In 1893, a group of colonial officials from thirteen countries abandoned their imperial rivalry and established the International Colonial Institute (ICI), which became the world's most important colonial think tank of the twentieth century. Through the lens of the ICI, Florian Wagner argues that this international cooperation reshaped colonialism as a transimperial and governmental policy. The book demonstrates that the ICI's strategy of using indigenous institutions and customary laws to encourage colonial development served to maintain colonial rule even beyond the official end of empires. By selectively choosing loyalists among the colonized to participate in the ICI, it increased their autonomy while equally delegitimizing more radical claims for independence. The book presents a detailed study of the ICI's creation, the transcolonial activities of its prominent members, its interactions with the League of Nations and fascist governments, and its role in laying the groundwork for the structural and discursive dependence of the Global South after 1945
Was ist eigentlich so chinesisch an der chinesischen Gegenwartskunst? Worin liegt ihr internationaler Erfolg, und welche Rolle soll sie im eigenen Land spielen? Derartige Fragen beschäftigen Chinas zeitgenössische Kunstwelt spätestens seit ihrer Eingliederung in das globale Gegenwartskunstsystem. Anders als bisherige Publikationen, die sich auf Künstler und ihre Werke beziehen, fokussiert das Buch mit Wang Nanming einen chinesischen Kunstkritiker, seine "postkolonialistische Kunstkritik" und "Critical Art", um mit ideologiekritisch-ideengeschichtlichem Ansatz die ihn umgebenden Diskurse zu kartografieren: Die Befriedigung eines westlichen Orientalismus wird in diesen ebenso thematisiert wie die Suche nach einer soziopolitisch-avantgardistischen Darstellung eines vermeintlich realen Chinas. Im Kontext chinesischer Selbstbehauptung zeigen sich so Gemeinsamkeiten mit Diskursen anderer Intellektueller, aber auch die ganz eigenen Besonderheiten im Sorgen um die chinesische Gegenwartskunst.
Das westdeutsche Abschieberegime entstand im Kontext der Problematisierung von People of Color, die seit 1950 in die Bundesrepublik einreisten, um dort ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Die junge Republik lud Menschen aus sich dekolonisierenden Ländern zunächst ein, um sich von der Rassenideologie des National- sozialismus zu distanzieren und sich gegenüber dem Sozialismus zu profilieren. Dabei bestand jedoch weiterhin die im Kern völkische Prämisse, dass People of Color nicht langfristig bleiben sollten. Die Herstellung ihrer Rückführbarkeit manifestierte sich in der Rechts-, Verwaltungs- und Betreuungspraxis lokaler Behörden und Wohlfahrtsverbände, wodurch diese Prämisse in das Ausländergesetz von 1965 einging. Das Gesetz machte insbesondere "außereuropäische" Migrant*innen abschiebbar, denen es pauschal kriminelle Täuschungsabsichten und extremistische Politisierung unterstellte. Es verrechtlichte zudem eine pseudomoralische Rückkehrpflicht von People of Color unter Verweis auf ihren Entwicklungsauftrag in den Herkunftsländern und auf tradierte Geschlechterrollen. Diese Normen waren in der Bundesrepublik permanent abrufbar und wurden sukzessive auf andere Migrant*innen angewandt.
Julia Devlin, Tanja Evers, Simon Goebel (Hrsg.): Praktiken der (Im-)Mobilisierung - Lager, Sammelunterkünfte und Ankerzentren im Kontext von Asylregimen. Bielefeld: transcript Verlag 2021. 978-3-8376-5202-4
In: Journal of modern European history: Zeitschrift für moderne europäische Geschichte = Revue d'histoire européenne contemporaine, Band 15, Heft 2, S. 174-180
Ästhetik und Narration neuerer Fernsehserien sowie ihrer Rezeption widmen sich die insgesamt 22 Beiträge des in der Schriftenreihe "Film, Fernsehen, Medienkultur" erschienenen Sammelbandes. Der im Titel Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien suggerierten Fragestellung wird der Sammelband aber eigentlich nur in seinem Kernkapitel gerecht, in dem es um die kolumbianische Telenovela Yo soy Betty, la fea geht. Untersucht werden Differenzen und Gemeinsamkeiten der unzähligen Adaptionen zwischen preußischem Ernst (Verliebt in Berlin) und US-amerikanischer Comedy (Ugly Betty). "Während die spanische Adaption stärker den Telenovela-Aspekt betont, die deutsche Adaption sehr nah an der Mischung des kolumbianischen Originals bleibt, geben die amerikanische und die russische Adaption den komödiantischen Elementen mehr Gewicht" (S. 264), schreiben Lothar Mikos und Marta Perrotta. Tanja Weber steuert – ausgehend von Yo soy Betty, la fea – einen sehr lesenswerten Beitrag zu Ausformung und historischer Transformation des internationalen Handels mit TV Formaten bei. Anhand der "Forsthaus Falkenau-Entscheidung" (https://www.jurion.de/Urteile/OLG-Muenchen/1990-03-15/29-U-4346_89) des OLG München und dem rechtlichen Disput um die allzu sehr an die britische Sitcom The Office erinnernde deutsche Serie Stromberg lotet Weber die Ambivalenzen umstrittenen geistigen Eigentums aus und versucht geeignete Begrifflichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Thematik zu entwickeln. Der tschechischen Adaption von Yo soy Betty, la fea widmet sich der Beitrag von Irena Carpentier-Reifová. Interessant ist die Adaption aufgrund der gleichzeitigen An- und Abwesenheit der realsozialistischen Vergangenheit. Während die Armut der weiblichen Hauptfigur wiederholt mit der sozialistischen Vergangenheit in Beziehung gesetzt wird, bleibt der Ursprung des familiären Reichtums hinter dem Modeimperium und wie dieser sich in wenigen Jahren derart anhäufen konnte, weitgehend im Dunklen. Die "privilegierte Welt [ist] nicht nur reich, sondern außerdem vollkommen in die neue Zeit des Kapitalismus eingetaucht und von der Vergangenheit strikt getrennt" (S. 313), so Carpentier-Reifová, aus deren Sicht Hauptfigur Katrin in der Serie zur "Heldin eines utopischen Kapitalismus" (S. 324) wird. Die Beiträge abseits des Kernkapitels sind von unterschiedlicher Qualität und Relevanz – zwischen medienwissenschaftlicher Pflichtübung und tatsächlich Erkenntnisreichem. Sehr positiv hervorzuheben