Beispiel, das gar nichts mit Verteidigung zu tun hat: Wenn die Bundesregierung demnächst, über das Wachstumschancengesetz etwa, Maßnahmen zur Konjunkturstimulation ergreifen sollte, gehört da eine sogenannte Strukturkomponente rein. Also Investitionen, um den langfristig notwendigen Umbau der Industrie jetzt voranzutreiben. Das geht wiederum nur mit zusätzlichen F&E-Ausgaben.
Was Sie da beschreiben, würde bedeuten, dass sich Forscher auch an Ihrer Hochschule, der Universität Jena, darauf einstellen müssten, sich demnächst häufiger um Drittmittelaufträge der Bundeswehr zu bewerben.
Das erfordert ein Umdenken, ja. Aber der geopolitischen Lage, in der wir uns befinden, können auch wir Wissenschaftler uns nicht verschließen. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dollar, der in Militärforschung gesteckt wird, weitere 50 Cent an ziviler Forschung stimuliert. Ich sehe die Schwierigkeit für die Universitäten eher anderswo. Wenn Sie einen Auftrag der Bundeswehr annehmen, kann es sein, dass die Wissenschaftler anschließend ihre Erkenntnisse nicht publizieren dürfen. Aktuell höre ich, dass es bereits bei einzelnen Drittmittelprojekten, die von der Cyberagentur finanziert werden, solche Probleme gibt. Publizieren ist aber die Voraussetzung, um in der Wissenschaft Karriere zu machen. Insofern glaube ich nicht, dass wir viele rein militärische Forschungsaufträge an Universitäten sehen werden.
Sie loben die Bundesregierung auch dafür, dass Sie bei der DATI in die Umsetzung gekommen ist. Ist sie das? Das Gründungskonzept steht weiter aus, und die ersten Pilot-Förderlinien waren Kritikern zufolge so vage ausgeschrieben, dass es eine kaum zu handelbare Bewerbungsflut gab.
Das mit den vielen Bewerbungen finde ich überhaupt nicht schlimm. Das Ausschreibungsverfahren war bewusst experimentell aufgelegt, es musste breit sein, um den Transferbegriff möglichst offenzuhalten. Zum Glück ist man von der ursprünglichen Kanalisierung auf Hochschulen für Angewandte Wissenschaften weg. Was das Konzept angeht: Es gibt jetzt die Gründungskommission, und zu deren Aufgaben gehört neben der Auswahl von Ort und Leitung die Formulierung des finalen Konzepts.
Was ursprünglich anders gedacht war. Sonst hätte das BMBF die Kommission viel früher berufen.
Jetzt ist sie am Arbeiten, das zählt.
Wird die DATI wenigstens gleich die Freiheitsgrade bekommen, um die die SPRIND über Jahre kämpfen musste?
Vielleicht ja, vielleicht wird sich der Kampf auch wiederholen. Wichtig ist, dass die Agentur bald loslegt und ins Ausprobieren kommt. Dann werden wir sehen.
"Wenn von oben, von der Ministeriumsspitze, kein Druck gemacht wird, es anders zu machen, dann sind all die Beschwörungen und Ambitionen nichts wert. Es ist ein Drama."
Apropos: Evaluationen neuer Einrichtungen, Projekte und Förderlinien gehören inzwischen nicht nur in der Innovationspolitik zum Alltag. Nur dass sie laut Ihrem Gutachten oft nicht richtig aufgesetzt sind.
Wir haben uns die Evaluationspraxis in zwei Ministerien angeschaut, dem BMWK und dem BMBF. In beiden Häusern existieren eigene Referate für Evaluation mit hochkompetenten Mitarbeitern, die wissen, wie es geht. Das BMWK hat im Jahr 2013 bereits eine Richtlinie zur Durchführung von Evaluationen erstellen lassen, die stimmt Punkt für Punkt. Trotzdem sehen wir viele Evaluationen, die nach dem Prinzip laufen: Ich gebe Geld, um zum Beispiel ein bestimmtes Technologiefeld zu fördern. Und wenn dieses Technologiefeld sich in ein paar Jahren positiv entwickelt hat, sage ich: Bingo, hat funktioniert. Obwohl das 1000 Gründe haben kann und überhaupt nicht an der Förderung liegen muss. Aber man weiß es nicht besser, weil man die Erfolgskriterien vorher nicht richtig bestimmt, keine Kontrollgruppe eingerichtet hat und nicht methodisch sauber misst.
Wie kann das sein?
Die Expertise im eigenen Haus wird nicht ausreichend genutzt, man hört nicht auf das, was die Fachleute im Evalutionsreferat sagen. Und den Einrichtungen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die extern mit der Evaluation beauftragt werden, verweigert man in der Regel die Herausgabe der notwendigen Daten, selbst wenn man sie hat. Das ist paradox. Offenbar herrscht in vielen Referaten immer noch Angst vor zu viel Transparenz – vielleicht aus Furcht, bei einer negativen Evaluation Budget einzubüßen. Weswegen das, was ein Ministerium anstößt, per definitionem positiv wirken muss. Wenn von oben, von der Ministeriumsspitze, kein Druck gemacht wird, es anders zu machen, dann sind all die Beschwörungen und Ambitionen nichts wert. Es ist ein Drama.
Am Ende bekommen Sie noch eine zweite Minute mit Olaf Scholz. Ihr Rat an den Bundeskanzler?
