Strategic Litigation entwickelt sich zurzeit auch unter deutschen Juristen zum Buzzword. Davon zeugen eine zunehmende Zahl von Gerichtsverfahren, die mit diesem Etikett versehen werden, neue zivilgesellschaftliche Organisationen, die solche Verfahren zu ihrem Tätigkeitsschwerpunkt erklären, akademische Tagungen, die dieses Phänomen reflektieren, und ein stetig anschwellendes Echo in Fachliteratur und Medien. Doch was genau ist unter Strategic Litigation zu verstehen? Und was davon zu halten? Am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Politik der Universität Regensburg wird diesen Fragen seit einigen Jahren nachgegangen. Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in diesen Forschungsbereich. ; Currently, 'strategic litigation' is becoming a buzzword among German lawyers. This is evidenced by an increasing number of court cases bearing this label, new civil society organizations that focus on such procedures, academic meetings that reflect this phenomenon, and a steadily increasing echo in specialist literature and the media. But what exactly is meant by strategic litigation? And what to think about it? The chair of public law and politics of the University of Regensburg has been pursuing these questions for several years. This article gives an insight into this area of research.
Die alten Verhältnisse vor der französischen Revolution von änderten sich mit der französischen Eroberung des Rheinlandes 1792/94. Frankreich führte hier seine durch die Revolution geprägte neue Gerichtsverfassung ein, nämlich die Friedensgerichte, Zuchtpolizeigerichte und als obere Instanzen die Tribunaux du Département und die Cours d'appel. Sie sprachen Recht nach den neuen Verfahrensgrundsätzen, nämlich Verwaltung und Justiz waren getrennt, alle Bürger waren vor dem Gesetz gleich, die Gerichtssitzungen waren mündlich und öffentlich und die Urteile wurden öffentlich verkündet. Preußen übernahm 1813 diese französische Gerichtsverfassung, errichtete als Neuheiten Landgerichte, Schwurgerichte, Handels- und Gewerbegerichte, dazu den Rheinischen Appellationsgerichtshof in Köln. Als die Nationalsozialisten die Macht gewonnen hatten, degradierten sie die bisherigen Länder zu bloßen Provinzen und erhoben die Rechtsprechung zur Reichsjustiz. Sie debattierten zwar über die Einführung neuer Friedensgerichte und einen dreistufigen Gerichtsaufbau, beabsichtigten damit jedoch nur, politischen Einfluss auf die Justiz zu gewinnen. Nach 1945 wurden nicht nur die Gerichtsbezirke neu geordnet, man diskutierte auch erneut über die Dreistufigkeit, die sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Um den Geschäftsablauf zu vereinfachen und zu beschleunigen, führte die Regierung bei den Gerichten die Digitaltechnik ein, bündelte gewisse Zuständigkeiten bei einzelnen Gerichten und führte Einzelrichter bei den Land- und Oberlandesgerichten ein, was die Verfahren verkürzte und beschleunigte.
Der Völkermord an den Ovaherero und Nama gehört seit einigen Jahren zu den großen geschichtspolitischen Themen der Bundesrepublik und findet aktuell auch international eine bis dato ungekannte Aufmerksamkeit. Hintergrund hierfür ist die Klage der Ovaherero und Nama, die im Januar 2017 am Bundesbezirksgericht in New York eingereicht wurde. Dabei handelt es sich um eine Sammelklage gegen die Bundesregierung, mit der die KlägerInnen Entschädigung für den Genozid und den Verlust von Eigentum erwirken wollen. Die geforderte Entschädigung wird in der Klageschrift nicht näher spezifiziert, vielmehr sollen Form und Umfang im Verfahren geklärt werden. Der Prozess hat noch nicht begonnen. Bislang scheiterte das Verfahren bereits daran, die Zulässigkeit der Klage zu prüfen. Am 25. Januar 2018 vertagte das zuständige Bundesbezirksgericht in New York diese Prüfung nach wenigen Minuten erneut, da sich der Anwalt der Bundesregierung mehr Vorbereitungszeit erbat.