ist der Text von Herbert Schwaab, der sich ausgehend von Debatten über vermeintliches Quality-TV mit der vergleichsweise glanzlosen Qualität britischer Comedy-Formate beschäftigt. Schwaab entlarvt den Begriff "Quality TV" gekonnt und bezeichnet das, was darunter verstanden wird, in Anlehnung an Debatten aus der soziologischen Stadtforschung treffend als "das gentrifizierte Fernsehen" (S. 208), welches einem tendenziell bildungsbürgerlichen Publikum zur kulturellen Selbstversicherung dient. Auch ironische Formate wie Scrubs, Sex and the City oder How I Met Your Mother böten diesem Publikum "zu sehr die Möglichkeit einer Distanz, die […] das Gefühl gibt, gefordert zu werden", letztlich aber wiederum nur "eine sichere Position als Betrachter vermittelt" (S. 208). Den Begriff der Qualität wirft Schwaab dabei keineswegs über Bord, sondern versucht ihn neu zu füllen. Qualität sollte sich, so Schwaab, "auf Sendungen beziehen, die stärker im Fernsehen selbst verankert sind, statt auf Sendungen, die dazu neigen, Fernsehen zu ignorieren oder gar zu verleugnen und sich damit vom Publikum des Fernsehens dissoziieren" (S. 211). Qualitätsfernsehen sei demnach nicht jenes, das versuchst, möglichst wenig an Fernsehen zu erinnern, sondern eines, das zu einem besseren Verständnis des Fernsehens beiträgt. Als Anschauungsbeispiele dienen ihm The Office und Spaced. Wie bei vielen anderen britischen Sitcoms stehen bei The Office die Schmerzhaftigkeit und die Scham, die durch das Nicht-Funktionieren sozialer Interaktion ausgelöst werden, im Vordergrund. Das Rezeptionserlebnis ähnelt (Stichwort: Fremdschämen) dem von Reality-TV. Letzteres bildet für The Office – einer Mockumentary über den Büroalltag – die direkte formale Vorlage. Die Figuren werden in The Office, wie in vielen anderen im starken öffentlich-rechtlichen Sektor des Vereinigten Königreichs produzierten Sitcoms, "als widersprüchliche Produkte ihres sozialen Umfelds" begriffen "und nicht als Produkte psychischer Dispositionen, die in so vielen amerikanischen Formaten in einer Flashbackstruktur erforscht werden und vorgeben, das Geheimnis einer Figur zu ergründen" (S. 217). Schwaab spricht treffend von der Glanzlosigkeit britischer Fernsehserien, denen es aber gerade dadurch gelingt "sich auf beides zu beziehen, auf die 'wirkliche' Welt und auf die Wirklichkeit (und Geschichte) des Fernsehens – als ein Medium, das unser Leben überwacht (wie in The Office) und als ein Medium, das versucht über den Platz des Mediums in der Alltagskultur nachzudenken (wie in Spaced)" (S. 221). Auch die im Buch veröffentlichte empirische Studie von Sarah Kumpf, die sich mit Distinktion durch Serienaneignung bei AkademikerInnen beschäftigt, ist lesenswert. In Anlehnung an Pierre Bourdieu beschreibt sie, wie bourgeoise Ästhetik von Distanzierung und populäre Ästhetik von Beteiligung geprägt ist. Die Vermarktung von Fernsehen als Quality TV macht dem bürgerlichen Publikum ein neues Angebot: "Auch als Akademikerin oder Akademiker muss man sich nun nicht mehr schamvoll als Serienrezipient outen, sondern kann intellektuell von der hohen Qualität des Quality TV schwärmen" (S. 351). Die Verschiebungen in Bezug darauf, wie RezipientInnen populärkulturelle Produkte deuten und deren Konsum legitimieren, sind dabei zweifellos aufschlussreich. AkademikerInnen tendieren demnach dazu, von ihnen konsumierte TV-Serien in den Bereich vermeintlicher Hochkultur zu rücken; sie grenzen sich "von denjenigen Rezipierenden ab, die das gewöhnliche Fernsehprogramm rezipieren" (S. 363f.). Das Selbstbild der AkademikerInnen ist davon geprägt, zugleich die eigene Rezeption als höherstehend zu legitimieren und sich "von anderen abzugrenzen, die in ihren Augen zu intensiv Fernsehtexte rezipieren und [sich] aneignen" (S. 364). Was Identifikationsstrukturen betrifft, unterscheiden sich jene mit Immatrikulationshintergrund recht wenig von jenen ohne. Auch die "Intellies", wie Kumpf akademisch gebildete SerienrezipientInnen mehr oder weniger liebevoll nennt, neigen dazu, Themen und Probleme ihres Lebens mithilfe der Serienwelt zu verhandeln und legitimieren damit wiederum ihren Serienkonsum. Insgesamt versammelt Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien trotz des weitgehenden Fehlens einer eindeutigen und stringent verfolgten Fragestellung mehrere interessante und lesenswerte Beiträge, die sowohl für SerienrezipientInnen als auch für FernsehwissenschaftlerInnen Erkenntnisgewinn versprechen. Gegliedert in die Bereiche "Theoretische Aspekte der Serienkultur", "Ästhetik und Narration" sowie "Rezeption" bietet der Sammelband neben dem Kernkapitel zu Yo soy Betty, la fea auch eine allgemein brauchbare, wenn auch nur begrenzt transnationale Einführung in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit TV-Serien. Soviel zum Inhalt, abschließend zur Preispolitik: Es gibt Bücher, die den Eindruck erwecken, ihre HerausgeberInnen würden wirklich alles dafür tun, damit sie von möglichst niemandem gelesen werden. Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien kostet fast 50 Euro, weshalb auch ich es nicht gekauft, sondern ein Rezensionsexemplar bestellt habe. Hintergrund derart absurder Preispolitiken ist folgender trauriger Umstand: Verlage und HerausgeberInnen wissenschaftlicher Bücher verfolgen heutzutage nicht primär das Ziel, dass ihre Bücher von möglichst vielen Menschen gekauft und gelesen werden. Stattdessen wird darauf gesetzt, diese Bücher primär an mit Steuergeldern finanzierte öffentliche Bibliotheken zu verkaufen, um damit die Kosten des Verlages zu decken. Im konkreten Fall werden so öffentliche Gelder an einen privaten Medienkonzern umverteilt und – so sie sich von ihrem Verlag nicht gänzlich über den Tisch haben ziehen lassen – zumindest zu einem geringen Teil an HerausgeberInnen und AutorInnen. Menschen, die nicht in der Nähe einer wissenschaftlichen Bibliothek wohnen und bereit sind, 50 Euro für ein Buch auszugeben, welches fairerweise für maximal 20 Euro im Handel erhältlich sein sollte, haben dann eben Pech gehabt. Das ist schade, trägt es doch letztlich zur Selbstmarginalisiserung kritischer Kulturwissenschaft bei.