Bei der Forschungs- und Innovationspolitik unbedingt Kurs beibehalten. Die Innovationspolitik der Bundesregierung ist nicht konturenscharf, aber die prinzipielle Richtung stimmt. Sich über die Ziele einigen, und wenn dann über den Weg und die Instrumente gestritten wird, ist das nicht schlimm. Entscheidend ist, nicht bei jeder Protestaktion zurückzuschrecken, sondern beharrlich zu erklären und auch mal klare Ansagen zu machen. Zu Beginn des Ukrainekriegs, als Deutschland eine Energiekrise abwenden musste, hat Robert Habeck das gemacht. Er hat jeden Abend erklärt, worum es geht und worauf es jetzt ankommt. Mittlerweile hat er das eingestellt. Wirklich schade.
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Wie gehen Deutschlands Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen mit dem Nahostkonflikt um? Wie mit Antisemitismus und einer extrem aufgeheizten politischen Stimmungslage? Eine Analyse.
"AN DEUTSCHEN HOCHSCHULEN ist kein Platz für Antisemitismus", sagte Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am Tag nach der HRK-Mitgliederversammlung Mitte November 2023. Die Hochschulen müssten Orte sein, an denen sich Jüdinnen und Juden wohl und sicher fühlen können, "ohne Wenn und Aber". Die Erklärung, die Rosenthal diesmal im Namen aller HRK-Mitgliederhochschulen abgab, war nicht seine erste, und sie kam fünf Wochen nach dem Terrorangriff auf Israel.
Dennoch kam sie genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn seit Hamas-Terroristen am 7. Oktober die Grenzanlagen überwunden und wahllos Männer, Frauen und Kinder misshandelt und ermordet und rund 240 Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt hatten, war viel passiert. In Israel, im Gazastreifen, aber auch auf dem deutschen Hochschulcampus. Die HRK zählt auf: "Unverhohlene Drohungen mit körperlicher Gewalt, das Anbringen von Plakaten oder Graffiti sowie Kundgebungen, die den Terror der Hamas gutheißen, die Opfer ausblenden oder aufrechnen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen und Jüdinnen und Juden insgesamt angehen und einschüchtern sollen".
Erste Einigkeit bröckelte schnell
Dabei hatte es direkt nach den Hamas-Verbrechen so ausgesehen, als würde Deutschlands Wissenschaftscommunity in großer Einigkeit reagieren. Vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) über die Allianz der Wissenschaftsorganisationen bis hin zu Studierendenverbänden und Hochschulen überall im Land: Die Verurteilungen der Untaten waren fast immer ohne Zögern und Relativierungen, unmissverständlich, mitfühlend und zugleich kämpferisch ausgefallen. "Wir stehen solidarisch an der Seite des Staates Israel. Wir gedenken der Israelis und der Menschen aus aller Welt, die dem Terror der Hamas zum Opfer gefallen sind. Unser Mitgefühl gilt ihren Familien und Freunden, insbesondere auch unseren Kolleginnen und Kollegen an den israelischen Universitäten und am Weizmann Institute of Science", schrieben etwa Max-Planck-Gesellschaft und Minerva-Stiftung am 11. Oktober 2023. "Sehr klar" und "außergewöhnlich" nannte denn auch etwa die Vizepräsidentin für Internationales der Universität von Tel Aviv, Milette Shamir, im Research.Table die deutschen Reaktionen.
Während die Hochschulleitung der Hebräischen Universität in Jerusalem den amerikanischen Elite-Unis Stanford und Harvard vorwarf, diese hätten "uns im Stich gelassen". Die ersten Erklärungen der beiden US-Universitäten hätten trotz der extremen Immoralität der Hamas-Terrorakte nicht klar Täter und Opfer benannt. Das Ziel, eine geschlossene Hochschul-Gemeinschaft zu erhalten, sei von Stanford und Harvard über die eindeutige Verurteilung des Bösen gestellt worden, so der Vorwurf aus Jerusalem.
Weitere Aufregung verursachte ein Brief des studentischen "Harvard Undergraduate Palestine Solidarity Committee", demzufolge allein das "israelische Regime" mit seinem "Apartheid"-System die Verantwortung trage für alle kommende Gewalt. 33 weitere Harvard-Studierendengruppen setzten ihre Unterschrift darunter. Woraufhin unter anderem der frühere US-Finanzminister und ehemalige Harvard-Präsident Larry Summers auf der Plattform "X", vormals Twitter, kommentierte, dieses Statement mache ihn krank: Das "Schweigen der Harvard-Leitung" verbunden mit dem Brief der Studierenden sorge dafür, dass Harvard "bestenfalls neutral" dastehe angesichts der "Terrorakte gegen den jüdischen Staat Israel".
Den richtigen Ton treffen
Es sollte nur ein paar Tage länger dauern, bis die Auseinandersetzungen um die Einordnung der Ereignisse in Israel und Gaza dann doch die deutsche Wissenschaft erreichten. So löschte die Hochschule Düsseldorf (HSD) Mitte Oktober 2023 einen Instagram-Beitrag, in dem sie ihre Solidarität mit Israel erklärt hatte, nachdem die antisemitischen Kommentare darunter überhandnahmen. In einer neuen Version, diesmal ohne Kommentarfunktion, sprach die Hochschule dann von einer politischen Diskussion, die zum Teil "in Ton und Inhalt nicht angemessen war". Der Post sei so verstanden worden, "dass nur das Leid der Menschen in Israel gesehen wird. Aber die HSD steht selbstverständlich an der Seite aller Opfer von Krieg und Gewalt." Ein Schritt hin zur nötigen Ausgewogenheit – oder das Einknicken vor dem Mob?
Fest steht: In den Chef*innen-Etagen vieler deutscher Wissenschaftseinrichtungen war in den vergangenen Wochen die Sorge groß, nicht den richtigen Ton zu treffen. Man möchte in der jetzigen politischen Lage alles richtig machen, aber was heißt das? Das Ergebnis waren mitunter gleich klingende, schablonenhaft ähnliche Formulierungen.
