Rosemarie Nave-Herz: Die Ehe in Deutschland: Eine soziologische Analyse über Wandel, Kontinuität und Zukunft. Opladen: Verlag Barbara Budrich 2022. 978-3-8474-2655-4
Eine Einführung zum qualitativen Forschen mit Vignetten, mit der übersichtlich sowie nahe am empirischen Material unterschiedliche Leser:innengruppen angesprochen werden und mit der das Potenzial für verschiedenste Methoden und Studiendesigns in der qualitativen Sozialforschung abgedeckt wird, ist noch nicht geschrieben. MIKO-SCHEFZIG versucht in "Forschen mit Vignetten" Facetten der qualitativen Vignettenforschung aufzuzeigen und anhand eigener Studien anschaulich zu vermitteln. Im Mittelpunkt stehen dabei Konzepte der Situation und ein partizipativ-transformativer Anspruch. Die empirisch fundierte Darstellung hat ihre Stärken in der lesenswerten Darlegung zum Forschungsdesign und -anspruch, darüber hinaus werden wiederholt die allgemeinen Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen des Forschens mit Vignetten thematisiert. Das Buch erfüllt jedoch insgesamt nur im Ansatz den Charakter einer allgemeinen Einführung
Die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse zeigt zugleich eine zunehmende Gleichstellung und eine Persistenz männlicher Dominanz. Der staatlichen Ehe werden hierbei perpetuierende Effekte zugeschrieben, da sie zwischen Öffentlichem und Privatem vermittelt. Am Beispiel der Bestimmung des Ehenamens kann dem Zusammenspiel von patriarchalen Strukturen und individuellen Handlungsmustern nachgegangen werden. Die Bestimmung des Ehenamens ist weder ausschließlich eine Frage bürokratischer Ordnung noch ist sie als rein persönlicher Entschluss zu verstehen. Nicht nur wurden restriktive Regelungen aufgebrochen, zugleich erwuchs die egalitäre Beziehungsführung zu einem Leitbild. Doch Gleichberechtigung setzt sich nicht umfassend durch: In Deutschland bestimmen ca. 75% der heiratenden Paare ausschließlich den Nachnamen des Mannes zum Ehenamen. Im Artikel wird anhand von narrativen Paarinterviews der Frage nachgegangen, wie die Kontinuität dieses Ungleichgewichts zu erklären ist. Dafür wurden sequenzanalytisch und orientiert am Kodierverfahren der Grounded-Theory-Methodologie Aushandlungsmuster von Paaren und die zugrundeliegenden Argumentationslinien rekonstruiert. Zwar kann ein Wandel ausgemacht werden, gleichwohl werden die Dominanz hegemonial-männliche Praktiken deutlich. Für einen Großteil der Paare zeigte sich ein Spannungsverhältnis, in dem ungeachtet der rechtlichen Offenheit die Paarwirklichkeit von Geschlossenheit bezüglich der Bestimmung des Ehenamens geprägt war. Dabei unterlagen die Frauen einem höheren Rechtfertigungsdruck und die Herausforderung, die identitätsverändernden Effekte eines Namenswechsels zu bewältigen, wird von Männern nicht gleichermaßen erwartet.
Die begriffliche Offenheit des Kindeswohls ist für Sorgende herausfordernd. Die Studie geht nicht nur den sich in der Debatte zeigenden Schließungsversuchen und Dimensionen des Kindeswohls nach. Ebenso werden einerseits die regulativen Effekte der Offenheit des Kindeswohls auf die Sorge um Kinder in den Blick genommen. Kooperation, Transparenz und Kontrolle erwachsen dabei zu zentralen Imperativen. Andererseits werden Aushandlungen des Kindeswohls im Kinderschutz rekonstruiert. Die Kinderschutzpraxis wird dabei weder auf Kontingenz noch auf Machtgefüge verkürzt. Als Abwägungsprozess, so zeigt sich, ist sie von der fallspezifisch sich entfaltenden Dynamik geprägt. Derart wird ersichtlich, dass das Fallverstehen im Kinderschutz über die Rekonstruktion der Falldynamiken erweitert werden muss.