Renée Winter befasst sich in ihrer bei transcript publizierten Dissertation mit der frühen Geschichte des ORF. Sie untersucht, wie der Nationalsozialismus von 1955 bis 1970 in unterschiedlichen Fernsehformaten verhandelt wurde und fördert dabei sowohl Erwartbares als auch Überraschendes zutage. Keineswegs wurde nur geschwiegen – doch die Art des Sprechens ist von Auslassungen, Verschiebungen sowie blinden Flecken geprägt und – wie sooft in Österreich – parteipolitischen Interessen untergeordnet. Winter beginnt mit einer ausführlichen Darstellung des Forschungsstands, sowohl in geschichtswissenschaftlicher als auch in medienwissenschaftlicher Hinsicht. Querschnittmaterie in Winters Studie ist eine kritische Betrachtung der Geschlechterverhältnisse und ihrer postnazistischen medialen Inszenierung. Konstituierend für das österreichische Nachkriegsfernsehen ist die Opfer-These und eine damit einhergehende "diskursive Feminisierung" der österreichischen Bevölkerung im Zusammenhang mit dem behaupteten Opfer-Status. So wurde etwa von der "Vergewaltigung Österreichs" (S. 23) gesprochen, wenn es galt, die kampflose Übergabe der Macht des austrofaschistischen Regimes an die Nazis zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im frühen ORF folgte oftmals einer Logik der Datumspolitik. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang der 27. April als Tag der Unabhängigkeit von Deutschland und der 15. Mai als Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrags, nicht jedoch der 8. Mai als Tag der Befreiung. Was die Darstellung des Widerstands betrifft, wurde der österreichische überbetont, während der kommunistische Widerstand und der Anteil der Partisan_innen an der Befreiung weitgehend ausgeblendet waren. Der frühe ORF wusste auch sein deutschnationales Publikum zufriedenzustellen. Am 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, agierte man 1967 und 1968 besonders zielgruppenbewusst: Während sich FS1 österreich-patriotisch dem Nationalfeiertag widmete, bot FS2 das deutschnationale Alternativprogramm: 1967 mit einer Übertragung von Die Nibelungen (Teil 1 – Siegfrieds Tod) und im Jahr darauf mit Unsterblich Walzer, einem nationalsozialistischen Wien-Film aus dem Jahr 1939. Ein wichtiges Ventil für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinem postnazistischen Fortwirken in Österreich waren die Kabarett-Sendungen des ORF. Dort konnte gesagt werden, was in Nachrichtensendungen und Dokumentationen nicht sagbar war. Der Herr Karl mit Helmut Qualtinger oder die Sendung Das Zeitventil mit Gerhard Bronner und Peter Wehle sind Beispiele für TV-Kabarett das, so Winter, ein "zentrales Handlungsfeld marginalisierter geschichtspolitischer Strategien" (S. 114) im Fernsehen darstellte. Zugleich machte das Kabarett aber auch jenen ein Angebot, die an der Verdrängung der NS-Vergangenheit interessiert waren. Winter zitiert aus einer Nummer von Bronner und Wehle, die sich "einer in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich und Deutschland verbreiteten Argumentation [bediente], die den USA rassistische Einstellungen zuschrieb und auf dieser Basis eine Schuldumkehr betrieb, die die NS-Nachfolgestaaten moralisch entlasten und rehabilitieren sollte" (S. 105). Obwohl politisches Kabarett die postnazistische Konstellation punktuell herausforderte, trug sie allzu häufig zur Stabilisierung derselben bei. "Dass Gerhard Bronner sich neben dem antifaschistischen Grundtenor einem Kampf gegen den 'Linksextremismus' verschrieben hatte, ist auch seiner 1978 ausgestrahlten Rückschau auf die Programme der 1960er Jahre anzumerken", so Winter. Bronner ging dabei sogar so weit, APO auf Gestapo zu reimen. "Was beim heutigen Betrachten darüber hinaus auffällt, sind die rassistischen Untertöne, die die Programme durchziehen" schreibt Winter und zitiert aus einer Nummer, in der einem Präsidenten eines nicht näher spezifizierten afrikanischen Staates attestiert wird "vor gar nicht allzulanger Zeit auf einem Baum" (S. 113) gelebt zu haben. Im Bereich des Dokumentarfilms waren unterschiedliche Akteur_innen an der Gestaltung von Programminhalten über die Zeit des Nationalsozialismus beteiligt. Die Sendung Der österreichische Widerstand wurde in Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) produziert und hebt sich von anderen Produktionen positiv ab. Die Sendung kann "als Versuch gesehen werden, andere als die im Fernsehen der 1960er Jahre sich etablierenden Personen zu Wort kommen zu lassen und damit marginalisierten Positionen einen Raum zu geben" (S. 131). Allerdings stellt diese Kooperation eine Ausnahme dar. Ansonsten bevorzugte der ORF die Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte, dessen Gründer und langjähriger Institutsvorstand Ludwig Jedlicka sowohl eine austrofaschistische als auch eine nationalsozialistische Vergangenheit zu vertuschen hatte und der dem geschichts- und medienpolitischen Mainstream damit deutlich näher stand, als das von ihm mitgegründete DÖW. Auch wenn im frühen ORF vergleichsweise regelmäßig über den Nationalsozialismus gesprochen wurde, blieb das Schweigen über den Antisemitismus und die ermordeten Juden und Jüdinnen. Wenn die Bilder von Leichenbergen in den Konzentrationslagern im Fernsehen erschienen, verstummte die Off-Stimme. Eine Geste, die als Zeichen des Respekts für die Ermordeten gelesen werden kann – ebenso aber als Prolongieren des Nicht-Benennens der zentralen Funktion des Antisemitismus für den Nationalsozialismus sowie der österreichischen Mittäter_innenschaft. Wiederholt lässt sich beobachten, wie der Nationalsozialismus "mit Krankheit und sexueller Devianz" (S. 163) konnotiert und damit externalisiert wird. Eine weitere Verdrängungsstrategie wird von Winter als Ent-Akteurisierung beschrieben: "Durch das Nicht-Benennen von Akteur_innen wird eine Situation gezeichnet, in der es nur von Handlungen Betroffene, aber keine Handelnden gibt" (S. 167). Wenn personalisiert wird, dann in der Person Adolf Hitlers, womit das Geschichtsfernsehen gewollt oder ungewollt die Selbstrepräsentation des NS-Regimes reproduzierte. Zu