Am 20. April beginnt der lang erwartete Prozess gegen die Führungsriege und Mitglieder der sog. Sturmtruppen der griechischen Goldenen Morgenröte (Χρυσή Αυγή – XA). Insgesamt 69 Angeklagte müssen sich für die Bildung bzw. die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verantworten. Es stehen Anklagepunkte wie Mord, Körperverletzung, Bestechung und Schutzgelderpressung im Raum. Trotz der deutlichen Ausgangslage liegen die konkreten Organisationsstrukturen weithin im Dunkeln, wodurch eine Rädelsführerschaft schwer nachzuweisen ist. Andererseits wird der Prozess auch Verbindungen in den 'politischen Mainstream' deutlicher machen als es manchem Akteur lieb sein wird, was wiederum neue Herausforderungen für die Unabhängigkeit des Verfahrens mit sich bringt.
Nicht nur die Geräuschkulisse des Brexits absorbierte ein Stück weit die Aufmerksamkeit für das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Zulässigkeit des Anleihenkaufprogramms der EZB. Denn immerhin entschied Luxemburg damit über eine der nach wie vor seltenen Vorlagen aus Karlsruhe. Dazu mag auch beigetragen haben, dass seit der Stellungnahme des Generalanwalts Wathelet nicht mehr damit gerechnet wurde, dass der EuGH der Europäischen Zentralbank (EZB) einen sprichwörtlichen Strich durch die Rechnung machen würde. Dennoch ist das Urteil aus einigen Gründen bemerkenswert.
Ist das OMT-Programm der EZB mandatswidrig? Dieser Beitrag wendet die ökonomische Argumentation der OMT-Kritiker vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht auf die seit Oktober 2008 praktizierte Vollzuteilungspolitik an. Der Vergleich zeigt, dass danach auch die Vollzuteilungspolitik mandatswidrig ist. Die EZB steht daher nicht als Staatsfinanzierer, sondern als lender of last resort vor Gericht. Ein Richterspruch gegen das OMT würde folglich eine ökonomische Argumentation bestätigen, die 150 Jahren moderner Zentralbankgeschichte widerspricht und den Euroraum den Instabilitäten von Finanzmärkten ausliefert. Ein solcher Währungsraum ist weder funktionsfähig noch wünschenswert.
In "Jüdisch - Nicht-Jüdische Begegnungen vor Gericht um 1900" vertritt die Autorin, Katharina Hahn, die These, dass es angesichts einer neuen Qualität von Mobilität und Migration im Kontext des signifikanten Bevölkerungswachstums um die Jahrhundertwende in Wien zu einer Zunahme interethnischer und interreligiöser sowie schichtübergreifender Kontakte kam. Anhand von drei Strafakten wird die These belegt, dass, trotz eines von modernem Antisemitismus geprägten gesellschaftlichen Klimas, angesichts alltäglicher Interaktionen und Notwendigkeiten religiöse und ethnische Zugehörigkeitskategorien in den Hintergrund treten. Es zeichnet sich ein Bild, das die vielfältigen Verflechtungen und Entanglements jüdischer Lebenswelten sichtbar macht und zugleich auf die Brüchigkeit binärer Konzeptionen von Osten und Westen im Sinne des Assimilierungsparadigmas, privat und öffentlich sowie männlicher Mobilität und weiblicher Immobilität verweist. Als die interpretierende Analyse leitende Konzepte fungieren dabei das der In-Difference, geprägt durch Rogers Brubaker und Tara Zahra, sowie das der Conviviality nach Paul Gilroy. Im Sinne des (Jewish) Spatial Turns wird nach den konkreten Räumen gefragt, in denen sich von In-Difference geleitete Interaktionen vollziehen. Der Wiener Prater wird dabei als Heterotopie nach Michel Foucault und als liminoider Raum nach Victor Turner gedeutet. Insbesondere gerät aber der private Wohn- und Nahbereich in den Fokus, einerseits über (jüdisch-)bürgerliche Haushalte und ihre Angestellten, andererseits über eine an Marc Augés Nicht-Orten orientierte Analyse der Wohnverhältnisse urbaner Unterschichten. Im Zuge der Kontextualisierung der Quellen wird auf biopolitische Überlegungen mit Rekurs auf Zygmunt Bauman, Giorgio Agamben und Roberto Esposito, weibliche Mobilität- und Erwerbsarbeit, die Geschichte der Prostitution sowie sexuelle Gewalt an Minderjährigen eingegangen. ; In "Jewish - Non-Jewish Encounters under Court Investigation around 1900" the author, Katharina Hahn, argues that due to a new quality of mobility and migration in light of the significant population growth in Fin de Siècle-Vienna inter-ethnic and inter-religious contacts as well as such crossing social boundaries increased. Drawing her arguments from three criminal court protocols, she argues that in spite of modern antisemitism, due to quotidian interactions and necessities, religious and ethnic identity markers lost their relevance. She draws a picture that reflects the various entanglements of Jewish life in a non-Jewish society, thereby challenging the dichotomies linked to the assimilation paradigm, the separation of privat and public sphere as well as male mobility and female immobility. The analytical approach is guided by the concept of In-difference developed by Rogers Brubaker and Tara Zahra as well as Paul Gilroys concept of Concivuality. In spirit of the (Jewish) Spatial Turn, the thesis explores spaces in which encounters guided by in-difference occur, thus interpreting the Wiener Prater as heterotopia according to Michel Foucault and characterizing it as liminoid sphere according to Victor Tuner. With a special emphasis on private living space and the close range surrounding it, she subsequently analyzes (Jewish) bourgeois households and the maids employed there as well as the cramped housing conditions of the urban precariat, interpreting the latter as non-lieus according to Marc Augé. The different sources are contextualized and discussed along biopolitical lines as theorized on by Zygmunt Bauman, Giorgio Agamben and Roberto Esposito, female mobility and labor, the history of prostitution and sexualized violence against minors respectively. ; Arbeit an der Bibliothek noch nicht eingelangt - Daten nicht geprüft ; Abweichender Titel laut Übersetzung des Verfassers/der Verfasserin ; Karl-Franzens-Universität Graz, Diplomarbeit, 2021 ; (VLID)6499188