Eine blutige Nase wiederum holte sich der Potsdamer Universitätspräsident Oliver Günther, als er – nach einem ersten sehr klaren Solidaritätsstatement zugunsten Israels – einen verunglückten Versuch der vermeintlichen Differenzierung unternahm. Günther kritisierte die durch die israelische "Besetzung verursachten prekären und teilweise menschenunwürdigen Lebensumstände weiter Teile der palästinensischen Bevölkerung" und fügte hinzu: "Offensichtlich ist auch, dass sich diese Probleme nicht durch eine aggressive Siedlungspolitik und Schikanen gegen die Zivilbevölkerung – schlicht: Gewalt jeglicher Art lösen lassen. Ganz im Gegenteil führen solche Maßnahmen, wie wir vor wenigen Tagen gesehen haben, nur zu mehr Gewalt." Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kommentierte flugs im Berliner Tagesspiegel: "Was Israel in diesen schweren Stunden nicht braucht, sind Schuldzuweisungen, Belehrungen, Relativierungen oder gar Versuche einer Täter-Opfer-Umkehr ausgerechnet aus Deutschland."
Trauerfeier eskaliert
Besonders eindrücklich sind die Ereignisse, die sich in den vergangenen Wochen an der Universität Kassel zugetragen haben. Ein autonomes AStA-Referat hatte einen Film zeigen wollen, der ausschließlich Position für Palästina ergreift. Was die Hochschulleitung um Unipräsidentin Ute Clement untersagte. Als wenig später die Jüdische Hochschulunion einen Stand auf dem Campus aufbaute, inklusive Israel-Flagge, kochte die Stimmung hoch. Umso mehr, als bekannt wurde, dass ein früherer Kasseler Student mitsamt seiner Familie im Gazastreifen getötet worden war, laut "Palestinian Lives Matter" bei einem israelischen Angriff.
Clement erlaubte eine Trauerfeier auf dem Campus unter der Auflage, sie nicht zu einer politischen Kundgebung zum Konflikt zwischen Israel und Palästina zu missbrauchen. Clement hielt sogar eine Rede. "Zuerst sah es so aus, als würde es eine würdige Veranstaltung bleiben, dann wurde sie aber doch gekapert." Ihre Palästinensertücher hatten Teilnehmer nach Aufforderung der Unipräsidentin während deren Trauerrede noch abgenommen. Als dann Redner doch gegen Israel zu agitieren begannen, stellte Clement das Mikrofon ab. Später erklärte die Hochschulleitung, sie sehe ihr "Vertrauen missbraucht".
"Morgens, mittags und nachts", denke sie seitdem über sie Situation nach, sagt Clement, ihr sei dabei immer klarer geworden: Es gebe bei dem Thema in Deutschland ein Schisma, auch an den Hochschulen. "Da sind Menschen meiner Generation, etwas jünger und älter, die alle ihr Leben lang gesagt haben: Nie wieder. Und die jetzt fassungslos vor dem stehen, was Juden in Israel und anderswo geschieht. Und da sind viele Studierende und Angehörige der jungen Generation, viele mit arabischen Wurzeln, aber nicht nur, die das für einseitige Parteinahme halten und das Gefühl haben, ihre Stimme werde in dem Konflikt nicht gehört. Die uns Älteren, die wir an das Existenzrechts Israels als deutsche Staatsräson glauben, vorwerfen, wir würden in unserem Rassismus nicht das Leid der getöteten Kinder in Gaza und anderswo sehen.“
Sie sei erschrocken über solche Wahrnehmungen, sagt Clement, aber es sei wichtig, ihnen einen Rahmen zu geben, um Radikalisierungen zu verhindern. "Genau das sehen wir als Hochschulleitung jetzt als unsere Aufgabe: eine gewaltfreie Debatte ermöglichen, die auf der Grundlage von Argumenten und Fakten stattfindet." Weshalb sie auf dem Zentralcampus jetzt zwei Banner aufgehängt haben, auf Deutsch und auf Englisch, mit den Grundsätzen, die für alle gelten sollen. Unter anderem steht da: "Klar muss sein: Wir schauen nicht weg, wenn Menschen leiden. Das Existenzrecht Israels wird nicht in Frage gestellt. Das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat wird nicht in Frage gestellt." Jede Form des Terrors sei abzulehnen, jegliche NS-Vergleiche verböten sich. "Genau wie jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit." Der gesamte Uni-Senat stehe dahinter, sagt Clement. Was sie sich wünscht: dass sich alle Hochschulen in Deutschland gemeinsam einen solchen Diskursrahmen geben.
Hitzige Töne und gegenseitig Vorwürfe
Und tatsächlich lud HRK-Präsident Walter Rosenthal direkt nach der HRK-Mitgliederversammlung zu einer weiteren virtuellen Austauschrunde ein "mit einem besonderen Fokus auf Maßnahmen zum Schutz von jüdischen Studierenden sowie auf die Moderation von Konflikten auf dem Campus". Wie hatte er in seiner Erklärung gesagt: "Wir dulden keine Gewalt, weder verbal noch physisch, keinen Antisemitismus, keinerlei Ausgrenzung – auch nicht gegen Studierende und Mitarbeitende palästinensischer Herkunft, die sich aktuell ebenfalls Sorgen machen." Und er fügte hinzu: Das Miteinander an einer Hochschule und die produktive Diskussion auf und neben dem Campus beruhten auf wechselseitigem Respekt, der Wahrung wissenschaftlicher Grundsätze, auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Einhaltung der Gesetze.