beobachten ist des Weiteren eine Österreich-patriotische Verklärung des Nationalsozialismus. Die Darstellungen sind "geprägt von der Tendenz, als folgenschwerste Konsequenz des Nationalsozialismus den Verlust der Unabhängigkeit Österreichs zu werten" (S. 175). Besonders bedenklich ist die wiederkehrende Bildstrategie, Antisemitismus und Antikatholizismus zu parallelisieren. Etwa wenn, wie Winter beschreibt, ein Text aus dem Off über die Verfolgung von Juden und Jüdinnen mit Bildern eines betenden Priesters montiert wird. Ambivalent bleibt Winters Auseinandersetzung mit den fernsehwissenschaftlichen Schriften Theodor W. Adornos. Der Anspruch scheint zu sein, seine Texte als sexistisch zu entlarven, da darin u.a. von einer "Destabilisierung der Geschlechterordnung" (S. 75) im fiktionalen Fernsehen die Rede ist. Allerdings zielt Adornos Kritik an der punktuellen Umkehrung von vergeschlechtlichten Machtverhältnissen im Fernsehen eben nicht darauf ab, patriarchale Geschlechterverhältnisse zu konservieren. Kritisiert wird vielmehr die Ideologieproduktion durch fiktionale Fernsehformate, die Figuren wie die Femme Fatal etablieren und Männer als Opfer ebendieser inszenieren. Dass Adornos Texte über Fernsehen einer feministischen Gesellschafts- und Medienkritik durchaus zuträglich sein können, geht hier leider unter. Winter problematisiert wiederholt den schwierigen Zugang zu audiovisuellen Archiven. Zwar habe sich die Situation in den letzten Jahren verbessert. Der Zugang zum Material wird aber nach wie vor durch ökonomische und andere Hürden erschwert. "Einer Fernsehforschung, die nicht über die Möglichkeit zur wiederholten Sichtung und detailgenauen Analyse des gesendeten Materials verfügt, fehlt der zentrale Analysegegenstand für geschichtspolitische Strategien, Bildgedächtnis und historische Narrative" (S. 283). Trotz der teils schwierigen Zugänglichkeit des Materials ist es Renée Winter gelungen, eine weitgehend vergessene Epoche der österreichischen Fernsehgeschichte anschaulich zu rekonstruieren. Die frühe Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wirkt trotz aller Transformationen postnazistischer Geschichtsbewältigungsstrategien bis heute nach. Ein Blick in die Fernsehgeschichte hilft, die Gegenwart öffentlich-rechtlichen Geschichtsfernsehens besser verstehen und kritisieren zu können.
Bereits vor Erscheinen des Sammelbandes Doctor Who & Race wurde dem Buchprojekt große Medienaufmerksamkeit zuteil. Ohne den Inhalt der insgesamt 22 Beiträge zu kennen, begannen Boulevard- und Qualitätsmedien darüber zu diskutieren, ob die seit 1963 von der BBC produzierte Science Fiction-Serie Doctor Who rassistisch sei oder nicht. Der Frage, die die britischen Massenmedien vereinfacht aufgeworfen und noch vereinfachter beantwortet haben, stellen sich die Autor_innen des Sammelbandes auf beinahe 300 vergleichsweise eng bedruckten Seiten. Wie ein roter Faden durchzieht die von Lindy Orthia herausgegebene Aufsatzsammlung ein Bewusstsein davon, dass eine britische Institution wie Doctor Who in einem Wechselspiel mit anderen britischen Institutionen und dem ihnen über Jahrhunderte inhärenten Rassismus steht. Kolonialismus und Dekolonialisierung werden in der Serie auf verzerrte Weise gespiegelt. Die insgesamt 23 Autor_innen sehen genau hin, benennen aufschlussreiche Brüche im Narrativ und untersuchen die Problematik vielfach deutbarer Allegorisierungen gesellschaftlicher Verhältnisse im Science Fiction- Genre. Die Beiträge des Bandes stammen sowohl von kritischen Wissenschaftler_innen als auch von antirassistischen und feministischen Blogger_innen, die gebeten wurden, Auszüge der reichhaltigen Onlinedebatte im Buch abzubilden. Der erste Beitrag und damit quasi die Key Note stammt von der Bloggerin Fire Fly und beschäftigt sich mit dem Umstand, dass der Doctor bisher ausschließlich von weißen Männern gespielt wurde. Auch wenn er in der Logik der Serie ein Alien ist, ist er mit Whiteness aufgeladen. Sie kritisiert, dass dem Doctor der Status eines moralischen Kompasses zugeschrieben werde, "despite the fact that he's a mass murderer, often lies, steals and leaves people to suffer or die, usually without seeming to really care" (S. 19). Die Darstellung der schwarzen 'companions', allen voran der von Freema Agyeman gespielten Martha Jones, ist problematisch, so Fire Fly. Die ihr und ihrer Familie zugeschriebene Funktion ist eine dienende. Selbst in als antikolonial lesbaren Befreiungskämpfen ist Martha zur Unterstützung des weißen männlichen Helden verdammt. Die Führungsrolle in 'Last of the Time Lords' (2007) übernimmt sie lediglich aufgrund der Abwesenheit des Selbigen. In eine ähnliche Kerbe schlägt Iona Yeager, die sich ebenfalls mit der dritten Staffel der neuen Serie beschäftigt, also jener in der Martha Jones dem Doctor als 'companion' zur Seite steht. Sie stellt die Frage, wie das Narrativ der Zeitreise als konstituierendes Element von Doctor Who damit korrespondiert, dass die Bedrohung von schwarzen Menschen in weißen Mehrheitsgesellschaften in zahlreichen zu bereisenden Epochen massiv war. In 'The Shakespeare Code' (2007) wird eine kritische Frage Marthas, die ihre Sicherheit im elisabethanischen England betrifft, vom Doctor ins Lächerliche gezogen. Nachdem Shakespeare Martha aufgrund ihrer Hautfarbe exotisiert, werden nicht seine Äußerungen kritisiert, sondern Marthas Reaktion – nämlich als "political correctness gone mad". In der Doppelfolge 'Human Nature'/'The Family of Blood' (2007) wird Martha wiederum völlig eindimensional als Opfer von Rassismus präsentiert – sie arbeitet als Hausangestellte am Vorabend des Ersten Weltkriegs –, während die tatsächlich vorhandenen politischen Kämpfe (und Erfolge!) schwarzer Brit_innen in besagter Epoche keine Erwähnung finden. Auch in den Belohnungs-/Bestrafungsökonomien der Serie steigen die schwarzen Figuren am schlechtesten aus, wie Linnea Dodson in einem Vergleich der 'companions' der ersten vier Staffeln der neuen Serie festhält: "In Journey's End, Rose has a reunited family and a Doctor substitute. In The End of Time (2009–2010) Donna