Vorschulerziehung und allgemeinbildendes Schulwesen in den neuen Bundesländern : Entwicklung - Tendenzen - Perspektiven
Am 3. Oktober 1990 hörte die DDR auf zu bestehen. Die der staatsrechtlichen Vereinigung beider deutscher Staaten vorangehenden Umbrüche gingen unter dem Etikett friedliche Revolution in die jüngste Geschichte ein. Sie waren Teil der Transformation der mittel- und osteuropäischen Staaten, die schließlich zur Auflösung der sozialistischen Staatengemeinschaft führte. Der im Herbst 1989 in der DDR einsetzende radikale Veränderungsprozeß endete nicht mit dem 3. Oktober 1990. Er setzte sich in den ostdeutschen Ländern fort und dauert bis heute an. Das einheitliche sozialistische Bildungssystem der DDR gehörte zu denjenigen staatlichen Handlungsfeldern, deren umfassende Erneuerung die Protestbewegung des Herbstes 1989 als besonders dringlich angemahnt hatte, wie auch insgesamt bildungspolitische Reformforderungen im Rahmen der Proteste gegen das SED-Regime einen hohen Stellenwert aufwiesen. Die Reform des Bildungssystems galt als wesentliches Element, ja als Bedingung gesellschaftlicher Erneuerung. Sowohl hinsichtlich der Themenvielfalt als auch hinsichtlich des Spektrums der beteiligten Akteure überraschte die enorme Breite der bildungspolitischen Reformdiskussion. Im Zentrum der Kritik standen der Vorschulbereich, das allgemeinbildende Schulwesen und die Hochschulen, der Erziehungsanspruch des Staates und die ihn bestimmende marxistischleninistische Ideologie. Die Zurückdrängung des allgegenwärtigen Einflusses der SED aus den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen war die vorrangige Forderung nahezu aller beteiligten Akteure. Die Veränderungsvorschläge und Diskussionsbeiträge basierten zum Teil auf Vorarbeiten, die schon in den siebziger und achtziger Jahren durchgeführt worden waren, z.B. von kirchennahen Gruppen oder den (evangelischen) Kirchen in der DDR selbst. Aber erst nachdem die SED im November 1989 ihre Stellung als allein bestimmende Kraft verloren hatte, waren substantielle Veränderungen in Bildung, Erziehung, Wissenschaft und Forschung möglich. Die bis zum Oktober 1990 im Bildungssystem der DDR vollzogene Umgestaltung erfolgte insbesondere in bezug auf die inhaltliche Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsprozesse, aber auch in den die Arbeit in den Bildungsund Erziehungseinrichtungen prägenden inneren Verhältnissen. Der Umbau des strukturellen Gefüges von Bildung, Wissenschaft und Forschung schien in dieser Phase von nachgeordneter Bedeutung. In den Jahren 1989/90 ging es vorrangig um die Entfernung der ideologischen Elemente, die Bildung und Wissenschaft in der DDR über vierzig Jahre geprägt hatten und die für eine Vielzahl von Deformationen und Defiziten verantwortlich waren. Die aus dem politischen Umbruch des Herbstes 1989 resultierenden und bis zum Oktober 1990 erfolgten personellen, strukturellen, rechtlichen und sonstigen Veränderungen betrafen alle Ebenen von den Ministerien und Verwaltungen bis hin zu einzelnen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Parallel hierzu erfaßten die Verhandlungen zur deutschen Einheit die Politikfelder Bildung und Wissenschaft. Der sich seit der Vereinigung vollziehende Umbau des Bildungsund Wissenschaftssystems in den ostdeutschen Ländern führte zu einem weitgehenden Bruch mit den bis 1990 in der DDR vorherrschenden rechtlichen, strukturellen, institutionellen und inhaltlichen Bedingungen. Der Neugestaltung von Bildung, Wissenschaft und Forschung in den ostdeutschen Ländern lagen folgende Rahmenbedingungen zugrunde: die Zeit- und Finanzknappheit der Länder; Vorgaben, z.B. die KMK-Vereinbarungen und die Verträge zur deutschen Einheit; Personalprobleme, insbesondere beim Aufbau der Verwaltungen, sowie ein allgemein hoher öffentlicher Erwartungsdruck. Nach der Etablierung der Parlamente, Regierungen und Verwaltungen der ostdeutschen Länder stand die rechtliche, strukturelle und organisatorische Neugestaltung des Bildungs- und Wissenschaftssystems im Vordergrund. Die bildungspolitische Diskussion verlagerte sich nun im wesentlichen auf die Länderebene. Und wie schon 1989 standen wiederum der Vorschulbereich, das allgemeinbildende Schulwesen und die Hochschulen im Mittelpunkt bisweilen kontroverser Auseinandersetzungen zwischen Regierungen, Parlamenten, Gewerkschaften, Verbänden, Interessengruppen und einer bildungspolitisch interessierten Öffentlichkeit. Als die DDR am 3. Oktober 1990 aufhörte zu bestehen, war die strukturelle Gestalt ihres Bildungssystems noch weitgehend erhalten. Das Bildungs- und Wissenschaftsrecht, aber auch die methodische und didaktische Gestaltung des schulischen Unterrichts hatten sich jedoch bereits substantiell verändert. Die besonders idiologiebelasteten Fächer wie Staatsbürgerkunde und Geschichte waren entweder aus dem Fächerkanon entfernt worden, oder es waren neue Lehrpläne erschienen, auf deren Basis der Unterricht durchgeführt werden konnte. Als bildungspolitische Richtungsentscheidungen erwiesen sich die Landtagswahlen vom Oktober 1990. Schon bald danach war erkennbar, dass die Länderregierungen und deren Verwaltungen ihre Vorstellungen zur Neuordnung des Schulwesens weitgehend durchzusetzen vermochten. Sie besitzen seither die Gestaltungsmacht insoweit, als sie in dem durch die bestehende Rechtslage, aber auch durch die Vereinbarungen z.B. der Kultusministerkonferenz (KMK) und durch ihre finanziellen Spielräume vorgegebenen Rahmen die strukturelle, organisatiorische und inhaltliche Neugestaltung des Bildungssystems weitgehend zu beeinflussen vermögen.