Doch statt produktiven Diskussionen und wechselseitigem Respekt gibt es seit Wochen hitzige Töne und gegenseitige Vorwürfe. Etwa als die Staatsekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Sabine Döring auf "X" kritisierte, die international bekannte US-Philosophin Judith Butler kontextualisiere in einem Meinungsbeitrag das "Opfer" Hamas, aber nicht den "Täter" Israel. "So kommt – trotz ‚Ich verdamme den Terror der Hamas‘ — am Ende eben doch eine Relativierung desselben heraus". Und Döring, zugleich Philosophieprofessorin an der Universität Tübingen, fügte hinzu: Wenn man Butlers "hehre Vision" umsetze, würde der Staat Israel empirisch aufhören zu existieren und jüdisches Leben würde aus der Region rückstandsfrei getilgt.
Dörings Post löste Zustimmung, aber auch empörte Reaktionen in der Wissenschaftsszene aus. Der Historiker Ben Miller bezeichnete es ebenfalls auf "X" als "intellektuell grotesk, wenn jemand, insbesondere eine Deutsche, auf die Arbeit einer jüdischen Philosophin, die in der jüdischen intellektuellen Tradition arbeitet, mit dem Vorwurf reagiert, sie würde das jüdische Leben nicht genug wertschätzen". Was Döring pessimistisch resümieren ließ: "Sehen Sie, das ist genau der Grund, warum wir keine Chance mehr haben, miteinander einen fruchtbaren Diskurs zu führen."
Ein praktisches Ausrufezeichen der Verbundenheit mit Israel setzte derweil die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und vereinbarte mit ihrer israelischen Partnerorganisation Israel Science Foundation (ISF) eine weitere Stärkung ihrer Zusammenarbeit. Zu den Zielen gehört, die gemeinsame Förderung deutsch-israelischer Forschungsprojekte zu ermöglichen und die Ausarbeitung eines bilateralen Begutachtungsverfahrens. DFG-Präsidentin Katja Becker betonte, das sogenannte Memorandum of Understanding sei bereits vor dem Terrorangriff der Hamas ausgearbeitet worden. "Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Israel und in der Region bekommt die Stärkung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit nun zusätzliche Bedeutung, auch als Zeichen der Solidarität."
Dieser Artikel erschien zuerst im DSW Journal 4/2023.
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Lange hat die Bundesagentur für Sprunginnovationen auf ihr versprochenes Freiheitsgesetz gewartet. Jetzt liegt endlich der Entwurf vor – und kann sich sehen lassen.
Bild: Roy Harryman / Pixabay.
DIE BUNDESAGENTUR, die so anders sein soll, hat sich selbst die Abkürzung SPRIND gegeben, doch ihr Freiheitskampf mit der Politik erinnerte bislang eher an einen Hürdenlauf. Jetzt immerhin könnte es soweit sein: 17 Monate nach Amtsantritt der Ampel-Koalition, drei Jahre nach dem offiziellen Start der Bundesagentur für Sprunginnovationen und fast fünf Jahre, nachdem das Kabinett die SPRIND-Gründung beschlossen hat, ist die Bundesregierung kurz davor zu beweisen, dass sie das mit der einst versprochenen Neuerfindung der staatlichen Innovationsförderung wirklich ernst gemeint hat.
Die Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF), für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), für Finanzen (BMF) und der Justiz (BMJ) haben sich nach langem Stillstand auf den Referentenentwurf für ein Gesetz geeinigt, das – so melodramatisch wie treffend –"Gesetz zur Befreiung der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND)" heißen soll, kurz "SPRIND-Freiheitsgesetz".
Um das umzusetzen, was die Bundesregierung eigentlich von Anfang an hätte tun müssen und was der Ampel-Koalitionsvertrag dann endlich angekündigt hatte: die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Agentur so "substanziell" zu verbessern, dass sie freier agieren und investieren könne. Das heißt: unternehmerischer und flexibler als alle bisherigen staatlichen Fördereinrichtungen.
Der Umgang mit einem Paradox
Was deshalb so nötig ist, weil die SPRIND da ansetzen soll, wo Deutschland im internationalen Vergleich auffällig schwach ist: bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in völlig neue technologische, soziale und wirtschaftliche Ansätze, die als disruptive Innovationen ganze Branchen und gesellschaftliche Gewohnheiten verändern. Wovon letztendlich der künftige Wohlstand mit abhängt. Solche Durchbrüche vorbereiten zu wollen, hört sich nach einem Paradox an, ist aber keines, denn mit den richtigen Rahmenbedingungen werden sie zwar nicht planbar, aber wahrscheinlicher.
Was dafür nötig ist: vor allem das strategische Eingehen von Risiko bei der Vergabe von Fördermitteln, neue finanzielle Beteiligungsformate und mitunter extrem schnelle Entscheidungswege. Alles Dinge, die kaum kompatibel sind zu Rechtsgrundlage und Arbeitsweise staatlicher Stellen.
Immerhin hatte die SPRIND in den vergangenen zwei Jahren auch ohne neues Gesetz schon ordentlich Fahrt aufgenommen, so dass das BMF im April an den Haushaltsausschuss die nahezu volle Ausschöpfung des Agenturbudgets für dieses Jahr vermelden konnte. Doch das, betonte SPRIND-Chef Rafael Laguna de la Vera damals, sei nur dank jeder Menge Verrenkungen möglich gewesen. Man verbringe viel zu viel Zeit mit Bürokratie "und der Produktion schöner Papiere. Wir müssen schneller werden und mehr von unserer Kraft auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren können". In den Monaten zuvor hatte Laguna sogar indirekt mit seinem Rücktritt gedroht, wenn nicht bald ein kraftvolles Befreiungsgesetz komme.
Fest steht: Wenn der Gesetzentwurf im Verlauf der restlichen Ressortabstimmung und dann im Parlament nicht zu sehr entkräftet wird, wovon nicht auszugehen ist, hat Lagunas Agentur künftig ordentlich Rückenwind für ihre Arbeit. Womit auch der Erwartungsdruck auf die SPRIND weiter steigt, denn der Hinweis auf die miesen rechtlichen Rahmenbedingungen zieht dann nicht mehr.