has a winning lottery ticket. Even Sarah Jane will get a new K-9, sonic lipstick and scanner watch after School Reunion (2006). Martha does get a job recommendation, but nothing else; no help for her traumatized family, no riches, and no alien toys" (S. 33). Und Mickey – von 2005 bis 2009 regelmäßiger und genau genommen erster schwarzer 'companion' des Doctors – bekomme noch nicht einmal eine Jobempfehlung, so Dodson. Wie sich der Thatcherismus im (Cricket-)Kostüm des fünften Doctors niederschlägt, erklärt Amit Gupta. Die Unterrepräsentation südostasiatischer Brit_innen in Doctor Who sowie in der Spin-Off Serie Torchwood thematisiert Stephanie Guerdan in ihrem Beitrag. Der Bedeutung literarischer Doctor Who-Spin-Offs für die australische Nationalidentität und ihre Krisen widmet sich Catriona Mills. Mike Hernandez verhandelt die Figur des Doctors im Spannungsfeld von privilegiertem weißem Reisenden und 'diasporic intellectual'. Davon ausgehend stellt er die Frage, welche Möglichkeiten und Probleme sich ergeben könnten, sollte sich die BBC dazu entschließen, erstmals einen schwarzen Schauspieler als Doctor zu besetzen. Nicht nur die neue Serie, sondern auch die 'Classic Era' wird hinsichtlich ihres Umgangs mit 'race' befragt. Kate Orman kritisiert den inhärenten Rassismus in 'The Talons of Weng-Chiang' (1977) – eine Folge, die gänzlich ohne chinesische Schauspieler_innen auskommt und damit in der Tradition rassistischer Fu Manchu-Erzählungen und -Visualisierungen steht. Da Doctor Who bereits seit über fünfzig Jahren ausgestrahlt wird, lässt sich zum medialen Abbild der Transformation kolonialer in postkoloniale Verhältnisse vieles aus der Serie herauslesen. John Vohlidka befasst sich mit der allegorisierten Darstellung des Kampfes gegen westlichen Imperialismus in drei Doctor Who-Serien aus den 1970er-Jahren. Insbesondere bei 'The Mutants' (1972) handle es sich um "an outright and blatant critique of the British Empire from younger writers arguing against those who lamented the empire's fall. The story, in which the Marshal was described as 'mad', argues that anyone in favour of the empire was mad as well" (S. 135). Das interessante Spannungsfeld zwischen tendenziell inklusiver 'Britishness' und zumeist exklusiver 'Englishness' behandelt Marcus K. Harmes anhand der Darstellung der Church of England in Doctor Who. Erica Foss zeigt die Ambivalenz der allegorisierten Fortschreibung kolonialer Verhältnisse im Zusammenhang mit der Sklavenspezies Ood auf, während Kristine Larsen sich mit Eugenik und der sich wandelnden 'racial identity' der Daleks von den 1960er-Jahren bis heute befasst. Herausgeberin Lindy Orthia kritisiert den Geschichtsdeterminismus der Serie und parallelisiert ihn mit der,in Teilen der marxistischen Linken zeitweise populären Two-stage-Theorie. Der Glaube an ein beständiges Fortschreiten der Menschheit benötige als sein Anderes die Abgrenzung von als wild und unzivilisiert dargestellten Gesellschaften sowie von ihnen zugerechneten Individuen. Orthia schließt mit der Feststellung, dass Doctor Who in einem Staat produziert werde, "built on imperialist conquest and western ascendancy, and despite good intentions, it is not always easy to excise or even identify all the threads of racism that infuse such a culture" (S. 283). Was die Wahrnehmung des Nationalsozialismus in der britischen Nachkriegsgesellschaft betrifft, ist Doctor Who zweifellos aufschlussreich. Ähnlich wie die Serie selbst (und ihr Spin-off Torchwood) tendieren die Beiträge, die sich diesem Thema widmen aber zur Verharmlosung oder zur Perpetuierung problematischer Analogiebildungen. So setzt Alec Charles in seinem Beitrag, in dem es um die als Nebenschauplatz abgetanen Vernichtungslager in 'Torchwood: Miracle Day' geht, implizit Auschwitz mit dem Terror der Roten Khmer gleich und sein Text gipfelt in der Feststellung "from Rwanda to Kosovo to Dafur, all holocausts are unique" (S. 170), mit der er sich vermutlich gegen Kritik immunisieren will. Die Singularität der Shoah wird aufgrund der einschlägigen Wortwahl aber nur umso mehr in Frage gestellt. Eine Seite später setzt Charles die gesellschaftliche und mediale Ächtung von Pädophilen und Untoten mit jener der Figur des 'Ewigen Juden' gleich. Eine Tendenz zur NS-Relativierung weist auch der mit 'Doctor Who and the racial state: Fighting National Socialism across time and space' betitelte Beitrag von Richard Scully auf. Während Charles lediglich die Logik von 'Torchwood: Miracle Day' affirmativ fortschreibt, anstatt sie zu kritisieren, fällt Scully sogar noch hinter die Serie selbst zurück. So interessant seine Beobachtungen zur meist indirekten Thematisierung des Nationalsozialismus und zur fallweise sehr direkten Repräsentation von Neonazis in Doctor Who sind, so irritierend sind seine historischen Einschätzungen. Zustimmend paraphrasiert er die Doctor Who-Serie 'The Curse of Fenric' (1989), deren Meta-Text darauf hinauslaufe, dass die Royal Air Force das Gleiche getan habe, wie die Nazis: "bombing innocent civilians from the air" (S. 188). Sein Bedauern ausdrückendes Resümee würden auch deutsche und österreichische Geschichtsrevisionist_innen unterschreiben: "In many ways, The Curse of Fenric and Bomber Harris were important correctives to a too-simplistic engagement with the Second World War and a fight against Nazism, but ultimately one which has struggled to find traction in a renewed culture of nationalist constructions of wartime Britain." (S. 189) In seinem Kerngebiet, der kritischen Untersuchung von 'race' in Doctor Who, ist der Sammelband gelungen und mit vielen klugen Beobachtungen gespickt. Die auf den Nationalsozialismus bezugnehmenden Beiträge neigen jedoch – in unterschiedlichem Ausmaß – zur Relativierung. Selbst der vergleichsweise gelungene Beitrag von Kristine Larsen kommt nicht ohne eine Gleichsetzung von Adolf Hitler und Slobodan Milošević in Bezug auf ihre Gefährlichkeit aus, ohne zu reflektieren, welches Gefahrenpotential derartige Gleichsetzungslogiken – gerade wenn sie aus akademischen Kontexten kommen – in sich bergen.