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Der Beitrag arbeitet gouvernementalitätstheoretisch heraus, wie sich Kindheiten und Sorgearrangements aktuell gesellschaftlich neu ordnen. Über Disziplinierung ist die gesellschaftliche Organisation der Sorge um Kinder nicht mehr ausreichend zu fassen. Dagegen wächst die Bedeutung von Transparenz. Techniken der Transparenz zielen darauf ab, das Aufwachsen mannigfaltig sichtbar zu machen, um es über Vernetzung sowie die Vervielfältigung von Kommunikation und Wissen optimieren zu können. Vollständige Transparenz bleibt eine Fiktion. Techniken der Transparenz beschreiben deshalb keinen Zustand, sondern das Streben Sorgender, Uneinsehbares sichtbar werden zu lassen. Weit mehr als einfach eine Totalität gläserner Durchsichtigkeit setzt sich damit ein feines Netz biopolitisch produktiver Mechanismen der Sorge durch, aus denen eine generative Dynamik erwächst, welche an starren Normen orientierte, disziplinierende Techniken der Sorge verdrängt. Mit der Forderung nach Transparenz geht zugleich die Angst einher, dass familiales Zusammenleben zunehmend repressiver staatlicher Gewalt unterliegt. Jedoch versprechen Techniken der Transparenz ebenso die Entfaltung von Autonomiepotenzialen. Denn als Teil der biopolitischen Regulierung kommt ihnen die Aufgabe zu, Risiken zu verwalten, Gefahren zu minimieren und die Sorge um Kinder zugleich individuell und gesellschaftlich produktiv zu gestalten.
Frank Becker / Elke Reinhardt-Becker (Hg.): Liebesgeschichte(n): Identität und Diversität vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Frankfurt am Main / New York: Campus 2019. 978-3-593-51029-3
Development and realization of parenthood depend on the historically specific problematization of child welfare/well-being. The practices of youth welfare service and modern parenthood are primary orientated towards the collective protection and strengthening of the child's autonomy. According to Foucault, family could be understood as a disciplining architecture and simultaneously as a biopolitical regime of the child's body. In this regard, the second step would be to discuss the main regulative effects of the judicial concept child welfare/well-being (Kindeswohl) and the major transformational processes of the German youth welfare service. Historically, the regulations of family and socialization were based explicitly on rigid gender norms (traditional family framework). However this article intends to examine how these rigid norms are getting replaced by a decentralized manifold networking and screening of socialization. Instead of a disciplining architecture with a relatively closed, affective and heteronormative privacy, family becomes a relatively open and networked commitment of prevention. ; Elternschaft hängt in ihrer modernen Verfassung wesentlich davon ab, wie das Kindeswohl problematisiert wird. In der Rekonstruktion der Entwicklung moderner Familialität und der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe zeigt sich, dass insbesondere die kindliche Autonomie zum zentralen Element aufsteigt. Im Rückgriff auf Foucault wird Familie als disziplinierende Architektur (Disziplin) und zugleich als eine Instanz der biopolitischen Verwaltung des Kinderkörpers skizziert. Anschließend wird auf die regulativen Effekte der zunehmenden Bedeutung des Kindeswohls und die daraus folgenden wesentlichen Transformationsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe eingegangen. Der Zugriff auf die Familie und Sozialisation über die klaren und starren (Geschlechter‑) Normen des traditionellen Familienbildes, wird abgelöst von einer vielfältigen, dezentralen Vernetzung und Durchleuchtung von Sozialisation. An die Stelle eines disziplinierenden Gefüges der relativ geschlossenen, affektiven, heteronormativen, familialen Privatheit (um den Vater), rückt ein relativ offenes, vernetztes und präventives Engagement (um das Kind).
Paarbeziehungen werden aus vielfältigen Motiven heraus eingegangen, folgen multiplen Pfaden und sind bunter geworden. Insbesondere der Kampf gegen Heteronormativität hat die soziale Ordnung von Paarbeziehungen grundlegend verschoben. Ohne die Orientierung an Idealen aufzugeben, ist für das Selbstverständnis als Paar zunehmend die Paarbeziehungspraxis entscheidend, in der individuell verschiedene Dimensionen von Intimität verknüpft werden. Der Band versammelt Beiträge, welche die Aushandlungen von Paaren und die paarspezifische Bewältigung von Herausforderungen im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels analysieren.
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ZusammenfassungDie wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts "Vielfalt vor Ort begegnen – professioneller Umgang mit Heterogenität in Kindertageseinrichtungen" bringt auf Basis anwendungsbezogener Forschung wissenschaftliche Erkenntnisse zu diversitätssensibler Pädagogik in die pädagogische Praxis und Organisationsentwicklung von Kindertageseinrichtungen in Thüringen ein. Es wird an der Fachhochschule Erfurt unter Leitung von Michaela Rißmann, Barbara Lochner und Christine Rehklau im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport von 2021 bis 2023 durchgeführt. Zunächst wird angestrebt, ein theoretisch fundiertes und empirisch validiertes Curriculum für die Fort- und Weiterbildung von Pädagog*innen zur Diversity-Reflexivität und den pädagogischen Umgang mit Heterogenität zu entwickeln. Insgesamt wird der Prozess – insbesondere für dessen Qualitätssicherung – von jeweils drei qualitativen und quantitativen Teilerhebungen und deren triangulativer Analyse begleitet.