Große Freiheit, viel Verantwortung
Was der Gesetzentwurf im Einzelnen vorsieht:
o Statt den drei Ministerien BMBF, BMWK und BMF ist künftig nur noch ein Ministerium, das BMBF, für die Aufsicht über SPRIND zuständig und soll sich möglichst auf die Rechtsaufsicht beschränken, da der Aufsichtsrat bereits große Teile der Fachaufsicht übernommen hat.
o Die SPRIND soll mit Förderaufgaben auf dem Gebiet der Sprunginnovationen "beliehen" werden, was bedeutet, dass die Agentur künftig selbstständig ihre Förderentscheidungen treffen kann und dafür nicht mehr die Zustimmung der Bundesministerien braucht. Was unter Sprunginnovationen zu verstehen ist und wie diese transparent identifiziert und gefördert werden sollen, soll zuvor durch einen Beleihungsvertrag zwischen SPRIND und Bund festgelegt werden.
o Auch über Tochtergesellschaften und Unternehmensbeteiligungen kann SPRIND künftig selbst bestimmen. Allerdings behält der Bund als Alleingesellschafter weitreichende Rechte, so kann er zum Beispiel Beschlüsse des SPRIND-Aufsichtsrats (indem er vertreten, aber in der Minderheit ist) aufheben, die seines Erachtens dem Bundesinteresse zuwiderlaufen.
o Die SPRIND soll öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Förderinstrumente "im Einklang mit den für öffentliche Unternehmen geltenden Rahmenbedingungen" gleichermaßen nutzen können. Wenn sich SPRIND an einem Unternehmen beteiligt, ist das bis zu 25 Prozent ohne weitere Befassung der Bundesministerien möglich (was allerdings Standard ist). Interessant wird es bei Beteiligungen über 25 Prozent: Hier ist geregelt, dass das Finanzministerium binnen drei Monaten nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen entscheiden muss – andernfalls gilt die Zustimmung bis zu einer Grenze von zehn Millionen Euro als erteilt.
o Der Agentur soll eine flexiblere Haushaltsführung ermöglicht werden, um auf Änderungen bei hochrisikoreichen Projekten unmittelbar reagieren und neuen Projekten flexibel begegnen zu können. Dazu gehört die Zuweisung sogenannter Selbstbewirtschaftungsmittel, wie sie die außeruniversitären Forschungsorganisationen seit vielen Jahren ebenfalls haben (und für deren Handhabung regelmäßig vom Bundesrechnungshof kritisiert werden). Künftig soll SPRIND Fördergelder zwischen den Jahren verschieben dürfen, ohne dass nicht ausgegebene Millionen am Jahresende weg sind. So können die Projekte das nötige Geld dann bekommen, wenn sie es brauchen – auch wenn der Mittelabfluss später sein sollte als zunächst geplant. Es gibt aber eine Obergrenze: Maximal 30 Prozent der jeweils veranschlagten SPRIND-Haushaltsmittel dürfen als Selbstbewirtschaftungsmittel ins nächste Jahr mitgenommen werden.
o SPRIND wird zu 50 Prozent an den Einnahmen, die sich aus den erfolgreich geförderten Projekten ergeben sollten, beteiligt und kann so seinen Haushalt weiter aufstocken.
o Die Agentur, ihre Tochtergesellschaften und die von ihr geförderten Unternehmen sollen bessere Gehälter zahlen dürfen als sonst in der Verwaltung üblich – sofern dafür zwingende Gründe vorliegen. Womit das meist für öffentliche Einrichtungen geltende sogenannte Besserstellungsverbot eingeschränkt wird (für außeruniversitären Forschungseinrichtungen gilt das ebenfalls bereits). In den ersten beiden Jahren der SPRIND-Förderung wird es für private Unternehmen sogar komplett aufgehoben, ansonsten entscheidet SPRIND in vielen Fällen selbst über den Gehaltsrahmen bei den geförderten Unternehmen. Bereits jetzt gibt es eine Freistellung für die SPRIND-eigenen Innovationsmanager und für die MINT-Berufe in den Tochtergesellschaften.
Ein doppelter Befreiungsschlag
Am Mittwoch kommt der Gesetzentwurf in den Haushaltsausschuss (HHA) des Bundestages, parallel läuft die Abstimmung mit den übrigen Ressorts. Warum der HHA nicht erst danach drankommt? Weil für SPRIND kurzfristig einiges dranhängt: Der Ausschuss hatte, wie er es häufig bei neuen Haushaltstiteln tut, 20 Prozent der Agenturmittel für 2023 gesperrt. Weshalb die für April geplante Gründung zweier weiterer SPRIND-Tochtergesellschaften verschoben werden musste. Die vom Finanzministerium beantragte Freigabe von 23 der gesperrten 30 Millionen hatte der Ausschuss aber davon abhängig gemacht, dass die federführenden Ministerien sich zuerst in Sachen SPRIND-Freiheitsgesetz einigen.
Mehr Geld ist mit dem neuen Gesetz übrigens nicht verbunden. So bleibt das SPRIND-Budget mit derzeit knapp 150 Millionen Euro überschaubar, ja mickrig im Vergleich zu den gut vier Milliarden Dollar, die dem großen US-Vorbild DARPA im Jahr zur Verfügung stehen. Über den weiteren Zeitplan für das parlamentarische Verfahren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes schweigen sich die BMBF, BMWK & CO übrigens offiziell aus, intern heißt es: Noch dieses Jahr sei das Ziel.