25 Jahre hat es gedauert, bis der Film Dirty Dancing (Regie: Emile Ardolino / Drehbuch: Eleanor Bergstein) mit einem wissenschaftlichen Sammelband kritisch gewürdigt wurde. Von der Filmkritik als 'Frauenfilm' leichtfertig abgetan und von vielen – nicht zuletzt den mit Bildungsprivilegien ausgestatteten – Fans als 'guilty pleasure' empfunden, schien der Weg für eine derartige Würdigung lange verstellt. Lediglich in der DDR wurde das politische Potential des Filmes, mit dem sich der Band vorwiegend befasst, frühzeitig erkannt. Für eine amerikanische Produktion eher ungewöhnlich, bestellte man aufgrund des großen Erfolgs zusätzliche Kopien und erklärte sich selbigen dadurch, dass Dirty Dancing Klassenverhältnisse in den USA kritisch zur Darstellung bringe. In insgesamt neun Beiträgen fragen die AutorInnen nach den vielen Aspekten des Films, der bei genauerem Hinsehen wesentlich mehr als 'nur' ein Tanz- und Liebesgeschehen zeigt. "Als ein Film, der eine klassische Coming-of-Age-Geschichte mit einer weiblichen Hauptfigur neu erzählt, der Bezug auf die Abtreibungsdebatte nimmt, der tief in den culture war der 1960er-Jahre verstrickt ist und gleichzeitig in einer Reihe mit prominenten Hollywood-Filmen steht, die das Erbe der 1960er-Jahre verhandeln – in diesen Perspektiven ist 'Dirty Dancing' schlicht verkannt worden" (S. 8), schreibt Herausgeberin Hannah Pilarczyk im Vorwort. So ist es etwa bezeichnend, dass Dinge, die bei anderen – von Männern hergestellten – Filmen die Kritik zu Lobeshymnen anstiften, im Falle von Dirty Dancing gegen den Film verwendet wurden. Pilarczyk weist in diesem Zusammenhang auf Oliver Stones Platoon (1986) hin, der von Roger Ebert in höchsten Tönen für seine Brüche mit linearer Narrativität gelobt wurde. In Eberts Dirty Dancing-Kritik wird Selbiges zum Vorwurf gegen den Film. Es gilt also zunächst die 'male bias' von Filmkritik und Filmwissenschaft aufzubrechen, um Raum für eine nachträgliche Würdigung von Dirty Dancing zu schaffen. Den AutorInnen des Sammelbandes ist dies auf eindrucksvolle Weise gelungen. Mit verschiedenartigen Fragestellungen und aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven nähern sie sich dem Gegenstand. Christine Kirchhoff unterzieht den Film und seine ZuseherInnen einer Psychoanalyse und fragt unter anderem, was an Dirty Dancing dazu einlädt, sich den Film immer wieder anzusehen. "Wenn gegen Ende des Liedes ["I had the Time of my Life", Anm. F.W.] der ganze Saal tanzt, […] dann sind nicht nur die Hüften sondern – zumindest für einen Moment – auch die Verhältnisse in Bewegung geraten" (S. 183), so Kirchhoff. Sich der Illusion der per Tanz versöhnten gesellschaftlichen Widersprüche gänzlich hinzugeben, sei schwer möglich – und gerade "weil die Illusion nicht hält, muss man sie immer wieder erneuern" (S. 184). In ihrem mit "Ausgerechnet Wassermelonen" betitelten Beitrag lotet Astrid Kusser das Spannungsfeld zwischen Reproduktion von und Kritik an Rassismus in Dirty Dancing aus. Den Erfolg des Films führt sie darauf zurück, dass er zugleich zuwenig und zuviel Bedeutung produziere. Er "ersetzt eine komplexe Geschichte, in der es immer zugleich um Geschlechterverhältnisse, Klassenkonflikte und Rassismus ging, durch einen einfachen Konflikt zwischen Weißen, der ganz in der Tradition des klassischen Studio-Kinos der Segregation erzählt wird" (S. 111), so Kussers kritischer Befund. Kirsten Rießelmann betrachtet Dirty Dancing im Kontext weiblicher Coming-of-Age-Filme. Im Gegensatz zu den meisten vergleichbaren Produktionen schaffe es das Private in Dirty Dancing, politisch zu werden, so Rießelmann. Doch nicht nur das Private ist politisch, sondern auch der zeithistorische Kontext kann mit einigen Jahrzehnten Abstand als eine Art 'Vormärz' betrachtet werden. Dem ruhigen Sommer, in dem Dirty Dancing zeitlich verortet ist, ging die Kubakrise voran und es folgten ihm die Ermordung von John F. Kennedy sowie die Eskalation des Vietnamkriegs. Caspar Battegay zeigt, wie der Film zeitlich an einem Wendepunkt des Umgangs mit Minderheiten in den USA verortet ist. Er charakterisiert den Handlungsort – eine sich auf jüdische Gäste aus der oberen Mittelschicht ausrichtende Ferienanlage in den Catskill Mountains – als eine in den 1960ern bereits im Verschwinden begriffene Freizeitinstitution, die nicht zuletzt den Zweck erfüllen sollte, die Töchter und Söhne der Gäste standesgemäß unter die Haube zu bringen. Der zentrale Konflikt des Films speist sich daraus, dass die Hauptfigur Francis 'Baby' Houseman (Jennifer Grey) dieses Spiel durchschaut und sich gegen den Wunsch der Eltern und die Kuppelvorgaben des Hotelmanagers in den aus einfachen Verhältnissen stammenden Tanzlehrer Johnny Castle (Patrick Swayze) verliebt und damit die gesellschaftspolitische Progressivität des eigenen Vaters auf die Probe stellt. Viel stärker als im deutschsprachigen Raum wird Dirty Dancing in den USA als jüdischer Film rezipiert, was sich etwa daran ablesen lässt, dass er regelmäßig in einschlägigen Bestenlisten zu finden ist. Gleichzeitig meint Battegay in der Darstellung des Kellerman's Resort eine 'assimilatorische Fantasie' zu erkennen: "Jüdische Kultur und jüdische Tradition sind hier beinahe vollständig unsichtbar – wie in so vielen Hollywoodfilmen aus den 60er-Jahren, in denen 'Dirty Dancing' spielt" (S. 84). Das Bewusstsein dafür, dass es sich bei Dirty Dancing um einen Film handelt, der die 1960er aus Perspektive der 1980er betrachtet, durchzieht die Beiträge. Birgit Glombitza sieht in 'Baby' eine Figur, die "Selbstbestimmung und Ehefähigkeit, Körperbewusstsein und Reproduktion, Klugheit und Sanftheit ohne Geschlechterstreit" (S. 53) vereint und damit Männern und Frauen der späten 1980er-Jahre ein eskapistisches Angebot mache, aus den Verteilungskriegen im Beruflichen und Privaten auszubrechen. Jan Dedves zeigt anhand des Soundtracks, David Kleingers anhand der Ausstattung, wie die 1980er-und die 1960er-Jahre in Dirty Dancing eine Parallelexistenz führen. Mit Ich hatte die Zeit meines Lebens ist nicht nur auf inhaltlicher sondern auch auf gestalterischer Ebene ein beachtenswerter Sammelband gelungen. Zwischen den Essays verweisen Illustrationen von Oliver Grajewski auf Zitate von Dirty Dancing in Filmen und Serien unterschiedlicher Genres. Denn auch wenn die wissenschaftliche Rezeption auf sich warten ließ, ist Dirty Dancing schon lange Teil kulturindustrieller Referenzmühlen – von der Reminiszenz bis zur Persiflage.