In dieser künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion beschäftige ich mich mit zwei künstlerischen Arbeiten, die in Auseinandersetzung mit der Performativität und Theatralität des Gerichts entwickelt wurden. Die künstlerischen Forschungsarbeiten führte ich in Zusammenarbeit mit Kindern durch. Ich betrachte das Gericht fachfremd, aus meiner Perspektive als Theaterwissenschaftlerin und Performancekünstlerin. Die vorliegende Arbeit setzt die Welten von Gericht und Theater auf unterschiedliche Weise zueinander in Beziehung, um zwischen ihnen Aufschluss über ihre jeweilige performative Seins- und Funktionsweise zu erhalten. In der künstlerischen Forschung waren die Beobachtungen der Kinder leitend, derer, die im Theater des Rechts keine eigene Stimme haben, diesem aber dennoch unterworfen sind. Dafür ging ich theoretisch zunächst von einer ethisch-politischen Befragung der künstlerischen Forschung mit Kindern im Theater aus, um im Zeichen von Walter Benjamins Engführung von ästhetischen und juridischen Problemen und unter Einbezug von Jacques Rancières politischen Überlegungen zum pädagogischen Unverhältnis Möglichkeiten eines kollektiven und kollaborativen Forschens mit Kindern darzustellen. Von diesen Überlegungen zu einer Poetik und Methodik der künstlerischen Forschung aus wende ich mich dann im zweiten Kapitel der "Szene des Gerichts" zu. Welche Aspekte von räumlicher und zeitlicher Gestaltung sind aus der Perspektive des Theaters einer Betrachtung der Rechtsprechung zugrunde zu legen? Die folgenden beiden Kapitel beschreiben die praktische Begegnung dieser Institutionen in den beiden künstlerischen Projekten mit Kindern, wobei das erste das Theater ins Gericht und das zweite das Gericht ins Theater brachte. Die entsprechenden theoretischen Probleme, nämlich das Verhältnis von theatralem und bürokratischem Dispositiv der Rechtsprechung im ersten und Figurationen von Stellvertretung im zweiten Projekt, gingen aus den Erfahrungen der künstlerischen Forschung hervor, und zwar vor allem aus denen der Kinder. Diese vier Zugänge zum Verhältnis von Rechtsprechung und Theater bzw. zur Performance des Gerichts führe ich im Schluß zusammen im Spannungsfeld der Begriffe Theatralität und Performativität. ; In this artistic-scientific dissertation I'm concerned with two artistic research projects that developed in confrontation of performativity and theatricality of the court. I conducted the artistic research in collaboration with children. The jurisdiction I approach from an alien perspective, from my perspective as a theatre scholar and performance artist. The present work relates the worlds of court and theatre in different ways, in order to get information between them about their respective performative way of being and functioning. Court and theatre are placed in a relationship, making similarities and differences artistically and scientifically productive. For the artistic research, the observations of children were leading, of those who have no voice of their own in the Theatre of Law, but are nevertheless subject to it. In theory, I started with an ethical-political questioning of artistic research with children in the theatre, which, in the light of Walter Benjamin's close examination of aesthetic and juridical problems and including Jacques Rancière's political reflections on the pedagogical, develops possibilities to research with children in a collaborative and collective way. From these thoughts about my poetics and methodology, I turn in the second chapter to the scene of the court. Which aspects of spatial and temporal design are to be taken as the basis for a consideration of jurisprudence from the perspective of the theatre? The following two chapters describe the practical encounter between these institutions in two artistic projects with children, with the first bringing the theatre into court and the second bringing the court into the theatre. The corresponding theoretical problems, namely the relationship between the theatrical and bureaucratic dispositive of jurisprudence in the first project and figurations of representation in the second project, emerged from the experiences of artistic research, and above all from those of children. Concluding, I resume these four approaches to the relationship between jurisprudence and theatre – to the ›performance of the court‹ – from the viewpoints of the concepts of theatricality and performativity.