Kommt das SPRIND-Befreiungsgesetz in der geplanten Form, wäre es in jedem Fall eine doppelte Befreiung: für die Agentur selbst, aber auch für die Bundesregierung – weil sie nach langem Hin und Her doch zeigen würde, was möglich ist mit einem modernen Staatsverständnis. Einst sollte SPRIND die Blaupause werden für andere staatliche Förderagenturen, vor allem für die immer noch nicht gegründete Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Zwischendurch war es angesichts der vielen Barrieren, die SPRIND in den Weg gelegt worden waren, auffällig still geworden um die angestrebte Vorbildfunktion. Jetzt könnte es damit doch noch etwas werden. Und vielleicht ginge es dann auch mit der auf Eis gelegten Neuauflage des DATI-Gründungskonzeptes endlich vorwärts. Das BMBF hatte es intern zuletzt für Ende März angekündigt.
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Was Politik und SPRIND zu dem Gesetzentwurf sagen
Es habe sich schnell gezeigt, dass SPRIND eingezwängt ins deutsche Haushaltsrecht, "ihr Potenzial nicht voll entfalten konnte", sagte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger (FDP) dem Handelsblatt. Daher "befreien wir die SPRIND jetzt von unnötigen bürokratischen Fesseln und geben ihr viele Freiheiten". Das sei ein wichtiges Signal für den Innovationsstandort Deutschland und werde mehr Sprunginnovationen ermöglichen.
Tatsächlich hatten Experten schon vor Gründung der Agentur vor den Folgen einer zu starken Regulierung gewarnt und die beteiligten Bundesministerien zunächst zur Zurückhaltung in der Agentur-Governance aufgerufen. Zunächst vergeblich, in den vergangenen Jahren hatte es dann bereits substanzielle Veränderungen etwa bei der Zusammensetzung und Stellung des SPRIND-Aufsichtsrates gegeben.
"Mit dem SPRIND-Freiheitsgesetz bringen wir die Agentur international auf Augenhöhe", sagt die parlamentarische BMWK-Staatssekretärin Franziska Brantner, "und ermöglichen ihr, bahnbrechende Ideen in Deutschland zu halten und daraus gelingende Geschäftsmodelle zu machen." Zudem steige die Attraktivität der SPRIND als Arbeitgeber für hochspezialisierte Fachkräfte, gerade aus den MINT-Fächern. "Die SPRIND muss die besten Leute gewinnen können, damit diese aus einem Meer von Ideen die vielversprechendsten Innovationen herausfischen und fördern können."
SPRIND-Direktor Laguna lobte, der Gesetzentwurf folge dem Anspruch des Ampel-Koalitionsvertrages. Neben öffentlich-rechtlichen könnten künftig auch privatrechtliche Finanzierungswerkzeuge eingesetzt werden. Erstmals könne sich SPRIND auch an bestehenden Unternehmen finanziell beteiligen und Erträge erwirtschaften. Die Möglichkeit, einen Teil der Mittel auch überjährig zu investieren, gebe SPRIND die dringend erforderliche Flexibilität beim Einsatz der Mittel. "In der Summe zeigt der Gesetzestext neue Wege auf für ein schnelleres, weniger bürokratisches und damit effizienteres staatliches Handeln – das dringend für die anstehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationen benötigt wird."
In einem mehrstufigen Forschungsansatz analysiert diese forstpolitikwissenschaftliche Arbeit die individuellen, betrieblichen und gesellschaftlich-politischen Bewertungs-, Abwägungs- und Entscheidungsprozesse im Verlauf der Verbreitung bleifreier Munition speziell in öffentlichen Forstbetrieben und im Jagdwesen in Deutschland. Die diskursanalytische Betrachtung von drei Kolloquien des Bundesinsitituts für Risikobewertung (BfR) in Berlin in den Jahren 2011, 2013 und 2014 beschreibt die Entwicklung des kontroversen öffentlichen Diskurses in Deutschland. Eine inhaltsanalytische Betrachtung der parlamentarischen Befassung mit der Thematik in Deutschland zeigt, dass es im Verlauf von 10 Jahren – trotz Streitigkeiten um die Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern – ab 2013 zu ersten politischen Entscheidungen auf Landesebene auch zur Nutzung bleifreier Büchsenmunition kam. Im empirischen Teil der Arbeit wird im Untersuchungsfeld "Mitarbeiter/innen öffentlicher Forstbetriebe in Deutschland" ergründet, ob die Verwendung bleifreier Munition den Mustern der Diffusions- und Adoptionstheorie nach ROGERS folgt. Im Ergebnis aus 1.279 beantworteten Online-Fragebogen zeigt sich eine Nutzungsquote bleifreier Munition durch die befragten Forstangehörigen von 58%. Ein Anteil von 20% hat bleifreie Munition ausprobiert, wobei 22% noch gar keine eigenen Erfahrungen gemacht haben. Bereits fast 2/3 der Befragten unterliegen inzwischen einer Pflicht zur Nutzung bleifreier Munition. Obwohl die Thematik im Bewusstsein der Befragten eine Rolle spielt, wird bleifreie Munition von ihnen nicht als bedeutende Umweltinnovation wahrgenommen oder entspricht nicht den für sie geltenden Kriterien. Durch eine Varianzanalyse können zuvor charakterisierte "Adopter-Typen" voneinander unterschieden werden. Im Gegensatz zum Modell nach ROGERS zeigen sich in der beobachteten Verteilung eine größere Gruppe der Innovatoren (15,9%) und eine kleine Gruppe der frühen Adoptoren (5,3%). Das Mittelfeld ist geringer besetzt und bildet mit früher und später Mehrheit nur einen