Kritische Theorie wirkt trotz beständiger Verdrängungs- und Entpolitisierungstendenzen bis heute als gesellschaftskritischer Stachel in den akademischen Betrieb hinein. Emil Walter-Busch versucht zu einer Relektüre anzuregen. Den Fokus legt er auf die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden Schriften von Max Horkheimer, Friedrich Pollock, Franz Neumann, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse. Darüber hinaus bemüht er sich um eine Darstellung der Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) von der Institutsgründung bis 1970. Im ersten Kapitel zeichnet Walter-Busch die politischen Umstände rund um die Gründung des IfS in den frühen 1920er Jahren nach. Er beschäftigt sich mit den Motiven der Familie Weil, einen Teil ihres Vermögens als Stiftungsvermögen zur Verfügung zu stellen und setzt sich mit der Direktion Horkheimers auseinander, der das IfS seit 1930 leitete. Es wird versucht die MitarbeiterInnen des Instituts für Sozialforschung im Zeitraum von 1930 bis 1949 in einen inneren und einen äußeren Kreis zu unterteilen. Horkheimer bildet in diesem Zeitraum für Walter-Busch das theoretische wie administrative Zentrum der Arbeit des IfS. Anhand einer detaillierten Aufstellung der Korrespondenzen Horkheimers, geordnet nach Anzahl und Dauer des jeweiligen Briefwechsels, sowie der Anzahl der publizierten Briefe, versucht der Autor seine Einteilung empirisch zu untermauern. Durch diese Methode gelingt es Walter-Busch auch Walter Benjamin zum innersten Kreis des Instituts zu rechnen. Denn obwohl Benjamin nie hauptamtlicher Mitarbeiter des IfS war, deuten die Korrespondenzen auf eine große Nähe zum Horkheimer-Kreis der 1930er Jahre hin. Die durch die Machtübernahme der NSDAP erzwungene Emigration des Instituts wird vorerst im Kapitel zum inneren und äußeren Kreis der MitarbeiterInnen abgehandelt, so dass sich das nächste Unterkapitel direkt mit der Rückkehr des IfS nach Frankfurt am Main beschäftigen kann. An diesem Punkt wird zum ersten mal ein Defizit des Buches sichtbar, das sich auch durch die folgenden Kapitel zieht: Die Tragweite des Zivilisationsbruchs, den die Machtergreifung der Nazis und die von ihnen in die Wege geleitete industrielle Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden darstellt und die seit der Dialektik der Aufklärung einen zentralen Untersuchungsgegenstand der Kritischen Theorie bildet, wird von Walter-Busch nur am Rande thematisiert. Mitunter sind es Anekdoten, wie etwa eine über die gebückte Körperhaltung Max Horkheimers bei der Eröffnung des neuen Institutsgebäudes im Jahr 1951 (Abbildung auf S. 33), mit denen auf die postnazistischen Verhältnissen in der Nachkriegs-BRD zwar indirekt hingewiesen, einer tiefgreifenderen Auseinandersetzung aber ausgewichen wird. Das zweite Kapitel widmet sich zur Gänze Horkheimer und springt zeitlich wieder zurück in die späten 1910er Jahre. Zunächst wird versucht Horkheimers intellektuelle Entwicklung anhand seiner Frühschriften nachzuzeichnen. Walter-Buschs These lautet, dass die poetischen Versuche des jungen Horkheimer zentrale Motive seiner späteren Theorieentwürfe bereits vorwegnehmen. Die daran anschließenden Unterkapitel widmen sich seinem Forschungsprogramm als Institutsdirektor in den 1930er Jahren und dem Begriff 'Kritische Theorie' als gemeinsamen Nenner des IfS in den Jahren 1930-1940. Hier gelingt Walter-Busch, was man an vielen anderen Stellen seines Buches vergeblich sucht: Eine nachvollziehbare, gut gegliederte Einführung, in diesem Fall zu Fragen des Materialismus, dialektischem Denken, der Wissenschaftskritik sowie zum Verhältnis von Theorie und Praxis. Der Titel des dritten Kapitels verspricht die Erläuterung der divergierenden Faschismusanalysen der Kritischen Theorie und zugleich eine Reflexion der Demokratieerfahrung, welche die emigrierten MitarbeiterInnen des IfS in den USA machten. Während Pollocks Staatskapitalismuskonzept noch durchaus nachvollziehbar und zugleich kritisch dargestellt wird, bleibt der Abschnitt zu Franz Neumanns Ansätzen theoretisch an der Oberfläche, verliert sich in biographischen Details und dringt über weite Strecken nicht zum Kern seiner Staatstheorie des nationalsozialistischen Deutschlands vor. Das darf insofern nicht verwundern, als das primäre Ziel Walter-Buschs die Darstellung Neumanns als Juristen am rechten Flügel der deutschen Sozialdemokratie zu sein scheint. In diesem Zusammenhang müht sich der Autor fernab seiner eigentlichen Fragestellung mit einer Aufschlüsselung diverser Positionen in der Verfassungsdebatte der Weimarer Republik ab. Der Erläuterung zentraler Begriffe in Neumanns Behemoth, wie etwa dem des Rackets, lässt Walter-Busch wenig Platz und vergibt damit zum Teil die Chance dem aufgrund seines frühen Todes bis heute oftmals als Randfigur wahrgenommen Neumann inhaltlich gerecht zu werden. Ein besonders signifikantes Beispiel für mangelnde Stringenz sind Walter-Buschs Ausführungen zur Dialektik der Aufklärung, die mit der Feststellung abbrechen, dass nicht bekannt ist, wie Neumann selbige beurteilt hätte. Nach einem sowohl kurzen als auch spekulativen Absatz zu Neumanns Rezeption der Dialektik der Aufklärung, verliert sich Walter-Busch abermals in biographischen Details und zählt, unterbrochen von kurzen Theorie-Häppchen, diverse Arbeitgeber Neumanns und Marcuses während der Kriegsjahre und danach auf. Der größte Erkenntnisgewinn lässt sich dabei noch aus den wörtlichen Zitaten erzielen, in denen die prekären Exilerfahrungen linker Intellektueller am Übergang zwischen Zweitem Weltkrieg und beginnendem Kalten Krieg reflektiert werden. Das Kapitel über Demokratieerfahrung und Faschismusanalysen endet mit einer zusammenfassenden Vorstellung