Seit fast einem Jahrzehnt wird das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen, dem mit 17 Millionen Einwohnern und 150.000 Lehrern zahlenmäßig größten Bundesland der Deutschen, zu Markte getragen. 1982 brachte die Neufassung des Schulverwaltungsgesetzes nicht die große Strukturreform der Mittelstufe, die von der Öffentlichkeit erwartete oder befürchtete Ersetzung des dreigliedrigen Schulwesens durch die Gesamtschule. Stattdessen konnte von da ab die Gesamtschule als zusätzliche Schulform eingeführt werden, wenn seitens der Eltern ein entsprechender Bedarf mittels umständlicher Verfahren nachgewiesen wird. Auf dem Markt der Bildungsmöglichkeiten in Nordrhein-Westfalen gibt es seitdem Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen. […] Der Autor reflektiert kritisch die Schulreformen des letzten Jahrzehnts in Nordrhein-Westfalen und bemerkt, "dass die ewig nach der Verbesserung der Pädagogik suchenden pragmatischen Strategen, die am Ende der Strukturdebatte wieder einmal die innere Reform entdeckten, das neu einsetzende Schul-Marketing für die jeweilige Schule und Schulform als pädagogischen Weg der Reform [erfanden]." Im Mittelpunkt der Kritik steht eine Studie, die im Auftrag der Landesregierung von einer unabhängigen Unternehmensberatung durchgeführt wurde. Abschließend stellt der Autor fest, dass so, "wie die Bildungspolitik auch die Studie zum affirmativen Papiertiger [wird]. Wirkliche Gefahren gehen vom Status quo aus. Das Opfer des Mangels bleiben die Schüler und Lehrer." (DIPF/Orig./Bal)
Textanfang: Von Gottes Gnaden Wir Carl, Herzog zu Würtemberg und Teck, Graf zu Mömpelgart, Herr zu Heydenheim und Justingen [et]c. Ritter des goldenen Vliesses, und des Löbl. Schwäbischen Creyses General-Feld-Marschall [et]c. Urkunden und bekennen hiemit für Uns und Unsere Nachfolgere an der Regierung des Herzogthums Würtemberg . ; Datierung am Textende: Gegeben unter Unserer eigenen höchsten Nahmens Unterschrifft und beygedruckt Herzoglichem Insiegel in Unserer Residenz-Statt Stuttgart, den 24. Martii, Anno 1759. ; Volltext // Exemplar mit der Signatur: München, Bayerische Staatsbibliothek -- 4 J.publ.g. 1278 l-6#Beibd.172
Können Folteropfer in einem Konventionsstaat eine zivilrechtliche Entschädigungsklage gegen einen Drittstaat einreichen, ohne dass der Fall einen direkten Zusammenhang mit dem betroffenen Konventionsstaat hat? Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hat dies im Urteil Naït-Liman gegen die Schweiz vom 15. März 2018 verneint und damit einen Kammerentscheid aus dem Jahr 2016 bestätigt. Zum heutigen Zeitpunkt könne aus Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Verpflichtung abgeleitet werden, die Zuständigkeit für Entschädigungsklagen von Folteropfern gegen Drittstaaten zu bejahen.