Anteil von 46,2%, gegenüber einem Anteil von mehr als 2/3 im Modell. Der Anteil der Nachzügler ist fast doppelt so groß wie in der Verteilung nach ROGERS, was eine Beharrlichkeit gegenüber Veränderungen in der Forstbranche und im Jagdwesen im laufenden Adoptions- bzw. Diffusions-Zeitraum von bisher 15 Jahren bestätigt. Acht leitfadengestützten Experten-Interviews mit Leitern von Landesforstbetrieben bzw. Anstalten öffentlichen Rechts sowie den Bundesvorsitzenden eines forstlichen und eines jadlichen Verbandes ergänzen die quantitative Online-Befragung. Die Bewertung bleifreier Munition als Umweltinnovation und deren Bedeutung für die Jagd im Forstbetrieb unterscheidet sich im Wesentlichen durch den eingeschätzten Nutzen bzw. die Wirkung für den Forstbetrieb und die Wahrnehmung einer aktiven oder passiven Vorreiterrolle auch hinsichtlich der Nutzung (bzw. deren Anordnung) bleifreier Munition. Wesentlicher Treiber für eine Handlung ist die individuelle bzw. institutionelle Betroffenheit.:I Abkürzungsverzeichnis i II Abbildungsverzeichnis iii III Tabellenverzeichnis v 1 Einleitung 1 1.1 Problemstellung 1 1.2 Zielsetzung und Motivation 5 1.3 Theoretischer Rahmen 7 1.4 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit 9 2 Stand des Wissens 11 2.1 Blei als Gefahr- und Schadstoff in der Umwelt 11 2.1.1 Bleibelastung in Wildfleisch 14 2.1.2 Verbraucherschutz 16 2.1.3 Bleivergiftungen bei Seeadlern 19 2.1 Blei als Bestandteil von Jagdmunition 21 2.2 Bleifreie Jagdmunition 22 2.2.1 Bleifreie Schrotkugeln 22 2.2.2 Bleifreie Büchsengeschosse 23 2.3 Tötungswirkung von Geschossen 25 2.4 Kritik und Widerstände gegen bleifreie Munition 29 2.5 Ausgewählte Forschungsprojekte 37 2.5.1 Verbundprojekt Bleifrei-Monitoring 38 2.5.2 Praxis-Versuche und weitere Untersuchungen 42 2.6 Innovationen in Forstwirtschaft und Jagd 45 2.6.1 Innovationsbereitschaft und -fähigkeit öffentlicher Forstverwaltungen 47 2.6.2 Innovationen in der Forstwirtschaft zum Schutz der Umwelt 49 2.6.3 Beispiele für Innovationen im Jagdbereich 51 3 Theoretischer Hintergrund und Fragestellung 55 3.1 Angewandte Theorien 55 3.1.1 Innovationstheorie 55 3.1.2 Theorie der Umweltinnovationen 63 3.1.3 Diffusions- und Adoptionstheorie 67 3.1.4 Handlungstheorie 73 3.2 Wissenschaftliche Fragestellung und Hypothesen 75 4 Untersuchungsgegenstand und Methoden 77 4.1 Untersuchungseinheit 77 4.2 Erhebungseinheiten 80 4.3 Methoden 88 5 Konzeption und Durchführung der Untersuchung 95 5.1 Diskursanalytische Betrachtung 95 5.2 Online-Befragung 97 5.2.1 Befragungskonzept und Aufbau der Befragung 97 5.2.2 Stichprobenauswahl und Feldzugang 100 5.2.3 Technische Umsetzung, Pretest und Durchführung der Befragung 102 5.3 Leitfadengestützte qualitative Experten-Interviews 107 5.3.1 Konzeption des Interview-Leitfadens 108 5.3.2 Auswahl der Interview-Partner 110 5.3.3 Durchführung der Interviews 113 6 Ergebnisse 115 6.1 Die Verwendung bleifreier Munition 115 6.1.1 Gesetzliche und betriebliche Regelungen in Deutschland 116 6.1.2 Naturschutzorientierte Forstbetriebe 122 6.1.3 Zertifizierte Forstbetriebe 124 6.1.4 Privater Jagdbetrieb 127 6.1.5 Internationale Regelungen für den Jagd- und Forstbetrieb 130 6.2 Positionen, Widerstände und Initiativen 136 6.2.1 Die Fachforen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) als ausgewählte öffentliche Diskussionen – Eine diskursanalytische Betrachtung 136 6.2.2 Das Thema Bleifreie Munition in deutschen Parlamenten – eine inhaltsanalytische Übersicht 148 6.3 Zur Diffusion und Adoption bleifreier Munition 159 6.3.1 Ergebnisse der schriftlichen Befragung 159 6.3.2 Ergebnisse der Experten-Interviews 195 7 Diskussion 211 7.1 Überprüfung der Hypothesen 211 7.2 Verbindung der Ergebnisse mit dem theoretischen Rahmen 213 7.3 Grenzen der Untersuchung und Methodenkritik 231 7.4 Empfehlungen für Wissenschaft und Praxis 234 8 Zusammenfassung 247 9 Summary 255 10 Literaturverzeichnis 259 11 Anhang 279 11.1 Anschreiben per Post und per E-Mail 279 11.2 Online-Fragebogen 280 12 Erklärung 287 ; This scientific forestry policy document analyses, in a multilevel approach, the individual, business and social-political evaluation, consideration and decision processes in the development of the distribution of lead-free ammunition, in particular in public forestry organisations and in the hunting sector in Germany. The discourse-analytical contemplation resulting from three seminars of the Bundesinsititut für Risikobewertung (BfR - The German Federal Institute for Risk Assessment) in Berlin in 2011, 2013 and 2014 describes the development of the controversial discussion in Germany. A content-analytical contemplation of parliamentary involvement with this theme in Germany shows that in the course of 10 years - in spite of conflicts about legislative powers between federal and provincial (Länder) governments - the first political decisions on provincial level regarding use of lead-free rifle ammunition were taken from 2013 onwards. Spring 2016, over 15 years after the broad debate started, the national government submitted a first draft law to the preliminary