der empirischen Autoritarismus-Forschung des IfS, ergänzt um Versatzstücke aus der bis heute anhaltenden soziologischen Debatte um die in den Studien angewandten Methoden. Im letzten Kapitel seines Buches geht es Walter-Busch um die Verzweigungen Kritischer Theorie im Zeitraum 1950 bis 1970. Hier bemüht er sich nicht um eine systematische Darstellung der durchaus breiten Wirkung, welche die Kritische Theorie während der genannten Zeitspanne in und außerhalb des akademischen Feldes entfaltete. Stattdessen entscheidet er sich neben Kapiteln zu Adorno, Marcuse und einem zu Neumanns Bemühungen um das Fach Politikwissenschaft in der frühen BRD, in schlechter akademischer Tradition dazu, Jürgen Habermas als den legitimen Erben darzustellen. Habermas, den Walter-Busch bereits zuvor als "den brillanten Assistenten Adornos" (S. 35) einführt, wird im letzten Kapitel zum Demokratisierer der Kritischen Theorie hochstilisiert. Dabei ist das von Walter-Busch zuvor behauptete Demokratiedefizit der Kritischen Theorie durchaus kritisch zu hinterfragen. Stellenweise scheint diese rhetorische Figur die Funktion zu haben ihrerseits über die Demokratiedefizite der jungen Bundesrepublik hinwegzutäuschen. Denn ganz allgemein fehlt Walter-Buschs Analyse ein begrifflicher Apparat, der im Stande ist die postnazistischen Verhältnisse in Deutschland angemessen zu erfassen. In der Projektion mangelnder Demokratiefähigkeit auf die Kritische Theorie sticht dieses Defizit einmal mehr ins Auge. Neben Habermas wird lediglich Ulrich Oevermanns 'objektiver Hermeneutik' die Ehre zu Teil, als Verzweigung der Kritischen Theorie ausführlicher besprochen zu werden. Erwähnung finden insbesondere seine Dramenanalysen zu Samuel Beckets Endspiel und Arthur Schnitzlers Professor Bernardi. Gegen Ende des Buches wird der bereits zuvor spürbare male bias in Walter-Buschs Darstellung deutlich sichtbar. Auch wenn sich Walter-Busch die Mühe macht, vermeintliche Randfiguren vorkommen zu lassen, sind die von ihm porträtierten Personen ausschließlich männlich. Weder der intellektuelle Beitrag Gretel Adornos in Bezug auf die Entstehung und Edition zentraler Werke der Kritischen Theorie wird gebührend gewürdigt, noch die von Frauen bereits in den Gründungsjahren am IfS geleistete Arbeit angemessen und unvoreingenommen dargestellt. Die einseitige Glorifizierung von Habermas lässt keinen Platz um etwa auf die seit 1964 am IfS beschäftigte Regina Becker-Schmidt einzugehen, die von Walter-Busch lediglich als Erzählerin einer Anekdote erwähnt wird und über die er darüber hinaus gerade noch zu berichten weiß, dass sie "eine wissenschaftliche Mitarbeiterin Adornos" war, "die ihn sehr gut kannte" (S. 224). Emil Walter-Busch versucht mit Geschichte der Frankfurter Schule. Kritische Theorie und Politik sehr viel in ein Buch zu packen. Der Titel verspricht sowohl eine umfangreiche Darstellung der Geschichte der Frankfurter Schule als auch Erläuterungen zur Wechselwirkung politischer Verhältnisse und akademischer Theoriebildung. Zu beiden Themenkomplexe liegen bereits mehrere, zum Teil äußerst umfangreiche Publikationen vor. Die weitläufige Fragestellung zwingt Walter-Busch zur Komprimierung, die er allerdings nicht konsequent betreibt. Das mag an sich noch nichts Verwerfliches sein, führt jedoch im konkreten Fall zu vielen unerwarteten Sprüngen zwischen biographischen Details und kurzen Theorie-Einführungen, die oftmals unvermittelt enden. Nach der Lektüre bleibt unklar, welches Ziel Walter-Busch mit diesem Buch verfolgt. Als Einführung ist es zu spezifisch, als Beitrag zur Erforschung der Geschichte der 'Frankfurter Schule' beschränkt es sich zu sehr auf das Referieren der bereits existenten Fachliteratur. Über weite Strecken rettet sich Walter-Busch von einem Zitat zum nächsten, wobei zumindest die Auswahl und Montage der Zitate für das Buch spricht. Denn der Autor macht hier nicht den Fehler, bereits hinlänglich Bekanntes noch einmal zum Besten zu geben und schreibt auch nicht die Degradierung einiger der von ihm behandelten Theoretiker als akademische Zitat-Onkel fort. Die ausführliche Zitation von weniger rezipierten Texten ist im Stande, trotz der offensichtlichen Mängel, neue Blickwinkel zu eröffnen.
Florian Wagner ist seit fünf Jahren Frugalist: Sein Ziel ist, mit 40 Jahren finanziell unabhängig zu sein. Dafür legt er möglichst viel seines Einkommens zurück und investiert es langfristig. In seinem Buch erklärt er, wie er seine Lebensqualität durch bewussteren Konsum steigert, wie er seine Ausgaben effektiv kontrolliert und wie man sein Leben mehr nach seinen eigenen Vorstellungen ausrichten kann. Schon heute ermöglicht ihm dieser Lifestyle, sich unabhängiger von seiner Erwerbstätigkeit zu machen und sich auf das zu konzentrieren, was ihm Freude bereitet. Gleichzeitig hat er sein Ziel fest im Blick: im Alter von 40 Jahren völlig frei über seine Zeit zu bestimmen. In seinem Buch erklärt er, wie Lebensqualität und Sparquote zusammenhängen, was die wachsende Community der Frugalisten antreibt und welche Rolle Glück dabei spielt. Zudem verraten 14 Frugalisten ihre Strategien, wie man sein passives Einkommen erhöht, Finanzfehler vermeidet und wie man sein Geld geschickt anlegt - darunter erfolgreiche Selfmade-Millionäre, finanziell freie Unternehmer und ehemalige GeringverdienerInnen. Sie alle sprechen offen über ihre Erfolgsrezepte und Überzeugungen, durch die finanzielle Freiheit ganz ohne Lottogewinn oder Erbschaft Jahrzehnte vor dem gesetzlichen Renteneintritt möglich ist. Auch wer nicht so viel sparen kann oder nicht schon mit 40 aus dem Job aussteigen will, profitiert von den bewährten Tipps. Für mehr Freiheit in einem durch und durch reicheren Leben!(Verlagstext)