Säkularismus, Religion als Identität und die Achtung der Religion
In: Transit: europäische Revue, Heft 39, S. 93-111
ISSN: 0938-2062
Eines der Ergebnisse des "cultural turn" in den Sozialwissenschaften und in der neuen Identitätspolitik ist die Einsicht, dass die klassische liberale Trennung zwischen Kultur und Politik ebenso verfehlt war wie die positivistisch-materialistische Unterscheidung zwischen sozialer Struktur und Kultur. Und doch wird die Religion, die ja von den Sozialwissenschaftlern gewöhnlich zur Kultur gerechnet wird, von manchen weiterhin als ein Aspekt des sozialen Lebens betrachtet, der zumindest vom Staat, vielleicht auch von der Politik im Allgemeinen getrennt gehalten werden muss, womöglich sogar vom öffentlichen Leben als Ganzem einschließlich des gesellschaftlichen Austauschs der Bürger untereinander. Im Beitrag wird diese separatistische Wahrnehmung von Religion und Politik, die nicht wissenschaftlich neutral, sondern eindeutig normativ ist und die sowohl als Theorie wie auch als Praxis sehr unterschiedliche Formen annehmen und mehr oder weniger restriktiv sein kann, Säkularismus genannt. Der Aufsatz besteht aus drei Teilen. Im ersten argumentiert der Autor auf einer abstrakten Ebene, dass es nicht notwendig ist, auf einer absoluten Trennung von Religion und Politik zu beharren, auch wenn das natürlich eine der möglichen Interpretationen von Säkularismus ist. Im zweiten Teil wird gezeigt, dass eine solch radikale Trennung auch im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung und die zeitgenössischen Anpassungen des Säkularismus nicht stichhaltig ist. Angesichts der Tatsache, dass Säkularismus Verbindungen zwischen Staat und Religion nicht zwangsläufig ausschließt, erkundet der Verfasser im dritten Teil fünf mögliche Gründe für ein Interesse des Staates an der Religion. (ICF2)