parliamentary voting process. In the empirical part of the work, in the research field "Employees of public forestry organisations in Germany" it is ascertained whether the use of lead-free ammunition follows the patterns of Rogers' diffusion and adoption theory. The outcome of 1,279 completed online questionnaires shows that 58% of the people involved in forestry used lead-free ammunition. A proportion of 20% had tried lead-free ammunition, whereby 22% did not have any experience with it at all. Almost 2/3 of the people questioned are meanwhile obliged to use lead-free ammunition. Although the issue does play a role in the awareness of the people questioned, they do not see lead-free ammunitions as an important innovation for the environment, or it does not correspond to the criteria they apply. Previously specified "Adopter types" can be distinguished from another by analysis of variance. Contrary to Rogers' model, the breakdown observed shows a larger group of innovators (15.9%) and a small group of early adopters (5.3%). The midfield is less populated and - together with early and late majorities - only counts for 46.2% as opposed to over 2/3 in the model. The proportion of laggards is almost twice as high as in Rogers' breakdown, which confirms a resistance against change in the forest enterprises and the hunting sector in the current adoption or diffusion time frame of 15 years so far. Eight guideline-based expert interviews with leading figures from provincial forestry companies or public institutions as well as the federal chairmen of a forest and a hunting organisation complete the quantitative online survey. The assessment of lead-free ammunition as innovation for the environment and what it would mean for the hunt in the forest enteprises essentially differs for the use (or obligation to use) lead-free ammunition, due to the estimated use or the way it works for the forestry sector and the perception of an active or passive pioneering role. Being personally or institutionally concerned is the major driving force for action.:I Abkürzungsverzeichnis i II Abbildungsverzeichnis iii III Tabellenverzeichnis v 1 Einleitung 1 1.1 Problemstellung 1 1.2 Zielsetzung und Motivation 5 1.3 Theoretischer Rahmen 7 1.4 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit 9 2 Stand des Wissens 11 2.1 Blei als Gefahr- und Schadstoff in der Umwelt 11 2.1.1 Bleibelastung in Wildfleisch 14 2.1.2 Verbraucherschutz 16 2.1.3 Bleivergiftungen bei Seeadlern 19 2.1 Blei als Bestandteil von Jagdmunition 21 2.2 Bleifreie Jagdmunition 22 2.2.1 Bleifreie Schrotkugeln 22 2.2.2 Bleifreie Büchsengeschosse 23 2.3 Tötungswirkung von Geschossen 25 2.4 Kritik und Widerstände gegen bleifreie Munition 29 2.5 Ausgewählte Forschungsprojekte 37 2.5.1 Verbundprojekt Bleifrei-Monitoring 38 2.5.2 Praxis-Versuche und weitere Untersuchungen 42 2.6 Innovationen in Forstwirtschaft und Jagd 45 2.6.1 Innovationsbereitschaft und -fähigkeit öffentlicher Forstverwaltungen 47 2.6.2 Innovationen in der Forstwirtschaft zum Schutz der Umwelt 49 2.6.3 Beispiele für Innovationen im Jagdbereich 51 3 Theoretischer Hintergrund und Fragestellung 55 3.1 Angewandte Theorien 55 3.1.1 Innovationstheorie 55 3.1.2 Theorie der Umweltinnovationen 63 3.1.3 Diffusions- und Adoptionstheorie 67 3.1.4 Handlungstheorie 73 3.2 Wissenschaftliche Fragestellung und Hypothesen 75 4 Untersuchungsgegenstand und Methoden 77 4.1 Untersuchungseinheit 77 4.2 Erhebungseinheiten 80 4.3 Methoden 88 5 Konzeption und Durchführung der Untersuchung 95 5.1 Diskursanalytische Betrachtung 95 5.2 Online-Befragung 97 5.2.1 Befragungskonzept und Aufbau der Befragung 97 5.2.2 Stichprobenauswahl und Feldzugang 100 5.2.3 Technische Umsetzung, Pretest und Durchführung der Befragung 102 5.3 Leitfadengestützte qualitative Experten-Interviews 107 5.3.1 Konzeption des Interview-Leitfadens 108 5.3.2 Auswahl der Interview-Partner 110 5.3.3 Durchführung der Interviews 113 6 Ergebnisse 115 6.1 Die Verwendung bleifreier Munition 115 6.1.1 Gesetzliche und betriebliche Regelungen in Deutschland 116 6.1.2 Naturschutzorientierte Forstbetriebe 122 6.1.3 Zertifizierte Forstbetriebe 124 6.1.4 Privater Jagdbetrieb 127 6.1.5 Internationale Regelungen für den Jagd- und Forstbetrieb 130 6.2 Positionen, Widerstände und Initiativen 136 6.2.1 Die Fachforen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) als ausgewählte öffentliche Diskussionen – Eine diskursanalytische Betrachtung 136 6.2.2 Das Thema Bleifreie Munition in deutschen Parlamenten – eine inhaltsanalytische Übersicht 148 6.3 Zur Diffusion und Adoption bleifreier Munition 159 6.3.1 Ergebnisse der schriftlichen Befragung 159 6.3.2 Ergebnisse der Experten-Interviews 195 7 Diskussion 211 7.1 Überprüfung der Hypothesen 211 7.2 Verbindung der Ergebnisse mit dem theoretischen Rahmen 213 7.3 Grenzen der Untersuchung und Methodenkritik 231 7.4 Empfehlungen für Wissenschaft und Praxis 234 8 Zusammenfassung 247 9 Summary 255 10 Literaturverzeichnis 259 11 Anhang 279 11.1 Anschreiben per Post und per E-Mail 279 11.2 Online-Fragebogen 280 12 Erklärung 287